eJournals Kodikas/Code 45/1-4

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
0303
2025
451-4

Diskurse Signifikanz intentionaler Verben

0303
2025
Joschka Briese
Intentionale Verben stellen die zentrale Zeicheneinheit der Reflexion diskursiver Intentionalität dar und werden auf Basis der semiotischen und inferenzialistischen Annahmen analysiert und modelliert. Hierzu wird der bereits etablierte logische Begriffsapparat um eine relationale Logik erweitert und intentionale Verben von anderen Verben abgegrenzt. Eine Analyse intentionaler Relationen und der Signifikanz intentionaler Verben mündet in einem Grundlagenmodell, welches für die Analyse von Handlungsdeskriptionen und ihre Signifikanz in der linguistischen Pragmatik verwendet werden kann. Anschließend wird das Grundlagenmodell um verschiedene Typen intentionaler Relationen erweitert. Es wird das Konzept der diskursiven Rolle eingeführt, um beteiligte pragmatische Funktionen, die wir z. B. als Sprecher oder Hörer identifizieren, zu beschreiben und die inferenzielle Gliederung dieser Relationen aufzeigt. Das Grundlagenmodell ermöglicht außerdem die Reflexion der analytischen Grundlagen der linguistischen Pragmatik, die ausgehend von der Signifikanz intentionaler Verben entwickelt und linguistische Verbpragmatik genannt wird.
kod451-40201
K O D I K A S / C O D E Volume 45 (2022) · No. 1 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben Abstract: Intentional verbs represent the central sign unit of the reflection of discursive intentionality and are analyzed and modeled on the basis of semiotic and inferentialist assumptions. For this purpose, the already established logical conceptual apparatus is extended by relational logic and intentional verbs are distinguished from other verbs. An analysis of intentional relations and the significance of intentional verbs leads to a basic model which can be used for the analysis of action descriptions and their significance in pragmatics. The basic model is then extended to include various types of intentional relations. The concept of discursive roles is introduced in order to describe the pragmatic functions involved, which we identify, for example, as speakers or listeners, and to show the inferential organization of these relations. The basic model also allows us to reflect on the analytical foundations of pragmatics, which is developed on the basis of the significance of intentional verbs and is called verb pragmatics. Zusammenfassung: Intentionale Verben stellen die zentrale Zeicheneinheit der Reflexion diskursiver Intentionalität dar und werden auf Basis der semiotischen und inferenzialistischen Annahmen analysiert und modelliert. Hierzu wird der bereits etablierte logische Begriffsapparat um eine relationale Logik erweitert und intentionale Verben von anderen Verben abgegrenzt. Eine Analyse intentionaler Relationen und der Signifikanz intentionaler Verben mündet in einem Grundlagenmodell, welches für die Analyse von Handlungsdeskriptionen und ihre Signifikanz in der linguistischen Pragmatik verwendet werden kann. Anschließend wird das Grundlagenmodell um verschiedene Typen intentionaler Relationen erweitert. Es wird das Konzept der diskursiven Rolle eingeführt, um beteiligte pragmatische Funktionen, die wir z. B. als Sprecher oder Hörer identifizieren, zu beschreiben und die inferenzielle Gliederung dieser Relationen aufzeigt. Das Grundlagenmodell ermöglicht außerdem die Reflexion der analytischen Grundlagen der linguistischen Pragmatik, die ausgehend von der Signifikanz intentionaler Verben entwickelt und linguistische Verbpragmatik genannt wird. Keywords: intentional verbs, discursive significance, relational logic, inferences, discursive roles, verb pragmatics Schlüsselbegriffe: intentionale Verben, diskursive Signifikanz, relationale Logik, Inferenzen, diskursive Rolle, linguistische Verbpragmatik Die ausführliche Beschreibung der diskursiven Intentionalität und deren Integration in die theoretischen Modelle Brandoms, Shorts und Millikans ist bisher im Rahmen theoretischer Grundlagenforschung positioniert worden, aber ihre spezifische Anwendbarkeit in der linguistischen Pragmatik ist noch erklärungsbedürftig. Im Folgenden soll über die Signifikanz intentionaler Verben ein analytischer Zugang zu Aspekten der Intentionalität, der diskursiven Normen sowie Interlokutoren modelliert werden. Verben im Allgemeinen nehmen nicht nur im Spracherwerb eine besondere Rolle ein (cf. z. B. Verbinselkonstruktionen bei Tomasello 2002: 178 f.), sondern sind für den Erwerb einer Theory of Mind bzw. Theory of Intention ebenfalls relevant (cf. z. B. Beiträge in Astington 2000, Astington/ Baird 2005, Astington/ Harris/ Olson 1988, Zelazo/ Astington/ Olson 1999). Anstatt sich aber ihrer phylo- oder ontogenetischen Relevanz zuzuwenden, soll hier diskursive Signifikanz intentionaler Verben in diskursiven Praktiken analysiert und modelliert werden, welche sowohl pragmatische als auch normative Aspekte umfasst. Diskursive Signifikanz und deren Strukturen leiten sich dabei aus diskursiven Normen ab. Hierunter fallen sowohl diskursuniversale Normen (wie z. B. das Kooperationsprinzip) als auch diskurspezifische Normen, die sich in verschiedenen Praktiken etabliert haben. Diskursive Signifikanz umfasst also die Involviertheit in diskursive - und nicht nur soziale oder kommunikative - Praktiken. Um eine Analyse intentionaler Verben (im Rahmen einer linguistischen Verbpragmatik) vorzuschlagen, soll diskursive Intentionalität zunächst im Rahmen der Analyse des semiosischen Kontinuums etabliert werden. Dabei zeige ich, dass diskursive Intentionalität nicht mit ontologischen Termini erfasst werden kann, aber dennoch im Rahmen einer virtuellen Logik eine Heuristik in diskursiven Praktiken darstellt (cf. Kapitel 12.1.1). Diese Erkenntnis wirkt sich auch auf die Betrachtung von Analysen von Sprechaktverben, Kommunikationsverben, psychologischen Verben und phänomenologischen Intentionalitätsverben aus, die auf einer anderen Abstraktionsebene operieren, als es die Analyse von intentionalen Verben tut. Nichtsdestotrotz lassen sich aus einer exemplarischen Diskussion der Analyse von Sprechaktverben, Kommunikationsverben, psychologischen Verben und phänomenologischen Intentionalitätsverben Erkenntnisse destillieren, welche für eine theoretisch-analytische Modellierung der Struktur intentionaler Verben relevant sind (cf. Kapitel 12.1.2). Insbesondere die relationale Logik Charles S. Peirces, so zeige ich dann, kann kategoriale Verhältnisse einer sozialen, diskursiven, pragmatischen und normativen Analyse intentionaler Verben präzisieren und intentionalen Relationen eine spezifische phänomenologische Struktur zuweisen (cf. Kapitel 12.2.1). Diese Illustration der Strukturen und Prozesse ermöglicht dann die Rechtfertigung der These, dass weder diskursive Intentionalität noch intentionale Relationen oder Verben transitive Relationen im engeren Sinne sind, sondern sie ihre Transitivität über ihr (inferenzielles) Verhältnis zu anderen Verben erhalten (indirekte Transitivität). Insbesondere eine Interpretation von Vincent Descombes' anthropologischem Holismus (cf. insb. 2001, 2014) kann diese These nicht nur begründen, sondern auch eine weitere theoretische Kontaktstelle zwischen Peirces semiotischem Pragmatismus und Brandoms normativem Sprachpragmatismus herstellen (cf. Kapitel 12.2.2). Nachdem das Konzept der indirekten Transitivität etabliert ist, welches bereits die Involviertheit diskursiver Normen in der Konstitution von intentionalen Relationen theoretisch impliziert, kann ein Grundlagenmodell intentionaler Verben vorgestellt werden, welches die notwendigen, aber basalen Relationen und Relata intentionaler 202 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Verben erklärt. Insbesondere das Subjekt-Objekt-Verhältnis (X und Y) steht dort im Mittelpunkt. Die verschiedenen Elemente sollen mithilfe des bisher eingeführten Vokabulars beschrieben und analytisch zugänglich gemacht werden (cf. Kapitel 12.3). Dass sich dieses Grundlagenmodell aber in der analytischen Praxis nicht als hinreichend erweist, zeigt dann die Differenzierung der intentionalen Relationen in soziale, kooperative und kollektive intentionale Relationen. Hierbei wird durch Bezug auf Millikans Begriff der kooperativen Funktion ein komplexes Geflecht von Relata dargestellt, welches sich nicht auf Subjekt-Objekt-Relation reduzieren lässt. Insbesondere für die Analyse von sozialkommunikativen Praktiken sind diese intentionalen Verben mit sozialen, kooperativen und kollektiven Funktionen besonders aufschlussreich (cf. Kapitel 12.4). Ganz im Sinne des Inferenzialismus veranschauliche ich außerdem, dass sich intentionale Verben nicht immer einwandfrei hinsichtlich ihrer Involviertheit von diskursiver Intentionalität analysieren lassen. Vielmehr weisen viele Verben nur nach inferenzieller Anreicherung eine Signifikanz diskursiver Intentionalität auf. Hier greift einerseits das Konzept der signifikativen Suffizienz und andererseits das theoretische Vokabular von subsentenzialen inferenziellen Relationen (EMSIFs, EMSIBs und EMSIIs). Indem ich die intentionalen Relationen hinsichtlich der subsentenzialen inferenziellen Relationen unterscheide, kann ich analysieren, welche Verben tatsächlich über eine signifikative Struktur verfügen, die die Involviertheit von diskursiver Intentionalität in diskursiven Praktiken ermöglicht (cf. Kapitel 12.5). Die Darstellung der relationalen Logik der intentionalen Relationen, der indirekten Transitivität sowie die Modellierung intentionaler Verben und deren Expansion mithilfe sozialer, kooperativer und kollektiver intentionaler Relationen und der subsentenzialen inferenziellen Gliederung führt dann zu einem ersten Entwurf einer linguistischen Verbpragmatik. Diese bildet das zu etablierende Forschungsprogramm und kann zeigen, welche Verben diskursive Intentionalität signifizieren bzw. die entsprechenden diskursiven Normen (im Modell) attrahieren 1 , die zur Beurteilung von Verhalten, Sachverhalten und Personen verwendet werden. Dieses Programm einer linguistischen Verbpragmatik unterscheidet sich dabei von verbsemantischen, -syntaktischen, und -grammatischen Analysen, weil es Effekte diskursiver Normen in den Mittelpunkt stellt. Es soll einen neuen Zugang zur Analysierbarkeit von sprachlichen, kommunikativen und sozialen Prozessen bieten, der über die Struktur des Verbs hinaus auch Interlokutoren und Diskursakteure, Handlungsstrukturen und diskursive Normen offenlegen kann (cf. Kapitel 12.6). 1 Der Begriff der Attraktion wurde bereits in Kapitel 3.1.2 eingeführt, soll hier aber kurz wiederholt werden: Attraktionen führen (kraft intentionaler Verben) dazu, dass etwas (Verhalten) oder jemand (Personen) an diskursiven (und zeitlich-räumlichen) Positionen des semiotischen Kontinuums durch entsprechende diskursive Normen beurteilbar wird. Damit ähnelt der Begriff dem Konzept des Deutungsmusters bzw. Interpretationsschemas, ist aber ein Modellbegriff, der unterhalb der tatsächlichen Interpretationsebene strukturstiftende Momente zu erfassen sucht. 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 203 12.1 Intentionale Verben - Spezifische Logik und affine Verbanalysen Intentionale Verben nehmen einen zentralen Status in der Analyse diskursiver Intentionalität ein. Um ihre Funktion in diskursiven Praktiken zu erklären, ist allerdings etwas Vorarbeit nötig. Denn intentionale Verben, wie sie im Weiteren entwickelt werden, folgen einer eigenen Signifikanzlogik. Diese Logik, die diskursiver Intentionalität und damit auch intentionalen Verben eine spezifische Funktion im Verstehen von Verhalten als Handlung zuweist, soll in diesem Kapitel demonstriert werden, um intentionale Verben anschließend von anderen bedeutungsähnlichen Verbbegriffen anzugrenzen. Damit können intentionale Verben als diskursive Elemente etabliert werden, die implizit Kraft entfalten. Die folgende Beschreibung und Modellierung intentionaler Verben findet damit nicht nur im Rahmen einer Analyse diskursiver Praktiken statt, sondern soll entlang einer bestimmten Erkenntnislogik entwickelt werden. Was vielleicht wie eine weitere theoretische Schleife wirkt, erklärt sich insbesondere dann, wenn man den Begriff der Intentionalität mit dem Begriff der Intention kontrastiert: Intentionen sind spezifische mentale Strukturen und Prozesse, die bestimmten ontologischen Annahmen unterworfen sind. Diskursive Intentionalität hingegen entfaltet sich entlang einer spezifischen Logik, die die Involviertheit diskursiver Normen priorisiert und damit deontologisch ist. Es handelt sich also um zwei unterschiedliche Perspektiven auf Sachverhalte der Wirklichkeit, die im Rahmen einer Analyse diskursiver Praktiken aber eine immanente Gliederung aufweisen. Aufgrund dieses Kontrasts muss diese Logik erkenntnistheoretisch skizziert und deren Konsequenzen zur Modellierung der diskursiven Intentionalität berücksichtigt werden. Dabei wird sich zeigen, dass diskursive Intentionalität eine diskursive Heuristik ist, deren virtuelle Logik sich aus einer doppelten Abstraktion, Abstraktion zweiter Ordnung bzw. hyperonymischen Abstraktion ergibt. Diese Entwicklung des deontisch-diskursiven Status von Intentionalität muss dann bei der Darstellung verschiedener und den intentionalen Verben durchaus affinen Verbanalysen herangezogen werden, wenn es etwa um diskursive Involviertheit von Intentionen und Intentionalität geht. Die Darstellung dieser Verbanalysen unterstützt einerseits die Abgrenzung zu anderen Theorien, zeigt aber zugleich Ähnlichkeiten auf. Insgesamt hilft die Betrachtung verschiedener Verbanalysen außerdem, das theoretische Feld intentionaler Verben zu begründen, ohne dabei die Möglichkeiten der Analyse von z. B. Sprechaktverben, Kommunikationsverben, psychologischen Verben und phänomenologischen Intentionalitätsverben zu vernachlässigen. Am Ende können somit nicht nur strukturelle und prozessuale Analogien erfasst, sondern auch theoretische Konsequenzen für das weitere verbpragmatische Forschungsprogramm formuliert werden. 12.1.1 Virtuelle Logik, diskursive Heuristik und hyperonymische Abstraktion Bevor ich mich der diskursiven Signifikanz intentionaler Verben zuwenden kann, möchte ich zunächst den Erkenntnisprozess und dessen Logik nachzeichnen, welche die Signifikanz diskursiver Intentionalität erkennbar machen. Diese Erklärung ist insofern notwendig, als dass sie den besonderen epistemischen Status diskursiver Intentionalität markiert. Denn wenn bisher, hier und im Folgenden von diskursiver Intentionalität gesprochen wurde, dann geht es nicht um Objekt, dass man anschauen oder wenden kann. Diskursive 204 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Intentionalität sollte vielmehr als eine auf diskursiven Normen beruhende Heuristik verstanden werden. Mithilfe einer auf Virtualität beruhenden Logik lässt sich diese Heuristik als aus Abstraktion bestehend verstehen, die auf der diskursiven Normativität unserer Praktiken beruht. Dieses epistemologische Verständnis von diskursiver Intentionalität schließt einerseits an Brandoms Verständnis von Intentionalität und der Involviertheit diskursiver Normen an, fusst aber zugleich auch auf Peirces Inferenz- und Zeichenbegriff als eine Art von Typenbildung. Ein Konzept virtueller Logik protegiert das Konzept der hyperonymischen Abstraktion, die veranschaulicht, dass diskursive Intentionalität nicht als ein Element von Kognition verstanden werden sollte, sondern dass sie verschiedene kognitive Heuristiken transversal durchzieht. Diese epistemologische Beschreibung diskursiver Intentionalität bestärkt das Argument eines Perspektivwechsels, der mit der Analyse diskursiver Intentionalität einhergeht: Diskursive Intentionalität ist weder semantischer noch kognitiver Gehalt, sondern signifikativ und damit ein Element dynamischer Erklärungsstrategien von Verhalten als Handlung. Wenn Brandom Intentionalität (mithilfe seiner Ontologie-Deontologie-Dichotomie) als deontisches Element diskursiver Praktiken erfasst, heißt das, dass sich deren Signifikanz nicht aus Verhalten ableiten lässt. Dennoch ist sie als Erklärungsstrategie im Rahmen diskursiver Praktiken nicht nur vorstellbar, sondern schlichtweg unerlässlich, um an dieser Praxis teilnehmen zu können. Dieser Erkenntnisprozess folgt daher zwei Annahmen: 1. Diskursive Intentionalität existiert nicht. Wenn Intentionalität also vorausgesetzt oder präsupponiert wird, dann handelt es sich um die Voraussetzung/ Präsupposition eines Abstraktums sowie dessen virtueller Logik. 2. Auch wenn diskursive Intentionalität im engeren Sinne nicht existiert, ist sie doch als diskursive Heuristik notwendig, um spezifische Ereignisse (hier insbesondere Verhalten) in diskursiven Praktiken zu erklären. Ausgangspunkt der folgenden Argumentation ist die begründete Überzeugung, dass Wirklichkeit ein differenter Ereignisraum ist, dessen signifikante Wahrnehmbarkeit kraft seiner Prägnanz, die “ dem Vorhandenen Bedeutung gibt ” (Brandt 2009: 106), entsteht. Entlang gestaltpsychologischer und phänomenologischer Prinzipien werden mannigfaltige Ereignisse kraft ihrer Prägnanz zu Zeichen. In diesem Ereignisraum finden nun Zeichenprozesse statt, die sich z. B. nach experimenteller, empirischer oder introspektiver Methode untersuchen lassen. Einige dieser Zeichenprozesse sind mit bloßem Auge wahrnehmbar und erkennbar, auch wenn nicht notwendigerweise ihre theoretischen Voraussetzungen verstanden werden müssen (z. B. bei Gravitation). Wenn man nun die epistemologische Granularität erhöht und Zeichenprozesse wählt, die mit menschlichen Sinnesapparaten nicht mehr hinreichend zugänglich sind, sondern Instrumente erfordern (z. B. Photo- oder Biosynthese), lassen sich diese Zeichenprozesse theoretisch ausdifferenzieren (cf. z. B. Hoffmeyer 2008), ohne dabei die Naturhaftigkeit dieser Prozesse zu bezweifeln. Das Verhältnis von Erkenntnisobjekt und theoretischer Modellierung bleibt distinkt. In einigen Momenten stößt man nun an Erkenntnisschwierigkeiten, da die untersuchten Erkenntnisobjekte nicht auf kausalen Naturprozessen, sondern auf normativen Prozessen beruhen. Sie sind nicht mehr unver- 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 205 mittelt zugänglich, sondern erfordern das Wissen über Regeln, Konventionen und Normen (im Sinne des knowing how), um ihre Zeichenhaftigkeit zu erfassen. Zu diesen Zeichen gehören auch viele kognitive Zeichenprozesse, die sich in ihrer Mannigfaltigkeit ereignen. Zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten finden diese Prozesse statt, sodass es eine Aufgabe der Forscher, Laien oder Experten ist, von einer zeitlich-räumlichen Dimension zu abstrahieren und die Ereignispraktiken zu bündeln. Hierzu müssen Forschende über eine Fähigkeit verfügen, die man im Sinne Jan Georg Schneiders als “ Typenbildungskompetenz ” (2009: 65 f.) bezeichnen könnte. Aus dem differenten Zeichenereignisraum lassen sich damit unterschiedliche Zeichenvorkommnisse unter Zeichentypen fassen. Es werden also Ähnlichkeiten aus den Zeichenvorkommnissen geschlussfolgert, um einen Typ aus der Zeichenpraxis zu erlernen. Dieses Schlussverfahren, das für die Analogiebildung zuständig ist, ist erkenntniserweiternd, sodass man von Ikonizität kraft Abduktion sprechen kann (cf. Minnameier 2010). Für spezifische kognitive Prozesse gilt: Zutage treten unterschiedliche Typen wie Überzeugung, Wunsch, Wissen oder Hoffnung, die sich systematisch durch ihre Differenz zueinander, aber auch durch ihre Analogie auszeichnen. Während sich Überzeugung und Wissen z. B. durch ihren epistemischen Status unterscheiden, gleichen sich Überzeugungen untereinander (als Zeichenvorkommnisse) in diesem, nehmen aber unterschiedliche Ereignisgestalten an, haben z. B. unterschiedliche semantische oder propositionale Gehalte. Diese abduktive Abstraktion, welche differente Ereignisse in einer ikonischen Relation zusammenführt, ist die erste notwendige Inferenz zur Heuristik diskursiver Intentionalität, eine Abstraktion erster Ordnung. Nachdem Forschende aus kognitiven Zeichenprozessen unterschiedliche Typen gebildet haben und sie nach Ikonizitätsprinzipien miteinander (Typ-Token-Relation) einerseits und der Differenz untereinander (Typ-Typ-Relation) andererseits klassifiziert haben, ist eine weitere epistemische Inferenz notwendig, um diskursive Intentionalität als Bedingung der Möglichkeit der Abstraktion erster Ordnung zu erkennen. Sie ist zwar bereits in der Abstraktion vom Zeichenereignisraum zur Typenbildung aufgehoben, muss aber expliziert werden: Die unterschiedlichen Typen, die aus dem Zeichenereignisraum expliziert wurden, sind nicht vollkommen unterschiedlich, sondern besitzen Eigenschaften und Merkmale, die sich abermals ähneln. Diese Erkenntnis rechtfertigt aber nicht die Bildung eines weiteren Typs, weil die analytische Präzision der Erkenntnis bei der Subsumierung verloren geht. Es wird also kein Typ der Typen (Metatyp) abduziert und damit die vorhergehende Typ-Token- Relation aufgelöst, sondern ein Typ von Eigenschaften und Merkmalen, der Token dieser Typ-Typ-Relation verbindet: Die Typen Überzeugung, Wunsch, Wissen und Hoffnung verbindet die Kategorie der Intentionalität, sodass Intentionalität als transversale Eigenschaft der Typen abstrahiert werden kann. Da hier nicht ein übergeordnetes Konzept, sondern lediglich Begriffe der Konzepte in Ähnlichkeitsrelation gebracht werden, kann diese zweite Abstraktionsebene auch hyperonymische Abstraktion genannt werden. Die hyperonymische Abstraktion ist damit eine Abstraktion zweiter Ordnung, die Niklas Luhmanns Beobachtung zweiter Ordnung (cf. z. B. Luhmann 1997) strukturell ähnelt und sich erst auf Basis der Beobachtung der Typen bildet. Diskursive Intentionalität ist damit kein Phänomen der Wirklichkeit im ontologischen Sinne, sondern ein Abstraktionsobjekt, welches kraft Hyperonymbildung entsteht. Sie produziert sich in abduktiver Analogiebildung. 206 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Abb. 5: Inferenzen vom Zeichenereignisraum zum Abstraktionsobjekt Aus der Akzeptanz dieses Modells, welches darstellt, wie diskursive Intentionalität aus hyperonymischer Abstraktion entsteht (und zwar für Forschende, TheoretikerInnen, aber auch für DiskursteilnehmerInnen), lässt sich je nach erkenntnistheoretischer wie theoriebildender Präferenz Folgendes ableiten: Entweder akzeptiert man den epistemischen Status der diskursiven Intentionalität, lehnt aber die weitere theoretische wie methodische Analyse der Intentionalität ab, da sie nur eine Abstraktion zweiter Ordnung sei. Man folgt damit Annahme 1., lehnt aber Annahme 2. (zumindest implizit) ab. Alternativ akzeptiert man den Erkenntnisgewinn, der in einer solchen Abstraktionsleistung auch für diskursive Praktiken liegt. Ein solcher Erkenntnisgewinn entsteht insbesondere dann, wenn man die Argumentation vom Ereignisraum zur hyperonymischen Abstraktion umkehrt und den Erkenntnisprozess von Intentionalität zum differenten Ereignisraum betrachtet: Wer erkennt, dass diskursive Intentionalität eine kraft Typenbildung und hyperonymischer 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 207 Abstraktion entstandene Heuristik ist, der kann kaum bezweifeln, dass sich die Heuristik auf allerlei Zeichenprozesse im Ereignisraum (z. B. Verhalten) anwenden lässt. Diese methodologische wie erkenntnistheoretische Kehre zeigt, dass auch, wenn Intentionalität nicht realiter notwendig ist, sie doch als analytische Rekonstruktion Erklärungen von Verhalten liefern kann. Wenn es eine Menge kognitiver Zeichenprozesse gibt, die sich als Zeichenvorkommnisse unterscheiden, aber die Eigenschaft der diskursiven Intentionalität teilen, dann lässt sich ebenso festhalten, dass die Existenz, die kraft der analytischen Rekonstruktion entsteht, die Bedingung ist, um sie überhaupt in Ähnlichkeitsrelationen setzen zu können bzw. voneinander abgrenzen zu müssen. Denn Abgrenzungen sind nur dort notwendig, wo zwei Zeichen oder Zeichenprozesse potenzielle Ähnlichkeiten aufweisen: Zahnbürsten und Froschlaich müssen schlichtweg nicht voneinander abgegrenzt werden, da bereits vor dem Erkenntnisprozess keiner Ähnlichkeitsbeziehung zwischen den beiden Entitäten besteht, sieht man von ontologischen Bedingungen wie Existenz einmal ab. Intentionalität ist damit eine Bedingung der Möglichkeit (cf. Kant 1997), um überhaupt die systematischen Analogien differenter kognitiver Zeichenprozesse in diskursiven Praktiken zu erfassen. Erst durch die analytische Präsenz von Intentionalität als kompositionales Element lassen sich dann auch unterschiedliche kognitive Zeichenprozesse verstehen, die eine gemeinsame Eigenschaft teilen. Die Typen intentionaler Einstellungen sind unterschiedliche Zeichenereignisse, stehen aber gerade in ihrer Variation des gleichen Abstraktionsthemas in einer sie konstituierenden Differenz. Eine entsprechende Analyse diskursiver Intentionalität kann nun aber nicht auf ihrem Abstraktionsobjekt verweilen, sondern muss sich sowohl der Typen als auch der Token bedienen, aus der sich das Abstraktionsobjekt erkenntnistheoretisch ergeben hat. Eine Analyse diskursiver Intentionalität, die ihren erkenntnistheoretischen Prozess vergessen hat, gerät in die Gefahr, zum Abstraktionsthema ohne Variationen zu werden und die entsprechenden Erkenntnisse nicht mehr in Hinblick auf die Praxis der Zeichentypen und -token zu betrachten. Hierzu ist eine Zeichenlogik notwendig, die die Intentionalität der Zeichenvorkommnisse von anderen Zeichen unterscheidet und gleichzeitig über die spezifischen propositionalen Einstellungen hinaus das Abstraktionsobjekt analysiert. Diese Zeichenlogik muss einen Schritt weitergehen als Jacques Derrida (2001: 40), welcher ein Typ-Token-System nur für spezifische intentionale Einstellungen fordert, also in einer Abstraktion erster Ordnung verbleibt: Eine Logik der Intentionalität muss nicht nur Intentionen, sondern auch andere Typen von intentionalen und propositionalen Einstellungen analysieren können. Um sowohl dem Faktum Rechnung zu tragen, dass Intentionalität ein Abstraktionsobjekt zweiter Ordnung, aber zugleich eine Bedingung der Möglichkeit ist, muss eine solche Logik durchaus dialektisch entwickelt werden. Setzt sie zu formal an, dann vergisst sie, die Mannigfaltigkeit der Zeichenpraxis zu berücksichtigen, setzt sie allein am Zeichengebrauch an, entgleitet ihr die Abstraktion. Eine Möglichkeit, weder im Formalen noch im Konkreten zu verweilen, ist, eine virtuelle Zeichenlogik zu entwickeln, die dem Zwischenraum dieses Spektrums Rechnung trägt. Um den Begriff der Virtualität zu erfassen und in Einklang mit einem semiotischen Pragma- 208 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben tismus zu bringen, ist ein Blick in das Dictionary of Philosophy and Psychology (1902) sinnvoll, in welchem Peirce das Adjektiv virtual definiert: (1) A virtual X (where X is a common noun) is something, not a X, which has the efficiency (virtus) of an X. This is the proper meaning of the word; but (2) it has been seriously confound with ‘ potential, ’ which is almost is contrary. For the potential X is of the nature of X, but is without actual efficiency. (V: 763, Hervorh. im Original) Die Differenz von Virtualität und Möglichkeit ist ganz im Sinne der hyperonymischen Abstraktion, da Möglichkeiten auf der Ebene der Zeichenvorkommnisse anzusiedeln sind. Möglichkeiten ähneln damit den Qualizeichen, die allein der Qualität von Zeichen dienen, aber ihre Ereignishaftigkeit nicht markieren (PLZ: 123) und damit eine “ bloße Möglichkeit ” (PLZ: 60, Hervorh. im Original), eine “ Erstheit ohne Zweitheit ” (ebd.) sind. Virtualitäten sind keine Möglichkeiten, sondern stellen vielmehr eine als ob-Modalität dar, ohne sie als Derivat zu betrachten. Im Sinne einer Logik der Intentionalität sollte man also so analysieren, als sei Intentionalität realiter vorhanden - und sie ist es tatsächlich auch innerhalb der virtuellen Logik diskursiver Praktiken - , muss sich aber stets bewusst sein, dass Intentionalität innerhalb dieser spezifischen Modalität operiert. Die virtuelle Logik der Intentionalität unterscheidet sich damit auch von der Virtualität in Ferdinand de Saussures Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, der die Virtualität sprachlicher Zeichen als deren vorgängige Systematizität versteht, die “ in jedem Gehirn existiert ” (Saussure 2001: 16). Die virtuelle Logik der Intentionalität muss sich aus den Normen diskursiver Praktiken ergeben und ist damit diskursiv motiviert. Virtualität wird demnach als Zeichenmodalität im Gebrauch konstituiert, die zwischen einer in actu- Wirklichkeit der Zeichen und der Logik liegt. Die virtuelle Logik und das Konzept der hyperonymischen Abstraktion können also aufzeigen, welche Status diskursive Intentionalität als Heuristik hat: Sie dient einerseits der Differenzierung zwischen diskursivierten Objekten und anderen Objekten, gliedert aber zugleich auf die diskursivierten Objekte. Diskursive Intentionalität durchzieht einige dieser Erkenntnisobjekte, z. B. propositionale Einstellungen, als Signifikanz diskursiver Normen. Mit dieser Differenzierung und Gliederung von diskursiver Intentionalität geht einher, dass diskursive Intentionalität nicht unmittelbar gesucht, gefunden oder betrachtet und damit auf rein kognitive Aspekte reduziert werden kann. Denn die Gliederung auf Basis diskursiver Normen bedeutet auch, Intentionalität als sozial-kommunikative Emergenz zu begreifen, die allenfalls als Spur zugänglich ist. Die Analyse intentionaler Verben sowie das Verständnis von Intentionalität als diskursiver Signifikanz, wie sie in Kapitel 12 verfolgt wird, beruht eben auf dieser grundlegenden Annahme. 12.1.2 Sprechaktverben, Kommunikationsverben, psychologische Verben und phänomenologische Intentionalitätsverben Im Mittelpunkt der folgenden Analyse steht das Konzept des intentionalen Verbs. Während die bisherigen Reflexionen insbesondere die Eigenschaftsstatus von diskursiver Intentionalität beleuchtet haben, wird in diesem Kapitel das Verb als Zeichen diskutiert. Die Beschreibung der virtuellen Logik und der hyperonymischen Abstraktion wird hierzu auf Zeichen angewandt, die als Verben gelten können, also nicht nur Verben in ihrer grammatischen Form, sondern auch Deverbalisierungen. Über die Sondierung verschie- 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 209 dener Theorien, in denen Verben eine wichtige Rolle spielen, möchte ich aufzeigen, dass ein Blick auf Verben, der durch virtuelle Logik geschieht, zu anderen semiotischen Konsequenzen in der Analyse diskursiver Intentionalität führt, eine Perspektive, die ich in weiteren Kapiteln erarbeite. Im Folgenden geht es aber zunächst darum, das Konzept des intentionalen Verbs als distinkt zu etablieren. Sprechakttheorie und Verbsemantik haben auf unterschiedliche Weisen Verbanalysen durchgeführt und betrachten außerdem das Verhältnis von Verben, Handlungen und Kognition. Insofern könnte sich eine Analyse der diskursiven Signifikanz von intentionalen Verben bereits auf eine ausführliche und differenzierte Tradition berufen. Dass aber weder Sprechaktnoch Verbanalyse bisher eine Klasse intentionaler Verben entwickelt haben, die der hier beschriebenen virtuellen Zeichenlogik folgen, werde ich bei einer exemplarischen Darstellung verschiedener wissenschaftlicher Erkenntnisse im Umfeld von Handlung, Verb und Kognition zeigen. Trotz nuancierter Unterschiede können sie die Modellierung und Analyse intentionaler Verben aber grundlegend bereichern und positionieren die Verbpragmatik gleichzeitig im wissenschaftlichen Feld. Schon John Austin entwickelt in Anschluss an seine Sprechakttheorie eine Analyse von Verben, “ die die illokutionäre Rolle einer Äußerung explizit machen ” (Austin 2002: 168, Hervorh. im Original). Abgesehen von Austins intentionalistischer Orientierung zeigt er auf, dass Verben für einen Hinweis auf Illokutionen einen entsprechenden Wert haben. Austins Klassifizierung in verdiktive, exerzitive, kommissive, konduktive und expositive Äußerungen (cf. Austin 2002: 168 f.) stellt eine ausführliche Liste von Sprechakttypen dar und führt auch eine Liste von Verben an, die die jeweiligen Sprechakte anzeigen. Insofern erscheint Austins Analyse von Sprechaktverben zunächst als ein ausgezeichneter Beginn zur Analyse intentionaler Verben. Trotz der offensichtlichen Verbundenheit von Sprechaktverben und intentionalen Verben sind diese nicht kongruent, was sich u. a. am vorgeschlagenen Test zur Analyse sprachlicher Performanz Austins erkennen lässt. Austin schlägt vor, Verblexika zu nutzen und die extrahierten Verben in die erste Person Indikativ Präsens Aktiv zu setzen, um zu untersuchen, ob sie Sprechakte explizieren (cf. Austin 2002: 168). Dieser Test scheint für sprechakttheoretische Zwecke zunächst angemessen, weil er die illokutionäre Kraft zunächst von sprachlichen Zeichen entkoppelt, ihnen aber eine Hinweisfunktion zuweist. Verblexika könnten durchaus hilfreich sein bei einer Untersuchung der Lemmata, weil sie von diskursiven Praktiken unabhängig sind. Intuitiv scheint dieser Test auch auf intentionale Verben (oder zumindest eine Teilklasse dieser) anwendbar zu sein, doch erweist sich dieser Test aus mehreren Gründen als nicht hinreichend: Bereits anhand der Unterscheidung der fünf Sprechaktklassen ist zu erkennen, dass Austin mit seinem Test formelhafte Äußerungen (mit integriertem Verb) hinsichtlich ihrer illokutionären Rolle untersucht. Verben dienen dabei lediglich als Hinweismarker. Damit analysiert Austin Äußerungen und deren Verhältnis zu illokutionären Rollen, aber nicht sprachliche Zeichen auf subsentenzialer Ebene. Anstatt pragmatische, normative, diskursive bzw. performative Signifikanz von sprachlichen Zeichen zu betrachten, verbleibt Austin auf propositionaler Ebene der Äußerungen. Die Markierung der illokutionären Rollen mithilfe des Verbs wird in Austins Test (ganz im Sinne des Fokus auf die propositionale Ebene) durch die Integration eines latenten Personmarkers ergänzt, welcher mittels des Verbs entweder die erste Person Indikativ 210 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Präsens Aktiv oder alternativ die zweite oder dritte Person (Singular und Plural) im Passiv (Austin 2002: 77) ist. Während ersterer eine Handlungsposition eindeutig markiert, ist diese in den Passivkonstruktionen zumindest latent vorhanden. Hiermit findet die strukturelle Vorgeordnetheit der illokutionären Rolle seine sprecherInzentrierte Erfüllung, sodass die performative Signifikanz der Sprechaktverben bei Austin sich nicht aus dem Verb selbst, sondern aus der Positionierung von Sprechern ergibt. Insofern ist Austins Sprechakttest im engeren Sinne keine Analyse von Sprechaktverben, sondern vielmehr eine indiziengeleitete Beschreibung von Äußerungen und ihren illokutionären Rollen, wobei auch hier eine Kritik an der Vorkodierung der Verben greift (cf. Henn-Memmesheimer 2006: 203, Kapitel 7.2). Die Markierung der ersten Person Indikativ Präsens Aktiv als auch der zweiten und dritten Person im Passiv ist theoretisch keineswegs so unschuldig, wie es der Test Austins nahelegt, sondern hat signifikative Folgen für die pragmatische Signifikanz von Äußerungen. Wenn die Markierung auf Interlokutoren verweist (wie im Test Austins), dann impliziert diese bereits diskursive Intentionalität, weil sie als interpretierende intentionale Systeme* (IIS) anerkannt werden. Es kann nicht mehr zwischen einer pragmatischen Signifikanz des Verbs und einer vorgeordneten Intention unterschieden werden. Mit Austins Test kann außerdem zwar - mehr oder weniger genauer - bestimmt werden, welche Äußerung mithilfe des entsprechenden Verbs welcher Sprechaktklasse zugewiesen werden kann, doch bleiben inferenzielle Folgen und Umstände der Äußerung (abgesehen vom perlokutionären Effekt) ausgeklammert. Eine Analyse von Sprechaktverben legt letztlich erst Zeno Vendler vor, indem er seine Klassifikation der Aktionsarten (cf. hierzu Vendler 1957) 2 auf Sprechaktverben überträgt. Während Austin noch bei Äußerungen und ihren illokutionären Rollen ansetzt, untersucht Vendler tatsächlich Verben, sodass sich die Perspektive bei Vendler vom Sprechakt auf die Struktur des Verbs verschiebt. Vendler stellt fest, dass Austins performative Verben den Verben von propositionalen Einstellungen ähneln würden, denn sie würden neben der Nominativposition nicht nur ein einfaches Substantiv bzw. Objekt, sondern auch einen (latenten) subordinierten Satz fordern (cf. Vendler 1972: 11). Hinsichtlich der Aktionsart allerdings würden sich performative Verben von Verben propositionaler Einstellungen unterscheiden. Während erstere achievement verbs seien, seien zweitere state verbs (cf. Vendler 1972: 14). Andere achievement verbs wie erkennen hingegen, die propositionale Einstellung bzw. subordinierte Sätze involvierten, würden aber nicht zur Klasse der performativen Verben gehören (cf. Vendler 1972: 15). Somit lasse sich ein Verhältnis zwischen Aktionsarten, performativen Verben und Verben propositionaler Einstellungen feststellen: Alle performativen Verben würden propositionale Einstellungen involvieren, sodass sie sich unter die Klasse der propositionalen Einstellungsverben subsumieren lassen, wobei sich die Klasse wiederum binnendifferenziert: “ (a) performatives, with achievement time-schema and unmodified first person singular present occurrence; (b) the decide-group with the same time-schema but no such present occurrence; (c) propositional attitude verbs with the state time-schema ” (Vendler 1972: 16, Hervorh. i. Orig). Zu (a) gehören demnach 2 Vendler unterteilt Verben in Verbs and Times (1957) in vier Aktionsarten: Activities sind dynamisch, durativ und atelisch (ohne Kulminations- oder Endpunkt des Ereignisses), accomplishments sind dynamisch, durativ und telisch (mit Kulminations- oder Endpunkt des Ereignisses), achievements sind dynamisch, punktuell und telisch und states sind statisch, durativ und atelisch. 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 211 performative Verben wie behaupten, schwören oder warnen, zu (b) entscheiden, erkennen, verstehen oder identifizieren, die zwar Ähnlichkeiten zu performativen Verben aufweisen, aber keine Kopräsenz von Verb und Performanz erfordern, und zu (c) propositionale Einstellungsverben wie denken, glauben oder wünschen. Vendlers Erweiterung der Verbanalyse auf propositionale (Einstellungs-)Verben ist erkenntnisfördernd, weil sie sich von illokutionären Rollen und Sprechakten distanziert und allgemeinere Verbanalysen ermöglicht. Sie zeigt, dass sich Involviertheit von propositionalen Einstellungen und Gehalten nicht auf performative Verben bzw. den Handlungsvollzug beschränkt. Auch wenn Vendlers Klassifikation von propositionalen Einstellungsverben in Teilen skizzenhaft bleibt, ermöglicht sie doch die Analyse ohne Rekurs auf die erste Person Singular Aktiv Präsens respektive Passiv der zweiten und dritten Person. Damit kann sich ganz der Signifikanz des Verbs gewidmet und weitere, dem Verb eher externe grammatische Markierungen, können zunächst vernachlässigt werden. Trotz einer ausführlichen Analyse propositionaler Einstellungsverben lässt sich Vendlers Verbanalyse nur bedingt auf intentionale Verben anwenden. Vendler beschränkt sich zurecht mit seiner Unterscheidung von performativen und propositionalen Verben auf Ereignisse und Ereignistypen, wenn er seine Aktionsartenkategorien auf diese anwendet. Die Logik intentionaler Verben hingegen lässt sich nicht auf die Aktionsarten Vendlers beschränken, sondern ist kraft ihrer normativen Struktur diskurssensibel, sodass Aktionsarten nicht lexikalisch zugeordnet werden können. Die Abstraktion der Typenbildung, wie sie Vendler betreibt, reicht zur Erfassung intentionaler Verben nicht aus, sondern muss um eine Abstraktionsebene ergänzt werden, um als diskurssensitive Heuristik erklärt zu werden. Letztlich lässt sich für jede Aktionsart auch ein intentionales Verb finden, wobei die meisten (insbesondere bei praktischen Festlegungen) wohl activities, accomplishments und ggf. noch achievements sind. Intentionale Verben können aber auch states sein (z. B. schweigen). Dies liegt daran, dass die Ereignisstruktur und -deskription, die das Vokabular der Aktionsarten leisten sollen, sich auf Ebene der Ereignisverursachung und nicht auf der Ebene der normativen und pragmatischen Signifikanz bewegen. Es werden Strukturen einer Ereignissemantik erklärt, aber nicht die Effekte einer diskursiven Signifikanz in diskursiven Praktiken. Die fehlende Analyse der normativen und pragmatischen Signifikanz von Verben und ihrer diskursiven Rollen lässt sich auch in einer kognitionslinguistischen Nachfolge Zeno Vendlers nachzeichnen: William Croft (2012: 173 f.) entwickelt z. B. mithilfe von Leonard Talmys Force-Dynamic Relations (cf. z. B. Talmy 1976, 1988) eine Theorie der kognitiven Argumentrealisation. Das Konzept der volitionalen Kausation, welches die prototypische semantische Rolle AGENS impliziert (cf. auch Dowty 1991), zeichnet sich z. B. nicht durch diskursive Normen aus, sondern durch mentale Verursachung mit einem physikalischen Folgeereignis: “ Volitional causation: mental initiator, physical endpoint ” (Croft 2012: 200, Hervorh. im Original). Hier greift der bereits eingeführte Unterschied zwischen Ereignisverursachung durch Volition und diskursiver Intentionalität (cf. Kapitel 6.3) Im deutschsprachigen Raum haben sich insbesondere Gisela Harras et al. (cf. z. B. Grabowski/ Harras/ Herrmann 1996, Harras 2001 b, Harras 2004, Harras et al. 2004, Harras/ Winkler/ Proost 2004, Proost 2006, 2007, Proost/ Winkler 2006, Proost/ Harras/ Glatz 2006) 212 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben um die konzeptuelle Ausarbeitung von propositionalen Verben, performativen Verben, Kommunikations- und Sprechaktverben verdient gemacht (cf. jüngst aber auch Harendarski 2021 a). Im Rahmen der Forschungsprojekte Erklärende Synonymik kommunikativer Ausdrücke und Tendenzen der Lexikalisierung kommunikativer Konzepte wurde nicht nur ein wesentlicher Beitrag zu kategorialen Aspekten von Kommunikationsverben geleistet. Vielmehr sind diese Verben auch im Handbuch deutscher Kommunikationsverben zusammengeführt worden. Das Handbuch bietet dabei nicht nur einen Verbkorpus, sondern systematisiert auch die illokutionären Kräfte, die von Verben markiert werden. In Anschluss an sprechakttheoretische Vorannahmen, die sich insbesondere in Kommunikationsverben. Konzeptuelle Ordnung und semantische Repräsentation (Harras 2001 b) finden lassen, fasst die Kommunikationsverbanalyse vier wesentliche kategoriale Aspekte: 1. den Aspekt des propositionalen Gehalts 2. den Aspekt der propositionalen Einstellung des Sprechers 3. den Aspekt der intentionalen Einstellung des Sprechers 4. den Aspekt der Vorannahmen des Sprechers (cf. Harras 2001 a: 28) Die Analyse von Kommunikationsverben entfällt also insbesondere auf die verschiedenen propositionalen Einstellungen und Gehalte, wobei die intentionale Einstellung ebenso wie die Vorannahmen (z. B. in Form von Hintergrundüberzeugungen) gesondert aufgeführt werden. Die verschiedenen illokutionären Kräfte und perlokutionären Effekte ergeben sich dann aus den verschiedenen Aspekten. Hier gliedern sich die verschiedenen Aspekte von Kommunikationsverben nicht nur aus, sondern bieten auch einen systematischen Überblick über die Vielfalt von Verben in diskursiven Praktiken. Nichtsdestotrotz ist auch die Übernahme der Analyse der Kommunikationsverben für intentionale Verben nur bedingt möglich. Zwar markiert die Forschungsgruppe um Gisela Harras die unterschiedlichen Einstellungen und Gehalte, die für Kommunikationsverben relevant sind, doch ist die SprecherInzentrierung nicht nur latent, sondern ganz explizit ein Element der verbanalytischen Aspekte. Kommunikationsverben dienen damit auch hier als kommunikative Indizien für tatsächlich wirksame propositionale sowie intentionale Einstellungen und Gehalte. Zugleich besteht das Interesse in der Beschreibung spezifischer Kommunikationsverben und ihrer verschiedenen Klassen, aber nicht in der übergeordneten Deskription intentionaler Verben. Dennoch lässt sich festhalten, dass die meisten Kommunikationsverben auch intentionale Verben sind, insofern, dass sie eine pragmatische Signifikanz zur Deskription von Verhalten aufweisen. Dies gilt allerdings nicht notwendigerweise für Verben wie brüllen, zumindest dann nicht, wenn man es nicht als modales Kommunikationsverb klassifiziert. 3 Die Ausweitung der Analyse von Sprechaktverben auf Kommunikationsverben ist außerdem insofern sinnvoll, als dass der erste Band des Handbuchs deutscher Kommunikationsverben nicht nur die klassischen Sprechaktverben (Repräsentative, Direktive, 3 Hier unterscheiden sich brüllen 1 (i. S. v. “ Der Löwe brüllt. ” ) und brüllen 2 (i. S. v. “ Der Kompaniechef brüllt. ” ). Denn brüllen 2 als modales Kommunikationsverb impliziert einen latenten propositionalen Gehalt und steht damit inferenziell im Verhältnis zu einem vollwertigen sozialen Kommunikationsverb wie z. B. befehlen. Somit lässt sich die signifikative Struktur eher auf das implizite intentionale Verb zurückführen als auf den Modus der Kommunikation. 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 213 Kommissive, Expressive, Deklarative) erfasst, sondern außerdem allgemeine verba dicendi, gesprächs- und themenstrukturierende, Redesequenz-, modale, mediale, kommunikationseröffnende und -abschließende Verben erfasst. Somit ist die Klasse der Kommunikationsverben umfassender als die Klasse der performativen bzw. Sprechaktverben, wie sie noch bei Austin oder Vendler zu finden ist. Für eine Reflexion der theoretischen Grundlagen, die in dieser Arbeit vorgenommen wird, ist insbesondere das theoretische Verhältnis von Kommunikationsverben und Intentionalität interessant, welches die Grundlage der Modellierung von Kommunikationsverben der Gisela-Harras-Forschungsgruppe bildet. Insgesamt lassen sich aber nur vereinzelt Hinweise finden, die auf den Intentionalitätsbegriff verweisen und das Verhältnis zu Kommunikationsverben erfassen. Ein Anhaltspunkt lässt sich in der Definition von Kommunikationsverben finden: “ Kommunikationsverben sind Verben, die kommunikative Akte bezeichnen, welche mit sprachlichen Mitteln ausgeführt werden. ” (Glatz 2001: 33) Laut Glatz besteht also ein Bezeichnungsverhältnis zwischen kommunikativen Akten und Kommunikationsverben. Dies legt nahe, dass auch zwischen propositionalen und intentionalen Einstellungen, wie sie die Gisela-Harras-Forschungsgruppe beschreibt, und sprachlichen Zeichen ein repräsentationales Verhältnis besteht. Damit benennen Kommunikationsverben kommunikative Akte, aber konstituieren sie nicht kraft ihrer pragmatischen und normativen Signifikanz. Den sprachlichen Zeichen kommt allein eine Mittelfunktion zu, um die propositionalen und intentionalen Einstellungen auszudrücken. Eine Diskussion des Intentionalitätsbegriffs findet sich bei Gisela Harras insbesondere in ihren früheren Schriften, die der Erstellung des Handbuchs deutscher Kommunikationsverben zwar vorausgehen, aber dennoch als diesbezüglich einflussreich gelten können. Binsenweisheit sei nach Harras (1996: 67), dass Menschen “ mit dem, was sie sagen, oder dadurch, daß sie etwas Bestimmtes sagen, eine bestimme Wirkung auf ihre Adressaten ausüben ” und dass die “ Struktur der Sprache als angelegte Sprachfähigkeit und die Struktur der Sprachen als parametrisierte (Grammatiken von) Einzelsprachen [ … ] unabhängig von der Möglichkeit ihres Gebrauchs untersucht werden ” können. Sprachtheoretisch verortet sich Harras hiermit sowohl in der intentionalistischen Tradition als auch (mit ihrer strikten Trennung von Sprachsystem und Sprachgebrauch und der Hervorhebung der veranlagten Sprachfähigkeit) im Strukturalismus der Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft (cf. Saussure 2001) oder der generativen Grammatik (cf. z. B. Chomsky 2002). Auch wenn Harras den Strukturalismus (Genfs und Nordamerikas) durchaus kritisch beurteilt, behält sie doch die strikte Unterscheidung von sprachlichen Zeichen, Intentionalität und Normativität bei: “ Konventionen müssen - im Unterschied zu genetisch vorgeprägten Strukturprinzipien von Sprache - im Sozialisationsprozeß erlernt werden ” (Harras 1996: 83), heißt es, ohne die konstitutive Kraft von sprachlichen Zeichen in der Genese von Konventionen zu reflektieren. Auch für Intentionalität möchte Harras grade nicht behaupten, “ daß das Konzept der Intentionalität als solches erlernt werden muß, sondern lediglich das Konzept der kommunikativen Intention ” (Harras 1996: 83), sodass sich “ die Frage nach der Intentionalität in all den Fällen nicht [stellt], in denen das, was der Sprecher meint, von der Bedeutung seiner verwendeten Ausdrücke determiniert wird ” (Harras 1996: 85). 214 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Die Vorgeordnetheit der Intentionalität des Menschen verbindet Harras außerdem mit einer fundamentalen Autorität der ersten Person (cf. Harras 2004: 143 f.). Zwar würden alle Menschen über Intentionalität verfügen, aber die Performativität sei der ersten Person vorbehalten. Deshalb werden Sprechakt- und Kommunikationsverben auch in der ersten Person Indikativ Aktiv Präsens analysiert, ganz in sprechakttheoretischer Tradition. Allerdings liegt eben hier die Problematik der Analyse und Klasse von Kommunikationsverben. Da Intentionalität vorausgesetzt wird, kann diese auch in jeglichen Gebrauch des untersuchten Verbs hineinprojiziert werden. Bei genauerer Betrachtung ist aber bereits bei der Verschiebung in z. B. die dritte Person Indikativ Aktiv Präsens weder notwendigerweise eine propositionale oder intentionale Einstellung involviert noch diskursive Intentionalität impliziert: Einige modale Kommunikationsverben wie schreien werden mithilfe der SprecherInautorität zum Kommunikationsverb, wenn also ein intentionaler bzw. propositionaler Gehalt der kommunikativen Instanz zugeschrieben wird. Schreien selbst ist aber nicht hinreichend für intentionale Handlungen. Die Grenze zwischen Verhalten und intentionalen Handlungen kann somit nicht allein mithilfe der Kommunikationsverben untersucht werden, wobei Kommunikationsverben häufig Intentionalität zuschreiben. Auf Basis des theoretischen Fundaments von Harras ist eine solche Unterscheidung von Verhalten, kommunikativen und intentionalen Handlungen nicht zwingend notwendig, da Intentionalität sowieso vorausgesetzt wird. Wenn allerdings die Genese von Intentionalität in diskursiven Praktiken untersucht werden soll, muss eine entsprechende Trennung notwendigerweise vorgenommen werden. Das Handbuch deutscher Kommunikationsverben ist dennoch eine ausführliche Sammlung von Verben in der Kommunikation und bietet für die Analyse von intentionalen Verben nicht nur einen Verbkorpus, sondern hilft auch, die Unterscheidung von Kommunikations- und intentionalen Verben zu treffen: Nicht alle Kommunikationsverben sind intentionale Verben und nicht alle intentionalen Verben sind Kommunikationsverben. Neben der Untersuchung von Sprechakt- und Kommunikationsverben ist insbesondere die Analyse von psychologischen Verben und phänomenologischen Intentionalitätsverben 4 hervorzuheben, da diese sich ebenfalls mit mentalen Prozessen und deren Involviertheit in Tätigkeitsbzw. Wahrnehmungsdeskription auseinandersetzen. Diese Verben verfügen weder notwendigerweise über eine pragmatische Signifikanz, noch schließen sie eine bestimmte diskursive Relevanz ein, doch ist ihre Struktur den intentionalen Verben in vielen Belangen ähnlich. Psychologische Verben wie sehen, hören, hoffen oder denken fordern ein entsprechendes Objekt (z. B. ein Kognitions- oder Wahrnehmungsobjekt), welches in Form von Substantiven, Nominalphrasen oder subordinierten Sätzen bzw. (latenten) propositionalen Gehalten in sprachlichen Strukturen oder Prozessen auftritt (cf. Geach 1957: 1). Phänomenologische Intentionalitätsverben fordern außerdem ein intentionales Objekt, welches 4 Traditionell werden diese Verben ebenfalls intentionale Verben genannt (cf. z. B. Moltmann 2008, 2015). Um Missverständnisse zu vermeiden, werde ich an Textstellen, die sowohl den Gebrauch von phänomenologischen als auch von diskursiven Intentionalitätsverben nahelegen, die entsprechende Eigenschaft explizit markieren. 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 215 sich sprachlich als Akkusativbzw. Dativobjekt präsentiert (cf. Anscombe 2014 a: 235). 5 Der wesentliche Unterschied zwischen psychologischen Verben und phänomenologischen Intentionalitätsverben liegt in der vektoriellen Ausrichtung, in der Involviertheit ihrer Objekte, die sich z. B. über semantische Rollen modellieren lassen. Während der phänomenale Prozess phänomenologischer Intentionalitätsverben auf ein intentionales Objekt gerichtet ist, fordern psychologische Verben diese vektorielle Ausrichtungshierarchie nicht und strukturieren sich bezüglich ihres Objekts egalitär. Psychologische Verben zeichnen sich daher auch durch EXPERIENCER - und THEMA bzw. OBJEKT -Rollen aus (cf. z. B. van Voorst 1992, Alexiadou/ Iord ă chioaia 2014): Das Verhalten sehen lässt sich damit mithilfe eines psychologischen Verbs beschreiben, während sich zusehen mithilfe eines phänomenologischen Intentionalitätsverbs explizieren lässt. Die semantischen Rollen, die Argumentrealisation bzw. die Forderung von grammatischen Objekten und die impliziten Eigenschaften von phänomenologischen Intentionalitätsverben sind vielfach diskutiert worden, da die Relation zwischen Subjekt und Objekt - also die phänomenologische Intentionalitätsrelation - sich schwieriger modellieren lässt als die von psychologischen Verben. Während psychologische Verben kausale Relationen beschreiben, implizieren phänomenologische Intentionalitätsverben eine diskursive Signifikanz, die es darzustellen gilt. Anscombe (2014 a: 232) fasst diese Signifikanz in ihren drei Merkmalen von Intentionen zusammen, die auch auf phänomenologische Intentionalitätsverben zu übertragen sind: Erstens sind Handlungen nur unter Deskription als intendierte zu verstehen, zweitens sind diese Deskriptionen vage und unterbestimmt und drittens muss die Beschreibung der Handlung nicht wahr sein, sodass Fehlausführungen von Handlungen ebenfalls unter die Definition fallen. Während also z. B. die Objekte von psychologischen Verben notwendigerweise existieren, kann die objektale Erfüllung von phänomenologischen Intentionalitätsverben unterspezifiziert oder imaginiert bleiben. Außerdem involviert das von phänomenologischen Intentionalitätsverben beschriebene Verhalten eine Misslingensmöglichkeit, welche bei psychologischen Verben nicht besteht. T. L. Short führt diese Qualität von phänomenologischen Intentionalitätsverben aus, indem er über die Darstellung G. E. M. Anscombes hinausgeht: Consider the transitive verbs ‘ throw ’ and ‘ look for ’ . What is thrown must exist, what is looked for need not exist. There are grammatical contexts in which neither verb takes an object that must exist, for example, ‘ Joe does not throw a ball ’ , ‘ Joe should throw a ball ’ , ‘ Grandpa would like to see Joe throw a ball ’ . And there are ways of specifying the object ( ‘ the ball ’ , ‘ his ball ’ ) that imply its existence in any case. But in the grammatically simplest singular affirmations where the object is indefinite ( ‘ a ball ’ ), the difference between these two verbs is clear. From ‘ Joe throws a ball ’ , we may infer that a ball exists; from ‘ Joe looks for a ball ’ , that same inference may not be made. We shall call any verb of the latter kind ‘ intentional ’ , regardless of the context in which it occurs. A parallel distincton [sic! ] can be made between verbs ( ‘ believes that ’ , ‘ sees that ’ ) that take propositional objects, the question being whether, in a simple singular affirmation, the proposition may be inferred. (Some verbs, e. g., ‘ disproves ’ , license inference to the denial of the propositional object; for our purposes, we may, for the sake of simplicity, mandate restatement by which, e. g., ‘ S disproves p ’ is replaced by ‘ S proves not-p ’ , making p's negation the propositional object.) 5 Das philosophische bzw. phänomenologische Kriterium des Akkusativbzw. Dativobjektes ist linguistisch nicht besonders relevant und kann sogar irreführend sein: Denn alle zweistelligen Verben fordern, ganz unabhängig von phänomenaler Intentionalität, entsprechende grammatische Objekte. 216 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Wrapping up the two cases together, let us say that a verb is intentional if its use in simple singular affirmations does not license an inference that its object, if indefinite, exists or, if propositional, obtains. This definition is stipulative and not subject to disproof by counterexample (of course, it might be open to other kinds of objection). It makes no difference that many verbs used to ascribe intentionality are not by this definition intentional. It makes no difference that instances can be found of verbs that are intentional by this definition, for example, ‘ wants ’ , that are not invariably used to ascribe intentionality ( ‘ This frying pan wants a handle ’ ). The claim is that something possesses intentionality if it cannot fully be described without implying the truth of a simple affirmation about it that employs an intentional verb (or gerund, etc., derived from that verb). (No one such verb is privileged; the same thing can be said in many ways. Also, the implied affirmation may be specified or it may be an unspecified member of a specified class.) The fact expressed in ‘ This frying pan wants a handle ’ can be stated without making any simple affirmation that is about the pan and employs an intentional verb. (It may be that such a verb must be applied to something else, e. g., that someone wishes that the pan had a handle.) There are a great many examples not so easily decided. Can the behavior of a paramecium be described fully without implying one or another proposition on the order of ‘ It seeks X ’ ? (Short: 2007: 14 f.) Shorts Ausführung zu phänomenologischen Intentionalitätsverben umfasst sowohl die Aspekte Anscombes, geht aber in ihrer Erklärung über sie hinaus und zeigt (implizit) die Unterschiede und Ähnlichkeiten zu intentionalen Verben auf, wie sie im Rahmen der hier vorgenommenen Modellierung verstanden werden sollen. Anstatt nur auf die grammatischen Strukturen von phänomenologischen Intentionalitätsverben einzugehen (und damit auch Anscombes Akkusativ- und Dativobjekte zu implizieren), geht Short auf die Existenzbedingungen der Objekte von phänomenologischen Intentionalitätsverben ein. Am Beispiel von werfen [throw] und suchen bzw. nachsehen [look for] zeigt sich, dass die Objektexistenz bei phänomenologischen Intentionalitätsverben trotz des intentionalen Objektbezugs nicht gegeben sein muss. Zwar kann die Existenz des Tätigkeitsobjekts von werfen durch grammatische Modulation (z. B. mithilfe von Modalverben) getilgt werden, was aber die objektkonstitutive Kraft des Verbs selbst nicht berührt. Das gleiche gilt für Verben, die nicht nur Objekte, sondern einen eingebetteten propositionalen Gehalt fordern. Einige Verben involvieren das kognitivpropositionale Vorhandensein des propositionalen Objektes, während andere dieses Vorhandensein explizit tilgen. Daher zeigt sich auch hier, dass das Vorhandensein des propositionalen Gehalts nicht nur nicht notwendig ist, sondern dass sich phänomenologische Intentionalitätsverben durch ihre objektbedingte Unterspezifizierung auszeichnen. Dass diese Differenz nicht nur für phänomenologische Intentionalitätsverben, sondern auch für intentionale Verben gilt, legt Shorts Verwendung des Vollverbs widerlegen [disprove] und des Modalverbs wollen [want] nahe. Auch in diskursiven Handlungszusammenhängen fordert das intentionale Verb weder ein existentes Objekt noch einen gültigen propositionalen Gehalt, wobei sowohl Existenz als auch Gültigkeit sozialkommunikativ bzw. diskursiv ergänzt werden können. Im Unterschied zur Deskription des intentionalen Objekts wendet sich Short auch Folgen des phänomenologischen Intentionalitätsverbs für das Erkenntnissubjekt zu. Das gewählte Beispiel Shorts [ “ This frying pan wants a handle ” ] ist wegen seines figurativen Gebrauchs zwar nur begrenzt durch Analyse intentionaler Verben exemplifizierbar, zeigt aber doch deren Relevanz an. Dass sich dieses Beispiel nicht wörtlich verstehen lässt, verweist darauf, 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 217 dass sowohl phänomenologische Intentionalitätsverben als auch intentionale Verben Konsequenzen für ihre Erkenntnissubjekte respektive semantische bzw. diskursive Rollen haben. So lässt sich im Sinne des theoretischen Inferenzvokabulars feststellen: Weil wollen und Bratpfanne in einer inkompatiblen Relation zueinander stehen, kann der Satz nicht wörtlich verstanden, aber doch z. B. durch die Einbettung in einen Matrixsatz ( “ X will, dass die Pfanne einen Griff bekommt. ” ) korrigiert werden. Damit wird gewissermaßen der figurative Gebrauch aufgehoben. Somit fordern phänomenologische Intentionalitätsverben, aber auch intentionale Verben zumindest zwei Objekte, die sich einerseits als intentionales Objekt und andererseits als Erkenntnissubjekt beschreiben lassen. Zusammenfassend zeigt die Darstellung von Sprechaktverben, Kommunikationsverben, psychologischen Verben und phänomenologischen Intentionalitätsverben, dass es eine lange Tradition gibt, die sich mit der Markierung von Handlungskraft in Äußerungen, semantischen Gehalten, aber auch den involvierten Objekten von Verben beschäftigt. Es handelt sich dabei um unterschiedliche Konzepte, die jeweils verschiedene Aspekte des Verbs fokussieren. Auch wenn sich die hier vorgestellten Forschungsperspektiven nicht vollständig mit der Theorie intentionaler Verben decken, bieten sie doch Ansatzpunkte für deren Modellierung. Das betrifft insbesondere (1) die personenautoritäre Unabhängigkeit, (2) die Differenz zur Analyse mithilfe von Aktionsarten und volitionaler Kausation, (3) die Involviertheit von propositionalen bzw. intentionalen Einstellungen und Gehalten, (4) die Strukturanalogien zu phänomenologischen Intentionalitätsverben sowie (5) die objektrelationalen und -evozierenden Konsequenzen von Verben. Insofern finden sich Aspekte dieser Forschungsperspektiven auch in der Modellierung intentionaler Veren wieder (cf. Kapitel 12.3 - 12.5). Nichtsdestotrotz bilden unter Annahme virtueller Logik und hyperonymischen Abstraktion intentionale Verben eben nicht eine weitere Klasse von Verben unter sprechakttheoretischen oder verbsemantischen Prämissen. Sie signifizieren vielmehr eine Eigenschaft, die sich durch unterschiedliche Klassen von Verben zieht, aber nicht mit diesen deckungsgleich ist. Insofern kann die Modellierung intentionaler Verben aus den bisherigen Erkenntnissen der Verbdeskription Erfahrungen ziehen, muss aber insbesondere hinsichtlich der Aspekte der Zeichenkonstitutivität und der diskursiven Normen und Signifikanzen ihren eigenen Weg gehen. Durch die Darstellung der virutellen Logik, der hyperonymischen Abstraktion sowie der Beschreibung von Sprechaktverben, Kommunikationsverben, psychologischen Verben und phänomenologischen Intentionalitätsverben lassen sich intentionale Verben nun als folgende Zeichenstrukturen beschreiben: Intentionale Verben sind diskursive Elemente, die implizit unser Verständnis, die Konstitution sowie Geltung und Gültigkeit von Verhalten als Handlung mitstrukturieren. Sie können zwar in Texten oder Gesprächen expliziert werden (cf. das Beispiel in Kapitel 1), sind aber als implizite Zeichenstrukturen bereits an der Konstitution als Handlung beteiligt. Was in Texten und Gesprächen zwar auch als semantischer Gehalt erscheint, hat, so zeigt die virtuelle Logik, für sozialkommunikative Gemeinschaften insbesondere eine pragmatische Funktion. Diskursive Normen, die Aspekte dieser vom intentionalen Verb signifizierten Zeichenstruktur sind, ermöglichen die Beurteilung von Verhalten mithilfe einer spezifischen explanatorischen Heuristik: diskursiver Intentionalität. 218 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben 12.2 Relationale Logik und intentionale Verben Virtuelle Logik, hyperonymische Abstraktion und die Darstellung der Analysen von Sprechaktverben, Kommunikationsverben, psychologischen Verben und phänomenologischen Intentionalitätsverben haben einen Rahmen für eine Analyse intentionaler Verben vorbereitet, der im Folgenden um relationslogische Aspekte ergänzt werden soll. Hierzu wende ich mich insbesondere den relationslogischen Reflexionen von Charles S. Peirce und Vincent Descombes zu. Ausgehend von der Annahme, dass intentionale Verben intentionale Relationen signifizieren, stelle ich ein grundlegendes relationslogisches Vokabular zur Analyse vor. Dieses wird vorallem am Begriff der Transitivität erprobt, welcher intuitiv mit dem Konzept der intentionalen Relation in Verbindung gebracht wird, da diese Relationen direkte Objekte fordern. Eine Diskussion von Transitivität als semiotische Qualität veranschaulicht allerdings, dass Transitivität als grammatisches Oberflächenphänomen nicht sinnvoll zur Beschreibung von intentionalen Relationen ist. Vielmehr demonstriere ich über das Konzept der indirekten Transitivität, dass intentionale Verben in inferenziellen und systematischen Beziehungen zu anderen Relationen und Relationstypen stehen. Dieses Kapitel ergänzt damit einerseits die logischen Grundlagen intentionaler Verben (cf. Kapitel 12.1), skizziert andererseits schon erste Qualitäten intentionaler Verben, die in der weiteren Arbeit entwickelt werden (cf. insbesondere Kapitel 12.3 - 12.6). Die Darstellung der Analysen von Sprechaktverben, Kommunikationsverben, psychologischen Verben und phänomenologischen Intentionalitätsverben zeigt, dass sie zwar verschiedene Aspekte sprachlicher Zeichen und Prozesse erfassen, aber die diskursive Signifikanz intentionaler Verben eine Facette umfasst, die im Rahmen der oben vorgestellten Analysen nicht modelliert wird. Um grundlegende Unterschiede zwischen jenen Verben und intentionalen Verben aufzuzeigen und anschließend ein Modell intentionaler Verben zu entwickeln, ist es notwendig, die Struktur intentionaler Verben präzise zu analysieren, um Aspekte zu ermitteln, die sich z. B. nicht bei einer grammatischen oder semantischen Analyse herausstellen lassen. Im Folgenden demonstriere ich dies mithilfe einer relationslogischen Analyse, die an Signifikanzen anschließt. Denn mithilfe der relationalen Logik Charles S. Peirces lassen sich nicht nur unterschiedliche Relationen analysieren und nach ihren universalen Kategorien untersuchen. Entlang einer Typologie von dyadischen und triadischen Relationen können auch unterschiedliche Momente des semiosischen Kontinuums herausgestellt werden. Auch intentionale Relationen nehmen dort einen prominenten Platz ein, sodass eine relationale Logik Einblicke in die Strukturen intentionaler Zeichen und Verben bietet. Dieser Zugriff auf diskursive Intentionalität ist also zunächst relationslogisch und semiotisch motiviert, soll dann aber auch für eine linguistische Analyse nutzbar gemacht werden. Dies zeigt sich schon dort, wo mithilfe der relationalen Logik die vermeintliche Transitivität von intentionalen Verben analysiert wird. Denn intentionale Verben erweisen sich unter den Bedingungen der Relationslogik als nur indirekt transitive Zeichen, die nur in einem inferenziellen System zu anderen Verben als transitiv gelten können. Eine relationslogische Analyse veranschaulicht außerdem, dass Transitivität theoretisch nicht mehr so relevant ist, wie es phänomenologische Analysen von Intentionalität nahelegen. 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 219 Die These der indirekten Transitivität, die anhand einer kurzen Analyse exemplifiziert wird, soll dann auch zeigen, dass eine oberflächengrammatische und semantische Betrachtung intentionaler Verben nicht hinreichend ist, wenn man die verschiedenen Signifikanzen in diskursiven Praktiken analysieren möchte, die kraft diskursiver Normen entstehen. Die relationslogische Analyse sowie die Beschäftigung mit verschiedenen Formen von Transitivität bereitet dann nicht nur ein Grundlagenmodell intentionaler Verben vor, sondern eröffnet auch eine neue Perspektive auf die Involviertheit von Verben in diskursiven Praktiken, die im Forschungsprogramm der linguistischen Verbpragmatik erfasst werden soll. 12.2.1 Grundzüge einer Logik der intentionalen Relation Intentionale Verben signifizieren etwas Relationales. Diese These leitet sich aus der Annahme ab, dass Intentionalität auf Relationen beruht (cf. z. B. Taieb 2019). Insofern ist es naheliegend, dass auch eine Logik, die intentionale Verben analysieren können soll, auf Relationen fusst. Daher möchte ich im Folgenden die Grundzüge einer Relationslogik vorstellen, die intentionale Verben und damit auch deren intentionale Relationen analysieren kann. Die relationale Logik, die sich insbesondere an Charles S. Peirces Relationslogik orientiert und damit mit den sprach- und zeichentheoretischen Grundlagen dieses Forschungsprogramms vereinbar sind (cf. insbesondere Kapitel 2), ergänzt dabei die virtuelle Logik der diskursiven Intentionalität: Während eine virtuelle Logik diskursive Intentionalität als ein transversales Element innerhalb diskursiver Praktiken etabliert und deren deontologisches Status betont, beruht die hier verfolgte relationale Logik auf der Signifikanz des Zeichens, hier intentionale Verben, selbst. Es geht also darum, die den spezifischen Beitrag einzelner Zeichen bzw. einer Gruppe von Zeichen zur Konstitution von Verhalten als Handlung in diskursiven Praktiken zu analysieren. Eine Relationslogik bietet hierzu einen geeigneten Rahmen. Entlang der Kategorienlehre Peirces können so unterschiedliche Relationstypen aufgezeigt werden, die bei der Analyse von intentionalen Verben Anwendung finden. Sie zeigt, welche grundlegenden Eigenschaften eine intentionale Relation aufweisen muss, um sich von anderen Relationen zu unterscheiden. Eine Logik von Relationen, die auch intentionale Relationen von Verben erfassen soll, erfordert zunächst eine Unterscheidung der Qualitäten von Relationen und ihrer Relata hinsichtlich des transformatorischen Potenzials von Relationen. Es geht hierbei um die Frage, ob die zu untersuchende Relation in einem Transformationsverhältnis zu ihren Relata steht und ob die Relation Auswirkungen auf ihre relationalen Objekte hat. Hierbei hilft die Unterscheidung von externen und internen Relationen: External relations are relations whose reality follows that of the terms, since they are exterior to the reality of those terms. The relation does not affect the things related. (Descombes 2014: 186, Hervorh. im Original; cf. auch Benoist 2005: 330) Demnach bestehen externe Relationen zwar zwischen verschiedenen Relata, doch hat die Veränderung, Transformation oder Tilgung der externen Relation keine Auswirkung auf ihre Relata. So kann z. B. das Verhältnis zweier Objekte in einem Anschauungsraum mithilfe einer externen Relation erfasst werden (Distanz). Verändert sich die Distanz der 220 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Objekte, dann ändern sich nicht deren Merkmale oder Eigenschaften, sondern lediglich deren räumliches Verhältnis (als Relation) zueinander. Die Konstanz der Objekte trotz Transformation der Relation ist das grundlegende Merkmal, was externe Relationen von internen Relationen unterscheidet: Internal relations, by contrast, are those relations that cannot be changed without changing the reality of their terms. This can be expressed as follows: if the relation ceases to exist, the things related (the relata) cease to exist. (Descombes 2014: 187, Hervorh. im Original; cf. auch Benoist 2005: 330) Die Struktur der internen Relation bedingt also die Struktur ihrer relationalen Objekte. So bestimmt das Größenverhältnis (als Relation) zweier Objekte zwar nicht deren Größe (als monadische Eigenschaft), aber doch deren Vergleich (als relationale Eigenschaft). Erst im Verhältnis zueinander kann die Eigenschaft der Größe der Objekte verglichen werden, sodass die Annullierung der Relation des Größenverhältnisses den Vergleich (als relationale Eigenschaft) tilgt. Interne Relationen strukturieren also ihre Relata mit. Das Kraftverhältnis von Relation und Relata, welches mithilfe von externen und internen Relationen erklärt werden kann, gilt allerdings nicht nur bezüglich der Existenz von Relationen und Relata, sondern kann auch graduell oder aspektuell sein. So verschiebt die Veränderung der Distanz (hier als interne Relation) die Gravitationskraft zweier Körper graduell. Insofern können interne Relationen hinsichtlich ihres Kraftverhältnisses auf ihre Relata äußerst flexibel sein. Nun lassen sich mithilfe der Unterscheidung von internen und externen Relationen weder intentionale Relationen vollständig analysieren noch ist der Unterschied auf intentionale Verben einerseits und Sprechaktverben, Kommunikationsverben, psychologische Verben und phänomenologische Intentionalitätsverben andererseits anwendbar. Bevor diese These mithilfe weiterer relationslogischer Argumente begründet werden kann, zeigt sich bereits an der Mannigfaltigkeit der Signifikanzen von Verben, dass diese niemals vollständig der internen oder externen Relationslogik zugeordnet werden können. Allein ein Verb wie versprechen involviert neben lautlich motivierten Emissionen (als externe Relation) auch normative Verpflichtungsverhältnisse (als interne Relation), sodass eine Analyse spezifischer Verben durchaus mehrere Relationen berücksichtigen sollte. Die Differenz von externen und internen Relationen ermöglicht damit zwar die Erfassung des basalen Verhältnisses von Relation und Relata, aber ist für die Erklärung intentionaler Relationen respektive intentionaler Verben nicht hinreichend. Allerdings ist es sinnvoll, einerseits die Differenz von externen und internen Relationen im Hinterkopf zu behalten, sie aber andererseits mithilfe einer relationalen Logik zu erweitern. Hierbei bietet sich nicht nur aufgrund der semiotischen und pragmatistischen Grundlagen die relationale Logik Charles S. Peirces an. Denn Peirces relationale Logik (insbesondere in R1, R2) ist dabei nicht nur ausdifferenziert und findet in Bild- und andere diagrammatischen Logiken Anwendung (cf. z. B. schon Pape 1997: 417 f.), sondern kann auch die Analyse von Verben bereichern und in Bezug zu den diagrammatischen Grundlagen dieser Arbeit setzen (cf. Kapitel 5). Die relationale Logik Peirces entfaltet sich mithilfe seiner universalen Kategorienlehre, die sich wiederum anhand der Kategorien Erstheit, Zweitheit und Drittheit, sowie der Authentizität von Relationen - genuin oder degenerativ (cf. z. B. Kruse 1991) - erfassen lässt (cf. auch Kapitel 2.1.1). Entsprechend kann jede Relation entlang ihrer zweitheitlichen und 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 221 drittheitlichen Strukturen klassifiziert werden, 6 wobei anschließend einerseits nach der Involviertheit anderer Relationen in die Konstitution der zu untersuchenden Relation gefragt und andererseits die Möglichkeit ihrer Diskriminierung auf andere Relationsklassen untersucht wird. Im Folgenden sollen die verschiedenen Relationstypen nach Peirce vorgestellt und anschließend auf intentionale Relationen angewandt werden. Dyadische Relationen, also Relationen, die sich durch Zweitheit auszeichnen, basieren auf einem binären Verhältnis. Diese lassen sich anhand von Peirces Verständnis von brute force erklären: For the idea of brute force is little more than that of reaction; and this is pure binarity. Imagine two objects which are not merely thought as two, but of which something is true such that neither could be removed without destroying the fact supposed true of the other. (CP 2.84, Hervorh. im Original) Dyadische Relationen zeichnen sich durch ihre strukturelle Geschlossenheit aus, erschöpfen sich also in ihrer Relation und ihren zwei Relata, die in einem Verhältnis roher Kraft [brute force] zueinander stehen. Diese dyadische Relation kann mithilfe von physikalischen oder anderen Naturgesetzen beurteilt werden, welche sich aber nicht auf die Relation und ihre Relata selbst auswirken. Im Rahmen der Beschreibung von zweitheitlichen Relationen lassen sich außerdem reale [real relations] und rechtfertigende Relationen [relations of reason] unterscheiden. Diese Differenz, die den externen und internen Relationen zunächst nicht unähnlich ist, perspektiviert sie allerdings anders: A real relation subsists in virtue of a fact which would be totally impossible were either of the related objects destroyed[.] (CP 1.365, cf. auch CP 6.336) Anstatt die Kraft der zweitheitlichen Relation anhand ihrer inhärenten Eigenschaften zu erläutern, betrachtet Peirce die Existenz der Relation aus Perspektive der relationierten Objekte. Ihre Tilgung tilgt auch ihre Relation. Die Relation ist insofern extern, als dass sie sich aus externen Tatsachen [external facts] konstituiert (cf. CP 1.365). So lässt sich z. B. das Verhältnis zwischen einem fliegenden Pfeil und einer Zielscheibe durch die Tilgungen eines der relationierten Objekte ebenfalls tilgen, weil die Eigenschaften der Objekte die Relation erst ermöglichen. Reale Relationen, die man wohl auch genuin dyadische Relationen nennen kann, unterscheiden sich von rechtfertigenden Relationen, die auf degenerativen Dyaden beruhen. Die Tilgung eines Relatums einer rechtfertigenden Relatums führt nicht zur Tilgung des anderen: [A] relation of reason subsists in virtue of two facts, one only of which would disappear on the annihilation of either of the relates. (CP 1.365) Für zwei Relata und das ihren Vergleich rechtfertigende Element gilt daher: Der Vergleich zweier relationierter Objekte z. B. hinsichtlich ihrer Größe, Geschwindigkeit oder ihres 6 Dass die Kategorie der Erstheit zwar für die universale Kategorienlehre, aber nicht für die relationale Logik relevant ist, liegt daran, dass es keine monadischen Relationen geben kann, wohl aber monadische Terme, die dann als singuläre Termini oder Prädikate funktionieren. 222 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Gewichts führt bei der Tilgung des einen Objekts zwar zur Tilgung der Relation, aber nicht zur Tilgung der entsprechenden Eigenschaften (Größe, Geschwindigkeit, Gewicht), welche für die Relation relevant sind. Insofern hat die Tilgung des Relatums zwar Auswirkungen auf die Relation, aber nicht auf das andere Relatum. Die Relation beruht also auf internen Eigenschaften, die nicht unmittelbar von der Relation erfasst werden. Diese Differenz zwischen externen und internen Eigenschaften erfasst Peirce mit seiner Unterscheidung von genuinen und degenerativen Relationen: Genuin dyadische Relationen sind extern, während degenerative dyadische Relationen einen internen Aspekt haben. Anstatt nur dyadische Relationen zu analysieren, umfasst die relationale Logik Peirces auch triadische Relationen. Während sich dyadische Relationen in ihrer Echtheit (genuin/ degenerativ) unterscheiden, aber hinsichtlich ihrer Relata saturiert sind, ist es insbesondere der Aspekt der Saturiertheit, welcher triadische von dyadischen Relationen unterscheidet: Triadische Relationen erscheinen womöglich als dyadische Relationen, umfassen aber weitere Aspekte, die eine Reduktion auf dyadische Relationen bisweilen verhindern. Zudem lassen sich auch triadische Relationen in genuine und degenerative Relationen unterteilen, wobei sich außerdem zwei Formen der degenerativen Relationen bestimmen lassen. Im Folgenden werden daher doppelt degenerative triadische Relationen, einfach degenerative triadische Relationen und genuin triadische Relationen vorgestellt. 7 Doppelt degenerative triadische Relationen [doubly degenerated triadic relations] “ involves neither any true element of combination nor any true element of action ” (Parker 1998: 64, cf. auch Jappy 2018: 44 f., Murphey 1961: 304). Sie lassen sich mühelos auf mehrere dyadische Relationen reduzieren und involvieren keinen genuin drittheitlichen Aspekt. So lassen sich z. B. die Geschwindigkeitseigenschaften mehrerer Objekte in polyvalenten Relationen mit mehreren dyadischen Relationen erfassen, ohne dass es zu einem Informationsverlust und einer Tilgung relationsrelevanter Aspekte kommt. Wenn z. B. die Objekte X, Y und Z in einem aufsteigenden Verhältnis der Geschwindigkeit zueinander stehen, dann steht Y in einer Relation zu X und Z, die sich mit [[Y]IST SCHNELLER ALS[X] UND LANGSAMER ALS[Z]] beschreiben lässt. Allerdings lässt sich diese Relation auch mithilfe von zwei degenerativen dyadischen Relationen darstellen: [[Y]IST SCHNELLER ALS[X]] und [[Y]IST LANGSAMER ALS[Z]]. Doppelt degenerative triadische Relationen sind also keine triadischen Relationen im engeren Sinne, sondern eine Menge an dyadischen Relationen. Einfach degenerative triadische Relationen [singly degenerated triadic relations] “ can be reduced to a pair of dyadic relations ” (Parker 1998: 64, cf. auch Murphey 1961: 304). Anstatt sich aber vollständig auf mehrere dyadische Relationen reduzieren lassen zu können, involvieren einfache degenerative triadische Relationen tatsächlich einen Aspekt der Kombination. So lässt sich das Ereignis TÖTEN, welches formal mit [[X]TÖTET[Y]] notiert werden kann, z. B. anhand der dyadischen Relationen [[X]WIRFT[Z]] und [[Z]TRIFFT[Y]] 7 John Deely erweitert das Spektrum der universalen Kategorien bzw. der Relation um eine pregenerative Drittheit [pregenerative thirdness] (cf. Deely 2015, West 2018), die aber in diesem Rahmen nicht erklärt werden soll, da sie über die notwendigen Analysen der Relationen von diskursiver Intentionalität hinausgeht. 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 223 beschreiben (cf. hierzu das Beispiel in CP 1. 345 oder CP 1.366). Allerdings reichen die beiden dyadischen Relationen unabhängig voneinander nicht aus, um das vollständige Ereignis zu explizieren. Vielmehr ist es die Kombination der beiden dyadischen Relationen, eine Relation der Relationen, welche die Ereignisdeskription vervollständigt (i. S. v. “ Weil X Z geworfen hat, wurde Z von Y getroffen. ” ). Somit involvieren einfache degenerative tradische Relationen neben ihren dyadischen Relationen auch einen Aspekt der Kombination. Neben degenerativen triadischen Relationen (doppelt und einfach) gibt es in der relationalen Logik Peirces auch Relationen, die sich durch ihre genuine Drittheit auszeichnen. Eine genuin triadische Relation [genuin triadic relation] “ is inexpressible by means of dyadic relations alone [ … ] [and] involves thought or meaning ” (CP 1.345, Hervorh. im Original). Anstatt allein aus dyadischen Relationen zu bestehen, konstituiert sich eine genuin triadische Relation über ein drittheitliches Element (hier bei Peirce: thought or meaning). Dieses ist nicht nur ein logisch-formaler Aspekt (wie der Aspekt der Kombination bei der einfach degenerativen triadischen Relation), sondern auch zeichen- und relationskonstitutiv. Hinter der Involviertheit von Gedanken [thoughts] oder Bedeutung [meaning] steht also vielmehr ein spezifischer logischer Interpretant, der die dyadischen Relationen bzw. die Relata der triadischen Relationen zusammenführt. Es handelt sich also vielmehr um Signifikation und Mediation als um eine spezifische Bedeutungszuweisung. 8 Genuin triadische Relationen lassen sich anhand der Differenz von TÖTEN und ERMORDEN veranschaulichen. Während TÖTEN eine einfache degenerative triadische Relation involviert, lässt sich das Ereignis ERMORDEN nur mithilfe einer genuin triadischen Relation analysieren. Dies liegt nicht daran, dass nicht beide über eine bestimmte Semantik verfügen würden, sondern daran, dass ERMORDEN nicht nur ein kognitives, sondern einen situationellen und bisweilen diskursiven Legitimitätsaspekt impliziert, welcher sich mithilfe diskursiver Normen erklären lässt: TÖTEN kann auf vielerlei Weise geschehen, ERMORDEN hingegen involviert zumindest die Handhabung der Situation, der Aktivitäten, der Willensentscheidung, aber auch der diskursiven Umstände und Folgen. 8 Auf ähnliche Weise, auch mit Bezug auf Peirces relationale Logik, erfasst auch Vincent Descombes diese Funktion: “ The humanization of the relations between the human animal and its partner (whatever it may be) assumes the introduction of a third party, a mediator. [ … ] This mediator is Lacan's ‘ Symbolic Third. ’ Each has a place that is in some way legitimate (instead of being perpetually in play). ” (Descombes 2014: 228, Hervorh. im Original). Es geht hierbei also vielmehr um die Legitimierung der in der genuin triadischen Relation vermittelten Verbindung, als um die Integration eines weiteren relationalen Elements. 224 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Name Beschreibung Formale Relation Dyadische Relationen Genuin dyadische Relation “ A real relation [or genuine resp. external dyadic relation, J. B.] subsists in virtue of a fact which would be totally impossible were either of the related objects destroyed ” (CP 1.365, cf. auch CP 6.336) [[X]IST VERWANDT MIT [Y]], [[X]BERÜHRT[Y]] Degenerative dyadische Relation “ [A] relation of reason [or degenerated resp. internal dyadic relation, J. B.] subsists in virtue of two facts, one only of which would disappear on the annihilation of either of the relates ” (CP 1.365) [[X]IST GRÖSSER ALS[Y]] Triadische Relationen Doppelte degenerative triadische Relation A doubly degenerated triadic relation “ involves neither any true element of combination nor any true element of action ” (Parker 1998: 64, cf. auch Jappy 2018: 44 f., Murphey 1961: 304). [[Y] IST SCHNELLER ALS [X]UND LANGSAMER ALS[Z]] = [[Y]IST SCHNELLER ALS [X]] & [[Y]IST LANG- SAMER ALS[Z]] Einfache degenerative triadische Relation A singly degenerated triadic relation “ can be reduced to a pair of dyadic relations ” (Parker 1998: 64, cf. auch Murphey 1961: 304). [[X]TÖTET[Y]] = [[X]WIRFT[Z]] & [[Z] TRIFFT[Y]] + ? Genuin triadische Relation A genuine triadic relation “ is inexpressible by means of dyadic relations alone [ … ] [and] involves thought or meaning ” (CP 1.345, Hervorh. im Original). [[X]ERMORDET[Y]] Tab. 7: Grundzüge der relationalen Logik Mithilfe der Grundzüge der relationalen Logik Charles S. Peirce lassen sich also verschiedene Relationstypen analysieren (Tab. 7), sodass sich auch intentionale Relationen mithilfe der relationalen Logik explizieren lassen müssten. Diese Relationstypen werden nun auf intentionale Relationen bzw. Verben angewandt. Intentionalität als Relation zu verstehen, hat lange Tradition (cf. hierzu z. B. Taieb 2019: 63 f.). Dass deren qualitativer Relationsstatus sich nicht intuitiv ergibt, liegt insbesondere an der Schwierigkeit, die der Status der Objekte einer intentionalen Relation mit 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 225 sich bringt. Insbesondere das intentionale Objekt kann imaginiert (intern) oder real (extern) sein, sodass dadurch nicht nur die qualitative Bestimmung der Relation, sondern auch die Möglichkeit in Frage steht, Intentionalität als Relation zu analysieren. Jocelyn Benoist (2007) schlägt deshalb vor, Intentionalität bzw. intentionale Relationen sowohl als interne als auch als externe Relationen zu verstehen. Tatsächlich klingt dieser Vorschlag zunächst paradox, lässt sich aber mit einer spezifischen Deskription intentionaler Relationen und ihrer Logik erklären. Anstatt sich aber Benoists realistischer Philosophie zuzuwenden, kann das obskure Verhältnis zwischen internen und externen Relationen bzw. zwischen intentionalen und realen Relationen mithilfe des anthropologischen Holismus Vincent Descombes' spezifiziert werden. Dieser beruft sich nicht nur explizit auf die relationale Logik Peirces, sondern sieht seine Theorie auch komplementär zu Robert B. Brandoms Expressive Vernunft (2000), wie er in der Einführung zur englischen Übersetzung seines Werke The Institutions of Meaning bekennt (cf. Descombes 2014: xxix). 9 Um das Verhältnis verschiedener relationaler Aspekte der Intentionalität bei Descombes nachvollziehen zu können, welches unmittelbar zu intentionalen Relationen und Verben führen kann, muss zunächst dessen Verständnis von intentionalen Relationen erklärt und in seinem theoretischen Zusammenhang betrachtet werden: [A]n intentional relation in discourse is a relation by which this discourse refers to the world. This relation is definitively underwritten by the fact that something is inserted into the discourse whose function might almost be said to be to insert the thing itself into language. Needless to say, this introduction of the thing into discourse is merely an appearance, for it is only in language that contact is made between the predicate and the thing (for example, in the association of the noun and the verb). Contact is made in language, but it is not made in the predicative part of the proposition. Nothing in the predicate indicates that it is intended by the author of the proposition to describe one thing rather than another. This information must be provided elsewhere, in a discrete part or, as Peirce puts it, ‘ separately. ’ There are words and linguistic constructions that have this function of ensuring that the predicate applies to one thing rather than another. They can do this because they make use of a real relation in order to base an intentional relation on it. (Descombes 2014: 17, Hervorh. im Original) Descombes' Definition von intentionalen Relationen muss hier vor dem Hintergrund eines Theoretikers analysiert werden, der sowohl den semiotischen Pragmatismus als auch den normativen Sprachpragmatismus nicht nur zur Kenntnis genommen hat, sondern deren theoretische Prämissen auch in seine theoretischen Erklärungen aufnimmt. Die doch zunächst befremdliche, weil metonymische bis metaphorische Beschreibung lässt sich daher vor diesem Hintergrund interpretieren: Wenn Descombes hier also die referenzielle Dimension des Diskurses auf die Wirklichkeit hervorhebt, dann steht dabei im Mittelpunkt, dass die jeweiligen spezifischen diskursiven Normen kraft der intentionalen Relation reale Relationen überlagern. Es geht also eingangs weniger um das traditionelle Verhältnis zwischen Erkenntnissubjekt und intentionalem Objekt, sondern um die normativen 9 Es scheint überhaupt zu einem Austausch der theoretischen und philosophischen Ideen zwischen Vincent Descombes und Robert Brandom gekommen zu sein, denn zu den vielen Kommentatoren auf einem Symposium zu Descombes' The Mind's Provisions (2001), welches als Vorläuferwerk zu The Institutions of Meaning gelten kann, gehört auch Robert Brandom (cf. CCI). 226 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Verhältnisse dieser Relation. Sprachliche Zeichen, so kann man konstatieren, stellen diese Relation zwischen diskursiven Normen und den aus dem semiosischen Kontinuum diskriminierten Objekten her, indem sie ihre Objekte (kraft Objektrelationen) in sprachliche Prozesse eingliedern. Diese exklusive relationsstiftende Kraft sprachlicher Zeichen lässt sich aber nicht mithilfe einer propositionalen Logik erklären, weil Prädikate nicht über diese signifikative Kraft verfügen. Vielmehr sind es andere sprachliche Zeichen [words and linguistic constructions], die sich nicht auf Prädikate reduzieren lassen, aber über die Signifikanz verfügen, Objekte eines Kontinuums in sprachliche Prozesse zu integrieren. Kurz: Erst Verben integrieren ihre verschiedenen evozierten (und ggf. in propositionale Gehalte eingegliederten) Objekte in sprachliche und damit auch diskursive Prozesse. Descombes hebt außerdem das Verhältnis zwischen intentionalen und realen Relationen hervor. Die spezifischen sprachlichen Zeichen (intentionale Verben), stellten das Verhältnis zwischen diesen beiden Relationen her. Aus dieser Annahme der Relationalität von realen und intentionalen Relationen erwächst außerdem die Notwendigkeit, dieses Verhältnis zu reflektieren. Insbesondere die Möglichkeit, aber nicht Notwendigkeit der realen Existenz des intentionalen Objekts muss in diese Reflexion einfließen: The intention of a relation to something is insufficient to establish an intentional relation to something. There then remain two possibilities: (1) intentional relations are not relations at all - they are pseudo-relations, pure appearances, and unable to engender an intentional passive; (2) intentional relations are not independent relations that one might find between an act (taken in itself) and an object but are rather fragments of a greater system that unites internal relations to external relations (this would be the holistic conception). In both cases one ceases treating intentional verbs as transitive verbs. In the first hypothesis one is resigned to saying that they are intransitive, in the second hypothesis that they are neither intransitive like verbs for states of affairs nor transitive like verbs of real action. (Descombes 2014: 66) Die Kontingenz der Existenzbedingungen des intentionalen Objekts sowie das Verhältnis zwischen realen und intentionalen Relationen verunmöglicht die Konzeption der intentionalen Relation als unmittelbarem Transitivverhältnis (cf. Kapitel 12.2.2). Descombes verweist hier aber auf zwei weitere Möglichkeiten, die Besonderheit der intentionalen Relation zu konzeptualisieren: Entweder sind intentionale Relation Scheinrelationen, die selbst überhaupt keine Passivkonstruktion und damit saturierte Subjekt-Objekt-Relation zulassen (zum intentional passive cf. auch Descombes 2014: 32 f.). Dann wären intentionale Relationen intransitive Relationen. Alternativ, und das ist die Position des anthropologischen Holismus Descombes', sind intentionale Relationen abhängig von anderen Relationen, die sich in einem System von internen und externen Relationen formieren. Intentionale Relationen müssen demnach stets in ihrem Verhältnis zu anderen internen, aber auch zu realen Relationen betrachtet werden. Dies hat Auswirkungen auf das Transitivverhältnis intentionaler Relationen, denn sie sind weder intransitiv noch (im engeren Sinne) transitiv. Vielmehr hängt diese Qualität vom Verhältnis der intentionalen Relationen zu anderen (intransitiven oder transitiven) Relationen ab. Das Verhältnis von intentionalen und realen Relationen folgt dabei einer doppelten vektoriellen Ausrichtung. Reale Relationen bestehen einerseits im Kontinuum, sodass 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 227 intentionale Relationen diese diskriminieren und sich ggf. auf diese aufsatteln können. Andererseits können intentionale Relationen auch reale Relationen hervorbringen: [I]ntentionality is not so much a relation of a subject to an object as it is the condition for such a real relation to result from an intentional act. (Descombes 2014: 218 f.) Ganz im Sinne einer virtuellen Logik der hyperonymischen Abstraktion zeichnet sich Intentionalität für Descombes durch ihr konditionales Verhältnis zu Performanzen aus. Es geht hier also um Bedingungen der Möglichkeit der Realisation. Dabei leugnet er nicht, dass Intentionalität selbst relational ist, sondern ordnet die Relationalität der Konditionalität unter. Insofern sollte der (theoretische wie analytische) Blick stets auf der konditionalen Struktur von Intentionalität verweilen, die sich mithilfe der diskursiven Normen explizieren lässt, und es sollten nur unter deren Bedingung die relationale Struktur sowie die evozierten Objekte betrachtet werden. Daher lässt sich die Definition Descombes' von intentionalen Relationen und Intentionalität auch mit der relationalen Logik Peirces zusammenbringen: Peirce would appear to have been right: intentional relations are assuredly irreducible to real relations, but they nevertheless depend on a real relation in order to establish themselves. We must therefore understand how an intentional relation to an object can be based on a real relation to an object. We have thus far been considering two lines of response to the question of the status of intentional verbs. The Brentanians tell us that they are transitive verbs and that, indeed, they are more transitive than other such verbs because they are unconditionally so. The consequence of this view, however, is that such transitivity cannot be an authentic transition to something other than the act itself. Intentionality, it will then be claimed, is not a relation but rather a quasi-relation, since it may turn out to be a relation to a ‘ something ’ that does not exist. (Descombes 2014: 76, Hervorh. im Original) Descombes hebt hier nicht nur das Verhältnis zwischen intentionalen und realen Relationen hervor, sondern auch die quasi-relationale Qualität von Intentionalität. Im Rahmen der relationalen Logik Peirces können intentionale Relationen und Intentionalität daher ebenfalls beurteilt werden: Sie können keine dyadischen Relationen sein, weil sie sonst (interne oder externe) Objekte fordern und sich als Transitivverhältnisse herausstellen würden. Sie können aber auch nicht, wie degenerative triadische Relationen, in dyadische Relationen dekomponiert werden. Vielmehr sind intentionale Relation notwendigerweise genuin triadische Relationen, weil sie entweder reale Relationen fordern oder sie konstituieren, aber immer kraft ihrer konditionalen Drittheit zustande kommen. Hier treffen sich sowohl Descombes' Begriff der intentionalen Relation und Peirces relationale Logik, aber auch Brandoms Analyse der diskursiven Intentionalität: Die pragmatische Vermittlung, die man mit Peirce auch Mediation nennen könnte, der semantischen Relation stiftet sich kraft diskursiver Normen, die die spezifische reale Relation einerseits hervorbringt, sich aber andererseits (über inferenzielle Relationen) anderer realer Relationen bedient. Kurz: Intentionale Relationen sind kraft konditionaler diskursiver Normen konstituierte semantische Relationen. Eine relationale Logik, so lässt sich zusammenfassen, ermöglicht die Differenzierung unterschiedlicher Relationen, hier insbesondere mit Blick auf intentionale Relationen und damit auch intentionale Verben. Die verschiedenen Relationstypen, die mithilfe von Peirces Kategorienlehre entwickelt wurden, zeigen, dass sich Relationen hinsichtlich interner 228 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Qualitäten unterschieden und dass deren Objekte nicht auch in vermittelter Beziehung zueinanderstehen können. Diese Vermittelheit ist insbesondere für die Analyse intentionaler Relationen relevant, wie sie auf Basis der Analyse intentionaler Verben von Vincent Descombes vorgenommen wurde. Intentionale Relationen, die von intentionalen Verben signifiziert werden, sind daher zweierlei: Sie sind im Sinne Peirces genuin triadische Relationen, weil sie sich nicht auf dyadische Relationen reduzieren lassen. Sie sind aber auch irreduzibel auf reale Relationen im Sinne Descombes', stehen aber mit diesen in inferenzieller Beziehung. Insbesondere diesen zweiten Aspekt möchte ich im Folgenden unter dem Begriff der Transitivität diskutieren. 12.2.2 Transitivität und relationale Logik Nach der Betrachtung der relationalen Logik liegt es nahe, intentionale Verben als transitive Verben zu betrachten, denn grammatisch können sie ein direktes Objekt fordern, eine Eigenschaft, die sie mit intensionalen transitiven Verben oder Verb propositionaler Einstellungen teilen. Ein solcher Schluss übergeht allerdings die besonderen Qualitäten intentionaler Relationen. Intentionale Verben als transitive Verben zu bezeichnen, bedeutet, allein deren grammatischen Oberfläche zu beurteilen. Intentionale Verben sind aber komplexe Zeichenstrukturen, die mit diskursiven Normen unserer sozial-kommunikativen Praktiken verwoben sind. Insofern muss das Konzept der Transitivität hinsichtlich intentionaler Verben revidiert werden. Im Folgenden betrachte ich Transitivität daher nicht als ein grammatisches Oberflächenphänomen, sondern als eine tiefenstrukturelle semiotische Eigenschaft, die sich auf semiotische und daher auch intentionale Verben anwenden lässt oder eben nicht. Eine Reflexion des Verhältnisses von Transitivität und intentionalen Relationen erweist sich unter Kenntnis der relationslogischen Beschreibung Decombes' allerdings als komplex. Denn intentionale Verben und ihre intentionalen Relationen stehen in einem systematischen (und inferenziellen) Verhätnis zu anderen Verben und Relationen, was die Betrachtung einzelner Relationen erschwert. Um dieses systematische Verhältnis von intentionalen Relationen unter Berücksichtigung der relationalen Logik zu erhalten, wird in diesem Kapitel der Begriff der indirekten Transitivität eingeführt. Indirekte Transitivität beschreibt die Eigenschaft intentionaler Verben, als transitiv wahrgenommen zu werden, obwohl diskursive Intentionalität selbst nicht transitiv ist. Hierzu wird auf das Verhältnis von intentionalen Relationen (z. B. als sozial-kommunikative Handlung) und realen Relationen (z. B. Verhalten) eingegangen. Über die Reflexion zum Begriff der Transitivität unter relationslogischen Prämissen wird einerseits möglichen Missverständnissen vorausgegriffen, insbesondere jenen, die intentionale Verben als grammatische Oberflächenstrukturen begreifen. Über den Begriff der indirekten Transitivität wird andererseits aber auch die inferenzielle und systematische Gliederung intentionaler Verben vorbereitet (cf. Kapitel 12.5). Nach der Etablierung einer relationalen Logik, die auch intentionale Relationen erfasst, soll nun also spezifisch auf das Verhältnis zwischen intentionalen Relationen und intentionalen Verben eingegangen werden. Diese Beziehung, so die These, hat Konsequenzen für die Transitivität dieser Verben, wenn man sie als Element im inferenziellen Geflecht diskursiver Praktiken betrachtet. Ein Verhältnis zwischen Verben, Transitivität und intentionalen Relationen anzunehmen, ist allerdings begründungsbedürftig. Vincent 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 229 Descombes' anthropologischer Holismus, aber auch semiotischer Pragmatismus und normativer Sprachpragmatismus gehen dabei von einem irreduziblen Verhältnis von intentionalen Relationen und intentionalen Verben aus, sodass eine Unterscheidung zwischen Relationen einerseits (ontologisch bzw. deontologisch) und sprachlichen Strukturen und Prozessen andererseits (linguistisch und grammatisch) zwar analytisch hergestellt werden kann, aber nicht empirisch erfassbar sind. Descombes fasst dieses Verhältnis folgendermaßen zusammen: The correct expression of the intentionality of our acts, therefore should not be ontological but grammatical: their common factor is to be signified by verbs, all of which require a direct object. (Descombes 1986: 127) Descombes wendet sich hier gegen eine explizit ontologische Beschäftigung mit Intentionalität und fordert eine Betrachtung sprachlicher Strukturen und insbesondere Verben. Der Verweis auf Verben, die direkte Objekte, also Akkusativobjekte, fordern, legt außerdem eine Analyse transitiver Strukturen nahe. Descombes' einfache Beschreibung von Transitivität scheint zunächst das Verhältnis von intentionalen Relationen und Verben eindeutig zu explizieren: Intentionale Verben sind transitiv, also sind es intentionale Relationen. Weil auch T. L. Short Transitivität zum notwendigen Merkmal intentionaler Verben erhebt (cf. 2007: 174), scheint hier die Debatte zur Transitivität intentionaler Verben intuitiv abgeschlossen zu sein. Allerdings impliziert bereits die relationslogische Analyse intentionaler Relationen, dass diese Relationen über eine außergewöhnliche Relationsstruktur verfügen, die sich nicht notwendigerweise mit dem Begriff der Transitivität erfassen lässt. In einer genuin semiotischen Perspektive auf Verben, die sich in linguistischen und grammatischen Strukturen niederschlägt, sollte ein entsprechender Begriff vorsichtig verwendet werden, weil er involvierte Strukturen und Prozesse, die zur Relation von Objekten führen, zu vernachlässigen droht. Daher ist es geboten, sich Transitivität als grammatischer Eigenschaft von Verben und ihrer obligatorischen und/ oder fakultativen Forderung von Akkusativ- und Dativobjekten hier ausführlicher zuzuwenden. Die grammatische Kategorie der Transitivität findet bereits in der Grammatik von Port- Royal Anwendung, 10 ist aber auch noch in der aktuellen kognitiven Linguistik verbreitet, z. B. in der Konstruktionsgrammatik. Insbesondere das Beispiel der ditransitiven Konstruktion mit (intend)-CAUSE-RECEIVE-Prädikat wie geben (cf. z. B. Goldberg 1992, 1995: 141 f., 2006: 20 f.) zeigt hier, inwiefern ein Verb mehrere Argumente kraft seiner Ditransitivität realisiert. Insofern gehört Transitivität weiterhin zum grundlegenden Vokabular linguistischer bzw. grammatischer Betrachtungen. 10 “ Those verbs which signify actions which are transmitted beyond the agent, such as to beat, to break, to heal, to love, to hate, have subjects which receive these actions, or objects which these actions concern. For if one beats, one beats someone; if one loves, one loves something, etc. And thus these verbs require that they be followed by a noun which will be either the subject or the object of the action which the verbs signify. It is this which has caused a new ending, called the accusative, to be given to nouns in languages which have cases. For example, amo Deum (I love God), Caesar vicit Pompeium (Caesar conquered Pompey). ” (Arnauld/ Lancelot 1975: 83 f., Hervorh. im Original) Der Akkusativ steht in unmittelbarer Beziehung zur Transitivität und findet in der Grammatik von Port-Royal auch Anwendung auf das Verhältnis von intentionalen Handlungen und ihren Objekten (cf. Arnauld/ Lancelot 1975: 142 f.). 230 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Trotz der klaren Orientierung an grammatischen Objekten wird die semiosische und relationslogische Dimension der Transitivität nur selten beachtet: Dass es eine Relation zwischen Objekten bzw. ein Verhältnis zwischen Verb und Argument gibt, ist unstrittig, doch zeigt die relationale Logik Peirces, dass dies nicht die qualitative Dimension der Relation und ihrer Objekte erklärt. Diese ist im Begriff der Transitivität aber impliziert. Insofern reicht bei einer Analyse von intentionalen Relationen und Verben eine zweidimensionale Perspektive auf Verben nicht aus. Sie sollte um eine relationskonstitutive Funktion erweitert werden, welche die Spezifika diskursiver Praktiken erfassen kann. Kurz: Es geht um die Signifikanz einer [[X]VERB[Y]]-Relation. Und hier kann die linguistische Verbpragmatik helfen zu erklären, welche qualitativen Eigenschaften diese Verben auszeichnet, die nicht auf Transitivität reduzierbar sind. Um eine entsprechende linguistische Verbpragmatik zu etablieren, die die vermeintliche Transitivität von Verben, insbesondere intentionalen, untersucht, ist eine Perspektive des anthropologischen Holismus auf Verben instruktiv. Diese kann spezifizieren, warum Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben nicht transitiv (im engeren Sinne) sind: If we apply them [the formulas of the Brentanians or Husserlians, that ‘ all consciousness is consciousness is something ’ or ‘ to perceive is always to perceive something ’ , J. B.] not to mental acts of states of mind but to the descriptions of those acts and states, the formulas provide the starting point of any analysis of intentionality. They highlight the fact about the language in which we ascribe mental action to someone: this language cannot contain just a verb, but must also have a direct or indirect object specifying the content of the verb. To say that ‘ someone is imagining ’ is elliptical until one has specified what is being imagined, the object of the person's imagination. What conclusion can we draw from this analysis of the language of the mental regarding the analysis of the mental itself? It is in making this step that formulas like ‘ Every cogitatio is a cogitatio of a cogitatum ’ become misleading. They have the flaw of covering up the decisive issue by conflating the intentionality of acts or mental states with a certain grammatical transitivity or property by which certain verbs require a direct object. Yet the notion of intentionality is useful precisely to the extent that it allows us to avoid conflating the grammar of psychological verbs (like ‘ to perceive ’ or ‘ to love ’ ) with those of ordinary transitive verbs. From a purely linguistic point of view, the grammar of the verb ‘ to seek ’ cannot be distinguished from that of the verb ‘ to find. ’ Both require an object. But, from a logical perspective, the philosopher cannot help but notice the following difference: it cannot be true that someone has found something unless there is a something that he has found; but it can be true that someone is seeking something without there being any real entity that is what he seeks. [ … ] The classic formulas for intentionality construe it as a complication of the relationship between subject and object. They thereby mask or attenuate what should really be emphasized: that intentionality is in no way a kind of transitivity. (Descombes 2001: 22, Hervorh. im Original) Vincent Descombes' anthropologischer Holismus setzt hier zwar bei einer psychologischen bzw. phänomenologischen Perspektive auf Intentionalität an (Brentano und Husserl), widmet sich dann aber nicht mentalen Prozessen, sondern deren sprachlichen Deskriptionen, die sich mithilfe von Verben realisieren lassen. Sprachliche Zeichen, also hier intentionale Verben, sind also auch bei ihm der Ausgangspunkt der Analyse von Intentionalität. Insbesondere Verben dienen dann nicht nur der Zuschreibung von kognitiven Strukturen, sondern zeichnen sich auch durch ihre unterspezifizierte Struktur aus: Sie fordert Akkusativ- oder Dativobjekte, die ihre Struktur komplettieren. Insofern zeigt 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 231 Descombes' Perspektive auf das Verb eben jede Unterspezifiziertheit an, die bei T. L. Short über die Existenzbedingungen intentionaler Objekte benannt wird. Descombes' exemplarische Analyse von Verben, welche im Rahmen mentaler Strukturen zu verorten sind (hier: to perceive, to love, to seek, to find), zeigt zudem, dass eine oberflächengrammatische Analyse eine wesentliche relationslogische Differenz dieser Verben nicht erfassen kann: Denn diese Verben unterscheiden sich hinsichtlich der Spezifik der Akkusativbzw. Dativobjekte und daher auch in ihrer Transitivität. Kurz: Dass ein Verb ein Akkusativbzw. Dativobjekt fordert, ist weder ein hinreichender Beweis für diskursive Intentionalität noch ein vollständiger Hinweis auf Transitivität, zumindest nicht im relationslogischen Sinne. Diese Unterscheidung der Verben hinsichtlich ihrer Objektunterspezifiziertheit korreliert mit Descombes' Perspektive auf Ereignisse der Wirklichkeit, die mithilfe von Verben erfasst werden können. Anhand der Unterscheidung von natürlichen und intentionalen Ereignissen [natural and intentional events] lässt sich die Erklärung von Sachverhalten in diskursiven Praktiken erklären, die an die bereits vorgestellte virtuelle Logik der hyperonymischen Abstraktion erinnert: I have set in opposition two types of events: natural events and intentional events. This opposition can be easily transposed into other ontological categories: natural abilities and intentional abilities, natural relations and intentional relations. Are intentional events also mental events? Yes, they are, but only if we hold mental events to be those that are meaningful. Thus, to say that it is raining is an intentional event (and therefore mental in this sense), not because it comprises an interior part (thought) added to the exterior part (language), but because I have done something other than describe the event of the speech act as a speech act if I have failed to mention that the words uttered meant something. What serves here as the criterion of the mental is not interiority but rather signification. In other words, mind is not found first in our heads and then, derivatively or as an effect, in signs. To make this claim is not to deny that there are interior mental acts or unexpressed mental episodes. It is only to point out that, from the perspective of meaning or intentionality, the interior is not to be privileged - there is a complete equivalence between the interior and the exterior. (Descombes 2014: 4 f., Hervorh. im Original) Descombes unterscheidet hier nicht nur zwischen natürlichen und intentionalen Ereignissen, die der Differenz von ontologischen und deontologischen Prozessen Brandoms in vielen Belangen sehr nahekommt, sondern etabliert auch einen Zeichenbegriff, der auf Irreduzibilität beruht. Das Verhältnis von interioren und exterioren Anteilen des Zeichens ist nicht nur ein reziprokes Verhältnis, sondern auch hinsichtlich der Ereignisdeskription unterspezifiziert, sodass das Verhältnis von interioren und exterioren Anteilen einen Überhang produziert. Dieser lässt sich im Sinne Brandoms als inferenzielle Relation interpretieren. Anstatt das Verhältnis von interioren und exterioren Anteilen also mithilfe mentaler Strukturen zu analysieren, wendet sich Vincent Descombes, ebenso wie Robert Brandom und T. L. Short, der Signifikanz zu, indem er dem Zeichenverhältnis die konstitutive Funktion von Intentionalität zuweist. Insofern lassen sich auch intentionale Relationen und Verben mithilfe eines Zeichenbegriffes analysieren, welcher auf Irreduzibilität beruht und nach dem Verhältnis von Signifikanz und Intentionalität fragt (cf. Kapitel 9.1). Das gilt für die Analyse der Transitivität von intentionalen Relationen und Ereignissen (logisch) ebenso wie für die Transitivität von intentionalen Verben (grammatisch). 232 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Intentionalen Verben, ebenso wie intentionalen Relationen und Intentionalität, ihre transitive Funktion argumentativ abzuerkennen, indem die Verbstruktur über die grammatische Funktion hinaus betrachtet wird, führt allerdings zu einer theoretischen Schwierigkeit, die erklärt und gelöst werden sollte: Wenn Intentionalität weniger eine Relation zweier Objekte, also zwischen Subjekt und Akkusativbzw. Dativobjekt, darstellt, sondern eher die Bedingung ihrer Zusammenkunft ist, dann sollte erklärt werden, warum Intentionalität stets als Verhältnis von Subjekt und Akkusativbzw. Dativobjekt (z. B. von Psychologie oder Phänomenologie) verstanden wird. Hierzu ist es unverzichtbar, sich die exakte Struktur von transitiven, psychologischen und/ oder intentionalen Verben anzusehen: Verben wie treten sind im grammatischen Sinne transitiv, weil sie ein Akkusativobjekt fordern, sind aber keine intentionalen Verben. (Sich etwas) vorstellen hingegen ist ein psychologisches 11 Verb und ebenfalls transitiv. Allerdings unterscheiden sich beide in ihrer transitiven Struktur voneinander: Nur letzteres ist “ intrinsically transitive ” (Descombes 2014: 28, Hervorh. im Original), weil sich deren Objektrelation allein anhand intrinsischer Strukturen und Funktionen erfassen lässt. Treten hingegen vermittelt zwischen Vorstellung und physischer Tätigkeit, sodass die Transitivität kontingent bleibt: Es kann nach etwas getreten werden, was nicht existiert. 12 Bei der Erfassung der vermeintlichen Transitivität intentionaler Verben steht die Analyse außerdem vor weiteren Problemen: Intentionale Verben, so Descombes, zeichnen sich weder durch intrinsische noch durch extrinsische Transitivität aus und haben zugleich kontingente Objektrelationen: “ intentional verbs are neither purely relational (transitive) nor definitively intransitive (monadic). They may nevertheless become indirectly transitive. ” (Descombes 2014: 193) Mit dem Begriff der indirekten Transitivität steht damit ein Begriff bereit, die diesen besonderen Status von intentionalen Verben erfassen kann und das Verhältnis von realen und intentionalen Relationen widerspiegelt. Er ist dabei nicht selbstwidersprüchlich, sondern ermöglicht, die exklusive Stellung von intentionalen Verben hervorzuheben: It is necessary and sufficient that intentional verbs be both transitive and intransitive. If that condition proved contradictory, a dialectical solution would be required. Yet I do not believe it to be contradictory because it can be understood in the following way: an intentional verb, by itself, is not transitive; nevertheless, it must not be classed among the intransitive verbs, for it can become transitive, not by itself but through its association with another verb that is usually transitive. Instead of speaking of an extraordinary transitivity (which is ultimately unintelligible) of intentional verbs, we would then have to say that these verbs are bestowed with an ordinary transitivity (that they do not possess in themselves) by virtue of their internal link with other verbs that are transitive in the ordinary way. The proposed solution is this: intentional verbs are transitive 11 Descombes verwendet hier den Ausdruck “ intentional transitive verb ” (2014: 28), was insofern missverständlich ist, als dass sich sein Argument entlang der Transitivität psychologischer Verben entfaltet. Auch wenn (sich etwas) vorstellen auch ein intentionales Verb ist, geht es hier um die intrinsische Relations- und Objektstruktur dieser Verben, sodass eine entsprechende Übersetzung an dieser Stelle angemessen ist. 12 Physische Tätigkeiten oder andere Formen der kausalen Verursachung können außerdem mithilfe externer Termini beschrieben werden, sodass diese in extrinsischen Verhältnissen bestehen (cf. Descombes 2014: 27, der an Michael Dummetts Argumentation anknüpft (cf. Dummett 1991: 264)). Auch wenn die Differenz von intrinsischen und extrinsischen Relationen für intentionale Relationen nicht aufrechtzuerhalten ist (cf. Descombes 2014: 196 f.), kann die Transitivität von extrinsischen Relationen auch extrinsische Transitivität genannt werden. 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 233 because they are intentional in a system that must contain transitive verbs (that are really transitive). In other words, intentionality is a property that is conferred upon some acts or processes in virtue of their integration within a more general system. This response boils down to saying that the intentionality of the mental is nothing but an aspect of the holism of the mental. (Descombes 2014: 77, Hervorh. im Original) Descombes stellt heraus, dass die exklusive Betrachtung intentionaler Verben sich weder in Transitivität noch Intransitivität auflösen lässt, doch hier betont er die systematische Dimension intentionaler Verben: Weil intentionale Verben mit anderen (auch intentionalen) Verben in einem systematischen Verhältnis stehen (cf. auch Descombes 2014: 86), werden diese als indirekte transitive Verben behandelt. Erst im Verhältnis zu anderen Verben erweisen sie sich nicht nur als transitiv, sondern können (im engeren Sinne) auch grammatische Objekte bzw. Relata fordern. Descombes' Exponat der indirekten Transitivität, welche sich genuin transitiver Relationen parasitär bedient, steht dabei nicht im Widerspruch zu dessen Behauptung, dass Intentionalität, intentionale Relation und damit auch intentionale Verben die Kondition der Genese einer realen Relation, z. B. intrinsischer bzw. extrinsischer Transitivität, sei. Vielmehr betont er hier zunächst den systematischen Aspekt des Verhältnisses zwischen Verben, aber noch nicht die Kraftverhältnisse intentionaler und realer Relationen. Zunächst lässt sich aber festhalten, dass intentionale Verben, weil sie nicht reduzierbar auf reale Relationen sind, stets einen ihnen inhärenten Aspekt in das semiosische Kontinuum einbringen, welches nicht in realen Relationen zu finden ist. Der Kraftentwicklung muss sich dabei aber nicht auf eine Transformationsrichtung [[X]INTENTIONAL[Y]] → [[X] REAL[Y]] beschränken. Schon Robert Brandoms Differenz von kognitiven und praktischen Festlegungen zeigt, dass es sich um ein multidirektionales Verhältnis handelt: Intentionale Relationen können reale Relationen und ihre grammatischen Objekte konstituieren (performativ) oder sich derer bedienen, indem sie diese überlagern. Mit dieser Wendung hin zu einem System an Verben, welche in ihren Bezügen transitive Funktionen erhalten können, können inferenzielle Relationen in diskursiven Praktiken offengelegt werden, sodass im Folgenden nicht nur intentionale Verben allein, sondern sie auch im Verhältnis zu anderen Verben betrachtet werden. Um aber weiterhin von der spezifischen Klasse von intentionalen Verben sprechen zu können, muss auch hier zwischen Verben unterschieden werden, die kraft ihrer Struktur immer Intentionalität zuschreiben, und denjenigen, die nur kraft weiterer inferenzieller Relationen Intentionalität attribuieren können (signifikative Suffizienz): The conclusion to be drawn from this systematic link is that to speak of the intentionality of the mental is a way of speaking of the holism of the mental. An intentional verb is not intentional in isolation; it is intentional by virtue of its integration within a system of intentional verbs. Among these intentional verbs, a distinction must be made between strictly intentional verbs such as ‘ to look for ’ and verbs that are sometimes intentional, such as ‘ to find. ’ One might say that the former have a full-time intentionality, meaning that they are never directly transitive and that, at least in philosophical grammar, they are not constructed with a direct object (however they may be constructed in a given language). The latter verbs possess a part-time intentionality, and that is what allows them to provide the entire group of intentional verbs with a contact with or positive connection to reality. This contact should be conceived as a reciprocally real relation between two clearly individuated entities. (Descombes 2014: 85, Hervorh. im Original) 234 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Die holistischen Relationen intentionaler Verben ermöglichen also deren Betrachtungen in einem System sprachlicher Zeichen, welche entweder immer über Intentionalität verfügen oder welche nur unter bestimmten kontextuellen und situativen Bedingungen Intentionalität aufweisen. Das Verhältnis zwischen intentionalen und realen Relationen bzw. intentionalen Verben und z. B. psychologischen Verben oder Tätigkeitsverben stellt also nicht nur die Besonderheit der Transitivität heraus, sondern lässt sich auf die gesamte konstitutive Kraft intentionaler Verben erweitern. Wenn intentionale Verben nicht unabhängig von einem System an Verben analysiert und beurteilt werden können (und da sind sich Descombes und Brandom einig), dann wirken sich deren systematische Relationen auch auf spezifische Sachverhalte, das Verhalten bzw. die involvierten Personen in der diskursiven Praxis aus: “ By attributing an intention to someone, we presuppose an entire context made up of institutions and customs. ” (Descombes 2001: 224) Die bisherigen Beschreibungen tragen weiteres Vokabular zur relationslogischen, inferenziellen und linguistischen Analyse intentionaler Verben und diskursiver Praktiken bei. Die verschiedenen Klassen der Transitivität (intrinsisch, extrinsisch und indirekt) und der systematische Aspekt von intentionalen Verben sollen im Folgenden nun exemplarisch auf Verben angewandt werden. Aufgrund des irreduziblen Verhältnisses zwischen Verb und Sachverhalt, Verhalten bzw. Ereignis kann diese Analyse auch auf intentionale Handlungen übertragen werden, denn auch “ intentional activity is not yet a transitive act or a real relation ” (Descombes 2014: 218, Hervorh. im Original). Diese folgende Analyse dient dabei der Veranschaulichung der bisher eingeführten theoretischen Elemente und wird später um empirische Belege erweitert (cf. Kapitel 12.5 und 12.6). Descombes veranschaulicht indirekte Transitivität von intentionalen Relationen und Verben anhand des Verbs ermorden [to murder] 13 , welches bereits im Rahmen der relationalen Logik Peirces eine prominente Rolle einnimmt: A man is a murderer on condition that he is the murderer of someone. A man is a victim on condition that there be someone of whom he is the victim. Cain has a relation with regard to Abel: he is his murderer. Abel has the converse relation with regard to Cain: he is his victim. Yet these relations are but a single relation. Above, we were dealing with a relation between two facts - which could be symbolized by characterizations of the two objects, a and b: Fa, Fb - from which we concluded that there was a relation of resemblance (with regard to property F) between a and b. In the present case, we have first a relation aRb and only afterwards do we have the distinct facts that follow from it. These facts can be expressed by opposed and complementary predicates: Cain killed Abel; therefore Cain is the murderer, Abel the victim. (Descombes 2014: 215, Hervorh. im Original) Die [[X]ERMORDEN[Y]]-Relation birgt also verschiedene Facetten, die sich inferenziell entfalten und relationslogisch analysieren lassen. Durch die Relation erhalten ihre Relata ihre wechselseitigen Funktionen (hier: Täter und Opfer), die sich zwar mithilfe unter- 13 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Übertragung der englischsprachigen Beispiele Descombes' in das Deutsche nur bedingt möglich ist. Auch wenn ermorden hier die angemessene Übersetzung von to murder ist (und daher als relationslogisches Beispiel taugt), so verhält sich das Verb ermorden systematisch wohl anders als to murder: Denn im Deutschen gibt es zumindest die Opposition von ermorden und morden, welche signifikative Elemente im Präfix nahelegt, die erst die Ergänzung eines Akkusativobjektes ermöglichen. Außerdem ist ermorden im Deutschen eher perfektivisch, während to murder eher prozesshaft ist. 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 235 schiedlicher propositionaler und inferenzieller Gehalte formulieren lassen, aber eine spezifische Relation darstellen. Im Zentrum des Verhältnisses von Subjekt und Akkusativobjekt steht also eine Relation, die nicht nur die Funktionen zuweist, sondern auch die inferenzielle Gliederung mithilfe der Prädikate ausgestaltet. Es handelt sich also einerseits um eine Analyse der Relation, aber andererseits auch um eine Darstellung von Subjekt und Akkusativobjekt als Relata, die sich hier nicht hinreichend mit einem AGENS-PATIENS- Verhältnis erfassen lässt. Dass dies nicht hinreicht und dass die Deskription mithilfe des Verbs mehr als eine Relation involviert (System), zeigt sich, wenn das Verb das Verhalten als intentionale Handlung beschreibt: A murders B. The concept of murdering is that of an intentional act, unlike the concept of killing, which is a brute description (i. e., a description that does not tell us whether the act was intentional or not). In order for A to murder B, A must do something with the intention of putting B to death, for example, by shooting a revolver in such a way as to mortally wound him. Thus the proposition ‘ A murders B ’ is at first glance dyadic, since it uses a transitive verb. One might then be led to believe that murdering is a dyadic action like ‘ pulling the trigger ’ or ‘ plunging the dagger. ’ It is not: this apparent dyad is, in reality, a triad. (Descombes 2014: 221, Hervorh. im Original) Die [[X]ERMORDEN[Y]]-Relation beinhaltet nicht nur semantische Gehalte, sondern muss als triadische Relation analysiert werden, denn ermorden umfasst eine intentionale Handlung. Der Sachverhalt wird nicht nur beschrieben und in einen Rahmen diskursiver Beurteilbarkeit gesetzt, sondern den beteiligten Rollen wird auch ein gewisser Grad an Normverfügen zugebilligt. Dieses Normverfügen geht über die übliche Darstellung mithilfe semantischer Rollen hinaus und etabliert grammatische Objekte intentionaler Relationen als diskursive Wesen, sodass sich hier der Begriff der diskursiven Rolle anbietet, um diese Funktion intentionaler Verben zu erfassen (cf. Kapitel 12.3 und 12.4). Ermorden selbst stellt sich außerdem als Verb heraus, welches im relationslogischen Sinne keinerlei eigenständige Transitivität aufweist. Vielmehr borgt es sich die Transitivität indirekt von denjenigen Verben, die inferenziell mit ermorden in Verbindung stehen und die die intentionale Relation überlagert, hier z. B. töten [to kill], abdrücken [to pull the trigger], stechen [to pludge the dagger]. Diese Verben erfassen nicht nur Teilaspekte der intentionalen Handlung, sondern weisen sich teilweise als rohe Deskriptionen [brute descriptions] aus, die selbst dyadische Relationen beinhalten. Die diskursiven Normen, die für ermorden gelten, gelten damit auch für die anderen Verben, die Teilaspekte sind oder Folgesachverhalte erfassen. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Verben selbst keine genuin triadischen Relationen signifizieren, sondern dyadische Relationen anzeigen. Die Analyse der vermeintlichen Transitivität intentionaler Verben zeigt also, dass hinter der grammatischen Oberfläche eine vielfältige inferenzielle Gliederung steckt, deren Relationen auch mithilfe einer relationslogischen Analyse erfasst werden können. Dabei ist es nicht nur wichtig, zwischen verschiedenen Formen der Transitivität zu unterscheiden, sondern auch, die spezifischen Qualitäten der Relationen offenzulegen, um anschließend ihre systematischen Verquickungen zu veranschaulichen. Der Begriff der indirekten Transitivität zeigt dabei, dass intentionalen Verben als signifikative Strukturen eine besondere Qualität aufweisen: Ihre intentionalen Relationen stehen in Verhältnissen zu ähnlichen realen Relationen, sodass intentionale Verben zwar wirken als seien sie transitiv, wobei sich diese Eigenschaft aus den realen Relationen speist. Das Beispiel ermorden 236 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben veranschaulicht außerdem, dass eine inferenzielle Relationen zwischen der intentionalen und der realen Relation besteht. Über dieses Verhältnis wird klar, warum Verhalten (reale Relation) als Handlung (intentionale Relation) verstanden wird. Hier entfaltet ein semiotischer Begriff von (indirekter) Transitivität seine volle Wirkung. Insbesondere bei der Darstellung der inferenziellen Gliederung intentionaler Verben wird dieses Verhältnis noch einmal aufgegriffen (cf. Kapitel 12.5). Bevor ich mich im nächsten Kapitel dem Grundlagenmodell der intentionalen Verben zuwende, welches nicht nur normative und pragmatische Signifikanz modelliert, sondern auch eine neue Perspektive auf die Analyse diskursiver Praktiken eröffnen soll, ist es sinnvoll, die bisherigen theoretischen Ausführungen zu resümieren. Die hier vorgenommene Analyse von Relationen mithilfe von logischen Verfahren veranschaulicht die grundlegenden Prozesse und Strukturen, welche intentionale Verben (implizit oder explizit) in diskursiven Praktiken aufweisen. Hervorzuheben ist dabei einerseits die Qualität der Relation selbst, welche mithilfe der relationslogischen Klassifikation untersucht werden kann. Ebenso wichtig sind aber auch deren Relata, die als Subjekt sowie Akkusativ- und Dativobjekt Teil der evozierten Strukturen sind und sich je nach Relation unterscheiden können. Die Relationsqualität und die Frage der Involviertheit diskursiver Normen hat unmittelbare Folgen für die Beurteilung des Verbs als intrinsisch, extrinsisch oder indirekt transitiv. Dabei eröffnet sich in Anschluss an Descombes nicht nur eine Analyse der dyadischen oder triadischen Relationen, sondern auch eine inferenzielle Darstellung zwischen verschiedenen Verben in ihrem systematischen Zusammenhang. Die relationslogische Perspektive auf intentionale Verben ergänzt die bisherigen theoretischen Analysen insofern, als dass der intentionalen Relation ein Ankerpunkt in der Konstitution von wesentlichen Aspekten diskursiver Praktiken eingeräumt wird und diese gleichzeitig analysierbar gemacht werden. Die Analyse der diskursiven Intentionalität Brandoms sowie die semiotischen Spezifikationen Shorts und Millikans insbesondere hinsichtlich Signifikanz bieten dabei eine theoretische Rahmung der Analyse und Interpretation intentionaler Verben und deren relationslogischen Signifikanzstrukturen. 12.3 Grundlagenmodell der intentionalen Verben Intentionale Verben stehen im Mittelpunkt, wenn es um die Frage von diskursiver Intentionalität in sozial-kommunikativen Praktiken geht. Sie stellen eine Gruppe von Zeichenstrukturen dar, die implizit an der Konstitution von Verhalten als Handlung mitwirkt. Dass sich nicht einfach grammatische Strukturen oder syntaktische Einheiten als intentionale Verben klassifizieren lassen, haben die Diskussion im Rahmen von virtueller Logik und Relationslogik gezeigt. Doch auch wenn sie die verschiedenen intentionalen Verben qualitativ ebenso unterscheiden wie es Sprechaktverben tun, teilen sie doch eine gewisser semiotische Grundstruktur. Diese Grundstruktur möchte ich anhand eines Grundlagenmodell erarbeiten. Hierzu werden die verschiedenen Zeichenaspekte, die in Anlehnung an Brandom, Peirce und Millikan erarbeitet wurden (cf. Kapitel 6 - 9), in ein Modell intentionaler Verben überführt. Die relationslogischen Prämissen bleiben dabei allerdings erhalten und werden in der Grundstruktur berücksichtigt. Das Grundlagenmodell, dass aus diesen Annahmen entwickelt wird, bildet abschließend den kleinsten 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 237 gemeinsamen Nenner intentionaler Verben und ist damit Ausgangspunkt weiterer theoretischer Reflexionen und Modellierungen (cf. 12.4 - 12.6). Nachdem mithilfe der Analyse der diskursiven Intentionalität Brandoms, der Signifikanz und Intentionalität von Verben Shorts (und Millikans) und der relationalen Logik Peirces und Descombes' die Grundlagen für die Verbanalyse geschaffen wurden, kann nun ein Modell entwickelt werden, welches signifikative Strukturen intentionaler Verben offenlegt, analytisch zugänglich macht und neue Perspektiven auf diskursive Praktiken ermöglicht. Hierfür ist es wichtig, die intentionale Relation sowie deren Involviertheit in propositionale Einstellungen, Prädikate und relationale Objekte bzw. Relata zu erfassen und linguistisch zu modellieren. Gleichzeitig muss aber auch deren Verhältnis zu anderen Relationen und Verben berücksichtigt werden, um zu erklären, welche Verben intentionalen Verben indirekte Transitivität verleihen, in welchem systematischen Verhältnis intentionale Verben zu anderen Verben überhaupt stehen, aber insbesondere, wie sich intentionale Verben auf Verhalten und Objekte beziehen. Weil die bisherigen Kapitel viele theoretische Begriffe eingeführt haben, die sich konzeptuell wie strukturell ergänzen, aber teilweise auch überlappen, sollen die relevanten zu modellierenden Aspekte intentionaler Verben zunächst zusammengefasst und damit die Elemente der Modellierung bereitgestellt werden. Erst in einem zweiten Schritt sollen Elemente diagrammatisch in ein Verhältnis gesetzt werden, um Kraft- und Effektverhältnisse im Rahmen der signifikativen Struktur aufzuzeigen. Die Begriffe, die zur Modellierung verwendet werden, beruhen dabei auf den theoretischen Konzepten Brandoms, Peirces, Shorts, Millikans und Descombes', wobei im ersten Schritt insbesondere relationslogische (Peirce und Descombes), signifikanztheoretische (Short) und handlungstheoretische (Brandom) Aspekte benannt werden. Millikans Aspekte, die ich unter den Begriffen kooperative Funktion und signifikative Suffizienz beschrieben habe, finden insbesondere bei einer differenzierten Beschreibung intentionaler Relationen und Verben Anwendung, die auf das Grundlagenmodell intentionaler Verben folgt (cf. Kapitel 12.4 und 12.5). 14 Diskursive Intentionalität, die von Verben signifiziert wird, so lässt sich bisher zusammenfassen, ist ein komplexes Konglomerat aus signifikativen Relationen und Relata, deren konditionalen Bedingungen, Objektrelationen und systematischen Beziehungen. Folgende Aspekte lassen sich unter Berücksichtigung des eingeführten theoretischen Vokabulars für eine Modellierung intentionaler Verben zusammenfassen: 1. diskursive Normen 2. semantische Relation 3. signifikative propositionale Einstellung 4. mindestens zwei Relata a. signifikative Leerstelle zur Evokation einer diskursiven Rolle b. signifikative Leerstelle zur Evokation eines intentionalen Objekts, welches selbst inferenziell gegliedert und propositional eingebettet ist 14 Reduzierte Modelle von intentionalen Verben, die sich allein auf Brandom und Short stützen, finden sich bereits in Briese 2019 und 2020 a. 238 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Bevor die jeweiligen Elemente intentionaler Verben beschrieben und dann in ein diagrammatisches Verhältnis zueinander gestellt werden, zeigt bereits die Wahl des deskriptiven Vokabulars, an welcher Stelle die Aspekte konzeptionell anschließen. 1. Diskursive Normen schließen theoretisch an der notwendigen Involviertheit dieser in diskursiven Praktiken an, wie sie im Rahmen des normativen Sprachpragmatismus, aber auch im semiotischen Pragmatismus angenommen werden (cf. Kapitel 4). 2. Semantische Relationen, die dann auch im Verhältnis zu diskursiven Normen stehen, folgen begrifflich zunächst Brandoms Definition von diskursiver Intentionalität ( “ pragmatically mediated semantic relation ” ), werden im Folgenden aber insofern relationslogisch erweitert, als dass sich hier auch die Schnittstelle zwischen intentionalen und realen Relationen eröffnet, die sich z. B. entlang von kognitiven und praktischen Festlegungen erfassen lässt (cf. Kapitel 8). 3. Signifikative propositionale Einstellungen schließen theoretisch am Signifikanzbegriff Shorts an und markieren gleichzeitig den semiotischen “ Zugang zum Mentalen ” , der kraft des Verbs diskursiv erzeugt werden kann (cf. Kapitel 9). 4. Die Relata markieren jene relationslogischen Aspekte, die die Relation selbst übersteigen, also nicht die Qualität der Relation selbst betreffen. Auch hier geht es um Signifikanzen, aber auch um eine latente inferenzielle Gliederung der evozierten Relata. Insbesondere bei diskursiven Rollen kommt außerdem ein handlungstheoretischer Aspekt zum Tragen, der sich an Brandoms Handlungstheorie anlehnt (cf. Kapitel 8.3). 1. Diskursive Normen nehmen in der Aufzählung der Elemente des Modells intentionaler Verben nicht nur tabellarisch, sondern auch perspektivisch die zentrale Position ein. Denn auch anhand der semiotischen und sprachtheoretischen Grundlagen, die sich beide auf diskursive Normativität berufen, lassen sich die wesentlichen Kräfte diskursiver Normen entsprechend zusammenfassen: Sie gelten hier als strukturbildende und -konstituierende Elemente diskursiver Praktiken, deren Kraft z. B. in der Bildung semantischer Relationen liegt. Diskursive Normen als eigenständiges Element zu betrachten, ist eine analytische Perspektive, die bei der Modellierung hilft. Tatsächlich gilt hier, dass sie nur kraft Zeichenprozesse diskursive Relevanz erlangen und nicht vor den diskursiven Praktiken existieren. Erst während der Praktiken können sie sich entfalten. Nichtdestotrotz ist es im Sinne einer analytischen Perspektive sinnvoll, hier kurz diskursive Normen isoliert zu betrachten und danach in ein Verhältnis zu den anderen Elementen intentionaler Verben zu setzen. Das Konzept der diskursiven Normen ist hier bewusst vage gehalten, denn es umfasst kein Set an spezifischen Normen, das auf jeden Sachverhalt bzw. jedes Verhalten anwendbar ist, der bzw. das kraft des Verbs diskursive Intentionalität involviert (cf. Kapitel 16). Selbst diskursuniversale Normen (wie z. B. diejenigen, die mithilfe des Kooperationsprinzips dargestellt werden können) müssen nicht notwendigerweise über jedes intentionale Verb ihre Kraft entfalten. Dennoch umfasst jedes intentionale Verb einen Aspekt der normativen Beurteilbarkeit, welcher normative Folgen für das signifizierte Verhalten bereitstellt. Diese sind meist diskursspezifisch, gründen aber wohl auf einer epistemisch starken Opposition für die Deskription von Verhalten: kausal vs. intentional. Über diskursive Normen wird Verhalten auf eine andere Weise beurteilbar, als es bei einer kausalen Deskription der Fall wäre. Hier zeigen sich implizit bereits relationslogische Prämissen, die zwischen triadischen und dyadischen Relationen unterscheiden (cf. auch die Opposition von ermorden und töten in Kapitel 12.2). 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 239 2. Die semantische Relation, die auf Basis diskursiver Normen entsteht, stellt traditionell den Fokus der Analyse von Intentionalität dar. Im Rahmen dieses Modells intentionaler Verben ist die semantische Relation nicht nur ein Derivat diskursiver Normen, sondern weist sich strukturell auch als flexibler Aspekt aus. Denn sie kann sich je nach intentionalem Verb unterschiedlich ausgestalten: Sowohl bei intentionalen Verben, die reale Relationen (z. B. kraft praktischer Festlegung) konstituieren als auch bei jenen, welche reale Relationen (z. B. bei kognitiven Festlegungen) parasitär nutzen, stellen semantische Relationen den Scheitelpunkt dar. Eine semantische Relation ist also nicht äquivalent mit der intentionalen Relation. Während die intentionale Relation eher das kraft der diskursiven Normen gestiftete semantische Relationspotenzial ist (ganz im Sinne der hyperonymischen Abstraktion und virtuellen Logik), ist die semantische Relation eine spezifische, aber abstrakte Relation, die die relevanten Objekte des Verhaltens bzw. des Sachverhalts über Relata in Beziehung setzt. Die semantische Relation, hier als Abstraktion erster Ordnung, realisiert sich in diskursiven Praktiken auf verschiedene Weise und umfasst dann semantische Gehalte, die über die hier zu untersuchenden Relationen hinausgehen. So umfasst z. B. das kraft des Verbs (sich) unterhalten signifizierte Verhalten prototypisch auch artikulatorische, auditive und akustische Relationen und Gehalte, die aber, weil sie reale Relationen sind, zunächst für diskursive Intentionalität nur marginal interessant sind (und erst über die inferenzielle Gliederung intentionaler Verben relevant werden). 3. Anstatt verschiedene semantische Gehalte zu berücksichtigen, ist insbesondere die Involviertheit einer signifikativen propositionalen Einstellung zur Modellierung relevant. Anstatt mit diesem Konzept auf tatsächliche mentale Strukturen zu rekurrieren, erfasst das Konzept der signifikativen propositionalen Einstellung Signifikanzen diskursiver Praktiken. Es geht also um die in der kraft des intentionalen Verbs vorgetragene Deskription des Verhaltens und nicht um volitionale Strukturen von Lebewesen. Beim Konzept der signifikativen propositionalen Einstellung geht es aber auch nicht um eine vollwertige “ Theory of Mind ” , denn es handelt sich hier allein um Signifikanzstrukturen von Verben. Es geht schlichtweg darum, dass zum Verstehen und Hantieren mit intentionalen Verben dazugehört, propositionale Einstellungen zu signifizieren. Auch hier eignet sich die Opposition von ermorden und töten zur Betrachtung der Differenz (cf. Kapitel 12.2). Allerdings qualifiziert sich nicht jede signifizierte mentale Struktur auch als propositionale Einstellung. Tatsächlich signifizieren z. B. Wahrnehmungsverben wie sehen oder hören kognitive bzw. quasi-kognitive Strukturen, die aber nicht propositional sind bzw. sein müssen. Intentionale Verben zeichnen sich grade deshalb durch ihre signifikativen propositionalen Einstellungen aus, weil diese die am Verhalten bzw. Sachverhalt beteiligten Personen ein gewisses Maß an inferenzieller Fähigkeit zuweisen, die über die Gerichtetheit mentaler Strukturen hinausgehen. Auffällig ist außerdem, dass das Konzept der signifikativen propositionalen Einstellung weder mit der Handlungsabsicht noch mit intentionalen Einstellungen übereinstimmt. Auch hier zeigt sich der Grad der Abstraktion: Als diskursive Wesen, die mit diskursiver Intentionalität ausgestattet sind, gelten nicht nur Handelnde, sondern auch andere, wobei sich die spezifischen Strukturen hier selbstverständlich unterscheiden (cf. Kapitel 8.3). 4. Neben diskursiven Normen, semantischer Relation und signifikativen propositionalen Einstellungen sind für Strukturen von intentionalen Verben auch diejenigen Signifikanzen 240 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben relevant, die über die Oberflächenstruktur hinausgehen. Mithilfe von Relata lassen sich diejenigen Elemente intentionaler Verben analysieren, die nicht unmittelbar die Qualität der intentionalen Relation betreffen, aber doch beteiligt sind. Was in der traditionellen Darstellung von Intentionalität als Subjekt und Objekt der Relation beschrieben wird, ist ebenfalls als signifikative Leerstellen der Verbstruktur impliziert. Es handelt sich dabei um signifikative Leerstellen, weil sie einerseits auf Signifikanz beruhen und andererseits über andere sprachliche Zeichen, die keine Verben sind, realisiert werden müssen (z. B. als Substantive). Trotz der Realisierung durch andere sprachliche Zeichen ist ihre Evokation bereits im Verb angelegt, sodass diese ebenfalls im Modell intentionaler Verben erfasst werden sollten. 4.a. Die signifikative Leerstelle, die eine diskursive Rolle evoziert, ist strukturähnlich zum Konzept des Subjekts, ist aber aus der Perspektive des intentionalen Verbs zu betrachten und damit strukturabhängig. Kraft des intentionalen Verbs verfügt die diskursive Rolle über spezifische Eigenschaften, die mithilfe des theoretischen Vokabulars erklärt werden sollen. Weil es sich dabei um die Abhängigkeit von der intentionalen Relation in diskursiven Praktiken handelt und damit weder um syntaktische (Aktanten) noch semantische (semantische Rollen) Strukturen, bildet der Begriff der diskursiven Rolle hier ein handlungswie diskurstheoretisches Äquivalent. Da pragmatische und diskursive Aspekte in der Konstitution diskursiver Rollen berücksichtigt werden, kann hier das handlungstheoretische Vokabular Brandoms (Handlungen aus Gründen und Handlungen mit Gründen) verwendet werden, um Unterscheidungen verschiedener diskursiver Rollen zu ermöglichen, ohne spezifische semantische Gehalte zu analysieren. Das handlungstheoretische Vokabular Brandoms bietet sich hier außerdem an, weil es eine inferenzielle Gliederung im Rahmen diskursiver Praktiken impliziert, welche dann auch für diskursive Rollen gelten kann bzw. entsprechend modelliert wird. 4.b. Neben einer signifikativen Leerstelle für eine diskursive Rolle evoziert ein intentionales Verb außerdem ein intentionales Objekt und ist damit von diesem ebenfalls strukturabhängig. Dieses intentionale Objekt realisiert sich ebenfalls nicht als Verb, sondern über andere sprachliche Zeichen (Akkusativobjekte etc.). Anstatt aber hier nur auf die konkrete Äußerungsebene zu blicken, ist für das evozierte intentionale Objekt insbesondere wichtig, dass es selbst inferenziell gegliedert ist, weil es propositional eingebettet wird bzw. sein kann. Es geht hier also auch weniger um spezifische semantische Gehalte des intentionalen Objekts, sondern um eine Signifikanz der Struktur. Das kraft des intentionalen Verbs evozierte intentionale Objekt unterscheidet sich außerdem vom Objekt der phänomenologischen Intentionalität. Während z. B. Wahrnehmungsverben wie sehen oder zusehen zwar Objekte fordern, die sich durch ihre Involviertheit in phänomenologische Intentionalität auszeichnen, qualifizieren sich diese nicht als intentionales Objekt im Rahmen diskursiver Intentionalität. Denn diese zeichnet sich weniger über die Gerichtetheit als über die inferenziellen Strukturen aus, die kraft der diskursiven Normen entstehen. Zusammenfassend bilden diskursive Norm, semantische Relation, signifikative propositionale Einstellung sowie die Relata die grundlegenden Elemente von intentionalen Verben. Eine Darstellung der verschiedenen Elemente der intentionalen Relation bzw. Verben reicht jedoch zur Bestimmung der verschiedenen Strukturen, Prozesse und Verhältnisse des 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 241 Modells nicht aus. Daher ist es notwendig, die Elemente in ein diagrammatisches Verhältnis zu setzen, um weitere Aspekte aufzuzeigen (cf. Abb. 6). Abb. 6: Intentionale Verben Das Diagramm, welches die oben beschriebenen Elemente intentionaler Verben darstellt, wird im Folgenden mit der formelhaften Abkürzung [[X]INTENTIONAL → [Y]] bezeichnet. Damit wird nicht nur die relationslogische Einbettung, sondern auch bereits das vektorielle Verhältnis zwischen den Relata beschrieben. Im Folgenden sollen aus Perspektive der beschriebenen Elemente von intentionalen Verben die Verhältnisse dieser und Relationen, die über das Modell hinausgehen, erfasst werden. Dabei gibt es gewissermaßen zwei unterschiedliche Leserichtungen, je nachdem, welches Erkenntnisinteresse mit diesem Diagramm verfolgt wird: Die relationslogische Leserichtung erfasst die Signifikanzstruktur intentionaler Verben als Spuren der Signifikation (Zeichenwerdung). Demnach entsteht auf Basis diskursiver Normen eine intentionale und auch semantische Relation, die sich auf Verhalten und Personen der Wirklichkeit bezieht und damit eine Interpretation eines Verhaltens als Handlung ermöglicht. Aus einer verbstrukturellen Leserichtung, die die (explizite oder implizite) Instanziierung des Verbs aus Ausgangspunkt nimmt, stellen sich die Elemente etwas anders dar: Durch die fixpunktartige Instanziierung des Verbs werden erst diskursive Normen herangezogen (Attraktion), die dann Verhalten als Handlung beurteilbar machen und konstituieren. Im Folgenden steht insbesondere die relationslogische Perspektive im Mittelpunkt. Zur Erfassung des Diagramms ist zunächst ein Hinweis zur Struktur der Ebenen notwendig, welcher bereits semiotische und kategoriale Differenzierungen einführt. Es sollte zwischen drei Ebenen unterschieden werden: 1. Ebene der konstituierenden Konditionen (hier: diskursive Normen), 2. Ebene der Struktur (hier: semantische Relation, Relata (X und Y) und signifikative propositionale Einstellung) und 3. Ebene der Objektrelationen. Diese drei Ebenen unterscheiden sich sowohl in ihrer kategorialen Zugehörigkeit als auch in ihrer Funktion. Neben den drei Ebenen gliedert sich das Diagramm außerdem entlang zweier Achsen, die bereits in den Ebenen angelegt sind, aber dennoch expliziert werden sollten. Denn in den 242 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Achsen spiegelt sich der Unterschied zwischen repräsentationaler Intentionalität [ofintentionality] und expressiver Intentionalität [that-intentionality] wider (cf. Kapitel 8): Während eine Interpretation des Diagramms auf einer vertikalen Achse erklärt, inwiefern spezifische diskursive Normen, semantische und inferenzielle Gehalte ihre diskursive Gültigkeit für Objekte der Wirklichkeit erlangen können (repräsentationale Intentionalität), stellt die horizontale Ebene (expressive Intentionalität) die Involviertheit von diskursiven Rollen, semantischen Relationen, signifikativen propositionalen Einstellungen und Gehalten in diskursiven Praktiken dar. Damit ermöglicht das Modell sowohl eine Beschreibung der inferenziellen Überlagerung, parasitären Nutzung und Integration von Objekten der Wirklichkeit in diskursiven Praktiken als auch die Analyse von Diskursivität dieser Praktiken. 1. Diskursive Normen, die hier als einziges Element auf der Ebene der konstituierenden Konditionen vertreten sind, bedingen kraft ihrer drittheitlichen Qualität die Ebene der Struktur. Dies umfasst, dass intentionale Relationen kraft konditionaler diskursiver Normen genuin triadische Relation sind. Das Diagramm zeigt aber nicht nur die kategoriale Qualität (Drittheit) und die Effektrichtung der diskursiven Normen (Vektorpfeil) an, sondern auch, dass diskursive Normen nicht nur die semantische Relation, sondern auch die Relata beeinflussen. Für die Objekte der signifikativen Leerstellen (X und Y bzw. diskursive Rolle und signifikatives intentionales Objekt) gelten die konditionalen diskursiven Normen also auf spezifische Weise, z. B. als Normverfügen oder Beurteilbarkeit. 2. Entlang der diskursiven Normen ist es aber eine semantische Relation, welche X und Y in ein Verhältnis setzt. Als semiotische Relation signifiziert diese Relata, deren Objekte (der Ebene der Objektrelationen) nur kraft der intentionalen Relation in Beziehung stehen. Bei der diagrammatischen Darstellung der semantischen Relation ist außerdem die kategoriale Struktur der Relation markiert (Quasi-Zweitheit). Diese ergibt sich aus ihrer Ableitung aus den konditionalen diskursiven Normen. Neben dieser findet sich im Diagramm auch eine doppelte vektorielle Ausrichtung der Relation. Damit ist nicht nur der Evokationseffekt der Signifikanz der Relation modelliert, sondern es verbergen sich dahinter auch zwei wesentliche strukturelle Aspekte, die die Qualität intentionaler Relationen auszeichnen: Zuschreibung bzw. Attribuierung und Gerichtetheit. Diese strukturellen Aspekte stehen (über die semantische Relation) in einem Verhältnis zueinander. Die Zuschreibung bzw. Attribuierung der Signifikanzstruktur der diskursiven Intentionalität gilt für X, aber nicht für Y. X stellt also das Subjekt der signifizierten Handlung dar. Y hingegen ist das Objekt der Gerichtetheit, wobei sich die Gerichtetheit in zwei Richtungen entfaltet. In Bezug auf Zuschreibung bzw. Attribuierung bedeutet dies, dass auch immer etwas (Y) zugeschrieben bzw. attribuiert wird. Gleichzeitg erfordert Gerichtetheit nicht nur ein Objekt (Y), sondern immer auch jemanden (X), der auf etwas (Y) gerichtet ist. Insofern markieren die Vektoren zwar unterschiedliche Qualitäten, die aber nicht distinkt sind. Dass die semantische Relation im Modell selbst keine Objektrelation aufweist (Ebene der Objektrelationen), heißt nicht, dass das im intentionalen Verb beschriebene Verhalten selbst keine Objektrelationen involviert. Offensichtlich gibt es zu jedem intentionalen Verb ein korrespondierendes Verhalten bzw. eine Struktur, sei sie performativ erzeugt oder 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 243 referenziell eingebettet. Für eine Analyse der diskursiven Intentionalität ist dieses Verhältnis aber zweitrangig, insbesondere deshalb, weil sich intentionale Relationen durch indirekte Transitivität auszeichnen und der objektrelationale Bezug daher auch über andere inferenziell angegliederte Verben erfasst werden kann. 3. Die semantische Relation involviert außerdem eine dem Verb implizite signifikative propositionale Einstellung. Diese stellt eben jene Strukturen bereit, die für die handlungstheoretische Deskription des Verhaltens notwendig ist (Handlungen mit Gründen und Handlungen aus Gründen). Insofern tendiert die signifikative propositionale Einstellung zu X (mittels Zuschreibung bzw. Attribuierung). Gleichzeitig begleitet sie als Bereitstellung propositionaler Strukturen auch die Einbettung von Y in inferenzielle Strukturen. Die Objektrelation der signifikativen propositionalen Einstellung beinhaltet diejenigen Aspekte, die der Darstellung der semantischen Relation noch fehlten: Sie zeigt an, dass die semantische Relation über eine signifikative propositionale Einstellung entweder reale Relationen konstituieren (praktische Festlegung) oder sich derer bedienen (kognitive Festlegung) kann. Bei beiden Verfahren kommt es jedoch zu einem strukturellen Projektionsverhältnis zwischen der signifikativen Struktur und der Ebene der Objekte bzw. Objektrelationen. 4. Neben den Verhältnissen der diskursiven Normen, semantischen Relation und signifikativen propositionalen Einstellung sind insbesondere die markierten signifikativen Leerstellen X und Y (diskursive Rolle und intentionales Objekt) für die Modellierung intentionaler Verben relevant. Neben der Beeinflussung der signifikativen Leerstellen durch diskursive Normen (z. B. als Normverfügen, Beurteilbarkeit, Verantwortung) ist insbesondere deren strukturelle Abhängigkeit von der semantischen Relation erklärungsbedürftig: Sie ist ein Effekt der kraft der diskursiven Normen quasi-zweitheitlichen Relation, sodass sich deren Signifikanzen auch strukturell vererben. 4.a. Für X gilt hier, dass es auf der Ebene der konstituierenden Konditionen, der Struktur und der Objektrelationen zu beschreiben ist. Für die diskursiven Normen kann X bzw. dessen Objekt z. B. für die Handlung verantwortlich gemacht oder als diskursive Autorität anerkannt werden. Es wird ein gewisser Grad an Normverfügen durch die diskursive Rolle auf sein Objekt projiziert. Zugleich wird X über die semantische Relation eine signifikative propositionale Einstellung zugeschrieben bzw. attribuiert, sodass das Normverfügen mit einer signifikativen propositionalen Struktur korreliert. Zugleich steht die signifikative Struktur der Leerstelle in einem Verhältnis zu Objekten der Wirklichkeit (Ebene der Objektrelationen), sodass auch die projizierten Strukturen und Normen Geltung für das Objekt von X entfalten können. 4.b. Für Y gilt ebenfalls, dass es auf der Ebene der konstituierenden Konditionen, der Struktur und der Objektrelationen zu beschreiben ist. Allerdings unterscheiden sich die theoretischen Konsequenzen für Y von denen für X. Diskursive Normen haben insofern einen Einfluss auf Y, als dass sie das Objekt von Y in die diskursive Praxis eingliedern und damit unter entsprechenden Normen beurteilbar machen. Damit ist Y auch inferenziell gegliedert. Auf der Ebene der Struktur zeichnet sich eine Signifikanz des intentionalen Objekts nicht nur durch Gerichtetheit aus, sondern (und das unterscheidet es von einer phänomenologischen Perspektive) durch inferenzielle Gliederung. Insofern müssen bei der Modellierung sowie der Analyse der Signifikanz des intentionalen Objekts stets latente Prädikate mitgedacht werden, 244 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben die die propositionale Struktur vervollständigen. Es handelt sich dabei aber nicht um spezifische oder konkrete Prädikate, sondern allein um das Potenzial im Rahmen der diskursiven Struktur. Insofern sind sie weder semantisch noch normativ festgelegt, aber dennoch durch diskursive Normen bestimmt, wie der Übergang zwischen der Ebene der konstituierenden Konditionen und der Ebene der Struktur zeigt. Insofern ist auch die Beziehung zwischen der Signifikanzstruktur des intentionalen Objekts und den latenten prädikativen Strukturen als kategoriale Quasi-Zweitheit modelliert. Außerdem verfügt Y über eine Objektrelation, die einen Bezug zu Objekten der Wirklichkeit ermöglicht. Insgesamt ist es außerdem sinnvoll, noch einmal die Ebene der Objektrelation zu betrachten. Denn diese unterscheidet sich in der Qualität der Existenzpräsupposition bzw. -konstitution. Damit eine Zuschreibung bzw. Attribuierung von diskursiver Intentionalität gelingen kann, muss angenommen werden, dass X im Rahmen der zu untersuchenden Praxis existiert. Insofern bringt die semantische Relation diese Existenzpräsupposition inferenziell mit. Auf ähnliche Weise gilt dies auch für die Objektrelation der signifikativen propositionalen Einstellung (und damit auch der semantischen Relation). Es muss entweder ein Verhalten angenommen werden (als Präsupposition) oder es wird performativ erzeugt (als Konstitution). In beiden Fällen gilt aber, dass es eine Objektrelation zu einem spezifischen Verhalten gibt (projiziert oder nicht). Die Qualität der Objektrelation von Y zeichnet sich nicht durch Existenz aus, denn es kann auch das Verfügen über ein intentionales Objekt zugeschrieben bzw. attribuiert werden, das nicht existiert. Insofern ist Existenz keine notwendige Eigenschaft dieser Relation. Alle Objektrelationen, die im Modell intentionaler Verben skizziert sind, zeichnen sich durch Indexikalität aus. Das heißt, dass das Verhältnis zwischen Struktur und Objekten (und nicht den Relata bzw. signifikativen Leerstellen) eine unmittelbare Kontiguität aufweist, die diskursiv eine Unterscheidung der Ebenen erschwert, aber analytisch zugänglich gemacht werden kann. Dass es sich bei intentionalen Verben um konventionelle Zeichen handelt, wird damit nicht angezweifelt und auch die Ebene der konstituierenden Konditionen zeigt, dass hier ein Aspekt der Drittheit involviert ist. Doch hier geht es nicht vorrangig um den regelhaften Bezug zwischen sprachlichen Zeichen und Welt, sondern um das stetige Verhältnis beider, welches z. B. in der Eingliederung von Objekten in diskursive Praktiken münden kann (zur Indexikalität des Verhältnisses zwischen Zeichen und Wirklichkeit cf. z. B. Harendarski 2012, Jäger 2008, 2018 b). Nach der Darstellung der Elemente des Modells sowie des Diagramms [[X]INTEN- TIONAL → [Y]] lässt sich dieses anhand folgender Äußerung exemplarisch veranschaulichen: (1) I 1 : “ Peter weiß, dass Hunde beißen. ” Das Verb wissen signifiziert eine intentionale Relation [[X]WISSEN → [Y]], wobei Peter (X) und Hunde (Y) in ein Verhältnis gesetzt werden. Die Zuschreibung von diskursiver Intentionalität gelingt hier allein durch das Vollverb. Wissen schreibt hier aber nicht nur eine signifikative propositionale Einstellung der (wahren gerechtfertigten) Überzeugung zu, sondern auch die Fähigkeit, über propositionale Einstellungen im Allgemeinen verfügen zu können, denn nur wer diese Bedingung erfüllt, der kann auch spezifische propositionale Einstellungen haben. Ohne diese Bedingung der Möglichkeit ist die Zuschreibung einer spezifischen propositionalen Einstellung nicht möglich. 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 245 Die Äußerung stellt aber nicht nur eine kognitive Festlegung für I 1 dar, sondern auch für X: X wird kraft der Intentionalitätszuschreibung auf den propositionalen Gehalt des Konstituentensatzes festgelegt. Im Rahmen dieser Äußerung lässt sich auch die Differenz von expressiver und repräsentationaler Intentionalität demonstrieren. Der Konstituentensatz handelt nicht nur von Hunden und deren Bissigkeit (repräsentationale Intentionalität), sondern involviert diskursive Normen, welche sich diskursspezifisch entfalten können und die inferenzielle Gliederung des kognitiven Gehalts von X bestimmen, z. B. “ Der Hund beißt, also werde ich wohl den Hund nicht streicheln. ” , “ Der Hund beißt, also werde ich wohl einen anderen Weg nehmen. ” etc. (vertiefend cf. EV: 360 f.) Dass sich Zuschreibung diskursiver Intentionalität kraft intentionaler Verben nicht nur auf kognitive Festlegungen beschränkt, zeigt das Beispiel der Zuschreibung einer kommissiven sprachlichen Handlung: (2) I 1 : “ Peter hat versprochen, den Müll rauszubringen. ” Hier besteht ebenfalls eine intentionale Relation, [[X]VERSPRECHEN → [Y]], welche zwischen Peter (X) und seinem Versprechen (Y) besteht. Während die intentionale Relation in (1) allerdings eine reale Relation überlagert, indem spezifische mentale Strukturen hinsichtlich diskursiver Normen beurteilbar werden (als Normverfügen), konstituiert die intentionale Relation in (2) erst das Verhältnis zwischen X und Y: Ohne intentionale Relation gibt es weder eine Funktion des Versprechens noch das Versprechen selbst. Gleichzeitig sorgt die Intentionalitätszuschreibung hier für eine praktische Festlegung, welche die Folgehandlung erfordert und sich an der Schnittstelle der diskursiven Praxis und ihrer nicht-inferenziellen Handlungen bewegt. Die praktische Festlegung lässt sich z. B. mit “ Also sollte er es auch tun. ” explizieren, doch reicht eine kognitive Begründung für den konstituierten Sachverhalt nicht aus: Um die inferenziellen Umstände und Folgen zu erfüllen, muss X praktisch begründen, also die kraft des propositionalen Gehalts und des Verbs erforderte Handlung einlösen. Anhand dieser skizzenhaften Analyse, die die Perspektive des intentionalen Verbs auf diskursive Praktiken demonstriert, lässt sich die Funktionalität des Modells also zeigen. Die Modellsätze dienen dabei nicht als Ersatz für empirische Belege, sondern sollen allenfalls die verschiedenen Prozesse und Strukturen, die das Modell intentionaler Verben darstellt, veranschaulichen. Das hier präsentierte Grundlagenmodell intentionaler Verben dient als Substrat für weitere Analysen und Elaborationen zu intentionalen Relationen und damit auch diskursiver Intentionalität. Es demonstriert die theoretischen Reflexionen der vorherigen Kapitel und schließt somit an die zeichen- und sprachtheoretischen Grundlagen und Reflexionen von Peirce und Brandom an: Intentionale Verben signifizieren, so lässt sich mit Peirce sagen, genuine triadische Relationen. Diese genuin triadischen Relationen involvieren diskursive Rollen und intentionale Objekte und beruhen auf diskursiven Normen, was sie z. B. von realen Relationen unterscheidet. Dieses Grundlagenmodell dient also semiotische Voraussetzung für theoretische Differenzierungen (cf. Kapitel 12.4 - 12.6), ist aber gleichzeitig eine semiotische Begründung für jene Zeichenpraktiken, die Brandom in seiner deontischen Kontoführung im Blick hat. Insofern bezieht sich auch die Unterschei- 246 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben dung von Zuschreibung und Attribuierung auf die semiotische Grundstruktur intentionaler Verben (cf. Kapitel 13). 12.4 Soziale, kooperative und kollektive intentionale Relationen Das Grundlagenmodell intentionaler Verben ist zwar ein Substrat zur Analyse diskursiver Intentionalität, reicht aber insbesondere für sozial-kommunikative Praktiken nicht aus. Denn sprachliche Praktiken werden zwar häufig individuell ausgeführt, sind aber sozial eingebettet. Ihnen liegt eine interlokutive Dimension zugrunde, die entweder präsupponiert oder durch die jeweilige Praktik projiziert wird. Während das bisher vorgestellte Grundlagenmodell die Subjekt-Objekt-Relation fokussiert, soll im Folgenden auf die soziale Dimension intentionaler Verben eingegangen werden. Dies schließt an Brandoms Annahme der deontischen Kontoführung als interlokutiver Praxis an, versteht diese Praxis aber gleichzeitig als relationslogisch rekonstruierbar und verfolgt damit die logischen Prämissen der Peirce'schen Semiotik (cf. Kapitel 12.2). Über die logische Differenzierung von sozialen, kooperativen und kollektiven intentionalen Relationen, die jeweils mehrere diskursive Rollen involvieren, sollen unterschiedliche soziale Beziehungen hinsichtlich diskursiver Intentionalität in sozial-kommunikativen Praktiken veranschaulicht werden. Neben den jeweiligen Relationstypen, die ich im Folgenden differenziere, finden auch Brandoms Handlungstheorie in diesem Kapitel Anwendung. Das Verhältnis von diskursiver Festlegung und Intentionalität (cf. Kapitel 8.3) wird als semiotische Qualität intentionaler Verben für eine Unterscheidung von diskursiven Rollen verwendet. Die Unterscheidung von Handlungen mit Gründen und Handlungen aus Gründen, die dort vorgenommen wird, ermöglicht eine handlungslogische und zeichenkonsequenzielle Analyse unterschiedlicher Signifikanzen, ohne auf mentale Strukturen rekurrieren zu müssen. Die Darstellung der intentionalen Relation von X und Y als Subjekt-Objekt-Relation reicht weder für eine Analyse der Evokation diskursiver Rollen noch für eine Analyse der diskursiven Signifikanz respektive Intentionalität aus. Wenn sich diskursive Intentionalität und intentionale Verben allein als diese Relation verstehen lassen würden, dann würde man die normative Kraft intentionaler Verben letztlich auf eine Zuschreibung propositionaler Einstellungen und Gehalte reduzieren. Diese Reduktion der Intentionalität, die sowohl in der anglo-amerikanischen analytischen Philosophie (zurückgehend auf Freges Über Sinn und Bedeutung (2008 a), cf. aber auch EV: 689 f.) als auch in der linguistischen Forschung (cf. z. B. Jaszczolt 1999, 2000) verbreitet ist, erfasst allein eine Facette intentionaler Verben, die auch von Verben propositionaler bzw. kognitiver Einstellungen repräsentiert werden kann. Auch wenn sich Verben wie wissen oder glauben durchaus mithilfe diskursiver Intentionalität erfassen lassen, so sind sie für die Analyse diskursiver Praktiken wohl keine prototypischen Beispiele, sondern dienen als Modellverben eher der Demonstration grundlegender propositionaler Einstellungen und Strukturen. Im Folgenden soll die Analyse der Signifikanz intentionaler Verben erweitert werden, indem eine Analyse sozialer, kooperativer und kollektiver intentionaler Relationen entwickelt wird. Diese Erweiterung schränkt das Modell intentionaler Verben nicht ein, denn diese intentionalen Relationen involvieren auch die im Modell dargestellten Ebenen, Achsen und Strukturen. 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 247 Allerdings stellt sich die relationslogische Struktur als komplexer heraus, weil soziale, kooperative und kollektive intentionale Relationen mehrere diskursive Rollen evozieren. Diese diskursiven Rollen sind nicht unabhängig von der intentionalen Relation [[X] INTENTIONAL → [Y]], sondern sind in diese relational eingepflegt, sodass es zu Triangulationseffekten kommt (cf. Kapitel 14.3 und 15). Die Involviertheit sozialer, kooperativer und kollektiver Funktionen lässt sich schon an der oben analysierten Relation [[X]VERSPRECHEN → [Y]] skizzieren. Denn bei genauerer Betrachtung von [[X]VERSPRECHEN → [Y]] reicht eine Übersetzung in die intentionale Relation [[X]INTENTIONAL → [Y]] nicht aus. Versprechen als sozial-kommunikative Handlung involviert eine weitere diskursive Rolle, die ebenfalls modelliert und damit expliziert werden muss. Dass Handlungen im Rahmen linguistischer Analysen mehrere Personen involvieren können, hat bereits Karl Bühler beschrieben: Das Geben, von welchem der Dativ seinen Namen empfing, ist eine psychologisch verwickelte Verhaltensweise. Doch kann natürlich auch sie zum Grundmodell erhoben werden. Dann stehen im Dativ und Nominativ ursprünglich zwei Personen, die auch in unserem Organonmodell vorkommen, nämlich der Sender und Empfänger. Diesmal aber nicht als Sender und Empfänger, sondern eines Gutes oder eines (sachlichen) Geschehens. Wenn wir auf einen Brief ‘ Herrn N. N. ’ schreiben, verwenden wir diesen durchaus originär denkbaren Dativus, der keinen Akkusativ neben sich haben müßte, während unsere Sprache sonst den Dativ nur zusätzlich und ganz, wie man sich ausdrückt, als Kasus des ferneren Objektes verwendet. Ich könnte mir diesen Adressendativ als einen einzigen neben dem Nominativ als Normalfall vorstellen. (Bühler 1999: 251) Der Adressendativ (cf. auch Waldenfels 2005: 282 f.) ist eine grammatische Markierung, die anzeigt, dass die Struktur sozialer Handlungen über Subjekt-Objekt-Relationen hinausgeht. Doch obwohl der Adressendativ bereits eine weitere latente diskursive Rolle im Rahmen intentionaler Relationen andeutet und in der Linguistik auch auf das Verhältnis von Dativobjekt und Intentionalität hingewiesen wurde (cf. z. B. Wettler 1980: 304 f.), reicht eine grammatische Beschreibung für eine Analyse intentionaler Relationen nicht aus. Vielmehr müssen sich diese Relationen (1) mithilfe einer relationalen Logik analysieren lassen und (2) die Spezifik ihrer Relata im Rahmen einer Handlungslogik dargestellt werden. Außerdem ist es sinnvoll, zwischen verschiedenen Formen der sozialen Reziprozität der diskursiven Rollen zu unterscheiden. Bei der Deskription von sozialen, kooperativen und kollektiven intentionalen Relationen kann dabei auf die theoretischen Prämissen Millikans zurückgegriffen werden, die intentionale Zeichen bzw. Ikons schon in ihrer kooperativen Funktion analysiert hat (cf. Kapitel 9.2). In der kooperativen Funktion liegt damit bereits ein theoretischer Keim, der im Folgenden ausdifferenziert wird, indem eine Typologie der Relationen diskursiver Rollen vorgeschlagen wird. Soziale intentionale Relationen involvieren nicht nur [[X]INTENTIONAL → [Y]], sondern auch eine Relation, die sich [[X] ← INTENTIONAL → [Z]] nennt, wobei Z eine weitere potenzielle diskursive Rolle markiert. Tatsächlich signifizieren sowohl versprechen als auch ermorden solche sozialen intentionalen Relationen, aber auf unterschiedliche Weise. Versprechen evoziert sowohl [[X]INTENTIONAL → [Y]] ( “ X verspricht Y ” ) als auch [[X] ← INTENTIONAL → [Z]] ( “ X verspricht Z etwas ” ), wobei diese beiden Relationen in einem Verhältnis stehen, welches sich folgendermaßen relationslogisch analysieren lässt: 248 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben [[X]INTENTIONAL → [Y]] und [[X] ← INTENTIONAL → [Z]] sind beim intentionalen Verb versprechen zwei genuin triadische Relationen, die unter dieselbe diskursive Norm (Ebene der konstituierenden Konditionen) fallen: Vor Z wird das Versprechen (Y) von X getätigt, was zu einer Verpflichtung (normativ) führt, die durch eine praktische Begründung (Handlung) eingelöst werden kann. Die Unabhängigkeit der beiden intentionalen Relationen ist insbesondere dann ersichtlich, wenn die potenziellen Folgehandlungen und Handlungsverben bzw. intentionalen Verben betrachtet werden, die Z betreffen. Denn für Z folgen aus den beiden intentionalen Relationen Berechtigungen, die sich ebenfalls modellieren lassen: Wenn X Y verspricht, dann darf (als Berechtigung) Z X auf Y verpflichten. Es gibt also eine zeitlich versetzte Komplementärhandlung bzw. ein Verb, welches diese beschreibt: Nach dem Versprechen von X (t 1 ) kann Z X verpflichten (t 2 ). Das Verhältnis von Handlung und Komplementärhandlung ist insbesondere bei sozial-kommunikativen Handlungsverben erkennbar, z. B. im Verhältnis von fragen und antworten (cf. dazu ausführlich Waldenfels 1994): Wenn X Z fragt, ob Y ([[X]INTENTIONAL → [Y]] und [[X] ← INTENTIONAL → [Z]]), dann ist Z aufgefordert zu antworten und in die Pflicht genommen ([[Z]INTENTIONAL → [Y]] und [[Z] ← INTENTIONAL → [X]]). Das Verb ermorden hingegen scheint seine soziale intentionale Relation zu verschleiern, ist aber nicht weniger durch diese gekennzeichnet. Bereits bei der Erklärung des Unterschieds von töten und ermorden im Rahmen der Logik der Relationen hat sich gezeigt, dass es hier eine signifikante Differenz hinsichtlich der diskursiven Normen gibt (cf. dazu auch Shuy 2014). Tatsächlich unterscheiden sich töten und ermorden noch durch einen weiteren wesentlichen Aspekt: Wörtlich können nur diskursive bzw. sozial-normative Wesen ermordet werden, während getötet werden gewissenmaßen allen Lebewesen (z. B. Tiere und Pflanzen) offensteht. Somit evoziert die Struktur des intentionalen Verbs ermorden also ein soziales Wesen, welches ebenfalls durch diskursive Normen bestimmt ist. Insofern ist ermorden eine soziale Handlung, sodass auch das intentionale Verb eine soziale intentionale Relation signifiziert. Zusammenfassend lassen sich soziale intentionale Relationen als diejenigen intentionalen Relationen bezeichnen, die zwar auch [[X]INTENTIONAL → [Y]] involvieren, aber sich insbesondere durch die Evokation einer weiteren diskursiven Rolle auszeichnen, welche sich nicht auf ein signifikatives intentionales Objekt reduzieren lässt. Kooperative intentionale Relationen ähneln sozialen Relationen, weil sie auch ein Relatum Z fordern. Allerdings unterscheiden sie sich insbesondere hinsichtlich der zeitlichen Ereignisstruktur ihrer Komplementärhandlungen, was sich auch auf die relationale Logik auswirkt. Zunächst ist es sinnvoll, sich die kooperative Funktion von Verben anzusehen, denn nicht alle Verben mit kooperativer Funktion fordern notwendigerweise sozialnormative Wesen bzw. evozieren diskursive Rollen. Geben im Sinne von “ etwas verabreichen ” (cf. Schumacher et al. 2004: 401), welches eine Komplementärhandlungen nehmen involviert, kann auch andere Relata evozieren (z. B. “ Die Äffin gibt ihrem Jungen eine Banane. ” (ebd.)). Das Verb involviert also nicht notwendigerweise eine diskursive Norm, sodass es sich hier um mehrere dyadische Relationen handelt. Andere Verben bzw. Verbkomplexe wie kaufen/ verkaufen des commercial transaction frames (cf. z. B. Croft 2001) hingegen involvieren notwendigerweise diskursive Rollen und damit auch entsprechende Normen. Bei einem Vergleich von sozialen intentionalen Relationen und ihren Komplementärhandlungen wie fragen/ antworten und den kooperativen intentionalen Relatio- 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 249 nen wie kaufen/ verkaufen zeigt sich, dass die Temporalität der Komplementärhandlungen in den Mittelpunkt rückt und Einblicke in die Handlungsverpflichtungsrelationen gibt. Kaufen und verkaufen (ebenso wie geben und nehmen) finden synchron bzw. simultan statt und sind reziprok, während sich die Komplementärhandlungen von sozialen intentionalen Relationen konsekutiv ereignen. Dies hat für die relationslogische Analyse wesentliche Konsequenzen, denn während soziale intentionale Relationen unabhängig voneinander bestehende genuin triadische Relationen sind, konstituieren kooperative intentionale Verben doppelte genuin triadische Relationen, welche sich durch ihre gemeinsame, eben kooperative, Relation zu Y auszeichnen. Soziale intentionale Relationen sind durch ihre zeitlich verschobenen Komplementärhandlungen bestimmt, sodass auch die Relationen zu Y dieser Temporalität unterworfen sind: Während [[X]INTENTIONAL → [Y]] zu t 1 stattfindet, kann [[Z]INTENTIONAL → [Y]] zu t 2 stattfinden. Die Relation zu Y ist bei kooperativen intentionalen Relationen hinsichtlich der temporalen Dimension anders, denn [[X]INTENTIONAL → [Y]] und [[Z]INTENTIONAL → [Y]] finden beide zu t 1 statt, sodass beide intentionalen Relationen nicht voneinander getrennt werden können, ohne deren genuin doppelte Relationalität zu tilgen. Diese Eigenschaft kooperativer intentionaler Relationen wirkt sich auch auf die Festlegungs- und Berechtigungsstruktur dieser intentionalen Verben aus: Die Festlegung auf [[X]INTENTIONAL → [Y]] legt gleichzeitig auch auf die Komplementärhandlung [[Z]INTENTIONAL → [Y]] fest. Zusammenfassend sind kooperative intentionale Relationen also intentionale Relationen, die sich durch simultane (temporal) und reziproke (kooperativ) signifizierte Komplementärhandlungen auszeichnen und damir ihre diskursiven Rollen auf besondere Weise zusammenführen. Kollektive intentionale Relationen verschärfen die Spezifik kooperativer intentionaler Relationen. Verben wie diskutieren, besprechen, (sich) unterhalten, verhandeln evozieren nicht nur mehrere diskursive Rollen und legen auf eine Komplementärhandlung fest, sondern signifizierte Komplementärhandlungen zeichnen sich durch ihre identische performative und kognitive Struktur aus: Wenn X mit Z diskutiert, dann diskutiert Z auch mit X. Außerdem werden beiden diskursiven Rollen dieselben signifikativen propositionalen Einstellungen zugeschrieben, wobei signifikative propositionale Gehalte (z. B. Hintergrundüberzeugungen), die zu den kollektiven Simultanhandlungen führen, divergieren können. Geteilt wird bei diskutieren eine signifikative Kommunikationsabsicht. Relationslogisch stellen diese kollektiven Simultanhandlungen insofern ein Hindernis dar, als dass eine Deskription der kollektiven intentionalen Relationen als doppelte genuin triadische Relation den Aspekt der Kollektivität nicht hinreichend berücksichtigt. Dass dieser aber sowohl für eine inferenzielle Struktur als auch für diskursive Normen relevant ist, zeigt sich, wenn man die latente Pluralmarkierung von Verben analysiert, die kollektive intentionale Relationen signifizieren: Sie lassen sich auf besondere Weise mit dem Adverb miteinander bilden und zeigen so ihre Kollektivität auf. 15 Somit handelt es sich zwar numerisch um mehrere, aber relationslogisch nur um ein Relatum, sodass kollektive 15 Natürlich können auch andere Verben mit miteinander stehen. Doch trägt dann das Adverb semantische Gehalte zum Satz bei, während es bei kollektiven intentionalen Relationen die latente Pluralstruktur expliziert. 250 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben intentionale Relationen selbst genuin triadische Relationen mit einem pluralen Relatum (als Nominativergänzung) sind. Damit zeichnen sich kollektive intentionale Relationen durch ihre identische Handlungsstruktur der Relata X und Z aus. Die Unterscheidung von sozialen, kooperativen und kollektiven intentionalen Relationen ermöglicht also eine Ausdifferenzierung des Grundlagenmodells intentionaler Verben hinsichtlich der Relationen der diskursiven Rollen. Neben der Markierung der vektoriellen Ausrichtung im Rahmen der Notation (hier z. B. [[X] ← INTENTIONAL → [Z]]) bietet sich außerdem eine Markierung der intentionalen Relation selbst an, um die soziale, kooperative bzw. kollektive Struktur zu bezeichnen. Daher kann für eine Analyse die folgende Bezeichnung der signifikativen Struktur verwendet werden: 1. [[X] ← SOZ INTENTIONAL → [Z]] (soziale intentionale Relation) 2. [[X] ← KOOP INTENTIONAL → [Z]] (kooperative intentionale Relation) 3. [[X] ← KOLL INTENTIONAL → [Z]] (kollektive intentionale Relation) Allerdings ist das Verhältnis zwischen Sozialität, Kooperativität und Kollektivität (als signifikative Struktur) und diskursiver Intentionalität nicht immer so eindeutig, wie die Differenzierung zunächst nahelegt. Und dies liegt insbesondere an der latenten Handlungsstruktur, die die diskursiven Rollen involvieren: Während die signifikative Struktur des Verbs diskutieren diskursive Rollen fordert, die über eine signifikative Kommunikationsbzw. Handlungsabsicht (Handlung aus Gründen) verfügen, ist diese Struktur aber nicht bei allen intentionalen Verben vorzufinden, die kollektive intentionale Relationen signifizieren. So kann z. B. spielen (unter bestimmten Umständen) den Pluraltest erfüllen und fordert auch diskursive Rollen, doch müssen diese nicht über eine Signifikanz verfügen, die sich mit “ aus Gründen handeln ” beschreiben lässt. Vielmehr ist hier das Verfügen über vorausgehende Absichten (Handlung mit Gründen) notwendig, die aber während der kollektiven Simultanhandlung (spielen) nicht handlungspräsent sein müssen. Es reicht, wenn eine signifikative Absicht die Handlung als vorausgehend motiviert erfasst. Das hier exemplarisch skizzierte ambige Verhältnis von kollektiven intentionalen Relationen und Handlungsstruktur der diskursiven Rollen zeigt, dass die Differenz von sozialen, kooperativen und kollektiven intentionalen Relationen mithilfe einer Handlungslogik spezifiziert werden muss, um die evozierte Handlungsinvolviertheit der diskursiven Rollen erklären zu können. Damit wird eine Festlegungs- und Berechtigungsstruktur der Komplementärbzw. Simultanhandlungen bzw. -handlungsverben um eine Handlungslogik diskursiver Rollen erweitert. Die Unterscheidung zwischen Handlungen mit und Handlungen aus Gründen hilft dann dabei, neben den Relationen auch die Spezifik der jeweiligen Relata zu analysieren. Die handlungslogische Unterscheidung der Beschreibungen von Handlungen mit bzw. Handlungen aus Gründen kann hier eine weitere Achse in die Deskription diskursiver Rollen als Evokationspotenziale intentionaler Verben eingliedern. Neben der Differenz von sozialen, kooperativen und kollektiven intentionalen Relationen geht es hier also um die Frage, inwiefern die evozierten Relata kraft der intentionalen Relation über spezifische handlungslogische Strukturen verfügen sollen, können oder müssen. Für die Modellierung der handlungslogischen Struktur der evozierten Relata soll folgende Differenzierung dienen, die neben der diskursiven Rolle auch das Relatum des intentionalen Objekts aufnimmt: 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 251 1. Diskursive Rolle aus Gründen (DRausG) 2. Diskursive Rolle mit Gründen (DRmitG) und 3. Intentionales Objekt (iO) Mit dieser Unterscheidung kann die Handlungstheorie Brandoms in das Modell der intentionalen Verben integriert werden. Die Handlungsdeskription und -beurteilung ist damit ein Effekt der konstituierten Handlungsstruktur des intentionalen Verbs. Neben der Unterscheidung von Handlung aus Gründen und Handlung mit Gründen (als Signifikanzen) wird auch das intentionale Objekt als potenzielles Relatum modelliert, wie bereits das Grundlagenmodell intentionaler Verben zeigt. Um die handlungstheoretische Signifikanz für diskursive Rollen zu veranschaulichen, ist es sinnvoll, die formale relationslogische Notation der Variablen (X, Y & Z) zu ergänzen und die Kategorie der differenzierten Handlungslogik zu verwenden, um die handlungskonstitutiven Funktionen der Relata der intentionalen Relation zu analysieren. 16 Die handlungslogisch neutrale Notation ist hierbei [[? ]INTENTIONAL[? ]] und verzichtet dabei zunächst auf weitere Strukturdifferenzierungen, nimmt aber verschiedene vektorielle Ausrichtungen, wenn theoretisch angemessen, bereits auf. Bevor die Handlungsstruktur intentionaler Relationen, und insbesondere sozialer, kooperativer und kollektiver, veranschaulicht wird, kann eine kombinatorische Analyse zeigen, welche Ensembles handlungsstrukturell mithilfe der hier gewählten Handlungspotenziale möglich sind. Eine entsprechende Darstellung impliziert jedoch nicht, dass es für jede Kombination auch notwendigerweise ein entsprechendes intentionales Verb gibt: 1. [[X DRausG ] ← INTENTIONAL → [Z DRausG ]] 2. [[X DRausG ] ← INTENTIONAL → [Z DRmitG ]] 3. [[X DRausG ]INTENTIONAL → [Y iO ]] 4. ? [[X DRmitG ] ← INTENTIONAL → [Z DRausG ]] 5. [[X DRmitG ] ← INTENTIONAL → [Z DRmitG ]] 6. [[X DRmitG ]INTENTIONAL → [Y iO ]] 7. *[[Y iO ]INTENTIONAL[Z DRausG ]] 8. *[[Y iO ]INTENTIONAL[Z DRmitG ]] 9. *[[Y iO ]INTENTIONAL[Y iO ]] Für eine Darstellung der neun kombinatorischen Möglichkeiten und der sich daraus ergebenden Handlungsstrukturen diskursiver Rollen sowie intentionaler Verben sind im Folgenden allein die ersten sechs Strukturbestimmungen relevant. Die anderen drei Strukturbestimmungen, die das intentionale Objekt sequenziell an die erste Position setzen, können vernachlässigt werden, was sich auch in der fehlenden Markierung der vektoriellen Ausrichtung zeigt. Dies hat sowohl einen strukturellen als auch einen signifikativen Grund. Würde die vektorielle Ausrichtung sich strukturell am Grundlagenmodell intentionaler Verben orientieren und damit allein einen Vektor zum inten- 16 Dies betrifft insbesondere das Verhältnis von X und Z und die Kategorien Diskursive Rolle aus Gründen und Diskursive Rolle mit Gründen. Y und Intentionales Objekt sind strukturäquivalent, verweisen aber auf eine unterschiedliche theoretische Involviertheit: Während Y eine relationslogische Bezeichnung ist, ist iO (und auch DRausG und DRmitG) eine handlungslogische Bezeichnung. 252 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben tionalen Objekt hin erlauben, dann wäre sie teilweise strukturäquivalent zu den anderen Strukturbestimmungen (Argument der Struktur). Bestünde hier die Möglichkeit, die vektorielle Ausrichtung umzukehren und einen Vektor vom intentionalen Objekt auf eine diskursive Rolle zu markieren, dann würde dies die Zuschreibung bzw. Attribuierung diskursiver Intentionalität signifikativ implizieren. Dies ist im Grundlagenmodell intentionaler Verben allerdings strukturell ausgeschlossen (Argument der Signifikanz). Im Folgenden sollen die verschiedenen Strukturen intentionaler Verben, die sich aus der Erweiterung mit der Handlungslogik ergeben, dargestellt werden, um sie als Matrize zur Analyse von Verben in diskursiven Praktiken nutzen zu können. Dabei werden zunächst die sozialen, kooperativen und kollektiven intentionalen Relationen erklärt und anschließend diejenigen, die intentionale Objekte markieren. [[X DRausG ] ← INTENTIONAL → [Z DRausG ]] ist eine intentionale Relation, die diskursive Rollen evoziert, die im Rahmen der Signifikanz des Verbs beide aus Gründen handeln bzw. über die entsprechende signifikative Handlungsstruktur verfügen. Diese handlungslogische Deskription erfasst allerdings nur die Struktur der zugeschriebenen signifikativen Handlungsabsichten, aber keinesfalls die spezifischen propositionalen Gehalte. Vielmehr ermöglicht diese handlungslogische Analyse zunächst nur die Deskription der Handlungsfunktion der diskursiven Rolle im Handlungsereignis selbst. Auch die Identität der spezifischen zugeschriebenen signifikativen Handlungsüberzeugungen ist hier handlungslogisch nicht impliziert, aber doch der übergeordneten Handlungsstruktur, wie z. B. die Differenz der Verben diskutieren und streiten veranschaulicht. Diskutieren erfüllt sowohl eine handlungslogische Struktur im Sinne von [[X DRausG ] ← INTENTIONAL → [Z DRausG ]], zeichnet sich durch eine kollektive intentionale Relation aus und erfordert eine Menge an geteilten signifikativen Überzeugungen. Streiten hingegen, welches ebenfalls eine kollektive intentionale Relation signifiziert und der Handlungsstruktur [[X DRausG ] ← INTENTIONAL → [Z DRausG ]] folgt, fordert hinsichtlich des Streitereignisses eben keine geteilte Menge an spezifischen zugeschriebenen Handlungsüberzeugungen. Dennoch weist streiten ebenso wie diskutieren eine “ kollektivistische Superstruktur von Gemeinschaftshandlungen ” (Harendarski 2011: 102) auf. Die handlungslogische Struktur [[X DRausG ] ← INTENTIONAL → [Z DRmitG ]] unterscheidet sich von [[X DRausG ] ← INTENTIONAL → [Z DRausG ]], indem das Verb an der Z-Position eine diskursive Rolle fordert, welche über eine signifikative Handlungsstruktur verfügt, die sich mithilfe von Handlungen mit Gründen beschreiben lässt. Die X-Position zeichnet sich weiterhin durch Handlungen aus Gründen aus. Mithilfe von [[X DRausG ] ← INTENTIONAL → [Z DRmitG ]] lassen sich verschiedene soziale intentionale Relationen erfassen und bilden die wohl prominenteste Klasse der intentionalen Verben. 17 Neben den bereits beschriebenen sozialen intentionalen Verben versprechen und ermorden sind insbesondere sozial-kommunikative Handlungsverben bzw. Kommunikationsverben (cf. Harras/ Winkler/ Erb/ Proost 2004) herausragende Exponenten dieser Analyse. Nicht nur für eine Analyse sprachlicher Handlungen, sondern auch für die gesamte linguistische Pragmatik sind Verben wie sagen, behaupten oder fragen relevant, weil sie verschiedene 17 Daher stehen soziale Handlungsverben auch im Zentrum der Zuschreibungs- und Zuweisungsstheorie intentionaler Verben von Ulf Harendarski (2021 a). 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 253 Handlungsereignisse und deren pragmatische Signifikanz analysierbar machen können. Insbesondere bei einer verbpragmatisch orientierten Analyse von sprachlichen Handlungen stehen diese intentionalen Relationen im Mittelpunkt (cf. Kapitel 14). So fordert behaupten z. B. eine diskursive Rolle (X), die als aus Gründen handelnd markiert ist (hier: mit Kommunikationsabsicht), wobei in der handlungslogischen Struktur der spezifische propositionale Gehalt irrelevant ist und erst durch Zuschreibungs- und Attribuierungsprozesse konkreter propositionaler Einstellungen und Gehalte und der entsprechenden inferenziellen Gliederung in die diskursive Praxis kommt. Für die diskursive Rolle der Z- Position hingegen wird keine Kommunikationsabsicht signifiziert, denn in der Handlungsdeskription ist allein die X-Position explizit handlungsmotiviert. Die Z-Position impliziert jedoch eine latente Handlungsstruktur, die sich mithilfe von Handlungen mit Gründen beschreiben lässt, weil diese diskursive Rolle doch in der gesamten Handlung involviert, aber nicht unmittelbar tätig ist. Hier wird also eine Handlungsmöglichkeit kraft der sozialen intentionalen Relation motiviert, welche z. B. über Komplementärhandlungen bzw. ihre Handlungsverbdeskriptionen eingelöst werden kann und damit im Rahmen der weiteren inferenziellen Gliederung stattfindet. Die Differenzierung der Handlungsstruktur (Handlungen mit Gründen und Handlungen aus Gründen) lässt sich an einigen Verben, die der [[X DRausG ] ← INTENTIONAL → [Z DRausG ]]- Struktur zuzuordnen sind, besonders gut demonstrieren. Denn diese verfügen einerseits über eine latente Handlungsstruktur der Z-Position, aber auch über eine evidente Handlungsstruktur der X-Position. So gilt für das intentionale Verb fragen nicht nur das Grundlagenmodell der intentionalen Verben, sondern auch eine Handlungsstruktur, die sich auf X und Z auswirkt: Während X evident als diskursive Rolle konstituiert wird, die aus Gründen handelt (z.B mit Kommunikationsabsicht), verfügt Z während der im Verb beschriebenen Handlung nicht notwendigerweise über signifikative propositionale Einstellungen und Gehalte. Allerdings impliziert fragen in seiner inferenziellen Gliederung Folgehandlungen (antworten), die die Handlungspositionen strukturell umkehren können (X fragt Z, Z antwortet X). Weil hier diese Folgehandlung bereits latent vorhanden ist, kann sich eine Frage (im wörtlichen Sinne) nur an Entitäten richten, die zumindest über eine latente Handlungsstruktur verfügen und damit handlungsfähig sind. Demnach evoziert fragen auch für Z zumindest eine signifikative Handlungsstruktur, die sich mithilfe des handlungstheoretischen Vokabulars erfassen lässt. Während beide bisher vorgestellten Strukturen [[X DRausG ] ← INTENTIONAL → [Z DRausG ]] und [[X DRausG ] ← INTENTIONAL → [Z DRmitG ]] eine Vielzahl an intentionalen Verben zur Analyse diskursiver Praktiken abdecken dürften, ist auch [[X DRmitG ] ← INTENTIONAL → [Z DRausG ]] kombinatorisch, relationslogisch und handlungsstrukturell möglich und unterscheidet sich außerdem durch die Verhältnisse von signifikativer Leerstelle (X und Z) und Handlungsstruktur von [[X DRausG ] ← INTENTIONAL → [Z DRmitG ]]. Ein entsprechendes Verb würde eine Form von signifikativer Handlungsabsicht aufseiten der (zumeist) adressierten diskursiven Rolle Z erfordern, während sich X allein mit dem theoretischen Vokabular “ Handlung aus Gründen ” erfassen ließe. Entsprechende intentionale Verben scheinen (im Deutschen) nicht nur unwahrscheinlich, sondern sind handlungslogisch wohl ausgeschlossen. Dies liegt insbesondere daran, dass die Signifikanz der diskursiven Intentionalität zu X tendiert 254 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben (Zuschreibung und Attribuierung). Die signifikativen propositionalen Einstellungen und Gehalte (Handlungen aus Gründen und Handlungen mit Gründen), die in der vom Verb beschriebenen Handlung involviert sind, können dadurch für Z nicht handlungsmodellierender sein als für X. Doch das wären Handlungen aus Gründen (als Festlegung) aber handlungslogisch im Vergleich zu Handlungen mit Gründen (als Berechtigungen). Einen besonderen Fall der sozialen intentionalen Relation stellt die Handlungsstruktur [[X DRmitG ] ← INTENTIONAL → [Z DRmitG ]] dar. Die diskursiven Rollen verfügen dabei über eine signifikative Handlungsstruktur, die sich mit “ Handlung mit Gründen ” beschreiben lässt. [[X DRmitG ] ← INTENTIONAL → [Z DRmitG ]] kann sich auf verschiedene Weise realisieren, wobei zwei unterschiedliche hier exemplarisch genannt werden sollen. Ein Beispiel wären modale Kommunikationsverben (cf. Harras et al. 2004: 427 f.). Diese verweisen in ihrer Signifikanzstruktur nur vermittelt bzw. inferenziell auf einen sozialen Kommunikationsakt und markieren vielmehr dessen Modalität, z. B. in Bezug auf Lautstärke oder Intonation wie flüstern oder stammeln. Dennoch implizieren modale Kommunikationsverben latent sozialkommunikative Handlungsdeskriptionen. Diese müssen aber erst inferenziell expliziert werden. Modale Kommunikationsverben fordern auf ihrer signifikativen Oberfläche also keine Kommunikationsabsicht oder andere propositionale Strukturen, die sich als Handlung aus Gründen beschreiben lassen. Dennoch ist Handlungspotenzial im modalen Kommunikationsverb inferenziell enthalten, weil die Ereigniskonstitution des Flüsterns einen Kommunikationsakt inferenziell voraussetzt. Neben modalen Kommunikationsverben gibt es außerdem eine Menge an sozialen Handlungsverben, die diskursive Rollen fordern, aber keine Signifikanzstruktur “ Handlung aus Gründen ” . So kann z. B. (miteinander) spielen eine solche Handlungsstruktur aufweisen. Das Verb fordert zwei diskursive Rollen (X DRmitG und Z DRmitG ), die beide während des Handlungsereignisses nicht über Handlungsabsichten verfügen müssen, aber über andere propositionale Einstellungen und Gehalte. Außerdem bleibt eine vorausgehende signifikative Handlungsintention (als Berechtigung) für diskursive Rollen latent vorhanden, sodass sie z. B. als handlungsinvolvierte Überzeugung das Handlungsereignis saturieren kann. Die beiden handlungslogischen Signifikanzstrukturen, die intentionale Objekte evozieren, also [[X DRausG ]INTENTIONAL → [Y iO ]] und [[X DRmitG ]INTENTIONAL → [Y iO ]], stellen keine sozialen, kooperativen oder kollektiven intentionalen Relationen dar, sondern umfassen Varianten des Grundlagenmodells intentionaler Verben. Die Variation besteht darin, dass die diskursive Rolle der X-Position mithilfe unterschiedlicher handlungstheoretischer Begrifflichkeiten entwickelt wird. Obwohl es sich hierbei nicht um soziale bzw. sozial-kommunikative Handlungsverben handelt, eröffnet die Unterscheidung bei der Analyse der X-Position eine Differenzierung verschiedener intentionaler Verben. Dabei geht es einerseits um individuelle Handlungen, die aber in kulturelle und diskursive Zusammenhänge eingebettet und damit auch hinsichtlich der diskursiven Normen beurteilbar sind. Andererseits umfassen diese beiden Signifikanzstrukturen auch Verben, die auf mentale bzw. kognitive Strukturen rekurrieren bzw. diese explizieren, aber auch deren diskursive Einbettung ermöglichen. Zur Klasse der intentionalen Verben, die über keine soziale bzw. sozial-kommunikative Handlungsstruktur verfügen, aber doch individuelle Handlungen, also im Rahmen des 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 255 handlungstheoretischen Vokabulars beschreibbare, signifizieren, gehört z. B. spazieren (gehen). Spazieren (gehen) fordert nicht nur z. B. ein Präpositionalobjekt (z. B. nach Hause), sondern ist als kulturelle Handlung ebenso diskursiven Normen unterworfen. Insbesondere in der Substitution mit z. B. gehen oder laufen, die motorisch ähnliche Tätigkeiten beschreiben, zeigt sich die Involviertheit diskursiver Normen, die sich auch auf X auswirken. Denn wer spaziert, der verfügt zumindest über eine vorausgehende signifikative Handlungsintention, die zur Handlung motiviert hat ([[X DRmitG ]INTENTIONAL → [Y iO ]]). Einer ähnlichen Signifikanzstruktur folgend, instanziiert sich auch das Verb marinieren. Auch dieses unterscheidet sich von ähnlichen Tätigkeitsverben, indem es in einen spezifischen kulturellen und diskursiven Rahmen eingebettet ist. Anders als spazieren (gehen), welches wohl aufgrund seiner Aktionsart (activity) nur vorausgehende Intentionen signifiziert, ist marinieren (als accomplishment) durch eine signifikative Handlungsintention bestimmt. Marinieren lässt sich also mithilfe der Signifikanzstruktur [[X DRausG ]INTEN- TIONAL → [Y iO ]] analysieren. Neben solchen speziellen Fällen von intentionalen Verben, die kulturelle Aspekte beinhalten, 18 können auch Verben propositionaler Einstellungen intentionale Relationen signifizieren. Wissen, glauben, wünschen oder beabsichtigen können (unter spezifischen kontextuellen Umständen) diskursive Intentionalität attribuieren, wenn sie nicht nur mentale Strukturen erfassen, sondern im Rahmen der Darstellung von Verhalten bzw. Handlungen verwendet werden. Hiermit wird dann nicht nur eine propositionale Einstellung expliziert, sondern zugleich in die inferenzielle Gliederung zur Beurteilung von Verhalten eingefügt. Diese Verben ergänzen dann gewissermaßen andere Verhaltensbeschreibungen als Berechtigungen. Z DRausG Z DRmitG Y iO X DRausG z. B. diskutieren, besprechen, (sich) unterhalten, verhandeln z. B. sagen, behaupten, fragen, sprechen, feststellen, konstatieren, lügen, dementieren z. B. beabsichtigen X DRmitG ? z. B. flüstern, nuscheln, stammeln, (miteinander) spielen z. B. spazieren, marinieren, backen, wissen, glauben, wünschen Y iO * * * Tab. 8: Typologie der handlungslogischen Struktur intentionaler Verben 19 18 Zu diesen kulturellen Handlungen gehört z. B. auch das Verb backen in der Ditransitivkonstruktion “ Sally baked her sister a cake ” (Goldberg 1995: 141), welche in der Konstruktionsgrammatik und der Kognitiven Linguistik eine gewisse Berühmtheit erlangt hat (cf. z. B. Hilpert 2014: 32, Proost 2014: 22) und teilweise in abgewandelter Form zur Analyse verwendet wird (cf. z. B. Gärdenfors 2014: 195). Die traditionelle konstruktionsgrammatische Erklärung des Verbs mittels “ X intends to cause Y to receive Z by baking ” (Goldberg 1995: 141) vernachlässigt die normative und diskursive Dimension dieser Handlung: Denn nur diskursive Wesen können Kuchen backen, weil Kuchen eben kulturelle Artefakte sind. 19 Legende: DRausG = Diskursive Rolle aus Gründen, DRmitG = Diskursive Rolle mit Gründen, iO = intentionales Objekt. 256 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Die verschiedenen Typen von handlungslogischen Strukturen (Tab. 8), die sowohl soziale, kooperative und kollektive, als auch andere intentionale Relationen umfassen, erweitern das Grundlagenmodell intentionaler Verben. Die Analyse wird hiermit über die intentionale Relation hinaus erweitert und eine handlungslogische Analyse der diskursiven Rollen ermöglicht, die sich aus der Signifikanz des Verbs speist. Die in diesem Kapitel eingeführte Unterscheidung zwischen sozialen, kooperativen und kollektiven Relationen sowie der Binnendifferenzierung diskursiver Rollen erweitert das bisher einführte Vokabular zu Analyse diskursiver Intentionalität. Spätestens diese Unterscheidungen zeigen, wie intentionale Verben auch soziale Beziehungen signifizieren und damit semiotisch mitstrukturieren. Schon einzelne Verben wie sagen sind signifikativ dann keine Deskriptionen einzelner Handlungen, sondern signifizieren eine soziale Relation. Mit dem in diesem Kapitel eingeführten Vokabular können daher die komplexen sozialen Relationen diskursiver Praktiken veranschaulicht werden, sodass selbst die Analyse individueller Handlungen zu einem Netzwerk sozialer Beziehungen führen kann (cf. Kapitel 14 und 15). 12.5 Inferenzielle Gliederung intentionaler Verben Intentionale Verben sind als subsentenziale Zeichen inferenziell gegliedert. Dies ist nicht nur eine Erkenntnis von Brandoms normativem Sprachpragmatismus (cf. Kapitel 3.2), sondern auch der Beschreibunng der subsentenzialen inferenziellen Relationen (cf. Kapitel 11). Die subsentenziale Gliederung sprachlicher Zeichen wird sich in diesem Kapitel zu eigen gemacht, indem das entsprechende theoretische Vokabular auf intentionale Verben angewandt wird. In diesem Kapitel werden damit mehrere Strategien verfolgt: 1. Die bisherigen Darstellungen setzen auf intentionale Verben als semiotische Oberflächenstruktur, also auf Verben als indexikalische Zeichen hinsichtlich handlunglogischer Aspekte. Semiotische Oberflächen und Signifikanzen sind aber nicht immer eindeutig und die Frage, ob sprachliche Zeichen indexikalische Zeichen für diskursive Intentionalität sind, ist im Rahmen diskursiver Praktiken nicht notwendigerweise offensichtlich. Ob es sich bei sprachlichen Zeichen als um intentionale Verben handelt, kann teilweise nur mithilfe ko- und kontextueller Faktoren beantwortet werden. Die inferenzielle Gliederung intentionaler Verben trägt also zur Klärung von Mehrdeutigkeit bei. 2. Diskursive Signifikanz intentionaler Verben strukturiert die inferenzielle Gliederung mit. Das heißt, dass auch der weitere Verlauf soziale-kommunikativer Praxis an die Signifikanz des intentionalen Verbs gebunden ist. Über die inferenzielle Gliederung intentionaler Verben kann also Auskunft über eine mögliche Strukturierung sozial-kommunikativer Praxis gemacht werden (cf. Kapitel 12.6). 3. Die inferenzielle Gliederung hat außerdem Konsequenzen für die Frage, inwiefern intentionale Verben zur Zuschreibung oder Attribuierung von diskursiver Intentionalität verwendet werden, da diese Differenzierung mit der Unterscheidung von Festlegungen und Berechtigungen verbunden ist (cf. Kapitel 13). Die Analyse intentionaler Verben, intentionaler Relationen und diskursiver Intentionalität erfasst bisher sowohl das Verhältnis der Relationen zu ihren Relata, Sozialität, Kooperativität und Kollektivität als auch erste handlungslogische Aspekte. Allerdings ist 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 257 die inferenzielle Gliederung intentionaler Verben bisher nicht expliziert worden. Nur in Bereichen der handlungslogischen Strukturen (Handlungen mit Gründen und aus Gründen) habe ich das inferenzielle Vokabular der Festlegung und Berechtigung verwendet, um Handlungsinvolviertheit diskursiver Rollen zu beschreiben. Angesichts der theoretischen Prämissen des normativen Sprachpragmatismus und Inferenzialismus sind aber auch intentionale Verben (als gesamte Struktur) inferenziell gegliedert, nicht nur hinsichtlich der Handlungslogik diskursiver Rollen, sondern auch hinsichtlich der diskursiven Intentionalität selbst. Bereits die Analyse intentionaler Verben und ihrer Exemplifikation zeigt, dass sich z. B. viele Verben nicht eindeutig den intentionalen Verben zuordnen lassen, weil sie signifikativ nicht notwendigerweise entsprechende diskursive Normen in der diskursiven Praxis attrahieren müssen, also diese zur Geltung bringen. Um die inferenzielle Gliederung intentionaler Verben zu erfassen, ist es notwendig, sich noch einmal zu vergegenwärtigen, dass die Analyse intentionaler Verben eine Untersuchung unterhalb der Äußerungsebene ist und damit unterhalb propositionaler Strukturen und anderer Signifikanzen. Daher sind die Formulierungen, dass intentionale Verben auf z. B. eine Folgehandlung festlegen oder berechtigen, zumindest unpräzise. Im engeren Sinne verfügen nur Äußerungen, sprachliche Handlungen (und ihre Folgehandlungen), Performanzen und propositionale Gehalte über eine Festlegungs- und Berechtigungsstruktur. Subsentenziale Einheiten hingegen, zu denen auch Verben nicht nur als prädikats-, sondern auch als relationsstiftende Zeichen gehören, tragen zur Festlegungs- und Berechtigungsstruktur bei, verfügen aber selbst nicht über eine. Um die inferenzielle Gliederung intentionaler Verben zu analysieren, muss also inferenzielles Vokabular herangezogen werden, welches inferenzielle Potenziale von subsentenzialen Zeichen offenlegt. Hierzu wird das in Kapitel 11 eingeführte inferenzielle Vokabular der einfachen subsentenzialen inferenziellen Relationen (EMSIFs, EMSIBs und EMSIIs) auf intentionale Verben angewandt. Dabei geht es im Rahmen dieser Betrachtung weniger um spezifische subsentenziale semantische Gehalte, die sich über subsentenziale Festlegungen, Berechtigungen und Inkompatibilitäten erfassen lassen. Vielmehr steht hier Signifikanz im Mittelpunkt und damit die Frage, inwiefern die Instanziierung (und damit auch Interpretation und Verwendung) des intentionalen Verbs hinreichend ist, um intentionale Relationen zu konstituieren, die dem Grundlagenmodell intentionaler Verben folgen. Oder: Es geht dabei um einen epistemischen Zugriff auf die Struktur des intentionalen Verbs, welches diskursive Intentionalität involviert. Die einfachen subsentenzialen inferenziellen Relationen setzen hier also an der signifikativen Oberfläche an, um die “ Dichte ” der Signifikanz der sprachlichen Gestalt inferenziell zu bestimmen (zur Diskussion zum Verhältnis von Text, sprachlicher Oberfläche und Performanz cf. Antos 1989: 13 f., Beiträge in Linke/ Feilke 2009). Diese Betrachtung spiegelt damit nicht nur Strukturen signifikativer Suffizienz wider, sondern führt auch zur Frage, inwiefern sich bestimmte diskursive Praktiken der signifikativen Suffizienz der sprachlichen Oberfläche intentionaler Verben bedienen. Entsprechend des bisher eingeführten inferenziellen Vokabulars lassen sich die (potenziellen) intentionalen Relationen hinsichtlich ihrer inferenziellen Gliederung beschreiben und folgendermaßen formal notieren: [[X]INTENTIONAL EMSIF [Y, Z]], [[X]INTEN- 258 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben TIONAL EMSIB [Y, Z]] und [[X]INTENTIONAL EMSII [Y, Z]]. 20 Diese Notation sowie ihre theoretischen Implikationen führen die Vielfalt der bisherigen Betrachtung zusammen, reduzieren sie aber auf die hier wesentlichen Aspekte. Insbesondere die Ybzw. Z-Position kann hier variabel evoziert werden, da es hier noch nicht um die Explikation der Relata bzw. diskursiven Rollen geht, sondern allein um die inferenzielle Gliederung der Relationen und deren signifikative Suffizienz. Erst in einem Folgeschritt können die Konsequenzen für die Relata analysiert werden. Außerdem werden auch die vektoriellen Ausrichtungen weggelassen, denn epistemisch sind diese bei Fragen der signifikativen Suffizienz noch nicht relevant. Erst nachdem sich Signifikanz im Rahmen diskursiver Praktiken entfaltet hat, kann auf die vektorielle Ausrichtung eingegangen werden. Im Folgenden soll also das bisherige Grundlagenmodell intentionaler Verben mit dem Vokabular der subsentenzialen inferenziellen Strukturen kombiniert und exemplarisch an Verben demonstriert werden. Verben mit der inferenziellen Struktur [[X]INTENTIONAL EMSIF [Y, Z]] tragen dazu bei, dass mit einer Äußerung diskursive Intentionalität zugeschrieben wird, und sind damit als subsentenziale inferenzielle Relationen hinreichend für den signifikativen Prozess (hinreichende signifikative Suffizienz). Allein aus der Verbinstanziierung kann diskursive Intentionalität (von X und ggf. Z) geschlussfolgert werden bzw. trägt das Verb hinreichende signifikative Suffizienz zur Konklusion bei. Es handelt sich also um einen in normativer Hinsicht notwendigen Schluss diskursiver Signifikanz des intentionalen Verbs. Dieses ist also tatsächlich ein intentionales Verb, weil es vollwertig über eine intentionale Relation als Strukturphänomen verfügt: (3) I 1 : “ Mit Peter kann man leidenschaftlich über die Euro-Krise diskutieren. ” Das intentionale Verb diskutieren, welches bereits im Rahmen kollektiver intentionaler Relationen analysiert wurde, steht hier exemplarisch für eine inferenzielle Gliederung [[X] INTENTIONAL EMSIF [Y, Z]] und lässt sich entlang der bisher eingeführten Differenzierungen sogar erweitern: [[X DRausG ] ← KOLL INTENTIONAL EMSIF → [Z DRausG ]]. Auch wenn hier nur eine diskursive Rolle explizit über den Eigennamen markiert wird (X), verfügt es auch über eine weitere implizite diskursive Rolle Z. Für beide gilt, dass ihnen dank der hinreichenden signifikativen Suffizienz des intentionalen Verbs diskursive Intentionalität zugeschrieben wird. Diese Suffizienz ist kontextunabhängig hinreichend für die Zuschreibung: X (und Z) verfügen beide über eine signifikative Handlungsstruktur, die sich als Handlung aus Gründen beschreiben lässt, und diese Konklusion ergibt sich allein aus dem intentionalen Verb. Die bisher beschriebenen Verben weisen zumeist eine inferenzielle Struktur auf, die sich mit [[X]INTENTIONAL EMSIF [Y, Z]] analysieren lässt. Insbesondere Sprechaktverben, aber auch andere soziale und sozial-kommunikative Handlungsverben scheinen eine entsprechende inferenzielle Struktur der Signifikanz aufzuweisen. Daher handelt es sich dabei aufgrund der genuinen Signifikanzstruktur um intentionale Verben. 20 EMSIFs, EMSIBs und EMSIIs stellen subsentenziale inferenzielle Relationen dar, die als signifikative Strukturen zu Inferenzprozessen beitragen: EMSIFs weisen eine hinreichende Struktur für spezifische Inferenzen auf. EMSIBs sind für diese notwendig, müssen aber inferenziell vervollständigt werden und EMSIIs blockieren bzw. tilgen jene Inferenzen in diskursiven Praktiken (cf. Kapitel 11). Im Mittelpunkt dieses Kapitels steht die Inferenz hin zu diskursiver Intentionalität. 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 259 Viele Verben qualifizieren sich nicht unmittelbar als intentionale Verben, können aber doch dazu beitragen, dass jemand (X) in diskursiven Praktiken über Intentionalität verfügt. Diese Qualität lässt sich mithilfe einer [[X]INTENTIONAL EMSIB [Y, Z]]-Struktur darstellen. Es handelt sich hier also um subsentenziale Berechtigungsstrukturen und aufgrund der inferenziellen Gliederung kann diese inferenzielle Struktur sowohl in diskursiven Praktiken als auch bei der Analyse intentionaler Verben für Missverständnisse sorgen. Die inferenzielle Gliederung der diskursiven Signifikanz von [[X]INTENTIONAL EMSIB [Y, Z]] zeichnet sich dadurch aus, dass die inferenzielle Gliederung des Verbs zwar notwendig, aber nicht hinreichend für eine Konklusion von diskursiver Intentionalität ist. Der subsentenziale Gehalt des intentionalen Verbs muss also (durch ko- oder kontextuelle Zeichen) saturiert werden, sodass Intentionalität attribuiert werden kann. [[X]INTEN- TIONAL EMSIB [Y, Z]] bildet einen Beitrag zur Prämissenbildung, ist aber weder strukturell, weil nicht propositional, noch inferenziell, weil keine festlegungserhaltende Relation, hinreichend: (4) I 1 : “ Schau! Da läuft Sonja! Sie will sich wohl Pommes frites kaufen. ” Das Verb laufen verfügt hier über eine [[X]INTENTIONAL EMSIB [Y]]-Struktur, ist aber inferenziell nicht hinreichend, um X, hier durch den Eigennamen markiert, diskursive Intentionalität zuzuschreiben. Vielmehr erfordert es weitere inferenzielle Relationen, um eine Intentionalitätsattribuierung zu ermöglichen. Das Beispiel (2) muss daher als Zeichensequenz (einer Semiose) betrachtet werden. Erst die Saturation mithilfe des Modalverbs wollen (volitiv) (und des Vollverbs kaufen) ermöglicht die entsprechende Konklusion. Das hier explizierte Verhältnis der inferenziellen Gliederung von [[X]INTENTIONA- L EMSIB [Y, Z]] und dem Modalverb wollen (volitiv) erfasst die Logik intentionaler Relationen mithilfe des inferenziellen Vokabulars, findet sich aber bereits implizit in Descombes' Unterscheidung von full-time- und part-time-intentionality (cf. Descombes 2014: 85, Kapitel 12.2.2) und Millikans Differenz von genuin [pure] und synthetisch [impure] intentionalen Zeichen (Millikan 2017: 160 f., Kapitel 9.2): Das Verb laufen evoziert hier keine diskursiven, wohl aber semantische Rollen und fügt der diskursiven Praxis damit zunächst nur eine reale Relation hinzu, die keine diskursive Intentionalität zuschreibt. In der Deskription des Sachverhalts zeigt sich, dass eine Erfassung des Verhaltens als motorische Tätigkeit allerdings nicht hinreichend ist, denn es findet im Rahmen diskursiver Normen statt, die sowohl eine Beurteilbarkeit der Situation als auch der involvierten Personen ermöglicht. Laufen ist hier also nicht nur eine reale Relation, sondern bildet gewissermaßen die grundlegende Verhaltensdeskription, welche die Beurteilung der Tätigkeit mithilfe von normativem Vokabular ermöglicht. Kurz: Laufen kann zur Attribuierung von diskursiver Intentionalität berechtigen, denn ansonsten wäre eine Vervollständigung mithilfe von wollen nicht möglich. Hier überlagert also eine intentionale Relation (modales Vokabular diskursiver Normen) eine reale Relation (zielorientiertes Verhalten). Es ist allerdings wichtig zu betonen, dass die Saturation der realen Relation, welche kraft laufen signifiziert wird, nicht mithilfe eines Vollverbs, sondern eines Modalverbs gelingt. Tatsächlich sind Modalverben, insbesondere deren volitionaler Gebrauch, für die Unterscheidung von [[X]INTENTIONAL EMSIF [Y, Z]] und [[X]INTENTIONAL EMSIB [Y, Z]] äußerst 260 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben relevant: [[X]INTENTIONAL EMSIF [Y, Z]]+wollen ist inferenziell nicht möglich bzw. z. B. diskutieren wollen führt nicht zu einer Handlungsdeskription, sondern einer Beschreibung des Mentalen. [[X]INTENTIONAL EMSIB [Y, Z]]+wollen hingegen fügt der Tätigkeit tatsächlich eine signifikative propositionale Einstellung zu, die die Tätigkeit saturiert. [[X]INTENTIONAL EMSIB [Y, Z]] stellt also eine notwendige signifikative Suffizienz in der inferenziellen Gliederung diskursiver Praktiken bereit, die allerdings um weitere signifikative Strukturen ergänzt werden muss, um diskursive Intentionalität zu attribuieren. Auch wenn sich unter [[X]INTENTIONAL EMSIF [Y, Z]] und [[X]INTENTIONAL EMSIB [Y, Z]] die meisten Verben hinsichtlich ihrer signifikativen Suffizienz erfassen lassen, so verfügen nicht alle Verben notwendigerweise über eine signifikative Struktur, die diskursive Intentionalität ermöglicht. Einige Verben tilgen entsprechende inferenzielle Relationen diskursiv bzw. blockieren Inferenzen und damit auch Zuschreibungen oder Attribuierungen von diskursiver Intentionalität. Solche [[X]INTENTIONAL EMSII [Y, Z]]- Strukturen evozieren nicht nur keine diskursive Rollen an sich, sondern verhinderen eben eine entsprechende Konklusion im Rahmen der Handlungsdeskription. Ein Verb wie verursachen steht damit in inkompatibler Relation zu intentionalen Verben. Das heißt aber nicht, dass es für diskursive Intentionalität als Strukturphänomen und dessen inferenzielle Gliederung nicht relevant wäre. Insbesondere im inferenziellen Verhältnis von [[X] INTENTIONAL EMSII [Y, Z]] und [[X]INTENTIONAL EMSIB [Y, Z]] ist die Einführung inkompatibler Folgeinferenzen aufschlussreich: (5) I 1 : “ Schau! Da läuft Sonja! Sie verursacht einen Stau. ” Diese Variation des Beispiels (4) kann zu einer anderen Inferenz führen und zeigt, dass die Berechtigung zur Attribuierung von diskursiver Intentionalität hier durch das Verb verursachen diskursiv getilgt wird. Nach der Instanziierung des Verbs verursachen markiert der Eigenname hier keine diskursive Rolle eines vermeintlichen intentionalen Verbs, sondern erfasst ein Lebewesen, was keinen Handlungsnormen unterworfen ist bzw. welche im Rahmen dieser Deskription keine Anwendung finden. In dieser beschriebenen Situation gelten entsprechende Handlungsnormen also für “ Sonja ” nicht, weil verursachen in einer inkompatiblen inferenziellen Relation zu Zuschreibungen bzw. Attribuierungen von diskursiver Intentionalität steht. Für [[X]INTENTIONAL EMSII [Y, Z]]-Strukturen ist der Modalverb-Test ebenfalls erkenntnisreich. Während [[X]INTENTIONAL EMSIF [Y, Z]]+wollen die Interpretation des semantischen Gehalts verschiebt und [[X]INTENTIONAL EMSIB [Y, Z]]+wollen eine normative Signifikanz ergänzt, führt [[X]INTENTIONAL EMSII [Y, Z]]+wollen zu einem parasitären Gebrauch des Verbs: Da verursachen inferenziell mit wollen (als Explikation einer signifikativen Handlungsintention) inkompatibel ist, führt die Kombination von verursachen+wollen zu einem eher innovativen semantischen Gehalt (z. B. “ X will so tun, als ob X etwas verursacht hätte, aber eigentlich hat X Z absichtlich getan. ” ). Verben, die [[X]INTENTIONAL EMSII [Y, Z]]-Strukturen aufweisen, gibt es über verschiedene Verbklassen hinweg. Während traditionell viele Vorgangsverben wie verursachen oder wachsen dazugehören, sind auch einige Zustandsverben wie liegen oder Kausativverben wie erschrecken entsprechend analysierbar. Zusammenfassend dient die Darstellung der subsentenzialen inferenziellen Relationen zur Analyse der signifikativen Suffizienz intentionaler Verben und der Involviertheit von 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 261 diskursiver Intentionalität. Dabei zeigt sich, dass auch über die Klasse genuin intentionaler Verben hinaus andere Verben in inferenzielle Prozesse eingebunden werden können, um Intentionalität zu attribuieren. Gleichzeitig können bestimmte Verben auch Inferenzen blockieren oder diskursiv tilgen. Das theoretische Vokabular der subsentenzialen inferenziellen Relationen trägt damit dazu bei, dass auch sprachliche Zeichen auf Textebene betrachtet werden können, um diskursive Intentionalität zu beschreiben. Abb. 7 fasst die verschiedenen signifikativen Suffizienzen sowie mögliche Strukturinstanziierungen zusammen. Abb. 7: Inferenzielle Gliederung intentionaler Verben Die Stemma-Darstellung präsentiert die verschiedenen Möglichkeiten der inferenziellen Gliederung von intentionalen Verb bzw. ihrer intentionalen Relation [[X]INTENTIONAL [Y, Z]]. Dabei greift die Darstellung auf einige Erkenntnisse der Analyse von sozialen, kooperativen und kollektiven intentionalen Relationen zurück (cf. Kapitel 12.4), rückt aber die Frage nach der signifikativen Suffizienz von Verben hinsichtlich diskursiver Intentionalität in den Mittelpunkt. Ausgehend von der Allgemeinmarkierung [[X]INTENTIONAL[Y, Z]], welche verschiedene Relationen enthält, die diskursive Intentionalität beeinflussen, werden über 262 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben die Implementierung von EMSIFs, EMSIBs und EMSIIs verschiedene signifikative Oberflächen dargestellt, die auf verschiedene Weise zur Entstehung von diskursiver Intentionalität in diskursiven Praktiken beitragen können (oder nicht). Dabei zeigt sich, dass insbesondere [[X]INTENTIONAL EMSIF [Y, Z]]-Relationen für Intentionalität in diskursiven Praktiken sorgen und auch die meiste signifikative Vielfalt aufweisen. Hier sind verschiedene handlungslogische Strukturen möglich und auch unterschiedliche diskursive Rollen können durch das Verb instanziiert werden (cf. hier abermals Kapitel 12.3 und 12.4). Die signifikative Suffizienz von [[X]INTENTIONAL EMSIB [Y, Z]]-Relationen hingegen ist nicht hinreichend, um vollwertige intentionale Relationen zu signifizieren. Insofern lässt sich aus ihnen keine signifikative Struktur ableiten, die über hinreichende Elemente verfügt, um diskursive Intentionalität zu attribuieren. Vielmehr erfordert es hierfür weitere inferenzielle Relationen. Insofern lassen sich auf Basis der signifikativen Suffizienz von [[X] INTENTIONAL EMSIB [Y, Z]]-Relationen auch keine weiteren Strukturanalysen vornehmen, ohne weitere Signifikanzen hinzuzuziehen. Dennoch zeigen die Beispiele einige Verben, die [[X]INTENTIONAL EMSIB [Y, Z]]-Relationen aufweisen und daher inferenziell hinsichtlich diskursiver Intentionalität gesättigt werden können. Bei ihrer Instanziierung aber sind sie diesbezüglich noch ambig. Mit Verben, die [[X]INTENTIONAL EMSII [Y, Z]]-Relationen aufweisen, kann nicht nur keine diskursive Intentionalität zugeschrieben bzw. attribuiert werden, sondern diese können mögliche Ambiguitäten oder latente Zuschreibungsbzw. Attribuierungselemente diskursiv tilgen. Jene inferenziellen Relationen, die implizit diskursive Intentionalität nahelegen könnten, werden dadurch gestrichen. Daher kann auch hier keine signifikative Struktur hinsichtlich intentionaler Relationen ausdifferenziert, wohl aber können einige Beispielverben genannt werden. Zusammenfassend wird das theoretische Vokabular zur Analyse diskursiver Intentionalität über die inferenzielle Gliederung intentionaler Verben erweitert. Die verschiedenen subsentenzialen inferenziellen Relationen ermöglichen die Erweiterung des Grundlagenmodell hinsichtlich inferenzieller Gliederung. Das Konzept der signifikativen Suffizienz, welche die signifikative Kraft der semiotischen Oberfläche beschreibt, kann hierzu inferenziell analysiert werden, um zu zeigen, wie unterspezifizierte sprachliche Zeichen sequenziell diskursive Signifikanz erlangen. Damit wird analytische die Möglichkeit eröffnet, an unterschiedlichen Stellen des sequenziellen Verlaufs diskursiver Praktiken nach dem jeweiligen Beitrag zur Konstitution von Verhalten als Handlung zu fragen. 12.6 Linguistische Verbpragmatik Die bisherigen Ausführungen zur den signifikativen, strukturellen, normativen und pragmatischen Aspekten intentionaler Verben bilden die Grundlage einer neuen Perspektive auf die Analyse diskursiver Praktiken. Die inferenziellen und damit auch normativen wie pragmatischen Konsequenzen der Instanziierung intentionaler Verben wurden bisher allerdings nicht vollständig berücksichtigt. Insbesondere Descombes' These der systematischen Integration intentionaler Verben (cf. Descombes 2014: 85, Kapitel 12.2.2) ist bisher nur in Teilen eingelöst worden, nämlich dort, wo handlungstheoretische Momente in die Modellierung diskursiver Rollen integriert wurden. Im Folgenden 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 263 soll eine differenzierte Systematik intentionaler Verben entwickelt werden, was nicht nur zu einer weiteren Nuance in der Analyse führt, sondern gleichzeitig ein verbpragmatisches Feld eröffnet, was Praktiken und Praktikfolgen anhand von Verben analysiert. Denn eine Logik der realen und intentionalen Relationen, der verschiedenen Formen von Transitivität, des Modells intentionaler Verben und ihrer inferenziellen Gliederung ermöglicht eine Zusammenführung in einer linguistischen Verbpragmatik. Daher werden im Folgenden die vorherigen Kapitel zusammengeführt: Linguistische Verbpragmatik versteht sich als die Einlösung virtueller Logik und hyperonymischer Abstraktion (cf. Kapitel 12.1.1) und grenzt damit intentionale Verben von anderen sprachlichen zeichen ab (cf. Kapitel 12.1.2). Sie baut auf relationslogische Prämissen und auch auf indirekte Transitivität (cf. Kapitel 12.2), wenn es um das Verhältnis verschiedener signifizierter realer und intentionaler Relationen geht. Augangspunkt bleibt dabei das intentionale Verb (cf. 12.3 - 12.5). Was eine verbpragmatische Perspektive aber darüber hinaus bietet, ist die inferenzielle Einbettung des intentionalen Verbs zu demonstrieren. Unter den Begriffen der präterialen, synchronen und konsekutiven Relationen werden inferenzielle Aspekte des intentionalen Verbs diskutiert, die mit dessen Verwendung einhergehen. Es geht dabei um jene Inferenzen, die das Verb signifikativ mitbringt, sei es als Präsupposition oder als Zeichenkonsequenz. Durch diese Begriffe werden nicht nur die inferenziellen Konsequenzen des Verbgebrauchs demonstriert, sondern - unter Annahme der Kontinuität von Verhalten, Handlungskonstitution und Handlungsdeskription - auch implizite Strukturen der Handlungskonstitution selbst expliziert. Damit wird der normative Sprachpragmatismus Brandoms eingelöst: Die Verwendung eines intentionalen Verbs geht weniger mit Referenz einher, als mit verschiedenen sozial-normativen Konsequenzen in diskursiven Praktiken. Eine Verbpragmatik untersucht weder die semantische Anreicherung im Kontext noch deren epistemische Projektion in einen Common Ground, sondern versucht vielmehr, die normativen und pragmatischen Signifikanzen, die das Verb evoziert und die sich auf Folgepraktiken auswirken, zu analysieren. Es geht dabei darum, dass diskursive Normen von Intentionalität eine Art Kipppunkt für die diskursive Praxis bedeuten, sodass ein anderes Register zur Deskription und Beurteilung von Verhalten herangezogen wird. Verbpragmatik unterscheidet sich daher nicht nur von Verbsemantik, sondern auch von gebrauchsorientierten Verbanalysen, die insbesondere kognitive Prozesse modellieren wollen oder an der Schnittstelle von what is said und what is implicated ansetzen. Auch wenn z. B. die Analyse von Sprechakt- und Kommunikationsverben hier wesentliche Fortschritte gemacht hat, geht es dabei nicht um die Analysen von Sprachhandlungsmustern (cf. z. B. Gladow/ Kotorova 2018), Handlungsmustern (cf. z. B. Ehlich/ Rehbein 1986), Dialogstrukturen (cf. z. B. Franke 1990), Handlungslogiken (cf. z. B. Brennenstuhl 1975) oder sogar um eine korpuspragmatische Implementierung von Sprachgebrauchsmustern (cf. Bubenhofer 2009). Die verschiedenen Muster und Strukturen, die die verbpragmatische Analyse offenlegt und erklärt, sind vielmehr Effekte, die als inferenzielle Gliederung aus Zuschreibungs- und Attribuierungsprozessen der diskursiven Intentionalität (für diskursive Rollen) folgen. Sie entfalten sich kraft diskursiver Intentionalität. Eine linguistische Verbpragmatik kann so zeigen, inwiefern diskursive Normen für Objekte diskursiver Rollen Gültigkeit erlangen bzw. an welchen diskursiven Positionen andere 264 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Normregister diskursiv attrahiert werden, sich gewissermaßen die Spielregeln der Praxis ändern (können). Dies wirkt sich dann auch auf Verhalten und Handlungen aus. Um diese Perspektive auf diskursive Praktiken zu demonstrieren, aber auch, um die verschiedenen Aspekte der letzten Kapitel theoretisch zusammenzuführen, sollen unterschiedliche Momente diskursiver Intentionalität veranschaulicht werden. Zur Analyse diskursiver Praktiken und deren Systematik im Rahmen einer Verbpragmatik sind folgende Aspekte notwendig, die sich teilweise explizit aus der Darstellung der verschiedenen Strukturen des Verbmodells ergeben bzw. auf deren semiotischen und relationslogischen Grundlagen beruhen: 1. (Intrinsische, extrinsische und indirekte) Transitivität 2. Reale und intentionale Relationen 3. Inferenzielle Gliederung 4. Diskursive Normen 5. Temporale Relationen Diese fünf Aspekte, die in den vorherigen Kapiteln bereits diskutiert wurden, sollen hier kurz zusammengefasst werden, um zu zeigen, welche Rolle sie in einer verbpragmatischen Perspektive spielen. Die verschiedenen Formen von Transitivität, die sich relationslogisch begründen lassen (cf. Kapitel 12.2), dienen der Beschreibung und Differenzierung verschiedener relationslogischer Strukturen hinsichtlich genuiner und degenerativer Aspekte. Weil intentionale Relationen sich durch indirekte Transitivität auszeichnen, steht diese auch im Mittelpunkt einer verbpragmatischen Perspektive. Weil indirekte Transitivität eine Unterscheidung mehrerer Relationstypen erfordert, muss auch der Unterschied zwischen realen und intentionalen Relationen berücksichtigt werden. Da intentionale Relationen in ihrer indirekten Transitivität weitere Relationen, auch reale, fordern, kann unter diesem Aspekt die weitere Involviertheit intentionaler und realer Relationen untersucht werden. Dies gilt insbesondere für die Analyse der Konstitution von Handlungskraft (und der Differenz von kognitiven und praktischen Festlegungen). Die inferenzielle Gliederung der intentionalen Relation legt hier nicht nur die subsentenzialen festlegungserhaltenden, berechtigungserhaltenden und inkompatiblen inferenziellen Relationen hinsichtlich der Konstitution der diskursiven Intentionalität offen, sondern dient der Analyse des diskursiven Entfaltungspotenzials von [[X]INTENTIONAL [Y, Z]]. Kraft der intentionalen Relationen tritt diese nicht nur in diskursive Praktiken und verschiedene inferenzielle und interlokutive Relationen (z. B. als Festlegungs- und Berechtigungsstruktur) ein, sondern eröffnet weitere Inferenzen hinsichtlich der Handlungsinvolviertheit ihrer diskursiven Rollen. Mithilfe der inferenziellen Gliederung lässt sich analysieren, inwiefern die Verbinstanziierung der intentionalen Relation inferenzielle und normative Folgen und Umstände für die diskursive Praxis bereitstellt. Ausgehend von einer Instanziierung von [[X]INTENTIONAL[Y, Z]] können außerdem diskursive Positionen bestimmt werden, an denen bestimmte diskursive Normen Geltung erlangen. Im Sinne des theoretischen Vokabulars des Modells werden kraft der signifikativen Struktur entsprechende diskursive Normen attrahiert. Daher muss eine linguis- 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 265 tische Verbpragmatik nicht nur ein theoretisches Vokabular entwickeln, um die den diskursiven Praktiken impliziten diskursiven Normen zu explizieren, also normatives bzw. modales Vokabular (cf. Kapitel 3.1.3), sondern auch einen Begriff der diskursiven Norm entwickeln, der sich von anderen Formen von Normativität unterscheidet, die z. B. bei der Betrachtung der Sprachsystematik oder des Sprachwandels relevant werden (cf. auch Beiträge in Mäkilähde/ Leppänen/ Itkonen 2019). Diskursive Normen umfassen in einer linguistischen Verbpragmatik vielmehr das, was mit Bezug auf Eugenio Coseriu auch diskursives Wissen genannt werden könnte (cf. 1985: xxix, aber auch Zlatev/ Blomberg 2019: 89). Anstatt sich mit verschiedenen Normen, Regelmäßigkeiten und Prinzipien des Sprachsystems oder der Grammatik zu beschäftigen, soll der Begriff der diskursiven Norm sowohl verschiedene Diskursarten (cf. z. B. Lyotard 1989) als auch mögliche Diskursuniversalien (z. B. im Sinne der Präsumtionsregelerwartungen, der Konversationsmaximen oder des Prinzips der wohlwollenden Interpretation) beschreiben können (cf. Kapitel 16). Welche diskursspezifischen und -universalen Normen im Sinne des Modells attrahiert werden, hängt von der jeweiligen Verbstruktur ab. Neben diesen Aspekten, die bereits ausführlich beschrieben wurden, muss das Modell im Rahmen der linguistischen Verbpragmatik um einen weiteren Aspekt (Temporalität) ergänzt werden. Dieser wurde bisher nur implizit vorausgesetzt, kaum theoretisch begründet, aber im Rahmen der theoretischen Grundlagen benannt (cf. Kapitel 4). Hierbei geht es weniger darum, dass das vom Verb beschriebene Verhalten sich selbst zeitlich ausdehnt. Vielmehr sollen die vom Verb implizierten Folge- und Voraussetzungshandlungen analysierbar werden. Exemplarisch hat sich dieser temporale Aspekt bereits in der Darstellung des Verhältnisses von fragen und antworten gezeigt, wo fragen eine subsentenziale Berechtigungsstruktur aufweist, die inferenziell zu antworten führt. Die beiden durch das Verb beschriebenen Handlungen sind aber keine simultanen Handlungen, sondern zeitlich versetzt. Diese temporale Struktur intentionaler, aber auch anderer verbpragmatisch relevanter Verben soll über die Konzepte der präteritalen, synchronen und konsekutiven Relation analysierbar werden. Abb. 8: Verbpragmatisches Modell der intentionalen Relation Die in Abb. 8 dargestellte signifikative Handlungsstruktur umfasst auf Ebene von [[X]INTENTIONAL[Y, Z]] sowohl Aspekte des Grundlagenmodells intentionaler Verben als auch Aspekte der indirekten Transitivität. Für die weitere verbpragmatische Betrachtung ist insbesondere das Verhältnis zwischen temporalen Relationen und der inferenziellen Gliederung von [[X]INTENTIONAL[Y, Z]] hervorzuheben. Jede temporale Relation 266 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben kann selbst durch verschiedene inferenzielle Relationen von [[X]INTENTIONAL[Y, Z]] modelliert werden. Präteritale, also vorausliegende Relationen (also auch das Signifikanzäquivalent zu Handlungsgründen und -ursachen (cf. z. B. Davidson 1990 b: 19 f.)) umfassen alle Verhaltens-, Handlungs- und Kognitionsrelationen, die [[X]INTENTIONAL[Y, Z]] vorausgehen (EMSIF) bzw. vorausgehen können (EMSIB) bzw. mit [[X]INTENTIONAL[Y, Z]] inkompatibel sind (EMSII). Sie haben, wenn sich das Verb mit [[X]INTENTIONAL[Y, Z]]- Relation ereignet, ihren Telos schon erfüllt, sind aber inferenziell und temporal trotzdem mit [[X]INTENTIONAL[Y, Z]] verbunden. Ein Beispiel für eine präteritale Relation des intentionalen Verbs antworten wären z. B. Relationen, die das Verb fragen bereitstellt. Denn antworten ist eine Folgerelation von fragen. Somit kann aus einer Verbinstanziierung von antworten geschlussfolgert werden, dass eine Frage (oder etwas, das ähnliche Relationen aufweist) diskursiv vorausgegangen ist. Präteritale Relationen umfassen aber nicht nur solche latenten vorausliegenden Handlungen bzw. Handlungsmuster, sondern auch signifikative propositionale Einstellungen, die der durch das Verb beschriebenen Handlung vorausgehen (z. B. als Handlungen mit Gründen). So kann z. B. das Verb lernen auf Handlungszielen, Überzeugungen oder Wünschen basieren (EMSIB), die während der Handlung selbst nicht präsent sind, aber dennoch zur Handlung geführt haben. Sie sind damit als präteritale Relationen (von lernen) zu klassifizieren. Synchrone Relationen (auch das Signifikanzäquivalent zu Basis-Handlungen (cf. z. B. Danto 1985)) sind alle Verhaltens-, Handlungs- und Kognitionsrelationen, die (von X) gleichzeitig bei [[X]INTENTIONAL[Y, Z]] impliziert sind, wobei hier sowohl verschiedene Handlungen, Tätigkeiten, aber auch kognitive Deskriptionen involviert sind. So kann z. B. das Verb (sich) verabschieden weitere Handlungen und Tätigkeiten implizieren, die während der Handlung stattfinden, aber aus denen (sich) verabschieden nicht vollständig rekonstruiert werden kann: Hände schütteln, winken, sprechen, artikulieren, Lippen bewegen etc. All diese Verben bzw. Verbkonstruktionen stellen synchrone Handlungen bzw. Tätigkeiten dar (und ggf. sogar alternative Deskriptionen des Verhaltens). Synchrone Relationen sind aber nicht nur deshalb relevant, weil sie verschiedene synchrone Tätigkeiten und Handlungen erfassen, sondern insbesondere deshalb, weil hier der Unterschied zwischen intentionalen und realen Relationen inferenziell veranschaulicht und damit der Begriff der indirekten Transitivität analytisch verwendet werden kann. Denn bei der Instanziierung einer [[X]INTENTIONAL[Y, Z]]-Relation lassen sich dann diejenigen Strukturen darstellen, die auf realen Relationen beruhen, und diejenigen, die diskursive Normen (zur Beurteilung von Verhalten) in die diskursive Praxis bringen. So kann z. B. zeigen eine synchrone Relation von veranschaulichen sein, deren Tätigkeit aber nicht notwendigerweise unter spezifischen diskursiven Normen beurteilbar ist und auch keine signifikativen Handlungsgründe aufweist. 21 Zeigen ist dann eine synchrone, aber reale Relation, die inferenziell aus der intentionalen Relation von veranschaulichen rekonstruiert werden kann. Auf Basis der realen Relation können diskursive Normen der intentionalen Relation das beschriebene Verhalten dann als Handlung konstituieren, womit das Verb veranschaulichen indirekte Transitivität aufweist. 21 Auf ähnliche Weise besteht auch eine Differenz zwischen zeigen und anzeigen, illustrieren oder demonstrieren. 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 267 Neben der Differenz von realen und intentionalen Relationen können mithilfe der Unterscheidung von präteritalen und synchronen Relationen auch handlungstheoretische Aspekte modelliert werden. Denn bei Verben, die Handlungen mit Gründen signifizieren, lassen sich propositionale Einstellungen stets als präteritale Relationen veranschaulichen. Mit synchronen Relationen können zudem synchrone propositionale bzw. intentionale Einstellungen der Verhaltensbzw. Handlungsdeskription erfasst werden, also diejenigen Verben, die Handlungen aus Gründen signifizieren. Ein Verb wie z. B. versprechen weist synchrone Relationen auf, die inferenziell jene signifizierten Handlungsgründe bereitstellen, die versprechen zu einer Handlung aus Gründen machen, z. B. wollen oder beabsichtigen. Konsekutive Relationen (also auch das Signifikanzäquivalent zu Handlungsfolgen und -zwecken (cf. z. B. Wright 1974: 69)) sind Verhaltens-, Handlungs- und Kognitionsrelationen, die mit [[X]INTENTIONAL[Y, Z]] in festlegungserhaltenden, berechtigungserhaltenden und inkompatiblen Folgerelationen stehen. Hier bietet sich als Beispiel abermals das Verb antworten an, welches hier eine konsekutive Relation des Verbs fragen ist. Dadurch wird abermals gezeigt, dass die Frage, ob etwas als präteritale, synchrone oder konsekutive Relation klassifiziert wird, am jeweiligen Moment im Kontinuum bzw. der Verbinstanziierung festzumachen ist: Was zu einem Zeitpunkt eine synchrone Relation ist, kann zu einem anderen schon eine präteritale Relation sein. Ein anderes Beispiel ist das Verb versprechen, welches als konsekutive Relation, diejenige Handlung hervorruft, welche Objekt des Versprechens ist (z. B. auf “ Ich verspreche dir, den Müll herunterzubringen. ” folgt die Handlung Müll herunterbringen). Damit implizieren konsekutive Relationen nicht nur Handlungsfolgen, sondern auch Handlungsverpflichtungen. Es ist außerdem wichtig, zwischen denjenigen Relationen zu unterscheiden, die latent als konsekutive Relation in der Verbinstanziierung hervorgerufen werden, und denjenigen, die diskursiv tatsächlich folgen. Denn nicht alle auf die [[X]INTENTIONAL[Y, Z]]-Relation folgenden Relationen stehen notwendigerweise in inferenzieller Relation zu ihr. Es geht hier also vielmehr um das Potenzial, welches das Ereignis von [[X]INTENTIONAL[Y, Z]] evoziert. Mithilfe der Darstellung der verschiedenen Strukturen und Aspekte und dem verbpragmatischen Modell intentionaler Relationen können nun exemplarische Verbinstanziierungen (und deren diskursive Rollen) analysiert werden, wobei die hier veranschaulichten intentionalen Relationen Reduktionen darstellen und bei z. B. trivalenten intentionalen Verben (cf. hierzu z. B. Descombes 2017) komplexer wären. Es lässt sich z. B. das systematische Verhältnis der Verben suchen und finden - [SUCHEN]-[FINDEN] - , welchem sich auch Vincent Descombes widmet (cf. Descombes 2014: 83 f.), im Rahmen des verbpragmatischen Modells analysieren und erklären, warum suchen ein intentionales Verb ist bzw. sein kann, während finden kein intentionales Verb ist. 268 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Abb. 9: Verbpragmatik von suchen Suchen (i. S. v. “ Jemand [Person/ Institution] stellt Überlegungen oder Untersuchungen an mit dem Ziel, etwas [Konkretum: häufig Substanz/ abstr. Objekt] zu finden oder etwas zu entdecken. ” (Schumacher et al.: 713) 22 ) beinhaltet während des intentionalen Ereignisses einen Handlungsgrund, sodass es eine Handlung aus Gründen (für X) ist. Dieser wird hier durch die Relation, die das Verb beabsichtigen bereitstellt, markiert. Beabsichtigen ist allerdings nicht die einzige synchrone Relation, die während der Instanziierung besteht. Bereits die Definition von suchen legt einige Verben nahe, die als synchrone Relationen auf Basis von EMSIFs gelten können: überlegen und untersuchen. Weitere synchrone Relationen auf Basis von EMSIFs, EMSIBs und EMSIIs sind dabei wahrscheinlich, sollen aber für diese Veranschaulichung der Analyse des [SUCHEN]-[FINDEN]-Verhältnisses weggelassen werden. Suchen involviert außerdem mögliche propositionale Einstellungen, die der durch das Verb markierten Handlung vorausgehen und damit präteritale Relationen sind. Diese sind aber für suchen nicht notwendig, auch wenn sie wesentlichen Einfluss auf die Entstehung der Handlung und Handlungsziele haben können. Daher werden sie hier als präteritale Relationen auf Basis von EMSIBs modelliert. Weitere präteritale Relationen habe ich hier abermals weggelassen, wobei eine weitere vorausgehende Relation, die aber auf EMSIIs beruht, finden ist. Wäre finden aus der Perspektive der Verbinstanziierung suchen nicht inferenziell als präteritale Relation ausgeschlossen, dann wäre finden keine angemessene konsekutive Relation von suchen. Denn: Wenn Y bereits gefunden wurde (präterital), muss Y nicht mehr gesucht werden (konsekutiv). Finden stellt dann eine konsekutive Relation von suchen dar, denn finden kann eine Folge von suchen sein und ist sogar kognitiv (als Handlungsziel) markiert. Dennoch muss eine [FINDEN]-Relation nicht notwendigerweise auf suchen folgen, z. B. wenn die Suche scheitert. Daher basiert die konsekutive Relation auf EMSIBs. Eine weitere konsekutive Relation, die aber auf einer ähnlichen signifikativen Struktur beruht, wäre entdecken. Y markiert in dieser Darstellung das Akkusativobjekt bzw. intentionale Objekt, welches über die Handlungssequenz hinweg beständig bleibt. Denn das Ziel der Suche ist zugleich dasjenige Objekt, welches gefunden werden soll (und damit die Suche beendet). Auch wenn das Akkusativobjekt Y hier insbesondere an der [SUCHEN]-[FINDEN]-Achse markiert wird, ist nicht auszuschließen, dass es bereits in der präteritalen Relation eine Rolle spielt (z. B. aus “ X glaubt, dass der Schatz (Y) dort vergraben ist. ” folgt “ X sucht den Schatz (Y). ” , woraus folgen kann “ X findet den Schatz (Y). ” ) 22 Bsp.: “ Das Institut Pasteur sucht nach einem Impfstoff gegen Aids. ” (ebd.) 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 269 Wendet man sich nun der [SUCHEN]-[FINDEN]-Achse aus der Perspektive von finden zu, lassen sich andere präteritale, synchrone und konsekutive Relationen ermitteln. Dabei unterscheidet sich finden nicht nur deshalb von suchen, weil es die Beendigung einer Handlungssequenz markiert (atelisch vs. telisch). Auch intentionale Relationen sind auf andere Weise involviert. Abb. 10: Verbpragmatik von finden Finden (i. S. v. “ etwas entdecken ” (Schumacher et al.: 378) 23 ) involviert nicht notwendigerweise diskursive Intentionalität als intentionale Relation. Denn etwas kann auch unvermittelt gefunden werden und muss keine Suche voraussetzen, sodass suchen hier als präteritale Relation auf Basis von EMSIBs modelliert ist. Die synchronen und konsekutiven Relationen werden in dieser Darstellung offengelassen, denn sie tragen kaum zum Verständnis der [SUCHEN]-[FINDEN]-Achse bei. Propositionale Einstellungen müssen nicht notwendigerweise als synchrone Relationen modelliert werden, weil finden unvermittelt geschehen kann. Außerdem schließt es als telisches und punktuelles Verb eine konsekutive Relation eher aus. Eine Ausnahme wäre die konsekutive Relation [SUCHEN], die auf EMSIIs beruht, denn wenn etwas bereits gefunden wurde, muss es nicht mehr gesucht werden. Dass finden aber als involviert in Handlungssequenzen mit diskursiver Intentionalität interpretiert wird bzw. werden kann, liegt weniger an der [FINDEN]-Verbinstanziierung als an inferenziellen Relationen, die finden zum Verb suchen hat bzw. haben kann. Wenn finden das Ergebnis von suchen ist, dann trägt die durch suchen signifizierte intentionale Relation gewissermaßen auch für finden. Finden wird als Einlösung des Handlungsziels interpretiert und damit aber letztlich als Konsequenz von suchen, wie bereits in Abb. 9 dargestellt. Das Verhältnis der Handlungsbzw. Tätigkeitsverben suchen und finden zeigt die Ambivalenz, Festlegungs- und Berechtigungsstruktur sowie die systematischen Relationen von Verben in diskursiven Praktiken auf, doch ist suchen kein paradigmatischer Vertreter intentionaler Verben, wenn es um die Analyse von Verbinstanziierungen geht. Denn suchen erfordert (ganz im Sinne der EMSIB-Strukturen der signifikativen Oberfläche) zumindest weitere inferenzielle Relationen, um als intentionales Verb zu signifizieren, sodass diskursive Intentionalität attribuiert werden kann. 24 Prototypisch sind wahrscheinlich sozialkommunikative Handlungsverben und insbesondere kollektive intentionale Verben wie diskutieren. Dieses Verb kann sowohl zur Demonstration der Verbpragmatik als auch zur Illustration der indirekten Transitivität intentionaler Verben genutzt werden. 23 Bsp.: “ [Immer wieder] finden Wissenschaftler neue Viren, neue Bakterienstamme. ” (ebd.) 24 Suchen können (im wörtlichen Sinne) auch Hunde, Katzen, Babys und Kleinkinder, vielleicht sogar auch Suchmaschinen. 270 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Abb. 11: Verbpragmatik von diskutieren Diskutieren (i. S. v. “ mit jemandem etwas erörtern bzw. ein Gespräch über etwas führen, wobei unterschiedliche Standpunkte dargelegt werden ” (Schumacher et al.: 297) 25 ) weist eine komplexe verbpragmatische Struktur auf, da sowohl propositionale Einstellungen als auch Simultan-, Komplementär- und Folgehandlungen sowie neben X auch Y und Z involviert sind. Das Verb weist präteritale Relationen auf Basis von EMSIFs auf, die hier als propositionale Einstellungen modelliert sind. Diskutieren basiert stets auf vorausgehenden propositionalen Einstellungen, die Einfluss auf das Handlungsereignis haben. Gleichzeitig ist es auch eine Handlung aus Gründen, sodass es synchrone Relationen involviert, die sich z. B. mit beabsichtigen erfassen lassen. Hiermit wird der Handlungsgrund signifiziert. Weitere synchrone Relationen sind diejenigen Handlungen und Tätigkeiten, die einen relationalen Status aufweisen und Teil von Diskussionen sind: reden, sagen, behaupten etc. Diskutieren kann das Ziel haben, dass X und Z sich wechselseitig überzeugen wollen, wobei überzeugen (als Folgeereignis) nicht notwendigerweise eintreten muss. Daher handelt es sich um eine konsekutive Relation auf Basis von EMSIBs. Außerdem sind in dieser Darstellung die verschiedenen diskursiven Rollen und intentionalen Objekte markiert. Da hier X im Mittelpunkt steht, gelten die diskursiven Signifikanzen von diskutieren zunächst für X. Doch weil diskutieren eine kollektive intentionale Relation signifiziert, gelten dieselben Signifikanzen auch für Z, auch wenn z. B. die spezifischen propositionalen Einstellungen und Gehalte sich unterscheiden können bzw. in diesem Fall sogar müssen, weil eine Diskussion nur unter verschiedenen Ansichten ( “ unterschiedliche Standpunkte ” ) sinnvoll ist. X und Z sind als diskursive Rollen, die aus Gründen handeln, signifiziert, wobei überzeugen für beide das Handlungsziel zum Zeitpunkt der Verbinstanziierung von diskutieren darstellt. Damit entsteht eine Achse von beabsichtigen und überzeugen (i. S. v. “ beabsichtigen zu überzeugen ” ), die über das gemeinsame Diskussionsthema (Y) geht. Damit ist zunächst einmal nichts anders dargestellt als der Fakt, dass Diskussionen dazu dienen, dass X und Z hinsichtlich Y versuchen, sich gegenseitig zu überzeugen. Das Verb diskutieren und dessen präteritale, synchrone und konsekutive Relationen sowie diskursive Rollen können diese Tatsache erklären und veranschaulichen. Dass diskutieren eine Vielfalt an verbpragmatischen Strukturen enthält und entsprechende diskursive Rollen fordert, lässt sich auch anhand eines Textbelegs exemplifizieren: 25 Bsp.: “ Der Finanzminister diskutiert mit dem Fraktionschef die Sparmaßnahmen für das nächste Jahr. ” (Schumacher/ Kubczak/ Schmidt/ de Ruiter 2004: 298) 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 271 Die wird derzeit diskutiert: Politiker von CDU und CSU haben sich in den vergangenen Tagen für eine Korrektur von Hartz IV ausgesprochen. Das System müsse verständlicher und gerechter werden, sagte Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU). So sei es schwierig, wenn einfache Arbeiter weniger verdienten als Hartz-IV-Empfänger. (Spiegel-Online, 17.01.2010) Das Verb diskutieren entfaltet sich hier im Rahmen der textuellen Sequenz, sodass die verbpragmatische Struktur genutzt wird, um die normativen Signifikanzen zu explizieren. Es zeigen sich der latente Plural des kollektiven intentionalen Verbs (X und Z: Politiker von CDU und CSU) und das gemeinsame Thema (Y: Korrekturen von Hartz IV), aber auch die inferenziellen Relationen von diskutieren zu anderen Verben. Sich aussprechen (i. S. v. fürsprechen) und sagen sind (intentionale) Relationen, die während der Verbinstanziierung als synchrone Relationen auftreten. Neben der Etablierung der Diskussion im Rahmen einer politischen Praxis, attrahieren diskutieren, aber auch sich aussprechen (und sagen) nicht nur diskursspezifische (politische) Normen, sondern auch diskursive und sozial-kommunikative Handlungsnormen, die sich z. B. im Rahmen von Präsumtionsregelerwartungen oder Maximen erklären lassen (cf. Kapitel 16). Dass es sich tatsächlich um eine Analyse der verbpragmatischen (und damit diskursiven Signifikanz) und nicht der verbsemantischen Ebene handelt, bestärkt die Analyse der indirekten Transitivität von diskutieren. Sie zeigt an, dass die Substitution intentionaler Verben mit anderen begriffsähnlichen sprachlichen Zeichen, die z. B. reale Relationen signifizieren, dazu führt, dass andere bzw. keine diskursiven Normen attrahiert werden. Abb. 12: Indirekte Transitivität von diskutieren Die hier erfassten inferenziellen und temporalen Relationen beschränken sich auf EMSIF- Strukturen und synchrone Relationen. Sowohl reden als auch artikulieren (i. S. v. Laute modulieren) sind in der kraft des Verbs diskutieren signifizierten Handlung notwendigerweise involviert, zumindest, wenn es sich um eine mündliche Diskussion handelt. Allerdings involvieren nur diskutieren und reden selbst diskursive Normen bzw. konstituieren sich kraft dieser. Artikulieren, welches hier nur als Beispiel dient, markiert eine reale Relation, welche über extrinsische Transitivität verfügt. [DISKUTIEREN] und [REDEN] überlagern als intentionale Relation kraft der diskursiven Normen eine reale Relation [ARTIKULIEREN]. Würden entsprechende reale Relationen, die über intrinsische 272 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben oder extrinsische Transitivität verfügen, statt der intentionalen Relation im semiosischen Kontinuum substituiert werden, würde der Aspekt der diskursiven Normen zur Beurteilung des Verhaltens, der Konstitution der diskursiven Rollen sowie des Normverfügens entfallen. Diese Skizze der linguistischen Verbpragmatik zeigt, inwiefern die Instanziierung eines intentionalen Verbs eine latente Handlungslogik enthält, die mithilfe inferenzieller und temporaler Relationen modelliert werden kann. Damit können nicht nur Verben analysiert werden, die z. B. Komplementär-, Simultan- oder Folgehandlungen anzeigen, sondern auch diejenigen extrahiert werden, welche diskursive Normen attrahieren. Insbesondere die Perspektive der Transitivität sowie der Substitution kann dann das Verhältnis diskursiver Normen und diskursiver Praktiken verbpragmatisch analysieren. Zusammenfassend kann die Erweiterung des inferenziellen Vokabulars im Rahmen einer linguistischen Verbpragmatik veranschaulichen, welchen Beitrag intentionale Verben in der Konstitution von Verhalten als Handlung haben. Anhand einzelner Verben lässt sich demonstrieren, wie diese bereits das Potenzial zur inferenziellen Verkettung in sich tragen und damit systematisch den Verlauf diskursiver Praktiken protegieren. Über die subsentenzialen inferenziellen Relationen einerseits sowie präteriale, synchrone und konsekutive Relationen andererseits kann dieser systematische Beitrag von intentionalen Verben an verschiedenen Positionen in der Praxis dargestellt werden. Hier findet dann auch der Begriff der indirekten Transitivität seine analytische Berechtigung (cf. Kapitel 12.2.2). Denn er trägt dazu bei, insbesondere bei synchronen inferenziellen Verkettungen den Übergang von sozial-normativen Gültigkeiten (indirekte Transitivität) zu physikalischen Gesetzmäßigkeiten (extrinsische Transitivität) zu demonstrieren. Die Darstellung der linguistischen Verbpragmatik und des systematischen Beitrags von intentionalen Verben zur Konstitution von Verhalten als Handlung schließt die Reflexionen zur diskursiven Signifikanz intentionaler Verben ab: Ausgehend von der Annahme, dass intentionale Verben einen besonderen Beitrag zu diskursiven Praktiken leisten, wurde deren logischer Status reflektiert. Virtuelle Logik und hyperonymische Abstraktion haben diskursive Intentionalität als transversale Eigenschaft verschiedener sozial-normativer Status etabliert (cf. Kapitel 12.1.1), um intentionale Verben anschließend von spezifischen Verbklassen wie Sprechaktverben, Kommunikationsverben, psychologischen Verben und phänomenologischen Intentionalitätsverben abzugrenzen (cf. Kapitel 12.1.2). Die spezifische Logik intentionaler Verben ließ sich relationslogisch rekonstruieren, indem auf relationlogische Annahmen und Begründungen von Peirce Descombes zurückgegriffen und somit die Kategorie der intentionalen Relation etabliert wurde (cf. Kapitel 12.2.1). Relationslogisch wurden intentionale Verben außerdem entlang der semiotischen Kategorie der Transitivität analysiert, um die zeigen, auf welche Weise diskursive Normen an ihrer Konstitution mitwirken. Das Konzept der indirekten Transitivität hat sich dabei als ertragreich erwiesen (cf. Kapitel 12.2.2). Das Grundlagenmodell dient der Darstellung der signifikativen Grundstruktur intentionaler Verben und führt die theoretischen Erkenntnisse der vorherigen Kapitel zusammen (cf. Kapitel 12.3). Da sich viele intentionale Verben aber nicht auf diese signifikative Grundstruktur reduzieren lassen, habe ich das Grundlagenmodell anschließend um soziale, kooperative und kollektive intentionale Relationen (cf. Kapitel 12.4) und eine inferenzielle Gliederung (cf. Kapitel 12.5) ergänzt. Das Ergebnis dieses Kapitel ist damit ein Modell zur Analyse diskursiver Praktiken sowie eine neue 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 273 verbpragmatische Perspektive auf handlungslogische Aspekte dieser Praktiken. Die in diesem Kapitel entwickelte Analyse und Modellierung von diskursiver Intentionalität, intentionalen Verben und Relationen dient dazu, die in den sprach- und zeichentheoretischen Grundlagen skizzierten und in den Theorien Peirces, Brandoms, Shorts und Millikans explizierten Annahmen zur Intentionalität analysierbar zu machen. Intentionalität entsteht dabei bei der Verbinstanziierung als Signifikanz und kann daher mithilfe des Grundlagenmodells, sowie der typologischen wie verbpragmatischen Erweiterungen in diskursiven Praktiken anhand von (impliziten wie expliziten) Zeichenereignissen analysiert werden. Weil es sich dabei, wie z. B. die handlungslogischen Implikationen zeigen, nicht nur um eine Verbanalyse i. e. S. handelt, sondern um eine neue Perspektive auf diskursive Praktiken und deren Analyse, ist die Analyse auch anschlussfähig für Fragen der Konstitution von sprachlichen Handlungen, Interlokutorenfunktionen und Involviertheit diskursiver Normen. Insofern kann sie auch über Verben hinweg Anwendung in linguistischen Analysen finden. 274 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben