eJournals Kodikas/Code 45/1-4

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
0303
2025
451-4

Interlokutor und Delokutor – Analyse von DiskursakteurInnen

0303
2025
Joschka Briese
Die Analyse der pragmatischen Signifikanz des vorherigen Kapitels wird hier um das Konzept der diskursiven Rolle ergänzt und auf die pragmatische Funktion des Sprechers und des Hörers in der Kommunikation angewandt. Sprecher und Hörer erweisen sich verbpragmatisch dabei als Effekte der Signifikanz intentionaler Verben. Neben der irreduziblen Verbindung von Sprecher und Hörer, die über das Konzept des Interlokutors erfasst wird, kann mithilfe des Konzepts des Delokutors die drittpersonale kommunikative Rolle als Signifikanz analysiert werden. Eine Reflexion auf Basis der phaneroskopischen Kategorien Charles S. Peirces vergleicht das Verhältnis von Interlokutoren und Delokutor mit Triangulation und markiert die triangulative Signifikanz intentionaler Verben.
kod451-40320
K O D I K A S / C O D E Volume 45 (2022) · No. 1 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen 15 Interlokutor und Delokutor - Analyse von DiskursakteurInnen Abstract: The analysis of pragmatic significance in the previous chapter is supplemented here by the concept of discursive roles and applied to the pragmatic function of the speaker and the hearer in communication. Speaker and hearer prove to be verbpragmatic effects of the significance of intentional verbs. In addition to the irreducible connection between speaker and hearer, which is captured by the concept of the interlocutor, the concept of the delocutor can be used to analyze the third-personal communicative roles as a kind of significance. A reflection based on Charles S. Peirce's phaneroscopic categories compares the relationship between interlocutors and delocutors with triangulation and marks the triangulative significance of intentional verbs. Zusammenfassung: Die Analyse der pragmatischen Signifikanz des vorherigen Kapitels wird hier um das Konzept der diskursiven Rolle ergänzt und auf die pragmatische Funktion des Sprechers und des Hörers in der Kommunikation angewandt. Sprecher und Hörer erweisen sich verbpragmatisch dabei als Effekte der Signifikanz intentionaler Verben. Neben der irreduziblen Verbindung von Sprecher und Hörer, die über das Konzept des Interlokutors erfasst wird, kann mithilfe des Konzepts des Delokutors die drittpersonale kommunikative Rolle als Signifikanz analysiert werden. Eine Reflexion auf Basis der phaneroskopischen Kategorien Charles S. Peirces vergleicht das Verhältnis von Interlokutoren und Delokutor mit Triangulation und markiert die triangulative Signifikanz intentionaler Verben. Keywords: speaker, hearer, interlocutor, delocutor, triangulation Schlüsselbegriffe: Sprecher, Hörer, Interlokutor, Delokutor, Triangulation Mit dem Begriff der pragmatischen Signifikanz, welche über die Darstellung von zeichenrelationalen Triangulationen als multirelationale Struktur analysiert wird, habe ich mich der Frage der Handlungskonstitution in diskursiven Praktiken zugwandt. Dass dabei aber nicht nur Handlungen, sondern selbstverständlich auch Personen beteiligt sind, soll im Folgenden untersucht werden. Damit schließt das folgende Kapitel nicht nur an die Analyse der pragmatischen Signifikanz, sondern auch an Beschreibungen von intentionalen Systemen* (cf. Kapitel 8.2) und Zuschreibungen, Attribuierungen, Inskriptionen und Inaugurationen (cf. Kapitel 13) an. Es geht also um die Frage, inwiefern in diskursiven Praktiken jemand auf Basis sozialer Normen als Sprecher oder Hörer identifizieren wird und damit bestimmte kommunikative Funktionen zugewiesen bekommt. Sprecher und Hörer werden damit nicht mehr als sozial-kommunikative Voraussetzungen diskursiver Praktiken verstanden, sondern sind selbst auf gewisse Weise Ergebnisse dieser. Diese Frage erfordert die Abgrenzung des Rahmens der theoretischen Argumentation, sowohl terminologisch als auch hinsichtlich seines Erkenntnisobjekts. Analysiert werden sollen im Folgenden diejenigen diskursiven Instanzen, die als Handelnde beschrieben werden. Im Mittelpunkt stehen dabei weiterhin intentionale Verben, insbesondere deren diskursive Rollen. Anstatt aber allein das Handlungspotenzial dieser zu untersuchen, möchte ich hier die Etablierung einer grundlegenden sozial-kommunikativen Differenz vorschlagen, die unterschiedliche Grundpositionen in diskursiven Praktiken umfasst und sich verbpragmatisch analysieren lässt: Interlokutoren und Delokutoren bzw. Interlokutor- Delokutor-Relationen. Interlokutor und Delokutor stellen im Rahmen der theoretischen Argumentation sozial-kommunikative Funktionen dar, die kraft diskursiver Rollen unterschiedlichen sozial-kommunikativen Grundpositionen zugewiesen werden. Der Unterschied zwischen Interlokutor und Delokutor ist damit zunächst ein Unterschied der Position, so wie er z. B. bereits in der origorelativen Unterscheidung von ich und du einerseits und er, sie und es andererseits markiert ist. Weil intentionale Verben und ihre diskursiven Rollen aber nicht nur sprachliche Handlungen signifizieren, subsumiert sich das theoretische Vokabular der Interlokutoren und Delokutoren unter den Begriff der Diskursakteure. Der Begriff der Diskursakteure orientiert sich im Folgenden an Darstellungen aus der Diskurslinguistik, ohne sich notwendigerweise in voller Schärfe auf diese zu berufen. So schreibt beispielsweise Philipp Dreesen (2013: 225): Der Akteur ist kein außerdiskursives Konzept eines autonom handelnden Individuums oder einer Organisation, sondern jemand, der durch die diskursive Ordnung in die Lage versetzt wird, sich in bestimmter Art und Weise zu artikulieren, während andere dies nicht in gleicher Weise tun können. Der Akteur ist Produzent und Produkt des Diskurses gleichermaßen. Mit diesem Begriff wird also eine Position innerhalb der diskursiven Ordnung bzw. diskursiven Praktiken erfasst, welche nur in ihr bestehen kann. Insofern vermeidet der Begriff eine vorsprachliche bzw. vordiskursive Struktur, die wesentlichen Einfluss auf die Konstitution von Diskursakteuren hat. Anstatt aber im Folgenden von diskursiven Ordnungen im Allgemeinen zu sprechen, möchte ich (im Sinne der linguistischen Verbpragmatik) das diskursive Konstitutionspotenzial von Verben diskutieren. Kurz: Kraft diskursiver Rollen kann jemand Diskursakteur werden. Das theoretische Fundament sowie eine entsprechende Argumentation für eine Analyse von Diskursakteuren anhand intentionaler Verben möchte ich in folgenden Schritten vorstellen: Zunächst soll mithilfe von Per Aage Brandts schematischem Äußerungskonzept (cf. 2016) an die handlungstheoretische Analyse der Semiose der Behauptung angeschlossen werden, um die Konstitution von Interlokutoren, aber auch Delokutoren (und anderen Triangulationsobjekten) anhand von Äußerungen zu demonstrieren. Brandt Äußerungskonzept fokussiert dabei die wesentlichen Grundpositionen und weniger die pragmatische Signifikanz, was es aber nicht weniger anschlussfähig macht, wie sich zeigen wird. Es ermöglicht eine weitere Perspektive auf die Konstitution von Diskursakteuren und verortet diese mittels der theoretischen Beschreibungen der Semiose der Behauptung in der Signifikanzstruktur intentionaler Verben. 15 Interlokutor und Delokutor - Analyse von DiskursakteurInnen 321 Anschließend sondiere ich kurz das begriffliche Feld zur Darstellung eben jener sozialkommunikativen Funktionen. Weil insbesondere die sozialrelationalen und semiotischpragmatistischen Aspekte in einigen Modellen im Hintergrund bleiben, schließt eine Zusammenfassung von Francis Jacques' Dialogtheorie (cf. insb. 1986, 1991) an diese theoretischen Annahmen an. In Kombination mit den Analysen der pragmatischen Signifikanz sowie deren Einbettung in ein Modell diskursiver Praktiken (deontische Kontoführung, Semiose der Behauptung und der Folgehandlungen) soll damit nicht nur eine Definition von Interlokutor und Delokutor vorgelegt, sondern auch deren sozialkommunikative Verstrickung plausibilisiert werden. Die Vorstellung von Theorien gemeinsamer Aufmerksamkeit, Triangulation sowie der sozialkategorialen Grundpositionen im Rahmen der semiotischen Anthropologie dient anschließend nicht nur der universalkategorialen Bestimmung von Interlokutor und Delokutor, sondern auch einer Modellierung von universalsemiotischen Grundpositionen und -relationen, die als Fundament der Interlokutor-Delokutor-Relation angesehen werden können. Anschließend kann die Erweiterung einer relationslogischen und verbpragmatischen Analyse zeigen, inwiefern sich Interlokutoren und Delokutoren als diskursive Effekte intentionaler Verben analysieren lassen und inwiefern verschiedene Verbgefüge (exemplarisch die [SAGEN]-[BERUFEN AUF]-Relation) bereits Positionswechsel ihrer Diskursakteure signifizieren. 15.1 Äußerungen und diskursive Rollen Äußerungen signifizieren diskursive Rollen. Die Erklärungsstrategie kehrt die alltägliche Annahme um, dass Sprecher und Hörer Äußerungen kommunikativ vorausgesetzt seien. Stattdessen wird deren kommunikative Funktion aus der Signifikanz der Äußerung erläuert und schließt damit an die Semiose der Behauptung an (cf. Kapitel 14.2). An vielen Äußerungen sind aber nicht nur Interlokutoren beteiligt, sondern auch andere kommunikative Rollen. Diese These wird im Folgenden anhand Per Aage Brandts schematischem Äußerungskonzept (cf. 2016) elaboriert. Dieses Äußerungskonzept dient im Weiteren als Bezugspunkt für die Entwicklung verschiedener kategorialer Grundpositionen als Signifikanz von Äußerungen (cf. Kapitel 15.3) und dem triangulativen Effekt intentionaler Verben (cf. 15.4). Um die Konstitution von Interlokutoren und Delokutoren in diskursiven Praktiken mithilfe einer relationslogischen Analyse und linguistischen Verbpragmatik zu exemplifizieren, ist es sinnvoll, noch einmal zur Äußerung bzw. sprachlichen Handlung als grundlegender Handlungseinheit linguistischer Praktiken zurückzukehren. Auch wenn die folgende Analyse am Ende wieder auf Signifikanz von Verben beruht, so ist angesichts des verschobenen Fokus der folgenden Analyse dieser Schritt notwendig: Während es bei Fragen der pragmatischen Signifikanz sprachlicher Handlungen insbesondere darum geht, eine Äußerung oder ein sprachliches Verhalten als sprachliche Handlung zu signifizieren, liegt hier der Fokus weniger auf der Äußerung selbst als auf deren Evokationspotenzialen hinsichtlich Diskursakteuren. Die signifizierte Handlung ist dabei für diese Analyse zunächst insofern irrelevant, als dass sie zwar eine Handlungsstruktur bereitstellt, aber 322 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms im engeren Sinne nicht Diskursakteure erfasst. Diese Funktion übernehmen diskursive Rollen von Verben. Dass aber Äußerungen nicht nur als sprachliche Handlungen signifiziert werden können, sondern dass ausgehend von diesen auch eine Form der Sozialität modelliert werden kann, zeigen bereits die theoretische Entwicklung von sozialen, kooperativen und kollektiven intentionalen Relationen (cf. Kapitel 12.4), aber auch das Triangulationspotenzial im Rahmen der Analyse der pragmatischen Signifikanz (cf. Kapitel 14). Ausgehend von der Instanziierung von Äußerung kann daher zunächst mithilfe von Per Aage Brandts schematischem Äußerungskonzept (cf. 2016) Folgendes festgehalten werden: Firstly, enunciation is a schema: personhood is a basic relation between three instances, a first person (P1), a second person (P2), and the object of shared attention called third person (P3). The relation itself is a schematic act of showing. P1 shows P3 to P2. P2 is thus in a dative position, receiving P3 from P1 as a ‘ gift. ’ Showing is ‘ donner à voir, ’ with a French expression. P1 ‘ gives ’ P3 to P2. P3 is the target of the showing, which is again the root of the deictic pointing. P3 is an object presented in a demonstrative mode: This! - ‘ I want you to attend to this (here, now)! ’ - and it is therefore possible to say that the basic schematic relation between P1 and P2 is already protodeictic. The relation develops real deicticity through a further semiotic unfolding. The basic schema, secondly, allows a semio-syntactic iterativity in two directions. One is dialogical: in a subsequent substructure, P2 (you) becomes P1 (I) and P1 is included in a new P2, when the addressee answers to the speaker and possibly to other hearers. It typically has propositional P3s: ‘ You tell me that X, but I insist that -X! ’ P3 thus unfolds a maintained theme ‘ X ’ across the turns of speech. Another form of iterativity, embedded enunciation, occurs when P3 includes a new substructure with P1 - P2 - P3 structure, and so on: ‘ I say (to you) that he says (to someone) that she says (to everyone who wants to listen) that X …’ The structure of full-blown deixis contains both types of iterativity. (Brandt 2016: 4) Äußerungen können laut Brandt als eine schematische Struktur verstanden werden, die die Positionen P1, P2 und P3 umfasst. Die verschiedenen Relationen lassen sich dabei anhand indexikalischer bzw. deiktischer Strukturen darstellen. Die proto-deiktische Relation P1-P2 erfasst Brandt hier ebenso wie zwei Formen der Iterativität: Die semio-syntaktische Iterativität umfasst das Potenzial einer dialogischen Struktur, die den Positionswechsel von P1 und P2 erfordert. Hier ist bereits das wesentliche soziale Moment der Äußerung enthalten, denn ausgehend von dieser lässt sich die Beteiligung von mehreren Interlokutoren als konstitutiv annehmen. P3 bleibt bei der semio-syntaktischen Iterativität das Objekt der gemeinsamen Aufmerksamkeit bzw. das Triangulationsobjekt [object of shared attention]. Allerdings kann P3 als eingebettete Äußerung, die selbst eine latente P1-P2-P3- Struktur aufweist, auch einen tatsächlichen Personstatus erlangen. Brandts Äußerungsschema weist damit Strukturen auf, die bereits in der bisherigen Analyse intentionaler Verben aufgetaucht sind. Zunächst lässt sich die proto-deiktische Relation P1-P2 als eine spezifische Form der sozialen intentionalen Relation erfassen. Als interlokutive Relation umfasst sie eben jene Dialogstrukturen, die verschiedene sprachliche Handlungen bzw. Sprachhandlungsverben auszeichnen. Interessant ist außerdem Brandts Beschreibung von P3 in eingebetteten Äußerungen. Was bereits bei der sprachlichen Handlung der Berufung als pragmatische Signifikanz herausgestellt wurde (cf. Kapitel 14), erweist sich hier auch als Struktur der sprachlichen Handlung hinsichtlich der Konstitution von DiskursakteurInnen: In der Instanziierung der 15 Interlokutor und Delokutor - Analyse von DiskursakteurInnen 323 Äußerung bzw. der Sprachhandlung handelt es sich bei P3 zwar um Diskursakteure, doch sind diese nicht sozial-kommunikativ an der sprachlichen Handlung beteiligt. Für diese Differenz wird im Folgenden von Interlokutoren einerseits und Delokutoren andererseits gesprochen. Der Fokus auf die P1-P2-P3-Struktur ergänzt damit die Beschreibungen der kategorialen Analyse des Standardindikativs (Behauptung) anhand des Deutschen für die Behauptung aller möglichen und existierenden Sachverhalte von Harendarski (2012: 227 f., cf. Kapitel 14.2) insofern, als dass interlokutive bzw. soziale Strukturen der Äußerung bzw. der sprachlichen Handlung hier hinzugefügt werden können. Sprachliche Handlungen weisen damit sowohl pragmatische Signifikanzen (und deren inferenzielle Gliederung) als auch interlokutive bzw. soziale Strukturen auf, die es im Rahmen einer linguistischen Pragmatik zu analysieren gilt. Fundamental ist nun, dass sich die Zentriertheit des Verbs, welche sowohl in Harendarskis Beschreibungen angelegt als auch im Rahmen dieser Arbeit ausgearbeitet wurde, auch auf Brandts Modell der Äußerung als Schema anwenden lässt: Anstatt Äußerungen zu analysieren, ist bereits ein Blick auf die Signifikanzstruktur intentionaler Verben hinreichend, um entsprechende interlokutive bzw. soziale Strukturen herauszuarbeiten. Im Folgenden soll dies nicht nur mithilfe der diskursiven Rollen, sondern mit einer Ausarbeitung der von Brandt skizzierten Positionen P1, P2 und P3 geschehen, indem mit Interlokutoren und Delokutoren ein theoretisches Vokabular eingeführt wird, mit dem man spezifische sozial-kommunikative Positionen in diskursiven Praktiken analysieren kann. 15.2 Theoretisches Vokabular der Interlokutor-Delokutor-Relation Per Aage Brandts schematisches Äußerungskonzept stellt zwar ein Fundament von signifikativen Äußerungsstrukturen hinsichtlich diskursiver Rollen bereit, ist aber kein Beitrag zu handlungstheoretischen Aspekten diskursiver Praktiken. Brandt fokussiert vielmehr eine phänomenologische und kognitionslinguistische Perspektive auf Äußerungen. Dass diskursive Praktiken über eine ähnliche Grundstruktur verfügen und damit nicht auf Sprecher-Hörer-Adjazenden reduziert werden können, möchte ich im Folgenden entwickelt. Die Reflexionen satteln dabei weiterhin auf Bradnoms deontischer Kontoführung auf (cf. Kapitel 14.1), entwickeln diskursive Rollen aber aus dem Zeichengebrauch heraus (cf. schon Kapitel 14.2). Über die Begriffe Interlokutor und Deloktor werden kommunikative Funktionen eingeführt, die sich aus der Signifikanz intentionaler Verben ableiten lassen. Diese Begriffe beruhen nicht nur deshalb auf ontologisch schwächeren Annahmen, weil sie aufgrund ihrer sozial-normativen Versticktheit deontologisch sind. Sie setzen für eine Analyse diskursiver Praktiken außerdem keinen kommunikativen Instanzen vor, sondern verstehen diese als Emergenz dieser Praktiken. Die beiden Begriffe werden außerdem aus deren Beziehung zueinander entwickelt, sodass auch hier Peirces relationslogische Prämissen greifen (cf. Kapitel 12.2). Dieser Zugang verknüft also sowohl Brandoms Konzept des Interlokutors, ergänzt um einen Delokutor, mit den semiotischen Grundlagen Peirces (cf. Kapitel 4). Die Einführung des theoretischen Vokabulars der Interlokutor- Delokutor-Relation bereitet daher eine verbpragmatische Reflexion vor: Kommunikative Funktionen sind Effeke der vom intentionalen Verb signifizierten Relation. 324 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms Äußerungen können als schematische Strukturen über die Positionen P1, P2 und P3 analysiert werden. Dass sich diese Strukturen auch als Relationen im Rahmen sozialer Handlungen und Verben erfassen lassen, soll die linguistische Verbpragmatik ebenfalls zeigen. Im Folgenden soll theoretisches Vokabular entwickelt werden, welches die Positionen P1, P2 und P3 nicht nur als schematische, sondern auch anhand handlungsstruktureller Funktionen erfasst. Hierfür werden die Begriffe Interlokutor bzw. Lokutor und Allokutor sowie Delokutor eingeführt. Mithilfe der Dialogtheorie Francis Jacques' kann das Vokabular nicht nur spezifiziert, sondern auch in ein Verhältnis gesetzt werden. Dies mündet in einer Anwendung auf die Semiose der Behauptung, welche die Unterschiede zwischen Interlokutoren und Delokutoren herausstellt. Insbesondere das Verhältnis zwischen Interlokutoren und Delokutoren (Interlokutor-Delokutor-Relation) steht dabei im Mittelpunkt. Da es sich bei der Interlokutor-Delokutor-Relation nicht um ein strukturäquivalentes Substitut von Konzepten wie Sprecher oder Hörer handelt, grenze ich diese Begriffe außerdem von verschiedenen Konzepten im Rahmen der Linguistik ab. Um die unterschiedlichen kommunikativen Funktionen zu erläutern, die durch diskursive Rollen markiert werden, sollen im Folgenden also die Begriffe Lokutor, Allokutor und Delokutor etabliert werden. Lokutor und Allokutor leiten sich dabei vom Konzept der Interlokutoren ab. Dieses theoretische Vokabular ermöglicht es, sowohl eine zeichenhafte als auch eine diskursive Konstitution kraft diskursiver Rollen zu betonen. Die Begriffe orientieren sich dabei an der Unterscheidung von Jacques Damourette und Edouard Pichon (1983: 74 f.), welche in der romanistischen Linguistik verbreiteter ist als in der germanistischen (cf. aber z. B. Bellmann 1990: 177, Cartagena/ Gauger 1989: 220, Thun 1986: 83, Volkmann 2005: 264). Die sprachsystematische Dreigliederung Lokutiv, Allokutiv und Delokutiv verweist hier auf die unterschiedlichen Flexionskategorien, schließt aber gleichzeitig die kommunikativen Funktionen der Positionen mit ein, indem die grammatischen Markierungen mit der Beteiligungsrolle in Bezug gesetzt werden: Lokutiv, Allokutiv und Delokutiv sind damit keine strukturalen und grammatikalisch-syntaktischen Kategorien mehr, sondern stellen Grenzgänger zu kommunikativen Funktionen dar. Die Konzepte Lokutor, Allokutor und Delokutor, die sich aus den Beschreibungen Damourettes und Pichons ableiten lassen, umfassen außerdem sozial-kommunikative Beteiligungsrollen, wie sie innerhalb der enunziativen Pragmatik und poststrukturalistischen Diskurstheorie gebraucht werden (cf. Angermüller 2007 a: 145 f., Angermüller 2008). Die Konzepte Lokutor und Allokutor, die Oswald Ducrots Enunziationstheorie (1984) entlehnt sind, markieren dort den Urheber einer Äußerung respektive deren Adressierung. Insofern ähneln sie den Beteiligungsrollen Kirsten Adamziks (2002: 245 f.). Lokutor, Allokutor und Delokutor, wie sie hier als von diskursiven Rollen signifiziert verstanden werden, gehen aber über die direkte Äußerungsbeteiligung hinaus, denn sie involvieren Konzepte wie Verantwortung, Autorität, Handlung und Intentionalität, die innerhalb von diskurslinguistischen Zugängen eher vermieden werden. 1 1 Oswald Ducrot (1984: 193) weist Lokutoren zwar Verantwortlichkeit [responsibilité] zu, erörtert damit aber die enunziative Beziehung zwischen Äußerung und Lokutor (cf. auch Angermüller 2007 b: 63). Verantwortlichkeit in weiterem Sinne umfasst jedoch mehr, als die eigene Äußerung zu autorisieren, und umfasst Handlungsaspekte, die nicht im engeren Sinne linguistisch, pragmatisch bzw. handlungstheoretisch sind. 15 Interlokutor und Delokutor - Analyse von DiskursakteurInnen 325 Im Folgenden soll mithilfe der Entwicklung des theoretischen Vokabulars der Interlokutoren und Delokutoren eine Handlungsstruktur intentionaler Verben weiterentwickelt werden. Dabei beziehe ich mich zunächst auf die Dialogtheorie Francis Jacques', um diese anschließend anhand von einer Analyse zu exemplifizieren. Lokutoren und Allokutoren sind spezifische Handlungspositionen, die im Rahmen diskursiver Praktiken konstituiert werden. Francis Jacques unterscheidet sie von Individuen, welche eher Zuschreibungsobjekte der Handlungsfunktionen darstellen: [L]ocutor and allocutee are agencies brought about by and in discourse, not concrete individuals - even if in the real world they can secondarily be attributed to individuals. In particular, the locutor must not be confused with the speaking subject, from which it is explicitly distinguished, for instance in indirect discourse. Equally, the allocutee must not be confused with the listener, a particular real individual who overhears the discourse or eavesdrops on it when it was not intended for his or her ears. (1991: 122) Insofern können Lokutoren und Allokutoren als diskursive Zeicheneffekte und -produkte verstanden werden. Die bisherigen Analysen diskursiver Praktiken, die sich insbesondere an der deontischen Kontoführung, der Semiose der Behauptung sowie der Signifikanzstruktur intentionaler Verben entfaltet haben, orientierten sich noch an interlokutiven Relationen (also Lokutor und Allokutor), was angesichts der Fokussierung der Ich-Du- Sozialität Brandoms (cf. hierzu Reichold 2016) nicht verwunderlich ist. 2 Diskursive Praktiken entfalten sich jedoch nicht nur entlang ihrer Interlokutoren, sondern sie sind vielfach auch triangulative Praktiken, sodass nicht nur eine interlokutive Reziprozität, sondern die gesamten signifikativen Positionen hinsichtlich ihrer sozial-normativen Struktur untersucht werden sollten. Daher sollten diskursive Autorität, Personenstatus und andere normative Signifikanzen nicht nur für Interlokutoren, sondern auch für Delokutoren analysiert werden. Während sich ersteres bereits aus der pragmatischen Signifikanz intentionaler Verben im Rahmen der deontischen Kontoführung ermitteln ließ, sollen im Folgenden Delokutoren als Zeicheneffekte diskursiver Praktiken im Mittelpunkt stehen. Um ein Analysemodell der Delokutoren zu erstellen, sollten diskursrollenspezifische Signifikanzen ermittelt werden, welche Delokutoren von Interlokutoren einerseits und anderen Triangulationsobjekten andererseits unterscheiden. Eine Analyse von Delokutoren konzentriert sich zunächst auf das Verhältnis von Delokutoren zu Interlokutoren und die damit einhergehende relative Absenz von Delokutoren. Diese, welche sich spezifisch mit zeitlich-räumlicher Absenz, aber diskursiver Präsenz ausdifferenzieren lässt, kann die Funktion von Delokutoren im Rahmen der deontischen Kontoführung, der Semiose der Behauptung sowie der Signifikanzstruktur intentionaler Verben konkretisieren. 2 Ob der Ich-Du-Sozialität nach Brandom ein Vorrang eingeräumt werden muss, ist hingegen diskussionswürdig. Zwar beschäftigt sich Brandom (EV) vorrangig mit der diskursiven Praxis von Interlokutoren (Ich- Du-Sozialität), aber es gibt doch Indizien, die darauf verweisen, dass die Wir-Ich-Sozialität eine ebenbürtige Funktion hat. Nicht nur verweist Brandom gleich zu Beginn der Einleitung von Expressive Vernunft auf die Wichtigkeit des Wir (cf. EV: 35 f.), sondern er spricht an anderer Stelle auch davon, dass “ the arrival of thought [ … ] in individuals always presupposes already up-and-running discursive practices ” (RE: 334) und damit bereits eine kollektive und plurale Praxis (Wir). Brandoms Unterscheidung von Ich-Du- und Wir-Ich- Sozialität ist daher eher methodisch-funktional als ontologisch. 326 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms Delokutoren unterscheiden sich phänomenologisch zunächst nicht von anderen Triangulationsobjekten. Hinsichtlich ihrer universalkategorialen Struktur lassen sich Delokutoren zunächst als drittheitliches Relatum erfassen (cf. Kapitel 2.1.1). Dennoch unterscheiden sich Delokutoren hinsichtlich ihrer normativen Signifikanz von anderen Triangulationsobjekten, da sie über sozial-normative Strukturen verfügen, welche anderen Triangulationsobjekten in diskursiven Praktiken nicht gewährt werden: Während sich Triangulationsobjekte z. B. durch empirische Prädikate wie X ROT , X RUND , X SPRINGEND und X GLATTE OBERFLÄCHE (= roter Gummiball) auszeichnen, gelten für Delokutoren genuin diskursive Signifikanzen, die auf sozialen Normen beruhen und sie dadurch als Handlungselement in diskursive Praktiken einbetten. Durch diesen Unterschied wird die zentrale Frage der Konstitution von Delokutoren in den Mittelpunkt gestellt: Wie transformiert sich ein Triangulationsobjekt zu Delokutoren? Das Modell diskursiver Praxis, welches auf deontischer Kontoführung, der Semiose der Behauptung und intentionalen Verben beruht, soll also entsprechend um ein Modell von Delokutoren und deren Signifikanzen ergänzt werden. Mithilfe der Darstellung des delokutiven Registers 3 nach Francis Jacques (1986, 1991) sowie dessen Einbettung in ein Modell diskursiver Praxis möchte ich eine Delokutorenanalyse entwerfen. Die Beschreibung des delokutiven Registers und die damit einhergehende theoretische Entwicklung von Delokutoren sowie die Einbettung in ein Modell diskursiver Praktiken lässt sich in die bisherigen theoretischen Begründungen eingliedern. Denn sowohl Francis Jacques' Theorie des Dialogs als auch Brandoms deontische Kontoführung zeichnen sich durch eine grundlegende Relationalität aus. Insbesondere Francis Jacques betont die Bedingung der Relationalität für die Konstitution von interlokutiven Verhältnissen (cf. hierzu auch Quincey 2000: 150). 4 Francis Jacques unterscheidet in seiner Theorie des Dialogs zwischen einem allokutiven und einem delokutiven Register: Ich und Du stehen gemeinsam dem Er gegenüber wie die Person einer Nicht-Person, wie das Register für Personen dem für Gegenstände, während sie innerhalb des Registers für Personen einander gegenüberstehen als der, der spricht, und der, an den man sich wendet. In dieser Struktur dürfen Disparität und Asymmetrie nicht durcheinandergebracht werden. Zwischen dem delokutiven Register (das wovon man spricht) und dem allokutiven (definiert durch die Wechselbeziehung zwischen dem, der spricht, und dem, mit dem man spricht) besteht eine echte Disparität: Die Form ‘ er ’ steht der Nicht-Person ‘ dies ’ ( ‘ cela ’ ) insofern gegenüber, als sie sich in bezug auf die Korrelation der Subjektivität bestimmt, in der ‘ ich ’ und ‘ du ’ sich spezifizieren. 5 (1986: 35, Hervorh. im Original) 3 Der Ausdruck des delokutiven Register wird an geeigneter Stelle mit Begriff “ Delokutor ” übersetzt, um Missverständnisse hinsichtlich der varietäten- und soziolinguistischen Stilkategorie der funktionsspezifischen Schreib- oder Redeweise zu vermeiden. 4 So schreibt Jacques: “ Wenn wir miteinander verbunden sind, dann deshalb, weil wir bereits in der Wechselrede vereint waren. [ … ] Dieser Vorrang [ … ] unterstreicht aber bereits die Bedeutung der dialogischen Kategorie Subjekt - Adressat. Eine neue Sprachdimension wird sichtbar: Die Bewegung auf den Anderen zu, der nicht mehr nur Nachbar, Vertrauter, Kunde oder auch Mitarbeiter ist, sondern Gesprächspartner. Die Person des Anderen als Adressat: Man kann nicht über ihn sprechen, man kann ihn nur ansprechen. ” (1986: 33, Hervorh. im Original) 5 Die Unterscheidung zwischen Person und Nicht-Person ist ein Hinweis auf die Disparität bei Émile Benveniste: “ Man darf sich die ‘ 3. Person ’ nicht als eine Person vorstellen, die entpersönlicht werden kann. 15 Interlokutor und Delokutor - Analyse von DiskursakteurInnen 327 Die Beschreibung des allokutiven Registers von Francis Jacques lässt sich mithilfe der interlokutiven Relationen erklären, die bereits im Rahmen von sozial-kommunikativen Handlungsverben expliziert wurden. Bemerkenswert ist des Weiteren insbesondere die Deskription der Disparität zwischen interlokutiver Relation bzw. Interlokutoren und Delokutoren. Die Konstitution der Interlokutoren sowie deren diskursive Autoritäten entwickeln sich mehr oder minder aus deren Relation zueinander (cf. hierzu auch Arundale 2020). Die interlokutive Relation ist auf diese Weise hinreichend für die Konstitution von Interlokutoren. Delokutoren hingegen stehen sowohl in einer universalkategorialen Abhängigkeit als auch in einer sozial-normativen Dependenz zur interlokutiven Relation. Delokutoren sind also nicht aus sich selbst heraus konstituierbar, sondern erfordern Interlokutoren (als Effekt einer interlokutiven Relation). Francis Jacques definiert das delokutive Register hier noch als Objektergänzung, welches “ die Gegenstände ihres Diskurses bezeichnet ” (Jacques 1986: 105). Insofern gehören alle Triangulationsobjekte auch zum delokutiven Register. In der Einleitung von Difference and Subjectivity (1991) hingegen wendet sich Jacques den spezifischen Besonderheiten zu, die Delokutoren von anderen Triangulationsobjekten unterscheiden: Delocutive discourse about a third person is no less valid for attributing personal predicates to that person, however we choose to define properly personal predicates (as the reader will see, my definition is not the same as Strawson's) [ … ]. What is new here is the idea that there can be no personal identity without a certain relationship to an absent or distant third party. [ … ] This meant taking account of the third person and integrating it into the identificational process, as a third, but a person nevertheless. [ … ] The third person is relative to the first two in the circuit of their conversation, in relation to which it is precisely a third entity. (Jacques 1991: xv) Francis Jacques erfasst hier nicht nur das triangulative Verhältnis in diskursiven Praktiken, sondern auch die Besonderheit von Delokutoren: Während andere Triangulationsobjekte von der diskursiven Praxis bezüglich ihrer personalen und identitätsstiftenden Möglichkeiten unberührt bleiben, stehen Interlokutoren und Delokutoren in einer reziproken personalitäts- und identitätsstiftenden Relation. Die zuvor hervorgehobene Disparität von Interlokutoren und Delokutoren bleibt von dieser reziproken personalitäts- und identitätsstiftenden Relation weitgehend unbeeinflusst. Dennoch haben Delokutoren einen Platz entlang der interlokutiven Relation ( “ circuit of their conversation ” ). Kurz: Delokutoren sind diskursiv beteiligt, zeitlich-räumlich aber abwesend. Auf diese Weise lässt sich auch Francis Jacques' Explikation der Darstellungskategorien von Delokutoren erklären: In my definition, the third is a relatively absent person. This he/ she is not a person outside all possible communication, for that would mean being nobody. He or she is first and foremost a specific other, a third person who is still to some extent priviledged by the fact that one of the other two has already spoken, or will one day speak, to him or her, or might at least have done so in the past. He/ She does not stand outside the interlocutive process, but is simply not present at the moment when it is happening. [ … ] He/ She is not the you of this you who is my partner, another person's other, but instead is a person in his or her own right, because even if he or she is not a Es gibt keinen Wegfall der Person, sondern vielmehr eine Nicht-Person, die als Merkmal das Fehlen dessen besitzt, was spezifisch das ‘ ich ’ und das ‘ du ’ kennzeichnet. Weil sie keine Person impliziert, kann sie jedes beliebige Subjekt annehmen oder keines enthalten, wird niemand als ‘ Person ’ aufgestellt. ” (Benveniste 1974: 257 f.) 328 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms participant in the presently lived relation, he or she still retains a relationship both with a communicational past and with that invocation by others which gives him or her a future. (Jacques 1991: xvi, Hervorh. im Original) Delokutoren sind im Moment abwesende Personen [relatively absent persons], welche sich hinsichtlich ihrer semiotischen Präsenz (in Form sprachlicher Zeichen) auszeichnen. Die relative Absenz von Delokutoren konstituiert sich kraft der zeitlich-räumlichen Perspektivität der Interlokutoren. Sie sind sowohl über die diskurssemiotische Präsenz als auch durch eine zeitlich-räumliche Abwesenheit mit Delokutoren verbunden. Delokutoren sind dann diejenigen, die über die Möglichkeit verfügen, entsprechende diskursive Handlungen, auch sprachliche, auszuführen, aber es durch eine zeitlich-räumliche Absenz nicht tun (können). Im Ereignis der interlokutiven Relation, welche zeitlich-räumlich etabliert ist, findet damit auch eine sozial-normative Relation zwischen Interlokutoren und Delokutoren statt, weil Delokutoren bereits diskursive Handlungen ausgeführt haben (könnten) (präterital) oder hinsichtlich dieser befugt werden (konsekutiv). Die Setzung von Delokutoren (kraft sprachlicher Zeichen, hier intentionaler Verben) impliziert damit eine Akzeptanz von Delokutoren als mögliche Interlokutoren, zumindest dann, wenn die Setzung durch sozial-kommunikative Handlungsverben bzw. Sprechaktverben stattfindet. Die Setzung von Delokutoren in diskursiven Praktiken stellt eher die Regel als die Ausnahme dar. Dies liegt nicht nur daran, dass Delokutoren ebenso wie andere Triangulationsobjekte Thema in diskursiven Praktiken sein können, sondern insbesondere, weil dadurch ein flexibler Anschluss an andere Konstellationen von Praktiken geschaffen wird: In short, I am thoroughly delocuted by everyone, in according with the inherent relationship structures of my culture and the particular idioms by which they are actualized in my family, which are simply different ways for the group to understand that it exists within a social space. (Jacques 1991: 45, Hervorh. im Original) Die relative Reziprozität von Interlokutoren und Delokutoren findet hier ihre theoretische Reproduktion. Im Rahmen diskursiver Praxis konstituieren Interlokutoren Delokutoren wesentlich mit, indem sie kraft sprachlicher Zeichen personalitäts- und identitätsstiftende Relationen hervorbringen bzw. aufrufen. Andererseits stellen Interlokutoren selbst mögliche Objekte anderer diskursiver Praktiken dar, wo sie als Delokutoren auftreten können (z. B. bei Berufungen). Mit Progression und Reproduktion des Verhältnisses von Interlokutoren und Delokutoren projiziert Jacques also die sozial-kommunikative Dreigliedrigkeit, die sich bereits im triangulativen Potenzial intentionaler Verben abgezeichnet hat, auf komplexe Kommunikationsprozesse, sodass die Konzeption von Kommunikation als SprecherIn-HörerIn-Adjazenz, also die vermeintlich unmittelbare Relation zwischen beiden Funktionen, nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. Vielmehr zeigen Progression und Reproduktion die Vielschichtigkeit von Kommunikations- und Vergesellschaftungsprozessen an. Delokutoren kommt dabei eine konstitutive Funktion zu, da deren Existenz im Rahmen diskursiver Praktiken eine kommunikative und gesellschaftliche Differenzierung ermöglicht (cf. dazu Jacques 1992). Delokutoren hinsichtlich ihrer Absenz im Rahmen der interlokutiven Relation zu analysieren, bereitet die Deskription ihrer normativen Signifikanz in diskursiven Praktiken vor. Während Interlokutoren in der diskursiven Praxis bereits verortet wurden und sich kraft der deontischen Kontoführung um die Semiose der Behauptung positionieren, indem 15 Interlokutor und Delokutor - Analyse von DiskursakteurInnen 329 sie in einer reziproken Festlegungs- und Berechtigungsstruktur stehen, bleibt die Position von Delokutoren in der Semiose der Behauptung bisher offen. Wenn sich das Verhältnis von Interlokutoren und Delokutoren auch in diskursiven Praktiken konstituiert, dann lässt es sich auch mithilfe der Semiose der Behauptung modellieren. Tatsächlich hilft die Differenz von diskursiver Präsenz und zeitlich-räumlicher Absenz, um das Verhältnis von Interlokutoren und Delokutoren zu spezifizieren und auch auf Äußerungspraktiken anzuwenden. Rückt die Behauptung in den Mittelpunkt der diskursiven Praxis, dann gilt das Verhältnis von Interlokutoren und Delokutor als ein antonymisches Verhältnis: Während des semiosischen Behauptungsereignisses zeichnen sich Delokutoren durch diskursive Präsenz, aber zeitlich-räumliche Absenz aus, während Interlokutoren zeitlich-räumlich präsent, aber diskursiv abwesend sind. Diese Antonymie ist zunächst kontraintuitiv und scheint den Prinzipien der deontischen Kontoführung zu widersprechen. Allerdings erweist sie sich bei genauerer Betrachtung nicht nur als funktionale Beschreibung zur Analyse von Delokutoren, sondern auch als konstitutiver Faktor, welcher eine pragmatische Unterscheidung von Diskursakteuren ermöglicht und zugleich deren potenzielle Positionswechsel in einem Kontinuum erfasst. Auch hier hilft Francis Jacques' Darstellung vom delokutiven Register bzw. von Delokutoren: Delokutoren nehmen an diskursiven Praktiken nicht teil, weil deren zeitlich-räumliche Präsenz verschoben ist. Ihre diskursive Anwesenheit lässt sich kraft Zeichenpraktiken ermitteln, da die Möglichkeit der Triangulation eine Signifikanzstruktur erfordert, um triangulative Signifikanz zu erzeugen. Während sich konstitutive Eigenschaften von Delokutoren aus der Beschreibung Francis Jacques' ergeben, ist das antonymische Verhältnis der konstitutiven Eigenschaften von Interlokutoren im semiosischen Behauptungsereignis erklärungsbedürftig: Die zeitlichräumliche Präsenz von Lokutoren lässt sich mithilfe von Origorelationen erklären. Da Behauptungen aber erst über das Ereignis der Folgesprachhandlung (explizit) oder der Interpretation (implizit) von Allokutoren ihre pragmatische Signifikanz erlangen, gilt die zeitlich-räumliche Präsenz der Allokutoren während des Behauptungsereignisses ebenfalls. Interlokutoren ereignen sich in der zeitlich-räumlichen Struktur der sprachlichen Handlung zueinander. Die diskursive Eigenart der Behauptungsstruktur ist es, dass sie eine drittpositionelle Signifikanz eröffnet (triangulatives Potenzial), welche im Rahmen der kategorialen Behauptungsanalyse eine indexikalische Objektrelation erfordert (cf. Kapitel 14.2). Hier zeigt sich nicht nur der Unterschied zwischen Behauptungen und anderen sprachlichen Handlungen, sondern auch zwischen Behauptungsereignis und Behauptungsinterpretation. Andere Sprachhandlungen ermöglichen selbstverständlich andere Positionierungen von Diskursakteuren, z. B. Selbstbekundungen oder andere expressive Sprachhandlungen. Behauptungen zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass sie in einer diskursiven Distanz zu ihren Interlokutoren stehen. Daher lassen sich Interlokutoren auch nicht in Behauptungsstrukturen positionieren, sondern positionieren sich stets zu ihr mithilfe deontischer Kontoführung. Die Ereignishaftigkeit der Behauptung, welche bereits für ihre kategoriale Analyse erfasst wurde, ist auch für die diskursive Abwesenheit der Interlokutoren beachtenswert: Sequenziell nach dem Behauptungsereignis kann eine sprachliche Handlung die Relation zwischen Delokutoren und Interlokutoren herstellen (konsekutiv), aber diese Behauptungsinterpretation mit ihren eigenen inferenziellen Relationen hat mit 330 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms dem unmittelbaren Behauptungsereignis zunächst nichts zu tun. Das Behauptungsereignis selbst besitzt keine inferenziellen Relationen hinsichtlich des Verhältnisses und der Transformation von Delokutoren zu Interlokutoren (und vice versa), sondern kann allein instanziieren und positionieren. Das Behauptungsereignis strukturiert dabei allein virtuell die Folgeinferenzen, erfordert aber wiederum andere sprachliche Handlungen und/ oder Behauptungsinterpretationen, welche Folgeinferenzen instanziieren bzw. explizieren. Eine Analyse eines Behauptungsereignisses kann die Diskrepanz zwischen einer sprachlichen Markierung und der signifikativen Setzung bzw. Positionierung von Delokutoren exemplifizieren: (1) I 1 : “ Ich bin müde. ” Diese Äußerung ist hinsichtlich ihrer Sprachhandlungsklasse und damit auch der Setzung bzw. Positionierung von Delokutoren ambig. Sie kann einerseits als Behauptung interpretiert werden - z. B. im Rahmen einer ärztlichen Untersuchung - und damit Geltungsansprüche formulieren. Andererseits kann es eine expressive Sprachhandlung sein, welche aber dann keinen interlokutiven Geltungsanspruch markiert, sondern lediglich eine private Empfindung. Während die Äußerung bei beiden Interpretationen dieselbe bleibt (erstpersonal), unterscheidet sie sich bezüglich des Setzungsbzw. Positionierungspotenzials und damit auch der Signifikanz. Während eine private Empfindungsmitteilung tatsächlich auf die Position von Lokutoren verweist und diese damit hervorhebt, gilt dies nicht für eine Behauptung. Vielmehr setzen sich Lokutoren damit selbst als Triangulationsobjekt, welches drittpositionell ist ( “ Jemand, der ich bin, ist müde. ” ). Somit erklärt sich auch die diskursive Absenz der Interlokutoren im Behauptungsereignis. Weil es drittpositionelle Strukturen eröffnet, kann die diskursive Position des Behauptungsereignisses nicht von Interlokutoren besetzt werden. Die Interpretation der diskursiven Position als interlokutive Position führt zwangsläufig zur Interpretation der Äußerung als nicht-assertive sprachliche Handlung. Anhand der Semiose der Behauptung lässt sich somit die Position von Delokutoren bestimmen. Behauptungen konstituieren eine dritte bzw. delokutive Position, sodass Delokutoren in der Behauptung und damit diskursiv präsent sein können. Allerdings muss nicht jede dritte Position auch zwangsläufig Delokutoren erfordern. Eben jener Unterschied zwischen Delokutoren und anderen Triangulationsobjekten erfordert eine Spezifikation im Rahmen einer linguistischen Pragmatik. Francis Jacques wendet sich für diese Spezifikation eben jenen sprachlichen Zeichen zu, die im Rahmen dieser Arbeit als konstitutiv herausgearbeitet wurden: The personal pronoun ‘ he/ she ’ in the delocutive register and its grammatical flexions ( ‘ him/ her, ’ ‘ to him/ her ’ ) allow the attribution of certain predicates: in that case, the third person is delocuted as well, taking the objective position of active or passive participant in the action expressed by the verb in the statement. (Jacques 1991: 37) Anstatt von einer Anwendbarkeit von spezifischen (semantischen) Prädikaten auszugehen, hebt er die expressive Kraft von Verben hervor. Somit stehen weder logische Prädikate noch Personalpronomen im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses Jacques', sondern eine normative Signifikanz von Verben und deren diskursiven Positionierungspotenzialen. 15 Interlokutor und Delokutor - Analyse von DiskursakteurInnen 331 Zur Expressivität des Verbs hinsichtlich Delokutoren, so Francis Jacques, gesellt sich auch die relative Abhängigkeit der Delokutoren von Interlokutoren, welche sich auch entlang einer temporalen Kommunikationsachse entfaltet: In the case of the third person, the form ‘ he/ she/ it ’ calls down an indication onto someone or something. But he/ she and him/ her nevertheless refer to a person, the so-called third person. This is not because he/ she is you to the you who is the partner, the other's other. But because to make a third, it takes two others in a present relation, two others in relation to whom he/ she is a third. But he/ she remains a person because, while he or she ist not a participant in the presently lived relation, he or she continues to maintain a double link with a communicational past and with an address from someone else which gives him or her a future. (Jacques 1991: 37. Hervorh. im Original) Hinsichtlich der hierarchischen Staffelung salienter Elemente lässt sich das Verhältnis von Expressivität des Verbs und Relation von Delokutor und Interlokutor folgendermaßen zusammenfassen und auf das Konzept der Personalität übertragen: Man kann jemanden nur als Person benennen, wenn man zunächst seinen Diskurs als ein Ereignis in die Welt eingliedert und dann in der Nachricht selbst die Positionen des Sprechers und Angesprochenen bestimmt. (Jacques 1986: 119, Hervorh. im Original) Die Signifikation von etwas als Person (kraft des Verbs) etabliert diese in einem diskursiven Kontinuum. Aus der Delokutor-Interlokutor-Relation lässt sich außerdem ein Begriff der Personalität gewinnen, welcher im Rahmen einer linguistischen Pragmatik bzw. linguistischen Verbpragmatik nutzbar sein kann: [T]he very possibility of personhood implies that an individual can take his or her place within a communicational universe, with the opportunity of exercising his or her pragmatic competence. This is the condition sine qua non of his or her recognition there as a particular person. The individual then establishes him or herself in a network of interpersonal, and not just interindividual, relationships. (Jacques 1991: 242) Anstatt Personalität anhand diskurspezifischer Eigenschaften zu definieren, entwickelt sich die conditio sine qua non der Personalität entlang der sozial-kommunikativen Praxis und der pragmatischen Fähigkeiten von Delokutoren und Interlokutoren. Personalität, zumindest im Rahmen einer linguistischen Pragmatik, kann als normative Signifikanz verstanden werden, welche stets in Abhängigkeit von einem Netzwerk an interlokutiven Relationen steht. Nichts Anderes stellt letztlich das Konzept der diskursiven Intentionalität dar (cf. Kapitel 8.1). Mithilfe dieses Begriffs der Personalität und der Konstitution kraft der Semiose der Behauptung lässt sich das theoretische Vokabular der Interlokutor-Delokutor-Relation auch von anderen Begriffen in der Linguistik abgrenzen. Denn traditionell haben sich in der linguistischen Pragmatik theoretische Begriffe durchgesetzt, die das, was ich Interlokutoren und Delokutoren nenne, zu erfassen suchen: Sprecher und Hörer bzw. Adressat (ausführlich cf. z. B. Adamzik 2002). Vielfach wird selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Personen, die diese kommunikativen Funktionen übernehmen, auch über eine vorausgesetzte epistemische, diskursive und sozial-kommunikative Autorität verfügen (cf. exemplarisch Grice 1989, Searle 1971). Inwiefern diese Autoritäten aber selbst Effekte und Produkte diskursiver Praktiken sein können, wird dabei nicht immer hinreichend berücksichtigt. Zudem bleibt auch eine Sprecher-Hörer-Adjazenz selbst häufig unreflek- 332 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms tiert, was zu einer theoretischen Isolation der Sprecherbzw. Hörer-Position führen kann. Wenn man aber Interlokutoren und Delokutoren als Effekte der im Rahmen diskursiver Praxis involvierten diskursiven Rollen versteht, ist ihre reziproke Relationalität eine notwendige Bedingung ihrer Existenz, was eine Isolation der entsprechenden Positionen theoretisch ausschließt. Auch Delokutoren unterscheiden sich von begriffsähnlichem Vokabular: Referenzobjekt fokussiert die dingliche Seite, aber nicht die Möglichkeit, über Personalität zu verfügen; Bezeichnete, Besprochene, Beschriebene erfassen einen semiotischen, medial mündlichen bzw. medial schriftlichen Prozess, aber nicht die sozial-normativen Implikationen; die Konstruktion Reden über ist als idiomatische Prägung zwar relativ neutral, aber nicht nur metaphorisch, sondern sagt letztlich nichts über das dahinterliegende Konzept aus. Delokutoren hingegen sollten als diskursive Effekte von Praktiken erfasst werden, die sich wesentlich von Referenz- oder Triangulationsobjekten unterscheiden: weil sie als über Gründe verfügend signifiziert werden und damit diskursiv auch die Position von Interlokutoren übernehmen können. Außerdem unterscheiden sich Lokutor, Allokutor und Delokutor von Diskursrollen, welche “ eine durch ein sprachliches Etikett ausgedrückte Selbstund/ oder Fremdzuschreibung von Sprecherinnen und Sprechern innerhalb eines Diskurses [ist], die dadurch einer Akteursgruppe zuzuordnen sind, welche relativ zum Diskurs stabil ist ” (Müller 2015: 37). Während Diskursrollen die soziokommunikative Gruppenund/ oder Institutionszugehörigkeit beschreiben, erfassen Lokutor, Allokutor und Delokutor sozial-normative Befähigungen, die zwar einzeldiskursiv erlebt und konstituiert werden, aber teilweise eine universaldiskursive Gültigkeit beanspruchen. Denn unabhängig davon, in welchen spezifischen diskursiven Praktiken identifikatorische Selbst- und Fremdzuschreibungen stattfinden, setzen diese die Möglichkeit der sozial-kommunikativen Beteiligung theoretisch voraus. Weil bei der Verwendung des traditionellen theoretischen Vokabulars die oben genannten Schwierigkeiten entstehen können, wurde hier von dieser Terminologie Abstand genommen, um sich über ein alternatives Vokabular dem Phänomen nähern zu können. Denn schließlich ist das Spektrum der personalen Bezeichnungsformen mit den traditionellen Begrifflichkeiten nicht erschöpft (für einen Überblick cf. schon Tesnière 1980: 107 - 111, insb. 110). Zusammenfassend zeigt diese theoretische Verortung der Konzepte Interlokutor und Delokutor und die Abgrenzung von anderen theoretischen Begriffen, dass sie für ein Modell diskursiver Praktiken nicht nur anschlussfähig sind, sondern dieses erweitern. Anschließend an Francis Jacques' Theorie des Dialogs, welche die Interdependenz von Interlokutoren und Delokutoren aufzeigt, können diese Konzepte nicht nur auf eine Semiose der Behauptung, sondern auch auf Verben angewandt werden. Diese Verben konstituieren dann auch interlokutive und delokutive Relationen und Relata. Diskursakteure werden damit konsequent aus der Perspektive des Verbs bzw. deren signifikativer Struktur analysiert. Sie lassen sich als Spuren in Handlungsdeskriptionen nachweisen. Damit stehen mit Interlokutor und Delokutor analytische Begriffe bereits, um die explizite und implizite Verstrickung von Personen in diskursiven Praktiken zu demonstrieren. 15 Interlokutor und Delokutor - Analyse von DiskursakteurInnen 333 15.3 Universalkategoriale Strukturen der Interlokutor-Delokutor-Relation Bevor die sozialen, interlokutiven und delokutiven Relationen und Relata anhand intentionaler Verben im Rahmen der linguistischen Verbpragmatik erforscht werden können, soll ein argumentativer Schritt vollzogen werden, der von der Involviertheit von Delokutoren und Interlokutoren in diskursive Praktiken zu einer sozialkategorialen Grundstruktur führt. Denn Interlokutoren und Delokutoren als Strukturelemente von Verben zu betrachten, ist insofern irreführend, als dass es sich dabei traditionell um Personen oder Akteure und nicht um verbstrukturelle Merkmale handelt. Dass Interlokutoren und Delokutoren dennoch als von Verben signifizierte Elemente diskursiver Praktiken analysiert werden können, zeigt sich über die Darstellung der universalkategorialen Grundstruktur, auf der die verschiedenen Strukturpositionen von Interlokutoren und Delokutoren beruhen. Daher werde ich im Folgenden eben jene Grundstruktur in der Analyse diskursiver Praktiken veranschaulichen. Dazu möchte ich mit einem Vergleich des Konzepts der gemeinsamen Aufmerksamkeit und der Triangulation strukturelle Ähnlichkeiten herausarbeiten, die sich in einem weiteren Schritt (und einer Orientierung an der semiotischen Anthropologie) als kategorial motiviert begreifen lassen. Anschließend lässt sich eine universalkategoriale und soziale Grundstruktur erfassen, die sich auch in Strukturen (vieler) intentionaler Verben wiederfindet. Die kategoriale Analyse, die in diesem Kapitel vollzogen wird, basiert auf der universalen Kategorienlehre Peirces (cf. Kapitel 2.1.1). Ich folge dabei der These, dass sich sowohl das Konzept der gemeinsamen Aufmerksamkeit als auch Triangulation als semiotische Universalien verstehen lassen, die mithilfe der Kategorienlehre Peirce rekonstruieren werden können. Über dieses Argument erhält nicht nur die Signifikanz diskursiver Rollen eine universalkategoriales Grundgerüst (cf. Kapitel 12.4 und 15.2). Auch Brandoms Modell der deontischen Kontoführung wird damit als semiotisch fundiert verstanden (cf. Kapitel 14.1). In der Sozialpsychologie ist gemeinsame Aufmerksamkeit [joint attention] ein etabliertes Konzept. 6 Zur Einführung: Säuglinge im Alter von neun bis zwölf Monaten beginnen, sich nicht nur mithilfe indexikalischer und deiktischer Gesten auf Objekte zu beziehen, sondern entwickeln Verhaltensweisen, die andere Individuen - z. B. Mutter oder Vater - in den Aufmerksamkeitsbereich sowie den Erkenntnisprozess einbeziehen. Sie koordinieren ihr Verhalten mithilfe des anderen Individuums, sodass die Interaktion “ in einem referenziellen Dreieck von Kind, Erwachsenem und Gegenstand oder Ereignis ” (Tomasello 2002: 78) stattfindet. Während die bisherige Interaktion mit der Welt in einem Wechselverhältnis zwischen Kind und Objekt bestanden hat, wird hier erstmals die Aufmerksamkeit mit anderen Individuen koordiniert. Dieser ontogenetische Entwicklungsschritt bildet eine Vorstufe zur Fähigkeit der Theory of Mind (ToM), welche sich in den Folgemonaten und -jahren ausbildet. Deshalb definiert Michael Tomasello die gemeinsame Aufmerksamkeit als “ emerging understanding of other persons as intentional agents ” (Tomasello 2014: 103). Tatsächlich beinhaltet gemeinsame Aufmerksamkeit nicht nur die Grundlagen einer ToM. Vielmehr entwickelt sich aus den präsozialen Gesten des Kindes im Rahmen der gemein- 6 Einen Überblick bieten hier z. B. Eilan/ Hoerl/ McCormack/ Roessel (2005), Metcalfe/ Terrace (2013), Moore/ Dunham (2014) und Seemann (2011). 334 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms samen Aufmerksamkeit eine Form von sozialen Indices (cf. West 2014: 36 f.), welche die soziale Bezüglichkeit zwischen den Individuen herstellen. Gemeinsame Aufmerksamkeit findet immer vermittelt statt. Sie erfordert also Zeichen, um zu gelingen und den Aufmerksamkeitsbereich zu koordinieren. Zur Koordination bedarf es indexikalischer oder deiktischer Zeichen, die je nach ontogenetischer Entwicklungsphase des Kindes prototypische, präsoziale, soziale und/ oder sprachliche Formen annehmen (cf. hierzu West 2012, insb. 320): Zunächst steht das Kind in einer präsozialen indexikalischen Relation zu den Objekten seiner Umwelt, indem es diese mit seinen Blicken erfasst. Erst im Laufe der Kindesentwicklung lernt es den Blicken und Gesten anderer Individuen zu folgen und auf die entsprechenden Objekte zu richten (soziale unidirektionale Indexikalität) und anschließend im Rahmen der gemeinsamen Aufmerksamkeit die soziale Relation zu anderen Individuen mithilfe indexikalischer Gesten und Blicke zu koordinieren. In einem letzten Schritt können dann indexikalisch-symbolische Hybridzeichen (deiktische und sprachliche Zeichen) genutzt werden, um koordinierte Aufmerksamkeitsbereiche zu konstituieren. Erst ab der Ebene der gemeinsamen Aufmerksamkeit lässt sich tatsächlich von einer sozialen und indexikalischen Koordination zwischen den unterschiedlichen Individuen und Objekten sprechen. Das Konzept der gemeinsamen Aufmerksamkeit sowie deren Vorläufer- und Nachfolgerentwicklungsstufen zeigen einerseits, dass Kleinkinder im Rahmen ihrer Entwicklung die Koordination mit verschiedenen Personenbzw. Objektpositionen erlernen und diese in soziale Relationen einbinden. Gleichzeitig zeigt sich, dass sprachliche Fähigkeiten zunächst nicht notwendig sind, um gemeinsame Aufmerksamkeit zu koordinieren, was eher für eine universalsemiotische als für eine universalsprachliche Strukturierung von gemeinsamer Aufmerksamkeit spricht. Dennoch erwerben Kleinkinder mit sprachlichen Zeichen ein ausdifferenziertes Verweissystem, welches Koordination der gemeinsamen Aufmerksamkeit einerseits vereinfacht und andererseits komplexere Koordinationsprozesse ermöglicht. Auch die Sprachphilosophie Donald Davidsons verfügt über ein Konzept, welches die Individuum-Welt-Interaktion und soziale Beziehungen erfasst und sie als eine Bedingung von Objektivität markiert: Die Grundsituation ist eine, an der mindestens zwei gleichzeitig miteinander und mit ihrer gemeinsamen Welt interagierende Lebewesen beteiligt sind. Ich nenne das Triangulation. Sie ist das Resultat einer dreifachen Interaktion - einer Interaktion, die vom Standpunkt jedes der beiden Akteure zwei Seiten hat: Jeder der beiden interagiert gleichzeitig mit der Welt und dem jeweiligen anderen Akteur. (Davidson 2004: 220, Hervorh. im Original) Tatsächlich ähneln sich das Konzept der Triangulation und der gemeinsamen Aufmerksamkeit theoretisch (cf. Eilan 2005: 7 f.), fokussieren aber unterschiedliche Aspekte von interaktionalen, sozialen und diskursiven Praktiken: Triangulation ist nicht nur eine Bedingung einer ToM, sondern der sozial-normativen Denkfähigkeit im Allgemeinen (cf. Davidson 2004: 220). Während andere Lebewesen zwar die Fähigkeit der (wechselseitigen) Aufmerksamkeit besitzen, ist eben die gemeinsame Bezugnahme, die gleichzeitig zwischen Objekten und sozialen Wesen stattfindet, eine Bedingung eines propositionalen Denkens, welches über sozial-normativ gegliederte und inferenzielle Begriffe und Konzepte verfügt. Erst in der Triangulation wird diese sozial-normative Denkfähigkeit hergestellt. Das Konzept der Triangulation sattelt sich damit theoretisch auf das Konzept der gemeinsamen 15 Interlokutor und Delokutor - Analyse von DiskursakteurInnen 335 Aufmerksamkeit auf, indem es nicht nur von einer gemeinsamen Aufmerksamkeit der Individuen, sondern von deren sozial-normativer Verstrickung innerhalb von Interaktionsprozessen ausgeht. Erst die sozial-normative und triangulierte Ausgestaltung der Lebenswelt als Zeichenwelt, die über indexikalische und deiktische Zeichen hinausgehen, ermöglicht eine Teilhabe als diskursives Wesen. Dass sowohl die Konzepte der gemeinsamen Aufmerksamkeit als auch der Triangulation auf universalbzw. sozialkategorialen Strukturen beruhen, kann mithilfe eines Arguments der semiotischen Anthropologie bekräftigt werden. Diese semiotische Anthropologie beruht auf den universalen Kategorien Charles S. Peirces und ist daher mit den hier eingeführten zeichentheoretischen Grundlagen vereinbar. Im Frühwerk Charles S. Peirces finden sich bereits Hinweise, dass sich die Grundpositionen, die vom Konzept der gemeinsamen Aufmerksamkeit und Triangulation beschrieben werden, mithilfe der universalen Kategorienlehre erklären lassen: Erstheit, Zweitheit und Drittheit nennt Peirce um 1859 noch I, IT und THOU (cf. Fisch 1982: xxviiff., W1: 46) und bezeichnet diese damit mithilfe von Personalpronomina, die aber nicht nur eine substitutive, sondern auch eine soziale Funktion implizieren (cf. hierzu z. B. Bakker 2011, Wiley 1994: 18 f.). Die universalen Kategorien situieren die jeweiligen sozialen Relationen in einer phänomenalen Grundstruktur. Zeichengebrauch positioniert entsprechende Objekte entlang von phänomenalen Achsen, die sich als semiotische Grundpositionen entwickeln lassen. Außerdem gilt: Wenn die universalen Kategorien der Erstheit, Zweitheit und Drittheit eine theoretische Entwicklung von I, IT und THOU sind, dann können die Aspekte der Kategorialität und der Relationalität, die für universale Kategorien gelten, auch für I, IT und THOU angenommen werden (cf. Kapitel 2.1.1). Die von I, IT und THOU markierten Grundpositionen unterscheiden sich demnach phänomenal, stehen aber dennoch in Relation zueinander. Die universalsemiotischen und sozialen Grundpositionen und Relationen von I, IT und THOU macht sich die semiotische Anthropologie zu eigen, um ihre anthropologische Konstanz zu belegen und die fehlenden Ausführungen Peirces zu I, IT und THOU nachzuholen. Sie verbinden die universalen Kategorien mit sozialen Funktionen, sodass diese einen “ all-embracing ahistorical context in which every other species of discourse could be assigned its proper place or rank ” (Rorty 1982: 161, cf. auch Leaf 1989: 172) darstellen. I, IT und THOU stellen somit einen diskursiven Kontakt zwischen den ahistorischen, universalanthropologischen und phänomenologischen Kategorien und den historischen, semiotischen und auch diskursiven Praktiken her. Insbesondere in der Verbindung mit einer semiotischen Analyse von sozial-kommunikativen Prozessen stellen I, IT und THOU ein phänomenales Bezugssystem dar. So fasst Murray J. Leaf zusammen: Thus semiotic analysis is at one and the same time an analysis of communication, culture and social structure; the I-thou-it paradigm is the basic framework of communication, the conceptual basis of cultural traditions, and the building block of social structure. It is not just a logical analysis or elaboration of a general view of what the presumptions of communication must be. (1989: 175) Das I-THOU-IT-Paradigma, welches Leaf auch “ self-other-it-relation ” (1989: 187) nennt, ist ein Fundament von sozial-kommunikativen und diskursiven Prozessen und figuriert die Grundpositionen und -relationen präsemiotisch. Obwohl sich das I-THOU-IT-Paradigma 336 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms präsemiotisch figuriert, konstituieren sich die jeweiligen Grundpositionen im Rahmen diskursiver Praktiken stets neu. Die jeweiligen Grundpositionen und -relationen lassen sich allerdings nicht nur über indexikalische und deiktische Zeichen erschließen, wie es noch das Konzept der gemeinsamen Aufmerksamkeit nahelegt. Vielmehr impliziert jeder referenzielle Zeichenprozess einen Bezug zum I-THOU-IT-Paradigma, sodass auch andere Zeichen im Rahmen sozialkommunikativer Prozesse auf die entsprechenden Grundpositionen und -relationen verweisen. Damit wird das I-THOU-IT-Paradigma als anthropologische Konstante und semiotische Universalie behandelt. Die epistemische Kluft zwischen universalen Kategorien und sozialen bzw. diskursiven Funktionen erklärt auch, warum die entsprechenden universalen Kategorien, die das I- THOU-IT-Paradigma spezifizieren, sich nicht verändern, während die jeweiligen Diskursakteure, unterschiedliche Grundpositionen im I-THOU-IT-Paradigma einnehmen können. Da die entsprechenden sozialen bzw. diskursiven Funktionen sich während diskursiver Praktiken stets kon- und refigurieren und dadurch stets neu konstituieren (cf. hierzu Singer 1984: 74 f.), lassen sich z. B. die Interlokutoren und Delokutoren als zeichenprozessuale Momente begreifen und nicht als zeitlich-räumliche und historische Konstanten. Mithilfe des I-THOU-IT-Paradigmas der semiotischen Anthropologie, welches die Grundlage von gemeinsamer Aufmerksamkeit und Triangulation bildet, lässt sich nun eine Darstellung der verschiedenen theoretischen Elemente entwickeln, welches die universalen Kategorien mit sozialen und diskursiven Funktionen verbindet. Das Modell, welches die Anwendung des I-THOU-IT-Paradigma auf intentionale Verben vorbereitet, umfasst damit sowohl eine soziale bzw. sozial-kognitive (im Sinne von Interlokutoren und Delokutoren, der Theorie gemeinsamer Aufmerksamkeit und Triangulation) als auch eine phänomenal-anthropologische Dimension (im Sinne der semiotischen Anthropologie). Im Rahmen der Relationalität von Zeichenprozessen können Grundpositionen und -relationen Abb. 17: Grundpositionen und -relationen 15 Interlokutor und Delokutor - Analyse von DiskursakteurInnen 337 zudem in ein Verhältnis gesetzt werden, was die Grundpositionen als relationale Produkte oder Effekte (Relata) der kategorialen Relationen markiert. Diese Darstellung der Grundpositionen und -relationen markiert unterschiedliche Funktionen innerhalb der Konstitution von sozialen Relationen, ohne zunächst vom expliziten Gebrauch spezifischer grammatischer Strukturen (im Sinne von z. B. Pronomina) auszugehen. Somit stellt es eine Deskription der unterschiedlichen Zeicheneffekte und -produkte bereit, welche bei der kategorialen Konstitution von diskursiven Rollen beteiligt sind. Diagrammatisch verwendet das Modell zwei wesentliche Konstituenten: sozialkategoriale Relationen und ihre sozialen Relata. Die sozialkategorialen Relationen sind mithilfe der kategorialen Universalien Charles S. Peirces bezeichnet und verweisen somit auf die phänomenologische Grundstruktur der im Modell dargestellten Relationen. Die sozialen Relata sind Effekte und Produkte der sozialkategorialen Relationen und stehen außerdem in gegenseitigen Kraftverhältnissen zueinander. Die hier gewählten Bezeichnungen orientieren sich zwar an den deutschsprachigen Personalpronomina, doch lassen sie sich nicht auf diese reduzieren. Deshalb werden die Relata im Folgenden nicht mit grammatischen Benennungen ( “ ich ” , “ du ” , “ er/ sie/ es ” usw.), sondern mit Kapitälchen bezeichnet, um den kognitiv-semiotischen Aspekt des jeweiligen Zeichenereignisses bzw. -typs zu veranschaulichen (ICH, DU, ER-SIE-ES usw.). Dadurch kann die semiotische Nachbarschaft zwischen grammatischen Partikeln und kognitiv-semiotischen Zeichenereignissen bzw. -typen einerseits betont werden, aber auch ihre kategoriale Differenz aufrechterhalten bleiben. Als Kapitälchen markieren sie die sozialkategorialen Funktionen und sind nicht diskursiv etabliert, aber semiotisch konstituiert, da ihnen zu diskursiven Rollen noch eine sozialnormative Einbettung fehlt. Das Modell der Grundpositionen und -relationen entwickelt sich aus der zweitheitlichen Relation zwischen ICH und DU. Es stellt das Zentrum der Entwicklung der sozialen Rollen dar, was allerdings nicht bedeutet, dass es sich um eine höherrangige sozialkategoriale Relation handelt. Vielmehr stellt es eine grundlegende Differenz zwischen sozialen Funktionen her und entfaltet somit einen Raum, der die Differenzierung unterschiedlicher Grundpositionen eröffnet. ICH und DU sind soziale Funktionen, die kraft dieser sozialkategorialen Relation konstituiert werden, wobei diese weder Sender und Empfänger noch Sprecher und Hörer sind, sondern phänomenologische Positionen, die sich aus Zeichenereignissen konstituieren. Während die sozialkategoriale Zweitheit eine Differenz von ICH und DU konstituiert, konstituieren diese gemeinsam auf Pluralebene ein funktionales WIR. Während der Konstitution verhält sich WIR allein als additive Einheit. WIR konstituiert sich zwar im Rahmen einer ICH-DU-Relation, doch ist es mengentheoretisch offen, sodass die Anzahl der Konstituenten potenziell unbegrenzt ist. Der Singular komplementiert sich mit einem ER-SIE-ES-Relatum, welches nur im Verhältnis zur ICH-DU-Relation besteht, aber gleichzeitig die Dynamik der sozialkategorialen Relationen einerseits garantiert und andererseits durch dessen Existenz triangulative Prozesse erst ermöglicht. Sozialkategorial zeichnet es sich daher als Drittheit aus, welche sich in reziproken Relationen äußert. Die Richtung, die zwischen ER-SIE-ES und der ICH- DU-Relation markiert ist, markiert das Fakultativitätsverhältnis von ER-SIE-ES und WIR. 338 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms Während eine ICH-DU-Relation hinreichend ist, um ein WIR zu konstituieren, ist das Verhältnis zwischen WIR und ER-SIE-ES im Rahmen der phänomenalen Struktur kontingent: Ob ER-SIE-ES ein Element vom WIR ist, kann sich erst innerhalb einer diskursiven Praxis zeigen. Im Plural reproduzieren sich die sozialkategorialen Relationen und sozialen Relata, sodass die jeweiligen Funktionen im Plural dieselben sind wie im Singular. Dies umfasst sowohl die universalen Kategorien als auch ihre Fluchtlinien. Der wesentliche Unterschied ist die Binnenstruktur der pluralen Relata, die somit die Möglichkeit unterschiedlicher Relationen eröffnet, die nicht im Modell abgebildet sind. Die differenzierten Relationen ermöglichen dann die Intensivierung der sozialkategorialen Relationen, welche wiederum komplexe Relata konstituieren (z. B. exklusives oder inklusives WIR). Das Modell der Grundpositionen und -relationen ist nicht hermetisch, sondern stellt ein dynamisches und offenes System dar, sodass sich die sozialkategorialen Relationen auf höherer Ebene immer wieder reproduzieren können und sich dann rekursiv durch ihre jeweiligen Elemente der untergeordneten Ebene definieren, was sich bereits am Verhältnis von Singular und Plural zeigt. Allerdings kommen in diesem Rahmen keine weiteren sozialkategorialen Funktionen hinzu, sondern allein Relata. Resümierend lässt sich feststellen, dass die Darstellung der Grundpositionen und -relationen die sozialkategorialen und kognitiv-semiotischen Funktionen markiert und relationiert, die Interlokutoren und Delokutoren (und auch diskursive Rollen) innerhalb von diskursiven Praktiken begründen. Die phänomenale Struktur der Grundpositionen und -relationen etabliert somit eine universalsemiotische Architektur, die die Dynamik der sozialen Funktionen erst ermöglicht. Diese kurze Zusammenfassung der Konzepte der gemeinsamen Aufmerksamkeit, der Triangulation und von Aspekten semiotischer Anthropologie zeigt also, dass sich diskursive Praktiken auch anhand von universalsemiotischen Grundpositionen und -relationen analysieren lassen. Diese fundieren kommunikative und soziale Funktionen, die von Interlokutoren und Delokutoren in diskursiven Praktiken übernommen werden. Die universalsemiotischen Grundpositionen und -relationen, die hier vorgestellt wurden, erklären die kategoriale Struktur diskursiver Praktiken. Die vorstellten kommunikativen Funktionen, die von Äußerungen signifiziert werden (cf. Kapitel 14.2 und 15.2), sind damit keine frei flottierenden Zeichen mehr, sondern werden in diskursiven Praktiken an diese kategoriale Struktur rückgebunden. Damit erfüllt sich auch die Annahme der semiotischen Kontinuität von Handlungsinterpretation. Handlungskonstitution und Handlungsdeskription. Denn in dem hier präsentierten Verständnis sind intentionale Verben als semiotische Elemente untrennbar mit einer kategorialen Grundstruktur verbunden, sodass die von ihnen signifizierten kommunikativen Funktion mit Personen verknüft werden. 15.4 Verbpragmatik und Triangulation Die bisherigen Reflexionen zu Diskursakteuren haben sich auf das schematische Äußerungskonzept Per Aage Brandts (cf. Kapitel 15.1), Interlokutoren und Delokutoren (cf. Kapitel 15.2) und universalkategoriale Strukturen (cf. Kapitel 15.3) beschränkt. Die Einlösung eines verbpragmatischen Forschungsprogramms ist bisher offengeblieben. Daher 15 Interlokutor und Delokutor - Analyse von DiskursakteurInnen 339 demonstriere ich mithilfe einer relationslogischen Analyse, die auf dem theoretischen Vokabular der diskursiven Signifikanz intentionaler Verben fusst (cf. Kapitel 12), wie soziale und kommunikative Funktion verbpragmatisch darstellbar sind. Die relations- und zeichenlogischen Grundlagen Peirces (cf. Kapitel 2, 9.1 und 12.2) und sprach- und handlungstheoretische Aspekte Brandoms (cf. Kapitel 3 und 8) werden hierzu um die Analyse der letzten Kapitel ergänzt. Die folgende Analyse reflektiert damit Konzepte wie gemeinsamer Aufmerksamkeit und Triangulation oder das Dialogmodell Francis Jacques' unter verbpragmatischen Gesichtspunkten. Die sozialen und kommunikativen Funktionen, die von Personen in diskursiven Praktiken inkorporiert werden und hier exemplarisch an Francis Jacques' Theorie des Dialogs erklärt und mithilfe der Konzepte der gemeinsamen Aufmerksamkeit, der Triangulation und von Aspekten semiotischer Anthropologie vertieft wurden, sollen im Folgenden verbpragmatisch analysiert werden. Intentionale Verben verfügen über Signifikanzstrukturen, die nicht nur die Grundpositionen und -relationen nachbilden, sondern auch soziale und kommunikative Gefüge in diskursiven Praktiken etablieren. Dass intentionale Verben nicht nur Handlungen und pragmatische Signifikanz konstituieren, sondern auch Strukturen signifizieren, die über die intentionale Relation selbst hinausgehen, hat bereits die theoretische Entwicklung diskursiver Rollen und sozialer, kooperativer und kollektiver intentionaler Relationen gezeigt (cf. Kapitel 12.4). Während diskursive Rollen aber Handlungspotenziale von Personen aufzeigen, habe ich mithilfe der Begriffe der Interlokutoren und Delokutoren eine Analysemöglichkeit aufgezeigt, welche auch die Positionierung in diskursiven Praktiken erfasst, ganz im Sinne erst-, zweit- und drittpersonaler Deskription. Diese Möglichkeit, kombiniert mit dem Handlungspotenzial diskursiver Rollen, soll im Folgenden eine Analyse von Interlokutoren und Delokutoren in diskursiven Praktiken ermöglichen. Anhand exemplarischer Analysen soll nicht nur die Definition der diskursiven bzw. zeitlich-räumlichen Präsenz bzw. Absenz veranschaulicht werden. Auch möchte ich die Komplexität delokutiver und interlokutiver Relationen bzw. Relationsgefüge in diskursiven Praktiken aufzeigen. Die Analyse von Interlokutoren und Delokutoren unterscheidet sich dabei insbesondere in zwei Aspekten von der Analyse der pragmatischen Signifikanz: Es handelt sich dabei um eine Analyse von Personen und nicht von Handlungen. Auch wenn intentionale Verben und damit auch deren Handlungsdeskription im Mittelpunkt des Modells stehen, liegt der Fokus hier auf diskursiven Rollen sowie auf den jeweiligen Grundpositionen und -relationen. Es geht also weniger darum, was inferenziell (und handlungstheoretisch) aus Handlungsdeskriptionen folgt. Vielmehr geht es um eine Analyse der Verhältnisse von Diskursakteuren, die aus interlokutiven und delokutiven Relationen erwachsen. Die Deskription folgt damit eher anaphorischen Relationen und Bezugsrelationen als Handlungsinferenzen. Im Modell, so soll sich zeigen, spiegelt sich dies durch diagrammatische Anschlussstellen wider: Während sich latente Handlungsstrukturen und pragmatische Signifikanz entlang der Kante des triangulativen Modells erfassen lassen (z. B. als präteritale oder konsekutive Handlungsdeskriptionen, cf. Kapitel 12.6), sind es die Knoten des Modells (also diskursive Rollen und deren anaphorische Relationen), welche für eine Analyse von Interlokutoren und Delokutoren relevant sind. Im Folgenden möchte ich das Analysemodell, welches bereits in der Analyse der pragmatischen Signifikanz angelegt ist, weiterentwickeln und anhand einiger Beispiele 340 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms veranschaulichen. Zunächst soll die Signifikanzstruktur einer sprachlichen Handlung die Positionierung von Interlokutoren und Delokutoren nochmals exemplifizieren und die Notwendigkeit einer Verbanalyse betonen. Anschließend dienen die Handlungsdeskriptionen der Verben verkaufen und berufen auf als strukturgebende Beispiele, wie sich anhand von kooperativen bzw. sozial-kommunikativen Handlungsverben Handlungsgefüge entfalten, die komplexe Interlokutor-Delokutor-Relationen beinhalten. Die damit beschriebene Analyse von Interlokutoren und Delokutoren ergänzt dann sowohl die Deskription diskursiver Rollen als auch die Analyse von pragmatischer Signifikanz. Die zeichenrelationale Triangulation im Rahmen der Semiose der Behauptung, die bereits in der Analyse der pragmatischen Signifikanz erörtert wurde (cf. Kapitel 14), dient als Ausgangspunkt der Argumentation und Analyse von Interlokutoren und Delokutoren. Exemplarisch ist dabei folgender Deklarativsatz: (2) Vor einem Jahr wurde der Landtag in Kundus eröffnet, gebaut mit deutschen Steuermitteln. (aus: DIE ZEIT Nr. 36/ 2018) Dieser Deklarativsatz ist hinsichtlich seiner pragmatischen Signifikanz ambig, wenn er in sozial-kommunikativen Praktiken noch nicht als Handlung interpretiert wurde. Plausibel ist es, diese syntaktische Einheit als Behauptung zu verstehen, sodass über die Äußerungsebene hinaus auch pragmatische Aspekte bei der Analyse berücksichtigt werden sollten. Die Signifikanzstruktur sowie die zeichenrelationale Triangulation des Modells intentionaler Verben zur Konstitution von sprachlichen Handlungen lässt sich damit auf den Deklarativsatz anwenden, sodass folgende intentionale Relationen an der Konstitution des Deklarativsatzes als Behauptung beteiligt sind: [[X DRausG ] ← SOZ INTENTIONAL EMSIF → [Z DRmitG ]], [[X DRausG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] und [[Z DRmitG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]]. Diese drei intentionalen Relationen markieren pragmatisch eben jene Aspekte, die bereits in der Analyse der pragmatischen Signifikanz berücksichtigt wurden. Die Äußerungsebene von (1) zeigt nun, dass die syntaktische Einheit auf ein Relatum Y iO (Eröffnung des Landtags in Kundus) verweist, aber weder X DRausG noch Z DRmitG explizit markiert werden. Diese Annahme deckt sich nicht nur mit der konstitutiven Kraft der Semiose der Behauptung, sondern auch mit dem Distinktionsmerkmal von Interlokutoren als zeitlich-räumlich präsent, aber diskursiv absent. Das Thema (hier: Eröffnung des Landtags in Kundus) sowie ggf. die weiteren semantischen Gehalte der sprachlichen Handlung gelten hier als intentionales Objekt. Weil [[X DRausG ] ← SOZ INTENTIONAL EMSIF → [Z DRmitG ]], [[X DRausG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] und [[Z DRmitG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] sich im Modell außerdem triangulativ anordnen, ist dies eine drittpersonale Markierung (grammatisch), während die kraft der Signifikanzstruktur positionierten Interlokutoren erstbzw. zweitpersonal sind (Lokutor und Allokutor). Schon auf dieser Ebene zeigt sich, dass Behauptungen stets als triangulative Strukturen analysiert werden können. Allerdings weist Y iO hier keinen Status als Delokutor auf. Allein auf Basis von Inferenzen (und der damit einhergehenden Attribuierung von diskursiver Intentionalität) kann der grammatisch drittpersonalen Position kein Handlungspotenzial zugewiesen werden, sondern allein möglichen inferierten beteiligen Personen (z. B. denjenigen, die den Landtag eröffnet haben). Insofern dient dieses Beispiel zwar der Analyse der impliziten Involviertheit von Interlokutoren, die kraft der Interpretation des Deklarativsatzes als Be- 15 Interlokutor und Delokutor - Analyse von DiskursakteurInnen 341 hauptung konstituiert werden, doch noch nicht einer Delokutoren-Analyse. Damit es sich bei einem Triangulationsobjekt tatsächlich um Delokutoren handelt, muss diskursive Intentionalität vermittels salienter und damit auch signifikativer Oberflächenaspekte zugeschrieben oder diese in eine Konklusion zur Attribuierung von Intentionalität eingebunden werden. Erst dann zeigt sich ein pragmatisches und sozial-kommunikatives Geflecht, in welchem Interlokutoren und Delokutoren in Relation zueinanderstehen. Delokutoren lassen sich erst im Rahmen von Zuschreibungen oder Attribuierung diskursiver Intentionalität erfassen. Exemplarisch kann hier das kooperative Handlungsverb verkaufen dienen: (3) Da nach wie vor unklar ist, wo die Tordesillas-Linie auf der anderen Erdhälfte verläuft, verkauft Kaiser Karl V. die spanischen Eventualansprüche auf die Gewürzinseln für 350000 Dukaten an Portugal. (aus: Zeit Geschichte, 15.02.2011, S. 106) Die Äußerung als Behauptung (3) involviert Signifikanzstrukturen, die sich mit der folgenden relationslogischen Analyse erfassen lassen. Für die Interlokutoren gelten folgende intentionale Relationen: [[X DRausG ] ← SOZ INTENTIONAL EMSIF → [Z DRmitG ]], [[X DRausG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] und [[Z DRmitG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]]. Die Konstitution der interlokutiven Relation unterscheidet sich damit zunächst nicht von (2). Allerdings hat die Zuschreibung von diskursiver Intentionalität kraft des Verbs verkaufen eine diskursive Konsequenz für die drittpersonale Position: Y iO der konstituierten Relationen von behaupten stellt eine Delokutoren-Position dar, die selbst eine kooperative Handlung sowie entsprechende Relata signifiziert: [[X DRausG ] ← KOOP INTENTIONAL EMSIF → [Z DRausG ]] ( “ jemand verkauft etwas an jemanden ” ), [[X DRausG ]NTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] ( “ jemand verkauft etwas ” ) und [[Z DRausG ]NTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] ( “ jemand kauft etwas ” ). Die primäre kooperative intentionale Relation ist signifikativ in der Zuschreibung diskursiver Intentionalität impliziert. Aus dieser präteritalen Relation folgen sequenziell und inferenziell weitere Relationen, wobei insbesondere die (synchrone) Komplementärhandlung (kaufen) für das Verstehen und Beherrschen des Verbs verkaufen notwendig ist. Dass solche Signifikanzstrukturkomplexe bei der Analyse von Delokutoren wohl eher häufig auftreten, zeigt eine ausführlichere Analyse des Verhältnisses [BERUFEN AUF]- [SAGEN], welches die Signifikanzstruktur der sprachlichen Handlung Berufung einerseits sowie der ursprünglichen Äußerung andererseits darstellt. Ausgangspunkt der folgenden Analyse ist die Annahme, dass die Äußerung als Berufung interpretiert wird, wobei sowohl sprachliche Handlungen wie Behauptung und Aufforderung ebenfalls interpretativ möglich wären: (4) Der Bundeskanzler hat einmal gesagt, der Frieden in dieser Region ist nicht Sache der Israelis und der Palästinenser allein, sondern es ist unsere Sache. (aus: Berliner Morgenpost, 19.10.1997, S. 6) Für eine relationslogische wie verbpragmatische Analyse von (4) ist neben der Darstellung der intentionalen Relationen und des Setzens der triangulativen Zeichenrelationen (doppelte Triangulation) auch eine temporale Modellierung der verschiedenen Zeichenrelationsebenen notwendig: (4) stellt einerseits eine sprachliche Handlung der Berufung zu t 1 dar, die als kommunikativer Akt im Rahmen der deontischen Kontoführung verhandelt werden kann und auch den Bedingungen der Semiose von sprachlichen Handlungen unterworfen ist. Andererseits ist es eine Handlungsdeskription eines Verhaltens zu t 0 (als 342 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms Intentionalitätszuschreibung), welche selbst als intentionale Relation analysiert werden kann. (4) stellt also mehrere verbpragmatische Elemente bereit: Als Handlungsdeskription gruppieren sich verschiedene sprachliche Elemente um das intentionale Verb sagen, welches explizit auftritt. Gleichzeitig handelt es sich bei der gesamten Äußerung um eine sprachliche Handlung, mit der sich jemand auf die sozial-kommunikative Autorität einer anderen Person (hier: Bundeskanzler) beruft. Diese Handlungsinterpretation, sich mithilfe des Verbs berufen auf erfassen lasst, zeigt die implizite signifikative Struktur der Äußerung auf und kann die pragmatische Signifikanz der Äußerung erklären. Weil es sich sowohl bei berufen auf als auch bei sagen um sozial-kommunikative Handlungsverben handelt, zeigt sich hier die kommunikative Achse, an welcher Delokutor (zu t 1 ) und Interlokutor (zu t 0 ) changieren und die Interlokutor-Delokutor-Relation stattfindet. Die hier signifizierte sprachliche Handlung von (4) lässt sich mithilfe folgender intentionaler Relationen erfassen: [[X DRausG ] ← SOZ INTENTIONAL EMSIF → [Z DRmitG ]] ( “ jemand beruft sich auf jemanden vor jemandem ” ), [[X DRausG ]NTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] ( “ jemand beruft sich auf jemanden ” ) und [[Z DRmitG ]NTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] (z. B. “ jemand zweifelt etwas an ” (mehrere Anschlussverben möglich)). Als sozial-kommunikatives Handlungsverb gelten für berufen auf ähnliche Signifikanzstrukturen wie für behaupten. Bemerkenswert ist hier aber die latente konsekutive intentionale Relation, die durch Folgeverben markiert werden kann. Diese Signifikanzstelle scheint offener zu sein und mehrere sozial-kommunikative Anschlussverben zu ermöglichen als z. B. versprechen, wodurch ausschließlich nicht-sprachliche Handlungen motiviert werden (cf. Briese 2020 b). Dies liegt wohl daran, dass sich berufen auf insbesondere durch seine präteritalen Relationen auszeichnet (ähnlich wie finden), weil es auf eine vorherige Handlung rekurriert, in diesem Fall eine Behauptung oder eine andere sprachliche Handlung, die propositionale Gehalte in die diskursive Praxis einbringt. Auch sagen zeichnet sich durch mehrere intentionale Relationen aus: [[X DRausG ] ← SOZ INTENTIONAL EMSIF → [Z DRmitG ]], [[X DRausG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] und [[Z DRmitG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]]. Ähnlich wie bei behaupten ist die latente intentionale Relation [[Z DRmitG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] eine sozial-kommunikative Anschlussstelle für Folgehandlungen. Die relationslogischen Analysen von berufen auf und sagen reichen für eine Interlokutoren- und Delokutoren-Analyse allerdings noch nicht aus. (3) zeichnet sich vielmehr durch zwei triangulative Zeichenrelationen aus, die als doppelte Triangulation bezeichnet werden können. 15 Interlokutor und Delokutor - Analyse von DiskursakteurInnen 343 Abb. 18: Doppelte Triangulation von berufen auf und sagen Diese Darstellung kombiniert die beiden relationslogischen Analysen der Verben zu einer Interlokutorenbzw. Delokutoren-Analyse. Relevant ist hier insbesondere die Achse, die durch die situative anaphorische Relation markiert ist. Die Person, die in den berufen auf- Relationen als Y iO dargestellt ist (Delokutor), ist in den sagen-Relationen ein Relatum X DRausG (Interlokutor). Hier und in (3) zeigt sich eben jenes diskursive Verhältnis, welches in den Deskriptionen von Interlokutoren und Delokutoren hervorgehoben wurde: diskursive und zeitlich-räumliche Präsenz und Absenz. Gleichzeitig wird über die Markierung der anaphorischen Relation gezeigt, inwiefern Delokutoren in diskursiven Praktiken kraft Zuschreibungen von diskursiver Intentionalität als Interlokutoren aufgetreten sind (präterital) bzw. auftreten können (konsekutiv). Außerdem zeigt diese Darstellung, wo ein relevanter Unterschied in der Analyse von pragmatischer Signifikanz und Interlokutoren bzw. Delokutoren liegt: Während sich präteritale und konsekutive pragmatische Signifikanzen über die Kanten des Diagramms darstellen lassen (z. B. [BEHAUPTEN]- [ANFECHTEN]), sind für eine Analyse von Interlokutoren bzw. Delokutoren insbesondere Knoten bzw. anaphorische Relationen des Diagramms beachtenswert. Diese Skizze einer relationslogischen und verbpragmatischen Analyse diskursiver Praktiken zeigt, inwiefern in intentionalen Verben bereits triangulative Signifikanzstrukturen angelegt sind. Insbesondere die [SAGEN]-[BERUFEN AUF]-Relation verweist nicht nur auf die Setzung von Diskursakteuren als Interlokutoren bzw. Delokutoren kraft diskursiver Rollen, sondern auch auf Relationen, die zu sozial-kommunikativen Positionswechseln (hier: von Interlokutor (t 0 ) zu Delokutor (t 1 )) führen können. Das Verhältnis von linguistischer Verbpragmatik, relationslogischer Analyse und signifizierter Triangulation, hier stellvertretend für das Modell der Grundpositionen 344 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms und -relationen, ergänzt die bisherigen Ausführungen damit auf zweierlei Weise. Zunächst exemplifiziert es das Argument, welches die Signifikanzstruktur nicht nur als handlungs-, sondern auch als akteurskonstitutiv versteht. Über die Darstellung von Jacques' Dialogtheorie konnte ich die diskursiven Vernetzungen von Interlokutoren und Delokutoren erfassen und anhand der Signifikanzstruktur intentionaler Verben modellieren. Konzepte wie gemeinsame Aufmerksamkeit, Triangulation und die sozialkategorialen Grundpositionen im Rahmen der semiotischen Anthropologie dienten mir dann zur Fundierung der Grundpositionen und -relationen zur Konstitution von Interlokutoren und Delokutoren. Mithilfe dieses Arguments stellen Interlokutoren und Delokutoren nicht mehr isolierte kommunikative Instanzen dar und lassen sich auch nicht auf Sprecher-Hörer-Adjazenz reduzieren. Vielmehr sind sie Effekte komplexer sozialer, kommunikativer und diskursiver Geflechte, die sich in diskursiven Praktiken kraft Verben konstituieren. Außerdem ergänzt die Analyse von Interlokutoren und Delokutoren die Analyse der pragmatischen Signifikanz. Nicht nur die theoretische Entwicklung des Modells entlang von Knoten und Kanten, sondern bereits die Analyse der Semiose von Äußerungen und Behauptungen hat gezeigt, dass sich pragmatische Signifikanz und Diskursakteuren im Rahmen von Handlungsbeschreibungen aufeinander beziehen. Insofern ist die Analyse von Interlokutoren und Delokutoren zunächst einmal eine andere Perspektive auf diejenigen Prozesse, die diskursive Praktiken auszeichnen können. Zusammenfassend schließt dieses Kapitel die Reflexionen zu Diskursakteuren ab und schlägt eine neue Perspektive auf der Konstitution und ihre Analyierbarkeit vor. Mithilfe relationslogischer und zeichentheoretischer Darstellungen kann demonstriert werden, wie intentionale Verben kommunikative Situationen signifizieren, die all jene Aspekte aufweisen, die unter Begriffe wie gemeinsamer Aufmerksamkeit, Triangulation oder kommunikativen Rollen verhandelt werden. Unter der Annahme der semiotischen Kontinuität von Handlungsinterpretion, Handlungskonstitution und Handlungsdeskription kann eine Handlungsbeschreibung dann als Spur nicht nur der Handlung selbst, sondern auch von deren diskursiven Rollen analysiert werden. Über die Einbettung in eine kategoriale Struktur sind diese Handlungsbeschreibungen dann auch keine linguistischen Oberflächenphänomene, sondern stellen semiotische komplexe Einheiten dar, die über die Textebene hinaus auch Einfluss auf beschriebenes Verhalten, beschriebene Objekte und Personen haben. Hier finden dann die Konzepte wie Zuschreibung und Attribuierung Anwendung (cf. Kapitel 13). Nachdem sowohl sprachliche Handlungen als auch Diskursakteure verbpragmatisch analysiert wurden, möchte ich im Folgenden diese Perspektive erneut erweitern, um dasjenige Element, was handlungs- und akteurs-, aber auch relationskonstitutiv ist, sowohl argumentativ als auch analytisch zu explizieren: diskursive Normen. Damit können die exemplarischen Analysen von pragmatischer Signifikanz und Diskursakteuren insofern ergänzt werden, als dass der konstitutive Effekt diskursiver Normen plausibilisiert und analytisch expliziert wird. 15 Interlokutor und Delokutor - Analyse von DiskursakteurInnen 345