Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
0303
2025
451-4
Internationalismus in der linguistischen Pragmatik und der Mythos des Illokutionären
0303
2025
Joschka Briese
Intentionalität als Element von Handlungstheorien ist in der linguistischen Pragmatik insbesondere mit der Tradition des Intentionalismus verbunden, die annimmt, dass sprachliche Bedeutung und Kommunikation sich mithilfe mentaler Zustände explizieren lassen. Die hier verfolgte Etablierung von diskursiver Intentionalität als grundlegend sozial-normativem Aspekt von Praktiken steht dieser Annahme des Intentionalismus entgegen. Daher expliziert dieses Kapitel die theoretischen Prämissen des Intentionalismus und fasst zentrale Kritikpunkte an dieser Denktradition unter dem Mythos des Illokutionären zusammen. Daraus resultiert nicht nur eine Abkehr vom Intentionalismus, sondern auch ein Desiderat hinsichtlich handlungstheoretischer Aspekte linguistischer Pragmatik, die die Theoriebildung der folgenden Kapitel vorbereitet.
kod451-40137
K O D I K A S / C O D E Volume 45 (2022) · No. 1 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen 7 Intentionalismus in der linguistischen Pragmatik und der Mythos des Illokutionären Abstract: Intentionality as an element of theories of action in pragmatics is particularly associated with the tradition of intentionalism, which assumes that linguistic meaning and communication can be explicated with the help of mental states. The establishment of discursive intentionality as a fundamentally social-normative aspect of practices pursued here runs counter to this assumption of intentionalism. This chapter therefore explicates the theoretical premises of intentionalism and summarizes central points of criticism of this tradition of thought under the myth of the illocutionary. This results not only in a rejection of intentionalism, but also in a desideratum with regard to actiontheoretical aspects of pragmatics, which prepares the theorization of the following chapters. Zusammenfassung: Intentionalität als Element von Handlungstheorien ist in der linguistischen Pragmatik insbesondere mit der Tradition des Intentionalismus verbunden, die annimmt, dass sprachliche Bedeutung und Kommunikation sich mithilfe mentaler Zustände explizieren lassen. Die hier verfolgte Etablierung von diskursiver Intentionalität als grundlegend sozial-normativem Aspekt von Praktiken steht dieser Annahme des Intentionalismus entgegen. Daher expliziert dieses Kapitel die theoretischen Prämissen des Intentionalismus und fasst zentrale Kritikpunkte an dieser Denktradition unter dem Mythos des Illokutionären zusammen. Daraus resultiert nicht nur eine Abkehr vom Intentionalismus, sondern auch ein Desiderat hinsichtlich handlungstheoretischer Aspekte linguistischer Pragmatik, die die Theoriebildung der folgenden Kapitel vorbereitet. Keywords: intentionalism, speaker meaning, speech act theory, illocution Schlüsselbegriffe: Intentionalismus, Sprecherbedeutung, Sprechakttheorie, Illokution Im Folgenden soll ein Konzept der Intentionalität entwickelt werden, welches unterschiedliche diskursive Performanzen und Signifikanzen, zu denen auch sprachliche Handlungen gehören, erklären kann. In der linguistischen Pragmatik sind intentionalistische Sprach- und Handlungstheorien, welche Intentionen als Voraussetzungen für sprachliche Handlungen betrachten, trotz ausführlicher Kritik (cf. z. B. Arundale 1999, 2008, 2020; Cooren 2000; Levinson 1981, 1983; Sbisà/ Fabbri 1980; Schegloff 1988) weiterhin verbreitet, sodass eine Forschungsarbeit, die sich auch mit sprachlichen Handlungen auseinandersetzt, mit entsprechenden Ansätzen konkurriert. Da intentionalistische sprach- und handlungstheoretische Annahmen aber nicht mit den bisher eingeführten zeichen- und sprachtheoretischen Grundlagen vereinbar sind, soll anhand zweier Gründungsväter der linguistischen Pragmatik, H. P. Grice und John R. Searle, die Kritik am Intentionalismus exemplarisch wiederholt werden. Anstatt aber bei einer Kritik zu verweilen, soll anschließend anhand verschiedener Kritikpunkte ein Desiderat aufgezeigt werden. Anschließend entwickle ich ein zeichen- und sprachgebrauchsbasiertes Konzept von Intentionalität. Das Konzept der diskursiven Intentionalität soll außerdem mithilfe einer inferenzialistischen und pragmatisch-semiotischen Perspektive weiterentwickelt werden, indem mithilfe des Ansatzes Robert Brandoms ein Intentionalitätsbegriff vorgestellt wird, welcher seine Produktivität in diskursiven Praktiken entfaltet, ohne mentale oder kognitive Vorannahmen zu machen, die sich unmittelbar auf diese Praktiken auswirken. In der Interpretation von Brandoms Theorie der diskursiven Praxis und diskursiven Intentionalität wird sich zeigen, dass dessen Zeichenbegriff für semiotische Analysen nicht hinreichend ist. Daher wird dessen Konzept anschließend nicht nur mit den Zeichentheorien T. L. Shorts und Ruth Millikans, die beide ebenfalls Intentionalitätsbegriffe entwickelt haben, kontrastiert, sondern es werden einige wesentliche Erkenntnisse der beiden in Brandoms Theorie integriert: Anstatt diskursive Intentionalität allein als eine diskursive Festlegung in der sozial-kommunikativen Praxis zu betrachten, so Brandoms Perspektive, kann die Signifikanz dieser Festlegung mithilfe der Involviertheit von spezifischen sprachlichen Zeichen erklärt werden: intentionalen Verben. Das folgende Kapitel dient also zum einen der theoretischen Abgrenzung der handlungs-, kommunikations- und normtheoretischen Aspekte der zu entwickelnden linguistischen Pragmatik von anderen theoretischen Ansätzen (hier insbesondere Intentionalismus). Gleichzeitig wird anlässlich eines Desiderats ein Begriff der diskursiven Intentionalität entwickelt, der es erlaubt, verschiedene normative und pragmatische Signifikanzen, die in diskursiven Praktiken wirksam sind, anhand spezifischer sprachlicher Zeichen zu analysieren. Linguistische Pragmatik orientiert sich in ihrer Theoriebildung seit jeher an sprachphilosophischen Traditionen. Insbesondere die Sprecherbedeutung H. P. Grices und die Sprechakttheorie John R. Searles sind dabei bis heute Inspirationen linguistischer Theorien, wenn es um Fragen der pragmatischen Bedeutungskonstitution und der Kraft sprachlichen Handelns geht. Beide Sprachphilosophien können dem Intentionalismus zugeordnet werden, der auf der theoretischen Prämisse beruht, dass Intentionalität und Intentionen nicht nur Voraussetzungen für die Bedeutung bzw. Handlungskraft sprachlicher Äußerungen sind, sondern auch unabhängig von Kommunikations-, Sprach- und Zeichenprozessen konzeptualisiert werden und ihre Effekte entfalten können. H. P. Grice und John R. Searle sind dabei nicht die einzigen Vertreter des Intentionalismus - zu nennen sind traditionell zumindest noch Jonathan Bennett (1982) und Stephen R. Schiffer (1972) - , doch haben die beiden die linguistische Pragmatik derart geprägt, dass ihre theoretischen Grundlagen nicht nur als theoriehistorische Beispiele dienen, sondern auch konzeptionell weiterhin Einfluss haben: Ihre sprachtheoretischen Werke werden weiterhin nicht nur zitiert, sondern auch in ihren Grundlagen (teils unhinterfragt) übernommen. Insofern soll im Folgenden die Kritik am Intentionalismus in der linguistischen Pragmatik nicht nur wiederholt und spezifiziert, sondern auch für die Entwicklung eines sprachgebrauchs- und zeichenbasierten Konzepts von diskursiver Intentionalität genutzt werden. Zunächst 138 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben werden die Konzepte der Sprecherbedeutung H. P. Grices sowie Illokution und Perlokution bei John Searle beschrieben, um sowohl deren Sprachbegriff, als auch deren Verständnis des Verhältnisses von Kognition und sprachlichen Zeichen herauszustellen. Anhand dieser Darstellung lässt sich anschließend nicht nur die Kritik am Intentionalismus, sondern auch die Wirksamkeit deren sprachtheoretischer Prämissen (Mythos des Illokutionären) aufzeigen. 7.1 Intentionalismus von Sprecherbedeutung und Sprechakttheorie H. P. Grices Konzept der Sprecherbedeutung bildet mit seinem Kooperationsprinzip, den Konversationsmaximen und den implikaturtheoretischen Überlegungen eine Grundlage der heutigen linguistischen Pragmatik. Das Konzept der Sprecherbedeutung stützt sich dabei insbesondere auf den Artikel Meaning, auch wenn Grice in seinem späteren Werk, z. B. in Logic and Conversation und Meaning Revisited, einige Aspekte der Sprecherbedeutung aufgegriffen bzw. angepasst hat. Im Mittelpunkt der sprach- und handlungstheoretischen Reflexionen Grices steht die Frage nach der Bedeutung sprachlicher Zeichen. Grice unterscheidet hierbei zunächst zwischen natürlicher N und nicht-natürlicher NN Bedeutung. Bedeutung N umfasst z. B. indexikalische Zeichen, deren Verweisstruktur unmittelbar auf ihr Bedeutungsobjekt verweist (z. B. rote Hautflecken auf Masern). Bedeutung NN hingegen impliziert nicht nur die Konventionalität sprachlicher Zeichen, sondern bezieht auch deren Äußerungskraft ein, die die semantischen Gehalte einer Äußerung bestimmen, sodass sich Bedeutung NN in Folge Grices noch in what is implicated und what is said unterteilt. Damit lässt sich Bedeutung NN nicht auf die Semantik eines sprachlichen Ausdrucks reduzieren (what is said), sondern involviert einen gewissen pragmatischen Überschuss (what is implicated), was sich auch in der deutschen Übersetzung des Artikels Meaning niederschlägt. 1 Das Konzept der Bedeutung NN ist damit nicht einer formalen Semantik zuzuordnen, sondern ist eine pragmatische Kategorie. 2 Sie bezieht sich auf die Frage, was jemand mit einer Äußerung meint und sich nicht aus der konventionellen Wortbzw. Satzbedeutung rekonstruieren lässt. Grice geht deshalb von einer Relation zwischen der Bedeutung NN einer Äußerung und den Intentionen von Sprechern aus, denn “ [c]harakteristisch für seine Erklärung [der Sprecherbedeutung, J. B.] ist, daß sie intentional ist - intentional in dem Sinne, daß sie auf eine Absicht des Sprechers und zugleich auf deren Erkanntwerden durch den Hörer rekurriert ” (Rolf 2013: 31, Hervorh. im Original). Die Sprecherbedeutung basiert also auf der Intention des Sprechers. Sie drückt das aus, was “ der Sprecher sagen will ” (Rolf 2013: 32, Hervorh. im Original). 1 Die deutsche Übersetzung Intendieren, Meinen, Bedeuten spielt mit der englischsprachigen Mehrdeutigkeit des Ausdrucks meaning im Titel des Artikels Grices, worauf der Übersetzer des Artikels in einer Fußnote hinweist (cf. Grice 1993: 2). 2 Der von Grice vertretene Pragmatikbegriff impliziert vor allem die kontextuelle, konventionelle und konversationelle Anreicherung von Äußerungsgehalten sowie in dessen Nachfolge auch die Projektion dieser Gehalte in einen gemeinsamen Erfahrungs- und Wissensraum der Interlokutoren. Insofern bleibt sein Pragmatikbegriff hinsichtlich der Äußerungskraft, normativen und pragmatischen Signifikanz weitestgehend offen. 7 Intentionalismus in der linguistischen Pragmatik und der Mythos des Illokutionären 139 Die Relation zwischen Intention, konventioneller Bedeutung der sprachlichen Zeichen sowie deren pragmatischen Anreicherungen steht damit nicht nur in einem repräsentationalen Verhältnis zueinander. Die Intention bestimmt auch den semantischen und pragmatischen Gehalt der Äußerung. Oder: Der Äußerungsbedeutung geht die Intention voraus. Erst wenn jemand über eine Intention verfügt (und diese dann nachträglich von Hörern erkannt wird), dann kann eine Äußerung Bedeutung NN erhalten. Die Äußerungsbedeutung ist aber nicht nur auf Sprecherbedeutung angewiesen, sondern auch auf Sprecher selbst. Die Sprecherbedeutung wird durch Sprecher gesetzt, ist also sprecherzentriert und muss durch Hörer erkannt werden. Hierzu inferieren Hörer mittels der Äußerungsbedeutung, welche Intention hinter der Emission sprachlicher Zeichen steht. Von Hörern wird damit allein die kommunikative Funktion von Decodierern gefordert, doch sind sie nicht wesentlich an Bedeutungskonstitution beteiligt. Grices Elaboration über die Sprecherbedeutung kulminiert in drei Regeln, die die Sprecherbedeutung definieren sollen: ‘ A meant NN something by x ’ is (roughly) equivalent to ‘ A intended the utterance of x to produce some effect in an audience by means of the recognition of this intention ’ ; and we may add that to ask what A meant is to ask for a specification of the intended effect (though, of course, it may not always be possible to get a straight answer involving a ‘ that ’ clause, for example, ‘ a belief that …’ ). ‚ x meant something is (roughly) equivalent to ‘ Somebody meant NN something by x. ’ Here again there will be cases where this will not quite work. I feel inclined to say that (as regards traffic lights) the change to red meant NN that the traffic was to stop; but it would be very unnatural to say, ‘ Somebody (e. g. the Corporation) meant NN by the red light that the traffic was to stop. ’ Nevertheless, there seems to be some sort of reference to somebody's intentions. ‘ x means NN (timeless) that so-and-so ’ might as a first shot be equated with some statement or disjunction of statements about what ‘ people ’ (vague) intend (with qualifications about ‘ recognition ’ ) to effect by x. (Grice 1989: 220, Hervorh. im Original) Es bestätigt sich, dass Sprecherbedeutung nicht nur intentions-, sondern auch sprecherzentriert ist. Alle drei Regeln bleiben sprecherperspektivisch, während den sprachlichen Zeichen ein spezifischer instrumenteller Charakter zukommt: der Ausdruck der Intention. Die Intention ist gesetzt, das sprachliche Zeichen transformiert diese und repräsentiert sie dann in der Äußerung. Somit kann das Forschungsprogramm Grices unter dem Titel “ Eine kommunikative Intention ausdrücken ” (Liedtke 2016: 33) zusammengefasst werden. Während Grice die sprecherzentrierte Bedeutungskonstitution kraft Intentionen modelliert, betrachtet John R. Searle sprachliches Handeln und die Handlungskraft von Äußerungen. Ausgehend von John Austins Theorie der Sprechakte entwickelt Searle eine eigene Typologie. Er unterscheidet im sprachlichen Handeln mehrere Teilakte, die er Äußerungsakt, propositionaler Akt, illokutionärer Akt und perlokutionärer Akt nennt. Mit dem Äußerungsakt werden lautliche Emissionen hervorgebracht, die nach den Regeln einer entsprechenden Grammatik wohlgeformt sein müssen, um als sprachliche Zeichen interpretiert zu werden. Der propositionale Akt beschreibt den semantischen Gehalt der sprachlichen Handlung, welcher sich im Sinne der Beschreibung von logischen Propositionen in Referenz und Prädikation untergliedert. Erst mit dem illokutionären und perlokutionären Akt erlangt eine Äußerung ihre Handlungskraft und wird so zur sprachlichen Handlung. Sprachliche Emissionen haben durch illokutionäre Akte “ Bedeutung, und der, der sie verwendet, meint etwas damit ” (Searle 140 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben 1971: 68, Hervorh. im Original). Ähnlich der Beschreibung von Bedeutung und Intention bei Grice hänge die Äußerungsbedeutung und deren Handlungskraft wesentlich von der Intention ab. Illokutionen würden also die sprachlichen Handlungen bestimmen, die Sprecher durch die Äußerung hervorbringen. Akte wie Behaupten, Fragen, Befehlen oder Versprechen könnten den illokutionären Akten zugeordnet werden und würden auf den Intentionen der SprecherInnen basieren. Perlokutionäre Akte hingegen sind die “ Konsequenzen oder Wirkungen ” (Searle 1971: 42, Hervorh. im Original) illokutionärer Akte. Unterschiedliche Illokutionen hätten demnach spezifische konventionelle bzw. kausale Folgen für Hörer: Auf einen kommissiven Sprechakt wie Versprechen, welcher sich durch seine kommissive Illokution auszeichnet, folgt die Erwartung der Einhaltung des entsprechenden propositionalen Gehalts. Andererseits können perlokutionäre Akte auch perlokutionäre Effekte auf Hörer haben, wenn z. B. eine Behauptung dazu dient, jemanden zu überzeugen. Neben den Schwierigkeiten der empirischen Nachweisbarkeit von Perlokutionen ist insbesondere die Relation zwischen Illokution und Perlokution theoretisch undeutlich (cf. z. B. Henn-Memmesheimer 2006). Sie ist außerdem ein Indiz für Searles intentionalistische Sprachtheorie: Die vorgeordnete Intention motiviert nicht nur den Handlungsaspekt der Illokution, sondern steuert auch perlokutionären Akt und Effekt. Ähnlich der Sprecherbedeutung Grices würden perlokutionäre Akte auf Hörer einwirken, sodass Illokution bzw. Perlokution entschlüsselt werden müssen. Während Grice allerdings keinen Begriff der Intentionalität entwickelt, expliziert Searle diesen in Intentionalität. Eine Abhandlung zur Philosophie des Geistes (1987). Er entwickelt ein Verhältnis zwischen Illokution und Intentionalität, weitet seine Sprechakttheorie auf eine allgemeine Handlungstheorie aus und führt auf diesem Wege auch die Unterscheidung von vorausgehenden Absichten und Handlungsabsichten ein. Searle modelliert Handlungen, auch sprachliche, aus der Perspektive von vorausgehenden Absichten und Handlungsabsicht, die kraft ihrer Effekte ein Verhalten verursachen (cf. Searle 1987: 125). Auch wenn er in seiner unmittelbaren Beschäftigung mit dem Verhältnis von Absichten und der Verursachung von Handlungen nicht explizit auf den ontologischen Status von Intentionalität eingeht, zeigt bereits sein eher kausalistisches Vokabular, dass Searle Intentionalität als einer Handlung vorgeordnet definiert. Intentionalität wird bei Searle naturalisiert und sei eines unter vielen biologischen Phänomenen (cf. Searle 1987: 293). Die Biologie der Intentionalität sei demnach die Voraussetzung, um Illokutionen hervorzubringen und entsprechend zu handeln. Das Verhältnis von Intentionalität, Intention und Verhalten gilt auch für sozialkommunikative Prozesse, die Searle am Beispiel des Arm-Hebens demonstriert: Angenommen, Sie und ich haben im voraus abgemacht, daß, wenn ich meinen Arm hebe, dies als Signal gilt, daß das-und-das der Fall ist. Angenommen, es handelt sich um einen militärischen Kontext, ich stehe auf einem Hügel und signalisiere Ihnen herüber, daß der Feind sich zurückgezogen hat - und zwar tue ich das gemäß vorheriger Abmachung dadurch, daß ich den Arm hebe. (Searle 1987: 211) Die konventionalisierte Bewegung des Arms dient hier als kommunikativer Akt, der - so Searle - nur dann gelingen könne, wenn die entsprechende Handlungsabsicht vorausgesetzt würde und damit ein spezifischer propositionaler Gehalt vermittelt werden solle 7 Intentionalismus in der linguistischen Pragmatik und der Mythos des Illokutionären 141 (Repräsentations- und Kommunikationsabsicht). Die mechanische Basishandlung des Arm- Hebens würde kraft der Handlungsabsicht zum illokutionären Akt des Befehls, welcher zu dessen Befolgung führe bzw. führen solle (perlokutionärer Effekt und Akt). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass H. P. Grice und John Searle nicht nur deren exklusiver Einfluss auf die linguistische Pragmatik eint, indem sie den Geltungsbereich der Pragmatik um die Unterscheidung von Ausdrucks- und Äußerungsbedeutung und die Handlungskraft von Äußerungen erweitern. Sie setzen zudem Intentionen und Intentionalität als mentale (und statische) Eigenschaften und Strukturen des Bewusstseins voraus und nehmen an, dass sie grundlegenden Einfluss auf sozial-kommunikative und diskursive Praktiken haben. 7.2 Der Mythos des Illokutionären und das Desiderat der diskursiven Intentionalität 3 Die Darstellung der theoretischen Ansätze H. P. Grices und John R. Searles sollte zeigen, dass intentionalistische Theorien vereint, dass sie sozial-kommunikativ relevante Prozesse, Strukturen und Relationen aus den mentalen bzw. kognitiven Strukturen deduzieren oder zumindest deren Existenz voraussetzen bzw. präsupponieren, die in einem spezifischen Effektverhältnis zur Konstitution und Signifikanz sprachlicher Zeichen stehen. Trotz permanenter Kritik am intentionalistischen Paradigma (cf. aktuell z. B. Beiträge in Meier et al. 2019) bleibt das theoretische Vokabular des Intentionalismus in der linguistischen Pragmatik nicht nur im Rahmen von Relevanztheorie und Postbzw. Neo- Grice'schen Ansätzen weit verbreitet. 4 Diskussionen um Intentionen und Intentionalität evozieren auch in der zeitgenössischen Linguistik häufig das Bedürfnis nach der Beschreibung mentaler Zustände und Gehalte. Somit wirkt trotz der kritischen Betrachtung häufig ein Mythos des Illokutionären, welcher eine Notwendigkeit und Ableitbarkeit des Verhältnisses von Bewusstsein und Kommunikation nicht nur annimmt, sondern auch prominent in die theoretische Modellierung einbringt. Dass ein strenges Verhältnis zwischen Intention/ Intentionalität und Bedeutung/ Handlung zu theoretischen wie empirischen Konflikten führt, wurde nicht nur von erkenntnistheoretischen Positionen wie dem Konstruktivismus, sondern auch von linguistischen Ansätzen wie der Konversationsanalyse, Gesprächslinguistik, Interaktionalen Linguistik 3 Eine gekürzte und sprachlich geänderte Fassung dieses Kapitels findet sich in Briese 2019: 205 f. 4 Ein paar Beispiele: Laut Deirdre Wilson und Dan Sperber (cf. z. B. Sperber/ Wilson 1995: 25, Wilson/ Sperber 2012: 291) involviert Kommunikation notwendigerweise, dass Intentionen des Sprechers von Hörern (inferenziell) erkannt werden [recognition of intentions] ( “ recognize ” präsupponiert Existenz, cf. auch Marco Mazzone (2019: 27 f.)). Robyn Carston (2002 b: 18) bemerkt, dass “ some specific elements of the meaning encoded in the linguistic form the speaker employs falls outside any intention she has in producing the utterance ” ( “ some ” implikatiert skalar, dass (andere) Intentionen die Bedeutung einer sprachlichen Äußerung mitstrukturieren). Robert Stalnaker (cf. z. B. 1984: 27 f., 2014: 2) stellt klar, dass die Erklärung der Intentionalität von mentalen Zuständen sich an der Intentionalität der Sprache orientieren müsse, in welcher diese ausgedrückt werden [in which they are expressed] ( “ express ” präsupponiert Existenz). Auch der Begriff des “ Mind Reading ” , welcher insbesondere in der Experimentellen Pragmatik und Psychologie aktuell wieder vermehrt verwendet wird (cf. hierzu z. B. Chapman 2017), vermeidet nur als Metapher die Ontologisierung und Unabhängigkeit des Bewusstseins von kommunikativen Prozessen (für eine Kritik cf. z. B. Zawidzki 2013). 142 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben oder Diskurslingustik erkannt. Insbesondere der Begriff der Intention wird dabei (oft vehement) abgelehnt. So wird z. B. in der “ Konversationsanalyse darauf [verzichtet], isolierten Äußerungen Sprecherintentionen zuzuschreiben ” (Deppermann 2007: 41, cf. auch Deppermann 2014) und auch für Diskurslinguistik ist “ die Kategorie der Intention funktionallinguistisch [nicht] relevant ” (Spitzmüller/ Warnke 2011: 161). Stattdessen werden entweder keine Aussagen über Intentionen der Interlokutoren getroffen oder es wird die diskursive Signifikanz von sprachlichen und anderen Zeichen betont, ohne aber auch die spezifischen Strukturen von sprachlichen Zeichen und ihrer Signifikanz hinsichtlich Intentionen und Intentionalität einzugehen. Im Folgenden soll nicht nur exemplarisch gezeigt werden, welche Gegenargumente es gegen den Intentionalismus gibt, sondern auch, welche grundsätzlichen Prämissen zur Analyse der diskursiven Intentionalität notwendig sind. Anstatt einen Anspruch auf Vollständigkeit zu stellen (einen Überblick gibt aber Petrus 2006), sollen vielmehr diejenigen Argumente exemplifiziert werden, die zur Erstellung eines Konzepts der diskursiven Intentionalität führen können. Max Blacks Kritik am Intentionalismus (cf. 1993) entfaltet sich an H. P. Grices Meaning (1957). Er argumentiert implizit aber ebenfalls gegen Searles Illokutions- und Kommunikationsbegriff. Am Beispiel des Händeschüttelns (cf. Black 1993: 59 f.) zeigt Black, dass die Bedingungen der Sprecherbedeutung Grices nicht hinreichend sind. Zwar erfüllt Händeschütteln im Allgemeinen alle drei Kriterien der Sprecherbedeutung, doch ist zumindest fragwürdig, ob der erfolgreiche Akt des Händeschüttelns eine Intention erfordert und nicht auch unter anderen Bedingungen gelingen kann. Plausibler scheint zumindest Black zu sein, dass “ die mit dem Händeschütteln verknüpften Konventionen einen prima facie- Schluß darauf zulassen, daß ich meinem Gegenüber wahrscheinlich nicht übelgesinnt bin ” (Black 1993: 59, Hervorh. im Original). Black verweist hier nicht nur auf die Konstitutivität von Konventionen. Er betont auch, dass diese Konventionalität mit Inferenzen in Relation steht, deren Beziehung nicht auf der Ähnlichkeit von Sprecherbedeutung und Äußerungsbedeutung, sondern auf probabilistischen Inferenzen beruht, aus deren Prozessen normative Folgen resultieren. Andererseits sind die Regeln der Sprecherbedeutung nicht notwendig. Am eindrücklichsten ist hier wohl Max Blacks Beispiel des wahrheitsliebenden Lügners (cf. Black 1993: 61 f.): Jemand, der bekanntermaßen ein notorischer Lügner ist, wird vor Gericht gefragt, ob er Kommunist sei. Wenn er nun “ Ja ” antworte, wisse er, dass Hörer diese Antwort in “ Nein ” umdeuten werde. Um den intendierten Effekt bei Hörern auslösen zu können, müsse er nun die Wahrheit sagen. Er müsse also den kontradiktorischen Ausdruck zu seiner Intention wählen. Entsprechend bleibt das Verhältnis zwischen Ausdruckswahl, Ausdruck und Intention nicht zwingend. H. P. Grices Lösung für Fälle, in denen trotz fehlender Intention ein Effekt bei Hörern ausgelöst wird bzw. trotz Intention ein Effekt fehlt, eine andere oder falsche ausgelöst wird, ist nun folgende: Im Falle fehlender Intentionen spricht er dem Zeichenakt die kommunikative Dimension ab, sind die Effekte unerwartet, bleiben aus oder kommen hinzu, erweitert er entweder je nach Bedarf die möglichen Effekte oder schließt mögliche Effekte aus, um an der Sprecherintention als konstitutiver Kategorie festhalten zu können. Eine 7 Intentionalismus in der linguistischen Pragmatik und der Mythos des Illokutionären 143 solche Strategie, die sich als Äquivalenz des Verhältnisses von Illokution und Perlokution begreifen lässt, ist nun aber, wie Black (1993: 65) treffend formuliert, sowohl “ unbegrenzt anpassungsfähig ” als auch “ unverbesserlich starr ” , denn sie halte einerseits am ursprünglichen Modell fest, erweitere es andererseits aber auf beliebige Weise. Dadurch sei die Theorie einerseits kaum noch falsifizierbar und andererseits sei fragwürdig, welche Erkenntnis ein Modell ermögliche, welches alle kommunikativen Prozesse zu erklären vorgebe und damit zwischen verschiedenen Erkenntnisprozessen kaum zu unterscheiden sei. Um also epistemische Relevanz zu erlangen, muss das Modell Grices spezifische Effekte den jeweiligen ausgedrückten Intentionen zuordnen, aber gleichzeitig die Diskrepanzen zwischen Intention und kommunikativen Effekten erläutern können. Hierbei hilft zwar die bereits durch die Sprechakttheorie eingeführte Unterscheidung zwischen Illokution und Perlokution, doch durch die Distinktion von Bedeutungs- und Kommunikationsabsicht einerseits und den intendierten sowie eintretenden Effekten andererseits folgen andere theoretische Schwierigkeiten des Intentionalismus: Aus einem Sprechakt wie “ Mach das Fenster zu! ” muss nicht notwendigerweise die intendierte Handlung folgen, sondern diese kann auch unterlassen werden oder es kann eine andere Folgehandlung eintreten. Trotzdem handelt es sich um einen kommunikativen Prozess, was aber nicht an der (ausbleibenden) Folgehandlung liegt, sondern daran, dass Hörer verstanden haben, was Sprecher mit Äußerungen bezwecken möchten (bzw. diesen einen Zweck zuweisen). Die spezifische Folgehandlung ist also irrelevant für das Gelingen von Kommunikation. Die Intention von Sprechern, bei Hörern Verstehen hervorzurufen, indem wohlgeformte Sätze geäußert werden, so Black (cf. 1993: 71), sei in diesem Fall hinreichend. Allerdings sei es kaum sinnvoll, die Sprecherbedeutung über Verstehen zu definieren: Hörer-Verstehen und Sprecher-Bedeutung sind zwei Seiten eines einzigen sprachlichen Vorganges: Eines durch Rekurs auf das andere zu erklären, wäre so zwecklos wie ‘ Gattin ’ durch ‘ Frau ’ zu definieren. Dieser Einwand [der Unhintergehbarkeit des wechselseitigen Sprachprozesses, J. B.] richtet sich, wenn ich nicht irre, gegen jede intentionalistische Theorie, die Sprecherbedeutung durch Rekurs auf eine abtrennbare und unabhängige charakterisierbare Reaktion des Hörers bzw. die Absicht eine solche Reaktion zu zeigen, erklären will. Denn es gibt keine entsprechende Standard-Reaktion, keine reguläre und semantisch relevante Wirkung einer Äußerung - außer daß sie verstanden wird. Das ist allerdings nicht gerade eine Reaktion im Sinne eines spezifizierbaren Ereignisses oder Zustandes: Es gibt kein besonderes oder alleiniges Kriterium für das Verstehen eines Kommunikationsversuchs. (Black 1993: 71) Anstatt Verstehen und Gelingen von Kommunikation an SprecherInnen und entsprechende Intentionen zu koppeln, muss also auch die Position von Hörern modelliert werden, die auf gleiche Weise und sozial an der Konstitution der Kommunikation und Bedeutung beteiligt sind. Auch die Erklärung der Konstitution von Bedeutung über Sprecherintentionen sei bei Berücksichtigung der Kommunikation problematisch, denn Sprecherbedeutung kraft Sprecherintentionen führe zu einem Zirkelschluss bzw. infiniten Regress. Da die Äußerungsbedeutung (teilweise) an die Sprecherintentionen gebunden sei, müsse die Sprecherintention selbst übermittelt werden, was Sprecherintentionen selbst zu rekursiven Sprecherbedeutungen transformiere: Eine Äußerung p impliziere demnach die Übertragung 144 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben einer Sprecherabsicht, die sich - so Black (1993: 76) - als eine Intentionsformel im Sinne von “ Ich will, daß du denkst, daß …” definieren lasse. Während der semantische Gehalt von p die eigentliche Bedeutung der Äußerung sei, sei Sprecherabsicht nach Grice die Stätte, welche die Kommunikation gelingen lässt. Eine solche Konzeption von Äußerungsbedeutung und Sprecherintention müsse nun aber erklären, inwiefern beide Bestandteile der Äußerung verstanden werden könnten. Doch wenn erstens zunächst der semantische Gehalt verstanden würde, dann würden sich Sprecherbedeutung und Sprecherintention gegenseitig definieren, denn das Verstehen des einen setze das Verstehen des anderen voraus (und vice versa). Verstehe man nun aber zweitens zunächst die Sprecherintention, dann sei diese selbst wieder in eine Sprecherintention rekursiv integriert, was zu einem infiniten Regress führe (Ich will, dass du weißt, dass ich will, dass du weißt, dass … usw.), woraus folgt: Nicht das Erfassen der Sprecherabsicht, bestimmte angestrebte Wirkungen im Hörer hervorzurufen, erlaubt es dem Hörer, die Bedeutung des Gesagten zu bestimmen, sondern umgekehrt: Die Entdeckung der Sprecherbedeutung ermöglicht es einem entsprechend kompetenten Hörer, mithilfe früherer Erfahrungen und durch Interpretationen des in dieser Redesituation produzierten Zeichens auf die Sprecherabsicht zu schließen. (Black 1993: 77) Auch in diesem Argument findet sich die Notwendigkeit der Verschiebung der theoretischen Position von einer individuellen und mentalen zu einer sozialen und auf inferenziellen (Zeichen-)Relationen beruhenden Bedeutungs- und Performanzkonstitution. Während Max Black insbesondere das Konzept der Sprecherbedeutung kritisiert, wendet sich Karl-Otto Apel dem Begriff der Intentionalität bei John R. Searle zu. Er zeigt sich überrascht von einer paradigmatischen Wende, welche Searle in seiner handlungstheoretischen Position vollzogen habe (cf. Apel 1990: 18 f.). Während sich Sprechakte - Ein sprachphilosophischer Essay (1971) noch mit der konstitutiven Kraft von sprachlichen Zeichen beschäftige (oder sich zumindest so lesen lasse), wende sich Intentionalität - Eine Abhandlung zur Philosophie des Geistes (1987) unzweifelhaft einer Reduktion der Sprache auf mentale Zustände zu. Apel versucht anschließend Searle II, den Intentionalisten, mit Hilfe von Searle I, dem Sprechakttheoretiker, zu verstehen. Dabei geht es Apel um nichts Geringeres als die Frage eines kategorialen a priori: Was muss als vorausgehende Eigenschaft angenommen werden? Intentionalität oder Bedeutung? 5 Apels Betrachtungen beginnen mit Searles Unterscheidung von Repräsentations- und Kommunikationsabsicht: Kommunikation ist eine Sache des Hervorrufens von Wirkungen beim Hörer, doch kann man die Absicht haben, etwas zu repräsentieren, ohne sich überhaupt darum zu scheren, welche Wirkungen man etwa bei seinem Hörer hervorruft. Man kann eine Feststellung machen, ohne die Absicht zu haben, seine Hörer zu überzeugen, und auch ohne die Absicht zu haben, seine Hörer zu der Überzeugung zu bringen, daß man selbst glaubt, was man sagt; ja sogar ohne die Absicht zu haben, daß die Feststellung überhaupt verstanden wird. Es gibt folglich zwei Aspekte der Bedeutungsabsicht: die Absicht zu repräsentieren und die Absicht zu kommunizieren. (Searle 1987: 209 f.) 5 Karl-Otto Apel wendet sich damit der grundlegenden Beziehung zwischen Sprache, Kommunikation und Bewusstsein zu, deren Nuancen hier nicht ausführlich wiedergegeben werden können. 7 Intentionalismus in der linguistischen Pragmatik und der Mythos des Illokutionären 145 Die Beschreibung von Kommunikation als sprecherzentrierte Effekte erinnert nicht nur zufällig an das Konzept der Sprecherbedeutung, sondern ist auch den gleichen Schwierigkeiten unterworfen. Anstatt aber auf die genuine Sozialität von kommunikativen Prozessen einzugehen, kritisiert Apel den fehlenden bzw. unterrepräsentierten Aspekt der Konventionalität in der Handlungstheorie Searles. Am Beispiel des Arm-Hebens, welches Searle (1987: 211, s. o.) zur Demonstration seiner Handlungstheorie gebraucht, zeigt Apel (1990: 17), dass eine Intention zum Gelingen der Kommunikation, des Sprechakts und anderer Handlungen nicht notwendig ist, sondern all dies vielmehr über den konventionellen und institutionalisierten Kontext bestimmt wird: In einer stark regulierten Institution wie dem Militär mag das Arm-Heben eines Kommandanten zwar zu einer unmittelbaren Folgehandlung (perlokutionärer Effekt) führen, was die Notwendigkeit und konstitutive Kraft der Konventionalität dieses Akts aber nicht tilgt. Vielmehr sind es die sozial-kommunikativ ausgehandelten Regeln selbst, welche Sprechakt und Handlung gelingen lassen. Intentionen sind hier allenfalls marginal beteiligt. Nun sei aber auch eine Erklärung von Intentionen und Intentionalität auf Basis der konventionellen Bedeutung des Sprachsystems (im Sinne des linguistic turn) nicht hinreichend, so Apel. Eine Analyse des Sprachsystems reduziere Intentionen und Intentionalität letztlich auf sprachliche Bedeutung, was aber nicht deren Involviertheit ins sprachliche Handeln erkläre. Deshalb fordert Apel eine “ pragmatische Erweiterung der Analyse der Zeichenfunktion ” (1990: 24, Hervorh. im Original) im Sinne des pragmatic turn (cf. hierzu z. B. Bernstein 2010 und Beiträge in Egginton/ Sandbothe 2004), denn “ die Identifikation eines sprachlich gemeinten Gegenstandes in der realen Welt ist eine Sache des intentionalen und interpretativen Sprachgebrauchs durch einen Sprecher oder Hörer ” (ebd., Hervorh. im Original). Diese Hinwendung zum sprachlichen Zeichengebrauch (sowie im Weiteren auch der pragmatischen und normativen Signifikanz sprachlicher Zeichen) erweitert die Sprechakttheorie Searles insofern, als dass sie (ganz im Sinne des semiotischen Pragmatismus) die verschiedenen Zeichenaspekte des signifikanten Zeichens ins Zeichenhandeln einbindet. Apel weist allerdings auch darauf hin, dass eine Theorie der Intentionen und Intentionalität dennoch materiale Dispositionen erfordert, die allerdings von der Pragmatik der sprachlichen Zeichen unterschieden werden müssen. Selbstverständlich setze z. B. ein Sprechakt die wahrnehmbare “ Evidenz der phänomenalen Gegebenheit des Sachverhalts ” (Apel 1990: 27) voraus, doch sei dies keineswegs eine notwendige oder hinreichende Bedingung für das Gelingen von kommunikativen Akten. Phänomenale Intentionalität ist demnach womöglich eine ontologische Voraussetzung für die Wahrnehmung von Sachverhalten, doch erlangt sie dadurch nicht diskursive Relevanz, geschweige denn lässt sich diese Relevanz aus der phänomenalen Intentionalität deduzieren. Apel fährt fort: Das Bewusstsein und seine Intentionalität verweise allein auf die “ Festlegung der interpretationsfreien Erfüllungsevidenz für mich ” (Apel 1990: 29, Hervorh. im Original), erkläre aber nicht die “ möglichen intersubjektiv gültigen Bedeutung[en] des intentionalen Gehalts ” (ebd., Hervorh. im Original). Apels Kritik an der Handlungstheorie Searles sowie deren Konsequenzen für die Interpretation der Sprechakttheorie führt vom Apriori der mentalen Intentionen und Intentionalität über Konventionalität und kommunikative Gelingensbedingungen zur 146 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben konstitutiven Kraft sprachlicher Zeichen, auch hinsichtlich diskursrelevanter Intentionen und Intentionalität. So lässt sich zusammenfassen: Im Sinne einer genuin pragmatischsemiotischen Orientierung lässt sich diskursive Intentionalität nicht auf semantische oder mentale Aspekte reduzieren, sondern konstituiert sich kraft des Gebrauchs sprachlicher Zeichen. Dies schließt nicht aus, dass diskursive Wesen nicht auch über volitionale oder phänomenal-intentionale kognitive Strukturen verfügen. Allein deren Notwendigkeit bzw. diskursive Relevanz in sozial-kommunikativen Prozessen in diskursiven Praktiken soll damit bezweifelt werden. Auch Robert Brandom kritisiert den Intentionalismus, wenn er dessen Verständnis des Verhältnisses von Sprachgebrauch und Kognition erkundet. Der Sprachgebrauch sei nach Grice und Searle als instrumentell aufzufassen, denn Sprache habe den Zweck, Überzeugungen ausdrücken. Brandom (EV: 226 f.) borgt sich zur Beschreibung solcher Sprachtheorien deshalb den Begriff der Aktoren-Semantik von Jay F. Rosenberg. 6 Statt nun Theorien des instrumentellen Sprachgebrauchs bzw. der Aktoren-Semantik zu folgen, schlägt Brandom vor, eine funktionalistische Auffassung vom Verhältnis von Sprachgebrauch und Intentionen zu vertreten. Nach dieser Auffassung sind “ intentionale Zustände gehaltvoll kraft ihrer Rolle, die sie beim richtigen Funktionieren eines Systems spielen, von dem sie ein Teil sind ” (EV: 227). Intentionen und Intentionalität sind in diskursiven Praktiken keine mentalen Zustände mehr, sondern erhalten als kognitive Funktionen und Relationen ihre diskursive Signifikanz in Handlungszusammenhängen und sind daher eher kognitiv-semiotische Funktionen und Relationen. Sie definieren sich über ihre pragmatischen Funktionen, die sie kraft ihres Gebrauchs haben. Daher betrachtet Brandom anschließend die Relation zwischen Intention und sprachlichen Zeichen und entwirft einen zuweisungsrelationalen Ansatz. Dieser geht davon aus, dass “ die Fähigkeit des Theoretikers oder Interpreten, gehaltvolle intentionale Zustände zuzuweisen [ … ] sich zunächst einmal parasitär gegenüber der Fähigkeit verhält, gehaltvolle Sprechakte denselben Individuen zuzuweisen ” (EV: 231). Deshalb kann dieser Ansatz “ die Möglichkeit des Sprechens als wesentlich für die Intentionalität ansehen ” (ebd.). Dieser zuweisungsrelationale Ansatz muss die Frage nach der kategorialen Ordnung von Sprache, Intention, Intentionalität und Kognition nicht stellen, denn “ sprachliche Praxis und rationales Handeln lassen sich als zwei Aspekte eines Komplexes gemeinsam gehaltsvermittelnder Praktiken darstellen ” (EV: 232), sodass die Ordnungselemente für den Ansatz nur in Handlungssituationen relevant werden, wenn sie dort eine “ bestimmte Art von Signifikanz ” (EV: 233) erlangen. Das funktionale Verhältnis von sprachlichen Handlungszeichen und kognitiven Prozessen bilde sich bereits im Verhältnis des Glaubens (im Sinne von Überzeugt-sein) und dem Akt des Behauptens (im Sinne von eine Überzeugung äußern) nach. Damit propositionale Gehalte (als semiotisch-kognitive Strukturen) intersubjektive und interlokutive Relevanz erlangen könnten, müssten diese im Rahmen der deontischen Kontoführungspraxis, Brandoms Kommunikationsmodell (cf. Kapitel 14.1), Signifikanz erlangen. 6 “ Agent-semantics has as its root philosophical motivation the desire to account language as a vehicle of communication. ” (Rosenberg 1974: 10) 7 Intentionalismus in der linguistischen Pragmatik und der Mythos des Illokutionären 147 Trotz ihrer funktionalen Reziprozität müssten propositionale Gehalte und Behauptungen sowohl im theoretischen Vokabular als auch in ihrer modellierten Funktion unterschieden werden: Kein intentionaler Zustand (oder normativer Status), der vielleicht in Begriffen der Behauptung rekonstruiert werden kann, liefert eine brauchbare Analogie zur Überzeugung, wenn er nicht diesen Kontrast konserviert, indem er die Möglichkeit zuläßt, sich in dem fraglichen intentionalen Zustand zu befinden, ohne den entsprechenden Behauptungsakt hervorzubringen, und den Behauptungsakt zu vollziehen, ohne im entsprechenden intentionalen Zustand zu sein. Es muß also nicht nur analysiert werden, worin die behauptende Signifikanz eines Sprechakts besteht, sondern auch die Beziehung zwischen der Zuschreibung eines solchen Sprechakts und der des von ihm ausgedrückten intentionalen Zustands. (EV: 239 f.) Propositionale Gehalte und ihre entsprechenden Einstellungen ließen sich so einerseits als Effekte einer diskursiven Praxis betrachten, können aber gleichzeitig auch diskursive (aber nicht mentale) Voraussetzungen sein, die nicht explizit behauptet werden müssen, aber doch als kognitive Hintergrundannahmen eine latente Signifikanz entwickeln. Gleichzeitig müssen einige Behauptungsakte möglich sein, ohne dass Interlokutoren tatsächlich über den entsprechenden propositionalen Gehalt verfügen. Georg W. Bertram (2002) wendet sich in seiner sprachphilosophischen Kritik sowohl gegen intentionalistische als auch linguistisch-behavioristische Ansätze und wendet sich damit auch gegen einige Lösungsvorschläge Max Blacks (1993), der das Heil des Verhältnisses von sprachlichen Zeichen und Intentionen noch in der konventionellen Bedeutung sucht. Intentionalistische und linguistisch-behavioristische Ansätze seien gegenüber der jeweils anderen Position reduktionistisch, da sie Bedeutung über Intention bzw. Intention über Bedeutung erklären wollten (cf. Bertram 2002: 16). Anstatt von einer Reduktion auf Sprache oder Kognition zu sprechen, vertritt er (ähnlich wie Brandom) einen funktionsrelationalen Ansatz, der von einer genuinen Relation von sprachlichen Zeichen und kognitiven Prozessen ausgeht, ohne jedoch das eine mit dem jeweils anderen zu definieren. Um diese Funktionsrelation zu erklären, führt Bertram u. a. Jacques Derrida (2001) ins Feld, welcher Intentionen als notwendiges Element in der Kommunikation anerkennt, sie aber anders verortet, als es der Intentionalismus tut: Könnte eine performative Aussage gelingen, wenn ihre Formulierung nicht eine ‘ codierte ’ oder iterierbare Aussage wiederholen würde [ … ]? Es gilt [ … ] nicht so sehr, das Zitat und die Iteration der Nicht-Iteration eines Ereignisses entgegenzusetzen, als vielmehr eine differentielle Typologie von Iterationsformen zu konstruieren, unter der Voraussetzung, daß dieses Vorhaben durchführbar sei und einem erschöpfenden Programm stattgeben könne, eine Frage, die ich auf später verschiebe. Die Kategorie der Intention wird in dieser Typologie nicht verschwinden, sie wird ihren Platz haben, wird aber von diesem Platz aus nicht mehr die ganze Szene und das ganze System der Äußerung steuern können. Vor allem wird man es dann mit verschiedenen Arten iterierbarer Zeichen [marques] oder Zeichenketten zu tun haben und nicht mit einer Opposition von zitathafter Aussage einerseits und singulärer und originaler Ereignis-Aussage andererseits. Die erste Konsequenz davon wird die folgende sein: Wenn die Iterationsstruktur gegeben ist, wird die Intention, die die Äußerung beseelt, niemals sich selbst und ihrem Inhalt durch und durch präsent sein. Die Iteration, die sie a priori strukturiert, bringt eine wesentliche Dehiszenz und einen wesentlichen Bruch in sie hinein. (Derrida 2001: 40, Hervorh. im Original) 148 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Derrida fasst unter die differenzielle Typologie der Iterationsformen ein Typ-Token- System, welches Intentionen nicht ablehnt, aber ihre Ursprünglichkeit anzweifelt. Intentionen und Intentionalität haben im Zeichengebrauch demnach keinen vorgeordneten Ursache-Wirkungs-Charakter, sondern müssen sich ebenfalls der Iterabilität des Zeichens unterwerfen. Intention und Intentionalität semiotisieren, sind also durch zeichenprozessuale wie -systematische Aspekte motiviert. Mithilfe der iterativen Typ-Token-Rekurrenz der Intentionen Derridas setzt Bertram Intentionalität als Element im Rahmen sprachlicher Prozesse: Am Begriff der Schrift wird expliziert, daß Zeicheninterpretation grundsätzlich auch ohne Rekurs auf Intentionen möglich ist. Diese Möglichkeit gilt uneingeschränkt. Also ist Interpretation nicht an bestimmte Intentionen gebunden. Dennoch kündigt dieser Schritt nicht den Bezug von Sprache und Intentionalität, sondern faßt ihn neu. Es steht nicht der Begriff der Bedeutungsfülle, sondern die Idee der einfachen bzw. unverzweigten Korrespondenz von einzelnen intentionalen Zuständen mit einzelnen Zuständen sprachlicher Bedeutung in Frage. Sprache steht, so muß man nach Derrida sagen, nicht in einfachen Korrespondenzen zu, sondern grundsätzlich in der Dimension der Intentionalität. Diese Dimension ist der Sprache - so wie wir sie als Sprache verstehen, könnte man einschränkend sagen - irreduzibel. Keine Bindung einzelner Interpretationsakte an bestimmte einzelne intentionale Zustände, aber ein grundsätzlicher Rekurs auf Intentionalität in ihnen[.] (Bertram 2002: 19 f., Hervorh. im Original) Bertram unterscheidet Intention und Intentionalität hinsichtlich ihrer kognitiv-semiotischen Funktionen. Während er Intentionen als spezifische, konkrete und realisierte geistige Zustände bzw. Prozesse analysiert, sei die Dimension der Intentionalität eine genuine und irreduzible Eigenschaft sprachlicher Zeichen. Um anschließend auch den semiotischen Holismus von Intentionalität, welcher auch in Derridas Konzept der Iterabilität impliziert ist, zu erfassen und ihn von einer Analogierelation abzugrenzen, führt Bertram den Terminus der verzweigten Korrespondenz ein: Unverzweigte Korrespondenz heißt, daß das Paradigma der Korrelation darin besteht, daß ein Sprechakt mit einer Überzeugung verbunden ist, die er zum Ausdruck bringt. Die These, daß Zeichenverstehen immer in der Dimension der Intentionalität geschieht, bringt hingegen die Idee einer verzweigten Korrespondenz zur Geltung. Demnach bestehen keine einzelnen bestimmten bzw. bestimmenden Korrelationen zwischen sprachlichen Ausdrücken und intentionalen Zuständen. Vielmehr sind die Korrelationen in jedem einzelnen Fall vielfältig und verzweigt, so daß jedes Bedeutungsereignis von vielen intentionalen Zuständen her artikuliert ist und auch jeder intentionale Zustand mit vielen Bedeutungsereignissen in Beziehung steht. (Bertram 2002: 27 f., Hervorh. im Original) Neben dem funktionalen Verhältnis von Intentionen und sprachlicher Bedeutung entfaltet sich deren Relation hinsichtlich ihrer zeichenrelationalen Mehrgliedrigkeit. Anstatt einen aliquid-stat-pro-aliquo-Zeichenbegriff zu vertreten, skizziert Bertram mit der Relationalität des Zeichens zu anderen Zeichen ihre Verzweigtheit, welche die Zeichenverhältnisse über deren korrespondierende Funktion stellten. Intentionen müssen demnach hinsichtlich ihrer entfalteten Zeichenrelationen beurteilt werden, die sich rekurrent und iterativ im Gebrauch entwickeln. Ulf Harendarski widmet sich dem Verhältnis von Intentionalität und Semiose und entwickelt so ebenfalls eine Kritik an der unvermittelten Involviertheit von Intentionalität 7 Intentionalismus in der linguistischen Pragmatik und der Mythos des Illokutionären 149 in kommunikativen Praktiken. Auch wenn er insbesondere kollektive Intentionalität (cf. z. B. Schmid/ Schweikard 2009) untersucht, lassen sich seine Überlegungen auf eine Kritik des Intentionalismus und ein Desiderat der diskursiven Intentionalität übertragen. Harendarski (2013: 228) geht dabei über die Konzepte der Illokution und Sprecherbedeutung hinaus, wenn er sich fragt, ob kollektive Intentionalität dem Erwerb sprachlicher Zeichen vorausgehe oder ob sich Intentionalität auf Intentionen reduzieren lasse. Sowohl die Voraussetzung von Intentionalität als auch die Reduktion auf Intentionen lehnt er ab, da sich Intentionalität damit letztlich entweder auf Kognition oder auf sprachliche Bedeutung reduzieren würde. Stattdessen beschreibt er Intentionalität als emergentes Phänomen: Intentionalität ist eine begriffliche Voraussetzung für Kommunikation als Abfolge kooperativer Handlungen zwischen Menschen. Weitreichende Konsequenzen hat, ob Intentionalität vor der Semiose oder als etwas konzeptualisiert wird, dass während und aufgrund der Semiose entsteht. (Harendarski 2013: 235, Hervorh. im Original) 7 Harendarski verortet Intentionalität im Folgenden im Zeichenprozess selbst und fordert damit nicht weniger als eine semiotische Neuordnung und Begründung von Sprach- und Kommunikationsprozessen. Anstatt auf vorhergehende kognitive Strukturen zu rekurrieren, entsteht diese erst im Zeichenprozess selbst und ist somit auch diesen Prozessen unterworfen. Intentionalität ist damit zwar eine logische Voraussetzung von sprachlichen Praktiken, aber diskursiv selbst in die sprachlichen Kommunikate eingebettet: Zwar muss Intentionalität als begriffliche Voraussetzung für Kommunikation verstanden werden, ohne dass sie zugleich als mentaler Zustand vorher besteht. Zweifellos ist der Kern von Intentionalität sozial per Normativität, zugleich aber sind einerseits intentionale Prozesszustände auch aufgrund imaginierter Kommunikation möglich und sie können sich andererseits nicht komplett im Kommunikat erschöpfen. Nicht trotz, sondern wegen der Intentionalität ist Kommunikation für vergesellschaftete Wesen notwendig, damit sie Interlokutoren sein können und nicht bloß Sprecher-Hörer-Paare. (Harendarski: 239, Hervorh. im Original) Auch wenn Harendarski hier eine spezifische Definition der Intentionalität (im sozialnormativen Sinne) vermissen lässt (cf. aber Harendarski 2021 a), weist er doch auf die Notwendigkeit hin, dass Semiose und Normativität in einer Analyse der Intentionalität berücksichtigt werden müssten. Anstatt Intentionalität einerseits und Normativität und Zeichenprozesse andererseits diskursiv zu unterscheiden - wie es Grice und Searle noch tun - , zeigt er deren wechselseitige Involviertheit auf. Beate Henn-Memmesheimer (2006) wendet sich in ihrer Kritik insbesondere gegen den Sprechakt-Searle (s. o.), konzentriert sich auf die Konventionalität sprachlicher Zeichen und den Begriff der Perlokution und wendet sich dann aber insbesondere der Rolle von Regeln und Sprechaktverben zu. Anlass von Henn-Memmesheimers Argumentation ist die Kritik Searles an H. P. Grice. Dieser hatte Grice vorgeworfen, er unterschätze die Konventionalität sprachlicher Zeichen. Die Bedeutung eines Satzes bzw. einer Äußerung sei “ durch Regeln festgelegt ” (Searle 1971: 76), die bestimmen, welche semantischen Bedingungen dieser Äußerung zukommen. Auf Basis dieser Regeln konzipiere Searle nun seine Sprechakt- 7 Ein ähnliches Argument nennt auch Martin Seel (1998: 249), wenn er das Verhältnis von Medialität und Intentionalität beschreibt. 150 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben theorie und deren Sprechhandlungstypen. Searles Regelbegriff lasse sich nun aber entsprechend der Kritik am Regulismus und Regularismus verwerfen, da er Regeln vor sprachlichen Prozessen (cf. hier auch den Konventionalismus von Lewis 2002) und auch vor der Intentionalität sprachlichen Handelns modelliert, was nicht weniger problematisch sei als die Annahme der Sprecherbedeutung, so Henn-Memmesheimer. Wenn Regeln gesetzt werden, dann erklärt dies weder, wie Regeln entstehen (z. B. über sprachliche Kommunikationsprozesse), noch bietet es Raum für Unregelmäßigkeiten im sprachlichen Handeln bzw. sprachliche Innovationen. “ Searle ” , betont Henn-Memmesheimer (2006: 203) daher, “ beschreibt letztlich nicht Sprechakte, sondern vorgängig kodierte Verben, die etwas über die Redesituation vermitteln. ” Die Kritik am Regelbegriff Searles gelte aber nicht nur für die Beschreibung der Illokution, sondern auch für perlokutive Effekte. Mithilfe von regelhaften und regelmäßigen perlokutiven Effekten einen Sprechhandlungseffekt zu beschreiben, verkenne sowohl die soziale Ko-Konstruktion als auch die dynamische Normativität von diskursiven Praktiken. So verweist Henn-Memmesheimer mit Jürgen Habermas auf diese reziproke Abhängigkeit der Interlokutoren in Interaktion: Die Intention, die ein Sprecher mit einer Äußerung verbindet, erschöpft sich nicht darin, daß ihm ein Interpret eine entsprechende Meinung zuschreibt, ohne daß er an der Stellungnahme des Interpreten zu dieser Meinung interessiert wäre. Als Kommunikationsteilnehmer richtet der Sprecher vielmehr mit seiner Behauptung an einen Adressaten den Anspruch, öffentlich ‘ Ja ’ oder ‘ Nein ’ zu sagen; er erwartet von ihm jedenfalls irgendeine Reaktion, die als Antwort zählen und für beide Seiten interaktionsfolgenrelevante Verbindlichkeiten herstellen kann. Nur eine ‘ Antwort ’ kann Auffassungen bestätigen oder revidieren, auf die (und auf deren Implikationen) sich beide Seiten im weiteren Verlauf ihrer Interaktion müssen verlassen können. (Habermas 2004: 175, Hervorh. im Original, cf. auch Henn-Memmesheimer 2006: 212) Perlokutionen können somit nicht mehr als quasi-kausale Effekte modelliert werden, sondern involvieren das Verhältnis der sich in der Interaktion befindlichen Interlokutoren. Perlokutionen sind demnach nicht sprecherInzentriert, sondern “ als Intentionen und antizipiertes Ergebnis von Sprechhandlungen darauf ausgerichtet, eine Handlungssituation zu ändern ” (Henn-Memmesheimer 2006: 213). Die verschiedenen Kritiken an intentionalistischen Theorien zeigen, dass die theoretischen Prämissen des Intentionalismus nicht nur mit semiotischem Pragmatismus und normativem Sprachpragmatismus inkompatibel sind, sondern auch, dass dieses Paradigma argumentativ kaum aufrechtzuerhalten ist. Die hier zusammengefasste Kritik am Intentionalismus ist allerdings nicht ungehört geblieben. Exemplarisch für die Rezeption soll hier ein Artikel von Klaus Petrus dienen, der sich nicht nur als ein bemerkenswerter Experte in Fragen der Sprecherbedeutung und Sprechakttheorie zeigt, sondern auch Kritiken und Modifikation der Theorien rezipiert und kommentiert hat. 8 8 Auch Frank Liedtke (2018) geht auf die Kritik am Intentionalismus ein, wenn er das Paradigma der Kognitiven Pragmatik erklärt und dessen Forschungsschwerpunkte in der Relevanztheorie und Neo-Grice'schen Pragmatik verortet (für eine Kritik cf. Briese 2020 a: 120 f.). 7 Intentionalismus in der linguistischen Pragmatik und der Mythos des Illokutionären 151 Petrus (2006: 126 f.) weist dabei auf fünf wesentliche Problembereiche hin, in denen Sprechakttheorie und Grice'sche Theorien erklärungsbedürftig sind: 1. Das wesentliche Merkmal des Illokutionären 2. Die Einheit des Illokutionären 3. Die Unterscheidung zwischen Illokution & Perlokution 4. Das Verhältnis von Illokution & Bedeutung 5. Das Verhältnis von Illokution & Kommunikation Beeindruckend ist hier nicht nur die minutiöse Analyse, sondern auch die Erkenntnis, dass letztlich in jedem pragmatischen Kernbereich, der die Schnittstellen Intention-Bedeutung- Kommunikation betrifft, theoretische Präzisierungen erforderlich sind. Petrus führt anschließend viele Argumente gegen den Intentionalismus auf, sodass zunächst eine Distanzierung von Sprechakttheorie und Sprecherbedeutung naheliegt. Überraschend ist dann jedoch, dass auch er das intentionalistische Vokabular letztlich nicht überwindet: Nun ist es eine (und sicherlich zentrale) Aufgabe herauszufinden, worin der sprechakttheoretische Irrtum genau besteht; eine andere ist es, diese Diagnose positiv zu nutzen und eine Route zu entwickeln, die beim Begriff des Illokutionären ansetzt und die Grundbegriffe der Analyse illokutionärer Akte jenseits des festgefahrenen Schemas ‘ Konventionalismus vs. Intentionalismus ’ aufeinander bezieht. (Petrus 2006: 128) Trotz seiner zentralen Forderung, den sprechakttheoretischen Schwierigkeiten (im Rahmen von linguistischer Grundlagenforschung) auf den Grund zu gehen, bleibt Petrus hier bei einer illokutionszentrierten Theoriebildung. Die Kritik am Intentionalismus entfaltet sich grade an der (unhinterfragten) Bedingung der Illokution. Somit ist eine solche Untersuchung nicht notwendigerweise an die Diagnose der sprechakttheoretischen Irrtümer bzw. das Ansetzen am Begriff des Illokutionären gebunden. Was Petrus hier nicht in Betracht zieht, ist die Möglichkeit, sich vom sprachtheoretischen Fundament der Sprecherbedeutung und Sprechakttheorie zu lösen, dennoch deren empirische Erkenntnisse zu berücksichtigen und nach einer grundlegenden Rekonzeptualisierung der Sprachtheorie zu suchen, die die Probleme des Intentionalismus ausbessert. Zweifelsohne hat diese Theorie wesentliche Erkenntnisse im Rahmen des sprachlichen Handelns geliefert. Eine Modifizierung ist aber nur dann angemessen, wenn sich das theoretische Fundament als Grundbaustein erweist, woran die grundlegende Kritik am Intentionalismus nicht nur zweifeln lässt, sondern in der zeitgenössischen Linguistik kaum aufrechtzuerhalten ist. Das ambitionierte Projekt von Petrus (2006: 128) ist es nun, trotz Beibehaltung des theoretischen Fundaments einen neuen Weg einzuschlagen. Seine Illokutionstheorie geht in drei Etappen vor: Zunächst wird die Vollzugsweise von Handlungstypen erklärt, sodann eine illokutionsbasierte Gebrauchs- und Kommunikationstheorie aufgestellt. Die Definition des Vollzugs illokutionärer Akte wird dabei als hinreichend gesetzt (Petrus 2006: 130), sodass Gebrauchs- und Kommunikationstheorie Derivate des illokutiven Vollzugs und dessen theoretische Prämissen sind. Trotz vieler präziser Antworten und Verbesserungen wirkt auch hier der Mythos des Illokutionären: Petrus vertritt weiterhin die Voraussetzung mentaler Strukturen in sozial-kommunikativen Prozessen, sodass seine Antworten teilweise sehr an die ursprünglichen Prämissen der Sprechakttheorie erinnern. So konstatiert er in Hinblick auf das Verhältnis von Illokution und Kommunikation: “ Illokution ist das 152 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben eine, Kommunikation ist etwas anderes. ” (Petrus 2006: 14) Er reproduziert damit die Differenz von Repräsentationsabsicht und Kommunikationsabsicht Searles. Die Setzung des Begriffs der Illokution und dessen theoretische Fundierung scheinen in dieser Tradition kaum verhindert werden zu können. Auch wenn Klaus Petrus nur ein spezifischer Vertreter (von vielen) intentionalistischer Theoriebildung ist, so lassen sich doch immer wieder (oftmals implizite) Rekurrenzen auf sprachtheorische Prämissen des Intentionalismus finden. Selbstverständlich betrifft dies nicht alle linguistischen Theorien und insbesondere in Konversationsanalyse und Gesprächslinguistik gibt es z. Z. Ansätze, die z. B. interaktionale Bedeutung als ko-konstruiertes Phänomen betrachten (cf. z. B. Arundale 2020) oder sogar Intentionen (cf. z. B. Deppermann 2014) bzw. Intentionalität (cf. z. B. Proske 2017) auf diese Weise analysieren wollen. Dies zeigt, dass hier nicht nur ein theoretisches Bedürfnis in der Grundlagenforschung besteht, sondern auch, dass dieses Desiderat weder gefüllt noch notwendigerweise vollständig beschrieben worden ist. Aus dieser skizzenhaften und exemplarischen Darstellung der Kritik am Intentionalismus sowie Erörterungen können wesentliche Aspekte extrahiert werden, die eine Notwendigkeit in der Modellierung diskursiver Intentionalität darstellen. Tatsächlich finden sich diese Aspekte in vielen Theorien der Intentionalität bereits auf die eine oder andere Weise, doch kaum in ihrer Vollständigkeit: 1. Unhintergehbarkeit der Sozialität der Intentionalität 2. Semiose der Intentionalität 3. Entkopplung des Intentionalitätsbegriffs von der ersten (und anderen) Person(en) 4. Semiotisch-holistische Strukturierung von Zeichenhandlungen 5. Kein kategoriales Apriori von Intention und Intentionalität, aber der phänomenalen Intentionalität 6. Exploration der Intentionalität im (sozial-normativen) Zeichen- und Sprachgebrauch 1. verweist auf die Notwendigkeit, die interaktionale Ko-Konstruktivität von Intentionalität und deren soziale Konsequenzen zu modellieren. Diese Sozialität der Intentionalität ist dabei weder gegeben noch unmittelbar erfahrbzw. wahrnehmbar, sondern entsteht in diskursiven Praktiken. Wegen der Notwendigkeit der Medialität und Semiotik muss Intentionalität 2. im Zeichenprozess analysiert werden. Dies erfordert nicht nur die Sensibilität für die Dynamik von diskursiven Praktiken und Zeichenhandlungen, sondern sollten auch zeitlich-räumliche Transformationen von Zeichen berücksichtigt werden, die die diskursiven Praktiken und Zeichenhandlungen beeinflussen. Intentionalität muss außerdem 3. sowohl vom Begriff der Person als auch von deren Bezugsobjekten unterschieden werden. Da Intentionalität für Personen aber diskursiv relevant ist, muss erklärt werden, inwiefern Intentionalität Personen dennoch zugeordnet werden kann. Auch wenn Intentionalität sich zunächst als Ereignis in der Semiose herausstellt, darf sie keine singulären Eigenschaften besitzen. Sie sollte 4. holistisch (z. B. mithilfe inferenzieller und semiotischer Relationen) mit anderen Zeichenhandlungen verbunden sein bzw. ermöglichen, dass sich diese diskursiv entfalten. Damit präsentiert sich Intentionalität nicht nur als Effekt, welcher über zeitlich-räumliche Transformationen erhalten bleibt, sondern kann mithilfe von Typ-Token-Rekurrenzen im Sprachgebrauch spezifiziert 7 Intentionalismus in der linguistischen Pragmatik und der Mythos des Illokutionären 153 werden. Entsprechend anderer Aspekte der Intentionalität kann sie nicht als der diskursiven und semiosischen Praxis vorgelagert modelliert werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass 5. keinerlei ontologische Voraussetzungen für diskursive Intentionalität im phänomenalen Kontinuum bestehen. Selbstverständlich erfordert die Teilnahme an diskursiven Praktiken auch TrägerInnen phänomenaler Intentionalität, die der sinnlichen Erfahrung fähig sind, doch lassen sich aus diesem Faktum keinerlei Konsequenzen für diskursive Praktiken ableiten (bis auf einige theoretische Strukturähnlichkeiten wie z. B. die Relation zu einem intentionalen Objekt). Anstatt katasterhafte Sammlungen von Intentionalität in diskursiven Praktiken und Zeichenhandlungen zu erstellen, muss sich 6. sowohl die Erklärung als auch die Analyse von diskursiver Intentionalität am Sprach- und Zeichengebrauch orientieren. Die Mannigfaltigkeit der diskursiven Praktiken erfordert es daher, dass ein Modell der Intentionalität entwickelt wird, das sowohl die verschiedenen Dimensionen von Sprach- und Handlungspraktiken berücksichtigt, aber gleichzeitig über spezifische Einzelzeichen hinaus Gültigkeit besitzt (z. B. wenn Sprachwandelprozesse die Einzelzeichen verändern oder wenn andere Sprachsysteme nicht über den entsprechenden grammatischen Typ verfügen). Die verschiedenen Aspekte der diskursiven Intentionalität, die in einem Modell verwirklicht werden sollen, können die sozial-normative Emergenz diskursiver Intentionalität veranschaulichen, welche auf den diskursiven Normen von diskursiven Praktiken beruht. 154 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben
