eJournals Kolloquium Parkbauten 10/1

Kolloquium Parkbauten
kpb
2510-7763
expert verlag Tübingen
0208
2022
101 Technische Akademie Esslingen

Dauerhaftigkeit chloridexponierter Stahlbetonbauteile mit hochlegierter Bewehrung

0208
2022
Andreas Fraunhofer
Frederik Ripa
Christoph Dauberschmidt
Der Schutz von chloridexponierten Stahlbetonbauteilen wird häufig durch Beschichtungssysteme sichergestellt, die meist mit einem hohen Wartungsaufwand über die weitere Nutzungsdauer einhergehen. Eine mögliche Alternative besteht in der Verwendung hochlegierter, nichtrostender Bewehrung. Durch geschickte Wahl in besonders stark beanspruchten Bereichen und die Möglichkeit der Ausführung von Mischbewehrung mit Schwarzstahl, kann mit dieser Bewehrung auch wirtschaftlich gebaut werden. In vielen Bereichen ist dabei anstelle sehr teurer, hochkorrosionsfester austenitischer Chrom-Nickel-Stähle die Verwendung deutlich günstigerer Chromstähle ausreichend. An der Hochschule München wurde ein Industrieforschungsvorhaben durchgeführt, in dem die Beständigkeit einer Chromstahl-Bewehrung mit Werkstoffnummer 1.4003 im chloridbelasteten Trennrissbereich untersucht wurde. Diese dabei ermittelten Ergebnisse bildeten die Grundlage für die Erstellung von Ausführungsvarianten bei Tiefgaragen. Über Bauwerksuntersuchungen an einer Vielzahl von Bestandsbauwerken wird dargestellt, wie sich eine hohe Nutzungsdauer mit solch einer Bewehrung auch bei hoher Chloridbelastung realisieren lässt.
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10. Kolloquium Parkbauten - Februar 2022 95 Dauerhaftigkeit chloridexponierter Stahlbetonbauteile mit hochlegierter Bewehrung Übertragung von Untersuchungsergebnissen zu wirtschaftlichen Ausführungen bei Tiefgaragen Andreas Fraundorfer Institut für Material- und Bauforschung, Hochschule München, Deutschland Frederik Ripa Institut für Material- und Bauforschung, Hochschule München, Deutschland Christoph Dauberschmidt Institut für Material- und Bauforschung, Hochschule München, Deutschland Zusammenfassung Der Schutz von chloridexponierten Stahlbetonbauteilen wird häufig durch Beschichtungssysteme sichergestellt, die meist mit einem hohen Wartungsaufwand über die weitere Nutzungsdauer einhergehen. Eine mögliche Alternative besteht in der Verwendung hochlegierter, nichtrostender Bewehrung. Durch geschickte Wahl in besonders stark beanspruchten Bereichen und die Möglichkeit der Ausführung von Mischbewehrung mit Schwarzstahl, kann mit dieser Bewehrung auch wirtschaftlich gebaut werden. In vielen Bereichen ist dabei anstelle sehr teurer, hochkorrosionsfester austenitischer Chrom-Nickel-Stähle die Verwendung deutlich günstigerer Chromstähle ausreichend. An der Hochschule München wurde ein Industrieforschungsvorhaben durchgeführt, in dem die Beständigkeit einer Chromstahl-Bewehrung mit Werkstoffnummer 1.4003 im chloridbelasteten Trennrissbereich untersucht wurde. Diese dabei ermittelten Ergebnisse bildeten die Grundlage für die Erstellung von Ausführungsvarianten bei Tiefgaragen. Über Bauwerksuntersuchungen an einer Vielzahl von Bestandsbauwerken wird dargestellt, wie sich eine hohe Nutzungsdauer mit solch einer Bewehrung auch bei hoher Chloridbelastung realisieren lässt. 1 Zwischenergebnisse und das Versuchsprogramm zu diesem Forschungsprojekt wurden bereits in [Dau1] vorgestellt. Kapitel 1 bis Kapitel 4 sind inhaltlich weitgehend deckungsgleich zu [Dau1], wurden aber aktualisiert. 1. Einleitung 1 Zur Sicherstellung der Dauerhaftigkeit von chloridexponierten Bauteilen bieten sich vielfältige Möglichkeiten. Meistens wird eine über den Nutzungszeitraum wartungsintensive Beschichtung oder eine Abdichtung mit Verschleißschicht auf den Beton aufgebracht, um einen Chlorideintrag in den Beton auszuschließen. Werden die Beschichtungssysteme nicht korrekt gewartet und eine Rissbildung bleibt unentdeckt, kann bereits eine Winterperiode [RAU1] ausreichend sein, um Korrosion im Bauteil aufgrund des dabei stattgefundenen Chlorideintrags zu initiieren. Der Grenzwert von 0,5 M-% Cl - / z, ab dem laut [TRI1] ein sachkundiger Planer das Korrosionsrisiko bewerten soll und der als unterer Grenzwert für eine eintretende Korrosion angesehen wird, bezieht sich hierbei maßgeblich auf den ungerissenen Beton und auf unlegierten Bewehrungsstahl. Eine Möglichkeit, das Korrosionsrisiko weitestgehend auszuschließen, besteht in der Verwendung von nichtrostender Bewehrung (gängig: Edelstahl- oder GFK-Bewehrung). Während GFK-Bewehrung kostenintensiver als unlegierter Betonstahl und das Biegen auf der Baustelle nicht mehr möglich ist, ist die Verwendung der gängigen hochlegierten, austenitischen Edelstähle 1.4571 und 1.4401 (früher V4A) nochmals teurer (etwa Faktor 10 zu 96 10. Kolloquium Parkbauten - Februar 2022 Dauerhaftigkeit chloridexponierter Stahlbetonbauteile mit hochlegierter Bewehrung unlegiertem Bewehrungsstahl) und nur in wenigen Fällen wirtschaftlich. Eine weitere Ausführungsvariante besteht in der Verwendung des deutlich kostengünstigeren, hochlegierten, ferritischen Chromstahls 1.4003. Die Korrosionsbeständigkeit eines solchen auf dem Markt erhältlichen Bewehrungsstahls in chloridhaltigen Rissbereichen bei Stahlbetonbauteilen ist aktueller Forschungsgegenstand am Institut für Material- und Bauforschung der Hochschule München. [Dau2] 2. Unlegierte und legierte Bewehrungsstähle Als gängige, unlegierte Betonstähle finden Stähle der Werkstoffnummern 1.0438 (B500A, normalduktil) oder 1.0439 (B500B, hochduktil) Verwendung [DIN1]. Die Bezeichnung Edelstahl bezieht sich auf einen Stahl besonderer Reinheit, bezogen auf die unerwünschten Eisenbegleiter wie Phosphor und Schwefel. Der Begriff Edelstahl intendiert noch keinen rostfreien Stahl. Damit Stähle bei normalen Umwelteinflüssen „rostfrei“ werden, ist ein hoher Anteil an Chrom (10,5 % und mehr [DIN3], praktisch jedoch i.d.R. erst ab 12 %) erforderlich. Solche Stähle mit hohem Chromanteil bilden eine schützende Passivschicht aus Chromoxiden an der Stahloberfläche. Abhängig von Art und Gehalt an Legierungselementen, sowie der Herstellung, können nichtrostende Stähle in verschiedenen Gefügearten (Ferrit, Austenit, Martensit, eine Mischung aus Austenit und Ferrit (Duplexstahl) oder eine Mischung aus Ferrit und Martensit (Dualphasenstahl)) vorliegen, die auf einer anderen räumlichen Gitteranordnung der Atome beruhen [GRE1]. Dadurch werden u.a. auch Korrosionsneigung, Härte und Festigkeit beeinflusst. Austenitbildende Legierungselemente sind z.B. Nickel, Kohlenstoff, Stickstoff und Mangan. Chrom und Molybdän sind zwei Vertreter der ferritstabilisierenden Legierungselemente. Der im Rahmen dieser Versuche untersuchte Edelstahl ist der Werkstoffnummer 1.4003, Werkstoffkurzname X2CrNi12 nach [DIN2] zuzuordnen. Die Werkstoffnummer 1.4003 beschreibt einen korrosionsträgen, hochlegierten, ferritischen Chromstahl mit 10,5 bis 12,5 % Chromanteil und Nickelzusatz. Der Anteil an Kohlenstoff liegt bei 0,02 %. Dabei steht die Bezeichnung X für den mittleren Legierungsanteil eines Elements von mindestens 5 % [DIN2]. Im Vergleich zu den geläufigeren Edelstahlbewehrungen aus Chrom-Nickel-Stählen, wie 1.4401 (X5CrNiMo17-12-2, ehemals V4A), wird beim 1.4003 auf Molybdän als Legierungselement verzichtet. Der Chromgehalt ist reduziert. Nickel ist nur bis 1 % zugesetzt, wodurch der Stahl deutlich günstiger hergestellt werden kann als die gängigen Austenite. Im speziellen Fall des hier untersuchten Edelstahls („Top12“) handelt es sich um einen ferritischen Stahl mit mindestens 12 % Chromanteil. Die Herstellerangaben zur Zusammensetzung sind in nachfolgender Tab. 1 gegeben: Tab. 1: Zusammensetzung Top12-500 nach [SWI1] C Si Mn P S Cr Ni N Ø 0,015 0,7 0,5 max. 0,025 max. 0,005 mind. 12,0 0,5 0,02 Eine Analyse mittels Röntgenfluoreszenanalyse der getesteten Stähle an der Hochschule München ergab einen Chromgehalt von ca. 12,5 %. Ein Materialmix im Stahlbetonbauteil aus Edelstahlbewehrung und unlegiertem Betonstahl (Mischbewehrung) führt hierbei zu keiner Unverträglichkeit durch eine eintretende Kontaktkorrosion. Solange der unlegierte Bewehrungsstahl durch die Alkalität des Betons ausreichend passiviert ist, sind Ruhepotential von Edelstahl und unlegiertem Stahl nahezu identisch, wodurch sich keine anodischen und kathodischen Bereiche ausbilden können [NÜR1]. Bei hochlegierten, sehr korrosionsbeständigen Stahlwerkstoffen basiert die Reaktionsträgheit auf der Bildung einer sehr stabilen Passivschicht aus Chromoxiden, die unter einem weiten Bereich von pH-Werten und Einwirkungen stabil ist. Verglichen mit unlegiertem Bewehrungsstahl findet dabei eine Korrosionsinitiierung erst unter deutlich ungünstigeren Randbedingungen, die wie bei herkömmlichem Betonstahl in alkalischer Umgebung mit einer Auflösung der Passivschicht verbunden ist, statt. Sobald die Passivschicht des hochlegierten Stahls jedoch verletzt ist, treten meist lokal begrenztere Depassivierungen als bei normalem Bewehrungsstahl auf. Die Korrosionsrate ist bei hochlegierten Edelstählen im Vergleich zu unlegiertem Stahl kleiner, die Abtragstiefe dadurch jedoch etwa vergleichbar groß [SCH1]. Hinzu kommt, dass bei kleineren Lochfraßnarben eine schlechtere Belüftung des Elektrolyten in der Narbe stattfindet, was eine zusätzliche Ansäuerung bewirkt, die den Abtrag weiter verstärkt. 3. 3. Bisherige Untersuchungen zu 1.4003 In der Literatur gibt es durchaus zahlreiche Untersuchungen zum Korrosionsverhalten von Bewehrungsstählen mit der Werkstoffnummer 1.4003 in chloridhaltigem Beton. Die dort untersuchten Bewehrungsstähle aus 1.4003 besaßen aber noch teilweise die damals übliche Lieferform mit Walzhaut. Da diese zu einer schlechteren Chloridbeständigkeit führt, wurden neue Untersuchungen an der aktuell üblichen Lieferform ohne Walzhaut (gebeizt) an verschiedenen Instituten durchgeführt. In früheren Untersuchungen kommen [Bis1], [Gre1], [Sch1], [Sch2] zu einem kritischen korrosionsauslösenden Chloridgehalt über 2,6 M.-%/ z bei sehr unterschiedlichen Untersuchungsmethoden. In [EBE1], zusammengefast in [EBE2] wurde an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung ein kritischer korrosionsauslösender Chlorid- 10. Kolloquium Parkbauten - Februar 2022 97 Dauerhaftigkeit chloridexponierter Stahlbetonbauteile mit hochlegierter Bewehrung gehalt von 2,7 M.-%/ z bei 10-%iger Korrosionswahrscheinlichkeit ermittelt. In [KAE1] wurden diverse Versuchsprogramme zusammenfassend dargestellt. Beim Vergleich der unterschiedlichen Prüfmethoden ergab sich dabei ein kritischer korrosionsauslösender Chloridgehalt der 1.4003 Bewehrung von 2,3 M.-%/ z in ungerissenem Beton. 4. Versuchsreihe zum Korrosionsverhalten in chloridbelasteten Rissen 4.1 Fragestellung Wie dargestellt existiert bereits eine Vielzahl an Untersuchungen zu 1.4003 in ungerissenen Beton, aber nur wenige Versuche zum Korrosionsverhalten dieses Stahls in chloridbelasteten Rissen. Dieses Korrosionsverhalten ist insofern von hoher Praxisrelevanz, da durch die gezielte Auswahl von bestimmten Zementen bzw. Betonen die Einleitungsphase von z.B. ungerissenen und unbeschichteten Tiefgaragenbodenplatten mit herkömmlicher Bewehrung auf mehr als 50 Jahre auslegt werden kann. Allerdings führt das Entstehen eines Risses, in den Chloride eindringen können, zu einer hohen Korrosionswahrscheinlichkeit der Bewehrung im Rissbereich. Die heute häufig angewandte Methode, die Bodenplatte mit einer rissüberbrückenden Beschichtung zu versehen, ist aber sehr wartungs- und instandhaltungsintensiv. Auch können bei hohen Wasserdrücken von außen Blasen und Ablösungen entstehen. Insofern würde die Einsatzmöglichkeit eines Bewehrungsstahls 1.4003 mit einer nachgewiesenen hinreichenden Korrosionsbeständigkeit im chloridbeaufschlagten Riss eine wirtschaftliche und robuste Bauweise von z.B. Tiefgaragen-Bodenplatten ermöglichen. Ziel des Forschungsvorhabens war die Ermittlung der Beständigkeit des 1.4003 Bewehrungsstahls im chloridbelasteten, nicht karbonatisierten Trennrissbereich. Sämtliche Proben des 1.4003 wurden gebeizt (ohne Walzhaut) geprüft, das der aktuellen Lieferform des „Top12“ zur Baustelle entspricht. Aus Voruntersuchungen an der Hochschule München wurde bereits ein Vorgehen für die Untersuchung entwickelt [Dau3]. 4.2 Versuchsaufbau Für die Versuche wurden Stahlbetonbalken mit Trennriss erstellt. Untersucht werden Stahlbetonproben mit 1.4003 sowie mit unlegiertem Bewehrungsstahl 1.0439 (B500B), der als Referenz dient. Die verschiedenen Probekörper werden regelmäßig mit Chloridlösungen unterschiedlicher Konzentration beaufschlagt, um einen Chloridgehalt in der Rissflanke zu ermitteln, ab dem eine erste stabile Korrosionsinitiierung gemessen werden kann. Je Stahlbetonbalken wurde ein Bewehrungsstab zentrisch einbetoniert. Die Balken erhielten umlaufend eine Sollbruchstelle über eingelegte Dreikantleisten, durch die später die Risserzeugung erfolgte s. Abb. 1. Abb. 1: Skizze des Prüfkörperaufbaus Bis auf den Bereich um den Trennriss wurde der Bewehrungsstahl mit einer PU-Abdichtung versehen, um eine Verfälschung der Messergebnisse durch Karbonatisierung der Randzone auszuschließen und um eine definierte Anodenfläche zu erhalten. Als Referenz- und Gegenelektroden wurden Ringe aus einem Titanmischoxidband verwendet. Der Abstand zur Bewehrung wurde über Kunststoffabstandhalter sichergestellt, vgl. Abb. 2. Abb. 2: 1.4003 mit Titanmischoxidelektroden Die Verbindungsstellen der Messkabel wurden ebenfalls mit einer PU-Abdichtung versehen, um eine Kontaktkorrosion zu unterbinden. Für den Betonentwurf wurde ein CEM I 42,5 N Zement mit einem w/ z-Wert = 0,45 und eine A/ B 8 Sieblinie verwendet. Nach Aushärtung des Betons wurde ein Trennriss in der Prüfmaschine über eine Doppelbiegung in einem Dreipunkt-Biegeversuch erstellt und mittels rostfreier Edelstahlplättchen offen gehalten. (w k = 0,25 mm), vgl. Abb. 3. 98 10. Kolloquium Parkbauten - Februar 2022 Dauerhaftigkeit chloridexponierter Stahlbetonbauteile mit hochlegierter Bewehrung Abb. 3: Probekörper mit erstelltem Trennriss Nach einer ausreichenden Erhärtungsphase von 28 Tagen wurde zuerst eine Leitungswasserbeaufschlagung und Nullmessung gestartet, anschließend erfolgte die Beaufschlagung mit chloridhaltigem Wasser. 4.3 Versuchsdurchführung Die externe Beaufschlagung mit chloridhaltigem Wasser erfolgte durch eine NaCl-Lösung in verschiedenen Konzentrationen. Diese wurde in den seitlich verdämmten und nur einseitig für die Beaufschlagung offenen Rissbereich gegeben. Dabei können Chloride aus der Lösung teilweise in den Beton eindiffundieren, großteils ist jedoch auch ein „Huckepacktransport“ der Chloride durch kapillare Saugvorgänge in den zwischenzeitlich immer wieder trocken gelagerten Probekörper möglich. In regelmäßigen Zyklen wurden die Balken im Rissbereich mit chloridhaltiger Lösung beaufschlagt, deren Konzentration auf Grundlage der Vorversuche aus [Dau3] ermittelt wurden. Im Anschluss erfolgte eine mehrtägige Trocknungsphase. Wöchentlich wurden die freien Korrosionspotentiale, Elementströme, Polarisationswiderstände, sowie Elektrolytwiderstände der Proben erfasst. Ein Teil des tatsächlichen Korrosionsstroms ist durch die Korrosionsstrom-Messung nicht korrekt erfassbar, da Anode und Kathode räumlich nicht vollständig voneinander getrennt werden können. Ströme, die für die Kathodenreaktion auf der Anode verbraucht werden, sind somit nicht gesondert identifizierbar [HEI1]. Nachfolgend wird der Begriff Elementstrom als Strom zwischen der vermeintlichen Anode und der Kathode verwendet. Näherungsweise wird dieser dem Korrosionsstrom gleichgesetzt. Nach jeder Elementstrommessung wurde der absolute Wechselstromwiderstand (Impedanz) bei 1 kHz Messfrequenz ermittelt. Dieser Wert dient zum Abgleich mit den Elementströmen. Dadurch ist ein Rückschluss möglich, ob ein Stromanstieg lediglich auf einem verringerten Elektrolytwiderstand oder auf einer Veränderung der anodischen Korrosionsaktivität beruht. Für die korrekte Erfassung des sehr kleinen Elementstroms wurde ein Potentiostat verwendet, der als Nullwiderstandsstrommessgerät (Zero Resistance Amperemeter, kurz: ZRA) geschalten wurde. Für diese Messanordnung wird eine Zwei-Elektroden-Anordnung verwendet, wobei auf eine separate Referenzelektrode zur Potentialerfassung verzichtet wird. Die Gegenelektrode wird zeitgleich als Referenz genutzt, vgl. Abb. 4. Zu Beginn der Messung wird dabei das Ruhepotential zwischen Gegenelektrode (Titanmischoxidband) und Arbeitselektrode (1.4003 bzw. B500B) ermittelt. Danach wird die Potentialdifferenz zwischen Arbeits- und Gegenelektrode zu Null geregelt und gehalten. Der dazu nötige Strom wird über die Zeit aufgezeichnet. Je länger die Messung dauert, desto stärker konvergiert der Verlauf des „Kurzschlussstroms“ dem Elementstrom, der tatsächlich bei einem dauerhaften Kurzschluss von Arbeits- und Gegenelektrode fließen würde. Abb. 4: Messanordnung (ZRA) im Versuch Eine Problematik bei der Versuchausauswertung der Elementströme ergibt sich bei der Bestimmung der Anodenfläche im Rissbereich, die zur Bestimmung der Elementstromdichte und damit zur quantitativen Bestimmung des Querschnittsverlust erforderlich wäre. Der Elementstrom entspricht dabei nicht exakt dem Korrosionsstrom, da die Arbeitselektrode (für die Messung als Anode betrachtet) auch kathodische Bereiche ausbildet, durch die ein Teil des Korrosionsstroms als Elektrolytreaktion verbraucht wird. Hier besteht nun eine Unwägbarkeit hinsichtlich der Korrosionsaktivität des Stahls in der Randzone der Rissflanken. Die im Riss befindliche und damit mathematisch ableitbaren Stahloberfläche als Anodenfläche anzusetzen ist hier nicht zielführend. Die mitwirkende Anodenfläche hängt von zu vielen Einflussfaktoren ab. Insgesamt ist eine korrekte Flächenbestimmung der Anode bei Lochfraßkorrosion, wie im vorliegenden Fall untersucht wird, durch die Narbenbildung und die damit verbundene immer größer werdende Aushöhlung der Narbe versuchstechnisch kaum möglich. Anhand der Darstellung in Abb. 5 werden die Problematiken deutlich. 10. Kolloquium Parkbauten - Februar 2022 99 Dauerhaftigkeit chloridexponierter Stahlbetonbauteile mit hochlegierter Bewehrung Abb. 5: Modell der Korrosion im Rissbereich nach [SCH1] und [GOT1] 4.4 4.4. Auswertung Als Abbruchkriterium für die Versuche wurde die erste stabile Korrosionsinitiierung ohne Repassivierungsvorgänge gewählt. Diese zeichnet sich in einem Sprung in den freien Korrosionspotentialen, sowie einem signifikante Anstieg der Elementströme ab, die nach zwei Wochen der Nicht-Beaufschlagung auch nicht wieder den Ursprungswert erreichen. Zu diesem Zeitpunkt war auch erst sichtbare Korrosion an den herausgetrennten Stahlproben zu erkennen. Der exemplarische Verlauf einer Probe mit und ohne Korrosionsinitiierung kann Abb. 6 entnommen werden. Abb. 6: Verlauf eine Probe mit (lila) und ohne (orange) Korrosionsinitiierung Zum Versuchsende werden in den Rissflanken die tatsächlich vorhandenen Chloridgehalte im Beton am Rissbereich photometrisch ermittelt. Danach wurden die Proben gespalten und fotografisch dokumentiert. Die Darstellung eines Ausgebauten Stahls (B500B) mit Korrosion aus der Versuchsreihe kann Abb. 7 entnommen werden. Die Darstellung einer 1.4003 Probe mit Korrosion ist in Abb. 8 dargestellt. Hier zeigt sich deutlich die zum Trennrissbereich exzentrisch versetzte Narbe nach Abb. 5 . Abb. 7: ausgebauter Schwarzstahl mit Korrosion vor gespaltener Betonprobe Abb. 8: 1.4003 Bewehrungsstahl in gespaltener Betonprobe mit Korrosionsnarbe exzentrisch zum Trennriss 100 10. Kolloquium Parkbauten - Februar 2022 Dauerhaftigkeit chloridexponierter Stahlbetonbauteile mit hochlegierter Bewehrung Abb. 9: aufsummierte Korrosionsinitiierungswahrscheinlichkeiten (Werte der stabilen Korrosionsinitiierung an den Proben) mit linearer Regressionsfunktion und (gestrichelt) Normalverteilung aus [HM1] Je zu untersuchender Betonstahlsorte wurden 18 Prüfkörper geprüft. Dabei sind alle 18 Proben untereinander identisch hergestellt und dienen der üblichen Ermittlung von Streuungen bei den Versuchen. Aus den ermittelten Chloridgehalten bei Korrosionsinitiierung wurde eine Verteilungsfunktion nach der Korrosionsinitiierungswahrscheinlichkeit erstellt, s. Abb. 9 . Dabei ergibt sich bei den 1.4003 Stählen bei Ansatz einer linearen Verteilungsfunktion und einer Korrosionsinitiierungswahrscheinlichkeit von 5 % ein Chloridgehalt von 1,7 M.-%/ z. Dieser Wert liegt unter dem kleinsten Einzelwert bei den ermittelten Proben und daher für die Versuche auf der sicheren Seite. Bei einer Wahrscheinlichkeit von 50% für eine Korrosionsinitiierung ergibt sich aus den Versuchen ein Chloridgehalt von rd. 4,1 M.-%/ z. Vergleicht man die B500B Referenzstähle ergibt sich bei 50% Korrosionsinitiierungswahrscheinlichkeit ein Wert von 0,6 M.-%/ z. Ergebnisse an gebeizten 1.4003 Bewehrungsstählen im nicht gerissenen Beton sind in [KAE1] dargestellt. Dabei ergab sich ein mittlerer kritischer korrosionsauslösender Chloridgehalt von c crit = 2,3 M.-%/ z. Im Vergleich ergibt sich hier ein deutlich höherer c crit = 1,3 M.-% für unlegierten Bewehrungsstahl. Die im Vergleich deutlich bessere Performance des unlegierten Bewehrungsstahls im ungerissenen Beton ist hierbei primär auf die durchgehende Umhüllung durch das alkalische Milieu des Betons verglichen zum Rissbereich zurückzuführen. Alle Untersuchungsergebnisse beziehen sich dabei auf gebeizte Bewehrung aus 1.4003. 5. 5. Anwendungsmöglichkeiten des 1.4003 bei Tiefgaragen Die höhere Chloridbeständigkeit von 1.4003 Betonstahl zu unlegierter Bewehrung ist bei Verwendung in Tiefgaragen die maßgebende Eigenschaft. Dabei ist jedoch nach Bauteil gestaffelt zu unterscheiden, ob eine Verwendung sinnvoll ist oder nicht. Anhaltspunkte hierfür können die speziell auf diesen Anwendungsfall erstellten Bauteilkataloge [Dau4] und [Dau5] geben. Darin werden die möglichen Anwendungsfälle für 1.4003 Bewehrung bei Bauteilen unter Pflasterbelägen [Dau4], sowie horizontale, direkt befahrene Bauteile nach EGS C [Dau5] erörtert. Am Beispiel von [Dau4] wurden an 13 gepflasterten Bestandstiefgaragen im Alter zwischen 8 und 47 Jahren die unbeschichteten Stahlbetonbauteile unterhalb oder knapp oberhalb des Pflasterbelags auf deren Chloridgehalt untersucht. Aus den 172 Untersuchungsstellen wurden Summenhäufigkeiten der Chloridgehalte in Abhängigkeit des Entnahmeorts des Bohrmehls bei einer mittleren Tiefe von 20 mm gebildet. Dabei wurde nach den Bereichen oberhalb des Pflasters, der Arbeitsfuge und der Fundamentoberseite unterschieden. Während bei 65% der Stellen oberhalb des Pflasters ein Chloridgehalt von 0,5 M.-%/ z überschritten wurde, lagen die Ergebnisse mit 41% (Arbeitsfuge) bzw. 28% (Fundamentoberseite) deutlich geringer. Bei einem kritischen korrosionsauslösenden Chloridgehalt von 1,7 M.-% für den gerissenen Bereich lagen nur noch 6% aller Messwerte in der Arbeitsfuge darüber. Im ungerissenen Be- 10. Kolloquium Parkbauten - Februar 2022 101 Dauerhaftigkeit chloridexponierter Stahlbetonbauteile mit hochlegierter Bewehrung reich der Pflasteroberkante lagen rd. 3% über einem Wert von 2,6 M.-%. Einen Wert von 2,3 M.-% überschritten weniger als 10% der Untersuchungsstellen. In den meisten Fällen wird aus wirtschaftlicher Sicht die Verwendung einer Mischbewehrung, wie bereits in [FIN1] für sehr hochlegierte Bewehrung vorgeschlagen. Der hochlegierte Bewehrungsstahl wird dabei in neuralgischen Punkten eingesetzt (z.B. Stützen- und Wandfüße im Bereich der Chloridexposition) während der unlegierte Bewehrungsstahl in den restlichen Bereichen zum Einsatz kommt. Für 1.4003 sind diverse Anwendungsfälle sinnvoll. So ist z.B. die Verwendung bei aufgehenden Bauteilen im Sockelbereich und auf Fundamentoberseiten und Zerrbalken ohne weitere Abdichtung zielführend. Hier kann beispielsweise mit einem separaten Schutz der Arbeitsfuge Stütze/ Wand zu Fundament mittels Hohlkehle eine dauerhafte Konstruktion erreicht werden, vgl Abb. 10 . Der Vorteil im Vergleich zu einer Abdichtung nach DIN 18533 [DIN4] ist der Entfall des Abdichtungsgewerks zu einem ungünstigen Zeitpunkt der Bauphase. Ein exemplarischer Kostenvergleich aus [Bec1] ergab hier bei einer Stütze mit oberseitig bewehrtem Fundament annähernd gleiche Herstellungskosten wie bei einer Ausführung mit OS5b. Abb. 10: Vergleich Stützenausführung unter Pflaster mit Abdichtung (oben) und 1.4003 Bewehrung (unten), Prinzipskizze in Anlehnung an [Bec1] Auch für Anwendungen im Bereich horizontaler Bauteile im Entwurfsgrundsatz C ergeben sich Vorteile zu konventioneller Bewehrung. So ermöglicht der Einsatz von 1.4003 bei Sollrisssystemen das längere Abwarten über ein oder mehrere Winterperioden, bis sich eine endgültige Rissweitenöffnung eingestellt hat. Die dann entstandenen Risse können mit einer Rissbandage überarbeitet werden. Der Vorteil liegt darin, dass die Rissbandage danach weit weniger gefährdet ist aufzureißen, als bei sehr früher Überarbeitung. 6. Fazit Betonstahl aus Werkstoffnummer 1.4003 erweist sich bei Chloridexposition beständiger als konventionelle Bewehrung. Auch wenn dieser Stahl keine so weitreichende Beständigkeit wie z.B. 1.4571 besitzt, so ist dessen Verwendung für eine Vielzahl an Anwendungen dennoch denkbar. Aktuell ist die Verwendung von 1.4003 als Bewehrung in den meisten Bereichen noch als nicht anerkannte Regel der Technik zu sehen, weshalb eine umfassende Aufklärung der BauherrInnen über Vor- und Nachteile, sowie technische Risiken erforderlich ist. Wie bei sehr hochlegierter Bewehrung wird sich die Anwendung im Einzelfall einer Wirtschaftlichkeitsbetrachtung im Vergleich zu aktuell gängigen und regelwerkskonformen Bauweisen unterziehen müssen. Bei Anwendung von Mischbewehrung und Verwendung des hochlegierten Chromstahls in gut durchdachten Bereichen kann dabei jedoch in einigen Fällen eine ähnlich wirtschaftliche Bauweise wie mit Abdichtungs- oder Beschichtungssystemen in der Herstellung erreicht werden, die zusätzliche Vorteile hinsichtlich des Bauablaufs und der Folgekosten bietet. Literatur [Bec1] Becker, F.: Dauerhaftigkeit von Stahlbetonbauteilen unter Pflasterbelägen. Vortrag auf 3. Münchner Bausymposium, 26.09.2018 [BIS1] Bisschop, J.; Schiegg, Y.; Linden, C.: Effect of rebar and cement type on the critical chloride content of reinforced concrete. Proceedings of EUROCORR, Montpellier (F), September 2016 [Dau1] Dauberschmidt, C.; Fraundorfer, A.: Chloridbeständigkeit eines hochlegierten Bewehrungsstahls im Trennrissbereich von Stahlbetonbauteilen. 9. Kolloquium Parkbauten, 04. und 05.02.2020, TAE, Ostfildern. [Dau2] Dauberschmidt, C.; Fraundorfer, A.: Korrosionsverhalten eines hochlegierten, korrosionsarmen Bewehrungsstahls in chloridbelasteten Rissen von Stahlbetonbauteilen. 8. Kolloquium Parkbauten, 23. und 24.01.2018, TAE, Ostfildern [Dau3] Dauberschmidt, C.; Fraundorfer, A.: Corrosion behaviour of rebars 1.4003 in cracks of RC 102 10. Kolloquium Parkbauten - Februar 2022 Dauerhaftigkeit chloridexponierter Stahlbetonbauteile mit hochlegierter Bewehrung structures containing chlorides, 19 - 21.11.2018, ICCRRR, Cape Town [Dau4] Dauberschmidt, C.; Bauteilkatalog-Einsatzgebiete des Betonstahls Top12 der Fa. Steeltec- Group - Bauteile unter Pflasterbelag. Gutachterliche Stellungnahme vom 10.06.2021 [Dau5] Dauberschmidt, C.; Einsatzgebiete des Betonstahls Top12 der Fa. Steeltec AG - Horizontale, befahrbare Parkflächen nach Entwurfsgrundsatz C. Gutachterliche Stellungnahme vom 20.06.2021 [DIN1] DIN Deutsches Institut für Normung e.V.: DIN 488-1: Betonstahl - Teil1: Stahlsorten, Eigenschaften, Kennzeichnung, August 2009 [DIN2] DIN Deutsches Institut für Normung e.V.: DIN EN 10027-1: Bezeichnungssysteme für Stähle - Teil 1: Kurznamen; Deutsche Fassung EN 10027-1: 2016; Januar 2017 [DIN3] DIN Deutsches Institut für Normung e.V.: DIN EN 10088-1: 2014-12: Nichtrostende Stähle - Teil 1: Verzeichnis der nichtrostenden Stähle; Deutsche Fassung EN 10088-1: 2014; Dezember 2014 [DIN4] DIN Deutsches Institut für Normung e.V.: DIN 18533-1: 2017-07: Abdichtung von erdberührten Bauteilen - Teil 1: Anforderungen, Planungs- und Ausführungsgrundsätze; Juli 2017 [EBE1] Ebell G.; Burkert A.: Elektrochemische Untersuchungen zum kritischen korrosionsauslösenden Chloridgehalt in Mörteln. Gutachten des Fachbereichs 7.6 „Korrosion und Korrosionsschutz“ der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM). Aktenzeichen: 16017800, 20.02.2019. [EBE2] Ebell, G.; Burkert, A.; Günther, T.; Wilsch, G. (2020), Untersuchungen zum korrosionsauslösendenChloridgehalt an nicht rostendem ferritischem Betonstahl in Mörtel. Bautechnik, 97: 21- 31. doi: 10.1002/ bate.201900077. [FIN1] Fingerloos, F.; Meier, A.: Dauerhaftigkeit von Betonbauteilen und Fundamenten unter durchlässigem Fahrbelag. Deutscher Beton und Bautechnikverein; Beton- und Stahlbetonbau 106 (2011), Heft 9 [GOT1] Goto Y.: Cracks formed in concrete around deformed tension bars. Journal oft the American Concrete Institute, 68: 244-251, 1971 [GRE1] Greve-Dierfeld S., Bisschop J., Schiegg Y.: Nichtrostende Bewehrungsstähle zur Verlängerung der korrosionsfreien Lebensdauer von Stahlbetonbauwerken. 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