eJournals Kolloquium Parkbauten 9/1

Kolloquium Parkbauten
kpb
2510-7763
expert verlag Tübingen
0201
2020
91 Technische Akademie Esslingen

Das Parkhaus für die Energie- und Verkehrswende: Herausforderungen und Lösungen für den Bestand und Neubauten

0201
2020
Tim Schember
Daniel Borrmann
Die bereits eingetretenen sowie die bevorstehenden Veränderungen bei Verhalten und Bedürfnissen von Nutzern, bei rechtlichen Rahmenbedingungen sowie bei technischen Lösungen stellen sowohl Betreiber als auch Bauherren von Parkhäusern vor großen Herausforderungen. Beide müssen die Attraktivität ihrer Liegenschaften sicherstellen, um Investitionen amortisieren zu können. Dies erfordert, dass Parkhäuser bereits in naher Zukunft eine gegenüber heute erweiterte Ausstattung bieten müssen die Nutzern den erwarteten Komfort bietet, ohne dabei regulatorische Vereinbarungen zu verletzen. Auf der anderen Seite entstehen für die Betreiber und Bauherren aber auch neue Potenziale zur Erzielung von Einnahmen, wenn sie ihre Geschäftsmodelle entsprechend anpassen. So lassen sich trotz der teilweise radikalen Änderung bewährter Muster auch weiterhin Gewinne erwirtschaften.
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9. Kolloquium Parkbauten - Februar 2020 121 Das Parkhaus für die Energie- und Verkehrswende: Herausforderungen und Lösungen für den Bestand und Neubauten Tim Schember GreenIng GmbH & Co. KG, Bahnhofstraße 109, 71397 Leutenbach, Deutschland Daniel Borrmann Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, Nobelstraße 12, 70569 Stuttgart, Deutschland Zusammenfassung Die bereits eingetretenen sowie die bevorstehenden Veränderungen bei Verhalten und Bedürfnissen von Nutzern, bei rechtlichen Rahmenbedingungen sowie bei technischen Lösungen stellen sowohl Betreiber als auch Bauherren von Parkhäusern vor große Herausforderungen. Beide müssen die Attraktivität ihrer Liegenschaften sicherstellen, um Investitionen amortisieren zu können. Dies erfordert, dass Parkhäuser bereits in naher Zukunft eine gegenüber heute erweiterte Ausstattung bieten müssen, die Nutzern den erwarteten Komfort bietet, ohne dabei regulatorische Vereinbarungen zu verletzen. Auf der anderen Seite entstehen für die Betreiber und Bauherren aber auch neue Potenziale zur Erzielung von Einnahmen, wenn sie ihre Geschäftsmodelle entsprechend anpassen. So lassen sich trotz der teilweise radikalen Änderung bewährter Muster auch weiterhin Gewinne erwirtschaften. 1. Einleitung Heute wird von Parkhäusern, auch wenn die Infrastruktur prinzipiell zu mehr in der Lage ist, immer nur eine vergleichsweise geringe elektrische Leistung in Anspruch genommen. Durch das Laden von Elektrofahrzeugen kann die in einem Parkhaus abgerufene Leistung rapide steigen. Entsprechend werden Lösungen zur Reduktion der aus dem Stromnetz bezogenen Leistung notwendig. Hinsichtlich Ladeinfrastruktur sind heute hauptsächlich konduktive, unidirektionale Ladestationen mit Kabel und Stecker im Einsatz. Insbesondere im Zusammenhang mit der Automatisierung von Fahrsituationen sowie der Verbreitung des autonomen Fahrens werden sich neue Technologien für das Laden und die Verkehrsleittechnik verbreiten. Dabei bedeuten die zukünftig relevanten Systeme nicht nur Investitionen, sondern sie bergen auch Erlöspotenziale für die Betreiber. 2. Stand der Technik - Infrastruktur Parkhäuser nutzen elektrische Energie nur für die Beleuchtung, Fahrstühle, das Entlüftungssystem, Brandschutz und Sicherheitssysteme, die Verkehrsleitung sowie Zutritts- und Bezahlsysteme. Hinzu kommen vorwiegend in Wohneinheiten oder sehr raumbegrenzten Parkhäusern Hubparksysteme. Lademöglichkeiten für Elektrofahrzeuge stellen im Augenblick noch eher die Ausnahme dar, auch wenn sich die Situation im positiven Sinne sehr dynamisch verändert. Anlagen zur Gewinnung von nachhaltig erzeugter elektrischer Energie sind, wo installiert, Stand der Technik. 3. Stand der Technik - Mobilität Es ist von einer weiter zunehmenden Verbreitung insbesondere von elektrifizierten Pkw und leichten Nutzfahrzeugen in den nächsten Jahren auszugehen. Im Durchschnitt sagen Studien voraus, dass der Anteil von Mild-, Voll- und Plug-in-Hybridfahrzeugen sowie rein batterieelektrischen Fahrzeugen an allen weltweit neu zugelassenen Pkw und leichten Nutzfahrzeugen bis zum Jahr 2030 bei über 50% liegen wird. Im Gegensatz dazu wird prognostiziert, dass der Anteil von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen mit Brennstoffzelle bei unter 1% bleibt. Elektrifizierte PKW haben auf dem Prüfstand einen Durchschnittsverbrauch von 15 - 25 kWh pro 100 km in der Realität ist eher von 20 - 30 kWh auszugehen. Aktuell sind folgende konduktive Ladeleistungen gebräuchlich: An der Haussteckdose sind 2,3 kW zu erreichen, was ca. 7 Stunden Ladedauer für 100 km Reichweite entspricht. Das ist allerdings eine Anwendung, die nur im privaten Umfeld Anwendung findet. 3-phasiges Laden kann abhängig von Netzkapazität und Absicherung zwischen 11 kW (16 A) bis ca. 44 kW (63 A) erfolgen. Auf der Fahrzeugseite sind in der Regel über die Ladetechnik maximal 22 kW realisiert. Das entspricht etwas mehr als einer Stunde Ladezeit für 100 km Reichweite. buch2.indb 121 13.01.20 15: 39 122 9. Kolloquium Parkbauten - Februar 2020 Das Parkhaus für die Energie- und Verkehrswende: Herausforderungen und Lösungen für den Bestand und Neubauten DC-Laden ist, begrenzt durch die Fahrzeuge im Augenblick bis ca. 200 kW verfügbar und erreicht damit unter 10 Minuten Ladedauer für 100 km Reichweite (Porsche Taycan, Tesla). Mittels Gleichstromladetechnik sind in Zukunft noch deutlich höhere Ladeleistungen zu erwarten. Im Forschungsprojekt FastCharge wurde eine Ladeleistung von 450 kW realisiert. Für Nutzfahrzeuge wie beispielsweise elektrische Stadtbusse sind bereits Oberleitungslader mit über 500 kW Ladeleistung am Markt verfügbar. Die in Anspruch genommene Ladeleistung reicht also für den Anwendungsfall Parkhaus bei Wechselstrom von 3,7 kW bis hin zu 22 kW. Mit Blick auf heute verfügbare Fahrzeugmodelle kann davon ausgegangen werden, dass in Parkhäusern mittelfristig noch überwiegend die niedrigeren Werte nachgefragt werden. Langfristig wird es aber erforderlich sein, auch in Parkhäusern für alle Nutzer eine Ladeleistung in Höhe von 22 kW zur Verfügung zu stellen. Ein größerer Bedarf an der Möglichkeit, mit Gleichstrom und einer Leistung von bis zu 350 kW zu laden, wird in Parkhäusern die Ausnahme bleiben. Rein elektrische PKW haben 2019 in Deutschland eine durchschnittliche Reichweite von 371 km während die durchschnittliche Fahrtstrecke für eine Fahrt 15 km beträgt. Während sich die Fahrtstrecke nur wenig ändern wird, kann man davon ausgehen, dass durch höhere Energiedichten und sinkende Kosten der Fahrzeugbatterien die Reichweite weiter signifikant steigen wird. So wird bereits in 2020 eine weitere Steigung um etwa 10% erwartet. Dies beeinflusst natürlich die notwendige zu installierende Ladeleistung zukünftiger Parkhäuser. Die meisten Elektrofahrzeuge werden, wie von konventionellen Fahrzeugen gewohnt, ohne Ladebedürfnis im Parkhaus stehen. 4. Aktuelle Entwicklungen Vor dem Hintergrund der Verbreitung von Elektrofahrzeugen ist mit einem steigenden Bedarf von Autofahrern zu rechnen, die Fahrzeuge auch im halböffentlichen Raum zu laden. Hierfür stehen gegenwärtig noch fast ausschließlich konduktive, unidirektionale Ladestationen ohne die Möglichkeit zur Steuerung von Ladevorgängen zur Verfügung. Solche Ladesysteme können Energie nur vom Stromnetz zum Fahrzeug übertragen und zeichnen sich des Weiteren durch geringen Bedienkomfort aus. Mit ihnen kann insbesondere gleichzeitiges Laden mehrerer Elektrofahrzeuge, sofern nicht entsprechende technische Lösungen vorgesehen sind, zu zwar zeitlich begrenzten, bezüglich der Höhe aber kritischen Lastplateaus oder -spitzen führen. Dabei können Werte erreicht werden, die auch bei Liegenschaften mit bereits hohem mit dem Energieversorgungsunternehmen (EVU) vereinbartem Leistungs-Limit dieses Limit überschreiten. Eine Lösung zur Vermeidung einer Überschreitung vereinbarter Leistungs-Limits besteht darin, mit Hilfe von Erzeugern von Energie aus regenerativen Quellen im Parkhaus Leistung auch unabhängig vom EVU zur Verfügung zu stellen. Dies bietet zudem den Vorteil, die Menge vom EVU bezogener Energie zu reduzieren. Typische Vertreter für solche Erzeuger sind Photovoltaik-Anlagen und an geeigneten Standorten auch (vertikale) Windkraftanlagen. 5. Ausblick auf die Zukunft Eine Ergänzung zu den oben genannten Erzeugern von Energie aus regenerativen Quellen stellen zugehörige Speicher dar. Typische Vertreter hierfür sind stationäre Batteriespeicher. Des Weiteren ist es mittlerweile möglich, Energie gefahrlos durch Umwandlung in Wasserstoff, der wiederum in einem Liquid Organic Hydrogen Carrier (LOHC) gespeichert wird, zu speichern. Hierdurch steht mit Hilfe von Photovoltaik oder Windkraft erzeugte Energie auch bei einem Ausbleiben der regenerativen Quellen etwa für das Laden von Elektrofahrzeugen zur Verfügung. Die Verbindung der Erzeuger und Speicher untereinander sowie mit der Ladeinfrastruktur gelingt durch Einsatz eines Wechselrichters. Eine weitere technische Lösung zur Senkung von Lastplateaus und zur Glättung von Lastspitzen besteht in intelligentem Lade- und Lastmanagement. Diese lädt etwa Fahrzeuge, obwohl sie gleichzeitig an die Ladeinfrastruktur angeschlossen sind, nacheinander und nicht gleichzeitig. Dabei muss durch Berücksichtigung der angestrebten Abfahrtszeiten sichergestellt sein, dass das Lademanagement die zuerst abfahrenden Fahrzeuge auch zuerst lädt und somit die Mobilität der Nutzer nicht einschränkt. Mit Blick auf die Ladeinfrastruktur ist demnächst mit der Verbreitung bidirektionaler Systeme zu rechnen, die eine Entnahme von Energie aus den Traktionsbatterien von Fahrzeugen erlaubt. Dies kann beispielsweise insofern sinnvoll sein, wenn die Fahrzeuge zur Speicherung und späteren Nutzung von Energie aus regenerativen Quellen (z.B. die effiziente Nutzung von Solaranlagen auf Parkhausdächern) genutzt werden sollen. Hierdurch kann es unter Umständen gelingen, vollständig auf eine stationäre Batterie zu verzichten oder letztere kleiner und damit kostengünstiger auszulegen, als es ohne bidirektionale Ladetechnik notwendig wäre. Mitsubishi bietet z.B. noch im Jahr 2019 eine konduktive, bidirektionale Wallbox mit einer Lade-/ Entladeleistung von 10 kW an. In Japan ist das bidirektionale Laden nach dem Reaktorunfall in Fukujima bereits verbreitet, da das Fahrzeug sowohl zur Netzstabilisierung als auch unter anderem als Notstromaggregat genutzt werden kann. Unklarheit besteht in Deutschland unterdessen in der Frage, ob sämtliche dieser Vorgänge, sofern sie nicht im Privathaushalt erfolgen, EEG-Umlagepflichtig sind. Des Weiteren kann davon ausgegangen werden, dass das induktive Laden in naher Zukunft verstärkt zum Einsatz kommt. Diese Technologie, die statt einem Umgang mit Stecker und Kabel lediglich eine gewissenhaftere Posibuch2.indb 122 13.01.20 15: 39 9. Kolloquium Parkbauten - Februar 2020 123 Das Parkhaus für die Energie- und Verkehrswende: Herausforderungen und Lösungen für den Bestand und Neubauten tionierung des Fahrzeugs beim Parken erfordert, zeichnet sich gegenüber konduktiven Systemen unter anderem durch einen sehr hohen Bedienkomfort aus. Wie im Projekt BiLawE nachgewiesen werden konnte, sind induktive Ladesysteme für Pkw effizient mit hohen Wirkungsgraden, sicher für Objekte, gleich ob lebend oder metallisch, und performant mit in diesem Fall 22 kW Ladeleistung (s.a. Kapitel 3). Im Projekt wurde auch ein System zur Fahrzeugpositionierung umgesetzt, welches die in aktuellen Fahrzeugen der unteren Mittelklasse vorhandene Sensorik nutzt. Eine Möglichkeit zur Erzielung von Erlösen mit Hilfe von Elektrofahrzeugen und bidirektionaler Ladetechnik besteht in der Teilnahme am Regelleistungsmarkt. Untersuchungen besagen allerdings, dass dieses Geschäftsmodell insbesondere aufgrund der mittlerweile stark gefallenen, mit Regelleistung erzielbaren Erlöse nicht rentabel ist. Vielversprechender ist Energiemanagement oder Blindleistungskompensation für ausgewählte Liegenschaften mit Hilfe von Elektrofahrzeugen. Ein weiterer Megatrend bei der Entwicklung der individuellen Mobilität, der zukünftig Einfluss auf die Gestaltung von Parkhäusern haben wird, ist neben dem elektrischen Fahren und der Digitalisierung das automatisierte Fahren. Dieses erfordert auch Lösungen zum automatisierten Laden von Elektrofahrzeugen. Hierfür sind induktive Systeme prädestiniert, es befinden sich aber auch Roboter zum automatisierten konduktiven Laden in der Entwicklung. Mit Blick auf die Zukunft darf davon ausgegangen werden, dass beide Technologien ihren Weg auf den Markt finden. Vollautomatisiertes Fahren ist in Form von Valet-Parking in Parkhäusern bereits Realität. Die Funktion hängt dabei in Zukunft stark von der Ausstattung der Infrastruktur und nicht wie es bei automatisiertem Fahren auf der Straße erforderlich wäre von der Fahrzeugausstattung ab. In aktuellen Forschungsprojekten wird bewusst die Interaktion zwischen Parkhaus und Fahrzeug untersucht. So steuert etwa in einem Projekt zum Valet-Parking im Parkhaus des Mercedes-Benz-Museums die Infrastruktur des Parkhauses das Fahrzeug auf den Parkplatz. Im Projekt SynCoPark (Synergien aus Kooperation und Standardisierung im herstellerunabhängigen automatisierten Parken) wird darüber hinaus bereits eine Standardisierung für die Qualifizierung und Zertifizierung von Infrastruktur im Parkhaus und in Fahrzeugen entwickelt. Nach Abschluss der Arbeiten wird es perspektivisch möglich sein, dass Fahrzeuge auch von abseits gelegenen Orten selbsttätig zu Parkhäusern fahren und erst bei Bedarf wieder zum Nutzer zurückkehren zum Antritt einer Fahrt. 6. Zusammenfassung und Ausblick Digitale Bezahlsysteme, automatisierte Mobilität und Elektrifizierung werden die Parkhäuser der Zukunft verändern. Das Parkhaus wird sich zusammen mit den Fahrzeugen in ein möglichst nachhaltiges, intelligentes Energiegesamtsystem verwandeln. Es entstehen in der Zukunft neue Geschäftsmodelle für die Parkhausbetreiber. Die Veränderung der individuellen Mobilität hin zu einer teilweise intermodalen Fortbewegung und Einfahrverbote in Innenstädte werden zudem grundsätzlich den Bedarf und die Gestaltung der Parkflächen verändern. Literaturverzeichnis H. Triebke, D. Borrmann, “Revenue Potentials of Residential Prosumers with Inductive EV-Charging Infrastructure through Energy Management Modelling,” in Proceedings of the 6th Conference on Future Automotive Technology (CoFAT 2017), 9th - 10th May 2017, Fürstenfeldbruck, Deutschland. A. Mahajan, S. Reichert, “Dimensioning and comparison of circular and double D coil geometries for inductive charging of electric vehicles,” in Proceedings of the 30th International Electric Vehicle Symposium, 9th - 11th October 2017, Stuttgart, Deutschland. T. Poguntke, P. Schumann, K. Ochs, “Radar-based living object protection for inductive charging of electric vehicles using two-dimensional signal processing,” Wireless Power Transfer, vol. 4, no. 2, October 2017. P. Schumann, D. Borrmann, A. Mahajan, M. Mittels-dorf, T. Schember, “Bidirectional inductive charging systems economical in the electricity grid - Development and application of a technology to boost electric mobility,” in Proceedings of the 31st Electric Vehicle Symposium (EVS 31), 1st - 3rd October 2018, Kobe, Japan. P. Schumann, D. Borrmann, A. Mahajan, M. Mittels-dorf, T. Schember, “Bidirectional inductive charging systems economical in the electricity grid,” Kolloquium Future Mobility, Technische Akademie Esslingen, 2nd July 2019, Esslingen, Deutschland. buch2.indb 123 13.01.20 15: 39