Kolloquium Parkbauten
kpb
2510-7763
expert verlag Tübingen
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2020
91
Technische Akademie EsslingenExperimentelle Methoden – ein alternativer Weg zum Tragsicherheitsnachweis von Parkbauten
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2020
Marc Gutermann
Werner Malgut
Die Tragsicherheit bestehender Bauten wird vorrangig durch rechnerische Verfahren nachgewiesen. Die computergestützte Analyse von Tragstrukturen lässt es zu, die Ergebnisse vieler unterschiedlicher Einwirkungskombinationen und Randbedingungen in kurzer Zeit auszuwerten. Den Erfolg setzt voraus, dass alle wesentlichen Parameter bekannt sind. Fehlen Angaben über die Konstruktion (Geometrie, Lagerung, Werkstoffeigenschaften) oder mindern Bauwerksmängel die Tragfähigkeit ab, ist eine rein rechnerische Beurteilung mit vielen Unsicherheiten verbunden und führt meist zu negativen Ergebnissen. Dieser Beitrag erläutert wie der Nachweis ausreichender Tragsicherheit dennoch durch Einsatz experimentell gestützter Verfahren gelingen kann.
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9. Kolloquium Parkbauten - Februar 2020 3 Experimentelle Methoden - ein alternativer Weg zum Tragsicherheitsnachweis von Parkbauten Prof. Dr.-Ing. Marc Gutermann, Werner Malgut Hochschule Bremen Zusammenfassung Die Tragsicherheit bestehender Bauten wird vorrangig durch rechnerische Verfahren nachgewiesen. Die computergestützte Analyse von Tragstrukturen lässt es zu, die Ergebnisse vieler unterschiedlicher Einwirkungskombinationen und Randbedingungen in kurzer Zeit auszuwerten. Den Erfolg setzt voraus, dass alle wesentlichen Parameter bekannt sind. Fehlen Angaben über die Konstruktion (Geometrie, Lagerung, Werkstoffeigenschaften) oder mindern Bauwerksmängel die Tragfähigkeit ab, ist eine rein rechnerische Beurteilung mit vielen Unsicherheiten verbunden und führt meist zu negativen Ergebnissen. Dieser Beitrag erläutert wie der Nachweis ausreichender Tragsicherheit dennoch durch Einsatz experimentell gestützter Verfahren gelingen kann. 1. Einführung Mehr als 60% der Bauaufträge werden heute im Bestand umgesetzt. Eine wesentliche Voraussetzung für Nutzungs- und Investitionsentscheidungen für Parkbauten ist der Nachweis ausreichender Tragsicherheit für die gewünschten Lastansätze. Oftmals eine Herausforderung für den Tragwerksplaner, wenn zuverlässige Daten über Baustoffe und -konstruktion fehlen oder Bauwerkmängel die Tragfähigkeit abmindern. Wenn der rechnerische Nachweis nicht gelingt, wird meist konventionell verstärkt oder abgerissen und neu gebaut. Das sind jedoch nicht immer wirtschaftliche Varianten. Eine alternative Vorgehensweise ist der experimentell gestützte Nachweis, bei dem entweder wesentliche Parameter für einen rechnerischen Nachweis durch Versuche ermittelt werden, oder Belastungstests direkt nach Beendigung Planungssicherheit für den Baufortschritt bringen (Abb. 1). Abb. 1: Lösungsstrategien zum Tragsicherheitsnachweis für Bestandsbauten 2. Erfahrungen, Voraussetzungen und Bedingungen Die letzten Jahrzehnte waren gekennzeichnet durch einen eindrucksvollen Einzug der elektronischen Datenverarbeitung in alle Bereiche des Bauwesens. In der Statik ließ sich jedes Problem in immer besseren und umfangreicheren Rechenprogrammen modellieren und lösen. Umso detaillierter die Software, umso mehr Parameter müssen jedoch eingegeben und damit Annahmen getroffen werden. Oftmals führt gerade beim Bauen im Bestand ein rechnerischer Nachweis zu einem unbefriedigenden Ergebnis, da wesentliche Informationen fehlen oder Schäden eine zuverlässige Bewertung erschweren. Als alternativen Lösungsansatz bieten sich experimentell gestützte Verfahren an (Abb. 1), wenn alle anderen Ansätze zuvor nicht erfolgreich waren. Grundsätzlich empfiehlt sich ein abgestuftes Verfahren: 1. Abschätzung der Tragsicherheit, z. B. aufgrund vorhandener Unterlagen 2. Überschlägige Berechnung der Tragsicherheit, z. B. mit einfachen Berechnungsmodellen 3. Genaue Berechnung der Tragsicherheit, z. B. mit komplexen FE-Berechnungsansätzen und -modellen 4. Messwertgestützte Ermittlung der Tragsicherheit Die Bandbreite der möglichen Einsatzgebiete experimenteller Methoden ist schier unbegrenzt (Tabelle 1). Einige Fallbeispiele von Parkbauten werden im Kapitel 4 exemplarisch vorgestellt. Planungs- und Ausführungsdetails anderer Projekte können der Fachliteratur entnommen werden ([2], [3] und [4]). buch2.indb 3 13.01.20 15: 39 4 9. Kolloquium Parkbauten - Februar 2020 Experimentelle Methoden - ein alternativer Weg zum Tragsicherheitsnachweis von Parkbauten Belastungsversuche Hybride Statik Überwachung Gebäude Decken, Unterzüge, Stützen, Fassaden, Treppen, Balkone, Dächer Austausch eines Kämpfersteines Erschütterungen (aus Zugverkehr) Ingenieurbau Abwassersysteme, Gründungen, Spundwände, Durchlässe Faltwerke, Fundamente von Windenergieanlagen Hubbrücke, Karussell Wasserbau Haltekreuze in Schleusen, Anker von Spundwänden Kragstützwand Segmentwehr, Tordichtung Brücken Gewölbe, Steinbogen, Stahlbeton, (Straße u. Schiene) Gewölbe Stahlfachwerk (Schiene) Koppelfugen, Seilschwingungen, Freischneidetechnik Tabelle 1: Anwendungsbreite und Beispiele erfolgreicher experimenteller Untersuchungen 3. Legalisierung Die experimentelle Tragsicherheitsbewertung ersetzt den rechnerischen Nachweis der Standsicherheit und wird nach unserer Erfahrung sowohl von den Prüfingenieuren als auch der Bauaufsicht der Länder akzeptiert. In Einzelfällen wurde eine Zulassung im Einzelfall verlangt, es ist daher sinnvoll alle Beteiligten schon im Planungsprozess zu involvieren. Die grundsätzliche Eignung und Zulässigkeit des die Rechnung begleitenden experimentellen Tragfähigkeitsnachweises auf der Grundlage der Regelungen der DAfStb-Richtlinie [1] wurde auch von der Fachkommission „Bautechnik“ der ARGEBAU bestätigt [5]. Die versuchsgestützte Bemessung ist auch im aktuellen Normenwerk enthalten: - Eurocode 0 - Grundlagen der Tragwerksplanung DIN EN 1990 (2010-12), Anhang D (informativ) - Eurocode 2 - Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken DIN EN 1992-1-1 (01.2011), Kapitel 2.5 4. Belastungstests Das grundsätzliche Prinzip ist einfach und bewährt: es wird ein Bauteil belastet und seine Reaktionen gemessen. Abb. 2 zeigt vereinfachend das Potenzial von Belastungsversuchen: die gemessenen Reaktionen sind kleiner als die rechnerisch prognostizierten, und die Versuchsziellast wird ohne überschreiten eines Grenzkriteriums erreicht. Als Konsequenz kann empfohlen werden, den nachgewiesenen Zuwachs ΔQd z.B. für eine Nutzlasterhöhung zu verwenden. Aus unserer langjährigen Erfahrungen betragen die Zuwächse meist 30-50% und können in Ausnahmefällen auch über 100% betragen (Abb. 3). Das Ergebnis liegt direkt nach Beendigung der Versuche vor und ist so lange gültig, bis wiederkehrende Bauwerksprüfungen Anlass für weitere Untersuchungen geben wie bei einem Neubau auch. Abb. 2: Sicherheitskonzept (idealisiert! ); ΔQ: nutzbarer Zuwachs der Verkehrslast Die historische Methode, Versuchslasten durch Ballast zu erzeugen ist der modernen und regelbaren Technik gewichen, Lasten hydraulisch im Kräftekreislauf zu erzeugen. So werden selbstsichernd die Beanspruchungen im Tragwerk simuliert, denen es nach Normung widerstehen muss. Dazu werden im Hochbau mobile Belastungsvorrichtungen genutzt, die kleinteilig transportiert und individuell an jede Aufgabe anpasst werden können (vgl. Abb. 9, 13 und 15). Die Technologie ermöglicht eine variable Anpassung an unterschiedliche Bauwerksgeometrien und Versuchslasten (F ≤ 750 kN). Ein Tragwerk ist in der Regel in ca. 3 Tagen untersucht, wovon jeweils 1 Tag für Installation der Belastungs- und Messtechnik, für die Messungen und den Abbau benötigt wird. Für Brücken kommen besondere Fahrzeuge zum Einsatz (Straßenbrücken: Belastungsfahrzeug BELFA; Eisenbahnbrücken: Belastungswaggon BELFA-DB), die an der Hochschule Bremen in kooperativen Forschungsprojekten mit der TU Dresden, der HTWK Leipzig und der BU Weimar entwickelt wurden [2]. Die charakteristischen Daten eines Versuchsablaufs, wie z.B. Lastgrößen, Verformungen, Dehnungen etc., werden durch die Nutzung elektrischer Messsysteme zeitgleich auf einem Monitor als Grafik angezeigt und zum Beispiel nach den folgenden Abbruchkriterien analysiert: - Grenzwerte (Einzelmesswerte der Durchbiegungen und Dehnungen) buch2.indb 4 13.01.20 15: 39 9. Kolloquium Parkbauten - Februar 2020 5 Experimentelle Methoden - ein alternativer Weg zum Tragsicherheitsnachweis von Parkbauten - Reproduzierbarkeit (gleiche Bauwerksreaktion bei wiederholter Belastung keine nichtlinearen Verformungen in Abhängigkeit der Beanspruchungszunahme) - Reversibilität (keine bzw. geringe bleibende Verformung nach der Entlastung) Gängige Sensoren zur Zustandsbewertung von Bauwerken sind: - Kraftmessdosen zur Anzeige der eingeleiteten Kraft - Wegaufnehmer zur Analyse von Durchbiegungen, Verschiebungen, Rissweiten oder Dehnungen, die integral über die Beziehung ε = Δl/ l bestimmt werden. - Dehnungsmessstreifen zur örtlichen Kontrolle von Beanspruchungen. - Neigungssensoren zur örtlichen Analyse von Verdrehungen, z.B. um den Einspanngrad bei Auflagern oder Bauteilverbindungen zu bestimmen. - Schallsensoren zur Analyse besonderer Ereignisse, die Schall freisetzen, wie z.B. Rissbildung oder Rissuferreibung. Der aktuelle Bauteilzustand kann besser eingeschätzt werden, so dass Belastungen oberhalb des Gebrauchslastniveaus bei sprödem Materialverhalten zusätzlich abgesichert werden. - Lufttemperatur [°C] oder Windgeschwindigkeit [m/ s], um bei jeder Messung im Besonderen im Freien die Umwelteinflüsse auf die Messung zu dokumentieren. Dabei ist bei der Planung Vorsicht geboten. „Wer viel misst, misst Mist“ ist ein geflügeltes Sprichwort und umschreibt zutreffend den Umstand, dass die gewonnenen Daten zeitgleich auf Plausibilität geprüft sowie analysiert werden müssen. Denn der Belastungsversuch darf sich weder negativ auf die Gebrauchstauglichkeit noch auf die Dauerhaftigkeit des Bauteils auswirken. Bedingung für die Durchführung ist daher, die Aufgabe umfassend zu analysieren, erwartete Reaktionen zu berechnen und die Versuchsplanung auf die Ergebnisse abzustimmen. Dies setzt eine gewisse Erfahrung voraus, denn auch die „Richtlinie für Belastungsversuche an Betonbauwerken“ des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton [1] enthält keine detaillierten Hinweise zur Versuchsdurchführung. Dort werden lediglich die grundsätzlichen Vorgehensweisen sowie die Formeln aufgezeigt, mit denen z.B. die Versuchsziellasten oder Grenzwertkriterien zu ermitteln sind. Abb. 3: Steigerungspotenzial der Nutzlast durch Belastungsversuche (Torte = Gesamttragfähigkeit einer Massivdecke) Beim Belastungsversuch wird der Tragwerkszustand inklusive aller realen Randbedingungen getestet, sodass Unsicherheiten wegfallen und die Lasten deutlich über das rechnerisch nachgewiesene Lastniveau gesteigert werden können (Abb. 3). Denn ein Rechenmodell bleibt immer ein Modell und kann die physikalische Wirklichkeit nur so gut beschreiben wie zutreffend seine Annahmen waren. Und letztere sollten selbstverständlich immer auf der sicheren Seite liegen. 5. Anwendungsbeispiele 5.1 Autoterminal Bremerhaven Das Autoregal K II im Kaiserhafen von Bremerhaven ist zu Beginn der 1990er Jahre errichtet und in Betrieb genommen worden (Abb. 4). Abb. 4: Autoregal KII Die Geschossdecken bestehen aus schlaff bewehrten Stahlbeton-Trogplatten, die als punktgelagerte Fertigteile ausgebildet worden sind. Es handelt sich um eine 4 feldrige Stahlbetonplatte mit 5 Nebenunterzügen in Querrichtung und 2 Hauptunterzügen in Längsrichtung (Abb. 5). Abb. 5: Untersicht Trogplatte (l = 13,6 m, b = 4,65 m) Aufgrund immer größerer und damit schwerer werdender Fahrzeuge sollte die tragende Konstruktion erneut statisch nachgewiesen werden. Eine Nachrechnung ergab, dass bei den Trogplatten sowohl die Stützmomente der Deckenspiegel als auch die Quer- und Längsunterzüge unkritisch waren. Die Feldmomente der Platten waren rechnerisch jedoch nicht nachweisbar, da sich die Biegung in den einzelnen Feldern mit der Biegung des buch2.indb 5 13.01.20 15: 39 6 9. Kolloquium Parkbauten - Februar 2020 Experimentelle Methoden - ein alternativer Weg zum Tragsicherheitsnachweis von Parkbauten Gesamtsystems überlagern. Zudem war die Feldbewehrung über den Nebenunterzügen gestoßen und damit die Endverankerung nicht nachweisbar. Der Nachweis sollte mit Belastungsversuchen im Betrieb erbracht werden. Das Versuchskonzept wurde in Abstimmung mit den beteiligten Ingenieurbüros entwickelt und mit dem Prüfingenieur abgestimmt. Zur Auswahl einer Stichprobe wurden von der Ingenieurgesellschaft Nordwest mbH alle Felder einer Bauwerksprüfung unterzogen und ihr Zustand bewertet. Für die Belastungsversuche wurden 10 Platten ausgesucht (2 Messorte mit jeweils 5 übereinanderliegenden Trogplatten). Die ausgesuchten Bereiche wurden bei der Bauwerksprüfung als „Durchschnittsplatten“ bewertet (Zustand: ,o‘, bzw. ,o (-)‘). Alle Platten mit einer schlechteren Bewertung (,-‘ oder ,--‘) sollten konventionell saniert werden und waren daher nicht Bestandteil der experimentellen Untersuchungen. Alle weiteren Bauteile (z.B. Konsolen, Stützen, Gründung, etc.) waren vom Tragwerksplaner im Bedarfsfall konventionell nachzuweisen. Die nachzuweisenden Verkehrslasten waren je nach Bauteil gestaffelt: Hauptunterzüge (l = 13,20 m) p = 1,50 kN/ m² Nebenunterzüge (l = 4,25 m) p = 2,00 kN/ m² Deckenplatte (d = 10 cm) p = 3,50 kN/ m² Schneelast - nur Decke über 4. OG s = 0,75 kN/ m² Die Versuchslasten von bis zu FZiel ≤ 115 kN wurden pro Trogplatte an bis zu 64 Teilflächen (ca. 20 x20 cm) eingeleitet (Abb. 6). Abb. 6: Lastverteilungstraversen und Messbasis zur Durchbiegungsmessung Als Gegenkraft dienten Betonblöcke, die im Erdgeschoss abgestellt und über Zugstangen mit der Lastverteilung auf den Deckenplatten verbunden waren (Abb. 7). Hydraulische Pressen mit Kraftmessdosen sorgten dafür, dass die Versuchslast regelbar eingeleitet werden konnte. Abb. 7: Gegengewichte (55,2 t) mit Hydraulikpressen und Zugstangen Die Versuchslasten wurden bis zur Versuchsziellast kontrolliert gesteigert, während die maßgebenden Bauteilreaktionen (z.B. Durchbiegungen und Dehnungen) zeitgleich am Computer analysiert werden konnten. Dabei wurden die Verformungen sowohl absolut (relativ zu den unbelasteten Trogplatten) als auch relativ (Differenzenbildung mit den Verformungen der angrenzenden Bauteile) angezeigt (Abb. 8). Abb. 8: Absolute Vertikalverschiebung der Nebenunterzüge Alle Versuchsziellasten wurden ohne Verletzen eines Grenzwertkriteriums erreicht, so dass die Tragsicherheit der Stahlbeton-Trogplatten, bestehend aus den Tragelementen Deckenfelder, Neben- und Hauptunterzüge, für die gewünschten Verkehrslasten p = 1,5 - 3,5 kN/ m² experimentell nachgewiesen werden konnten. Durch die umfangreiche Voruntersuchungen zum bauwerkszustand der einzelnen Trogplatten konnten die Ergebnisse ohne weitere Berechnungen oder Nachweise buch2.indb 6 13.01.20 15: 39 9. Kolloquium Parkbauten - Februar 2020 7 Experimentelle Methoden - ein alternativer Weg zum Tragsicherheitsnachweis von Parkbauten auf alle weiteren (ungestesteten) Decken des Autoregals KII direkt übertragen werden, sofern ihre Zustandsbewertung ,o (-)‘ oder besser ist. Voraussetzungen für die dauerhafte Einstufung in die Lastenklasse im Restnutzungszeitraum sind: - Einhaltung der Lastansätze - Erhaltung des baulichen Zustands für den Restnutzungszeitraum (keine tragsicherheitsrelevante Veränderung oder Schädigung des Tragwerks); wiederkehrende Bauwerksprüfung Es wurde im Sinne der Restnutzungszeit des Tragwerks empfohlen (Dauerhaftigkeit), die Abdichtung der obersten Etage zu erneuern. 5.2 Tiefgarage Hamburg Das Gebäude mit integrierter Tiefgarage wurde 1967 geplant und gebaut. Eine Betonsanierung und die Erneuerung des Belags erfolgten im Jahr 2015. Die Tiefgarage hat eine Grundfläche von ca. 25 x 30 m. Bei dem Tragwerk handelt es sich um einachsig gespannte Decken, die auf Unterzügen (40/ 46 cm) im Achsabstand von 4,68 m auflagern (Abb. 9). Abb. 9: Grundriss der Tiefgaragendecke (Ausschnitt) Die ursprünglich geplante Nutzlast lag bei 5,0 kN/ m² bzw. einem 12 t-LKW. Die Nutzung setzte jedoch eine Befahrbarkeit mit Fahrzeugen voraus, deren Beanspruchungen der Brückenklasse 16/ 16 inkl. Schwingbeiwert ϕ entsprechen (Abb. 10). Abb. 10: Tiefgaragendecke mit Belastungsvorrichtung Aufgrund des frisch sanierten und gedichteten Belages konnte in diesem Fall die Decke zur Versuchslasteinleitung nicht durchbohrt werden. Die Lösung war, eine Stahlträgerkonstruktion auf der Decke aufzubauen, die außerhalb des Einflussbereiches auf Unterzügen gelagert ist und mit Ballast beschwert wird (Abb. 10). Die Unterzüge wurden für die Belastungsversuche hilfsweise mit Schwerlaststützen abgefangen (Abb. 12). Gegen die ballastierten Stahlträger konnten nun in einem Teilbereich der Decke die Lasten hydraulisch und regelbar (FZiel ≤ 650 kN) eingeleitet werden (Abb. 11). Abb. 11: Hydraulische Belastungserzeugung gegen Ballast auf Stahlträger-Konstruktion Die messtechnische Ausstattung der Bauteile erfolgte von der Unterseite, um z.B. Dehnungen, Durchbiegung und Rissweitenveränderung zu erfassen (Abb. 12). Um eine beginnende Schädigung (Entstehen von Mikrorissen) im Schubbereich zu erkennen, wurde zusätzlich eine Schallemissionsanalyse eingesetzt. Abb. 12: Stative mit Messbasen - Durchbiegungsmessung an der Deckenunterseite Die Bauteilreaktionen von 2 Plattenfeldern und einem Unterzug zeigten ein annähernd lineares Last-Durchbiegungsverhalten bis zur Gebrauchslast (Abb. 13). Die begleitende Schallemissionsanalyse bestätigte, dass wähbuch2.indb 7 13.01.20 15: 39 8 9. Kolloquium Parkbauten - Februar 2020 Experimentelle Methoden - ein alternativer Weg zum Tragsicherheitsnachweis von Parkbauten rend der Versuche keine (Schub-)Mikrorisse entstanden sind. Die gewünschte Nutzlast (Brückenklasse 16/ 16, ϕ = 1,10) konnte erfolgreich nachgewiesen werden Abb. 13: Vertikalverschiebungen im Feld bei Nachweis des maximalen Biegemomentes 5.3 Parkdeck Riga Im Rahmen einer Baubegutachtung wurde an dem Parkhaus mit 4 Ebenen erhebliche Rissbildung in den tragenden Konstruktionen (Stahlbetonplatten, -balken und -stützen) festgestellt. Das Parkhaus wurde nach der russischen Norm SNiP konstruiert und bemessen. Eine Nachrechnung auf Basis des Eurocodes 2 ergab, dass die Konstruktion nicht tragsicher ist. Es wurde vereinbart, in Musterbereichen Belastungsversuche durchzuführen. Durch eine Vorberechnung wurden die Bauteile identifiziert, die die ungünstigsten Verhältnisse aufwiesen (Ausnutzungsgrad, Bauteilzustand). Das Versuchsprogramm umfasste sowohl Plattenbereiche (Abb. 14) als auch mehrere Rahmensysteme (Abb. 15 und 16). Abb. 14: Lasteinleitung und Messbasis (Nachweis Kragplatte) Abb. 15: Querschnitt des Parkhauses (Dreifeld-Rahmensystem) Um aufwändige Versuchsaufbauten zu vermeiden, wurde bei diesem Projekt die Belastung so organisiert, dass die oberste Decke mit dem schlechtesten Erhaltungszustand getestet und das Gegengewicht aus dem Eigengewicht der darunterliegenden Stockwerke aktiviert wurde (Abb. 16). Abb. 16: Lasteinleitung und Rückverankerung (Längsschnitt: Einfeld-Rahmensystem) Abb. 17: Schubdehnungs- und Rissweitenmessung an hochbelasteten Rahmenecken buch2.indb 8 13.01.20 15: 39 9. Kolloquium Parkbauten - Februar 2020 9 Experimentelle Methoden - ein alternativer Weg zum Tragsicherheitsnachweis von Parkbauten Je nach Bauteilzustand variierte der messtechnische Aufwand, da neben globalen Reaktionen wie Durchbiegungen oder Biegedehnungen zusätzlich örtliche Problemstellen ausgestattet wurden, um Schubdehnungen, Rissweiten oder Rissbildung (Schallemissionsanalyse) zu überwachen (Abb. 17). Die Belastungsversuche offenbarten ein deutlich nichtlineares Verformungsverhalten oberhalb der Gebrauchslast. Insbesondere hochbeanspruchte Schubfelder (Abb. 17 und 18) und Rissweiten zeigten kritische Werte bei Erreichen der Versuchsziellasten. Die Schallemissionsmessung zeichnete jedoch vorwiegend Ereignisse mit langer Signaldauer aus, die sich einer Rissuferreibung zuordnen ließen (Abb. 19). Ursachen waren wahrscheinlich bereits vorhandene Risse oder der teilweise abgelöste Fahrbahnbelag. Abb. 18: Schubdehnung der Rahmenecke (vgl. Abb.17) Abb. 19: Ergebnisse Schallemissionsmessung Innerhalb einer Woche konnten die Nachweise an einer Kragplatte und 3 Rahmensysteme erfolgreich abgeschlossen werden, so dass das Parkhaus für die aktuellen Lastansätze (Verkehrslast p = 2,5 kN/ m² und Ausbaulast g2 = 0,5 kN/ m²) freigegeben werden konnte. Partiell wurden während der Belastung größere Rissweiten bis w ≤ 1,0 mm erreicht, die anschließend saniert wurden. Zur Wiederherstellung der Dauerhaftigkeit wurden eine Erneuerung der Fahrbahnabdichtung und eine Beschichtung der gerissenen Oberflächen empfohlen. 6. Ausblick Experimentelle Methoden loten die Tragwerksreserven bestehender Bauwerke aus und können selbst dann ein erfolgsversprechender Lösungsansatz sein, wenn umfangreiche rechnerische Analysen unbefriedigende Ergebnisse erzielt haben. Voranschreitender Computerhörigkeit trotzend bieten sie eine wirtschaftlich attraktive Alternative zu Abriss und Neubau und leisten einen wichtigen Beitrag, um Baukultur zu bewahren. Literatur Eine ausführliche Dokumentation einzelner Anwendungsbeispiele wurde veröffentlich in: [1] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb, Hrsg.): Richtlinie für Belastungsversuche an Betonbauwerken. Berlin: Beuth, 9/ 2000. [2] Gutermann, M., Schröder, C.: 10 Jahre Belastungsfahrzeug BELFA. Entstehung, Erfahrungen und Ausblick. In: Bautechnik, 88. Jahrgang, Heft 3, Ernst & Sohn, März 2011, S. 199-204 [3] Gutermann, M., Gersiek, M., Löschmann, F., Patrias, M.: Der Löwenhof in Dortmund: Experimentelle Statik zum Erhalt historischer Eisenbetondecken, Ernst & Sohn, Bautechnik Ausgabe 1/ 2018 [4] Gutermann, M., Kahl, D.: Energetische Ertüchtigung einer Waschbetonfassade: Experimente ersetzen den rechnerischen Tragsicherheitsnachweis. In: Ernst & Sohn Special 2013, Innovative Fassadentechnik [5] Manleitner et al., "Belastungsversuche an Betonbauwerken“, Beton- und Stahlbetonbau 96, 2011, Heft 7, S. 489 buch2.indb 9 13.01.20 15: 39