Kolloquium Parkbauten
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expert verlag Tübingen
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Technische Akademie EsslingenPrinzip W-CI bei Parkdecks – geht nicht gibt’s nicht?!
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Philipp Truffer
Wenn Parkdecks über kein Oberflächenschutzsystem verfügen, kann es zu einem Eintrag von Chloriden aus von Fahrzeugen eingeschleppten, mit Streusalz belastetem Schnee oder Wasser kommen. Dieser Chlorideintrag in den Beton kann mit der Zeit zu einer chloridinduzierten Bewehrungskorrosion und u.U. zu Tragsicherheitsproblemen führen. Diese Korrosionsart ist insofern gefährlich, da sie vielfach unbemerkt abläuft. Wenn Parkbauten langfristig genutzt werden sollen, bedarf es folglich entsprechender Schutzmaßnahmen um einen weiteren Chlorideintrag ins Bauwerk zu verhindern. Beim Instandsetzungsverfahren W-Cl kann bei bestimmten Randbedingungen auf einen Abtrag des chloridkontaminierten Betons verzichtet werden. Auf die Oberfläche wird eine Beschichtung aufgetragen. Dies kann jedoch dazu führen, dass die Korrosion zumindest während einer bestimmten Zeit weiterverläuft. Der Beitrag zeigt die Risiken auf und thematisiert die Randbedingungen, welche eingehalten werden müssen, damit dieses Verfahren schadenfrei eingesetzt werden kann.
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11. Kolloquium Parkbauten - Februar 2024 249 Prinzip W-Cl bei Parkdecks - geht nicht gibt’s nicht? ! Philipp Truffer Truffer Ingenieurberatung AG, Lalden, Schweiz Zusammenfassung Wenn Parkdecks über kein Oberflächenschutzsystem verfügen, kann es zu einem Eintrag von Chloriden aus von Fahrzeugen eingeschleppten, mit Streusalz belastetem Schnee oder Wasser kommen. Dieser Chlorideintrag in den Beton kann mit der Zeit zu einer chloridinduzierten Bewehrungskorrosion und u.U. zu Tragsicherheitsproblemen führen. Diese Korrosionsart ist insofern gefährlich, da sie vielfach unbemerkt abläuft. Wenn Parkbauten langfristig genutzt werden sollen, bedarf es folglich entsprechender Schutzmaßnahmen um einen weiteren Chlorideintrag ins Bauwerk zu verhindern. Beim Instandsetzungsverfahren W-Cl kann bei bestimmten Randbedingungen auf einen Abtrag des chloridkontaminierten Betons verzichtet werden. Auf die Oberfläche wird eine Beschichtung aufgetragen. Dies kann jedoch dazu führen, dass die Korrosion zumindest während einer bestimmten Zeit weiterverläuft. Der Beitrag zeigt die Risiken auf und thematisiert die Randbedingungen, welche eingehalten werden müssen, damit dieses Verfahren schadenfrei eingesetzt werden kann. 1. Ausgangslage Ungeschützte Betonflächen von bestehenden Parkdecks sind vielfach durch Chloride belastet. Diese wurden durch nasse und/ oder schneebeladene Fahrzeuge eingeschleppt und dringen mit der Zeit immer tiefer in den Beton ein und akkumulieren sich an der Bewehrung. Bei einer Überschreitung eines kritischen Werts der Chloridkonzentration C crit auf Höhe der Bewehrung kann es zu einem Verlust der Passivität kommen und damit eine chloridinduzierte Bewehrungskorrosion auslösen. Diese äußert sich vielfach mit einem punktuellen Querschnittsverlust der Bewehrung in Form von Lochfraß und kann zu einer vollständigen Eisenauflösung und folglich zu erheblichen Tragsicherheitsproblemen führen. Das Perfide an dieser Korrosionsart ist, dass diese vielfach von außen nicht sichtbar ist und das Schadensbild somit mit Zeit unbemerkt zunehmen kann. Im Hinblick auf die Tragwerkserhaltung und Erfüllung einer gewissen Restnutzungsdauer geht es 2. Praxisbeispiel Schadenfall 2.1 Einleitung Nachfolgend soll einleitend anhand einer durchgeführten Instandsetzungsmaßnahme in einer Einstellhalle die aufgeworfene Problematik anhand eines Schadenfalls erläutert werden. 2.2 Ausgangslage Beim Objekt handelt es sich um eine private Einstellhalle in einem mehrgeschossigen Wohnhaus. Das Bauwerk wurde 1989/ 90 erbaut. Im Jahr 2017 wurde der Bodenbelag in der Einstellhalle instandgesetzt. Es handelt sich dabei um eine Bodenplatte mit einer Fläche von rund 300 m 2 und mit Parkplätzen für 13 Fahrzeuge. Art und Umfang des damals vorhandenen Schadensbildes sowie die Entscheidungsgrundlagen für die gewählte Instandsetzungsmaßnahme sind dem Verfasser des vorliegenden Berichts nicht bekannt. In jedem Fall wurden vorgängig keine materialtechnologischen Untersuchungen an der Betonplatte durchgeführt. Aufgrund der zur Verfügung gestellten Unterlagen wurden im Rahmen der damaligen Instandsetzung lokale Betonschäden (Abplatzungen? ) an der Bodenplatte freigelegt und mit einem kunststoffmodifizierten Zementmörtel reprofiliert. Anschließend wurde die Gesamtfläche mittels Kugelstrahlen vorbereitet. Auf den vorbereiteten Untergrund wurde eine 3-komponentige Beschichtung auf ECC-Basis (nominelle Schichtstärke ca. 6 mm) eingebaut und darauf eine 2-komponentige Epoxidharz-Versiegelung appliziert (siehe Abb. 1). Abb. 1: Anschliff Systemauf bau Bodenbeschichtung Die Abbildung entspricht in etwa einem Bildausschnitt von 16 x 11 mm. 2.3 Schadensbild Im Jahr 2022 d. h. rund fünf Jahre nach der durchgeführten Instandsetzung wurden seitens der Eigentümer punktuell rostbraue Verfärbungen auf der Parkfläche festgestellt (siehe Abb. 2). Zusätzlich wurden mittels Abklopfen Hohlstellen auf dem Belag bemerkt. An diesen Stellen wurde der Beton durch den Verarbeiter bis zur Bewehrung freigelegt. Da- 250 11. Kolloquium Parkbauten - Februar 2024 Prinzip W-Cl bei Parkdecks - geht nicht gibt’s nicht? ! bei zeigte es sich, dass die Bewehrung punktuell bereits starke Korrosionsschäden in Form von Lochfraß aufwies (siehe Abb. 3). Abb. 2: Schadensbild 2022: punktuelle rostbraune Verfärbungen auf der Parkdeckbeschichtung Abb. 3: Sondageöffnung Bodenplatte mit freigelegter Bewehrung. Die Bewehrung war zum Zeitpunkt der Begehung bereits mit einem Korrosionsanstrich beschichtet. Die Korrosionsstellen sind auf der Abbildung mit einem Kreis markiert. 2.4 Untersuchungen Aufgrund dieser Ausgangslage wurden vertiefte materialtechnologische Untersuchungen in einem akkreditierten Baustofflabor, der Valtest AG, in die Wege geleitet. Diese umfassten: • Chloridgehalt und -verteilung im Beton mittels - nasschemisch - laserinduzierter Plasmaspektroskopie (LIPS) • Bestimmung der Karbonatisierungstiefe am gespaltenen Bohrkern • Feuchteprofile (Darrmessungen 110 °C) Mittels der laserinduzierten Plasmaspektroskopie (LIPS) können Chloridverteilungen und -tiefenprofile im Beton mit einer sehr hohen Auflösung unter Ausschluss der Gesteinskörnung flächig dargestellt werden (Element Mapping). Nähere Erläuterungen zu diesem neuartigen Untersuchungsverfahren im Bauwesen sind u. a. in [1] oder unter www.baulips.ch zu finden. Die Begutachtung auf Platz sowie die Laboruntersuchungen lieferten folgende Erkenntnisse: • Die Bewehrung in der Bodenplatte ist trotz der verhältnismäßig großen Bewehrungsüberdeckung (zwischen 35 und 50 mm) und dem vorhandenen Oberflächenschutzsystem sehr stark geschädigt (Lochfraß-Korrosion). • Der Beton der Bodenplatte wies eine relativ starke Durchfeuchtung mit einem Feuchtegradienten gegen die Oberfläche auf. • Die Chloridanalysen zeigten sehr hohe Werte mit relativ großen Eindringtiefen auf (siehe Abb. 4). • Auffallend dabei war zudem, dass auch der im Jahr 2017 eingebaute kunststoffmodifizierte Reprofilierungsmörtel bereits wieder hohe Chloridwerte aufwies (Umverteilung). • Zur Kontrolle inwieweit die Chloride im Bereich der Stützen ev. bis in größere Tiefen (untere Bewehrungslagen) vorgedrungen sind, wurden auch hier entsprechende Analysen durchgeführt. Diese zeigten keine erhöhten Chloridwerte. • Die Abbildung 5 zeigt den Karbonatisierungsverlauf an den entnommenen Bohrkernen. Gut zu erkennen ist dabei, dass der obere Teil der Bodenplatte zwischen 20 und 30 mm tief karbonatisiert ist. Im Rahmen der Instandsetzung wurde wie erwähnt kein eigentlicher Betonabtrag vorgenommen. • In bestimmten Bereichen der Betonplatte hatten sich Schalen gelöst (siehe Abb. 6). Die Freilegung dieser Stellen zeigte korrodierende Bewehrung. 11. Kolloquium Parkbauten - Februar 2024 251 Prinzip W-Cl bei Parkdecks - geht nicht gibt’s nicht? ! Abb. 4: Chloridverteilung und Chloridtiefenprofil mittels LIPS an einem gespaltenen Bohrkern aus der Bodenplatte (Messung und Auswertung Valtest AG) Abb. 5: Karbonatisierungsfront in der Betonplatte (Pfeilmarkierungen), der nachträglich aufgebrachte ECC-Mörtel an der Oberfläche ist ebenfalls noch alkalisch (violette Verfärbung) Abb. 6: Schalenbildung im Bereich korrodierender Bewehrung 2.5 Ursachen-Analyse Es kann angenommen werden, dass die hohen Chloridwerte im Beton bereits vor der Instandsetzung 2017 im Beton vorhanden waren. Es wurden damals nur die losen Schadstellen freigelegt und reprofiliert. Aufgrund des Alters der Einstellhalle und der Höhenlage (ca. 1‘300 M. ü. M.) war mit einem Chlorideintrag in die ungeschützte Bodenplatte zu rechnen - wenn auch die Höhe des Gehalts und insbesondere die Verteilung im Tiefenprofil doch auffallend sind. Gemäss Aussagen der Beteiligten wurde damals kein wesentlicher Betonabtrag auf der Bodenplatte vorgenommen. Mit dem Entscheid bei der bestehenden Betonplatte nachträglich eine Beschichtung einzubauen, wurde zwar ein weiterer Chlorideintrag in den Beton verhindert. Die hohe vorhandene Chloridbelastung hat aber zusammen mit dem Feuchteprofil dazu geführt, dass die Bewehrung in der Bodenplatte weiter bzw. gar stärker korrodieren konnte. Eine zusätzliche Karbonatisierung des Betons kann die Chloridbindekapazität reduzieren und den Anteil der ungebundenen d. h. freien Chloridionen noch zusätzlich erhöhen. Freie d. h. nicht gebundene Chloride sind für die Auslösung von Korrosion verantwortlich. Fazit: Bei der Wahl von Instandsetzungsmaßnahmen bei Parkdecks ist grundsätzlich, wie bei allen anderen Bauwerkstypen, eine vorgängige vertiefte Zustandserfassung zwingend erforderlich. Erst dann ist eine darauf abgestützte Instandsetzung erfolgreich plan- und realisierbar. 252 11. Kolloquium Parkbauten - Februar 2024 Prinzip W-Cl bei Parkdecks - geht nicht gibt’s nicht? ! 2.6 Instandsetzung der Instandsetzung Um im vorliegenden Fall den Chloridgehalt im Beton auf annehmbare (was auch immer das heißt) Werte zu bekommen, müsste der Beton auf eine Tiefe von rund 30 bis 40 mm unter die Bewehrung abgetragen werden. Somit wären Abtragsraten von insgesamt 80 bis 90 mm erforderlich geworden. Der Abtrag des Betons zwischen und unter der Bewehrung ist dabei nur hydrodynamisch d. h. mittels Wasserhöchstdruck möglich. Anschließend müsste die abgetragene Schicht mit einem Zementmörtel reprofiliert und dann nochmals eine Parkdeckbeschichtung, wie aktuell vorhanden, eingebaut werden. Ein solches Vorgehen wäre aufwändig und mit entsprechend hohen Kosten verbunden. Aus diesem Grund wurde ein mechanischer Fräsabtrag von 30 mm ohne Freilegen der Bewehrung vorgeschlagen. Die gefräste Oberfläche wird danach noch mittels Wasserhochdruck nachbearbeitet. Anschließend wird ein 40 mm starker Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) eingebaut. Dieser ist dicht und weist sehr gute mechanische Eigenschaften auf. Optional kann auf den UHFB noch eine Beschichtung appliziert werden. 3. Instandsetzung mittels dem Prinzip 8.3 (W-Cl) Die chloridinduzierte Bewehrungskorrosion stellt bei Parkhäusern erfahrungsgemäß die wichtigste Schadensursache dar. Angesichts einer solchen Ausgangslage stellt sich dann die Grundsatzfrage, wie man mit einem chloridhaltigen Beton im Hinblick auf eine weitere Nutzung umgehen muss. Inwieweit ein Belassen der Chloride im Beton in Kombination mit einer nachträglichen Beschichtung zu Problemen führen kann, zeigt der vorgängig beschriebene Fall aus der Praxis. Anderseits stellt sich die Frage, ob und in welchen Ausmaß ein Abtrag des chloridkontaminierten Betons denn überhaupt erforderlich ist. Denn diese Maßnahme ist mit relativ großen Kosten und Bauzeitverlängerungen verbunden. Ein möglicher Ansatz mit dem Umgang mit chloridbelasteten Beton stellt die deutsche Instandsetzungsrichtlinie dar [2]. Diese unterscheidet dabei unterschiedliche Ausgangslagen bei welchen unterschiedliche Maßnahmen möglich sind. Im Rahmen des vorliegenden Berichts soll in diesem Zusammenhang auf das Verfahrensprinzip W-Cl eingegangen werden. Dieses entspricht dem Prinzip 8 der EN 1504-9 bzw. dem Prinzip 8.3 der Instandsetzungs-Richtlinie TR-ICH [2]. Dieses Prinzip sieht die Applikation eines Oberflächenschutzsystems (OS-System) auf der Betonoberfläche vor, so dass keine weiteren korrosionsfördernden Stoffe wie Chloride zur Bewehrung vordringen können. Die Beschichtung führt zu einer Erhöhung des elektrischen Widerstands. Die Abbildung 7 zeigt schematisch die Grundidee des Prinzips W-Cl. Als Instandsetzungsmaßnahme kommt allein ein nachträgliches Oberflächenschutzsystem * (OS) in Form einer Beschichtung zum Einsatz. Ein Betonabtrag des chloridverseuchten Betons ist nicht erforderlich. * mit Einschränkungen in [2]: OS 1 (OS A), OS 2 (OS B), OS 4 (OS C), OS 5a oder 5b (OS DI oder OS DII), OS 8, OS 11a (OS F a) oder OS 11b (OS F b), OS 14 Abb. 7: Schematische Darstellung der Bedingungen für das Verfahren 8.3 bei Chlorideinwirkung (Abbildung 13 in [2]) 11. Kolloquium Parkbauten - Februar 2024 253 Prinzip W-Cl bei Parkdecks - geht nicht gibt’s nicht? ! Das vorgestellte Prinzip W-Cl birgt folglich gewisse technische Risiken, da der eingeleitete Korrosionsprozess unter der Beschichtung während einer bestimmten Zeitspanne weiter ungehindert verläuft. Es gilt foglich gewisse Randbedingungen einzuhalten. Die Richtlinie TR Instandhaltung setzt der Anwendung dieses Prinzips folgende Grenzen (siehe [2]): • „Bei hohen Chloridgehalten … ist eine ausreichende Austrocknung des Bauteils in der Regel nicht mehr zu erwarten. Daher darf dieses Verfahren bei chloridkontaminiertem Beton nur angewendet werden, wenn nach der Ausführung der Instandsetzungsmaßnahme die Auswirkungen auf den Korrosionsfortschritt der Bewehrung, z. B. durch Einbau geeigneter Sensoren, von einem SKP über die Restnutzungsdauer überwacht wird.“ • Verzicht des Verfahrens ab einem Chloridgehalt von 1.5 M-% bezogen auf den Zementgehalt an der Bewehrung • „Bei Chloridgehalten über 1 M-% bezogen auf den Zementgehalt an der Bewehrung tritt unter Umständen keine ausreichende Austrocknung im Beton ein.“ (siehe hierzu ebenfalls [3]). Der Themenbereich der Anwendung des Prinzips W-Cl bei Instandsetzungsmaßnahmen wird in der Wissenschaft und Fachwelt intensiv bearbeitet (siehe u. a. [6] bis [10]). 4. Kritischer Chloridgehalt Ein offener Punkt bildet beim Prinzip W-Cl die Problematik, dass es keine Grenzwerte für den Chloridgehalt im Altbeton gibt. „Bei zu hohen Chloridgehalten besteht die Gefahr, dass aufgrund der Hygroskopizität der Chloridsalze keine ausreichende Trocknung des Betons erfolgt und die Korrosionsgeschwindigkeiten zu hoch bleiben.“ [2]. Dies erschwert oder verunmöglicht gar die Anwendung dieses Verfahrens auf erdberührten Bodenplatten, da hier immer mit einer entsprechend erhöhten Feuchte zu rechnen ist. Die Angabe bzw. Quantifizierung eines kritischen korrosionsauslösenden Chloridgehalts C crit und somit die daraus resultierende Tiefe d c,krit (siehe Abb. 7) ist grundsätzlich nicht möglich. Der Wert des Chloridgehalts auf Höhe der Stahlbewehrung, bei welchem die Depassivierung der Stahloberfläche eintritt und die Eisenauflösung beginnt (Ende der Initiierungsphase) ist kein fixer Grenzwert, sondern bauteilspezifisch unterschiedlich. Er wird durch verschiedene Parameter wie die Zusammensetzung des Betons, der Ausführungsqualität des Bauwerks, der Exposition, den klimatischen Randbedingungen u.w. beeinflusst. In der Schweiz wird gegenwärtig ein Merkblatt SIA 2069 [4] erarbeitet, welche eine Messmethode beschreibt, mit welcher eine bauwerksspezifische Bestimmung des kritischen Chloridgehalts möglich wird. Die Methode wurde an der ETH Zürich unter der Leitung von Prof. Dr. Ueli Angst entwickelt und validiert (siehe [5]). Die Methode basiert im Wesentlichen darauf, Bohrkerne mit jeweils einem (noch nicht korrodierenden) Bewehrungsstab aus dem Bauwerk zu entnehmen, im Labor unter kontrollierten Bedingungen (Chloridexposition) zur Korrosion zu bringen und zum Zeitpunkt der Korrosionsinitiierung den Chloridgehalt im Beton auf Tiefe des Bewehrungsstahls zu bestimmen. Dieser Chloridgehalt entspricht dem C crit dieses Bohrkerns. 5. Anwendungsbeispiel 5.1 Objekt Das Parkhaus P5 befindet sich am Eingang der Tourimusstation Saas Fee in den Walliser Alpen auf einer Meereshöhe von rund 1‘800 m. Es handelt sich um ein zehngeschossiges Bauwerk mit ca. 800 Parkplätzen. Das Parkhaus wurde Mitte der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts erbaut. Die Decken im Parkhaus wurden in Stahlbeton mit einer kreuzweisen Vorspannung (Stützstreifenvorspannung) gebaut. Die Betonflächen verfügen über kein Oberflächenschutzsystem. Der Beton des Bauwerks wurde damals vor Ort mit einer Ortsbetonanlage hergestellt. Dabei wurde das gebrochenen Felsmaterials des Aushubs verwendet. Die einzelnen Parkdecks wurden jeweils in 3 Etappen hergestellt (siehe Abb. 9). Abb. 8: Die beiden Parkhäuser P3 (Vordergrund) und P5 (Pfeilmarkierung) in Saas Fee 5.2 Zustandsuntersuchung Nach einer Nutzung von über 25 Jahren wurden im Rahmen einer detaillierten Zustandsuntersuchung u. a. folgende Untersuchungen durchgeführt: • Bewehrungsüberdeckungsmessungen • Bestimmung der Karbonatisierungstiefe an Bohrkernen • Potenzialfeldmessungen (siehe Abb. 9) • Ermittlung von Chlorid-Tiefenprofilen • Druckfestigkeitsprüfungen an Bohrkernen • lokale Sondagen zur Überprüfung des Korrosionsgrads der Bewehrung 254 11. Kolloquium Parkbauten - Februar 2024 Prinzip W-Cl bei Parkdecks - geht nicht gibt’s nicht? ! Abb. 9: Potenzialmessung auf dem Parkdeck U8 Mittels Sondagen konnten an aufgrund der Potenzialmessung festgelegten Stellen vereinzelt Lochfraß-Stellen an der Bewehrung festgestellt werden (siehe Abb. 10). Abb. 10: Sondagestelle mit Lochfraß an der eingebauten Bewehrung Die Chloridanalysen zeigten, wie zu erwarten, durchwegs hohe Werte bis z.T. weit hinter die Bewehrungslagen. Die Abbildung 10 zeigt eine entsprechende LIPS- Auswertung. Trotz dieser Chloridbelastung waren die Korrosionsschäden jedoch nicht so groß. Abb. 11: Beispielauswertung Chloridverteilung (oben) und Chloridtiefenprofil (unten) mittels LIPS In Ergänzung zu den aufgeführten Untersuchungen wurden zudem auf verschiedenen Parkdecks jeweils Bohrkernproben entnommen und an diesen gemäss dem unter Punkt 4. beschriebenen Verfahren der objektspezifische kritische Chloridgehalt C crit bestimmt. In Abbildung 12 ist eine entsprechende Messauswertung an einem Bohrkern aus dem Parkdeck U4 zur Bestimmung des kritischen Chloridgehalts dargestellt. In der nachfolgenden Abbildung 13 ist zusammenfassend die Auswertung aller untersuchten Bohrkerne ersichtlich. Auffallend sind die relativ großen Streuungen zwischen den verschiedenen Parkdecks aber auch auf den einzelnen Parkdecks selbst. So liegt beispielsweise der tiefste kritische Choridgehalt beim Parkdeck U7 bei 0.24 und der höchste bei 1.94 M-% bezogen auf den effektiven Zementgehalt. Diese Unterschiede dürfte vor allem mit der Produktion des Betons vor Ort zusammenhängen und bestätigt auch die markant unterschiedlichen Potenzialmessungen der einzelnen Betonieretappen (siehe Abb. 9). 11. Kolloquium Parkbauten - Februar 2024 255 Prinzip W-Cl bei Parkdecks - geht nicht gibt’s nicht? ! Abb. 12: Beispielauswertung Bohrkern UG-4a Der Potenzialabfall (Pfeilmarkierung) dokumentiert den Zeitpunkt der Korrosionsinitiierung. Abb. 13: Zusammenfassende Darstellung der pro Geschoss ermittelten kritischen Chloridgehalte. Mit den ermittelten kritischen Chloridgehalten (siehe Abb. 11) wurde zusammen mit den effektiven Chloridprofilen und den Bewehrungsüberdeckungsmessungen semiprobabilistische Restnutzungsdauerberechnungen durchgeführt. Auf der folgenden Seite ist exemplarisch eine entsprechende Auswertung dargestellt. Bei der Interpretation der Ergebnisse gilt es zu beachten, dass es sich um eine punktuelle Auswertung handelt, welche zusammen mit den anderen Ergebnissen der Zustandsuntersuchung angeschaut werden müssen. Abb. 14: Potenzialmessung Parkdeck U6 Der Pfeil markiert den Bohrkern BK 6.1, bei welchem nachfolgend die Ergebnisse der durchgeführten Restnutzungsdauer-Analyse dokumentiert sind. Abb. 15: Potenzialmessung Parkdeck U6 Ergebnisse der Restnutzungsdauer-Analyse am Bohrkern BK 6.1 ermittelte Restnutzungsdauer 36 Jahre 256 11. Kolloquium Parkbauten - Februar 2024 Prinzip W-Cl bei Parkdecks - geht nicht gibt’s nicht? ! 5.3 Machbarkeitsnachweis Prinzip W-Cl Das Parkhaus P5 in Saas Fee muss vor dem Hintergrund einer angestrebten Restnutzungsdauer von 50 Jahren instandgesetzt werden. Hierzu steht eine Parkdeckbeschichtung OS 8 im Vordergrund. Die mögliche Anwendung des Prinzips W-Cl (bzw. Instandsetzungsverfahren 8.3 nach [2]) d. h. die Applikation einer Beschichtung ohne vorgängigen Abtrag des chloridkontaminierten Betons weist im vorliegenden Fall mit den großen Parkflächen über die zahlreichen Geschosse ein enormes Einsparpotenzial auf. Um jedoch vertiefte Grundlagen und Kenndaten für die Umsetzung des vorgesehenen Konzepts zu erhalten, wurde in Rücksprache mit der Bauherrschaft eine Art angewandtes Forschungsprojekt ausgelöst. An ausgewählten Stellen auf insgesamt vier verschiedenen Parkdecks wurde ein umfassendes Korrosionsmonitoring mit insgesamt 27 Multisensoren eingebaut. Zwei Drittel der ausgewählten Stellen wurden mit einem Oberflächenschutzsystem OS 8 beschichtet und bei einem Drittel wurden keine entsprechenden Maßnahmen eingeleitet (siehe Abb. 16). Abb. 16: Konzeptschema der Messstellen des Korrosionsmonitorings mit (gelb) und ohne (grün) Beschichtung OS 8 Mit den Untersuchungen sollen im Wesentlichen folgende Fragestellungen beantwortet werden: • Nachweis der Machbarkeit des Instandsetzungsprinzips W-Cl/ Instandsetzungsverfahren 8.3 • zeitabhängiges Austrocknungsverhalten, Bestimmung des tiefengestaffelten Feuchtegehalts in beschichteten und in nicht-beschichteten Parkdeckflächen • Beschreibung der Chloridumverteilung in Abhängigkeit von der Zeit nach der Applikation der Oberflächenschutzbeschichtung • Beobachtung des Korrosionsfortschritts Ausgangslage: nach der Applikation der Beschichtung laufen bereits initiierte Korrosionsprozesse noch einige Zeit weiter, wann stoppen sie? Die Umsetzung des Korrosionsmonitorings erfolgte mit dem System der Fa. DuraMon. Das entsprechende Verfahren ist u. a. auch in der Präsentation [11] erläutert. Während der Untersuchungsperiode sollen u. a. folgende Parameter messtechnisch erfasst werden: • Klima (Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit, Oberflächen-/ Bauteiltemperatur) • zeitabhängiges Austrocknungsverhalten: - elektrischer Widerstand - relative Feuchte (Bohrlochfeuchte) • Bestimmung der zeitabhängigen Chloridumverteilung* (tiefengestaffelter Chloridgehalt), Anteil freie zu gebundene Chloridionen • Bestimmung des pH-Werts des Betons und dessen zeitliche Veränderung • Bestimmung der zeitlichen Veränderung des Potenzials des Bewehrungsstahls • Erfassung der Korrosionsaktivität * wird ergänzend mittels LIPS-Analysen vor und nach der Messperiode untersucht Die Abbildung 17 zeigt die eingebauten Multisensoren auf einer Parkdeckebene. Abb. 17: Messstelle mit eingebauten Multisensoren des Korrosionsmonitorings Die Installation der Multisensoren sowie die Applikation der partiellen Beschichtungen bei den Testflächen erfolgte im Herbst 2023. Erste Ergebnisse, welche Hinweise auf das weitere Vorgehen geben, werden nach etwa einem Jahr erwartet. 6. Fazit Die Anwendung des Instandsetzungsverfahrens 8.3 (W-Cl) ist bei bestehenden Parkdecks eine durchaus denkbare Option. Für einen endgültigen Entscheid braucht es jedoch umfassende materialtechnologische Untersuchungen und eine darauf beruhende Beurteilung. Eine wesentliche Einflussgröße stellt dabei die sich nach der Applikation einstellende Ausgleichsfeuchte dar. Dies kann die angestrebte Erhöhung des elektrischen Widerstands im Beton in Frage stellen. Dies kann dann insbesondere bei erdberührten Bodenplatten vielfach ein Killerkriterium für dieses Instandsetzungsverfahren darstellen. Das im vorliegenden Bericht unter Punkt 2. erläuterte Schadensereignis dokumentiert diesen Sachverhalt eindrücklich. 11. Kolloquium Parkbauten - Februar 2024 257 Prinzip W-Cl bei Parkdecks - geht nicht gibt’s nicht? ! Literatur [1] M. Lierenfeld, N. Metthez, Ph. Truffer, „Wie lange noch? - Semiprobabilistische Dauerhaftigkeitsbemessung bei Parkdecks mit Chlorideinwirkung mittels Einbezugs von LIPS-Untersuchungen“, 9.- Kolloquium Parkbauten 2020, Technische Akademie Esslingen. [2] Deutsches Institut für Bautechnik, „Technische Regel - Instandhaltung von Betonbauwerken (TR-Instandhaltung) - Teil 1 Anwendungsbereich für Planung der Instandhaltung“, Mai 2020. [3] M. Raupach, „Prinzip W bei Chloridangriff“, Beton 10/ 2017. [4] Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein SIA, „Merkblatt SIA 2069 - Methode zur Bestimmung des kritischen Chloridgehaltes in Beton“, in Erarbeitung. [5] C. Boschmann Käthler, U. Angst, „Der kritische Chloridgehalt - Bestimmung am Bauwerk und Einfluss auf die Lebensdauer“, Bautechnik 97 (2020), Heft 1. [6] W. Breit et al, „Zum Ansatz eines kritischen Chloridgehaltes bei Stahlbetonbauwerken“, Beton- und Stahlbetonbau 106 (2011), Heft 5. [7] Ch. Gehlen et al, „Instandsetzung von chloridbelasteten Bauteilen durch Applikation einer Beschichtung“, Beton- und Stahlbetonbau 116 (2021), Heft 4. [8] J. Wunderle-Beck et al, „Korrosionsmonitoring zum Wirksamkeitsnachweis des Instandsetzungsverfahrens 8.3 (W-Cl)“, Beton- und Stahlbetonbau 117 (2022), Heft 12. [9] K. Osterminski, „Chloridumverteilung in gerissenen und mit Prinzip 8.3 (W-Cl) instand gesetzten Stahlbe tonbauteilen“, Beton- und Stahlbetonbau 117 (2022), Heft 12. [10] S. Kessler et al, „Einfluss einer Betonbeschichtung auf die Mechanismen der Bewehrungskorrosion in gerissenem Stahlbeton“, Beton- und Stahlbetonbau 112 (2017), Heft 4. [11] Y. Segui Femenias, M. Gschwind und U. Angst, „DuraMon - Korrosionsmonitoring in Stahlbetonbauten für intelligentere, kostengünstigere, sichere und nachhaltigere Erhaltungs- und Instandsetzungslösungen“, 11. Kolloquium Parkbauten 2024, Technische Akademie Esslingen. [12] Deutsche Gesellschaft für Zerstörungsfreie Prüfung e.V., „Merkblatt B 12: Korrosionsmonitoring bei Stahl- und Spannbetonbauwerken“, April 2018.
