Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
0303
2025
451-4
Zuschreibung, Attribuierung, Inskription und Inauguration
0303
2025
Joschka Briese
Die Reflexion zur Signifikanz intentionaler Verben werden auf das Verb “zuschreiben” angewandt. Die im vorherigen Kapitel entwickelten Prämissen einer linguistischen Pragmatik werden hier anhand der diskursiven Praktiken demonstriert, die Intentionalität als sozial-normative Emergenz in der Kommunikation etablieren. Das theoretische Vokabular Robert B. Brandoms wird hierzu um Aspekte erweitert und ein Akzeptanzkriterium ergänzt, welches die sozial-kommunikative Gliederung dieser Praktiken sichert.
kod451-40275
K O D I K A S / C O D E Volume 45 (2022) · No. 1 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen 13 Zuschreibung, Attribuierung, Inskription und Inauguration Abstract: The reflection on the significance of intentional verbs is applied to the verb “ to ascribe ” . The premises of pragmatics developed in the previous chapter are demonstrated here on the basis of the discursive practices that establish intentionality as a socialnormative emergence in communication. Robert B. Brandom's vocabulary is extended by theoretical aspects and an acceptance criterion is added, which ensures the socialcommunicative structuring of these practices. Zusammenfassung: Die Reflexion zur Signifikanz intentionaler Verben werden auf das Verb “ zuschreiben ” angewandt. Die im vorherigen Kapitel entwickelten Prämissen einer linguistischen Pragmatik werden hier anhand der diskursiven Praktiken demonstriert, die Intentionalität als sozial-normative Emergenz in der Kommunikation etablieren. Das theoretische Vokabular Robert B. Brandoms wird hierzu um Aspekte erweitert und ein Akzeptanzkriterium ergänzt, welches die sozial-kommunikative Gliederung dieser Praktiken sichert. Keywords: ascription, intentionality, acceptance criterion Schlüsselbegriffe: Zuschreibung, Intentionalität, Akzeptanzkriterium Das Grundlagenmodell intentionaler Verben und die linguistische Verbpragmatik bieten zwar eine Perspektive auf diskursive Praktiken, doch bleibt bisher die Frage nach der strukturellen Zugehörigkeit diskursiver Intentionalität im Rahmen der Deskription von Personen noch undeutlich. Zwar habe ich erklärt, dass intentionale Relationen handlungspotenzielle Leerstellen (diskursive Rollen) eröffnen und diese sich (in ihrer Instanziierung) auf Personen beziehen können, doch habe ich die Prozesse, die dies ermöglichen, bisher nicht ausreichend erklärt. Mithilfe der Begriffe der Zuschreibung und Attribuierung sollen diese Prozesse auch analytisch erfassbar werden, wobei auch hier der analytische Zugang über die Struktur der Verben zuschreiben und attribuieren erfolgt. Diese Verben beschreiben Praktiken, die an der Konstitution diskursiver Intentionalität beteiligt sind und auf der Signifikanz des intentionalen Verbs gründen. Doch obwohl die theoretische Perspektive bisher insbesondere Emergenzphänomene, Relationen und Verben in den Blick genommen hat, soll damit nicht bezweifelt werden, dass an diskursiven Praktiken Interlokutoren beteiligt sind, die auf gewisse Weise an der Konstitution diskursiver Intentionalität teilhaben. Die Frage der Beteiligung von Individuen an der Konstitution von Intentionalität in diskursiven Praktiken ist bereits in der Diskussion des Intentional Stance, der interpretierenden und einfachen intentionalen Systeme* (IIS und EIS), skizziert worden und intentionale Zeichen sind als wesentliches Element für Interpretations-, Zuschreibungs- und Attribuierungsprozesse herausgestellt worden (cf. Kapitel 8.2). Nachdem diese intentionalen Zeichen mit Shorts, Millikans und Descombes' Theorien genauer bestimmt und analytisch zugänglich gemacht worden sind, kann die Mittlerfunktion intentionaler Zeichen nun mithilfe intentionaler Verben erfasst werden. Kurz: Mit ihnen kann analysiert werden, wie Individuen zu Diskursteilnehmer bzw. diskursiven Wesen werden. Dieser Prozess wird dabei von Individuen angestoßen, indem diese kraft intentionaler Verben diskursive Intentionalität zuschreiben bzw. attribuieren. Allerdings folgt aus dieser Erkenntnis nicht, dass Zuschreibungen bzw. Attribuierungen bewusste Prozesse sind und auch nicht, dass Zuschreibung oder Attribuierung hinreichend sind, um entsprechende sozial-kommunikative Individuen für ihre Zuschreibung bzw. Attribuierung verantwortlich zu machen. Nichtsdestotrotz ist das Verhältnis zwischen IIS und EIS, welches kraft intentionaler Verben gestiftet wird, für die Emergenz von diskursiver Intentionalität relevant. Um die sozial-kommunikative Involviertheit von Individuen zu analysieren, soll das theoretische Vokabular der Zuschreibung und Attribuierung erklärt und um die Termini Inskription und Inauguration erweitert werden. Damit wird ein weiteres soziales Moment eingeführt, welches erklärt, inwiefern die Anerkennung von Intentionalität, Handlungsgründen, -motiven und -absichten bereits sozial strukturiert und damit vorausgesetzt ist, sodass Zuschreibung, Attribuierung, Inskription und Inauguration als Spuren in diskursiven Praktiken verfolgt werden können. Damit wird der Bezug zum Transkript in der Einleitung (cf. Kapitel 1) hergestellt. In der zeitgenössischen germanistischen Linguistik, insbesondere in der Konversationsanalyse und Gesprächslinguistik, hat sich der Ausdruck Zuschreibung zur Beschreibung spezifischer kommunikativer Akte etabliert (cf. z. B. Proske 2017, Reineke 2016, 2018). Auch wenn der Ausdruck intuitiv eine bestimmte Semantik trägt, die den dahinterliegenden Prozess zumeist auch angemessen umreißt, bleibt eine theoretische Reflexion dieses Aktes oftmals aus. 1 Aber bereits die mediale Perspektive der Schrift, welche sich in Zuschreibungen verbirgt, erfordert eine Reflexion, wenn der Begriff auch im Rahmen von konversationsanalytischer bzw. gesprächslinguistischer Forschung verwendet werden soll. Dabei schlage ich folgenden Weg ein: Der Akt der Zuschreibung wird entlang von valenzähnlichen Strukturen des Verbs reflektiert, um anschließend diese diskursive Praxis im Rahmen einer sozialen, interlokutiven und diskursiven Struktur anhand des Verbs zu erläutern. 1 Vermutlich orientiert sich das semantische Verständnis von Zuschreibung dort an Attributionstheorien im Rahmen sozialpsychologischer Perspektiven auf Verhalten (cf. z. B. Fiedler/ Freytag 2009, Heider 1977, Kelley 1967, Malle 2006) oder eher kulturwissenschaftlich orientierten Perspektiven auf soziale Strukturen (cf. z. B. Butler 2006, 2012). Beide Aspekte sind in der folgenden Erklärung des Konzepts aufgehoben, doch wird der Prozess über eine Verbsemiotik erklärt. 276 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Abb. 13: Zuschreiben als diskursiver Akt Interessant für die theoretische Analyse des Zuschreibungsaktes, aber auch von Attribuierungs-, Inskriptions- und Inaugurationsakten, welche in dieser Hinsicht strukturäquivalent sind, sind die in Abb. 13 dargestellte valenzähnliche Struktur des Verbs zuschreiben im hier fraglichen Sinne eines handlungstheoretisch relevanten Zuschreibungsaktes kraft sprachlicher Äußerungen mit anderen Verben als zuschreiben und die Darstellung der obligatorischen und fakultativen Leerstellen. Die vermeintliche trivalente Struktur ( “ Jemand (A) schreibt jemandem/ etwas (B) etwas (C) zu. ” ), so eine hier vertretene zentrale These, ist für die Analyse des Aktes nicht hinreichend, sondern sie muss notwendigerweise um den Wert D ergänzt werden: “ Jemand (A) schreibt jemandem/ etwas (B) etwas (C) kraft etwas (hier: des intentionalen Verbs) (D) zu. ” Im Sinne der Analyse der Signifikanz intentionaler Zeichen, die für die Interpretation von Verhalten als Handlung relevant sind (cf. Kapitel 9.1), steht also stattdessen D im Mittelpunkt der Betrachtung der Praxis. Die obligatorischen Leerstellen A, B, C und D können außerdem um den fakultativen Wert E ergänzt werden. Dieser repräsentiert die soziale und interlokutive Einbettung des Aktes, welche im Folgenden insbesondere bei Inskriptionen und Inaugurationen offensichtlich ist. Aus der Akzeptanz, dass mit E eine soziale und interlokutive Komponente in die Verbstruktur integriert wird, folgt zudem, dass der Akt der Zuschreibung selbst sozial und dann beurteilbar, akzeptierbar bzw. sanktionierbar wird: “ Jemand (A) schreibt jemandem gegenüber (E) jemandem/ etwas (B) etwas (C) kraft etwas (D) zu. ” Diese allgemeine Formel zur Darstellung der Verbstruktur von zuschreiben lässt sich außerdem in Sinne der Analyse diskursiver Intentionalität, intentionaler Relationen und Verben folgendermaßen spezifizieren: “ Jemand (A) schreibt jemandem gegenüber (E) jemandem (B) diskursive Intentionalität (C) kraft eines intentionalen Verbs (D) zu. ” Es entsteht eine Handlungsituation kraft Zuschreibung. Zuschreiben stellt damit eine grundlegende diskursive Praktik bereit, die auf Basis der Analyse des Verbs die Emergenz diskursiver Intentionalität analysierbar macht. Allerdings lassen sich nicht alle Emergenzeffekte diskursiver Intentionalität auf den Akt der Zuschreibung (im engeren Sinne) zurückführen. Vielmehr ist es sinnvoll, die Akte, die zu diskursiver Intentionalität führen können, entlang der neu eingeführten Leerstellen D und E zu unterscheiden. Denn einerseits können Akte wie Zuschreibungen stets nur Inanspruchnahmen bzw. Geltungsansprüche sein, die soziale Akzeptanz erfordern (E). Andererseits muss auch hier die signifikative Suffizienz des intentionalen Verbs (D) berücksichtigt werden. 13 Zuschreibung, Attribuierung, Inskription und Inauguration 277 Bevor die verschiedenen Akte erläutert werden, ist es zunächst sinnvoll, die Differenz zwischen den individuellen Akten der Zuschreibung und der Attribuierung zu erklären. Robert Brandoms Definition dieser Akte bringt uns hier theoretisch auf einen guten Weg: Das Zuweisen von Überzeugungen oder Festlegungen ist eine praktische Einstellung, die implizit in jenen Kontoführungspraktiken enthalten ist, in deren Rahmen allein etwas die Signifikanz einer Behauptung oder eines Urteils besitzen kann. Das Zuschreiben von Überzeugungen oder Festlegungen ist das Explizitmachen jener implizit praktischen Einstellung, und zwar in Form einer Behauptung. (BB: 226 f.) Zuweisungen [attributions] bzw. Attribuierungen 2 sind demnach Performanzen, die auf praktischen Einstellungen von Interlokutoren beruhen. Sie sind sprachliche Praktiken, wobei jene sprachlichen Zeichen, die die propositionalen Einstellungen attribuieren, in Brandoms Definition implizit bleiben. Bei Zuschreibungen hingegen sind diese sprachlichen Zeichen explizit und tragen zur Performanz bei, indem sie hinreichende Strukturen exponieren, die zur Festlegung auf diskursive Intentionalität nötig sind. Die Differenz von Zuschreibung und Attribuierung ist für die Deskription und Analyse diskursiver Praktiken insofern interessant, als dass sie verschiedene Formen diskursiver Signifikanz markiert. Beide Akte konstituieren sowohl die intentionale Relation als auch deren Relata (z. B. diskursive Rollen), basieren aber auf unterschiedlichen Zeichenprozessen bzw. Signifikanzstrukturen. Zuschreibungen sind, wie die theoretischen Implikationen der Struktur des substantivierten Verbs nahelegen, pragmatisch explizit. Die Signifikanz des intentionalen Verbs ist hinreichend, um damit eine Zuschreibung zu vollführen. Soweit das Zeichen, welchem Signifikanz zukommt, also explizit geäußert wird, handelt es sich um eine Zuschreibung: (1) I 1 : “ Simone hat mir gesagt, dass sie morgen ins Kino gehen möchte. ” Dieser Akt, der kraft des expliziten Zeichenereignisses sagen möglich ist, ist hinreichend, um das Relatum (X=Simone) als diskursive Rolle zu konstituieren und dem Referenzobjekt diskursive Intentionalität zuzuschreiben. Die Signifikanz der Struktur [[X]INTENTIONA- L EMSIF [Y, Z]], auf welcher das Verb beruht, ermöglicht also, dass diskursive Intentionalität zugeschrieben wird. Attribuierungen hingegen ziehen die Kraft ihres Aktes nicht ausschließlich aus dem expliziten Zeichenereignis, sondern aus ihren inferenziellen Relationen bzw. weiteren Zeichen, die latent oder implizit vorhanden sind oder andere Zeichen diskursiv sättigen können. Auch bei Attribuierungen werden Relata als diskursive Rollen konstituiert, aber nicht nur auf Basis des expliziten Zeichens selbst. Die Signifikanz des zu interpretierenden Zeichens ist also nur notwendig, aber nicht hinreichend, sodass das Zeichenereignis diskursiv angereichert werden muss: (2) I 1 : ? “ Schau, da läuft Simone! ” Ob (2) eine Intentionalitätsattribuierung ist, erklärt sich nicht aus der diskursiven Signifikanz von laufen, aus der sprachlichen Handlung oder gar aus den impliziten 2 Statt des Ausdrucks Zuweisung, wie er in der deutschen Übersetzung von Expressive Vernunft (cf. EV) verwendet wird, soll der Begriff Attribuierung gewählt werden, der sich am englischsprachigen Original orientiert, um mögliche essenzialistische Lesarten des Konzepts zu vermeiden. 278 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben inferenziellen Gehalten. Laufen bleibt normativ und intentionalistisch unterspezifiziert, weil es auf einer [[X]INTENTIONAL EMSIB [Y]]-Struktur beruht bzw. beruhen kann. Die Struktur ist also auf weitere inferenzielle Relationen angewiesen, um diskursive Intentionalität zu ermöglichen. Diese normative Anreicherung, die kraft inferenzieller Relationen gelingt, ähnelt damit pragmatischen Konzepten wie Sättigung [saturation] oder Anreicherung [free (pragmatic) enrichment] (cf. z. B. Carston 2002 a: 183 f., Recanati 1989, 2002, 2014), ist aber aufgrund von signifikativen Strukturen und nicht von Satzbzw. Äußerungsbedeutung möglich. 3 Zuschreibungen und Attribuierungen unterscheiden sich also hinsichtlich Explizitheit und Implizitheit der signifikativen Suffizienz, was allerdings wesentliche Konsequenzen für diskursive Praktiken hat: Zuschreibungen diskursiver Intentionalität setzen das intentionale Zeichen explizit. Folglich kann sich in der weiteren diskursiven Praxis auf diese Äußerung (und ihr intentionales Verb) berufen werden (im Sinne von “ x hat gesagt, dass y ” ). I 1 kann sich daher auch nicht von einer expliziten Zuschreibung distanzieren, ohne sich von der gesamten Festlegung zu distanzieren. Auf jede Distanzierung von einer Zuschreibung folgt damit eine diskursive Tilgung des geäußerten propositionalen Gehalts, da Distanzierung und geäußerter propositionaler Gehalt in inkompatibler Relation stehen, die sich logisch widersprechen. Berufung und Distanzierung auf bzw. von Attribuierungen diskursiver Intentionalität sind einerseits nur auf Basis weiterer inferenzieller Relationen (Berufung) und andererseits ohne explizite Tilgungen möglich. Berufungen sind deshalb nicht auf Basis des expliziten Zeichenereignisses möglich, da das Zeichenereignis als Attribuierung nicht allein diskursive Intentionalität zuschreibt. Um sich also auf diskursive Intentionalität berufen zu können, müssen Interlokutoren die implizite inferenzielle Relation explizit machen. Aus diesen Gründen ist auch eine Distanzierung von Attribuierungen ohne explizite Tilgung der Festlegung möglich. Da diskursive Intentionalität durch das Zeichenereignis nicht explizit zugeschrieben wird, können sich Interlokutoren von diesem distanzieren, ohne die Festlegungs- und Berechtigungsstruktur hinsichtlich diskursiver Intentionalität zu verändern. Auch wenn Zuschreibungen und Attribuierungen unterschiedliche Funktionen in der diskursiven Praxis und in der Konstitution diskursiver Rollen und diskursiver Intentionalität haben, involvieren diese in sprachlichen Praktiken auch weitere inferenzielle Relationen, denn zu “ einer Zuschreibung gehört immer das Zuweisen einer doxastischen Festlegung und, da Zuschreibungen ihrerseits Behauptungen oder Urteile sind, das Eingehen einer anderen ” (BB: 230). Wer also zuschreibt, der lizensiert auch mögliche weitere inferenzielle Relationen (pragmatisch) und muss auch entsprechende Attribuierungen bezüglich der Zuschreibung akzeptieren. Zuschreibungen sind demnach insbesondere epistemisch stärker als Attribuierungen, weil sie sich aus der Explizitheit des Zeichenereignisses speisen. 3 Die theoretischen Konzepte der Sättigung, der Anreicherung, aber auch der Erweiterung oder der Komplettierung sollen die latenten semantischen Gehalte (im Sprachgebrauch) erfassen (für einen Überblick cf. Depraetere/ Salkie 2017 a) und unterscheiden sich von dem hier vorgeschlagenen Konzept der Attribuierung. Denn Attribuierung, obgleich auch eine Form der Unterspezifikation, fokussiert die normative Struktur diskursiver Praktiken auf Basis der inferenziellen Gliederung. 13 Zuschreibung, Attribuierung, Inskription und Inauguration 279 Allerdings sind sowohl Zuschreibungen als auch Attribuierungen individualistische Akte. Sie signifizieren den normativen Status bzw. die normative Einstellung von Interlokutoren bezüglich des Relatums X (und ggf. auch Z) und sind damit Geltungsansprüche, die die diskursive Intentionalität einer diskursiven Rolle postulieren. Damit wir (als Sprach- und Diskursgemeinschaft) aber bestimmte Objekte der Wirklichkeit als diskursive Rollen konstituieren und behandeln, erfordert es den theoretischen wie sozialen Schritt vom individualistischen Akt über Akzeptanz hin zu kollektiven Akten: Inskriptionen und Inaugurationen. Hierzu ist es notwendig, nicht nur Interlokutoren als Individuen zu betrachten, sondern ihre Funktion in einer interlokutiven Relation. Inskriptionen beruhen dabei auf der impliziten oder expliziten Aushandlung der Gültigkeit von Zuschreibung bzw. Attribuierung. Inaugurationen hingegen sind diskursive Setzungen, die insbesondere von Personen mit institutioneller Macht getätigt werden und daher kaum anzweifelbar sind. Um nun die Kraft unterschiedlicher sprachlicher Handlungen bezüglich der Akzeptanz intentionaler Verben beurteilen zu können, müssen Interlokutoren in der Lage sein, auf entsprechende intentionale Zeichen, also nicht nur Verben, sondern auch sprachliche Handlungen, unterschiedlich reagieren zu können. Es muss interaktives Verhalten signifizierbar sein, um den normativen Status bzw. die normative Einstellung von I 2 zu I 1 analysieren zu können, welcher bzw. welche sich z. B. in der Sanktion des kommunikativen Verhaltens oder der Verifikation des Geltungsanspruchs zeigt. Um die Interaktion von Interlokutoren auch anhand von Zeichenpraktiken erkennbar zu gestalten, ist die Einführung eines Vokabulars von Meta-Regeln sinnvoll, die die Interaktion von sprachlichen Handlungen hinsichtlich Geltungsansprüchen ohne Rekurs auf Mentales erklärt. Dies kann ein Akzeptanzkriterium sein, welches im Folgenden auf die hier als relevant gesetzten Akte angewandt werden soll. Ein Akzeptanzkriterium, wie es z. B. Harendarski (2012: 130 f.) formuliert, dient dazu, die Funktion der verschiedenen sprachlichen Zeichen und Zeichenprozesse anhand ihrer nachfolgenden Strukturen zu bestimmen. Es ist eine “ Analyse einer Äußerung aufgrund der Frage, was passiert, wenn die Äußerung 1. akzeptiert wird, 2. mit explizitem Unverständnis beantwortet wird, 3. explizit zurückgewiesen wird, 4. nicht anerkannt wird (und daher als Prämisse für weitere Handlungen oder Inferenzen konsequenzlos bleibt). ” (Harendarski 2012: 131) Die verschiedenen Elementarprinzipien, die das Akzeptanzkriterium bilden, gelten bei Harendarski für Äußerungen, sollen im Folgenden aber auch auf die konstitutive Kraft intentionaler Verben angewandt bzw. auf diese übertragen werden. Somit wird neben der signifikativen Suffizienz auch eine soziale Komponente in die Struktur der Akte eingefügt. Folgende Formulierungen erfassen das Akzeptanzkriterium für die diskursiven Praktiken der Zuschreibung und Attribuierung: a. Zuschreibungen und Attribuierungen werden von Interlokutor I 2-n akzeptiert. b. Zuschreibungen und Attribuierungen werden von Interlokutor I 2-n mit explizitem Unverständnis beantwortet. 280 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben c. Zuschreibungen und Attribuierungen werden von Interlokutor I 2-n explizit zurückgewiesen. d. Zuschreibungen und Attribuierungen werden von Interlokutor I 2-n nicht anerkannt (und bleiben daher für weitere Zuschreibungen, Attribuierungen oder Inferenzen konsequenzlos). Die diskursiven Reaktionen auf Zuschreibungen und Attribuierungen lassen sich mithilfe der notwendigen responsiven Folgehandlungen in diskursiven Praktiken erklären. Damit werden latente diskursive Performanzen nahegelegt, die auf Zuschreibungen und Attribuierungen folgen können, wobei eine ausführliche Beschreibung der relevanten sprachlichen Handlungen noch folgt (cf. Kapitel 14). a. Die Akzeptanz der Festlegung auf einen propositionalen Gehalt und dessen Gültigkeit ermöglicht, dass der entsprechende propositionale Gehalt bzw. ein inferenziell gegliedertes Objekt auch von Interlokutor I 2 zugewiesen werden kann, weil I 2 diesen auch akzeptiert. Die Akzeptanz kann dabei z. B. durch affirmative Antwortpartikeln oder andere Äußerungen markiert werden. b. Auf eine Zuschreibung oder Attribuierung kann von Interlokutor I 2 aber auch in Form eines expliziten Unverständnisses bezüglich des behaupteten propositionalen Gehalts, welcher eine Zuschreibung bzw. Attribuierung enthält, reagiert und eine Konkretisierung eingefordert werden. Die Nachfrage (als sprachliche Handlung) kann Interlokutor I 1 auffordern, Inferenzen zu explizieren (Inferenzexplikation), und ist ein geeignetes Mittel, um Unverständnis zu markieren. Entsprechend können inferenzielle Relationen expliziert werden, um die Festlegungs- und Berechtigungsstruktur von Interlokutoren zu verstehen. c. Explizite Zurückweisungen von Zuschreibungen und Attribuierungen sind z. B. kraft Anfechtungen möglich. I 2 behauptet einen propositionalen Gehalt, der inkompatibel mit dem anzufechtenden propositionalen Gehalt von I 1 ist. Im Moment der Anfechtung ist die Gültigkeit der propositionalen Gehalte vakant, da die beiden sich gegenseitig widersprechen (Inferenzkontingenz durch Inkompatibilität). d. Nicht-Anerkennungen fechten nicht gesamte propositionale Gehalte, sondern lediglich “ latente Sachverhalte ” (Harendarski 2012: 131) an, die zwar propositional sind, aber nicht als solche in Erscheinung treten, weil ihnen die propositionale Form fehlt. Dennoch können sie expliziert, propositional geformt werden und auch diskursive Signifikanz erlangen. Dies betrifft z. B. die latente propositionale Struktur von Adjektiven oder Adverbien, aber auch mögliche Inferenzen wie Präsuppositionen oder Implikaturen. Eine diskursive Tilgung dieser latenten propositionalen Gehalte tilgt aber nicht die gesamte propositionale Festlegung von Interlokutoren, sodass sich diese propositionale Festlegung weiterhin diskursiv entfalten kann. Die verschiedenen Interaktionen von I 2 mit der Äußerung bzw. Zuschreibung oder Attribuierung dienen dazu, nicht nur Zuschreibungen und Attribuierungen, sondern auch Inskriptionen und Inaugurationen modellieren zu können. Die Akzeptanz und die Nicht- Anerkennung latenter propositionaler Gehalte sind für Inskriptionen besonders interessant: Interlokutor I 1 schreibt zu bzw. attribuiert, wobei der propositionale Gehalt (und damit auch diskursive Intentionalität bzw. intentionale Relation) von anderen Interlokutoren I 2-n übernommen wird bzw. werden kann: 13 Zuschreibung, Attribuierung, Inskription und Inauguration 281 (3) I 1 : “ Simon widersetzt sich meinen, wohl manchmal etwas strengen, Anweisungen. ” (Zuschreibung) (4) I 2 : “ Was macht er denn genau? ” (Nachfrage) (5) I 2 : “ Simon ist doch nur ein launischer und unaufmerksamer Junge. ” (Anfechtung) (6) I 2 : I 2 : “ So streng finde ich deine Anweisungen nicht. ” (Nicht-Anerkennung) (7) I 2 : “ Ja, bei mir macht er das auch ständig. ” (Akzeptanz) Auf die Zuschreibung der diskursiven Intentionalität in (3) kraft des intentionalen Verbs widersetzen kann von I 2 auf unterschiedliche Weise reagiert werden. (4) fordert kraft der Nachfrage zu einer Inferenzexplikation des Verbs widersetzen auf. Damit wird das Verhalten näher beschrieben. Entsprechend der weiteren Inferenzexplikation bzw. Erklärung kann dann von I 2 z. B. auf die propositionalen Gehalte und Verben eingehen, die I 1 expliziert hat. Im Moment der Nachfrage wird die Intentionalitätszuschreibung aber weder akzeptiert noch ihr widersprochen. Durch die Anfechtung in (5) hingegen wird die Intentionalitätszuschreibung zurückgewiesen. Mithilfe der Setzung eines inkompatiblen propositionalen Gehalts (Festlegung von I 2 ) wird die Gültigkeit des Geltungsanspruches von (3) infrage gestellt, sodass während der Anfechtung die Intentionalitätszuschreibung kontingent ist. Die Inkompatibilität zwischen (3) und (5) lässt sich hier folgendermaßen formulieren: Jemand, der sich widersetzt, der hat Gründe für sein Handeln (intentional). Wer launisch und unaufmerksam ist, der handelt impulsiv (eher kausal). Beide Deskriptionen derselben Person sind also diskursiv (normalerweise) nicht miteinander vereinbar. Welche Deskription des Verhaltens diskursive Geltung erlangt, kann sich nur durch die weitere diskursive Praxis entscheiden. Mit der Nicht-Anerkennung durch (6) wird versucht, den latenten propositionalen Gehalt der Adverbialphrase diskursiv zu tilgen, doch wird nicht auf den übergeordneten propositionalen Gehalt und damit auch nicht auf die Intentionalitätszuschreibung eingegangen. Insofern wird die normative Einstellung von I 2 zur Intentionalitätszuschreibung in (3) nicht expliziert, kann aber durchaus in der weiteren diskursiven Praxis wirksam sein und ggf. sogar über andere sprachliche Handlungen nochmals thematisiert werden. 4 Die Akzeptanz des propositionalen Gehalts von (3) durch I 2 in (7) affirmiert zugleich die Intentionalitätszuschreibung. Das Verhältnis der Äußerung von I 1 und den Folgehandlungen von I 2 zeigt, dass sich theoretische Modellierungen der diskursiven Praktiken und ihrer Intentionalität nicht bei Zuschreibungen und Attribuierungen verweilen, sondern auch sprachliche Folgehandlungen berücksichtigt werden sollten. Insbesondere bei normativen Signifikanzen entscheidet erst die pragmatische Signifikanz der Folgehandlung, ob bzw. wie mit der Zuschreibung bzw. Attribuierung diskursiv verfahren wird. Während mit Zuschreibungen und Attribuierungen propositionale Gehalte (und deren Zuschreibungen und Attribuierungen) lediglich zur Disposition stehen, muss der Gehalt und dessen Struktur kraft Interlokutoren I 2-n lizenziert werden. So können auch Zuschreibungen und Attribuierungen durch Inskriptionsakte (explizit oder implizit) bestätigt werden. 4 Insbesondere in hierarchisch strukturierten Gesprächs- und Kommunikationssituationen kann eine entsprechende Äußerung auch zur Gesichtswahrung dienen. Dann wird die Zuschreibung implizit abgelehnt und nicht notwendigerweise sprachlich markiert, wie die linguistische Höflichkeitsforschung zeigt (cf. z. B. Grunzig 2019). 282 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Inskriptionsakte basieren zu einem gewissen Grad auf Kollektivität, die in individuellen Zuschreibungen und Attribuierungen ihren Anfang nehmen, aber erst über weitere Interlokutoren vervollständigt werden. Die Zuschreibung bzw. Attribuierung wird damit kollektiviert bzw. kultiviert, sodass z. B. das Referenzobjekt (von X) nicht nur in Anspruch genommen wird, sondern tatsächlich (über die individuelle normative Einstellung hinaus) kraft Konstitution als diskursives Wesen bzw. diskursive Rolle gilt. Die Unterscheidung von expliziten (z. B. bei affirmativen Gesprächsbeiträgen) und impliziten Inskriptionsakten (z. B. bei Negation eines latenten, aber nicht des übergeordneten propositionalen Gehalts) und der Differenz von Zuschreibungen und Attribuierungen führt zugleich zur theoretischen Möglichkeit, dass es Akte gibt, die keine Akzeptanz bzw. Affirmation erfordern und dennoch kollektive Geltung erlangen. In einem solchen Akt müsste der sozial-kollektive Affirmationsaspekt implizit bleiben. Solche Akte sind Inaugurationen. Es handelt sich um ritualisierte Akte, die auf der signifikativen Oberfläche die Form von Zuschreibung oder Attribuierungen haben, aber bereits (z. B. institutionell) affirmiert sind. Interlokutor I 1 besitzt dann bereits die sozial-kollektive Autorität, um ohne nachgängige Affirmation diskursive Intentionalität in einen Leib zu inaugurieren. Eine solche diskursive Autorität ist ebenfalls diskursiven Normen unterworfen, aber im Akt der Inauguration kann diese Autorität nicht angezweifelt werden. Da die Affirmation der Zuschreibungen oder Attribuierungen bereits stattgefunden hat, müssen Interlokutoren I 2-n die Inauguration, die die semiotische Struktur einer Zuschreibung bzw. Attribuierung zu haben scheint, nicht mehr bestätigen bzw. können dies in den meisten Fällen nicht, da ihnen wiederum die entsprechende Autorität fehlt. Ähnlich den Inskriptionen lassen sich allerdings unterschiedliche Formen von Autorität aufzeigen, die zu Inaugurationen führen bzw. Inaugurationen erlauben. Zwei wesentliche sollen hier vorgestellt werden: Berufung auf die Autorität anderer und Berufung auf eine kontextuelle bzw. institutionelle Autorität. Im Sinne der Lizenzierungspraktiken durch Berechtigungen können Äußerungen von anderen Interlokutoren übernommen und unter (impliziter) Berufung auf Lizenzgeber geäußert werden: (8) I 1 zu I 2 zu t 1 : “ Ich bin überzeugt, dass p. ” (9) I 2 zu I 3 zu t 2 : “ I 1 ist überzeugt, dass p. ” Durch die Vererbung des geäußerten propositionalen Gehalts p von I 1 zu I 2 in (8) kann I 2 p unter Berufung auf I 1 zu I 3 äußern. Eine entsprechende Affirmation ist in solchen kommunikativen Praktiken nicht mehr nötig, wenn I 3 weiß, dass I 1 eine verlässliche Autorität ist. Entsprechend ist eine diskursive Tilgung des propositionalen Gehalts in (9) von I 2 ausgeschlossen, ohne die Autorität von I 1 und I 3 infrage zu stellen. Insbesondere die Lizenzierung (kraft Festlegungs- und Berechtigungsstruktur) in (8) führt dazu, dass I 2 in (9) inaugurieren darf, sodass eine Affirmation kraft der Berufung auf die Autorität von I 1 nicht notwendig ist. Berufungen auf eine kontextuelle bzw. institutionelle Autorität hingegen kommen ohne eine unmittelbare Lizenzierung anderer Interlokutoren aus und müssen diskursiv inferiert werden. Die institutionelle Rahmung und die diskursiven Normen der diskursiven Praxis ermöglichen dabei die Autorität, um Zuschreibungen bzw. Attribuierungen zu Inaugurationen zu machen. Die inferenziellen Relationen, die die institutionelle Autorität stützen, 13 Zuschreibung, Attribuierung, Inskription und Inauguration 283 sind damit kaum anhand einzelner Behauptungs- und anderer Handlungsrelationen darstellbar. Institutionelle Autoritäten, die ohne personale Berufung oder Affirmationen inaugurieren können, sind jene Interlokutoren, denen in der jeweiligen diskursiven Praxis eine spezifische a-priori-Autorität zukommt, wobei auch diese diskursiv konstituiert ist: Hochschulrektoren, Schulleiter, Richter und andere Autoritäten. Die Autorität zur Inauguration diskursiver Intentionalität ergibt sich aus der akzeptierten Autorität der Diskursgemeinschaft. … individueller Geltungsanspruch … sozial-kollektive (ggf. kulturelle) Konstitution explizite(r) … Zuschreibung kraft der normativen Signifikanz des intentionalen Verbs Inskription kraft … … direkter Affirmation des propositionalen Gehalts durch Interlokutor (z. B. durch Modalpartikeln) … indirekter Affirmation des propositionalen Gehalts (z. B. durch die Infragestellung latenter propositionaler Gehalte) durch Interlokutor implizite(r) … Attribuierung kraft der normativen Signifikanz des Verbs und der normativen Saturation aufgrund pragmatischkontextuellen Inferenzen Inauguration kraft … … Berufung auf personale Autorität … Berufung auf kontextuelle bzw. institutionelle Autorität Tab. 9: Signifikanz von Zuschreibung, Attribuierung, Inskription und Inauguration Die tabellarische Darstellung der Zuschreibung, Attribuierung, Inskription und Inauguration (Tab. 9) fasst verschiedene Praktiken zusammen, die bei der Emergenz diskursiver Intentionalität beteiligt sind. Denn zu Beginn dieses Abschnitts stand die Frage im Mittelpunkt, wie Personen kraft intentionaler Verben über diskursive Intentionalität verfügen und als diskursive Wesen gelten können. Damit wurde das in Kapitel 8.2 skizzierte Modell der interpretierenden und einfachen intentionalen Systeme* (IIS und EIS) um die Signifikanz intentionaler Verben ergänzt. Die Analyse der dabei präsentierten Praktiken beruht damit ganz im Sinne des hier dargestellten Forschungsprogramms einer linguistischen Verbpragmatik auf der Analyse von Verben, weist aber mit der Einbettung von sprachlichen Handlungen über diese hinaus. Dieses Kapitel schließt damit die Rahmung eines Forschungsprogramms einer linguistischen Verbpragmatik ab. Verbpragmatik analysiert wesentliche diskursive und pragmatische Prozesse in Sprach- und Handlungssituationen mit einer analytischen Perspektive ausgehend von Verben, insbesondere intentionaler Verben. Zu Beginn dieses Kapitels wurde diskursive Intentionalität von ähnlichen Konzepten im Rahmen von phänomenologischen, sozialpsychologischen und handlungstheoretischen Betrachtungen unterschieden. Insbesondere phänomenale Intentionalität, Intention und Volition stellten sich dabei als strukturähnliche Phänomene heraus, die aber nuanciert andere Forschungsperspektiven aufweisen. 284 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Weil ein Konzept von Intention und Intentionalität aber für eine linguistische Pragmatik nicht nur relevant, sondern in zeitgenössischen Theorien auch wirkmächtig ist, wurde im Folgenden anhand einer Kritik am Intentionalismus das Desiderat der diskursiven Intentionalität vorgestellt. Dieses Desiderat enthält die wesentlichen Aspekte, die ein Konzept von diskursiver Intentionalität aufweisen sollte, wenn es nicht nur mit den hier formulierten zeichen- und sprachtheoretischen Prämissen vereinbar, sondern auch analytisch zugänglich sein soll. Zudem bietet es die Möglichkeit, ein Intentionalitätskonzept zu vertreten, welches ohne starke ontologische Annahmen auskommt. Anschließend wurde ein entsprechendes Konzept der diskursiven Intentionalität durch eine inferenzialistische und semiotische Perspektive entwickelt. Anhand von Brandoms Inferenzmodell, aber auch dessen Interpretation von Dennetts Intentional Stance eröffnete sich die Möglichkeit, Intentionalität als Emergenzphänomen diskursiver Praktiken zu verstehen. Im Rahmen von Festlegungs- und Berechtigungsstrukturen kann Intentionalität dort als Signifikanz verstanden werden, welche über Zuschreibungen und Attribuierungen Geltung erlangen kann. Außerdem diente Brandoms Handlungstheorie (Handlungen aus Gründen und Handlungen mit Gründen) der Differenz der Handlungsinvolviertheit von Personen, die später in der Modellierung intentionaler Verben aufgenommen wurde. Die semiotische Perspektive auf diskursive Intentionalität, die insbesondere Short, aber auch Millikan zu verdanken ist, versteht Intentionalität dann entlang eines Signifikanzbegriffs, der im Mittelpunkt der Typisierung von Verhalten steht. Shorts Perspektive geht außerdem insofern über andere Handlungstheorien hinaus, als dass er intentionalen Verben die wesentliche Funktion der Konstitution diskursiver Intentionalität in Praktiken zuweist. Mit dieser Annahme ist nicht nur eine pragmatische bzw. pragmatistische, sondern eine linguistische bzw. verbpragmatische Perspektive auf diskursive Praktiken eröffnet worden. Millikans Theorie des intentionalen Ikons konnte unter Berücksichtigung der zeichen- und sprachtheoretischen Grundlagen insofern in das Forschungsprogramm integriert werden, als dass dort eine Differenzierung von intentionalen Zeichen bzw. Verben bereits latent vorhanden ist, aber noch explizit modelliert werden musste. Nachdem mit EMSIFs, EMSIBs und EMSIIs ein theoretisches Vokabular zur Analyse subsentenzialer inferenzieller Relationen eingefügt wurde, wurde diskursive Signifikanz intentionaler Verben relationslogisch betrachtet. Zunächst wurde diskursive Intentionalität als eine handlungs- und diskurslogische Heuristik etabliert, die einen anderen Status aufweist als andere Sachverhalte, Relationen und Prozesse in diskursiven Praktiken. Die These der hyperonymischen Abstraktion wurde durch einen Vergleich intentionaler Verben mit Sprechaktverben, Kommunikationsverben, psychologischen Verben und phänomenologischen Intentionalitätsverben untermauert, sodass die Analyse intentionaler Verben ihre eigene Relationslogik erfordert. Mithilfe der Relationslogik Peirces bzw. deren Interpretation von Vincent Descombes konnte die Relationsstruktur von intentionalen Verben bzw. intentionalen Relationen offengelegt werden. Insbesondere die Involviertheit diskursiver Normen in der Konstitution von intentionalen Relationen, aber auch deren systematische Integration sowie das Verhältnis zu realen Relationen zeigte sich dabei als relevant für eine linguistische Verbpragmatik. Anhand des Begriffs der indirekten Transitivität konnte eine mehrdimensionale Abhängigkeit der intentionalen Relation von diskursiven Normen bekräftigt werden. 13 Zuschreibung, Attribuierung, Inskription und Inauguration 285 Auf Basis der zeichen- und sprachtheoretischen Grundlagen, der Reflexion Brandoms, Shorts und Millikans zur Intentionalität sowie der relationslogischen Analyse Peirces und Descombes' konnte anschließend ein Grundlagenmodell intentionaler Verben entwickelt werden. Anhand von diskursiven Normen, Signifikanzstruktur und Objektrelationen konnten wesentliche Aspekte der Emergenz diskursiver Intentionalität kraft Verben veranschaulicht werden. Über soziale, kooperative und kollektive intentionale Relationen wurde das Grundlagenmodell anschließend erweitert, um nicht nur das Verhältnis zwischen diskursiver Rolle und intentionalem Objekt, sondern auch zwischen diskursiven Rollen modellieren zu können. Dabei spricht viel dafür, dass viele intentionale Verben (insbesondere soziale und sozial-kommunikative Handlungsverben) eine solche Struktur aufweisen. Dass sich intentionale Verben aber nicht nur hinsichtlich ihrer Sozialität, Kooperativität und Kollektivität analysieren lassen, sondern auch hinsichtlich ihrer signifikativen Suffizienz, hat anschließend die Analyse ihrer inferenziellen Gliederung offenbart. Dabei weist sich nur eine spezifische Klasse als genuin intentionale Verben aus, während viele stattdessen durch EMSIBs zwar das signifikative Potenzial aufweisen, aber weitere inferenzielle Relationen erfordern, um Intentionalität zu signifizieren. Außerdem gibt es Verben, die eine Signifikation von Intentionalität explizit ausschließen (über EMSIIs). Die relationslogische Analyse und Modellierung intentionaler Verben in verschiedenen Facetten führte dann zum Forschungsprogramm einer linguistischen Verbpragmatik, welche nicht nur intentionale Verben, sondern auch deren inferenzielle Einbettung in diskursive Praktiken erfasst. Anhand von verschiedenen Verben (z. B. suchen, finden und diskutieren) konnte gezeigt werden, dass diese Verben weitere Relationen involvieren, die diskursiv explizit auftreten bzw. auftreten können und daher als konstitutiv für eine sequenzielle Deskription von Verhalten als Handlung in diskursiven Praktiken gelten können. Mit der linguistischen Verbpragmatik steht damit ein Forschungsprogramm bereit, welches Äußerungen, Performanzen und Verhalten anhand der Signifikanz von Verben analysieren kann. Im Folgenden werden die Grundlagen einer linguistischen Verbpragmatik auf Analyseobjekte einer linguistischen Pragmatik angewandt, um zu zeigen, dass die Perspektive auf diskursive Praktiken durch das Verb ein neues analytisches Instrumentarium bietet. Dabei geht es um drei relevante Bereiche: sprachliche Handlungen, Interlokutoren bzw. Delokutoren und diskursive Normen. 286 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben
