Kolloquium Parkbauten
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expert verlag Tübingen
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Technische Akademie EsslingenEntschleunigte Orte – Parkhäuser und Tunnel
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Juliane Rückriem
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11. Kolloquium Parkbauten - Februar 2024 111 Entschleunigte Orte - Parkhäuser und Tunnel Juliane Rückriem Photography + Curation, Köln Text: Dr. Thomas Schriefers, Köln Auszüge aus einem Text anlässlich einer Ausstellung in der Architektenkammer NRW Auf der Suche nach Motiven findet die Fotografin und Künstlerin Juliane Rückriem ihre Ziele in der unmittelbaren Umgebung, zumindest dann, wenn man sich in Städten auf hält. Rückriem ist fasziniert von Architektur, von baulicher Plastik und speziellen Raumsituationen, welche sie instinktsicher aufspürt. Oft sind es gerade diejenigen Orte, an denen man im Allgemeinen nicht verweilt und wo man Formen einer extrem spröden Baukultur, die gerne übersehen wird, findet. Die Fotografin spricht selbst denn auch eher von Orten, die von ihr erst entdeckt werden wollen. Dann, wenn sie sich verwaist zeigen. Aufgelistet sind es die außerhalb der Saison verlassenen Badeanstalten, aufgelassene Industriebauten, Passagen außerhalb der Geschäftszeiten, Strandbäder, Gewächshäuser und seit 2006 vor allem leere, verlassene Parkgaragen und Tunnelanlagen. Es sind Verkehrsräume, die tagsüber, stark frequentiert, sich nachts in zuweilen gespenstisch-ruhende Zonen verwandeln. Zonen, welche man in diesen Zeiten normalerweise meidet. Unorte sind es nicht, Angsträume können es aber leicht werden. Sicher sind es entschleunigte Funktionszonen, die man im Alltag meist nur überfüllt kennt, selbstverständlich nutzt, doch nur selten wirklich wahrnimmt. Ganz anders agiert die Fotografin, die den Moment gerade abwartet, an dem sie dort allein ist, um der besonderen Atmosphäre des für kurze Zeit von seiner Aufgabe befreiten Nutzbaus nachzuspüren. Dabei tut sie, was man normalerweise nicht tut: sie nimmt sich im Parkhaus Zeit und lässt sich intensiv auf einen Ort ein, den man üblicherweise allenfalls flüchtig registriert, während man eilig auf dem Weg hinaus ist oder sich auf der Suche nach dem nächsten Treppenhaus, einem Aufzug und dem Parkticket-Automaten hastig durch die meist nur künstlich beleuchtete Unterwelt bewegt. Ein Erinnerungsfoto ist das Parkhaus wohl den allerwenigsten Besuchern wert. Juliane Rückriem geht es ja nicht um ein schnell gemachtes Bild, auch nicht um die reine Betonung profaner Alltagsarchitektur oder die Tristesse des meist - wenigstens auf den ersten Blick - wenig einladenden Funktionsraums. Denn sie verguckt sich geradezu in ihre Orte, denen sie über Stunden ihre ganze Aufmerksam schenkt. Möglichst soll kein Passant und kein Auto den stillen Dialog mit dem freien Parkraum stören, weshalb sie sich dort meist zu unorthodoxer Zeit auf hält. Dies braucht sie auch, um die von Ihr für diese Werkgruppe bevorzugte Panoramatechnik anwenden zu können, den künstlerischen Eingriff in die Aufnahme, welcher den Betrachter innehalten lässt. Rückriem verstärkt dabei die von ihr wahrgenommenen Kraftlinien der Konstruktion, die sie optisch dehnt. Das Motiv wird dadurch in seiner Wirkung dramatisiert. Es wirkt dynamisch, zuweilen auch monumental geweitet. Zum Beispiel das gläserne Dach vom Parkhaus des Grand Rapids Airport, welches, weit aufgefächert, die einem Kristallpalast eigene Pracht entfaltet. Die rötliche Horizontalgliederung des ringförmigen Lichtgadens verstärkt den Schwung der Spindel, an der sich die Rampen der Parkanlage bis auf das oberste Parkgeschoss empor schrauben. So generiert sich das Parkhaus als Kathedrale einer dem Automobil huldigenden Zivilisation. Abb. 1: Parkhaus 7, Spindel, 2013, 250 × 100 cm Nicht zuletzt wird in den Fotografien für eine differenzierte Wahrnehmung alltäglicher Baukultur geworben. Das zeigt sich z. B. in der Schönheit einer Spindelkonstruktion, welche im Zentrum einer ringförmig angelegten Rampe den zylindrischen Lichtschacht eines Kölner Parkhauses bildet, welches die Künstlerin bereits 2009 erkundete. Eindrucksvoll reflektiert das weiße Strebewerk von oben einfallendes Licht, während der Rampenraum weitgehend im Dunklen bleibt. Auf der linken Seite erstrahlt die Außenwelt als grelles Lichtmeer, während im Dunkel der rechten Seite ein kleines grünes Leuchtschild auf den Notausgang hinweist. Abb.2: Parkhaus 5, Spindel, 2009, 200 × 75 cm Darin artikuliert sich einmal mehr Rückriems Augen zwinkernder Blick auf Details, die sie punktgenau einsetzt, um den Betrachter fast beiläufig durch ihr Bild zu führen. Die Spindel, um welche sich der Verkehrsraum 112 11. Kolloquium Parkbauten - Februar 2024 Entschleunigte Orte - Parkhäuser und Tunnel im Parkhaus auf und ab schraubt, setzt Rückriem immer wieder ins Zentrum ihrer Fotografien. Dabei entwickelt sich ein szenisches Kraftfeld. Raum, der sich luftig wölbt, wie das schon beschriebene Dach der Auffahrt im Parkhaus des Grand Rapids Airport oder das ästhetisch fesselnd schöne Treppenhaus im Kern einer Verkehrsspindel, welches die Fotografin 2012 in Köln aufnahm: weiße Moderne, elegant, schwungvoll in der Abwicklung der sich wendelnden Treppe und diaphan leuchtend durch opakes Glas. Edler lässt sich Parkhausstufensteigen kaum denken! Abb. 3: Parkhaus 2, Treppenhaus, 2012, 200 × 100 cm Dagegen trumpft in Porto die farbige Moderne auf. Das Motiv verdankt sie einem Zufall, einem abendlichen Spaziergang, der Juliane Rückriem vor einem Art-Deco-Gebäude innehalten ließ. Dort, wo verräterisch ein Portal den Blick auf eine Rampe freigibt, welche irgendwo im scheinbaren Nichts zu verschwinden scheint. Nachforschungen, Kontaktaufnahmen und insistierende Gespräche führten schließlich zur Erlaubnis, dem so verführerischen Weg hinein zu folgen. So entdeckte die Fotografin für sich ein Parkhaus, welches noch aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg erhalten ist. Ihre Fotos zeigen eine mit sonnig-goldgelben Fliesen und filigranen, ausstellbaren Eisenrahmenfenstern ausgestattete Garagenarchitektur, die in ihrer Strenge bis heute vom Stolz ihrer Erbauer kündet. Abb. 4: Parkhaus 7, Parkdeck 1, 2017, 200 × 100 cm Blickwechsel. Flüchtig sind die Eindrücke bei der zügigen Passage einer Straßengalerie, die den Blick nach Draußen wegen der regelmäßigen Folge von Betonstützen immer wieder unterbricht. Hell und Dunkel wechseln einander im Takt der Geschwindigkeit fortgesetzter Fahrtätigkeit ab. Wer einmal einen Alpenpass befahren hat, dem sind die Eindrücke vertraut: das taktpräzise Stakkato der Lichtschläge, welche die Durchfahrt kontrastreich rhythmisieren. Ein Verweilen ist nicht vorgesehen, wenn der Verkehrsfluss nicht unterbrochen werden soll. So bleibt es, soweit nicht ein Stau die Fahrt ungewollt unterbricht, beim ruhelosen Erlebnis eines perforierten Tunnels. Diese Praxis durchkreuzt Juliane Rückriem, indem sie, wie schon bei ihren Parkhäusern, 2013 auch die Passage im Pitztal in kurzen Zeiten der Stille aufsucht, um dem Wegraum ihre ganze Aufmerksamkeit zu widmen. Dabei gewinnt sie dem Bauwerk im sorgsam abgepassten Moment etwas ganz Besonderes ab: aus dem üblicherweise in Fahrbahnrichtung gelenkten Tunnelblick wird ein nie gesehenes Panoramaszenario, dass geeignet ist, unsere Phantasie zu beflügeln. Natürlich blickt man in eine verkehrstechnische Anlage ... oder vielleicht doch in das Maul eines riesigen Haifisches? Der punktgenaue Einsatz digitaler Panorama-Kameratechnik macht es möglich, dass sich die eigentlich aus rechtwinklig einander zugeordneten Bauteilen bestehende Konstruktion konvex wölbt. Das Betongerüst wirkt zoomorph und erinnert an Formen, welche man aus der Tierwelt kennt. Abb. 5: Tunnel Pitztal 1, 2013, 200 × 100 cm Nun ist der Einsatz der Panoramatechnik kein Alleinstellungsmerkmal der Fotografien Juliane Rückriem´s, wohl aber die sichere Wahl bestimmter Blickpunkte, von wo aus sie die von ihr entdeckten Raumkontinuen porträtiert. Das zeigen ihre 2012 entwickelten Tunnelfotos. Die spärlich von vertikal angebrachten Neonröhren beleuchteten Betonwände wirken gespenstisch verklärt. Wegen ihrer gebogenen Wände erzeugen sie, durch die Panoramatechnik überhöht, eine Art von Sogwirkung, die die Blicke unwiderstehlich ins Bildinnere zieht. Abb. 6: Tunnel Köln, 2010, 250 × 100 cm Überhaupt spielt die Fotografin gerne mit der Wahrnehmung, sie variiert die Perspektiven und irritiert, indem sie mithilfe digitaler Aufnahmeverfahren in einem Bild etwa die Blickpunkte wechselt. Dabei versteht sie es, ihr Me- 11. Kolloquium Parkbauten - Februar 2024 113 Entschleunigte Orte - Parkhäuser und Tunnel dium immer wieder neu zu interpretieren, dessen Grenzen auszureizen und sich nicht in verführerischen Effekten zu verlieren. Juliane Rückriem gelingt es, selbst der unwirtlichsten Szene poetische Werte abzugewinnen, ohne sie schön zu zeichnen. Mit großer Präzision zeigt sie einfach, was sie mit künstlerischer Aufgeschlossenheit sieht und was uns normalerweise entgeht. Dabei regen ihre nur auf den ersten Blick sachlich anmutenden Szenarien immer wieder magisch dazu an, das Festgehaltene gedanklich weiterzuspinnen. Das gilt zum Beispiel für ihre Parkhaus-Dachlandschaften, wo markant weiße Wegmarkierungen auf dem Asphalt unsere Blicke lenken, vorbei an technischen Aggregaten, welche das Parkdeck bevölkern - bis die Bodenfläche an der Traufkante des Gebäudes hart abbricht. In Rückriems Fotos offenbaren Linien, Pfeile und Bögen das sonst wirksame Organisationsschema der Parkraum- Regelung, die den Betrachter der Fotografien in Abwesenheit der Automobile auffordert, die Verkehrstopografie der Parkdecks zu erwandern. Im Hintergrund zeigen sich „auf Deck“ vertraute Silhouetten: etwa die Turmspitze des Kölner Rathauses ist zu sehen, prominente Kirchtürme, der Fernsehturm - eine Welt jenseits effizienter Parkraumregelung, welche daran erinnert, dass man sich inmitten einer Stadt befindet. Abb. 7: Wege 1, 2006, 40 × 30 cm In den letzten Jahren übernehmen die Fotografien von Juliane Rückriem auch eine dokumentarische Aufgabe. Parkhäuser werden für andere Nutzungen umgebaut oder fallen dem Abriss zum Opfer. Die Fotografin hatte etwa 2011 die Möglichkeit das älteste Parkhaus Bayerns zu fotografieren, zwei Wochen, bevor dessen Umbau in Wohnungen beginnen sollte. Auch wenn diese Parkhäuser in ihrer ursprünglichen Form dann nicht mehr existieren, leben sie in den Fotografien Rückriems weiter. Abb. 8: Parkhaus 12, 2011, 250 × 100 cm Fotografien von Juliane Rückriem befinden sich u. a. im Toledo Museum of Art, im Crocker Art Museum in Sacramento und in der Sammlung der University of Michigan Museum of Art in Ann Arbor sowie in zahlreichen privaten Sammlungen. Im Rheinland ist es die Ines und Jürgen Graf Stiftung für Kunst, Kultur und Industriedesign, die ihre Fotografien gerade auch wegen ihrer pointierten Ausdrucksstärke mit einer Auszeichnung bedacht hat.