eJournals Kodikas/Code 45/1-4

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
0303
2025
451-4

Intentionalität – Familienähnlichkeit und Demarkation

0303
2025
Joschka Briese
Die Diskussion und Etablierung von Intentionalität als diskursive Heuristik in sozial-kommunikativen Praktiken erfordert eine Sondierung verschiedener Begriffe, die sich in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen mit Intentionalität und ähnlichen Konzepten zur Erklärung von Verhalten als Handlung beschäftigt haben. Diskursive Intentionalität, wie sich im Folgenden diskutiert wird, unterscheidet sich dabei insbesondere von phänomenaler Intentionalität, die in der Tradition Franz Brentanos und Edmund Husserls steht, weil sie sich als grundlegend sozial-normativ versteht. Auch theoretische Begriffe wie Intention, Absicht, Volition, kognitive Verursachung und Agentivität unterscheiden sich von diskursiver Intentionalität, welche sie entweder mögliche logische Folgen bereits zugeschriebener diskursiver Intentionalität sind oder eine individuelle Perspektive auf Intentionalität präferieren. Aus der Diskussion resultiert ein spezifischer Begriff von Intentionalität, der handlungstheoretisch und semiotisch anschlussfähig ist.
kod451-40124
K O D I K A S / C O D E Volume 45 (2022) · No. 1 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen 6 Intentionalität - Familienähnlichkeit und Demarkation Abstract: The discussion and establishment of intentionality as a discursive heuristic in social-communicative practices requires an exploration of various notions that have dealt with intentionality and similar concepts to explain behavior as action in different scientific disciplines. Discursive intentionality, as will be discussed below, differs in particular from phenomenal intentionality, which stands in the tradition of Franz Brentano and Edmund Husserl, because it sees itself as fundamentally social-normative. Theoretical concepts such as intention, volition, cognitive causation and agentivity also differ from discursive intentionality, which are either possible logical consequences of already ascribed discursive intentionality or prefer an individual perspective on intentionality. The discussion results in a specific concept of intentionality that is compatible with theory of action and semiotics. Zusammenfassung: Die Diskussion und Etablierung von Intentionalität als diskursive Heuristik in sozial-kommunikativen Praktiken erfordert eine Sondierung verschiedener Begriffe, die sich in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen mit Intentionalität und ähnlichen Konzepten zur Erklärung von Verhalten als Handlung beschäftigt haben. Diskursive Intentionalität, wie sich im Folgenden diskutiert wird, unterscheidet sich dabei insbesondere von phänomenaler Intentionalität, die in der Tradition Franz Brentanos und Edmund Husserls steht, weil sie sich als grundlegend sozial-normativ versteht. Auch theoretische Begriffe wie Intention, Absicht, Volition, kognitive Verursachung und Agentivität unterscheiden sich von diskursiver Intentionalität, welche sie entweder mögliche logische Folgen bereits zugeschriebener diskursiver Intentionalität sind oder eine individuelle Perspektive auf Intentionalität präferieren. Aus der Diskussion resultiert ein spezifischer Begriff von Intentionalität, der handlungstheoretisch und semiotisch anschlussfähig ist. Keywords: discursive intentionality, phenomenal intentionality, intention, volition, cognitive causation, agentivity Schlüsselbegriffe: diskursive Intentionalität, phänomenale Intentionalität, Intention, Absicht, Volition, kognitive Verursachung, Agentivität Verhalten und Intentionalität stehen in einem Verhältnis zueinander. Diese Annahme ist unstrittig. Mit welchem theoretischen Vokabular Verhalten allerdings beschrieben wird, hat wesentlichen Einfluss auf die Konsequenzen der Theoriebildung. Und tatsächlich analysieren verschiedene Disziplinen Verhalten und die dieses motivierenden, verursachenden bzw. begründenden Strukturen und Prozesse mithilfe unterschiedlicher Konzepte, die teilweise miteinander konkurrieren. Auch in der Linguistik und der linguistischen Pragmatik werden solche Strukturen und Prozesse untersucht, sind teilweise sogar konstitutiv für die Disziplin. Diskursive Intentionalität, also diejenige, die Handlungsinvolviertheit mithilfe normativer und pragmatischer Signifikanzen in diskursiven Praktiken erklären soll, ist ein solches Konzept. Bevor jedoch diskursive Intentionalität theoretisch entwickelt werden kann, sollen andere familienähnliche Begriffe und Konzepte vorgestellt werden. Insbesondere die Phänomenologie, die aus der Beschreibung der kategorialen Wahrnehmungs- und Erfahrungsprozesse des Bewusstseins einen differenzierten Intentionalitätsbegriff entwickelt hat, scheint hier durch die strukturellen Ähnlichkeiten mit einem handlungstheoretischen Intentionalitätsbegriff der linguistischen Pragmatik zu konkurrieren. Im Folgenden sollen daher zwischen phänomenaler und diskursiver Intentionalität unterschieden und die verschiedenen Aspekte der explanatorischen Potenziale dieser Konzepte skizziert werden. Anschließend möchte ich mich der Handlungstheorie zuwenden, die Intentionalität ebenfalls als grundlegendes Konzept erfasst. Insbesondere aus der Darstellung von handlungsinvolvierten Intentionen, also Absichten, die strukturell mit Handlungen in Beziehung stehen, können verschiedene Erkenntnisse gezogen werden, die für die spätere Analyse von intentionalen Relationen und der Modellierung intentionaler Verben relevant sind. Gleichzeitig wird sich aber zeigen, dass handlungstheoretisch zwischen Intentionen und Intentionalität unterschieden werden muss, da erstere spezifische propositionale Gehalte und Einstellungen darstellen, die in Handlungen involviert sind, während letzte die Strukturbedingung für die Emergenz entsprechender propositionaler Gehalte in diskursiven Praktiken ist. Auch Psychologie und Kognitionsbzw. Neurowissenschaften untersuchen das Verhältnis von Verhalten und seiner Entstehung. Die Konzepte Volition, Agentivität und kognitive Verursachung dienen hier der Beschreibung eben jenes Verhältnisses. Insbesondere in verb- und ereignissemantischen Beschreibungsmodellen hat sich dieses theoretische Vokabular vorwiegend durchgesetzt und zieht sich bis in die Analyse semantischer Rollen durch. In Explikation des Erkenntnisinteresses dieser Arbeit werden diese Konzepte nicht nur vorgestellt. Sie dienen gleichzeitig der Differenzierung zwischen einer Verbsemantik, die die Repräsentation von Kausation erfasst, und einer zu entwickelnden Verbpragmatik, die die normative und pragmatische Signifikanz in diskursiven Praktiken zu explizieren sucht. Die Vorstellung der verschiedenen Begriffe und Konzepte, die in Phänomenologie, Handlungstheorie, Psychologie und Kognitionswissenschaften verwendet werden, um Verhalten zu erklären, eröffnet anschließend ein theoretisches Feld, um diskursive Intentionalität als Signifikanz und Emergenzeffekt im Rahmen diskursiver Praktiken zu konzeptualisieren. 6.1 Phänomenale Intentionalität Der Ausdruck Intentionalität gilt in der zeitgenössischen Theoriebildung zunächst als Terminus der Phänomenologie und hat sich dort insbesondere in Anschluss an Franz Brentano und Edmund Husserl entwickelt: Die Gerichtetheit des Bewusstseins oder anderer 6 Intentionalität - Familienähnlichkeit und Demarkation 125 mentaler und phänomenaler Prozesse involviert in der Phänomenologie eine Relation zwischen einer mentalen Entität und dessen relationalem, ergo intentionalem Objekt. Der in den folgenden Kapiteln entwickelte Intentionalitätsbegriff, der sich auf die Signifikanz sprachlicher Zeichen stützt, weist einerseits strukturelle Affinität oder gar Wesensverwandtschaft zu diesem Begriff der phänomenologischen Intentionalität auf, ist aber andererseits nicht allein mittels phänomenaler Erkenntnisrekonstruktion in der diskursiven Praxis erfassbar. Auch wenn der im Folgenden entwickelte Intentionalitätsbegriff über eine phänomenale Struktur verfügt, nämlich in Form seiner phaneroskopischen Kategorienzugehörigkeit (cf. Kapitel 12.3), verweigert sich die Hinwendung zur Signifikanz sprachlicher Zeichen einer genuin phänomenologischen Rekonstruktion. Dennoch muss der Intentionalitätsbegriff der Phänomenologie zunächst in seinen Grundzügen erfasst werden, um nicht nur theoretischen Missverständnissen vorzubeugen, sondern auch dessen Affinitäten zur Intentionalität in diskursiven Praktiken vorzubereiten. Im Folgenden wird daher der Begriff der phänomenalen Intentionalität in Anschluss an die phänomenologische Tradition skizziert, um ihn dann von anderen, insbesondere handlungstheoretischen Intentionalitätsbegriffen abzugrenzen. Denn Intentionalitätsbegriffe erscheinen mindestens in zwei Traditionslinien, welche unterschiedliche Erklärungen für phänomenale bzw. pragmatische Ereignisse suchen: Phänomenologie und Handlungstheorie. Während der Ausdruck z. B. bei Franz Brentano und Edmund Husserl, die Intentionalität als Gerichtetheit des Geistes definiert, umfasst er z. B. bei John Searle nicht nur die Gerichtetheit, sondern involviert diese in die Strukturen von zweckmäßigen, bedeutungshaften und absichtsvollen Handlungen [purposeful, meaningful and intentional actions] (cf. Malle/ Moses/ Baldwin 2001a: 3). Die Integration der Gerichtetheit des Bewusstseins in Handlungen (und damit auch Handlungsplanungen, -motivationen, -konsequenzen, -folgen, -gründen und -dispositionen) führt zu einer wesentlichen Transformation der Analyse der Intentionalitätsstrukturen, sodass Intentionalität auch für die Zeichenwerdung von Sprachhandlungen in sozialen Kommunikationspraktiken relevant wird. In der Tradition der Phänomenologie hat phänomenale Intentionalität (cf. z. B. Kriegel 2013) hingegen insbesondere Kognitionswissenschaften, aber auch kognitive Linguistik beeinflusst (cf. z. B. Petitot 2011: 15 f.; Zlatev 2010, 2016). Insbesondere die Konstitution von image schemata (cf. z. B. Johnson 1987, Lakoff 1987), die sich aus sinnlicher Erfahrung speisen, verkörpert [embodied] werden (cf. z. B. Lakoff/ Johnson 1999) und sich in den Strukturen sprachlicher Zeichen sedimentieren, basiert auf einem Begriff phänomenaler Intentionalität. Phänomenale Intentionalität wird hier als Voraussetzung der sinnlichen Involviertheit mit einem wahrnehmbaren, erfahrbaren Kontinuum verstanden. Betrachtungen des Konzepts der phänomenalen Intentionalität beginnen häufig mit Franz Brentanos Definition aus Psychologie vom empirischen Standpunkt: Jedes psychische Phänomen ist durch das charakterisiert, was die Scholastiker des Mittelalters die intentionale (auch wohl mentale) Inexistenz eines Gegenstandes genannt haben, und was wir, obwohl mit nicht ganz unzweideutigen Ausdrücken, die Beziehung auf einen Inhalt, die Richtung auf ein Objekt (worunter hier nicht eine Realität zu verstehen ist) oder die immanente Gegenständlichkeit nennen würden. Jedes enthält etwas als Objekt in sich, obwohl nicht jedes in gleicher Weise. In der Vorstellung ist etwas vorgestellt, in dem Urteile ist etwas anerkannt oder verworfen, in der Liebe geliebt, in dem Hasse gehaßt, in dem Begehren begehrt usw. Diese intentionale 126 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Inexistenz ist den psychischen Phänomenen ausschließlich eigentümlich. Kein physisches Phänomen zeigt etwas Ähnliches. Und somit können wir die psychischen Phänomene definieren, indem wir sagen, sie seien solche Phänomene, welche intentional einen Gegenstand in sich enthalten. (Brentano 1973: 124 f.) Brentano, der mit seinem Begriff der intentionalen Inexistenz den Begriff der phänomenalen Intentionalität vorwegnimmt, beschreibt diese als eine “ Beziehung auf einen Inhalt ” bzw. “ Richtung auf ein Objekt ” . Das Verhältnis zwischen mentalem Phänomen und Objekt ist dabei nicht nur monadisch, sondern ist in den Strukturen der Psyche enthalten. Dies veranlasst anschließend Edmund Husserl, die psychische Irreduzibilität der intentionalen Inexistenz Brentanos zu verwerfen und dessen Psychologismus aufzugeben. Insbesondere Brentanos Objektbegriff sei Husserl zufolge allenfalls skizzenhaft, da weder eindeutig sei, ob das Objekt der intentionalen Inexistenz selbst psychischer Natur ist oder ob gar die Psyche selbst zum Objekt werden könne (cf. Husserl 2009: 384 f.). Für Husserl involviert Intentionalität somit nicht mehr allein psychische Strukturen, sondern auch ein erfahrbares und wahrnehmbares Objekt, welches sich nicht im Psychischen erschöpft. Husserl entwickelt nun aus Brentanos Konzept der intentionalen Inexistenz einen phänomenalen Intentionalitätsbegriff, welcher die Struktur des Bewusstseins und dessen Erfahrungen beschreiben soll, ohne sie auf psychologische Strukturen zu reduzieren. Hierzu führt er unterschiedliche theoretische Termini ein, die phänomenale Erfahrung einerseits differenziert analysieren können, aber andererseits auf spezifische und diskursive Bedeutungskonstitutionen und -zuweisungen verzichten. Die phänomenale Struktur des Bewusstseins (cf. Husserl 2009: 425 f.) ähnelt daher z. B. nicht nur der logischen Struktur des propositionalen Gehalts in der sprachanalytischen Philosophie, sondern ist hinsichtlich seiner ontisch-ontologischen Struktur mit den universalen Kategorien Charles S. Peirces vergleichbar, wobei ersterer Bewusstseinsstrukturen differenziert, während letzterer die Grundlage aller Zeichenprozesse zu erklären sucht. Für Husserls Begriff der Intentionalität gilt daher Folgendes: Intentionale Erlebnisse sind Husserl zufolge auf intentionale Inhalte bzw. Objekte gerichtet, sodass es zu Erfahrungen dieser Inhalte bzw. Objekte kommen kann. Die Bedingung dieser intentionalen Erfahrung ist, dass das Erkenntnissubjekt über Intentionalität verfügt und somit eine Relation zwischen Erkenntnisakt bzw. -subjekt und intentionalem Objekt hergestellt werden kann bzw. wird. Phänomenale Intentionalität setzt im Rahmen einer Erkenntnisstaffelung vor dem Zeichenereignis an und dient als Voraussetzung, damit etwas überhaupt als Zeichen wahrgenommen werden kann. Sie strukturiert aber auch selbst den Zeichenprozess, so wie auch die universalen Kategorien Charles S. Peirces im Zeichenprozess vorhanden sind. Daher ist phänomenale Intentionalität im Grenzbereich von Phänomenologie und Semiotik anzusiedeln, welcher auf der Erkenntnis beruht, dass sowohl Phänomene als auch Zeichen zur Erfahrungswelt beitragen (cf. hierzu auch Waldenfels 2014). Es geht dabei um nicht weniger als die Markierung der Grenze von sinnlicher und eindrücklicher Erfahrung einerseits und inferenzieller und diskursiver Bedeutungs- und Normkonstitution andererseits. Aber dazu später mehr. Der Begriff der phänomenalen Intentionalität ist daher auch von einem Begriff der diskursiven Intentionalität abzugrenzen, wie er im Folgenden entwickelt werden soll. 6 Intentionalität - Familienähnlichkeit und Demarkation 127 Edmund Husserls Perspektive auf intentionale Bewusstseinsakte ist gewissermaßen zeichenlos, ist sie doch im Rezeptionsereignis situiert und erklärt die Bedingungen der reziproken Relation zwischen Erkenntnisakt bzw. -subjekt und einem weltlichen, wahrnehmbaren und erfahrbaren Kontinuum. Diskursive Intentionalität, so wird sich zeigen, entfaltet sich voll und ganz in der Sphäre der Semiose, auch wenn sie sich ebenfalls auf universale Kategorien der Phaneroskopie stützt. Sie eröffnet das Feld der theoretischen Modellierung gewissermaßen vonseiten der stetigen Zeichenprozesse und nicht vonseiten der Bedingung der Erfahrung. Diskursive Intentionalität ist ein Effekt ihrer semiosischen Strukturen und Relationen, sodass sie hinsichtlich ihrer Zeichenrelationen untersucht werden muss, um ihr vollends gerecht zu werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass phänomenale Intentionalität ein Terminus der Phänomenologie ist, welche die Bedingung der sinnlichen Erfahrung darstellt. Diskursive Intentionalität hingegen wird im Folgenden als semiosischer Emergenzeffekt analysiert. 6.2 Intention und Absicht Neben dem Begriff der phänomenalen Intentionalität stehen insbesondere die Konzepte Intention und Absicht bzw. intentional und absichtlich im Blickpunkt von Handlungstheorie und linguistischer Pragmatik. Daher muss sich diskursive Intentionalität nicht nur von phänomenaler Intentionalität, sondern auch von verschiedenen Begriffen der Intention bzw. Absicht abgrenzen. Im Folgenden soll insbesondere der Begriff der Intention in Handlungstheorien beschrieben werden. Handlungstheoretischen Annahmen, die um das Konzept handlungsinvolvierter Intentionen kreisen und sowohl das Verhältnis von Verhalten und Intention, aber auch die Involviertheit von Interpretation beinhalten, möchte ich zusammenfassen. Ich veranschauliche nicht nur, dass sich Intention und Intentionalität unterscheiden, sondern auch, dass die unterschiedliche Handlungsinvolviertheit von Intentionen (vorausgehende Absichten und Handlungsabsichten) für die Analyse von Intentionalität relevant ist. Aus der Darstellung der verschiedenen Intentionsbegriffe werden dann einige Annahmen destilliert, die im Rahmen der Analyse diskursiver Intentionalität, intentionaler Relation und intentionaler Verben immer wieder aufgerufen werden können. Der Begriff der Intention findet sich bereits in Husserls Logischen Untersuchungen und übernimmt dort eine grundlegende Funktion. Tatsächlich ähnelt der phänomenologische Intentionsbegriff, wie er bei Husserl zu finden ist, eher dem Konzept der Proposition, wie er in der traditionellen analytischen Philosophie verwendet wird. Intention und Proposition bilden skeletthafte Erfahrungsstrukturen des Bewusstseins. Intentionen haben in der Phänomenologie daher ebenso wenig mit Absicht zu tun wie phänomenale Intentionalität mit Absichtlichkeit. Neben dem Verständnis von phänomenalen Intentionen ist der Begriff der Absicht für die philosophische Handlungstheorie und damit auch für eine handlungstheoretisch fundierte linguistische Pragmatik unabdingbar. In dieser werden die Begriffe Absicht und Intention weitestgehend synonym verwendet. Schwieriger zu erfassen ist hingegen das Verhältnis von Absicht und handlungsinvolvierter Intention und kann für Missverständnisse sorgen. Denn nicht alle handlungsinvolvierten Intentionen sind notwendigerweise Handlungs- 128 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben absichten. Analytische Modelle von Handlungen nehmen unterschiedliche Funktion von Intentionen in Handlungen an, sodass nicht jede Absicht auf dieselbe Weise zur Ausführung, Motivation oder zum Gelingen einer Handlung beiträgt. Auch der Unterschied von handlungsinvolvierter und phänomenaler Intention lässt sich nicht anhand einer Gegenüberstellung nachhaltig klären. Je nach Perspektive sind handlungsinvolvierte Intentionen entweder eine spezifische Form von phänomenalen Intentionen, welche ihrerseits weitere propositionale Einstellungen beteiligen. Handlungsinvolvierte Intentionen können aber auch allein für Handlungsinterpretation notwendig sein, sodass phänomenale Intentionen für die Handlungstheorie insofern irrelevant sind, als dass sie als spezifische Bewusstseinsstrukturen der Handlung vorgelagert und somit nicht erklärungsbedürftig sind. Dieses Verhältnis von handlungsinvolvierten und phänomenalen Intentionen hat mit den unterschiedlichen Ausrichtungen von Phänomenologie und Handlungstheorie zu tun. Während Phänomenologie insbesondere die kategorialen Grundstrukturen des Bewusstseins hinsichtlich ihrer Involviertheit mit einer Erfahrungswelt erfasst, untersucht Handlungstheorie nicht nur das Vorhandensein von handlungsinvolvierten Intentionen, sondern analysiert deren Erfüllungsbedingungen und -effekte in der Handlungsumgebung: Die Phänomenologie erklärt ein Welt-zu-Bewusstsein-Erkenntnisverhältnis, während die Handlungstheorie insbesondere ein Handlung-zu-Welt-Erkenntnisverhältnis (Stichwort: Performativität) erläutert. Die verschiedenen Interpretationen des Lexems Intention zeigen, dass dieses sowohl phänomenologisch als auch handlungstheoretisch verstanden werden kann. Die folgenden Betrachtungen und Abgrenzungen beschränken sich auf handlungstheoretische und linguistisch-pragmatische Reflexionen. In der anglo-amerikanischen Handlungs- und Sprachphilosophie nehmen handlungsinvolvierte Intentionen einen zentralen Platz ein. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht nicht nur das Verhältnis von Handlungsereignis und Intention, sondern auch deren Begründungs- und Urteilsrelationen sowie die Beziehung zwischen handlungsmotivierenden Intentionen und die die Handlung protegierenden Überzeugungen. Intentionen sind dort ein spezifischer Typ von propositionalen Gehalten, welche in besonderen Wirkungsbzw. Effektzusammenhängen zur ausgeführten Handlung stehen, wobei dieser Wirkungsbzw. Effektzusammenhang entweder über Ursachen (kausal) oder über Gründe (normativ) erklärt wird. Handlungsereignis und dessen Intentionen werden vorwiegend aus der Perspektive der ersten Person konzeptualisiert (cf. z. B. Chisholm 1992), insbesondere deshalb, weil die Motivation der Handlung über mentale Zustände (z. B. Intentionen und Überzeugungen) erklärt wird. Durch die Erste-Person-Perspektive können Effektverhältnisse zwischen mentalen Zuständen und den Handlungen angenommen werden, ohne dass spezifische sozial-kommunikative oder -normative Aspekte der Handlungsmodellierung vorausgesetzt sein müssen. 1 1 In den folgenden Kapiteln wird eine Alternative zur Erste-Person-Perspektive der analytischen Handlungstheorie vorgeschlagen, die die Konstitution eines Verhaltensereignisses als sozial-normative Handlung nicht mit deren Verhältnis zu mentalen Zuständen erklärt, sondern anhand von Zeichenereignissen. Daher nehmen die folgenden Erklärungen auch nicht eine Person-Perspektive, sondern eine Zeichen-Perspektive ein, welche mit dem semiotischen Pragmatismus und dem normativen Sprachpragmatismus vereinbar ist. 6 Intentionalität - Familienähnlichkeit und Demarkation 129 In der analytischen Handlungstheorie gilt z. B. Donald Davidsons Handlungen, Gründe und Ursachen als kanonischer Text, welcher die unterschiedlichen handlungstheoretischen Modellierungen beeinflusst. Davidson modelliert dort Intentionen, Proeinstellungen und entsprechende Überzeugungen, die eine Handlung anleiten und die er primäre Gründe nennt (cf. Davidson 1990 b: 20). Verhalten, das auf primären Gründen beruht, wird als Handlung bezeichnet. Die Intention, die die Handlung konstituiert, ist dieser strukturell wie zeitlich vorgelagert, sodass es zu einem sequenziellen Strukturverhältnis zwischen Intention und Handlung kommt. Insbesondere dieses sequenzielle Strukturverhältnis von Intention und Handlung kritisiert G. E. M. Anscombes Monographie Absicht, wenn sie das Verfügen über die Handlungsintention als Teil der Handlung selbst konzeptualisiert. Es ist vielmehr die Involviertheit der Intention in das Verhaltensereignis, welche dieses zur Handlung macht. Mit dem Verfügen der Handlungsintention beginnt die Handlung (cf. Anscombe 2011: 65 f.). Diese Involviertheit der Intention im Handlungsereignis gilt auch noch in Handlungsmodellierungen wie z. B. dem belief-desire-intention model Michael E. Bratmans in Intentions, Plans, and Practical Reasoning (1987), die heutzutage noch relevant sind. Die Frage nach Sequenzialität und Ereignishaftigkeit, Vor- und Gleichzeitigkeit von Intention und Handlung führt außerdem zu einer Binnendifferenzierung von handlungsinvolvierten Intentionen, indem z. B. zwischen projektiver Handlungsplanung und Handlungsintention unterschieden wird. John Searle (1987: 108 f.) führt deshalb die Begriffe der vorausgehenden Absicht und Handlungsabsicht ein, die sich aufgrund ihrer Handlungsinvolviertheit unterscheiden. Vorausgehende Absichten beeinflussen mögliche Handlungen, führen aber nicht notwendigerweise zu ihrer Durchführung. Handlungsabsichten hingegen sind jene, die unmittelbar in Handlungen involviert sind, also primäre Gründe in Sinne Davidsons liefern, und stellen damit das traditionelle Verständnis des Begriffs der Intention dar. Neben der Binnendifferenzierung von handlungsinvolvierten Intentionen in vorausgehende Absichten und Handlungsabsichten ist auch die Erklärung ihres Verhältnisses zu anderen propositionalen Einstellungen relevant, da nicht nur Intentionen, sondern auch andere propositionale Einstellungen wie Überzeugungen oder Wünsche in Handlungen involviert sind bzw. sein können. Insbesondere propositionale Einstellungen der Überzeugung sind für die Modellierung des Handlungsereignisses offenkundig interessant. Überzeugungen stehen in einem Verhältnis zur Umwelt und dienen dem Wechselverhältnis und der Wahrheitsfunktionalität von propositionalen Gehalten. Überzeugungen sind in diesem Verständnis entweder wahr oder falsch, je nachdem, ob sie mit bestimmten Sachverhalten korrelieren. Intentionen hingegen sind handlungsmotivierende propositionale Einstellungen, die sich primär nicht über ihr Verhältnis zur Umwelt definieren, sondern über eine Handlungskraft verfügen. Überzeugungen liefern daher zwar keine primären Gründe für Handlungen, können diese aber z. B. als Hintergrundüberzeugungen beeinflussen. Trotz der Involviertheit von Intentionen in Handlungen reicht die Definition Handlung = Intention + Verhalten (+ andere propositionale Einstellungen und Gehalte) nicht aus. Vielmehr muss das Verhältnis von Verhalten bzw. Handlung und Intention selbst in seiner prozessualen Struktur modelliert werden. Erst die Relation zwischen Verhalten und 130 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Intention ermöglicht nicht nur eine Differenzierung beider, sondern bestimmt auch deren Form und Gehalt. Diese Reduktion von Handlung auf Verhalten + Intention haben sowohl Sprachals auch Handlungsphilosophien kritisiert und sich in ihrem jeweils eigenen theoretischen Vokabular damit beschäftigt. Was Donald Davidson (1990 b: 77) Interpretation oder Beschreibung eines Aspekts, was G. E. M. Anscombe (2011: 49 f.) Bezeichnung [under a description] oder Georg Henrik von Wright (1974: 108) Perspektive des Handelnden oder Beobachters nennt, bezieht sich eben auf diese Notwendigkeit, die Relation von Verhalten und Intention zu modellieren (cf. dazu auch Harras 2004: 12 f.): Es geht darum, dass Intention und Verhalten nur in ihrer Interpretation in Beziehung gesetzt werden können. Das Verhältnis zwischen Verhalten und Verhaltensinterpretation steht auch in den folgenden Beschreibungen zum Begriff der diskursiven Intentionalität im Mittelpunkt. Anstatt aber in diesem Verhältnis den Aspekt der Interpretation zu privilegieren, soll im Folgenden der involvierte Zeichenprozess reflektiert und so ein entscheidender Schritt vorgenommen werden: Eine Beschreibung des Prozesses als Interpretation ist dann nicht mehr hinreichend, sondern es soll erklärt werden, warum das Verhältnis von Verhalten und Intention auf eine spezifische Weise interpretiert werden kann. Es geht also darum, dass zeichentheoretisches Vokabular etabliert wird, welche nicht nur mit semiotischem Pragmatismus und normativem Sprachpragmatismus vereinbar ist, sondern auch das Verhältnis zwischen Verhalten und Verhaltensinterpretation semiotisiert. Hier bietet sich der Begriff der Signifikanz an, der die spezifische Zeichenhaftigkeit und Zeichenwerdung dieses Verhältnisses erklären kann. Die Relation von Verhalten und Intention sowie das Verhältnis zwischen Verhalten und Verhaltensinterpretation müssen dann nicht mehr über Folgehandlungen bzw. -interpretation analysiert werden. Vielmehr kann eine Analyse der Signifikanz des Zeichens, welches die Relation von Verhalten und Intention in diskursiven Praktiken herstellt, die Konstitution von Verhalten als Handlung erläutern. Insofern ist der Begriff der Interpretation nicht hinreichend, wenn er eine Art hermeneutischen Decodierungsprozess impliziert, welcher die Existenz der Relation von Verhalten und Intention voraussetzt. Beinhaltet er hingegen, dass sich kraft der Interpretation von Zeichen das Verhalten als hinsichtlich seiner Intentionen signifikant erweist, erfasst er die Struktur des Zeichens in der Verhaltensdeskription und Handlungskonstitution. Nach der Kontrastierung von phänomenalen und handlungsinvolvierten Intentionen, vorausgehenden und Handlungsabsichten sowie dem Verhältnis von Verhalten und Intention bzw. Verhalten und Verhaltensinterpretation ist auch eine Abgrenzung des Begriffs der Intention zum Konzept der Intentionalität notwendig. Trotz einiger konzeptioneller Ähnlichkeiten ist ein handlungstheoretischer Intentionalitätsbegriff weder mit phänomenaler Intentionalität noch mit handlungsinvolvierten Intentionen gleichzusetzen. Dass jemand über Intentionalität (im handlungstheoretischen Sinne) verfügt, ist vielmehr eine Bedingung dafür, dass das Verhalten dieser Person hinsichtlich spezifischer handlungsinvolvierter Intentionen und anderer propositionaler Gehalte signifikant sein kann. Intentionalität im handlungstheoretischen Sinne ist daher nicht auf die Gerichtetheit des Bewusstseins (im phänomenalen Sinne) reduzierbar, sondern impliziert eine Einbettung des zu signifizierenden Verhaltens in die jeweilige diskursive Handlungssituation und deren Strukturen und Muster. Die folgenden Reflexionen zu und Modellierungen von einem Intentionalitätsbegriff, intentionalen Relationen und Verben betrachten allein die hand- 6 Intentionalität - Familienähnlichkeit und Demarkation 131 lungsspezifischen Aspekte und lassen phänomenale Intentionalität außen vor, was aber nicht ausschließt, dass handelnde Personen nicht auch über phänomenale Intentionalität verfügen. Dies ist aber aus einer Perspektive, die diskursive Praktiken zu analysieren sucht, zunächst irrelevant. Es geht allein um die Einbettung in Handlungsstrukturen, die durch soziale und diskursive Normen typisiert werden und die mit diskursiver Intentionalität, also Intentionalität in diskursiven Praktiken, erfassbar sind. Der Begriff der diskursiven Intentionalität, der diskursive Handlungspraktiken anvisiert, unterscheidet sich also nicht nur vom Begriff der phänomenalen Intentionalität, sondern auch von Begriffen phänomenaler und handlungsinvolvierter Intentionen bzw. Absichten. Insbesondere letztere können aber nicht nur diskursive Folgen der Signifikanz von diskursiver Intentionalität sein, sondern sind für noch folgende Darstellungen von verbpragmatischen Strukturtypen äußerst relevant. Denn sie eröffnen eine potenzielle Differenzierung von verschiedenen normativen und pragmatischen Signifikanzen verschiedener Verben (cf. Kapitel 12). Daher können aus den handlungstheoretischen Darstellungen verschiedene Erkenntnisse gezogen werden, die zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgegriffen werden sollen: 1. Verhältnis zwischen Verhalten und Intention bzw. Intentionalität 2. Differenz von vorausgehenden Intentionen und Handlungsintentionen 3. Signifikanz der diskursiven Intentionalität 1. Das Verhältnis zwischen Verhalten und Intention bzw. Intentionalität, was u. a. durch Interpretation des Verhaltens hergestellt wird, ist insbesondere für die Analyse diskursiver Praktiken relevant, wenn es um die Handlungskraft von Verhalten, insbesondere sprachlichem, geht. Was ich im Folgenden als pragmatische Signifikanz beschreiben werde, erfasst eben die Handlungskraft, die z. B. Äußerungen aufweisen, wenn sie als sprachliche Handlungen verstanden werden. Mithilfe von Verben kann das Verhältnis zwischen Verhalten und Intentionalität nicht nur erfasst, sondern es kann deren diskursive Signifikanz analysiert werden, die dieses Verhältnis erst stiftet (cf. Kapitel 12). 2. Die Differenz von vorausgehenden Intentionen und Handlungsintentionen, die in der Handlungstheorie vorgenommen wird, mag auf den ersten Blick nicht mit der Analyse diskursiver Intentionalität einhergehen, sind Intentionen und Intentionalität handlungstheoretisch doch unterschiedliche Kategorien. Dennoch ist diese Unterscheidung z. B. für Verantwortung von Personen relevant: Gelten für ein spezifisches Verhalten bestimmte Handlungsintentionen, dann kann die ausführende Person für die Handlung verantwortlich gemacht werden. Aus vorausgehenden Intentionen erwächst nicht notwendigerweise eine entsprechende Verantwortung hinsichtlich des signifizierten Verhaltens. Die normative Signifikanz unterscheidet sich hier. Was noch abstrakt bleibt, wird später bei einer semiotischen Analyse intentionaler Relationen klar: Obwohl viele intentionale Relationen Personen Intentionalität zuschreiben bzw. attribuieren, verfügen die Personen diskursiv (nach Zuschreibung oder Attribuierung) nicht notwendigerweise über Handlungsabsichten, sondern teilweise über vorausgehende Absichten, was ihnen die Verantwortung für die Handlung nicht zwingend ebenfalls zuschreibt bzw. attribuiert (cf. Kapitel 8.3 und 12). Eine semiotische Strukturanalyse von intentionalen Verben wird zeigen, dass diese Verben 132 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben unterschiedliche normative Signifikanzen aufweisen, die zu unterschiedlichen diskursiven Konsequenzen führen können. 3. Die theoretische Entwicklung der Signifikanz diskursiver Intentionalität führt außerdem über die logische Deskription intentionaler Relationen zu einer verbpragmatischen Analyse, welche pragmatische und normative Signifikanzen intentionaler Verben zu analysieren sucht (cf. Kapitel 12.6). Auf die Aspekte 1., 2. und 3. wird sowohl in der Darstellung der diskursiven Intentionalität, der logischen Analyse von Relationen als auch der Modellierung intentionaler Verben wieder Bezug genommen. 6.3 Volition, kognitive Verursachung und Agentivität Intentionalität und Intention sind nicht die einzigen Begriffe, die zur Deskription von Verhalten und Handlung verwendet werden. Im Rahmen von psychologischer und kognitionswissenschaftlicher Forschung hat sich vielfach der Begriff der Volition durchgesetzt, um die Involviertheit von kognitiven Strukturen in Verhalten zu analysieren, und ist bisweilen in die linguistische Semantik und Syntax vorgedrungen. Im Folgenden sollen also der Begriff Volition sowie die Konzepte kognitive Verursachung und Agentivität in Abgrenzung zu Intentionalität und Intention beschrieben werden. Insbesondere deshalb, weil diese Konzepte in verbsemantischen Modellen verbreitet sind (und damit auf den ersten Blick mit der im Folgenden zu entwickelnden Verbpragmatik zu konkurrieren scheinen), ist eine trennscharfe Deskription der Konzepte unabdinglich. In der folgenden Argumentation basiert insbesondere die Abgrenzung von semantischen und diskursiven Rollen auf dem Unterschied von Agentivität und diskursiver Intentionalität (cf. Kapitel 12.3 und 12.4). Volition lässt sich mit Willen bzw. Willenskraft übersetzen. Auch wenn für Handlungen häufig ein volitionaler Status erforderlich ist, ist sie dadurch noch nicht äquivalent zur Intention. So erklärt Wolfgang Prinz in Selbst im Spiegel: Wenn wir sagen, daß Menschen willentlich handeln, meinen wir, daß sie selbst entscheiden, welche Zwecke oder Ziele sie verfolgen und welche Mittel oder Handlungen sie einsetzen, um diese Ziele zu erreichen. Der Wille ermöglicht ihnen, sich Ziele zu setzen, sie im Spiel zu halten, damit konkurrierende Ablenkungen und Versuchungen zu ignorieren oder zu unterdrücken, nach Gelegenheit zu ihrer Realisierung Ausschau zu halten, geeignete Handlungen zu vollziehen, ihre Ergebnisse zu bewerten, usw. Dementsprechend bezeichnet ‘ Wille ’ eine Menge geistiger Funktionen, die eine entscheidende Rolle für unser Verständnis dessen spielen, wie sich der Geist in sozialen Kontexten verhält. (2013: 167 f.) Volition bewegt sich also eher im semantischen Feld der Entscheidungsfreiheit, Handlungsmotivierung und -verursachung und beinhaltet auch Willenshandlungen (für einen Überblick cf. Vierkant 2008). Es ist eine psychologische Fertigkeit, die sich in der Erwägung von konkurrierenden kognitiven Handlungsmöglichkeiten zeigt. Volition ist damit eine Menge geistiger Funktionen und bereits diese Formulierung verweist auf deren Status: Volitionen und andere geistige Funktionen bilden die Grundlage phänomenaler und sinnlicher Erfahrungen, sind aber selbst weder phänomenal zugänglich noch diskursiv signifikant. 6 Intentionalität - Familienähnlichkeit und Demarkation 133 Diese grundlegende Funktionalität von Volitionen in der Handlungsausführung grenzt diese daher von handlungsinvolvierten Intentionen ab, indem Intentionen und Volitionen in eine Struktur-Funktions-Relation gestellt werden, in welcher Volitionen eine strukturierende Funktionalität übernehmen: Während Handlungsontologien strukturelle Informationen liefern, bieten Steuerungsmodelle funktionale Informationen. Steuerungsmodelle geben an, wie Handlungen ausgewählt und eingeleitet werden und wie sichtbare Handlungen von unsichtbaren physikalischen Kräften und den hinter diesen stehenden geistigen Kräften angetrieben werden. (Prinz 2013: 179) Wolfgang Prinz erklärt die funktionalen Informationen von Steuerungsmodellen, die auch Volitionen umfassen, indem er deren Vorgeordnetheit vor der Explanation von Handlungsontologien setzt. Die Steuerung von Handlungen durch Volitionen setzt somit vor der Handlungsmodellierung und -theorie ein. Gleichzeitig zeigt das mechanistische Vokabular von Wolfgang Prinz ( “ Steuerungsmodelle ” , “ physikalische Kräfte ” , “ angetrieben ” etc.) 2 an, dass hinter der Theorie von Volitionen auch entsprechende ontologische Vorstellungen stehen. Es handelt sich bei Volitionen eben um funktionale Informationen, die an kybernetische Beschreibungsmodelle angelehnt sind und sich auf die mechanischen und physikalischen Kräfte der Verhaltensverursachung beschränken. Die Normativität diskursiver Praktiken, die in spezifischen Handlungen und Handlungsmustern involviert ist und welche im Folgenden untersucht wird, kann und soll von solchen Modellen nicht erfasst werden. Zumindest bisher nicht. Volitionen sind das “ Schlüsselmerkmal von Agentivität und agentiver Steuerung ” (Prinz 2013: 186) und implizieren die kognitive Verursachung von volitionalem Verhalten, aber nicht die soziale Normativität von diskursiven Handlungen. Nicht nur in Kognitions- und Neurowissenschaften bzw. sozialer Psychologie gehören Konzepte wie Volition, (kognitive) Verursachung [causation] und Agentivität zum Standardrepertoire. Auch Ereignis- und Verbsemantik, -syntax und -grammatik und deren Realisierung und Kategorisierung von Argumenten und semantischen Rollen lehnen sich häufig an diesen Kategorien an (cf. z. B. Croft 2012, Dowty 1991, Jackendoff 1995, Levin/ Rappaport Hovav 2005, Talmy 1976, Van Valin/ Wilkins 1999). Das theoretische Vokabular wird dort teilweise um den Begriff der Volitionalität [volitionality] erweitert und es werden die Prädikate VOLITIONAL [volitional] und ABSICHTLICH [intentional] gebraucht, welche teilweise synonym verwendet werden. Volition, kognitive Verursachung und Agentivität haben dabei insbesondere in der Deskription von semantischen Rollen eine distinktive Funktion, wenn sich z. B. das PROTO - AGENS durch folgende Eigenschaften auszeichnet: “ volitional involvement in the event or state ” (Dowty 1991: 572) und “ causing an event or change of state in another participant ” (ebd.). Die semantische Rolle des AGENS , welche zur Ereignisbeschreibung des Verbs beiträgt, involviert dabei sowohl Volition als auch Verursachung, um als agentive Rolle erkannt zu werden. Auch hier verweist das Vokabular auf die geistigen Funktionen der Verursachung 2 Eine sprachkritische Auseinandersetzung mit mechanistischem und anderem Hirnforschungsvokabular hat Peter Janich (2009) vorgelegt. Bei Lily E. Kay (2005: insb. 34 f.) findet sich die Analyse von informationstheoretischen und kybernetischen Begriffen und Metaphern in den Lebenswissenschaften. 134 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben und nicht auf Normativität diskursiver Praktiken und ihrer Handlungen. Damit geht es also vielmehr um die Darstellung und Repräsentation von psychischen Strukturen und Prozessen mithilfe von Verben als um Signifikanz sprachlicher Zeichen, pragmatische und normative Prozesse, Handlungskonstitution oder Verantwortungszuschreibung bzw. -attribuierung, die in dieser Arbeit im Mittelpunkt stehen. Zusammenfassend zeigt sich, dass Volition, kognitive Verursachung und Agentivität auf Modellen beruhen, die die psychischen Strukturen von Akteuren in ihrer Verhaltensverursachung zu analysieren suchen. Der hier vertretene Ansatz betrachtet diskursive Intentionalität als für diskursive Praktiken relevant, nähert sich Handlungsbeschreibungen also nicht von Seiten der psychologischen Strukturen, sondern betrachtet diskursive Normen in Handlungskonstitutionen. Daher ist auch das Konzept der semantischen Rolle aus der Perspektive der diskursiven Praktiken zunächst irrelevant, weil es nicht um die Repräsentation von kognitiven Strukturen mithilfe von Verben, sondern um pragmatische und normative Signifikanzen geht. Die Skizze der verschiedenen Konzepte der Phänomenologie, der Handlungstheorie, Psychologie und Kognitionsbzw. Neurowissenschaft, die in Verhaltens- und Handlungsbeschreibung involviert sind, verweist nicht nur auf die Notwendigkeit einer differenzierten Theoriebildung, sondern auch auf deren potenzielle Interdependenzen. Das Vokabular der phänomenalen Intentionalität, der Volition und Agentivität rahmt einen diskursiven Intentionalitätsbegriff für die linguistische Pragmatik ein, indem es Grenzphänomene erfasst, die zwar an Verhaltensverursachung und -deskription beteiligt sein können, für Analysen diskursiver Praktiken aber nur marginal interessant sind. Sie bilden eher Aspekte des Gelingens von agentiven Verhaltens- und Wahrnehmungsprozessen ab und können daher aus Perspektive einer linguistischen Pragmatik, die pragmatische und normative Signifikanzen analysiert, unberücksichtigt bleiben. Wissenschaftliche bzw. philosophische Tradition Phänomenale, semiotische bzw. kognitive Involviertheit Phänomenologie (Analytische) Handlungstheorie (Sozial-)Psychologie und Kognitionswissenschaft Strukturbedingungsbeschreibung Phänomenale Intentionalität Diskursive Intentionalität Volitionalität und Agentivität Strukturbeschreibung Phänomenale Intention Handlungsinvolvierte Intention (alltägl.: Absicht) Volition und (kognitive) Verursachung Tab. 5: Diskursive Intentionalität im Feld der Wissenschaften Die Zusammenfassung der verschiedenen Beschreibungen von phänomenaler Intentionalität, phänomenalen und handlungsinvolvierten Intentionen sowie Volition, Volitiona- 6 Intentionalität - Familienähnlichkeit und Demarkation 135 lität, Agentivität und kognitiver Verursachung rahmen ein theoretisches Feld, welche hinsichtlich der Strukturbedingungsbeschreibung im Rahmen einer Handlungstheorie, hier linguistische Pragmatik, offenbleibt (Tab. 5). Dieses Konzept, welches die spezifischen pragmatischen und normativen Signifikanzen in diskursiven Praktiken darzustellen versucht, soll im Folgenden theoretisch entwickelt werden: diskursive Intentionalität. 136 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben