Kolloquium Parkbauten
kpb
2510-7763
expert verlag Tübingen
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2024
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Technische Akademie EsslingenVerlängerung der Restnutzungsdauer von Chlorid- und AKR-geschädigten Parkbauten am Beispiel des Parkhauses am Holstentor in Lübeck
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Marc Gutermann
Susanne Gieler-Breßmer
Uwe Guttenberg
Das Parkhaus am Holstentor in Lübeck wurde 1992 errichtet. 2017 wurde durch das Sachverständigenbüro Gieler-Breßmer festgestellt, dass umfangreiche Instandsetzungsmaßnahmen notwendig sind, um den Betrieb des Parkhauses für eine Restnutzungsdauer von 2–3 Jahren aufrecht zu erhalten. Dabei waren sowohl statische als auch betontechnologische Sachverhalte zu berücksichtigen. Mit einem Konzept aus Instandsetzung, temporärer Verstärkung (Wiemer-Ingenieure) und Belastungsversuchen wurde 2020 die ausreichende Tragsicherheit fest- und wiederhergestellt. Mit einem anschließenden Monitoring (alterra GmbH) wurde überwacht, ob sich der Zustand in den Folgejahren weiter verschlechtert. Anfang 2023 wurde der Zustand erneut begutachtet und visuell identifizierte Verschlechterungen, insbesondere an den Bauwerksfugen, waren der Anlass, die Tragsicherheit der mangelbehafteten Stockwerksrahmen wieder mit Belastungsversuchen nachzuweisen. Mit einem erweiterten Monitoringkonzept der auffällig gewordenen Bereiche soll das Bauwerk weitere 2 Jahre fortgenutzt werden, bis ein Neubau den AKR- und chloridgeschädigten Bestand ersetzen muss. Dieser Beitrag berichtet von den Projekterfahrungen, insbesondere unsere Erkenntnisse der Bauwerksüberwachung mit wiederholten Belastungsversuchen und Monitoring.
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11. Kolloquium Parkbauten - Februar 2024 17 Verlängerung der Restnutzungsdauer von Chlorid- und AKR-geschädigten Parkbauten am Beispiel des Parkhauses am Holstentor in Lübeck Marc Gutermann Institut für Experimentelle Statik, Hochschule Bremen Susanne Gieler-Breßmer IGF Ingenieur-Gesellschaft für Bauwerksinstandsetzung Uwe Guttenberg Helmut Wiemer Ingenieurgesellschaft für Bauwesen mbH Zusammenfassung Das Parkhaus am Holstentor in Lübeck wurde 1992 errichtet. 2017 wurde durch das Sachverständigenbüro Gieler-Breßmer festgestellt, dass umfangreiche Instandsetzungsmaßnahmen notwendig sind, um den Betrieb des Parkhauses für eine Restnutzungsdauer von 2-3 Jahren aufrecht zu erhalten. Dabei waren sowohl statische als auch betontechnologische Sachverhalte zu berücksichtigen. Mit einem Konzept aus Instandsetzung, temporärer Verstärkung (Wiemer-Ingenieure) und Belastungsversuchen wurde 2020 die ausreichende Tragsicherheit fest- und wiederhergestellt. Mit einem anschließenden Monitoring (alterra GmbH) wurde überwacht, ob sich der Zustand in den Folgejahren weiter verschlechtert. Anfang 2023 wurde der Zustand erneut begutachtet und visuell identifizierte Verschlechterungen, insbesondere an den Bauwerksfugen, waren der Anlass, die Tragsicherheit der mangelbehafteten Stockwerksrahmen wieder mit Belastungsversuchen nachzuweisen. Mit einem erweiterten Monitoringkonzept der auffällig gewordenen Bereiche soll das Bauwerk weitere 2 Jahre fortgenutzt werden, bis ein Neubau den AKR- und chloridgeschädigten Bestand ersetzen muss. Dieser Beitrag berichtet von den Projekterfahrungen, insbesondere unsere Erkenntnisse der Bauwerksüberwachung mit wiederholten Belastungsversuchen und Monitoring. 1. Einführung Mehr als 60 % der Bauaufträge werden heute im Bestand umgesetzt. Eine wesentliche Voraussetzung für Nutzungs-, Instandsetzungs- und Investitionsentscheidungen für Parkbauten ist der Nachweis ausreichender Tragsicherheit für die gewünschten Lastansätze. Oftmals eine Herausforderung für den Tragwerksplaner, wenn zuverlässige Daten über Baustoffe und -konstruktion fehlen oder Bauwerkmängel die Tragfähigkeit abmindern. Wenn der rechnerische Nachweis nicht gelingt, wird meist konventionell verstärkt oder abgerissen und neu gebaut. Das sind jedoch nicht immer wirtschaftliche Varianten. Eine alternative Vorgehensweise ist der experimentell gestützte Nachweis, bei dem entweder wesentliche Parameter für einen rechnerischen Nachweis durch Versuche ermittelt werden (Abb.- 1, B [1]), oder Belastungstests direkt nach Beendigung Planungssicherheit für den Baufortschritt bringen (Abb.-1, A [1]). Die Bandbreite der möglichen Einsatzgebiete experimenteller Methoden erstreckt sich über den gesamten Hoch- und Ingenieurbau. Die Methodik, ihre Legalisierung sowie einige Fallbeispiele von Parkbauten wurden bereits anlässlich der Tagung im Jahr 2020 vorgestellt [2]. Abb. 1: Lösungsstrategien zum Tragsicherheitsnachweis für Bestandsbauten Verlängerung der Restnutzungsdauer von Chlorid- und AKR-geschädigten Parkbauten am Beispiel des Parkhauses am Holstentor in Lübeck 18 11. Kolloquium Parkbauten - Februar 2024 2. Bauwerksbeschreibung Das Parkhaus am Holstentor in Lübeck wurde im Jahr 1992 zur Erschließung der Innenstadt als zentrales Parkhaus in Stahlbetonskelett-Bauweise errichtet. Die einzelnen Achsen sind über 5 Geschosse als Rahmensysteme ausgebildet, zwischen denen die Deckenplatten spannen (Abb. 2). Abb. 2: Ansicht mit statischem System Das Gebäude zeigt im Grundriss eine sehr ausdrucksstarke Architektur in Form eines Kreissegments (Abb. 3). Es besteht aus 2 Parkgebäuden, die im spitzen Winkel zueinander liegen, wobei sich in der Spitze das Haupttreppenhaus und ein Fahrstuhl befinden. In der Mitte zwischen den Parkgebäuden liegt ein begrünter Freiraum. Die einzelnen Parkebenen werden über ein Rampenbauwerk zwischen den beiden Parkgebäuden erschlossen. Abb. 3: Draufsicht Parkhaus am Holstentor Nach Auskunft des Auftraggebers wurden die Fahr- und Parkflächen direkt bei der Erstellung mit einem Oberflächenschutzsystem vor dem Eintrag von Tausalz geschützt. Das Freideck wurde in den Jahren 2009 und 2010 in 2 Bauabschnitten neu beschichtet. Zum damaligen Zeitpunkt fanden keine Betoninstandsetzungsmaßnahmen an der Betonkonstruktion des Freidecks statt, vielmehr wurde die Beschichtung erneuert. Die Untersuchungen wurden im Jahr 2016 dann auf alle Ebenen ausgedehnt. Im Zuge dieser Begutachtung stellte sich heraus, dass der Beton einiger Stützen eine hohe Chloridbelastung besaß. Die Bereiche wurden durch eine Notaussteifung gesichert. Eine umfangreiche betontechnologische Untersuchung folgte mit dem Ziel, ein Instandsetzungskonzept für eine dauerhafte Nutzung des Parkhauses auszuarbeiten. 3. Bauwerkszustand (2017) Die Untersuchung der Bausubstanz offenbarte, dass das Parkhaus nach 25-jähriger Nutzung umfangreich instandsetzungsbedürftig ist. Grundsätzlich hatten die Oberflächenschutzsysteme - obwohl sie zwischenzeitlich verschlissen sind - ihre Schutzwirkung über die letzten 25 Jahre in der Fläche gut erfüllt. Die chloridinduzierte Korrosion der Bewehrung infolge Tausalzbeaufschlagung entstand überwiegend örtlich begrenzt in den Geschossdecken und der Bodenplatte in Bereichen mit Rissen oder Gebäudedehnfugen. Besonders letztere waren kritisch, da hier das tausalzhaltige Wasser auch darunterliegende Bauteile angreifen konnte. Bei den vertikalen Bauelementen, Stützen- und Wandsockeln, konzentrierte sich der hohe Chlorideintrag an Gefälletiefpunkten. Vereinzelt waren bereits ausgeprägte Korrosionserscheinungen erkennbar. Überwiegend wurde an den Probeöffnungen jedoch festgestellt, dass zwar Lochkorrosion vorlag, der Querschnittsverlust insgesamt jedoch noch gering war. Schutz- und Instandsetzungsmaßnahmen waren an diesen Bauteilen deshalb dringend erforderlich, um den Zustand zu erhalten. Untersuchungen an Bohrkernen aus stark gerissenen Bauteilen an der FH Lübeck bestätigten den Verdacht, dass zur Herstellung des Parkhauses alkaliempfindliche Gesteinskörnungen im Beton verwendet worden waren. Eine Instandsetzung von durch AKR geschädigten Bauteilen ist grundsätzlich nicht dauerhaft möglich, da der Prozess durch Verhinderung des Zutritts von Wasser zwar behindert, nicht aber verhindert werden kann. Abdichtungen können diese Behinderung erwirken, das Restrisiko ist bei diesem Bauwerk jedoch sehr hoch, da insbesondere bei den Stützen sowie bei den Stirnkanten der Decken eine fehlstellenfreie Abdichtung nicht möglich ist. Jegliche Instandsetzungsmaßnahme kann somit nur für eine begrenzte Restnutzungsdauer geplant werden und ist sehr aufwändig. Auffallend waren im gesamten Parkhaus die ausgeprägten Rissbildungen in den Rahmensystemen. Diese wurden vom Tragwerksplaner (Ingenieurbüro Wiemer) gesondert beurteilt. 4. Instandsetzungskonzept Nachdem die verschiedenen Optionen zur Instandsetzung und deren Kosten ausgearbeitet waren, wurde aufgrund der Schädigungen und der Vielzahl von Punkten, die nicht abschließend zu klären waren, entschieden, dass das Parkhaus nur noch eine deutlich begrenzte Zeit bis zu einem Ersatzneubau genutzt werden soll. Eine Weiter- Verlängerung der Restnutzungsdauer von Chlorid- und AKR-geschädigten Parkbauten am Beispiel des Parkhauses am Holstentor in Lübeck 11. Kolloquium Parkbauten - Februar 2024 19 nutzung von max. 2-3 Jahr war vertretbar, wenn folgende Maßnahmen ausgeführt werden: • Instandsetzung der mangelhaften Bauwerksfugen und Abdichtung • Dauerhafte Abstützung der Decken unterhalb des gerissenen Einfahrtsbereichs im 1. und 2. UG • Verpressen der dortigen Risse • Rissbandagen im Bereich der Einfahrt • Schutz der Sockel der Rahmenstiele im Bereich der Dehnfugen mit einem OS-System auf EP-Basis • Temporäre Verstärkung der Rampenkonstruktion mit einer Stahlrahmenkonstruktion. • Überarbeitung des bestehenden OS-Systems auf den Rampen mit einem System bestehend aus abgestreuter Grundierung und Versiegelung • Nachweis der Tragsicherheit ausgewählter (schlechter) Stockwerksrahmen durch Belastungsversuche. • Konzeption und Installation eines Monitorings, das die im Instandsetzungsprozess auffälligen Bereiche überwacht. 5. Instandsetzung Das Instandsetzungskonzept für die temporäre Weiternutzung des Parkhauses für eine begrenzte Dauer von 2-3 Jahren sah Maßnahmen an folgenden Bauteilen vor: • Rahmenstiele und Fugen in Achse C/ 4 • Geschossdecke über dem 1. UG - Risse am Boden in der Einfahrt • Rahmen in der Fuge in Achse H/ 1-2 und H/ 6-7 in allen Geschossen • Rampen: • AKR-geschädigte Bauteile an den Rampen • Rampenbauwerk mit Portalrahmen Achse L-N/ 2 sowie L-N/ 6 Die Maßnahmen dienten dem temporären Schutz der Bauteile für eine mit dem Auftraggeber vereinbarte Restnutzungsdauer. Dabei wurde eine Zielvereinbarung definiert, die die Abweichung von den allgemein anerkannten Regeln bewusst in Kauf nahm. Die zur Erreichung des Ziels erforderlichen Maßnahmen wurden nach den zum Zeitpunkt der Ausführung geltenden Regelwerken vom sachkundigen Planer (IGF GmbH) geplant und fachkundig von einer Baufirma umgesetzt und durch den Planer überwacht. Auch wenn die Maßnahme nur eine temporäre Nutzung vorsah, so waren die auf ein technisch notwendiges Minimum begrenzten Maßnahmen gerade deshalb fach- und sachkundig nach geltenden Instandsetzungsprinzipien umzusetzen, um das Risiko eindeutig eingrenzen zu können. 5.1 Örtliche Instandsetzung chloridbelasteter Bauteile Bei dem hier vorliegenden Objekt wäre für eine dauerhafte Instandsetzung als vorrangige Lösung die konventionelle Instandsetzung nach dem Instandsetzungsprinzip R-Cl in Verbindung mit dem Instandsetzungsprinzip W-Cl in Frage gekommen. Bei dem Korrosionsschutzprinzip R-Cl wird der Beton - unabhängig von Korrosionserscheinungen an der Bewehrung - überall dort bis zur Bewehrung bzw. um einen Sicherheitszuschlag darüber hinaus abgetragen, wo der maßgebliche korrosionsauslösende Chloridgehalt überschritten wird. Es reicht dabei nicht aus, den Beton nur dort abzutragen, wo offensichtlich Schäden vorhanden sind. Vielmehr dienen die Ergebnisse von Potentialfeldmessungen, der Messung der Betondeckung der Bewehrung und der Bestimmung des Chloridgehalts in Höhe der Bewehrung an den Stahlbetonbauteilen als Grundlage für die Festlegung des späteren Betonabtrags. Betonabtrag wurde aufgrund der zeitlichen Begrenzung der weiteren Nutzung des Bauwerks auf kleinere örtliche Schadstellen begrenzt. Das Instandsetzungsprinzip R-Cl wurde bewusst nicht in ausreichender Tragweite umgesetzt, vielmehr wurde die weitere Korrosion der Bewehrung in chloridbelasteten Bereichen mit einer gezielten Risikoabschätzung in Kauf genommen und durch andere Maßnahmen kompensiert. Die durch den örtlichen Betonabtrag entstehenden Betonausbrüche werden nach örtlich notwendigen zusätzlichen Bewehrungsergänzungen, die der hinzugezogene Tragwerksplaner festlegen musste, mit Spritzbeton oder einem vorkonfektionierten Reparaturmörtel bzw. -beton, der für den Anwendungsfall zugelassen ist, wieder reprofiliert. Danach sind die instandgesetzten Betonbauteile durch Oberflächenschutzsysteme vor dem weiteren Eintrag von Chlorid (Tausalz) geschützt worden. Als Alternative zu der konventionellen Instandsetzung, die stark in die Statik des Bauwerks eingreift, wäre bei den Rahmenstielen und den Rahmenriegeln unter den Dehnfugen der kathodische Korrosionsschutz (KKS) in Frage gekommen. Die Sinnhaftigkeit und Erfolgsaussichten der Anwendung von KKS waren dann jedoch im Rahmen einer Detailplanung weiter zu klären - insbesondere da AKR eine Rolle spielte. Letztendlich wurde auf diese alternative Lösung verzichtet. Um den Chlorideintrag an den Gebäudedehnfugen zu verhindern, wurden neue Fugenprofile eingebaut. Hierbei wurden folgende Maßnahmen umgesetzt: • Entfernung der Bodenbeschichtung beidseits des Fugenprofile • Entfernen der Sockelbeschichtung an den Stützensockeln, an die die Dehnfugen anschließen • Ausbau der Dichtungseinlage der Fugenprofile • Untergrundvorbereitung an lokalen Ausbruchstellen der Geschossdecken entlang der Fugenprofile und Reprofilierung der Ausbruchstellen • In Abstimmung mit der örtlichen Bauleitung (IGF GmbH) und dem Tragwerksplaner (Wiemer GmbH) aufstemmen von Schadstellen an den Unterzügen und Stützen, sowie deren Reprofilierung mit Spritzbeton oder PCC-Mörtel nach einer Untergrundvorbereitung mit Druckluftstrahlen mit festen Strahlmitteln • Einbau neuer Fugenprofile. 5.2 Oberflächenschutzsysteme und Rissbandagen Oberflächenschutzsysteme wurden nur in den örtlich bearbeiteten, besonders risikobehafteten Bereichen appliziert. Verwendet wurden Verlängerung der Restnutzungsdauer von Chlorid- und AKR-geschädigten Parkbauten am Beispiel des Parkhauses am Holstentor in Lübeck 20 11. Kolloquium Parkbauten - Februar 2024 • ein OS 8 1 -System auf den Rampen • ein OS 11 b 2 -System im Anschluss an die zu erneuernden Fugen • ein OS 10 3 -System auf PMMA-Basis an einem besonders belasteten Stützensockel. • ein OS 10-System auf PU-Basis als Rissbandage auf den Rissen der Einfahrt. • Auf alle Stützen, Kragarme und Deckenunterseiten der Rampe sowie Stirnseiten der Eckenplatten wurde ein OS 5b 4 -Oberflächenschutzsystem gebracht. • Die Sockel der Rahmenriegel im Bereich der instandzusetzenden Fugen wurden mit einem kunststoffmodifizierten Zementspachtel egalisiert, dann grundiert und versiegelt. 5.3 Verstärkung Rampen Bei dem Rampenbauwerk hatte die Alkali-Kieselsäure- Reaktion besondere Relevanz. Bei der Rampe handelt es sich um ein Tragwerk, das als räumliches Gesamttragwerk bemessen wurde (Abb. 2). Das Versagen nahezu jedes Einzelbauteils führt zum Gesamtversagen der Rampenanlage. Es gibt keine Möglichkeit, die AKR der kritischen Gesteinskörnungen des Bestandsbetons sicher und dauerhaft zu unterbinden. Hierzu müsste mit absoluter Sicherheit der Feuchtezutritt zu den Bauteilen verhindert werden. Dies ist selbst bei Applikation von dichten Oberflächenschutzsystemen nicht gesichert möglich, da eine Fehlstellenfreiheit insbesondere im Bereich der Übergänge zu benachbarten Bauteilen nicht gewährleistet ist. 5.4 Experimenteller Tragsicherheitsnachweis (2020) Für die Stockwerksrahmen an den Dehnungsfugen (Abb.- 4) war unklar, wie stark die Stahlbetonbauteile durch Chloride bereits geschädigt sind und ihre Tragfähigkeit dadurch reduziert worden ist. Ein Aufschluss schied wegen des hohen Aufwands für die temporäre Sicherung aus, ebenso eine konventionelle Verstärkung für den Restnutzungszeitraum von 3 Jahren. Es wurde alternativ vorgeschlagen, die Tragsicherheit des Haupttragwerks (Stockwerksrahmen) für aktuelle Nutzlasten durch Belastungsversuche zu ermitteln. Die zu testenden Bauteile wurden unter Berücksichtigung wirtschaftlicher und versuchstechnischer Belange 1 OS 8: Richtlinie für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen 08-1990 und 12-2005 [3]: Chemisch widerstandsfähige Beschichtung für befahrbare, mechanisch stark belastete Flächen. 2 OS 11: Richtlinie für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen 10-2001 [4]: Beschichtung mit erhöhter dynamischer Rissüberbrückungsfähigkeit für begeh- und befahrbare Flächen. OS 11 a: zweischichtiger Auf bau, OS 11b: einschichtiger Auf bau. 3 OS 10: Richtlinie für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen 10-2001 [4]: Beschichtung als Dichtungsschicht mit hoher Rissüberbrückung unter Schutz- und Deckschichten für begeh- und befahrbare Flächen. 4 OS 5 b: Richtlinie für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen 10-2001 [4]: Beschichtung mit geringer Rissüberbrückungsfähigkeit für nicht begeh- und befahre Flächen (mit Kratzbzw. Ausgleichsspachtelung). Bei OS 5 b Polymer/ Zement-Gemisch. so ausgesucht, dass die mit dem offensichtlich schlechtesten Zustand untersucht wurden (Decke über 1. OG und 2.-OG). Die Stichprobe von insgesamt 5 Stahlbetonrahmen wurde als ausreichend angesehen. Der Untersuchungsbereich wurde so eingerichtet, dass die Lasten mit mobilem hydraulischem Belastungsgerät auf dem Unterzug eingeleitet werden konnten. Als Gegengewicht für die Versuchslasten wurde im Kräftekreislauf das Eigengewicht der 2 darunterliegenden Stockwerke genutzt (Abb. 4). Damit das Risiko während der Belastung minimiert war, wurden am Bauteil online mehrere Bauteilreaktionen (z.-B. Durchbiegungen, Dehnungen, Abb. 5). gemessen. Da sie zeitgleich am Monitor als Kraft-Reaktions-Diagramm dargestellt wurden, konnten sie sofort analysiert und auf kritische Werte reagiert werden (Abb. 6). Abb. 4: Querschnitt Stockwerksrahmen an der Fuge mit Belastungsvorrichtung Abb. 5: Messtechnik am Stockwerksrahmen Verlängerung der Restnutzungsdauer von Chlorid- und AKR-geschädigten Parkbauten am Beispiel des Parkhauses am Holstentor in Lübeck 11. Kolloquium Parkbauten - Februar 2024 21 Während der Versuche wurden die maßgebenden Bauteilreaktionen in Abhängigkeit der Versuchslast grafisch auf dem Monitor dargestellt und zeitgleich nach den folgenden Abbruchkriterien analysiert: • Reproduzierbarkeit (gleiche Bauwerksreaktion bei wiederholter Belastung) • Reversibilität (keine bzw. geringe bleibende Verformung) • Grenzwertkriterien (Einzelmesswerte: Rissweiten, Durchbiegung, Schubverformungen, …) Die Versuchsziellast ext-F Ziel -≤-260-kN wurde erreicht, ohne eines der vorgenannten Abbruchkriterien zu verletzen. Sie wurde vorab so ermittelt, dass die Bauteile die Beanspruchung erhalten, die sie nach dem Bemessungskonzept sicher abtragen müssen. Dabei wurden Unwägbarkeiten mit den entsprechenden Teilsicherheitsbeiwerten nach Norm berücksichtigt [1]. Die Versuche haben gezeigt, dass die Tragwerke in der Lage sind, die anzusetzenden Einwirkungen (p-=-3,0-kN/ m 2 ) aufzunehmen, ohne einen ausgeprägten nichtlinearen Zustand zu erreichen. Die maximale gemessenen Durchbiegungen unter Versuchsziellast lagen unter f max -≤ 15,0 mm (Tabelle 1), unter Gebrauchslast überstiegen sie nicht f Q -< 10 mm < l / 1000. Eine Langzeitbelastung im Gebrauchslastniveau zeigte jeweils quasi-konstantes Verformungsverhalten, es lag also bei allen getesteten Bauteilen ein stabiler Lastabtrag vor. Abb. 6: Schubdehnungen Rahmenecke Riegel ü 1.OG Aus den Messkurven (Abb. 6) ließen sich die Stockrahmen und Bereiche identifizieren, die auffällig waren. So zeigten die Schubfelder der Rahmenecken leicht nichtlineares Verhalten, wobei keine Seite durchweg als „schwächere“ Ecke zu identifizieren war. Diese Bereiche wurden für das anschließende Monitoring ausgewählt und aus den Messkurven Warnschwellen abgeleitet. 6. Monitoring 6.1 Konzept Für den geplanten Restnutzungszeitraum (≥ 3 Jahre) sollten vorhandene Risse der Stahlbetonrahmen durch eine Langzeitmessung überwacht werden. Das Messsystem musste daher die relevanten Daten (Rissbreiten und Riegeldurchbiegung) kontinuierlich sammeln und zeitnah in einer zentralen Datenbank für Analysen zur Verfügung stellen können. Bei Überschreitung vorgegebener Grenzwerte sollte z.-B. via E-Mail oder SMS eine Information verschickt werden können. Durch die vorangegangenen Belastungsversuche konnten die Messorte, die Sensorspezifikationen und die Warnwerte bestimmt werden. Die Werte der Dehnungsmessung aus den Belastungsversuchen wurden über die Beziehung Δl-=-e- ∙-l für die Risskontrolle während des Monitorings umgerechnet. Die Warnwerte liegen für die Rissweitenmessungen ohne Temperatureinfluss je nach Messort zwischen 0,1 mm und 0,3 mm (Abb. 7) und für die Riegeldurchbiegung zwischen 6,0 bis 7,5 mm. Letztere werden mit Schlauchwagen überwacht, die die Höhendifferenz zu den Stielen ermitteln. Abb. 7: Schwellwerte für eine Rahmenecke aus den vorhandenen Messkurven (vgl. Abb. 6) Die Messwerte werden jeweils in den Morgenstunden aufgenommen, um den Einfluss aus Betrieb zu eliminieren und den aus Temperatur zu minimieren. 6.2 Erkenntnisse nach 3 Jahren (2023) Die Sensorausstattung und Datenanalyse wurde von der Fachfirma alterra Deutschland GmbH ausgeführt. Das System arbeitet seit Juli 2020 zuverlässig und versendet automatisch Wochenberichte bzw. E-Mail-Benachrichtigungen bei Überschreitung eines Warnwertes. Bei der Analyse der Langzeitmessdaten fiel auf, dass lediglich einzelne Schubdehnungen mehrmals die vorge- Verlängerung der Restnutzungsdauer von Chlorid- und AKR-geschädigten Parkbauten am Beispiel des Parkhauses am Holstentor in Lübeck 22 11. Kolloquium Parkbauten - Februar 2024 Abb. 8: Monitoring einer Rahmenecke (vgl. Abb. 7) gebene Warnschwelle überschritten haben. Eine klare Tendenz der Verschlechterung ist aus den Daten nicht ablesbar - weder bei den Verformungen noch den Biege- und Schubdehnungen (Abb. 8). Bei einer Begehung konnte der Eindruck der Langzeitüberwachung visuell bestätigt werden: keiner der von uns getesteten Rahmen machte einen wesentlich schlechteren Eindruck als zum Zeitpunkt der Messungen vor knapp 3 Jahren. Stichprobenartig überprüfte Rissweiten lagen bei w ≤ 0,3 mm. Vereinzelt konnte jedoch an anderen Stockwerksrahmen ein Schadensbild vorgefunden werden (Risse mit Rostfahnen), das auf eine Verschlechterung des Bauteilzustandes deutete. Weil vom Bauherrn eine zeitlich begrenzte Weiternutzung von 2 Jahren bis zum Ersatzneubau gewünscht wurde, wurden die auffällig gewordenen Stockwerksrahmen 2023 einer neuen Probebelastung unterzogen. 6.3 Wiederholte Probebelastung Stockwerkrahmen Auch bei den beiden zusätzlich getesteten Stockwerksrahmen (Tabelle 1), konnte bei ähnlichen Bauwerksreaktionen eine ausreichende Tragsicherheit für die Nutzung p = 3,0 kN/ m 2 nachgewiesen werden. Das Verformungsverhalten war ähnlich zu dem aus 2020, die linear-elastische Durchbiegungen und leicht nichtlineare Schubdehnungen in den Rahmenecken offenbarten (vgl. Abschnitt 5.4). Lediglich am Rahmen über EG (Achse H 6-7, Süd) löste sich kurz vor der Ziellast eine Verformungsbehinderung, was wahrscheinlich auf Reibung in der Fuge zurückzuführen war. Die Seitenfläche des Unterzugs war gewellt, weil offensichtlich beim Betonieren die Schalung verrutscht war. Tabelle 1: Verformungen und Riegelbreiten der 2020 und 2023 getesteten Stahlbetonrahmen Rahmen in Achse H, 6/ 7 H, 1/ 2 Decke über … 1. OG (S) 1. OG (N) 2. OG (S) 2. OG (N) EG (S) EG (N) 2. OG (S) 2. OG (N) Riegelbreite b [cm] 22,0 25,0 23,5 23,0 24-25 25,0 21,5 25,0 F max [kN] 254 256 254 254 261 258 256 258 f max [mm] 11,5 14,6 8,9 9,6 12 13 13,1 13,8 Messbereiche, die eine auffällige (nichtlineare) Last-Verformungs-Kurve aufwiesen, wurden für eine Erweiterung des Monitoringsystems mit entsprechenden Warnschwellen vorgeschlagen: • 3 Schubdehnung in der Rahmenecke • 1 Biegedehnung auf der Stiel-Außenseite • 1 Durchbiegungsüberwachung des Riegels Die Warnwerte liegen ohne Temperatureinfluss hier je nach Messort für die Betondehnungen (inkl. Rissen) zwischen 0,05 mm und 0,18 mm (umgerechnet mit Δl-=-e-∙-l) und für die Durchbiegung bei 5,6 mm. Für bereits installierte Sensoren konnten anhand der zusätzlichen Messergebnisse die Schwellwerte angepasst werden. Verlängerung der Restnutzungsdauer von Chlorid- und AKR-geschädigten Parkbauten am Beispiel des Parkhauses am Holstentor in Lübeck 11. Kolloquium Parkbauten - Februar 2024 23 7. Zusammenfassung und Ausblick Dieses Projekt zeigt exemplarisch, dass eine umfangreiche Bauwerksanalyse die Basis für ein wirtschaftliches Instandsetzungskonzept sein kann, das Hau-Ruck-Lösungen (viel hilft viel) vermeidet. Neben einer klassischen fachmännischen Instandsetzung gut zugänglicher Bauteile konnte das Risiko anderer Bereiche aus einer Kombination von Abdichtung, experimenteller Tragsicherheitsbewertung und Monitoring soweit minimiert werden, dass eine begrenzte Weiternutzung (2-3 Jahre) vertretbar war. Experimentelle Methoden loten die Tragwerksreserven bestehender Bauwerke aus und können selbst dann ein erfolgsversprechender Lösungsansatz sein, wenn umfangreiche rechnerische Analysen unbefriedigende Ergebnisse erzielt haben. Voranschreitender Computerhörigkeit trotzend bieten sie eine wirtschaftlich attraktive Alternative zu Abriss und Neubau und leisten einen wichtigen Beitrag, um Baukultur zu bewahren. Literatur [1] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb, Hrsg.): Richtlinie für Belastungsversuche an Betonbauwerken. Berlin: Beuth, 07-2020. [2] Gutermann, M., Malgut, W.: Experimentelle Methoden - ein alternativer Weg zum Tragsicherheitsnachweis von Parkbauten“. In: Tagungsband 9. Kolloquium Parkbauten. TAE Esslingen, 04./ 05.02.2020. S. 3-9. [3] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb, Hrsg.): Richtlinie für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen. Teil 1: Allgemeine Regelungen und Planungsgrundsätze. Teil 2: Bauplanung und Bauausführung. Berlin: Beuth Verlag, 08-1990 sowie 2. Berichtigung zur Richtlinie, erschienen 12-2005. [4] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb, Hrsg.): Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen (Instandsetzungs-Richtlinie). Berlin: Beuth, 10-2001.
