eJournals Kodikas/Code 45/1-4

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
0303
2025
451-4

Sprachliche Handlungen – Analyse der pragmatischen Signifikanz

0303
2025
Joschka Briese
Dieses Kapitel wendet die verbpragmatischen Prämissen auf die Analyse sprachlicher Handlungen an. Ausgehend vom “Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen” werden verschiedene Typen sprachlicher Handlungen vorgestellt und in ein Verhältnis gesetzt. Anschließend wird die sprachliche Handlung der Behauptung als Element in der Semiose beschrieben und mithilfe des entsprechenden intentionalen Verbs analysiert. Daraus resultiert ein analytisches Potenzial, mithilfe von Handlungsdeskriptionen Handlungskraft bzw. pragmatische Signifikanz sprachlicher Handlungen zu analysieren.
kod451-40291
K O D I K A S / C O D E Volume 45 (2022) · No. 1 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz Abstract: This chapter applies the verbpragmatic premises to the analysis of linguistic actions. Starting from the “ game of giving and asking for reasons ” , different types of linguistic actions are presented and put in relation to each other. Subsequently, the linguistic action of assertion is described as an element in semiosis and analyzed with the help of the corresponding intentional verb. This results in an analytical potential to analyze the illocutionary force and pragmatic significance of linguistic actions with the help of action descriptions. Zusammenfassung: Dieses Kapitel wendet die verbpragmatischen Prämissen auf die Analyse sprachlicher Handlungen an. Ausgehend vom “ Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen ” werden verschiedene Typen sprachlicher Handlungen vorgestellt und in ein Verhältnis gesetzt. Anschließend wird die sprachliche Handlung der Behauptung als Element in der Semiose beschrieben und mithilfe des entsprechenden intentionalen Verbs analysiert. Daraus resultiert ein analytisches Potenzial, mithilfe von Handlungsdeskriptionen Handlungskraft bzw. pragmatische Signifikanz sprachlicher Handlungen zu analysieren. Keywords: linguistic action, pragmatic significance, assertion Schlüsselbegriffe: sprachliches Handeln, pragmatische Signifikanz, Behauptung Die Perspektive, die durch zeichen- und sprachtheoretische Reflexionen und insbesondere durch eine relationslogische und verbpragmatische Signifikanzanalyse intentionaler Verben eröffnet wurde, soll im Folgenden auf einen wesentlichen Bereich der linguistischen Pragmatik angewandt werden: sprachliche Handlungen und Sprachhandlungssequenzen. Die These, die bisher verfolgt und in der Modellierung intentionaler Verben eine grundlagentheoretische Begründung gefunden hat, ist weiterhin, dass sich diskursive Praktiken, zu denen auch sprachliche Handlungen gehören, anhand der Signifikanzstruktur ihrer Verben analysieren lassen. Eine relationslogische und verbpragmatische Analyse sprachlicher Handlungen und Sprachhandlungssequenzen kann dabei wesentliche Handlungsstrukturen aufzeigen, ohne ontologisch starke Annahmen wie vorgeordnete Intentionen oder Subjektstatus zu machen. Allein durch die Analyse des Verbs zeigt sich, dass dort bereits ein Handlungspotenzial angelegt ist, welches sich signifikativ in diskursiven Praktiken entfalten kann. Um zu einer relationslogischen und verbpragmatischen Analyse von sprachlichen Handlungen und Sprachhandlungssequenzen zu kommen, soll ein theoretischer Dreischritt erfolgen, der hier kurz skizziert wird. Im ersten Schritt wird mit Brandoms Modell der deontischen Kontoführung ein Kommunikationsmodell vorgestellt, das wesentlich auf einer Klassifikation von sprachlichen Handlungen beruht. Neben der für die folgende verbpragmatische Analyse wichtigen Unterscheidung von propositionalem Gehalt und pragmatischer Signifikanz führt Brandom in Expressive Vernunft auch fünf sprachliche Handlungstypen ein, die als Grundlage der folgenden Analyse dienen können: Behauptungen, Berufungen, Distanzierungen, Nachfragen und Anfechtungen. Die Vorstellung von Brandoms Modell der deontischen Kontoführung dient dabei nicht nur einer Integration in die hier etablierten zeichen- und sprachtheoretischen Grundlagen wie Reflexionen, sondern skizziert auch ein überschaubares Set an sprachlichen Handlungstypen, welche exemplarisch vertieft werden können. In einem zweiten Schritt wird Brandoms Modell der deontischen Kontoführung am Beispiel der sprachlichen Handlung der Behauptung semiotisiert. Während Brandom noch das Wechselspiel von Interlokutoren und sprachlichen Handlungen untersucht, kann eine Semiotisierung der sprachlichen Handlung der Behauptung zeigen, dass Interlokutoren eher als Effekt der als Behauptung signifizierten Äußerung verstanden werden können. Anstatt Interlokutoren also für das bzw. im Zeichenereignis vorauszusetzen, entstehen diese als kommunikative Funktion erst in der Behauptung selbst. Dieser Schritt dient also der Abkehr von Interlokutoren als vorgeordneten kommunikativen Instanzen und soll zeigen, dass die Analyse der Äußerung bzw. der Behauptung für die pragmatische Signifikanz der Praktik hinreichend sein kann. Im dritten (genuin relationslogischen und verbpragmatischen) Schritt wird dann von der Perspektive der sprachlichen Handlungen insofern Abstand genommen, als dass Äußerungen als durch Verben signifiziert verstanden werden. Eine Äußerung als Behauptung zu interpretieren, bedeutet demnach, dass bei der Signifikation ein intentionales Verb beteiligt ist. Kurz: Behauptung kommt von behaupten. Unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Interlokutoren- und Sprachhandlungsperspektive (erster und zweiter Schritt) kann die pragmatische Signifikanz von Äußerungen dann anhand der sie signifizierenden Verben analysiert werden. Dabei erweist sich das theoretische Vokabular der intentionalen Verben zur Analyse von sprachlichen Handlungen und verbpragmatisches Vokabular zur Analyse von Sprachhandlungssequenzen als nützlich. Die damit skizzierte verbpragmatische Analyse von sprachlichen Handlungen soll keine ausgearbeitete Theorie von sprachlichen Handlungen darstellen, dient aber einer grundlegenden Neuorientierung dieses Forschungsbereichs der linguistischen Pragmatik und soll sich damit als ein Ausblick für weitere Forschung erweisen. 292 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms 14.1 Sprachliche Handlungen im Rahmen eines inferenzialistischen Modells diskursiver Praktiken Sprachliche Handlungen, so der mittlerweile etablierte wissenschaftliche Konsens, sind sozial strukturiert (cf. z. B. Arundale 2020, Kissine 2013, Liedtke 2019). In vielen Fällen bedeutet dies, dass an der Konstitution einer Äußerung als sprachliche Handlungen nicht nur eine, sondern mindestens zwei Personen beteiligt ist und sind. Da sprachliche Handlungen einen Kernbereich der linguistischen Pragmatik darstellen und im Rahmen diskursiver Praktiken verschiedene Aspekte aufweisen, die analysierbar sind, sollen im Folgenden relevante Aspekte herausgegriffen werden, die im Mittelpunkt sprachhandlungstheoretischer Analysen stehen. Es geht im Folgenden um ein rudimentäres Modell diskursiver Praktiken, welches sowohl propositionale Gehalte als auch pragmatische Signifikanzen umfasst. Dieses Modell kann dann für eine exemplarische Semiotisierung der beteiligten Prozesse und Relationen dienen, um wesentliche Aspekte mithilfe einer linguistischen Verbpragmatik explizieren zu können. Die folgenden Darstellungen schließen damit einerseits an die sprachtheoretischen Grundlagen an (cf. Kapitel 3), bereiten aber gleichzeitig eine semiotische Interpretation sprachlicher Handlungen vor (cf. Kapitel 14.2). Dabei geht es nicht darum, eine vollständige Theorie sprachlicher Handlungen vorzulegen, sondern ein Fundament rationaler Praktiken zu beschreiben, die sich mithilfe von diskursiver und pragmatischer Signifikanz analysieren lassen (cf. Kapitel 14.3). Im Mittelpunkt steht dabei der Begriff der Behauptung als Element diskursiver Praktiken. Diese grundlegende Dimension der Behauptung stellt einen Bezugspunkt für weitere Praktiken dar. Als hilfreich für eine Explikation von pragmatischen und performativen Aspekten diskursiver Praktiken kann sich Brandoms Modell der deontischen Kontoführung erweisen, welches wesentliche sprachliche Handlungen innerhalb von diskursiven Praktiken analysiert. Brandoms deontische Kontoführung ist zunächst ein Kommunikationsmodell, welches die wesentlichen Züge innerhalb eines Sprachspiels zu erklären versucht. Neben Fragen der Bedeutung von Äußerungen innerhalb diskursiver Praxis erklärt Brandom ebenfalls die sozial-normative Dimension von Kommunikation, welche Konzepte der Handlungsmöglichkeit und -fähigkeit und damit auch der Autorität diskursiven Handelns impliziert. Der Aspekt des Handelns kann dann mithilfe von pragmatischer Signifikanz spezifiziert werden. Brandom nennt sein Modell der diskursiven Praxis ein “ Spiel des Lieferns und Forderns von Gründen ” (EV: 219). Damit orientiert er sich nicht nur an der Sprachspieltheorie Wittgensteins, sondern verweist auch auf eine implizit inferenzielle Praxis, die die Gehalte diskursiver Praxis bereitstellt. Gründe [reasons] lassen sich hier nicht als explizite Begründungszusammenhänge verstehen. Sie dienen vielmehr dazu, die implizite sozialnormative Handlungsgliederung diskursiver Praktiken offenzulegen (cf. Kapitel 8.3). Innerhalb der deontischen Kontoführung gibt es unterschiedliche diskursive Züge, welche zu unterschiedlichen pragmatischen Signifikanzen innerhalb diskursiver Praxis führen. Grundlegender Zug ist bei Brandom die Behauptung (cf. EV: 219): Eine Äußerung als Behauptung zu behandeln, heißt, dass Interlokutoren mit ihr eine bestimmte Festlegung eingehen, deren Folge die Konstitution bzw. Transformation des sozial-normativen Status 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz 293 innerhalb der diskursiven Praxis ist (cf. EV: 220). Brandoms Begriff der Behauptung impliziert dabei theoretisch sowohl ein alltägliches Verständnis des Verbs behaupten 1 als auch eine sprachhandlungstheoretische Definition 2 . Sein Fokus liegt aber insbesondere auf der Konstitution eines sozial-normativen Verhältnisses zwischen Interlokutoren, welches kraft der Behauptung konstituiert wird. Jeremy Wanderer fasst Brandoms Begriff der Behauptung daher folgendermaßen zusammen: An account of assertion, as used here, is neither an account of the intentions or other propositional attitudes associated with asserter and assertee under idealized circumstances, nor of the conventional-institutional setting in which the speech act occurs. Rather, an account of asserting specifies the idealized function of that speech act within an up-and-running discursive practice. This is done by describing, in structural terms (i. e. in terms of its authority and responsibility structure broadly construed), the ideal outcome of a success instance of the act in the context of its performance in an up-and-running-instance of such a practice. The function described is idealized in the sense that it specifies the ideal outcome of a successful instance of asserting. (2008: 54) Der Begriff der Behauptung ist also zunächst ein deskriptiver Begriff (und ermöglicht allein noch keine Sprachhandlungsanalyse), um eine grundlegende kommunikative Funktion sprachlicher Akte innerhalb diskursiver Praktiken zu explizieren. Behauptungen dienen dabei aber nicht nur der Analyse einer wesentlichen pragmatischen Signifikanz sprachlicher Handlungen. Sie beinhalten auch eine propositionale Struktur. Setzen Interlokutoren eine Behauptung innerhalb diskursiver Praktiken, dann ist diese Behauptung gleichzeitig durch einen propositionalen Gehalt strukturiert. Neben der diskursiven Festlegung beinhalten Behauptungen allerdings noch eine weitere Signifikanzstruktur, deren Struktureigenschaften ebenfalls expliziert werden müssen: Berechtigungen. Diskursive Festlegungen berechtigen zu weiteren Festlegungen. Die Festlegung durch Behauptung auf einen propositionalen Gehalt projiziert mögliche weitere Festlegungen in der diskursiven Praxis: Zukünftig darf eine entsprechende Festlegung dann von entsprechenden Interlokutoren eingegangen werden (Festlegungs- und Berechtigungsstruktur). Während Festlegungen einerseits zu weiteren Festlegungen berechtigen, schließen sie andere Festlegungen aus. Behauptungen implizieren also auch eine Signifikanz der Inkompatibilität: Zukünftige Festlegungen werden durch die Behauptung ausgeschlossen, weil sie in einer inkompatiblen Relation zu getätigten Festlegungen stehen. Somit lässt sich nicht nur eine inferenzielle Struktur, sondern auch eine pragmatische Signifikanz der Behauptung mithilfe der festlegungserhaltenden, berechtigungserhaltenden und inkompatiblen inferenziellen Relationen erklären (cf. EV: 255 f.). Diese inferenziellen Relationen lassen sich anhand der folgenden sprachlichen Handlung veranschaulichen: (1) I 1 : “ Die Katze springt vom Dach. ” 1 Mit dem Sprechakt des Behauptens will man demnach “ etwas sagen, was man für wahr hält ” (Harras/ Winkler/ Erb/ Proost 2004: 37). Hiermit wird die wahrheitsfunktionale wie wahrheitskorrelative Funktion der sprachlichen Handlung fokussiert. 2 So formuliert John Searle (1971: 48): “ Eine Proposition ist etwas, das im Akt des Behauptens behauptet [ … ] wird. ” Der Akt der Behauptung ist demnach insbesondere die Setzung einer Proposition, sodass das korrelative Verhältnis zwischen Sprache und Welt betont wird. 294 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms Die sprachliche Handlung (1) steht sowohl in inferenzieller Relation zu anderen semantischen Gehalten (propositional) als auch zu pragmatischen Signifikanzen (performativ). Daher können sowohl Gehalte als auch Signifikanzen anhand inferenzieller Relationen untersucht werden (cf. Kapitel 11). Die festlegungserhaltenden, berechtigungserhaltenden und inkompatiblen inferenziellen Relationen können hier als eine Vernetzung von semantischem Gehalt und sozialnormativem Status verstanden werden: (2) I 1 : DIE KATZE IST EIN SÄUGETIER (3) I 1 : DIE KATZE LANDET AUF DEM BODEN (4) I 1 : DIE KATZE IST VOM DACH GEFALLEN Die hier markierten Strukturen der Behauptung und deren inferenzielle Relationen lassen sich zunächst semantisch bestimmen: Der propositionale Gehalt von (2) steht in einer festlegungserhaltenden inferenziellen Relation zu (1), sodass sich I 1 durch die Behauptung (1) auch auf (2) festlegt ( “ Jede Katze ist auch ein Säugetier. ” ). (3) hingegen steht in einer berechtigungserhaltenden inferenziellen Relation zu (1), sodass die Behauptung von (1) I 1 zu (3) berechtigt ( “ Wenn eine Katze von Dach springt, dann landet sie (wohl) auf dem Boden. ” ). Gleichzeitig schließt die Behauptung (1) die Festlegung auf (4) für I 1 aus, sodass (1) in einer inkompatiblen inferenziellen Relation zu (4) steht ( “ Wer springt, der fällt nicht. ” ). Allerdings reicht eine Erfassung der semantischen Gehalte für eine Analyse der Signifikanzen diskursiver Praktiken nicht aus. Relevant ist auch der sozial-normative Status, welchen Interlokutoren (hier: I 1 ) durch die Behauptung des propositionalen Gehalts erlangen. Die pragmatische Signifikanz der Äußerung ist dem semantischen Gehalt vorgeordnet. Es gilt: Die sprachliche Handlung bestimmt den propositionalen Gehalt. Faktisch bedeutet das: Normative Einstellungen und Status und die propositionalen Gehalte, die mit der Setzung einer Behauptung einhergehen, sind interdependente Größen und sozial konstituiert. Die Strukturen von Festlegung, Berechtigung und Inkompatibilität einer Behauptung sind nicht individuell. Eine Festlegung ist eine Behauptung “ nur wegen der Signifikanz, die diesem Akt von denen beigelegt wird, die die Festlegung zuerkennen oder anerkennen ” (EV: 245). Interlokutoren müssen Behauptungen - und deren semantische wie pragmatische Binnenstruktur - als solche lizenzieren, sodass auch hier die soziale Perspektive relevant ist. Etwas zu äußern ist nicht hinreichend, damit es als Behauptung lizenziert werden kann. Vielmehr erfordert es die signifikative Bestätigung von weiteren Interlokutoren, damit diese Äußerung als Behauptung bestätigt wird. Aber nicht nur der sprachliche Akt muss als Behauptung lizenziert werden, sondern auch Festlegungen, Berechtigungen und Inkompatibilitäten: In einer diskursiven Praxis legt sich Interlokutor I 1 nicht nur auf einen propositionalen Gehalt p fest, sondern lizenziert gleichzeitig, dass Interlokutor I 2 diese Festlegung zuweist. Während die Behauptungsstruktur zunächst als individuelle propositionale Gehaltsstruktur keine unmittelbaren sozial-normativen Konsequenzen hat, ist es die Berechtigung, die zeigt, was es heißt, jemanden als auf einen propositionalen Gehalt festgelegt zu behandeln: Durch die Behauptung eines propositionalen Gehalts p berechtigt I 1 I 2 , sie oder ihn auf p festzulegen. Hier zeigt sich die sozial-normative Signifikanz der diskursiven Autorität in diskursiven Praktiken, denn der sozial-normative Status, der durch die Setzung einer Behauptung eingegangen wird, macht I 1 verantwortlich für p. Die interlokutiv konstituierte Berech- 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz 295 tigung, die I 1 I 2 durch die Behauptung ermöglicht, lässt sich als diskursive Autorität begreifen, wie Brandom am Beispiel des Versprechens zeigt (cf. EV: 248 f.). Bei Nicht- Einhaltung eines Versprechens von Interlokutor I 1 besitzt I 2 die Autorität, I 1 ggf. zu sanktionieren, weil das Versprechen eine Berechtigung zur Sanktionierung impliziert. Diese Autoritätspraxis gilt auch für andere sprachliche Praktiken. So darf I 2 I 1 z. B. für inkompatible propositionale Gehalte sanktionieren, wenn diese der inferenziellen Gliederung der diskursiven Praxis nicht entsprechen. Das Eingehen und Zuweisen von Festlegungen und Berechtigungen bildet somit den Grundstein des Modells diskursiver Praktiken Brandoms: Jene implizite normative Praxis, für die der Gebrauch der Sprache ein Musterbeispiel ist, ist anhand zweier deontischer Status zu diskutieren, nämlich Festlegung und Berechtigung. Der Begriff des normativen Status und der Signifikanz von Akten, die ihn ändern, ist seinerseits anhand der praktischen deontischen Einstellungen zu verstehen, jemanden als festgelegt oder berechtigt zu betrachten oder zu behandeln. Diese ist zunächst einmal das Zuweisen einer Festlegung oder einer Berechtigung. Das Einnehmen dieser praktischen Einstellung läßt sich zunächst einmal als Disposition oder Bereitschaft erklären, Sanktionen aufzuerlegen. (EV: 251, Hervorh. im Original) Behauptungen in diskursiven Praktiken weisen dabei beiden Interlokutoren Festlegungen bzw. Berechtigungen zu, die den deontischen Status ändern. Deontische Einstellung und deontischer Status unterscheiden sich, weil zweiterer aus ersterem folgt. Wenn Interlokutor I 2 Interlokutor I 1 als auf p festgelegt behandelt, dann folgt daraus, dass I 2 I 1 einen deontischen Status zuweist. Diese Differenz zwischen Einstellung und Status ist notwendig, um nicht auf grundlegende Weise von identischen deontischen Status und Einstellungen in diskursiven Praktiken auszugehen, sondern eine perspektivische Differenz bezüglich unterschiedlicher Einstellungen und Status zu ermöglichen. Dass I 2 I 1 einen bestimmten deontischen Status zuweist, bedeutet nicht, dass I 1 sich deshalb auch als auf denselben deontischen Status festgelegt begreift. Auf dieser Grundlage lässt sich das grundlegende Prinzip sozialer bzw. diskursiver Praktiken formulieren: “ Soziale Praktiken sind Spiele, in denen jeder Teilnehmer verschiedene deontische Status hat - d. h. Festlegungen und Berechtigungen - , und jede praktisch signifikante Performanz verändert in irgendeiner Weise diese Status. ” (EV: 252) Abhängig von deontischen Status haben Behauptungen und deren Festlegungs- und Berechtigungsstruktur sowohl Folgen für Interlokutoren als auch für deren diskursive Autoritäten. Festlegungserhaltende, berechtigungserhaltende und inkompatible inferenzielle Relationen bestehen somit nicht nur zwischen den einzelnen Behauptungen von Interlokutoren, sondern auch zwischen Interlokutoren selbst. Dadurch, dass Interlokutoren durch eine Behauptung einerseits die Verantwortung für die inferenzielle Gliederung übernehmen bzw. sich auf diese festlegt und andererseits damit weitere Interlokutoren autorisieren, lizenzieren und berechtigen, sie auf diese Behauptung festzulegen, entsteht eine interlokutive Relation zwischen den beteiligten Interlokutoren, die sich mit Begriffen der Autorität und Verantwortlichkeit erfassen lässt. Es handelt sich um eine sozialnormative Signifikanz, die die interlokutive Relation aufweist. Diese Autorität einer berechtigungserhaltenden inferenziellen Relation lässt sich auf drei Arten beschreiben und unterscheiden (cf. EV: 263 f.): 296 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms 1. Rechtfertigung des Inhalts 2. Berufung auf die Autorität von Behauptenden 3. Autorität als verlässliche nicht-inferenzielle Berichterstatter Behauptungen können gerechtfertigt werden, indem weitere Behauptungen gesetzt werden, die in inferenziellen Relationen zur rechtfertigenden Behauptung stehen. Diese Relation zwischen Rechtfertigungsbehauptung und zu rechtfertigender Behauptung muss nicht notwendigerweise expliziert werden. Die sozial-normative Logik der inferenziellen Relationen strukturiert den Rechtfertigungsgehalt implizit mit. Durch die inferenzielle Gliederung der Rechtfertigungsstruktur wird der zu rechtfertigende Gehalt als Prämisse oder Konklusion in eine inferenzielle Relation eingebunden. Die Rechtfertigung selbst kann dabei wiederum rechtfertigungsbedürftig sein, wobei hier diskursive Normen der Praxis der Rechtfertigungsstruktur vorgreifen und einen infiniten Regress verhindern: Gerechtfertigt werden muss nur, was in der diskursiven Praxis rechtfertigungsbedürftig ist. Während die Rechtfertigung des Inhalts gewissermaßen intralokutiv ist und zwischen den propositionalen Gehalten, sprachlichen Handlungen und deren sozial-normativen Strukturen stattfindet, ist die Berufung auf die Autorität eines Behauptenden explizit interlokutiv (cf. EV: 265). Interlokutor I 1 steht selbst nicht für die Begründung des propositionalen Gehalts ein, sondern verweist auf Interlokutoren, die den propositionalen Gehalt gerechtfertigt haben bzw. in der Lage seien, diesen zu rechtfertigen. Durch die Berufung auf die diskursive Autorität von weiteren Interlokutoren wird die interlokutive Berechtigungsstruktur der Behauptungen nutzbar gemacht. Das Zuerkennen eines deontischen Status erlaubt es, Behauptende als Lizenzgeber der Behauptung einzusetzen und sie für notwendige Rechtfertigungen zu verantworten. Neben der inter- und intralokutiven Rechtfertigungsstruktur (Rechtfertigung des Inhalts und Berufung auf Autorität) kann ebenfalls der Verweis auf nicht-inferenzielle Autoritäten als Rechtfertigung gelten. Werden Interlokutoren als verlässliche Berichterstatter lizenziert, dann können z. B. Wahrnehmungsurteile ebenfalls als Rechtfertigung für Behauptungen gelten. Diese Autorität ist dabei aber selbst sozial-normativ lizenziert und auch inferenziell gegliedert, da die Relation nicht nur zwischen Autorität als verlässliche Berichterstatter und zu rechtfertigendem Gehalt, sondern auch zwischen den interlokutiven Autoritäten besteht: Denn nur wer zuvor lizenziert wurde, kann auch über nicht-inferenzielle Autorität verfügen. Die Autorität als verlässliche Berichterstatter kann unter gegebenen Umständen auch diskursiv getilgt werden, wenn z. B. Wahrnehmungsurteile von Interlokutoren nicht mit den Wahrnehmungsurteilen anderer Interlokutoren übereinstimmen. Auch hier kann diskursiv sanktioniert werden. 3 In diskursiven Praktiken ist aber weder erforderlich, dass Interlokutoren ihre Festlegungen und Berechtigungen permanent rechtfertigen, noch sind Festlegungen und Berechtigungen nicht revidierbar. Hier greift eine Vorschuss- und Anfechtungsstruktur der Berechtigung (cf. EV: 265 f.). Der sozial-normative Status der Interlokutoren beeinflusst die 3 Eine ausführliche Debatte der inferenziellen Gliederung nicht-inferenzieller Bedeutungsgehalte soll hier nicht erfolgen. Brandom (EV: 316 f.) widmet dieser Frage einige Kapitel, indem er Sellars Konzept der Autorität nicht-inferenzieller Berichte (cf. Sellars 1997) weiterentwickelt. 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz 297 Praktikabilität von Rechtfertigungen. Konkret heißt das: Gerechtfertigt werden muss nur, was in der diskursiven Praxis rechtfertigungsbedürftig ist. Andere Gehalte bleiben als diskursive Voraussetzungen zunächst unhinterfragt. Auch die Intensität der Rechtfertigung, also die Menge der rechtfertigenden Behauptungen, misst sich dabei am sozialnormativen Status. Außerdem muss nicht jede Festlegung explizit gerechtfertigt werden bzw. worden sein. In der diskursiven Praxis können Festlegungen und Berechtigungen auch akzeptiert werden, wenn sie nicht begründet worden sind. Bei harmonischen deontischen Status und Einstellungen weisen Interlokutoren nicht nur einander diskursive Autorität zu, sondern sie haben in der Regel eine Vorschussautorität, sodass z. B. Wahrnehmungsurteile nicht explizit durch die Begründung der Wahrnehmungsfähigkeit gerechtfertigt werden müssen. Die Vorschussstruktur kann allerdings - unter den entsprechenden diskursiven Voraussetzungen - jederzeit angefochten werden, wenn sich z. B. Interlokutor I 1 nicht als verlässlich der Berichterstattung von Wahrnehmungsurteilen erweist, sodass die Autorität durch Interlokutor I 2 diskursiv getilgt werden kann. Diese Sanktionen, die Interlokutor I 2 hier bezüglich I 1 verhängt, sind interne Sanktionen (cf. EV: 269 f.). Durch die Verletzung des deontischen Status können sich Interlokutoren nicht nur eine Autorität bezüglich Festlegungen und Berechtigungen gegenseitig aberkennen, sondern auch die Festlegungen und Berechtigungen auf weitere propositionale Gehalte, sozial-normative Status und inferenzielle Relationen unterbinden. Die Festlegungs- und Berechtigungssowie die Vorschuss- und Anfechtungsstruktur kreuzen sich in Brandoms theoretischem Modell, sodass an deren Knotenpunkt das sozialnormative Kommunikationsmodell entsteht: deontische Kontoführung. Es geht im Folgenden dabei aber weniger um semantische Gehalte und deontische Status und Einstellungen, obwohl diese an der Konstitution von pragmatischen Signifikanzen beteiligt sind bzw. sein können. Im Modell der deontischen Kontoführung geht es auch um die Frage, was es bedeutet, eine Äußerung als sprachliche Handlung zu behandeln. Zum Modell der deontischen Kontoführung: In einer diskursiven Praxis kommunizieren Interlokutoren bezüglich ihrer deontischen Status. Die sozialen und diskursiven Normen, die die deontischen Konten leiten, auf denen deontische Status verschiedener Interlokutoren dokumentiert werden, beherrschen die unterschiedlichen sprachlichen und nichtsprachlichen Performanzen, Äußerungen und sprachlichen Handlungen. Festlegungen und Berechtigungen bisheriger diskursiver Praktiken sind ebenfalls auf diesen Konten verzeichnet. Deontische Konten, die Interlokutoren nicht nur über sich selbst, sondern auch über alle anderen Interlokutoren führen, sind wesentlich an dem beteiligt, was die pragmatische Signifikanz von sprachlichen Handlungen auszeichnet. Pragmatische Signifikanzen werden als Lizenzierungen sozial-normativ motiviert, bestehen zwischen Interlokutoren in den jeweiligen Praktiken und lassen sich mithilfe der diskursiven Autoritätsstruktur deontischer Konten rekonstruieren: Sprachliches Kontoführen über behauptende Festlegungen und Berechtigungen enthält Analogien zu beiden Dimensionen der Autorität über das Punktekonto. Einerseits sind die tatsächlichen Einstellungen der Kontoführer maßgebend für die Bestimmung des Kontostandes, andererseits ist die Bildung dieser Einstellungen selbst Normen unterworfen: Kontoführen ist etwas, was korrekt und inkorrekt getan werden kann. (EV: 276) 298 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms Die Analyse der deontischen Kontoführung als diskursive Praxis muss sich daher an der jeweiligen diskursiven Wirklichkeit orientieren, die ihrerseits durch diskursive Normen mitstrukturiert ist. Diese diskursiven Normen der Praxis sind dabei aber nicht auf einzelne Interlokutoren beschränkt. Sie erlangen ihre Relevanz vielmehr in der interlokutiven Praxis selbst. Brandom erläutert das Modell deontischer Kontoführung anhand des Baseballspiels. 4 Der Punktestand der verschiedenen Mannschaften bedeutet an sich nichts. Erst in der Relation der Punktestände beider Mannschaften eröffnet sich ein Handlungspotenzial, welches sich auf Folgehandlungen auswirkt. So wird eine Mannschaft bei Rückstand anders agieren als bei einer Führung. Sie wird womöglich aktiver und aggressiver spielen, um in der verbleibenden Zeit bzw. den verbleibenden Innings (Spielabschnitten) den Rückstand aufzuholen. Spielzüge sind dabei nicht nur als Ganze zielführend, sondern auch ihre einzelnen Teilaspekte sind in ihrer Relation abhängig von der Gesamtheit des Spielzugs. Das theoretische Vokabular des Baseballs, z. B. ball, strike und out dient der Beschreibung eines Beitrags zum Spiel. Diese Beiträge können unterschiedliche Konsequenzen für die weitere Spielentwicklung haben. Aus ball, strike und out und anderen elementaren Spielzügen komponiert sich das Baseballspiel, ähnlich, wie sich die diskursive Praxis aus z. B. verschiedenen Festlegungen und Berechtigungen zusammensetzt. Brandoms Erläuterung des Modells der deontischen Kontoführung zeigt, dass sprachliche Handlungen und andere Performanzen ebenso wie die Spielzüge beim Baseball aus verschiedenen Elementen komponiert sind. Die elementaren Performanzen diskursiver Praktiken lassen sich demnach auch mithilfe von Festlegungs- und Berechtigungsstrukturen analysieren. Die Relation verschiedener Festlegungen und Berechtigungen gilt deshalb auch für die Signifikanz sprachlicher Handlungen. Expemplarisch lässt sich zeigen, inwiefern die jeweilige sprachliche Handlung mit den jeweiligen deontischen Konten in festlegungserhaltender, berechtigungserhaltender und inkompatibler inferenzieller Relation steht: (5) I 1 : “ Hiermit taufe ich dich auf den Namen Martin. ” Diese deklarative sprachliche Handlung steht in unterschiedlichen festlegungserhaltenden, berechtigungserhaltenden und inkompatiblen inferenziellen Relationen zu anderen sprachlichen Handlungen. Inwiefern diese Äußerung eine pragmatische Signifikanz aufweist, hängt von den deontischen Konten der beteiligten Interlokutoren ab. Interlokutor I 1 bedarf einer diskursiven Autorität, die von anderen beteiligten Interlokutoren (I 2 , I 3 , … I n ) während der Äußerung nicht notwendigerweise erteilt, aber zumindest akzeptiert oder toleriert werden muss. Zur Festlegung auf die deklarative sprachliche Handlung muss I 1 zumindest von I 2 , I 3 , … I n berechtigt werden, damit diese sprachliche Handlung gelingen kann. Sollte die sprachliche Handlung missglücken, dann liegt dies an den inkompatiblen inferenziellen Relationen der sprachlichen Handlung zum deontischen Konto von I 1 bei z. B. I 2 . Die 4 Auch wenn im deutschsprachigen Raum die Regeln des Baseballspiels wenig bekannt ist und eine Regelkunde nicht vorausgesetzt werden kann, bietet sich Baseball zur Deskription des Modells deontischer Kontoführung dennoch an. Die Statik, Statistik und Analytik des Baseballspiels ermöglicht eine schritthafte Analogie, wie sie bei dynamischen Sportarten nicht möglich ist. Die Übersetzung der deontischen Kontoführung ins Fussballvokabular findet sich bei Harendarski (2007, 2012: 281 f.). 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz 299 sprachliche Handlung könnte hingegen bei I 3 gelingen, wenn dieser z. B. nicht weiß, dass I 1 nicht über die entsprechende diskursive Autorität verfügt. Damit bleibt I 1 aus Perspektive von I 3 solange berechtigt, bis I 1 in eine inkompatible inferenzielle Relation zum deklarativen Sprechakt eintritt. Die Komplementierung der festlegungserhaltenden, berechtigungserhaltenden und inkompatiblen inferenziellen Relationen und der pragmatischen und normativen Signifikanzen sowie diskursiver Autoritäten erfüllt sich demnach auch in der diskursiven Praxis der deontischen Kontoführung. Schlussfolgern, so Brandom, “ ist somit der Schlüsselbegriff, der semantischen Gehalt und pragmatische Signifikanz verknüpft ” (EV: 284). Es geht also sowohl um semantische Gehalte, als auch um die Frage, wann eine Äußerung pragmatische Signifikanz aufweist, sodass sie als sprachliche Handlung interpretiert wird. Neben der sprachlichen Handlung der Behauptung, welche die grundlegende sprachliche Handlung der diskursiven Praxis in Brandoms Modell darstellt und die sozial-normative und inferenzielle Gliederung der deontischen Kontoführung nicht nur ermöglicht, sondern auch konstituiert, ergänzt Brandom vier weitere sprachliche Handlungen, die die Handlung der Behauptung diskursiv ergänzen: Berufungen, Distanzierungen, Nachfragen und Anfechtungen (cf. EV: 286 f.). Diese vier sprachlichen Handlungen stehen in einem Strukturverhältnis zur Sprachhandlung der Behauptung, weil sie sequenziell auf Behauptungen, deren pragmatische und normative Signifikanz und propositionalen Gehalt, folgen können. Sie und ihre pragmatische Signifikanz zeigen für diskursive Praktiken nicht nur eine vielfältige Sprachhandlungspraxis, sondern auch ein sequenzielles und inferenzielles Potenzial auf, das die sprachliche Handlung der Behauptung aufweist. Im Folgenden werden diese vier Komplementärhandlungen im Rahmen von Brandoms Modell der deontischen Kontoführung vorgestellt und in ein Verhältnis gesetzt. Berufungen unterscheiden sich hinsichtlich der sozial-normativen Struktur ihres inferenziellen Gehaltes nicht von Behauptungen, da sie ebenfalls über eine Begründungs- und Rechtfertigungsstruktur verfügen. Während Behauptungen aber eine intralokutive Begründungs- und Rechtfertigungsstruktur aufweisen, da sich der inferenzielle Gehalt über die diskursive Autorität der Interlokutoren konstituiert, erfordern Berufungen interlokutive Strukturen. Um den propositionalen Gehalt einer sprachlichen Handlung zu rechtfertigen, wird auf die diskursive Autorität von I 3 verwiesen, dessen deontisches Konto (vor I 2 ) die Lizenzierung der sprachlichen Handlung übernimmt. Interlokutor I 2 begutachtet daher gewissermaßen zunächst nicht das deontische Konto von I 1 , sondern setzt sich in ein interlokutives Verhältnis zu I 3 , um zu beurteilen, ob die diskursive Autorität zur Begründung und Rechtfertigung der sprachlichen Handlung von I 1 hinreichend ist: (6) I 1 : “ Jackson Pollock war einer der talentiertesten Maler des vergangenen Jahrhunderts! ” (Behauptung, dass p) (7) I 2 : “ Ja? Warum glaubst du das? ” (8) I 1 : “ Mein Professor (I 3 ) hat immer von Pollock geschwärmt. ” (Berufung) I 1 übernimmt die Begründung und Rechtfertigung der Festlegung p nicht selbst, sondern verweist auf I 3 . I 2 kann nun beurteilen, ob die diskursive Autorität von I 3 hinreicht, um den 300 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms propositionalen Gehalt p von I 1 zu rechtfertigen und zu begründen. 5 Die Beurteilung der Autorität von I 3 ist nur möglich, weil I 1 durch seine Berufung auf I 3 diesen berechtigt, die Begründungs- und Rechtfertigungsstruktur für p zu übernehmen. Distanzierungen dienen der diskursiven Tilgung von Festlegungen, die Interlokutoren eingegangen sind. Da sprachliche Handlungen inferenziell gegliedert sind, legen sich Interlokutoren kraft einer Behauptung nicht nur auf die expliziten propositionalen Gehalte, sondern auch auf gewisse Folgeinferenzen fest, die wiederum in festlegungserhaltenden, berechtigungserhaltenden und inkompatiblen inferenziellen Relationen stehen. Durch die Asymmetrie der deontischen Kontoführung unterscheiden sich nicht nur die deontischen Status, sondern können sich Interlokutoren aus ihren Perspektiven als auf verschiedene propositionale Gehalte festgelegt verstehen. Distanzierungen unterstützen dabei die diskursive Flexibilität deontischer Status. Ohne Distanzierungen wäre es kaum möglich, den deontischen Status bei anderen Interlokutoren in der diskursiven Praxis zu verändern: (9) I 1 : “ Richard Wagner war wirklich ein klasse Kerl. ” (Behauptung, dass p) (10) I 2 : “ Den magst du? Der war Antisemit! ” (Behauptung, dass q) (11) I 1 : “ Stimmt, ich mag auch nur seine Opern. ” (Distanzierung von q) (12) I 2 : “ Ach so, ich habe mich schon gewundert! ” (Akzeptierung derDistanzierung) In dieser Äußerungssequenz beansprucht I 1 die diskursive Tilgung eine inferenziellen Relation q, die I 2 aus der Behauptung von I 1 und deren propositionalem Gehalt p inferiert hat. Inferenziell lässt sich die Festlegungsstruktur des deontischen Status von I 1 auf dessen deontischem Konto von I 2 folgendermaßen veranschaulichen: Regel: RICHARD WAGNER WAR ANTISEMIT Ergebnis: I 1 MAG RICHARD WAGNER Fall: I 1 MAG ANTISEMITEN I 1 beansprucht durch die Distanzierung eine diskursive Tilgung der Konklusion, indem die Angemessenheit der Inferenz, hier durch das Modaladverb markiert, angezweifelt wird. I 1 spezifiziert die inferenziellen Relationen von p, sodass I 1 bei gelungener Distanzierung zu anderen inferenziellen Relationen berechtigt ist. Akzeptiert I 2 nun die Distanzierung, dann verändern sich die inferenziellen Relationen auf dem deontischen Konto von I 1 bei I 2 . Distanzierungen selbst führen keinen neuen semantischen Gehalt in die diskursive Praxis ein, sondern korrigieren die deontischen Status, indem sie deren inferenzielle Relationen kontrollieren. Die pragmatische Signifikanz der Distanzierung unterscheidet sich deshalb auch von der Signifikanz von Behauptungen und Berufungen, weil nicht eine inferenzielle Sequenzierung der diskursiven Praxis, sondern ihre diskursive Tilgung erfolgt. Distanzierungen können auch fehlschlagen, so wie es alle sprachlichen Handlungen können. 5 Dieses fiktive Gespräch kann sich anschließend unterschiedlich entwickeln. Die Akzeptanz der diskursiven Autorität von I 3 berechtigt I 1 (vorläufig) zur Festlegung p. Akzeptiert I 2 hingegen die Rechtfertigung nicht - weil ProfessorInnen der Kunstgeschichte, die von Jackson Pollock schwärmen, vielleicht befangen sind und das Talent nicht unabhängig beurteilen - , legt I 2 I 1 zwar auf p fest, übernimmt p aber nicht nur nicht selbst, sondern stellt ggf. nicht nur die kunstkritische Autorität von I 3 , sondern auch von I 1 infrage. 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz 301 Das Gelingen einer Distanzierung hängt dabei wesentlich vom normativen Status der sich distanzierenden Interlokutoren ab. Wenn sich Interlokutoren bereits als unzuverlässige Distanzierer erwiesen haben, weil sie z. B. trotz Distanzierung die getilgten inferenziellen Relationen immer wieder eingegangen sind, kann ihnen die Möglichkeit der Performanz diskursiv aberkannt werden. Während Behauptungen, Berufungen und Distanzierungen an erster Position von I 1 initiiert werden, besteht die pragmatische Signifikanz von Nachfragen in dem Versuch, die inferenzielle Festlegungs- und Berechtigungsstruktur der behauptenden Personen offenzulegen, und ist damit aus sequenzieller Perspektive eine responsive sprachliche Handlung. Interlokutor I 2 entgegnet auf eine Festlegung p von I 1 , indem I 2 sich auf p bezieht und mögliche inferenzielle Relationen (q, r, s, t, … ) in der diskursiven Praxis expliziert, um die Möglichkeit der Verbuchung von q, r, s, t, … auf dem deontischen Konto von I 1 bei I 2 zu bestätigen oder darauf zu verzichten: (13) I 1 : “ Mein Fahrradsattel wurde gestern geklaut. ” (p) (14) I 2 : “ Heißt das, dass wir unsere Fahrradtour absagen müssen? ” (Nachfrage) In diesem Beispiel fordert I 2 I 1 auf, eine mögliche Folgeinferenz q, die p nahelegt, und deren Legitimität zu prüfen. Die inferenzielle Gliederung, die zum Nachfragen führt, lässt sich folgendermaßen veranschaulichen: Regel: OHNE SATTEL KANN MAN NICHT FAHRRAD FAHREN Ergebnis (1): DER FAHRRADSATTEL VON I 1 WURDE GEKLAUT Ergebnis (2): WIR (I 1 und I 2 ) WOLLEN AM WOCHENENDE GEMEINSAM FAHR- RAD FAHREN Fall: ? DIE FAHRRADTOUR MUSS ABGESAGT WERDEN (q) Inwiefern die Konklusion q angemessen ist und in festlegungserhaltender inferenzieller Relation zu p steht, bleibt während der Nachfrage noch offen. Je nachdem, wie I 1 nun antwortet, wird I 2 entweder zur Konklusion berechtigt oder sollte sie entsprechend zurückweisen (im Sinne der deontischen Konten). Ähnlich wie Distanzierungen führen Nachfragen keinen neuen propositionalen Gehalt in diskursive Praktiken ein, sondern korrigieren deontische Status. Nachfragen sind geeignete Mittel, um Folgebehauptungen, Berufungen und Distanzierungen von Interlokutor I 1 zu fordern. Anfechtungen sind ebenfalls responsive sprachliche Handlungen, die, wie Nachfragen, zunächst an zweiter Position von I 2 initiiert werden. Die inferenzielle Bedingung zur Anfechtung der Festlegungs- und Berechtigungsstruktur von I 1 sind Inkompatibilitätsrelationen, denn man kann “ eine Behauptung nur anfechten, indem man eine mit ihr unvereinbare Behauptung aufstellt ” (EV: 268). Wenn sich I 2 auf einen propositionalen Gehalt q festlegt, der mit der Behauptung p von I 1 inkompatibel ist, greift auch hier die Berechtigungsstruktur. Doch ist es nicht möglich, sowohl auf p als auch auf q festgelegt zu sein. Die Gültigkeit des propositionn Gehalts p (bzw. q) in der deontischen Kontoführungspraxis zeichnet sich durch Kontingenz aus, denn im Moment der Anfechtung können sowohl p als auch q gültig sein: (15) I 1 : “ Alle Katzen haben buschiges Fell. ” (p) (16) I 2 : “ Nein, Nacktkatzen haben überhaupt keine Haare. ” (Anfechtung kraft q) 302 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms Die Anfechtung, die hier von I 2 vorgenommen wird, setzt q als inkompatiblen propositionalen Gehalt zu p. Welcher propositionale Gehalt in der weiteren diskursiven Praxis gültig ist, bleibt während der Anfechtung kontingent. Diese Kontingenz kann sich über die weitere diskursive Praxis auflösen. Hierzu müssen sich die Festlegungs- und Berechtigungsstrukturen der Interlokutoren verändern und insbesondere Berechtigungen entzogen oder erteilt werden, damit die Inkompatibilität der deontischen Status aufgehoben wird. Anfechtungen ermöglichen Interlokutor I 2 , vorherige Berechtigungen von Interlokutor I 1 diskursiv zu tilgen, denn die “ Signifikanz einer solchen Anfechtung besteht darin, Zuweisungen ungedeckter Berechtigungen in Frage zu stellen, sofern die anfechtende Behauptung eine ist, zu der der Anfechter zumindest prima facie berechtigt ist ” (EV: 288). Im oberen Beispiel zweifelt I 2 die Gültigkeit des propositionalen Gehalts p der Festlegung von I 1 durch die Setzung von q an. Beide propositionalen Gehalte p und q sind inkompatibel. Die hier entstandene Kontingenz beider Behauptungen kann nur durch eine evidenz- oder autoritätsorientierte diskursive Praxis gelöst werden und erfordert damit Folgehandlungen, z. B. eine Distanzierung von p durch I 1 oder eine Berufung auf I 3 (z. B. Katzenzüchter) durch I 1 . Diese Zusammenstellung von sprachlichen Handlungstypen, die ein rudimentäres Modell diskursiver Praktiken bereitstellt, zeigt, welche pragmatischen Signifikanzen die verschiedenen sprachlichen Handlungen aufweisen, nicht nur allein, sondern insbesondere in Bezug auf andere Handlungen und propositionale Gehalte (cf. Tab. 10). Außerdem stehen diese sprachlichen Handlungen im Rahmen sozialer und inferenzieller Praktiken in interlokutiven Relationen, die sich anhand der deontischen Kontoführung explizieren lassen. Das Set an sprachlichen Handlungen hat dabei nicht den Anspruch, alle Handlungen in diskursiven Praktiken analysieren zu können, bietet aber eine überschaubare Menge von diesen, die zudem in kommunikativen Relationen zueinander stehen. Daher bietet es sich für eine verbpragmatische Analyse exemplarisch an. Zusammenfassend bietet dieses Kapitel nicht nur ein rudimentäres Modell diskursiver Praktiken, sondern es zeigt auch, dass sich verschiedene Performanzen und deren Signifikanzen (normativ wie pragmatisch) hinsichtlich ihrer vorhergehenden und folgenden Performanzen beurteilen lassen. Damit ist einer verbpragmatischen Analyse von sprachlichen Handlungen insofern ein Weg geebnet, als dass mögliche inferenzielle Relationen, die sich aus pragmatischen Signifikanzen ergeben, entsprechend dem Verhältnis von sprachlichen Handlungen (z. B. Behauptung und Distanzierung) modelliert werden können. Gleichzeitig konnte anhand der deontischen Kontoführung demonstriert werden, dass die pragmatischen Signifikanzen realiter diskursive Konsequenzen für die Interlokutoren haben, indem sie in eine Festlegungs- und Berechtigungsstruktur eingebunden werden. Diese Beobachtung legt eine Modellierung mithilfe diskursiver Rollen nahe. Außerdem zeigt die analytische Unterscheidung zwischen pragmatischen wie normativen Signifikanzen und propositionalen wie semantischen Gehalten, dass es zwar diskursive Verstrickungen zwischen Gehalt und Handlung gibt, diese aber theoretisch wie analytisch unterschieden werden können oder gar sollten. Durch die Fokussierung auf Signifikanz mit Berücksichtigung der beteiligten inferenziellen und interlokutiven Strukturen kann nun ein Schritt zur Semiotisierung des Modells diskursiver Praktiken und der Analyse von sprachlichen Handlungen unternommen werden. 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz 303 14.2 Semiose der Behauptung Das hier präsentierte rudimentäre Modell diskursiver Praktiken, welches einige sprachliche Handlungen und ihre Funktionen expliziert, aber nicht alle Performanzen zu erklären sucht, kann als Grundlage der Analyse von Sprachhandlungen bzw. Sprachhandlungssequenzen dienen. Allerdings orientiert sich das bisher vorgeschlagene Modell noch an der kommunikativen Autorität der Interlokutoren. Im Folgenden soll exemplarisch anhand der sprachlichen Handlung der Behauptung gezeigt werden, wie diese eine semiosische Dimension besitzt, welche zunächst ohne Rekurs auf Interlokutoren analysiert werden kann, aber dennoch die Erkenntnisse des Modells der deontischen Kontoführung berücksichtigt. Anstatt die diskursive Praxis also allein anhand der Festlegungs- und Berechtigungsstruktur der Interlokutoren zu entwickeln, lässt sich die Festlegungs- und Berechtigungsstruktur auf eine Semiose der sprachlichen Handlung und hier insbesondere eine Semiose der Behauptung übertragen, sodass diskursive Praktiken nicht vorwiegend intersubjektiv, sondern semiosisch analysiert werden können. Behauptung (intralokutive Inferenz) I 1 legt sich auf p fest I 1 legt sich mit p auf Folgeinferenzen q, r, s, … fest, ist zu diesen berechtigt bzw. nicht berechtigt (Inkompatibilität). I 1 ist berechtigt, p (durch q, r, s, … ) zu begründen. I 1 berechtigt I 2 , I 1 auf p festzulegen. I 1 berechtigt I 2 , p(I 1 ) in weiteren diskursiven Praktiken zu verwenden. I 1 berechtigt I 2 , I 1 bei nicht-p zu sanktionieren. Berufung (interlokutive Inferenz) Distanzierung (diskursive Inferenztilgung) Nachfrage (Inferenzexplikation) Anfechtung (propositionale Kontingenz durch Inkompatibilität) I 1 legt sich auf p fest. I 1 legt sich auf p fest. (I 1 legt sich auf ? fest.) (I 1 legt sich auf p fest.) I 1 berechtigt I 3 , p zu begründen. I 2 legt I 1 auf (p und) q fest. (I 1 berechtigt I 2 , nach ? zu fragen.) I 2 legt sich auf q fest. I 1 tilgt q. I 2 : p? q ist inkompatibel mit p. I 2 berechtigt I 1 , sich auf inkompatible Inferenzen von q festzulegen. I 1 legt sich auf p, nichtp etc. fest. I 2 darf (oder darf nicht) I 1 auf q, r, s, … festlegen. Tab. 10: Behauptung und Folgesprachhandlungen 304 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms Dass im Folgenden die sprachliche Handlung der Behauptung als Semiose analysiert wird, hat insbesondere zwei Gründe. Erstens bildet sie im Rahmen der deontischen Kontoführung die grundlegende Handlungseinheit und bildet daher die Grundlage zur semiosischen Analyse anderer sprachlicher Handlungen. Um Berufung, Distanzierung, Nachfrage und Anfechtung zu analysieren, ist ein semiosischer Begriff der Behauptung also unverzichtbar. Zweitens stellen Behauptungen auch außerhalb des hier präferierten Modells kommunikativer und diskursiver Praktiken eine wesentliche sprachliche Handlung dar. Insofern beansprucht die Beschreibung Gültigkeit über das Modell der deontischen Kontoführung hinaus. Die Reflexionen zur Semiose der Behauptung beruhen damit weiterhin auf Brandoms Modell der deontischen Kontoführung (cf. 14.1), nehmen aber die semiotischen Aspekte stärker in den Blick. Ausgangspunkt der Analyse ist Ulf Harendarskis kategoriale Analyse des Standardindikativs der Behauptung (cf. 2012: 233). Behauptungen werden hier mithilfe des Peirce'schen Vokabulars analysiert. Die Reflexionen dieses Kapitels gehen aber in einigen Aspekten über die Darstellung Harendarskis hinaus. Denn im Folgenden steht insbesondere die inferenzielen Folgen der Signifikant der Behauptung im Mittelpunkt. Hierzu interpretiere ich die Konzepte der Festlegung, Berechtigung und Inkompatibität Brandoms zeichenlogisch. An dieser Stelle wird die reziproke Integration der Theorien Brandoms und Peirces eingelöst (cf. Kapitel 4). Eine Analyse der Semiose der Behauptung findet dabei immer im Rahmen sozialnormativer und diskursiver Praktiken statt, wie das Modell deontischer Kontoführung zeigt. Welche spezifischen sozialen und diskursiven Normen von den jeweiligen Behauptungen evoziert werden, bleibt dabei den jeweiligen Praktiken überlassen und ist inferenziell rekonstruierbar. Es lassen sich diskurslogische und semiosische Relationen aufzeigen, welche entlang der Behauptung entwickelt werden. Eine formalsemiotische Analyse der Behauptungspraxis scheint aber weitestgehend ausgeschlossen (cf. Harendarski 2016: 20), denn die kleinste semiotische Einheit, die diskurslogische Relevanz erlangen kann, ist nicht, wie bei strukturalistischen Ansätzen, unterhalb der Satzebene angesiedelt (z. B. Phoneme, Grapheme, Morpheme etc.), sondern umfasst einen Handlungsaspekt, der sich diskursiv etablieren muss. Behauptungen, die bereits diskursiven Normen der jeweiligen Praxis unterworfen sind, sind basale Handlungs- und grundlegend pragmatische Zeicheneinheiten, die es in der diskursiven Praxis zu analysieren gilt. Es ist deshalb sinnvoll, zunächst die Behauptung als semiotisches Handlungselement des Sprachgebrauchs zu betrachten und daraus semiosische Folgebeziehungen zu modellieren. Der Grundgedanke zur Deskription und Modellierung einer semiosischen Behauptungspraxis setzt dabei an den Beschreibungen der kategorialen Analyse des Standardindikativs (Behauptung) anhand des Deutschen für die Behauptung aller möglichen und existierenden Sachverhalte an, wie sie Ulf Harendarski (2012: 227 f.) vornimmt. Harendarskis kategoriale Analyse des Standardindikativs der Behauptung untersucht die semiotische und universalkategoriale Binnenstruktur des Handlungszeichens Behauptung und bietet somit nicht nur die Möglichkeit, die externe Zeichenkonstitution der Behauptung sowie deren interlokutive Relationen zu explizieren, sondern fokussiert zugleich eine Anwendung im Rahmen einer 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz 305 germanistischen Linguistik, auch wenn der Anspruch des Modells über einzelsprachliche Grenzen hinausverweist. Zunächst sollen daher die wesentlichen Elemente der Darstellung der kategorialen Analyse der Behauptung nachgezeichnet werden, um anschließend die Verknüpfung zwischen interner und externer Zeichenkonstitution (als Handlungseinheit der Behauptung, cf. auch Kapitel 2.1.4) herzustellen. Die Darstellung der kategorialen Analyse der Behauptung zeigt dabei nicht nur, welche Zeichenrelationen die Behauptung intern strukturieren, sondern weisen zugleich einen starken Repräsentationalismus zurück, der von einer Analogierelation von Behauptung und Sachverhalt ausgeht, indem die semantische, pragmatische und interpretative Unterdetermination bereits strukturell impliziert wird. Diese Offenheit der dynamischen Struktur ermöglicht nicht nur die Interpretation einer Äußerung als Behauptung in der diskursiven Praxis, sondern enthält gleichzeitig die Möglichkeit der Setzung der Behauptung im Rahmen der deontischen Kontoführung sowie die Positionierung der diskursiven Rollen hinsichtlich des Handlungszeichens. 6 Die folgende Darstellung dient daher der Fundierung der semiosischen Behauptungsanalyse. Im Folgenden soll insbesondere die Gesamtdarstellung (1. Darstellungsschritt) erläutert werden, um durch die Beschreibung der Behauptung als Semiose eine inferenzielle und dann auch verbpragmatische Analyse der sprachlichen Handlungen vorzubereiten. Eine Behauptung, so Harendarski (2012: 230), “ ist eine Äußerung und wird im Kontext einer Situation geäußert bzw. rezipiert und fungiert u. a. für den Moment der Rezeption als Index ” . Um dieser Prämisse Rechnung zu tragen, muss auch eine Analyse von Behauptungen deren Ereignishaftigkeit in der diskursiven Praxis simulieren. Im Rahmen des simulierten Ereignisses der Behauptung gelten daher folgende relationalen Eigenschaften: Die Relation zwischen Etwas und Qualität ist “ ein reines Abstraktum ” (Harendarski 2012: 235). Sie ordnet dem indexikalisch relationierten Objekt (Etwas) des Bezugswortes eine universale Kategorie zu und schafft somit die “ Möglichkeit der Relationierung ” (ebd.) bzw. ermöglicht die Erfahrung, Vorstellung und Wahrnehmung des indexikalisch relationierten Objektes. Die Relation zwischen Etwas und Qualität ist dabei reziprok. Sie stellt nicht nur sicher, dass vorstellige Objekte versprachlicht und/ oder zeichenhaft werden und somit diskursive Relevanz erhalten können, sondern auch, dass Behauptungen eine außersprachliche und thematische Stabilität erlangen, indem sie Referenzierungspotenzial besitzen. Etwas und Qualität müssen allerdings nicht realiter in einer Relation stehen. Die hier markierte Relation steht allein für die Möglichkeit, dass Bezugswörter in außersprachliche Relationen treten, sei es in einem Sprache-zu-Welt- oder einem Welt-zu- Sprache-Verhältnis. 6 Die Positionierung diskursiver Rollen wird bei dieser verbpragmatischen Analyse von sprachlichen Handlungen zunächst nicht ausführlich diskutiert, weil es insbesondere um Handlungskraft bzw. pragmatische Signifikanz gehen soll. Das theoretische Argument, welches diskursive Rollen an der Struktur von sprachlichen Handlungen beteiligt und deren Signifikanz epistemisch vor die Funktion von Interlokutoren setzt, ist folgendes: Die sprachliche Handlung der Behauptung leitet sich vom Verb behaupten und dessen Signifikanzen ab, sodass in der sprachlichen Handlung selbst durch das Verb bereits diskursive Rollen involviert sind. Dieses Argument soll später elaboriert werden (cf. Kapitel 14.3). 306 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms Abb. 14: Kategoriale Analyse des Standardindikativs (Behauptung) nach Harendarski (2012: 233) 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz 307 Referenz heißt hier die Relation zwischen Bezugswort (oder Bezugskonstruktion) und Etwas. Anstatt von einer konventionellen Relation zwischen Bezugswort und Etwas auszugehen, konstituiert sich diese Relation dank ihrer kategorialen Zweitheit, sodass sie eine indexikalische Relation ist. Tatsächlich steht die Feststellung, dass Bezugswörter in indexikalischen Relationen zu ihren Objekten stehen, nicht in Widerspruch zu der Annahme der konventionellen Relation von Wort und Objekt: Allein während des Aktes ist die Behauptung ein Hinweis zur Referenzierung hinsichtlich eines noch nicht gefundenen Objekts. Komplementär zur Indexfunktion des Bezugswortes zeichnet sich die Prädikation der Behauptung durch ihre doppelte indexikalische Relation und Funktion aus. Stellvertretend für die ikonische Relation, die traditionell zwischen Prädikat und Sachverhalt angenommen wird, führt Harendarski den ikonischen Effekt des Prädikats auf eine doppelte Indexikalität zurück. Das prädizierende Verb ist demnach nicht nur durch Modalität (zumeist als Behauptung im Indikativ), Tempus und Aspekt (zeitliche Faktoren) ein indexikalisches Zeichen, sondern “ indiziert darüber hinaus die Relation zwischen Bezugswort und Prädikation ” (Harendarski 2012: 235). Im Akt der Prädikation ereignet sich damit ebenfalls ein Verhältnis zwischen Prädikat und Bezugswort, welches aber, um zu gelingen, indexikalisch konstituiert werden muss. Über den Akt der Prädikation, welcher mögliche Bezugswörter evoziert, greift das Verb zudem auf deren Bezugsobjekte (hier: Etwas) zu, sodass die Referenzierung des prädizierenden Verbs sich nicht nur über die Perspektivierung des (Teil-)Ereignisses ergibt, sondern auch über die Übertragung des Prädikats auf das Referenzobjekt des Bezugswortes: Durch die gewählte Darstellung zeigt sich, dass Bezugswort (Index) und Prädikation durchaus eine Beziehung zu Etwas und Qualität haben. Die Beziehung beruht auf der indexikalischen Relation von Bezugswort (Index) und dem Erfahrungsgehalt Etwas. Dreh- und Angelpunkt ist das Bezugswort in einer sprachlich aktualisierten Beziehung ihrer Zweitheit. Aber aufgrund dieser Relation kann sich nicht die gesamte Relation von Bezugswort und Prädikation ergeben, weil die Relation von Etwas und Qualität eben nicht aus eigener Kraft indexikalisch oder zweitheitlich ist, sie geschieht in einem Prozess. In der Proposition der Behauptung dagegen verhält es sich anders. Hier haben beide Relata eine nicht zu bezweifelnde Relation der Zweitheit innerhalb der Äußerungseinheit. Aber diese Relation haben sie nicht direkt zueinander, sondern sie sind allein per Vermittlung des Verbs relationiert. (Harendarski 2012: 236) Mit dieser relationalen Vermittlungsfunktion des Verbs verweist Harendarski nicht nur auf eine Ähnlichkeit seiner Darstellung zur Valenzgrammatik (ebd.), sondern stabilisiert auch Annahmen von diskurskognitiven Leerstelle-Füller-Relationen (cf. z. B. Ziem 2008) oder Post-Grice'sche Konzepten wie der unartikulierten Konstituente (cf. z. B. Recanati 2002), die sich mit ähnlichen Strukturphänomenen beschäftigen. Für Harendarski gilt allerdings auch Folgendes: Das Verb eröffnet in der Behauptungspraxis für Interlokutoren einen semiotischen Rahmen, welcher im Gebrauch interpretiert und um ein Bezugswort (und dessen Objekte) ergänzt werden kann. Hiermit zeigt sich auch der Unterschied zwischen Verben als grammatischer und sprachsystematischer Kategorie und Verben als Zeichenelementen der Behauptungspraxis. Während die sprachsystematische Kategorie des Verbs über verschiedene Qualitäten (Abstrakta) verfügt, konstituieren Verben im Sprachgebrauch entsprechende Performanzen mit, indem sie diskurslogische Relationen zwischen sich, dem 308 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms Bezugswort und dessen Bezugsobjekt herstellen. Die sozial-normativen Konsequenzen des Verbs ergeben sich damit erst kraft seines Gebrauchs in der assertiven Praxis. Folgt man hier Harendarskis Beschreibung der relationalen Vermittlungsfunktion des Verbs, dann scheint eine verbpragmatische Perspektive, die Praktiken mithilfe der Signifikanzen von Verben zu erklären sucht, theoretisch nicht weit entfernt. Allein eine differenzierte Analyse der Verben selbst, die diese Signifikanzen aufweisen, fehlt im Rahmen der Beschreibungen der kategorialen Analyse des Standardindikativs (Behauptung) anhand des Deutschen für die Behauptung aller möglichen und existierenden Sachverhalte noch. Dass bei Harendarski dennoch eine Verbperspektive enthalten ist, die über syntaktische und semantische Analyseverfahren hinausgeht, zeigt sich in dessen Explikation von Zeitlichkeit. Denn eine semantische Untersuchung des Verbs reicht nicht aus, so Harendarski (2012: 236), da Verben außerdem über einen Zeitindex verfügen, der zwar auf der Konventionalität des Verbs gründet, aber dennoch sozial-kommunikative und indexikalische Zeichenmomente impliziert: Der Verbgebrauch stellt über seine Grammatik eine Relation zur Äußerungszeit her (Tempus). Dieser Zeitindex verweist auf die situative Einbettung der Behauptung und etabliert diese damit innerhalb eines zeitlichen (und semiosischen) Kontinuums, doch er sollte von der Indexikalität des Bezugswortes unterschieden werden: Während das Bezugswort ein Index für wahrnehmbare, erfahrbare und vorstellige Objekte ist, ist der Zeitindex des Verbs im Sprachgebrauch ein Hinweis auf Äußerungs- und Rezeptionszeit, die mit den InterlokuturInnen verbunden ist. Die temporal-situative Indexikalität des Verbs ist es auch, welche gegen einen theoretischen Vorrang der Konzeption einer repräsentationalen Eigenschaft des Verbs spricht: Selbstverständlich wirkt es, als würden Verben spezifische Gehalte repräsentieren, doch lässt sich dies nicht durch die Binnenstruktur der Behauptungspraxis erklären bzw. rechtfertigen. Vielmehr eröffnen Verben indexikalische Leerstellen, die sich nach ihrer Interpretation als ikonische Effekte entfalten. Somit können Verben in ihrer inferenziellsequenziellen Gliederung ikonisch interpretiert werden, aber sind es während der assertiven Praxis nicht, denn im Moment der Äußerung als Behauptung gelten die ikonischen Aspekte noch nicht. Sie können im Rahmen einer sequenziellen Folge von Behauptungen oder anderen sprachlichen Handlungen als ikonische Zeichen auftreten, indem sie sich z. B. in Antezedensrelationen befinden. Die hier vorgestellte kategoriale Analyse der Behauptung Harendarskis ähnelt zwar der Zeichendefinition des Dicizeichens Charles S. Peirces (cf. Kapitel 2.1.3.3), unterscheidet sich aber im Wesen von diesem: Während Dicizeichen sich innerhalb verschiedener Zeichenprozesse finden lassen, 7 fokussiert Harendarski nicht nur diskursive Praktiken, sondern etabliert Behauptungen als sprachliche Strukturen in der linguistischen Pragmatik. Die Behauptungsstruktur sowie deren assertive Praxis ermöglicht somit eine Analyse der entsprechenden diskursiven Praktik. 7 Inwiefern das Dicizeichen bzw. Propositionalität auf alle Zeichensysteme ausgeweitet werden kann, ist eine aktuelle Debatte in der Peirce-Forschung. Während z. B. Frederik Stjernfelt (2014) dem Dicizeichen einen umfassenden Allgemeinplatz in der Natur einräumt, kritisiert Pape (2015: 112 f.) eben die Generalisierung auf alle (biotischen) Zeichensysteme. 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz 309 Kraft ihrer indexikalischen Eigenschaften lässt die Behauptung keine repräsentationale Reduktion zu. Aufgrund folgender Zeichenaspekte entzieht sich das Verb einer analogen Repräsentation: 1. Ikonischer Effekt 1.1 Indexikalische Prädikation auf das Bezugswort 1.2 (Mögliche) indexikalische Referenz über das Bezugswort 2. Zeitindex über die Grammatik des Verbs 3. Inferenzielle und sequenzielle Gliederung des Verbs über die Möglichkeit, selbst als ikonische Qualität zugeordnet zu werden Neben den indexikalischen Strukturen, die abgesehen vom Zeitindex einen ikonischen Effekt des Verbs schaffen, ist es insbesondere die inferenzielle und sequenzielle Gliederung des Verbs, aber auch der Behauptung selbst, welche sich der repräsentationalen Darstellung entzieht. Die inferenzielle Gliederung lässt sich aber nicht nur im Rahmen eines normativen Inferenzialismus, sondern auch mithilfe eines Zeichenbegriffs modellieren, um die pragmatisch-semantische Gliederung der Behauptung nicht nur inferenziell, sondern auch semiotisch, also zeichenlogisch, zu begründen. Es geht also im Folgenden darum, wesentliche Aspekte, die strukturell an Behauptungen anschließen, auch semiotisch zu modellieren. Dabei wird zwar weiterhin inferenzielles Vokabular verwendet, aber in Beziehung zu semiotischen Aspekten gesetzt. Die These ist dabei die folgende: Sowohl Perspektivität als auch Aspekte der interlokutiven Relation lassen sich als semiotische Effekte von Festlegungen, Berechtigungen und Inkompatibilitäten erfassen. Auch Folgeinferenzen können hinsichtlich ihrer normativ-semiotischen Struktur formalisiert werden, die für eine kategoriale Analyse der Behauptung anschlussfähig ist. Um verschiedene Aspekte einer erweiterten Behauptungsanalyse aufzuzeigen, wird das Argument anhand von fünf Darstellungsschritten sukzessive entwickelt, um sowohl propositionale Gehalte, inferenzielle Relationen, Signifikanzen, als auch Interlokutoren als semiotische Effekte zu modellieren. Zeichenlogisch lassen sich Festlegungen, Berechtigungen und Inkompatibilitäten hinsichtlich ihrer propositionalen Strukturrelationen erfassen. Denn die sie konstituierenden Akte, also insbesondere Behauptungen, nehmen eine wesentliche Rolle in der Konstitution von Festlegungs- und Berechtigungsstrukturen ein: (F) Es erfolgt eine Festlegung, dass q. (B) Es erfolgt eine Berechtigung, dass q. (I) Es erfolgt eine Inkompatibilität, dass q. Der propositionale Gehalt q, der in jedem Teilakt (F, B, I) beinhaltet ist, markiert die Qualität der Behauptungsstruktur und enthält daher Elemente und Eigenschaften der Semiose der Behauptung. Allerdings unterscheiden sich diese hinsichtlich ihrer normativen Struktur, da die diskursive Qualität der Inferenzen divergiert: (F) beansprucht Gültigkeit von q, (B) zeichnet sich durch eine Möglichkeit von q aus und (I) schließt q inferenziell aus. In der Darstellungsweise scheinen die Teilakte der Festlegung, Berechtigung und Inkompatibilität die propositionalen Gehalte noch zu repräsentieren, da ein vermeintliches Analogie- 310 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms verhältnis zwischen den Teilakten und den propositionalen Gehalten bestünde. Während einige der jeweiligen Teilakte einer Behauptung aber situativ gesetzt werden können und daher zumindest eine zeitlich-räumliche und diskursive Hermetik erfahren, ist die inferenzielle Gliederung der propositionalen Gehalte stets unterdeterminiert und auf holistische Relationen (semantisch und signifikativ) angewiesen. Insofern muss eine zeichenrelationale Analyse im Rahmen eines normativen Inferenzialismus auch innerhalb der Deskription der inferenziellen Gliederung der Behauptungsstruktur Berücksichtigung finden: (FIR) Es erfolgt eine festlegungserhaltende inferenzielle Relation, dass q, weil p. (BIR) Es erfolgt eine berechtigungserhaltende inferenzielle Relation, dass q, weil p. (IIR) Es erfolgt eine inkompatible inferenzielle Relation, dass q, weil p. Die inferenziellen Relationen (FIR, BIR und IIR), die sich aus der normativen Kraft der Behauptung ergeben, zeigen Möglichkeiten der Begründung und Rechtfertigung sowie normative und pragmatische Signifikanz der inferenziellen Gliederung auf. Behauptungen stehen damit nicht nur logisch, sondern im Akt der Behauptung auch semiotisch-indexikalisch in Relationen zu anderen sprachlichen Handlungen, Teilakten und propositionalen Gehalten. Mit dem Verhältnis von q und p lassen sich also nicht nur semantische bzw. propositionale Strukturen, sondern auch Sprachhandlungsverhältnisse anzeigen. Propositionale Gehalte, inferenzielle Relationen und entsprechende Signifikanzen erfordern allerdings eine signifikative Oberfläche, die eine inferenzielle Praxis ermöglicht. Als sprachliche Zeichen müssen sich diese entlang von Signifikanzen entwickeln und damit als zeichenhaft erweisen. Dieser Aspekt der signifikativen Oberfläche, der im Rahmen der signifikativen Suffizienz bereits thematisiert wurde (cf. Kapitel 9.2), wird durch ein signifikantes Zeichenmittel (hier: P) garantiert. Mit der Signifikanz, der Oberfläche und dem signifikanten Zeichenmittel wird eine Entfaltung diskursiver Praktiken eigentlich erst möglich. Denn, so formuliert es Harendarski, “ [k]raft der normativen und pragmatischen Signifikanzen der Behauptung und kraft gegenseitiger zugeschriebener, veränderbarer Verlässlichkeit legen sich Interaktionspartner gegenseitig auf Folgen fest und lizensieren solche ” (2016: 21, Hervorh. im Original). Damit sollte Signifikanz also als eine konstitutive Bedingung der deontischen Kontoführung sowie ihrer Interlokutoren verstanden und bei der Modellierung von Verben und diskursiven Rollen entsprechend berücksichtigt werden: (FIR-SEMIO) Es erfolgt eine festlegungserhaltende inferenzielle Relation, dass q, weil p kraft P. (BIR-SEMIO) Es erfolgt eine berechtigungserhaltende inferenzielle Relation, dass q, weil p kraft P. (IIR-SEMIO) Es erfolgt eine inkompatible inferenzielle Relation, dass q, weil p kraft P. Die Signifikanz von P sowie die Semiose (SEMIO), die durch eine Inkraftsetzung von Behauptung und deren Teilakten ermöglicht wird, ermöglicht erst den diskursiven Zugang zur inferenziellen Gliederung der Behauptungsstruktur. Das Verhältnis von sprachlichen Handlungen und Teilhandlungen (normativ), propositionalen Gehalten und inferenziellen Relationen (semantisch-pragmatisch) und der Sig- 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz 311 nifikanz kraft Oberfläche der sprachlichen Zeichen (semiosisch) erklärt zwar eine Dynamik der semiotischen und linguistischen Prozesse, doch kommt die Darstellung der Behauptung bisher ohne Interlokutoren aus. Insofern sollen im nächsten Darstellungsschritt auch Interlokutoren zur Behauptungsstruktur, ihren Teil- und Folgeakten in ein Verhältnis gesetzt werden. Zunächst ist es sinnvoll, das Verhältnis zwischen den explizierten inferenziellen Relationen und I 1 darzustellen. Mithilfe der Perspektivität der Behauptungsstruktur lässt sich die Strukturbeschreibung entsprechend um I 1 erweitern: (FIR-SEMIO-PERSP) Es erfolgt eine festlegungserhaltende inferenzielle Relation aus der Perspektive von I 1 , dass q, weil p kraft P. (BIR-SEMIO-PERSP) Es erfolgt eine berechtigungserhaltende inferenzielle Relation aus der Perspektive von I 1 , dass q, weil p kraft P. (IIR-SEMIO-PERSP) Es erfolgt eine inkompatible inferenzielle Relation aus der Perspektive von I 1 , dass q, weil p kraft P. Mit der Perspektivität der Behauptungsstruktur (PERSP) wird ein Weg beschritten, welcher nicht nur propositionale Gehalte, inferenzielle Relationen und Signifikanzen umfasst, sondern auch Interlokutoren eine spezifische Funktion zuweist bzw. sie als Funktion von sprachlichen Handlungen etabliert. Als diskursive Rollen, so kann man hier bereits vorausgreifen, sind sie nicht der diskursiven Praxis vorgelagert, sondern konstituieren sich während des Akts durch diskursive Normen und eine entsprechende signifikative Verbstruktur. Anstatt hier also allein das Programm der deontischen Kontoführung zu rekonstruieren, zeigt die Erweiterung der Semiose der Behauptung durch die Perspektivität bereits, dass es eine semiotische Simultanität zwischen Behauptungsstruktur und Interlokutoren gibt: Interlokutoren behaupten zwar Behauptungen, aber die Behauptungsstruktur ist es, welche die Behauptung als sprachliche Handlung und damit auch Interlokutoren (als Behauptende) erst ermöglicht. Die assertive Relation zwischen Behauptung und den Interlokutoren (als Behauptende) wird kraft der Perspektivität diskursiv relevant. Somit sind Interlokutoren semiotisch keine irreduziblen Instanzen, sondern diskursiv vom Inkraftsetzen der Behauptungsstruktur abhängig. Was das Modell der deontischen Kontoführung Brandoms außerdem lehrt, ist nicht nur die Perspektivität einer Sprachhandlungsinstanz, sondern die sozial-kommunikative Reziprozität, welche sich entlang der Setzung von Behauptungen etabliert. Die Semiose der Behauptung kann daher nicht allein in ihrer Perspektivität bezüglich I 1 verbleiben, sondern sollte von einer genuinen Sozialität der diskursiven Praxis und der Behauptungsstruktur ausgehen, welche sich ebenfalls mit dem Zeichenereignis der Behauptung entwickeln lässt: (FIR-SEMIO-SOZ) Es erfolgt eine festlegungserhaltende inferenzielle Relation von I 1 aus der Perspektive von I 2 , dass q, weil p kraft P. (BIR-SEMIO-SOZ) Es erfolgt eine berechtigungserhaltende inferenzielle Relation von I 1 aus der Perspektive von I 2 , dass q, weil p kraft P. (IIR-SEMIO-SOZ) Es erfolgt eine inkompatible inferenzielle Relation von I 1 aus der Perspektive von I 2 , dass q, weil p kraft P. 312 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms Die Behauptung als kleinstes Handlungszeichen etabliert nicht nur den propositionalen Gehalt, sondern auch die doppelte Perspektivität der Interlokutoren. Dass eine Perspektive von I 2 auf I 1 nicht nur eine Perspektivität zweiter Ordnung, sondern tatsächlich bereits eine soziale Relation (SOZ) ist, erklärt sich über die sozial-normative Signifikanz der Behauptung als sprachlicher Handlung: Behauptungen finden stets in einem sozialen Rahmen statt, der zumindest eine weitere Person erfordert, die eine Äußerung als sprachliche Handlung lizenziert. Weil das sprachliche Handlungszeichen als Behauptung seine Interlokutoren produziert und es als Handlungselement sozial-normative Signifikanz besitzt, kann es eine normative wie pragmatische Signifikanz diskursiv auf die konstituierten Interlokutoren (z. B. als Handlungen aus Gründen oder Handlungen mit Gründen) übermitteln. Außerdem markieren die Beschreibungen der Behauptungsstruktur allein die unidirektionale Relation (Perspektive von I 2 auf I 1 ) eines bibzw. multidirektionalen Netzwerks. Bereits in bivalenten Kommunikationen impliziert jede Behauptung sowohl eine Perspektive von I 2 auf I 1 als auch eine Perspektive von I 1 auf I 2 . Anstatt also von einer Perspektive mehrerer Interlokutoren auf eine Behauptung auszugehen, kann die Perspektivierungsleistung der Behauptung selbst (als Handlungszeichen) modelliert werden. Sie wirkt gewissermaßen vektoriell auf ihre diskursiven Rollen ein, indem sie diese erst konstituiert. Interlokutoren sowie ihre diskursiven Autoritäten sind damit Produkte und Effekte einer assertiven Praxis und des Handlungszeichens. Sie sind, als Teilnehmer der deontischen Kontoführung, an einem “ always already up-and-running holistic network of implicitly normative practices ” (TMD: 78) beteiligt, welches sie kraft sprachlicher Handlungen (hier: Behauptungen) als Interlokutoren konstituiert. Die Semiose der Behauptung wäre nicht vollständig, ohne dass die indexikalische Objektrelation und semantische Unterspezifikation um eine pragmatische Unbestimmtheit ergänzt würde: die Ambiguität der sprachlichen Handlung. Tatsächlich sind während der Äußerung weder Objektrelation, semantischer Gehalt noch Sprachhandlungstyp notwendigerweise offensichtlich. Vielmehr erfordert auch eine pragmatische Signifikanz selbst eine diskursive Bestätigung, welche bereits Charles S. Peirce beschrieben hat: No object can be denoted unless it be put into relation to the object of the commends. A man, tramping along a weary and solitary road, meets an individual of strange mien, who says, ‘ There was a fire in Megara. ’ If this should happen in the Middle United States, there might very likely be some village in the neighborhood called Megara. Or it may refer to one of the ancient cities of Megara, or to some romance. And the time is wholly indefinite. In short, nothing at all is conveyed until the person addressed asks, Where? - ‘ Oh about half a mile along there ’ pointing to whence they came. ‘ And when? ’ ‘ As I passed. ’ Now an item of information has been conveyed, because it has been stated relatively to a well understood common experience. (SS: 197, Hervorh. im Original) Diese Darstellung erklärt nicht nur, dass mit einer Folgehandlung, die z. B. auf eine Behauptung folgen kann, nach den Objektrelationen sowie semantischem und propositionalem Gehalten der Behauptung gesucht werden kann und diese ggf. erfüllen können. Vielmehr geht es auch um Fragen der pragmatischen Signifikanz, die durch die Folgehandlung bestätigt wird: Erst durch die Nachfragen wird die sprachliche Handlung als Behauptung lizenziert. Insofern gehören zur Semiose der Behauptung nicht nur eine kategoriale Analyse und eine Semiotisierung der inferenziellen Prozesse, sondern auch eine 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz 313 Berücksichtigung des Sprachhandlungsumfelds, hier entsprechende Folgeakte (cf. Briese/ Klix i. E.). Die Semiose der Behauptung erfüllt somit mehrere Aspekte für eine theoretische Begründung der diskursiven Praxis sowie für ihre Modellierung und Analyse. Anstatt die verschiedenen sprachlichen Praktiken von vorhergehenden Äußerungen und Interlokutoren zu betrachten, ermöglicht die Analyse der Semiose der Behauptung, von dem Ereignis einer assertiven sprachlichen Handlung auszugehen, deren Signifikanz zu berücksichtigen und Teil- und Folgehandlungen dementsprechend zu analysieren. Mithilfe des semiotischen Pragmatismus und des normativen Sprachpragmatismus können nicht nur die inferenziellen, normativen und interlokutiven Relationen expliziert, sondern auch pragmatische Signifikanz sowie subsentenziale Strukturen der Behauptung analysiert werden. Außerdem folgt aus der deontischen Kontoführung, die mithilfe der Semiose der Behauptung spezifiziert werden konnte, eine Positionierung der diskursiven Rollen, die an den jeweiligen Praktiken beteiligt sind. Für Interlokutoren gilt daher folgendes: Sie stehen in einer assertiven Relation zur Behauptung. Sie verhalten sich entsprechend der diskursiven Normen der Praktiken nicht nur zueinander, sondern tun dies auch hinsichtlich des Zeichenereignisses einer Behauptung. Zusammenfassend zeigt die kategoriale Analyse der Behauptung sowie deren Erweiterung durch eine spezifisch semiosische Perspektive auf Äußerungen, dass wesentliche Aspekte diskursiver Praktiken anhand des entsprechenden Zeichenereignisses (hier: Behauptung) analysiert werden können. Dies betrifft nicht nur semantische Gehalte und inferenzielle Relationen, sondern insbesondere auch Interlokutoren bzw. diskursive Rollen und normative wie pragmatische Signifikanzen. Die Erklärung des Entstehens diskursiver Praktiken ist damit nicht mehr notwendigerweise an eine Vielzahl vorgelagerter Prinzipien gebunden, sondern kann tatsächlich anhand einer zeichenlogischen und -relationalen Analyse von Zeichenereignissen und deren Performanzsystematik erfolgen. Ein Rekurs auf vorgeordnete kommunikative Instanzen bleibt dabei aus, weil diese erst kraft des Zeichenereignisses Relevanz erlangen. 14.3 Verbpragmatik und pragmatische Signifikanz Mit der Beschreibung der deontischen Kontoführung und der Einführung der Semiose der Behauptung sind wesentliche Schritte gemacht, pragmatische Signifikanzen in diskursiven Praktiken anhand von (expliziten oder impliziten) Zeichenereignissen zu analysieren. Weil nun nicht Interlokutoren, deren Intentionen oder andere vorgelagerte Strukturen im Mittelpunkt der Analyse stehen, sondern das Zeichen in seiner Handlungsstruktur, handelt es sich um einen genuin semiotischen wie pragmatischen Ansatz. Allerdings ist der theoretische Schritt mithilfe der linguistischen Verbpragmatik bisher ausgeblieben, wobei in den bisherigen Analysen das Verb stets latent beteiligt war. Denn wenn von Behauptungen, Berufungen, Distanzierungen, Nachfragen und Anfechtungen die Rede ist, dann handelt es sich um Derivate der entsprechenden Verben (behaupten, berufen (auf), (sich) distanzieren, nachfragen und anfechten). Die Perspektive der linguistischen Verbpragmatik einzunehmen, bedeutet hier also, dass Äußerungen kraft der Signifikanz des entsprechenden Verbs als sprachliche Handlung interpretiert und behandelt werden. 314 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms Insofern kann eine verbpragmatische Analyse der Verben zeigen, welche Signifikanzstruktur, welche diskursiven Rollen, aber auch welche inferenziellen Relationen nötig sind, um eine Äußerung als sprachliche Handlung zu interpretieren. Im Folgenden soll diese verbpragmatische Perspektive exemplarisch anhand der sprachlichen Handlung der Behauptung und der Anfechtung aufgezeigt werden. Hierbei finden Elemente der theoretischen Reflexion zur diskursiven Signifikanz intentionaler Verben Anwendung: Aufgangspunkt ist das Grundlagenmodell intentionaler Verben (cf. Kapitel 12.3). Die beiden in diesem Kapitel fokussierten Verben behaupten und anfechten signifizieren jeweils intentionale Relationen, die signifikativ auf eine bestimmte sozialkommunikative Handlung verweisen. Dass diese beiden Verben nicht isoliert voreinander, sondern zur in Beziehung zueinander analysiert werden können, liegt auch an deren sozialen intentionalen Relationen (cf. Kapitel 12.4), denn insbesondere anfechten präsupponiert diskursive Rollen, die bereits in sozial-kommunikative Praktiken involviert sind. Die inferenzielle Gliederung und deren verbpragmatische Konsequenzen führen außerdem dazu, dass behaupten und anfechten gemeinam eine Art Signifikanzmuster bilden, also in ihrer Verkettung eine bestimmte Handlungsfolge signifizieren (cf. Kapitel 12.5 - 12.6). Über diese beiden Verben kann damit exemplarisch demonstriert werden, welchen Beitrag eine linguistische Verbpragmatik zur Analyse sprachlicher Handlungen leisten kann. In einem ersten Schritt wird behaupten anhand relationslogischer und verbpragmatischer Parameter analysiert. Dabei soll gezeigt werden, dass eine Analyse des Verbs bereits wesentliche Aspekte der pragmatischen Signifikanz von Performanzen erläutern kann. Weil sprachliche Handlungen sich aber nur in Sequenzen entwickeln und bestätigen, wird behaupten in einem zweiten Schritt mit anfechten in ein verbpragmatisches Verhältnis gesetzt. Anfechten erweist sich dabei als ein gutes Beispiel sowohl hinsichtlich der Struktur des in Frage gestellten propositionalen Gehalts als auch hinsichtlich der beteiligten Interlokutoren (cf. auch Harendarski 2021 a: 45 f.). Mithilfe der Analyse der Sprachhandlungssequenz bzw. Folge intentionaler Verben [BEHAUPTEN]-[ANFECHTEN] lässt sich das Strukturierungspotenzial der inferenziellen Relationen einer sprachlichen Handlung hinsichtlich der pragmatischen Signifikanz schließlich aufzeigen. Das intentionale Verb behaupten lässt sich hinsichtlich seiner pragmatischen Signifikanz entlang zweier intentionaler Relationen analysieren, die sich entsprechend dem eingeführten Vokabular folgendermaßen darstellen lassen: [[X DRausG ] ← SOZ INTENTIONAL EMSIF → [Z DRmitG ]] und [[X DRausG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]]. Erstere beschreibt die intentionale Relation zwischen den im Verbereignis beteiligten Interlokutoren. Letztere erfasst die intentionale Relation der behauptenden Person zum selbst gesetzten intentionalen Objekt bzw. dem propositionalen Gehalt der Behauptung. Bevor eine ausführliche Analyse des Verbs behaupten anhand dieser beiden Relationen vorgenommen werden kann, sollte hervorgehoben werden, dass die beiden Relationen voneinander abhängig sind. Und zwar auf hierarchische Weise: [[X DRausG ]INTENTIO- NAL EMSIF → [Y iO ]] sollte insofern als abgeleitet von [[X DRausG ] ← SOZ INTENTIONAL EMSIF → [Z DRmitG ]] verstanden werden, als dass der im Verbereignis latente propositionale Gehalt nur in solchen kommunikativen Situationen relevant ist, in denen es ein kommunikatives Gefüge von Interlokutoren gibt. Zwar sind beide Relationen in der Instanziierung des Verbs enthalten und daher temporal- 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz 315 sequenziell gleichwertig, doch zeichenlogisch lässt sich Y iO eher als Effekt der im Verb signifizierten interlokutiven Relation verstehen. An dieser Stelle soll darauf nicht weiter eingegangen werden, doch insbesondere bei der Analyse der Konstitution von Interlokutoren und Delokutoren kraft diskursiver Rollen wird sich zeigen, dass es sich bei den verschiedenen Positionen sowohl zeichenlogisch, sozial als auch kategorial um unterschiedliche Strukturen handelt (cf. Kapitel 15). Behaupten als [[X DRausG ] ← SOZ INTENTIONAL EMSIF → [Z DRmitG ]] hinsichtlich seiner pragmatischen Signifikanz weist eine relativ typische Signifikanzstruktur auf, denn es handelt sich um ein sozial-kommunikatives Handlungsverb. Die intentionale Relation, die kraft des Verbs signifiziert wird, kann als soziale intentionale Relation beschrieben werden, denn sie konstituiert zwei diskursive Rollen, die zueinander in Beziehung stehen. Die diskursiven Rollen weisen außerdem eine für sozial-kommunikative Handlungsverben typische Handlungsstruktur auf: X ist eine diskursive Rolle, die Handlungen aus Gründen signifiziert. Konkret bedeutet das, dass die signifizierte Person als über Handlungsintentionen (hier: Kommunikationsintentionen) verfügend konstituiert wird. Damit gilt X als sprachhandlungsbefähigte Person. Y verfügt kraft der intentionalen Relation nicht über Handlungsintentionen, wird aber über das Verb dennoch als adressierte bzw. beteiligte Instanz gesetzt. Denn antworten auf Behauptungen können nur diskursive Wesen, denen ein Mindestmaß an kognitiver Struktur und insbesondere Normverfügen zugewiesen wird. Weil X und Y nur abhängig voneinander (in der Handlungsdeskription) über die entsprechende Handlungsstruktur verfügen, kann diese als sozial beschrieben werden. Neben der sozialen intentionalen Relation zeichnet sich [[X DRausG ] ← SOZ INTENTIONAL EMSIF → [Z DRmitG ]] außerdem durch seine inferenzielle Gliederung aus. Weil sich behaupten hinsichtlich der Konstitution diskursiver Intentionalität als EMSIF auszeichnet, das Verb also hinreichend für eine Zuschreibung diskursiver Intentionalität ist, kann es als intentionales Verb kategorisiert werden. Dass behaupten hinsichtlich seiner Signifikanzstruktur mithilfe von EMSIFs analysiert wird, ist außerdem ein Hinweis darauf, dass es für Sprachhandlungsanalyse besondere Relevanz hat. Die zweite Relation [[X DRausG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] weist weniger eine soziale intentionale Relation auf als vielmehr ein Verhältnis zwischen der behauptenden Instanz (X DRausG ) und der Äußerung bzw. dem gesetzten propositionalen Gehalt (Y iO ). Es handelt sich hier zwar um eine intentionale Relation, aber nicht um eine phänomenale Gerichtetheit im engeren Sinne. Denn Y iO zeichnet sich durch seine propositionale Struktur sowie inferenzielle Gliederung aus. Damit weist es andere Qualitäten auf als Wahrnehmungsobjekte (phänomenal), weil es als Element in die weitere diskursive Praxis eingegliedert wird. Dies ist insbesondere dann relevant, wenn mithilfe linguistischer Verbpragmatik die Sprachhandlungssequenz und deren Gehalte anhand von Verben rekonstruiert werden. Wenn die beiden intentionalen Relationen [[X DRausG ] ← SOZ INTENTIONAL EMSIF → [Z DRmitG ]] und [[X DRausG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] als Abstraktion eines gemeinsamen Verbs und damit als im Konkreten miteinander verbunden analysiert werden, dann impliziert behaupten eine weitere latente Relation, die weiteres inferenzielles Potenzial aufweist: [[Z DRmitG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]]. Diese Relation markiert, dass Z DRmitG mit Y iO in ein Verhältnis treten kann, z. B. indem die Behauptung verstanden wird oder indem durch eine andere sprachliche Handlung auf den propositionalen Gehalt und den Behauptungsakt 316 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms reagiert werden kann. Diese Relation ist zeichenlogisch kein explizites, aber latentes Element von behaupten und kann über Folgeverben markiert, in der diskursiven Praxis gesetzt und damit expliziert werden. Diese intentionalen Relationen von behaupten lassen sich nun diagrammatisch in ein Verhältnis setzen, welches zeigt, inwiefern die verschiedenen Relata in Beziehung stehen. Abb. 15: Zeichenrelationale Triangulation von behaupten Die verschiedenen Relata stehen nicht nur (auf Ebene der Einzelrelationen) in genuin triadischen Relationen zueinander, sondern sie lassen sich als triadische Relationen potenzieren (Abb. 15): Sie stehen als triadische Relationen selbst in einem triadischen Verhältnis zueinander, denn jedes Relatum steht (explizit oder latent) in mehreren intentionalen Relationen. Dass es sich nicht nur um eine Menge von dyadischen Relationen handelt, also um eine degenerative triadische Relation, zeigen die verschiedenen Ausrichtungen der Relationen. Y iO stellt sich hier als Effekt der sozialen intentionalen Relationen heraus und kann insofern als von der primären intentionalen Relation [[X DRausG ] ← SOZ INTENTIONAL EMSIF → [Z DRmitG ]] abgeleitet begriffen werden. Die Darstellung zeigt außerdem, dass behaupten als Handlungsdeskription ein Triangulationspotenzial aufweist. Kraft des Verbs kann Handlung als Triangulation ausgewiesen werden, wobei Y iO das Triangulationsobjekt bildet (und in der weiteren diskursiven Praxis als solches behandelt wird). Die relationslogische Analyse des Verbs behaupten erweist sich so als eine tiefenstrukturelle Präsentation der Signifikanzen, hier der pragmatischen. Allein aufgrund der Explikation der zwei bzw. drei intentionalen Relationen, die das Verb involviert, lässt sich eine Handlungssituation assoziieren, die die Beteiligten nicht nur in ein normatives Verhältnis zueinander, sondern auch zur gesetzten Äußerung stellt. Wie insbesondere die Darstellung der zeichenrelationalen Triangulation zeigt, geht die Analyse über die grammatische Oberfläche hinaus, orientiert sich an Signifikanz und weist inferenzielle Potenziale aus, die sich pragmatisch erfüllen lassen. Analog zu behaupten fällt auch eine relationslogische Analyse von anfechten aus. Es handelt sich dabei zeichenlogisch explizit sowohl um eine soziale intentionale Relation [[X DRausG ] ← SOZ INTENTIONAL EMSIF → [Z DRmitG ]] als auch um eine intentionale Relation [[X DRausG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]]. Isoliert betrachtet unterscheidet sich anfechten hinsichtlich seiner sozialen intentionalen Relation also nicht von behaupten, sondern erst im Verhältnis zueinander entstehen signifikative Unterschiede. 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz 317 Latent verfügt anfechten außerdem über [[Z DRmitG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]]. Insofern muss eine relationslogische Analyse von anfechten hier nur um diejenigen Aspekte ergänzt werden, die für eine weitere verbpragmatische Analyse relevant sind. Denn der Vergleich der intentionalen Relationen von behaupten und anfechten zeigt, dass es einen wesentlichen Unterschied zwischen den beiden Verben gibt, welcher zu einer verbpragmatischen Analyse führt: die Achse, die inferenziell von behaupten durch die latente Relation [[Z DRmitG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] ermöglicht wird. Das Verb signifiziert also eine latente Folgehandlung, die diskursiv gesetzt werden kann und in diesem Beispiel durch anfechten markiert ist. Oder: Behaupten setzt inferenziell einen propositionalen Gehalt, während anfechten die Gültigkeit eines bereits gesetzten propositionalen Gehalts durch die Setzung eines anderen propositionalen Gehalts infrage stellt (propositionale Kontingenz durch Inkompatibilität, cf. Kapitel 14.1). Behaupten und anfechten beziehen sich inferenziell also auf denselben propositionalen Gehalt. Dass sich diese Struktur auch relationslogisch analysieren lässt, zeigt bereits die zeichenrelationale Triangulation von behaupten: Die latente intentionale Relation [[Z DRmitG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] von behaupten, die als Berechtigung im Verb vorliegt, wird gewissermaßen durch die intentionale Relation [[X DRausG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] (inkl. anaphorischer Relation) von anfechten erfüllt. In der Handlungsdeskription tritt die vorher als Y DRmitG markierte diskursive Rolle als X DRausG mit Y iO in Interaktion, indem dieser propositionale Gehalt (Y iO ) angefochten wird. Dieses Verhältnis von behaupten und anfechten lässt sich mithilfe einer verbpragmatischen Darstellung nicht nur als Handlungsstruktur, sondern auch als Handlungssequenz aufzeigen. Hierfür kann exemplarisch [BEHAUPTEN]-[ANFECHTEN] aus Perspektive von behaupten (t 0 ) skizziert werden, wobei auf Basis der hier fokussierten Aspekte auf weitere Elemente verzichtet wird. Abb. 16: Verbpragmatische Teildarstellung von behaupten hinsichtlich anfechten Diese verbpragmatische Teildarstellung von behaupten, welche deren Relation zu anfechten skizziert, ergänzt die relationslogischen Analysen nicht nur um mögliche Komplementärverben, sondern auch um eine sequenzielle Struktur: Aus der Perspektive von [BE- HAUPTEN] (t 0 ) ist [ANFECHTEN] (t 1 ) eine konsekutive Relation, die sich aus der EMSIB von behaupten ergibt. Kurz: Behauptungen können angefochten werden. Gleichzeitig setzt [ANFECHTEN] (t 0 ) ein [BEHAUPTEN] (t -1 ) voraus, sodass dieses als präteritale Relation modelliert werden kann. Kurz: Angefochten werden kann nur, was vorher behauptet 318 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms wurde. 8 Bezugspunkt beider Relationen ist dabei stets der geäußerte propositionale Gehalt (Y iO ), welcher im Verhältnis der pragmatischen Signifikanz der beiden Verben als kontingent markiert wird. Diese kurze relationslogische und verbpragmatische Analyse der intentionalen Verben behaupten und anfechten zeigt, inwiefern die Analyse von sprachlichen Handlungen und pragmatischer Signifikanz auch mithilfe von intentionalen Verben, hier insbesondere sozial-kommunikativen Handlungsverben, geschehen kann. Zusammenfasst schließt diese verbpragmatische Teildarstellung von behaupten und anfechten außerdem den Entwurf einer Analyse der pragmatischen Signifikanz sprachlicher Handlungen ab, der in diesem Kapitel entwickelt wurde. Ausgehend von Brandoms Modell der deontischen Kontoführung konnten sprachliche Handlungen als inferenziell gegliedert analysiert werden (cf. Kapitel 14.1). Anhand der Semiose der Behauptung habe ich demonstriert, dass eine semiotische Interpretation von sprachlichen Handlungen diese als signifikative Struktur erkennbar macht, welche Interlokutoren sowie inferenzielle Strukturen als deren kommunikative Effekte begreift (cf. Kapitel 14.2). Die Semiose der Behauptung wurde anschließend aus einer verbpragmatischen Perspektive betrachtet, sodass sich die pragmatische Signifikanz anhand intentionaler Verben rekonstruieren lässt. Damit finden die theoretischen Reflexionen zur diskursiven Signifikanz einen konkreten Anwendungsbereich in der linguistischen Pragmatik, dem Bereich der Analyse sprachlicher Handlungen. Auch wenn die hier skizzierte Analyse noch keine entwickelte Sprachhandlungsanalyse ersetzen kann oder soll, zeigt sie doch insofern Potenziale auf, als dass schon die Analyse der Verben eine komplexe Handlungsstruktur aufzeigen kann wie die Analyse des Verhältnisses von behaupten und anfechten veranschaulicht hat. Mithilfe der Analyse der pragmatischen Signifikanz, die sich kraft Verben entfaltet, kann unter Berücksichtigung der hier etablierten theoretischen Voraussetzung erklärt werden, warum eine bestimmte Äußerung als Sprachhandlung interpretiert wird. 8 Im engeren Sinne können hier auch andere Verben (z. B. sagen, äußern etc.) als präteritale Relationen vorausgesetzt werden. Diese Darstellung soll aber weder die Verben behaupten oder anfechten bzw. deren Relationen erschöpfend erklären, sondern lediglich verbpragmatische Potenziale aufzeigen. 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz 319