Kolloquium Straßenbau in der Praxis
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expert Verlag Tübingen
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Herausgegeben von Florian Schäfer 2. Kolloquium Straßenbau in der Praxis Fachtagung zum Planen, Bauen, Erhalten, Betreiben unter den Aspekten von Nachhaltigkeit und Digitalisierung Tagungshandbuch 2021 2. Kolloquium Straßenbau in der Praxis 7. und 8. September 2021 Technische Akademie Esslingen Herausgegeben von Prof. Dr.-Ing. Florian Schäfer 2. Kolloquium Straßenbau in der Praxis Fachtagung zum Planen, Bauen, Erhalten, Betreiben unter den Aspekten von Nachhaltigkeit und Digitalisierung Tagungshandbuch 2021 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das vorliegende Werk wurde mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autoren oder Herausgeber übernehmen deshalb eine Haftung für die Fehlerfreiheit, Aktualität und Vollständigkeit des Werkes und seiner elektronischen Bestandteile. © 2021. Alle Rechte vorbehalten. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. expert verlag GmbH Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen E-Mail: info@verlag.expert Internet: www.expertverlag.de Printed in Germany ISBN 978-3-8169-3525-4 (Print) ISBN 978-3-8169-8525-9 (ePDF) Technische Akademie Esslingen e. V. An der Akademie 5 · 73760 Ostfildern E-Mail: bauwesen@tae.de Internet: www.tae.de 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Vorwort Eine funktionierende und leistungsfähige Infrastruktur gehört zu den essentiellen Voraussetzungen eines erfolgreichen Wirtschaftsstandorts Deutschland. Der Entwurf, der Bau und die Erhaltung von Straßen für den Fahrzeugverkehr spielen dabei eine herausragende Rolle. Auch in Zukunft wird die Straßenverkehrsinfrastruktur der bedeutendste Verkehrsweg bleiben. Neue Verfahren im Straßenbau, der Zwang zur wirtschaftlichen Bauausführung und gehobene Qualitätsanforderungen erleichtern und erschweren zugleich die Realisierung vorhandener Projekte. Hinzu kommen gesteigerte Ansprüche der Menschen an die Beteiligung in der Planungs- und Bauphase. Das moderne Umweltschutzrecht erfordert in der Anwendung die frühzeitige Berücksichtigung relevanter Belange und den umfassenden Ausgleich von Eingriffen. Auf Nachhaltigkeit wird sowohl während des Baus als auch bei der Nutzung der Infrastruktur geachtet. Die Digitalisierung in den Planungs- und Bauprozessen schreitet voran. Unter dem Begriff Building Information Modeling (BIM) wird die ganzheitliche Betrachtung des Straßenbaus in einem integrierten Modell ermöglicht. So wird die Zusammenarbeit von Bauherren bzw. Behörden, Planern und Baufirmen auf eine völlig neue Basis gestellt. Vor diesem Hintergrund findet das 2. Kolloquium „Straßenbau in der Praxis“ statt, in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Straßenwesen, der Bauwirtschaft Baden-Württemberg e.V. und der Vereinigung der Straßen- und Verkehrsingenieure Baden-Württemberg. Im Rahmen des Kolloquiums werden etwa 80 Beiträge aus Forschung, Industrie und Praxis in vier parallelen Sessions zu folgenden Themenschwerpunkten präsentiert: • Mobilität und Verkehr • Mobilitätsentwicklung • Kommunale Planung • Asphaltbauweisen • Asphaltmodifikation • Asphaltrecycling • Optimierte Asphaltoberflächen • Bitumen • Pflasterbauweisen • Baustoffrecycling • Betonsanierung • Oberbaudimensionierung • Erhaltungsmanagement • Vermessung 4.0 • Zustandserfassung 4.0 • Ingenieurbauwerke • Digitalisierungspotenziale • Digitale Prozesse • Digitalisierte Baustelle • BIM im Straßenwesen • BIM in der Planung • BIM in der Ausführung • BIM in der Erhaltung Das vorliegende Tagungshandbuch enthält die vorab eingereichten Beiträge zu den Vorträgen und gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Wissenschaft und Technik sowie neueste Entwicklungen und Trends im Planen, Bauen, Erhalten, Betreiben unter den Aspekten von Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Weitere Informationen unter: www.tae.de/ go/ strassen. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 7 Inhaltsverzeichnis 0.0 Plenarvorträge 0.1 Straßenbauverwaltung im Umbruch - Was verändert sich durch die bundesweite Zentralisierung der Autobahnaufgaben? 17 Christine Baur-Fewson, Andreas Hollatz 0.2 BIM Deutschland - das Zentrum für die Digitalisierung des Bauwesens 19 Rudolf Boll 0.3 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Mobilität und den Straßenverkehr 21 Dr.-Ing. Marion Mayer-Kreitz, Dr.-Ing. Anne Benner 1.0 BIM im Straßenwesen 1.1 Building Information Modeling (BIM) in der Straßenbauver-waltung Baden-Württemberg - Umsetzung und Evaluierung von BIM-Pilotprojekten 31 Tanja Jakovljevic 1.2 Fachgruppe „BIM-Verkehrswege“ des buildingSMART Deutschland e.V. - Vorstandardisierung und Veröffentlichung „BIM-Klassen der Verkehrswege“ 35 Dipl.-Ing. Uwe Hüttner 1.3 BIM im Verkehrswegebau - Projektplanung der Bauausführung unter Anwendung eines Datenmodells: BIM-unterstütztes Datenmanagement im Straßenbau - Planung und Ausführung anhand von Praxisbeispielen 41 Christoph Kellner 2.0 Mobilitätsentwicklung 2.1 Mobilitätspakte 47 Dipl.-Geogr. Nathalie Bednarek 2.2 Verkehrsmanagementstrategien über Stadtgrenzen hinaus - Ein Werkstattbericht aus der Region Stuttgart 53 Steffen Sesselmann, M.Sc., Dr. Annette Albers 2.3 Motorradlärm in Baden-Württemberg - Von der subjektiven Belästigung zu belegbaren Grundlagedaten 61 Dr.-Ing. Hartmut Ziegler 3.0 Bitumen 3.1 Bitumenmodifikation - Eine Optimierungsaufgabe mit Zielkonflikten? 67 Markus Oeser, Nicolás Carreño 3.2 Nachhaltigkeitsbewertung eines Bauprodukts im Straßenbau am Beispiel B2Last ® 71 Amina Wachsmann, M.Eng., Prof. Dr.-Ing. Christian Holldorb, Dr. Sonja Cypra 3.3 Neue Bitumen zur Reduzierung von Emissionen aus Asphalt 81 Martin Vondenhof 8 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 4.0 Asphaltrecycling 4.1 Technische Aspekte einer Kaltrecyclingbauweise von Asphalt ohne Zusatz von Bindemittel 85 Dr.-Ing. Hartmut Herb, Prof. Dr.-Ing. Markus Stöckner 4.2 Dimensionierung von Asphaltbefestigungen mit Kaltrecyclingmischgut: ein internationaler Vergleich 89 Marius Winter, Konrad Mollenhauer 4.3 Thermische Reinigung von teerhaltigem Straßenaufbruch 99 Dipl.-Ing. David Heijkoop 5.0 BIM in der Ausführung 5.1 BIM im kommunalen Verkehrswege- und Tiefbau (BIM K-VTB) 105 Rainer Schrode 5.2 Dokumentation einer Straßenbaustelle - es muss ja nicht immer BIM sein! 115 Stefan S. Grubinger, Matthias J. Rebhan, Simon Jimenez, Reinhard Hinrichs, Michael Rappold 5.3 Modellbasiertes Aufmaß und Abrechnung mit vernetzter Maschinensteuerung 123 Andreas Velten, M.B.A. 6.0 Asphaltbauweisen 6.1 Asphaltoptimierung nach Performancekriterien 135 Dipl.-Ing. Erik Kamratowsky, Prof. Dr.-Ing. habil. Frohmut Wellner 6.2 Einsatz und messtechnische Überprüfung von emissionsreduziertem Asphalt im kommunalen Straßenbau - ein Beitrag zum Klima- und Arbeitsschutz 143 Thomas Schönauer, B.Eng., Maria Koordt, M.Sc., Dr. Alexander Buttgereit, Dr. Daniel Gogolin, Dr. Knut Johannsen, Prof. Dr.-Ing. Hans-Hermann Weßelborg 6.3 Asphaltkonservierung - Moderne Erhaltung für eine längere Nutzungsdauer 155 Sebastian Miesem 7.0 Kommunale Planung 7.1 Ganzjährige Nutzung von Radwegen - Anforderungen an Unterhalt und Winterdienst auf Radwegen 163 Prof. Dr.-Ing. Christian Holldorb 7.2 Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehrsraum: Planung, Ausführung, Fehlervermeidung 171 Edgar Theurer 7.3 Temporäre Rückhaltung und Notableitung von Starkniederschlägen auf städtischen Straßen - Rahmenbedingungen hinsichtlich der Verkehrssicherheit 191 Jonas Fesser, Prof. Dr. Jochen Eckart 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 9 8.0 Pflasterbauweisen 8.1 Die neuen ZTV Pflaster-StB 203 Prof. Dr.-Ing. Holger Lorenzl, Prof. Dr.-Ing. Carsten Koch, Prof. Dr.-Ing. Martin Köhler 8.2 Pflasterhandwerk - Zunft mit Zukunft 211 Dipl.-Ing. Rüdiger Singbeil 8.3 Randeinfassungen aus Bordsteinen 227 Dipl.-Ing. (FH), Franz Knobling 8.4 Geotextilien im Pflasterstraßenbau unter den Gesichtspunkten der Oberbaumechanik 235 Alexander Eichler 8.5 Sonderbauweise: Versickerungsfähige Pflasterflächen als Chance zur Beeinflussung des Mikroklimas in den Städten 239 Siegfried Bolz 8.6 LTR-Verlegung - Pflaster-Terrazzo 243 Bernd Burgetsmeier 9.0 BIM in der Planung 9.1 Implizite 5D-Volumenmodelle für die modellbasierte Leistungsmeldung beim Bau der A7 (PPP) 251 Dr. rer. nat. Klaus Tilger 9.2 Digitalisierung: Wie digital sind und können Prozesse im Straßenbau werden? 265 Andreas Dieterle 9.3 „Erfolgreiche Projekte mit EPLASS BIM-Collaboration“ 269 Benjamin König 9.4 Mechanismen und Methoden zur Integration von BIM und GIS im Straßenbau 275 Andreas Hesterkamp, Dr. Andreas Carstens 10.0 Erhaltungsmanagement 10.1 Erhalt der Straßeninfrastruktur Baden-Württemberg 285 Dipl.-Ing. Markus Kübler 10.2 Entwicklungen im Straßenbau - Wie Maximalrecycling und Qualitäts-Straßenbau Baden-Württemberg 4.0 (QSBW 4.0) den Straßenbau effizienter und ökologischer gestalten können 291 Dr. Steffen Klumbach, Vera Schmidt 10.3 BIM in der Straßenerhaltung 295 Dipl.-Ing. (FH) Gerhard Seifert 10.4 Nachhaltiger Asphaltstraßenbau und die Auswirkungen auf das Erhaltungsmanagement - Praxisbeispiel Münster 299 Dr.-Ing. Alexander Buttgereit, Dipl.-Betriebswirt Stefan Gomolluch, Dr.-Ing. Daniel Gogolin 10 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 11.0 Mobilität und Verkehr 11.1 Consequences of connected and automated driving to physical and digital high-level road infrastructure 305 Sandra Ulrich, Risto Kulmala, 11.2 Autonomes Fahren - Risiken und Chancen für die Städte - Vereinfachte Verkehrsmengenabschätzung zur Förderung der lebenswerten Stadt * * Tim Reuber 11.3 Modellstadt Herrenberg - NOx-Reduktion im Stadtgebiet 313 Dr.-Ing. Torsten Heine-Nims 11.4 Erschließung von Wohn- und Gewerbegebieten 317 Dipl.-Ing. Jens Klähnhammer 12.0 Oberbaudimensionierung 12.1 Zielführende Straßenerhaltung - Bewertung der strukturellen Substanz 329 Prof. Dr.-Ing. Jörg Patzak, Dr.-Ing. Alexander Zeißler 12.2 Ermittlung des dimensionierungsrelevanten Achslastkollektivs zur realitätsnahen Straßenplanung 339 Dr.-Ing. Wolf Uhlig 12.3 Dimensionierung und Qualitätsüberwachung im Straßenbau zur Sicherung der geplanten Lebensdauer bei ÖPP Projekten 349 Dipl.-Ing. Gregor Benning 12.4 LKW-Platoons und ihre Auswirkungen auf den Straßenoberbau 361 Sandra Ulrich, David Reisenbichler, 13.0 Digitale Prozesse 13.1 Auswirkung der Digitalisierung auf Infrastrukturmaßnahmen 375 Rebecca Probst, Martin Seitner 13.2 Digitalisierung im Bereich Betrieb und Erhaltung von Autobahnen - App-gestütztes Asset Management 379 Dipl.-Ing., MBA Tobias Kupfer 13.3 Digitale Prozesse mobil unterstützen 385 Ralf Behrens 14.0 Optimierte Asphaltoberflächen 14.1 CleanAir (ClAir®) Asphalt - Innovativer Straßenbelag baut Luftschadstoffe ab 391 Dipl.-Ing. Martin Muschalla 14.2 Lärmarme Oberflächen auf freien Strecken und Brücken 395 Jean-Marc Waeber, Fabian Traber 14.3 Oberflächenbehandlung mit Reaktionsharzen (OB-RH) - technische und gestalterische Möglichkeiten 397 Peter Austin-Böhm, Markus Leischner 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 11 15.0 Betonsanierung 15.1 Das Falling Weight Deflectometer und seine Anwendungsmöglichkeiten im Betonstraßenbau * Oliver Mielich, Prof. i. R. Dr.-Ing. W. Weingart, H. Lüdike 15.2 Betonfertigteile für den Bau kommunaler Verkehrflächen - Eine Systemlösung für die Zukunft? 405 Dipl. Ing. (FH) Dirk-Uwe Spengler, 15.3 Herstellung eines Kreisverkehrs mit einer Betondecke 415 Prof. Dr.-Ing. Stefan Linsel 16.0 Zustandserfassung 4.0 16.1 „Machine Learning“ im Straßenbau - Methode und Anwendungsfälle 419 Dr.-Ing. Mahdi Rahimi Nahoujy 16.2 LESS WRONG - Verbesserung von Straßenzustandsprognosen mittels Machine Learning 427 Andreas Ellinger, Astrid Hautz, Christian Wörner 16.3 Alternative Methoden der kommunalen Straßenzustandserfassung mittels Erschütterungssensorik 437 Lisa Gayer, Prof. Dipl.-Ing. Berthold Best 17.0 BIM in der Erhaltung 17.1 AMSFree 445 Prof. Dr.- Ing. Markus Stöckner, Philip Zwernemann M.Sc. 17.2 Transdisziplinäre Standortfindung zur Sanierung multicodierter Straßenräume (Forschungsprojekt BlueGreenStreets) 451 Philip Zwernemann M.Sc., Prof. Dr.-Ing. Markus Stöckner, Prof. Dr. Jochen Eckart 17.3 Ein BIM-System für das duraBASt 457 Dipl.-Wirt.-Ing. Christian Klöpfer, Dipl.-Ing. Christian Forster 18.0 Digitalisierungspotenziale 18.1 Was kommt nach 5D? Digitalisierung über den Lebenszyklus 463 Christof Gipperich 18.2 Virtuelle Technologien in der Praxis 469 Kemal Gider 18.3 Welche Möglichkeiten bietet die Digitalisierung im Straßenbau! 471 Dieter Licht 12 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 19.0 Asphaltmodofikation 19.1 Einsatz fasermodifizierter Asphalte 475 Christiane Weise, Viktoria Sommer 19.2 Lebenszyklus- und Emissionsbetrachtungen von Gummimodifizierten Asphalten 481 Dr. Daniel Gogolin, Dr. Manuel Hülsbömer 19.3 Moderne Baustoffe im Erhaltungsmanagement - Was PMMA-Bindemittel leisten können 485 Arnd Laber, Sven Stumberger-Fischer 20.0 Digitalisierte Baustelle 20.1 Das richtige Werkzeug für Ihre Baustellen am Beispiel von Q Asphalt und Q Plant 491 Dipl. Ing. (FH) Simon Martin Künz 20.2 Digitale Bauprozesse im Straßenbau 499 Daniel Heuberger 20.3 Software so dynamisch und flexibel, wie der Bauprozess - Wie Netflix hilft, die Asphaltlogistik zu steuern 501 Dr. Marcus Müller, Volker Natzschka 21.0 Digitalisierte Baustelle 21.1 Wirtschaftliche Erneuerungsbauweisen - Neue Möglichkeiten der Verwertung von Straßenaufbruch und Boden an Ort und Stelle 507 Dipl.-Ing. Ottmar Rienhoff-Gembus 21.2 Recyclingbaustoffe - ein Bericht aus der Straßenbaupraxis 511 Dipl.-Ing. Burghardt Schramm, M.Eng. 21.3 Instandhaltung von Verkehrswegeflächen 515 Karl-Heinz Lindenbauer, Götz Tintelnot 21.4 Betonsanierung in der Praxis 521 Dipl.-Ing. Tim Alte-Teigeler 22.0 Vermessung 4.0 22.1 Erfassung von Straßenumgebung und -oberfläche mit einem neuartigen multimodalen Messsystem 533 Prof. Dr. Alexander Reiterer, Dr. Philipp von Olshausen, Moritz Roetner, Christian Koch, Carsten Frey, Björn Hemsath 22.2 Mobile Mapping im Verkehrswegebau 539 Philipp Mielke 22.3 VERLEIHT FLÜGEL - Anwenderfreundlichkeit als Schlüssel für den erfolgreichen Einsatz von Aerial Data im Infrastrukturbau 551 Dipl.-Ing. Christian Wörner 22.4 Cm-genaue Vermessung und Dokumentation mit Smartphones auf Straßenbaustellen 561 Nicolai Nolle 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 13 23.0 Ingenieuerbauwerke 23.1 Langzeiterfahrungen mit Tiefenhydrophobierungen als Oberflächenschutzsystem von Brücken- und Tunnelbauwerken 565 Tobias Bürkle, Prof. Dr. Andreas Gerdes 23.2 Optimierte Lebenszykluskosten für chloridexponierte Bauteile von Brücken-und Tunnelbauwerken 583 Dr.-Ing. Marc Zintel 23.3 Südtangente Koblenz: Rollverschlüsse in der Sanierung und im Neubau (DE) 601 Dipl. Ing. (FH) Stefan Adam 23.4 Prioritätenreihung und Risikomanagement bei Stützbauwerken im Landesstraßennetz 607 Matthias J. Rebhan, Roman Marte, Stefan S. Grubinger, Franz Nöhrer, Bernhard Saurug Anhang 615 Programausschuss 617 Autorenverzeichnis 619 ** Manuskript lag bei Redaktionsschluss nicht vor. Plenarvorträge 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 17 Straßenbauverwaltung im Umbruch - Was verändert sich durch die bundesweite Zentralisierung der Autobahnaufgaben? Christine Baur-Fewson Direktorin der Niederlassung Südwest Die Autobahn GmbH des Bundes Heßbrühlstraße 7 70565 Stuttgart Vaihingen Andreas Hollatz Ministerialdirigent Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg Dorotheenstraße 8 70173 Stuttgart Zusammenfassung Die Neuordnung der Bundesfernstraßenverwaltung ist eines der größten Organisationsprojekte in der deutschen Verwaltung nach der Herstellung der Deutschen Einheit. Die Auftragsverwaltung der Länder im Bereich Autobahnen endet zum 31.12.2020. Ab 01.01.2021 wird die Autobahn GmbH die Autobahnen in BW übernehmen. Damit gehen ca. 1.050 Streckenkilometer an Autobahnen sowie ca. 750 Mitarbeiter aus der Straßenbauverwaltung an die Autobahn GmbH über. Das Land betreut dann aber noch insgesamt 4.200 km Bundes-, 10.000 km Landes-, 12.1000 Km Kreisstraßen und die Gemeindestraßen. Baden-Württemberg hat ein großes Interesse an einer funktionierenden Autobahnverwaltung. Es lag und liegt weiterhin im Interesse der Straßenbauverwaltung, konstruktiv am Transformationsprozess mitzuwirken und den Aufbau der Niederlassung Südwest der Autobahngesellschaft zu unterstützen. Die erforderliche Neuordnung in der SBV wird ebenfalls zum Jahresende vollzogen: die Regierungspräsidien bilden insbesondere die neuen Referate „Regionales Mobilitätsmanagement“, die LST wird zentrales Fachkompetenz-Zentrum der SBV mit erweiterten Zuständigkeiten (z. B. Tunnelüberwachung) und beinhaltet künftig die Mobilitätszentrale BW. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 19 BIM Deutschland - das Zentrum für die Digitalisierung des Bauwesens Rudolf Boll Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), Berlin, Deutschland Zusammenfassung: Die Bundesregierung will mit BIM Deutschland die Digitalisierung des Planens, Bauens und Betreibens von Infrastrukturbauwerken weiter vorantreiben. Dabei sollen auch die Interessen des Mittelstandes und kleinerer Unternehmen berücksichtigt werden. Die nachhaltige Digitalisierung des Planens, Bauens und Betreibens von Bauwerken ist ein wichtiger Beitrag für den Erfolg von Bundesbauprojekten und zugleich auch ein entscheidender Baustein für die Wettbewerbsfähigkeit der weltweittätigen deutschen Planer, Bauunternehmen und Betreiber von Bauwerken. 1. Abstract: Auch wenn die deutsche Planungs- und Bauwirtschaft ihr Können bei vielen Projekten bereits unter Beweis stellen konnte, kam es insbesondere zu Anfang des 21. Jahrhunderts bei einigen Bauprojekten bei der Umsetzung zu Verzögerungen und Kostenüberschreitungen. Um den Fehlentwicklungen entgegen zu wirken, rief das damalige Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) die Reformkommission Bau von Großprojekten ein. Im Juni 2015 legte die Kommission Ihre Empfehlungen vor. Eine der zehn Kernhandlungsempfehlungen bezog sich dabei auf die verstärke Nutzung von BIM. Um die Nutzung von BIM insbesondere im Infrastruktur- und infrastrukbezogenen Hochbau zu unterstützen, initiierte die Reformkommission die Erstellung des Stufenplans Digitales Planen und Bauen. Der Stufenplan ist ein Modell, das den Weg zur Anwendung des digitalen Planen Bauens und Betreibens transparent beschreibt. Ziel des Stufenplans ist sie schrittweise Einführung des BIM im Zuständigkeitsbereich des BMVI. Im Zuge dessen und als Erkenntnisgewinn in verschiedenen BIM Pilot-Projekten aller Verkehrsträger hat die Bundesregierung BIM Deutschland als Zentrum für die Digitalisierung des Bauwesens gegründet. BIM Deutschland ist die zentrale Anlaufstelle des Bundes für alle relevanten Informationen und Aktivitäten rund um das Thema BIM. Im Bereich Bundesfernstraßen wird derzeit unter Federführung von BIM Deutschland im Dialog mit den Landesstraßenbauverwaltungen und der DEGES ein Masterplan entwickelt, der die Auswahl und sukzessive Einführung der BIM Anwendungsfälle festlegt. Darüber hinaus ist angedacht, ab 2021 den Bedarf an BIM in der Betriebsphase und die sich daraus ergebenen Anforderungen der BIM Nutzung in der Planungs- und Bauphase im Bundesfernstraßenbau noch genauer zu untersuchen, sowie eine Strategie für die Zeit nach 2020 zu erarbeiten. Durch die Gründung des Zentrums für die Digitalisierung des Bauwesens werden die Aktivitäten des BMVI und BMI zur Implementierung von BIM gebündelt. BIM Deutschland wird den Bund , die Länder und Kommunen und alle weiteren Akteure im Bauwesen bei der Digitalisierung des Planens, Bauens und Betreibens unterstützen und insbesondere Grundsatzwissen, Leitfäden, Knowhow, praktische Anleitungen und Vorlagen für die erfolgreiche und nachhaltige Digitalisierung der gesamten Wertschöpfungskette bereitstellen. Dazu gehören u.a. abgestimmte Standards und Arbeitshilfen, ein BIM Portal, Aus- und Fortbildungskonzepte sowie eine übergreifende BIM-Strategie für die Zeit nach 2020. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 21 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Mobilität und den Straßenverkehr Dr.-Ing. Marion Mayer-Kreitz Die Autobahngesellschaft des Bundes mbH Niederlassung Südwest, Geschäftsbereich C Stuttgart-Obertürkheim Deutschland Dr.-Ing. Anne Benner Regierungspräsidium Tübingen - Landesstelle für Straßentechnik Referat 95 - Straßenverkehrszentrale Baden-Württemberg Stuttgart Deutschland Zusammenfassung Der mit der Corona-Pandemie verbundene Lockdown im Frühjahr 2020 hat aufschlussreiche Einblicke unter anderem in das System „Straßenverkehr“ gewährt. Durch die Corona-Pandemie ist eine signifikante kurzzeitige Entspannung der Verkehrssituation eingetreten. Auswertungen der Landesstelle für Straßentechnik haben gezeigt, dass der Lockdown zu einem deutlichen Rückgang des gesamten Straßenverkehrs führte. Dieser war im Berufsverkehr, insbesondere aber im Freizeitverkehr zu verzeichnen. In dieser Situation funktionierte das Straßennetz weitestgehend ohne verkehrliche Einschränkungen. Durch Corona hat eine Veränderung des Modal Split hin zu Auto und Fahrrad, weg vom ÖV/ ÖPNV stattgefunden. Trotz der Beibehaltung von Kurzarbeit und Home-Office befanden sich (Stand Juni 2020) die Verkehrsmengen im Straßenverkehr bereits wieder auf dem vorhergehenden Regelniveau. Vor dem Hintergrund der 2. Corona-Welle im Herbst 2020 ist langfristig nicht mit einer Entspannung der Straßenverkehrssituation zu rechnen. Umso wichtiger ist es, mit Nachdruck jetzt Maßnahmen zur Verkehrsvermeidung und -verlagerung zu forcieren, damit die Veränderung des Modal Split nicht zementiert wird. Um einen Beitrag zur Verkehrswende zu leisten, sollte zunächst durch Information und zeitnah durch Maßnahmen der Steuerung bzw. Lenkung des Straßenverkehrs ein Umstieg auf nachhaltige Verkehrsmittel erzielt werden. 1. Einleitung Die Corona-Pandemie hat seit März 2020 zu einschneidenden Veränderungen in der Mobilität der Menschen geführt. Einschränkungen in der Wirtschaft und im Schulbetrieb, Reise- und Kontaktbeschränkungen haben deutliche, abrupte Änderungen im Verkehrsgeschehen bedingt. Betroffen sind alle Verkehrszwecke, vor allem der Arbeits-, Ausbildungs- und Freizeitverkehr. Die Veränderungen und ihr zeitlicher Verlauf ermöglichen einen neuen Einblick in die Zusammenhänge zwischen Verkehrszwecken und realisierter Mobilität. Im Gegensatz zu einer stichprobenhaften Mobilitätsbefragung konnten die Auswirkungen der Maßnahmen auf alle Verkehrsteilnehmer beobachtet werden. 2. Corona-Chronik in Deutschland Die 1. Welle der Corona-Pandemie hat Deutschland im März 2020 erfasst, und führte zu einem Lockdown in Baden-Württemberg ab dem 16. März 2020, mit weitgehenden Einschränkungen für das öffentliche Leben, s. Bild 1. Dieser Lockdown brachte erhebliche wirtschaftliche und soziale Folgen mit sich, u.a. durch die Schließung von Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen und die Verlagerung des Unterrichts in den digitalen Raum oder durch die Änderungen im Arbeitsalltag durch Home- Office. Schrittweise Lockerungen erfolgten ab dem 20. April. Regel-Schulunterricht fand jedoch erst nach den Sommerferien wieder statt. Ein großer Anteil der Beschäftigten befindet sich seit März 2020 im Home-Office. Mit steigenden Infektionszahlen wurden im Herbst 2020 die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung wieder verschärft, bis hin zu einem erneuten Teil-Lockdown (ohne 22 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Mobilität und den Straßenverkehr Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen) ab dem 2. November 2020. Bild 1: Entwicklung der offiziell registrierten Neuinfektionen mit Covid-19 in Stuttgart [Stuttgarter Zeitung, 11.09.2020] Dabei haben sich die Infektionsquellen verschoben, s. Bild 2. Während in der 1. Welle ein Großteil der Ansteckungen in Heimen, Krankenhäusern und ähnlichen Einrichtungen erfolgt, infizierten sich in der 2. Welle Personen vor allem in privaten Haushalten, in der Freizeit und am Arbeitsplatz. Folgerichtig wurde mit dem 2. Lockdown versucht, Kontakte in diesen Bereichen zu minimieren. Ansteckungen in Verkehrsmitteln fanden vergleichsweise sehr selten statt, vermutlich auch wegen der seit 27. April 2020 geltenden Maskenpflicht. Dennoch hat ein Modal Shift weg von den öffentlichen Verkehrsmitteln stattgefunden. Bild 2: Covid-19-Fälle nach Infektionsumfeld [ntv] 3. Auswirkungen von Corona 3.1 Verkehrliche Auswirkungen Die Corona-Pandemie hat zu einer deutlichen Veränderung der Mobilität geführt. Die BMBF-Studie MobiCor hat die durch die Corona- Pandemie in Deutschland veränderte Mobilität untersucht. Bild 3: Mobilitätsvergleich 2020 und 2017 [MobiCor, Juli 2020] 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 23 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Mobilität und den Straßenverkehr Im Vergleich zur Studie „Mobilität in Deutschland“ (MiD, 2017) zeigen sich deutliche Rückgänge des Verkehrsaufkommens bei allen Wegezwecken außer Einkauf und Erledigungen. Ein Trend geht zu einem höheren Anteil an Online-Einkäufen. Während der Beschränkungen waren weniger Menschen unterwegs (60 % statt 85 %), die zurückgelegten Entfernungen waren deutlich kürzer (10 km statt 40 km). [MobiCor, 2020] Bild 4: Durchschnittliche Verkehrsentwicklung an Dauerzählstellen in Deutschland [BASt, 2020] Auf dem Straßennetz hat die Corona-Krise einen deutlichen, aber temporären Rückgang der Verkehrsmengen ausgelöst, s. Bild 4. Dieser begann ab der 12. Kalenderwoche. Im weiteren Verlauf des Monats März 2020 zeigt sich ein bundesweiter Rückgang der Mobilität um rund 40 % gegenüber dem Vorjahr. An Sonntagen fiel der Rückgang stärker aus und betraf daher vor allem verzichtbare Fahrten im Freizeitverkehr. Im Laufe des April und Mai 2020 nahm die Mobilität wieder zu, bis im Juni 2020 die Verkehrszahlen wieder weitgehend denjenigen des Vorjahres entsprachen. Der Schwerverkehr war nur in geringerem Maße betroffen. Bild 5: Prozentuale Ab- und Zunahme der Verkehrsmengen an der A8 bei Pforzheim-Ost [Landesstelle für Straßentechnik und Ministerium für Verkehr, 2020] Auswertungen der Integrierten Verkehrsleitzentrale Stuttgart (IVLZ), der Landesstelle für Straßentechnik (LST) und des Verkehrsministeriums, Ref. 22 (VM) haben für den Raum Stuttgart Folgendes gezeigt: Auf den Bundesautobahnen nahm der großräumige Verkehr durch den Lockdown im März 2020 um ca. 50 % von Montag- Freitag sowie um 70-80 % am Wochenende ab, s. Bild 5. Auf den durch die LST ausgewerteten Bundesstraßenquerschnitten nahm der Verkehr um 40 % von Montag- Freitag sowie 60-70 % am Wochenende ab. Innerhalb der Landeshauptstadt Stuttgart führte der Lockdown zu einem Verkehrsrückgang auf den Straßen von maximal 20 % in den Spitzenstunden bzw. 40 % bezogen auf den Gesamtverkehr. Verschiedene Institutionen haben eigene Untersuchungen zu Änderungen im Mobilitätsverhalten durchgeführt, z.B. durch Auswertungen von Mobilfunkdaten oder von Anfragen zu Routenführungen. Diese Auswertungen zeigen ein ähnliches Bild, s. beispielhaft Bild 6. 24 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Mobilität und den Straßenverkehr Bild 6: Aufenthaltsmessungen [Google, 2020] Dienstreisen wurden größtenteils gestrichen und durch Online-Konferenzen ersetzt. Die Zahl der Ein- und Aussteiger im deutschen Flugverkehr verzeichnete im März 2020 Einbußen von 99 % [Statist. Bundesamt]. Öffentliche Verkehrsmittel verzeichnen deutliche Fahrgastzahlenverluste: minus 71 % im Fernverkehr (April- Juni 2020), minus 59 % im schienengebundenen Nahverkehr, minus 36 % im Liniennahverkehr mit Bussen und minus 41 % für Straßenbahnen. Neben Berufspendlern und Schülern fehlen Touristen und Gelegenheitskunden. Der Linienverkehr mit Fernbussen kam praktisch zum Erliegen (minus 96 %). [Stuttgarter Zeitung, 29.10.2020] In der BMBF-Studie „Mobicor“ wurde ermittelt, dass sich das absolute Verkehrsaufkommen im Mai 2020 aufgrund von Lockdown, Home-Office und Kurzarbeit gegenüber der Referenz MiD (Studie „Mobilität in Deutschland“) um ca. 30 % von 225 auf 155 Mio. Wege verringert hat. 3.2 Wirtschaftliche Auswirkungen Die Corona-Krise sorgte für den stärksten Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in einem Quartal seit Beginn der Berechnungen 1970. Die Veränderung im 2. Quartal 2020 betrug preis-, saison- und kalenderbereinigt zum Vorquartal - 9,7 %, auf 9.279 € je Einwohner, s. Bild 7. Aber auch in Schweden, wo im Frühjahr 2020 kein Lockdown erfolgte, sank das BIP, um 8,6 %. D. h., der Lockdown in Deutschland ist nur teilweise für den Rückgang des BIP verantwortlich. Bild 7: Veränderung des BIP [Statistisches Bundesamt, 2020] 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 25 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Mobilität und den Straßenverkehr Im April 2020 lag der Anteil der Betriebe in Baden- Württemberg, die Kurzarbeit angezeigt haben, bei 53 %. Stärker betroffen war nur Bayern. [Statist. Bundesamt] Ein weiterer wesentlicher, nicht quantifizierbarer Anteil der Beschäftigten befindet sich im Home-Office, laut Schätzungen ca. 60 %. [ifo-Institut] Die ungleiche Verteilung von Möglichkeiten für Home- Office spiegelte sich im Mobilitätsverhalten wider. Lediglich ein Fünftel der Menschen mit niedrigen Lebenslagen1 haben von zu Hause gearbeitet, während es in den mittleren und höheren Lebenslagen mehr als ein Drittel waren. Umgekehrt verhielt es sich mit der Kurzarbeit: In den unteren Lebenslagen waren rund ein Fünftel der Beschäftigten betroffen, von den oberen Lebenslagen kaum mehr als 5 Prozent [MobiCor, 2020]. 3.3 Trends Personen in Kurzarbeit oder im Home-Office sind derzeit nicht oder nur in geringerem Umfang als gewohnt im Arbeitspendel-Verkehr unterwegs. Dennoch ist das Straßennetz wieder auf Vorjahresniveau belastet. Viele Verkehrsteilnehmer weichen vom öffentlichen Verkehr auf das Automobil oder Fahrrad aus (s. Bild 8), da sie sich im eigenen Auto oder an der frischen Luft „sicherer“ fühlen. Die Carsharing-Branche ist genauso vom Einbruch der Nutzungszahlen betroffen wie der öffentliche Personennahverkehr. Eine Befragung des DLR im Mai 2020 bestätigt dies, s. Bild 8. Sechs Prozent aller Personen ohne Auto im Haushalt denken aufgrund der Verbreitung des Coronavirus über die Anschaffung eines Pkw nach. Bild 8: Verkehrsmittelnutzung und Sicherheit [DLR, 2020] 1 Der infas-Lebenslagenindex (ilex) ist ein von infas entwickelter Sozialindikator für die Bundesrepublik Deutschland. Jeder zehnte Befragte der Mobicor-Studie gab an, aktuell den ÖPNV grundsätzlich zu meiden und lieber auf Wege zu verzichten. Ein Drittel weiche grundsätzlich auf das Auto aus. Diese Entwicklung ist lebenslagen-unabhängig (Bild 9). Bild 9: Alternative Verkehrsmittelnutzung durch Corona nach Einkommensklassen [MobiCor, Juli 2020] Diese Entwicklung ist vor dem Hintergrund des gegenüber Vor-Corona nicht eingeschränkten ÖV-Angebotes zu betrachten, das - außer im Schulbusverkehr - für ein ausreichendes Platzangebot sorgt. Trotz eines sehr geringen Anteils nachgewiesener Infektionen in öffentlichen Verkehrsmitteln gilt: Wer fahren muss, steigt lieber auf das Auto oder das Fahrrad um. Insgesamt bewertet die Mehrheit der Befragten, die im Home-Office arbeiten, diese Option als positiv. Die Mehrheit derer (59 %), die aktuell von Zuhause aus arbeiten, kann sich vorstellen, dies auch langfristig vermehrt zu tun [DLR-Umfrage 2020]. 26 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Mobilität und den Straßenverkehr Es ist zu vermerken, dass während der gesamten verschärften Lockdown-Phase eine Grundmobilität erhalten geblieben ist. Die mittleren Unterwegszeiten lagen im Mai/ Juni 2020 mit 75 Minuten nicht erheblich unter den sonst üblichen rund 80 Minuten. Zeit, die für lange Wege gespart wurde, wurde also offenbar für Ausgänge zu Fuß oder mit dem Fahrrad umgewidmet. Eine weitere Befragungswelle der MobiCor-Studie im Oktober 2020 zeigte - vorbehaltlich der finalen Auswertungen einen weiterhin beeinträchtigten ÖPNV, zurückgehende Fußverkehrsanteile, stagnierende Fahrradwerte und ein leichtes Plus beim Auto, bei einem insgesamt zunehmenden, aber noch nicht komplett wiedererlangten Mobilitätsniveau. Bei der Fahrradnutzung ist die jahreszeitliche Veränderung durch das Wetter zu berücksichtigen. Es ist davon auszugehen, dass die 2. Corona-Welle im Herbst 2020 diese veränderten Mobilitätsmuster eher noch verfestigt. 4. Verkehrswende 2030 Das Verkehrsministerium Baden-Württemberg hat in der Studie „Klimaschutzszenario 2030“ deutlich gemacht, mit welchen Maßnahmen und Infrastrukturvorhaben die Klimaziele für das Land erreicht werden können. Auf dieser Basis wurden vier Eckpunkte als notwendige Größenordnung der Veränderung der Mobilität identifiziert. Demnach wäre es bis zum Jahr 2030 aus Klimaschutzgründen notwendig, dass • der Öffentliche Verkehr (ÖV) verdoppelt wird, • jedes dritte Auto klimaneutral angetrieben wird, • ein Drittel weniger Kfz-Verkehr in Städten unterwegs ist und • jeder zweite Weg selbstaktiv mit Rad oder zu Fuß zurückgelegt wird (Bild 10). Bild 10: Verkehrswende 2030 [Ministerium für Verkehr BW] Dies erfordert z.B. mehr Elektrofahrzeuge und mehr Ladesäulen, mehr regenerativ erzeugten Kraftstoff, zunehmende Verlagerung auf umweltfreundliche Verkehrsmittel, wie Bahn, Bus, Rad und Fußverkehr als auch die Nutzung der Digitalisierungstechnologien. Dazu ist das Land bereit, maßgebliche Investitionen zu tätigen. Inwieweit die der Studie zugrundeliegenden Prognosen bzgl. u.a. Erwerbstätigkeit, Wachstum des Bruttoinlandsproduktes und Pkw-Bestand noch Gültigkeit haben, ist zu prüfen. Unterstellt wurden beispielsweise für Baden- Württemberg • eine Zunahme der Erwerbstätigen am Arbeitsort von 3,0 %, d.h. die Zahl der Erwerbstätigen wächst von 5,59 Mio. auf 5,76 Mio. in 2030, • in der BVWP-Prognose mit 1,36 % p. a. deutlich überdurchschnittliche Wachstumsraten im Zeitraum 2010 bis 2030, • eine Erhöhung der Zahl der Pkw von 5,7 Mio. auf 6,61 Mio. zwischen 2010 und 2030. Politische Stellschrauben, um den Modal Split wieder zugunsten des ÖV zu verschieben, sind sowohl Pullals auch Push-Maßnahmen. Nur das Szenario „Klima 2030“ mit Anreizen und auch Restriktionen ließ in der Prognose ein Erreichen der Klimaschutzziele zu. Dies betrifft vor allem Maßnahmen der Angebots- und Preisgestaltung im Individual- und öffentlichen Verkehr. Laut einem Bericht der Vereinten Nationen hat die Corona-Pandemie den Klimawandel nicht merklich ausgebremst. Zwar seien die weltweiten CO 2 -Emissionen im April 2020 um rund 17 % im Vergleich zum Vorjahr gesunken, aber bereits Anfang Juni 2020 lagen sie nur noch rund 5 % unter denen des Jahres 2019. 5. Maßnahmen Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass selbst Maßnahmen, deren Auswirkungen mit denen des Lockdowns im März 2020 vergleichbar sind, hinsichtlich des Klimawandels nur sehr übersichtliche Wirkungen zeigen. Dennoch kann es einer Kombination aus staatlichem Handeln und individuellen Veränderungen des Lebensstils gelingen, einen wesentlichen Beitrag zur Verkehrswende zu leisten. Dazu sind jedoch Maßnahmen erforderlich, die gewohnte Mobilitätsmuster aufbrechen, sei es durch zusätzliche Anreize oder auch restriktive Maßnahmen. Die Politik kann Anreize (Pull-Maßnahmen) für eine veränderte Verkehrsmittelnutzung schaffen, indem sie u.a.: im ÖV für einen konsequenten Ausbau des Angebotes, ausreichende Kapazitäten und Zuverlässigkeit sowie sinkende Fahrpreise sorgt • die Umsetzung kommunaler Verkehrsentwicklungskonzepte fördert • die Möglichkeiten digitaler Informationen im Verkehr ausbaut • im innerstädtischen Verkehr Maßnahmen zur Geschwindigkeitsreduktion, zur sicheren Führung des Rad- und Fußverkehrs sowie zur Bevorrechtigung des öffentlichen Verkehrs umsetzt • das Radwegenetz kontinuierlich ausbaut 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 27 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Mobilität und den Straßenverkehr • die Landeinfrastruktur Elektromobilität ausbaut • RideSharing-Angebote unterstützt • Effizienzsteigerungen im Schienengütersowie im kombinierten Verkehr bewirkt • Home-Office unterstützt, um Wege zu vermeiden. Auf der anderen Seite sind flankierende Maßnahmen (Push-Maßnahmen) erforderlich: • Verteuerung der privaten Verkehrsmittelnutzung inkl. Regelungen zu Firmenwagen • Rückbau oder Umnutzung öffentlicher Parkierungsflächen • Erhöhung der Lkw-Maut • Schrittweise Streichung der Pendlerpauschale Wenn es gelingen soll, die Klimaziele zu erreichen, kann dies nur durch eine Kombination aller aufgeführten Maßnahmen geschehen. 6. Ausblick Trotz der mit der Corona-Pandemie verbundenen großen Einschränkungen und Reduzierungen konnten keine signifikanten Auswirkungen auf dem Klimawandel festgestellt werden. Dies betraf ja nicht nur den Straßenverkehr. Auch der weltweite Luftverkehr kam zu einem Großteil zum Erliegen. Firmen und Fabriken drosselten ihre Produktion. Das bekräftigt, dass Maßnahmen zum Erreichen der Klimaziele in allen Bereichen ansetzen müssen. Der Straßenverkehr kann einen Beitrag leisten. Damit dieser Beitrag eine nachhaltige Wirkung zeigt, muss der durch Corona erfolgte Modal Shift zum motorisierten Individualverkehr rückgängig gemacht werden. Dazu werden Pull-Faktoren alleine nicht ausreichen. Durch die Pandemie wurden gewohnte Mobilitätsmuster aufgebrochen, leider teilweise in eine unerwünschte Richtung. Die gute Nachricht ist aber: Es ist möglich, etwas zu bewirken, wenn wir alle bereits sind, unsere langjährige „Komfortzone“ zu verlassen. Literatur [1] BMBF-Studie MobiCor, 2. Bericht Juli 2020 [2] Statistisches Bundesamt, 2020 [3] Agora Verkehrswende, 2020 [4] DLR-Befragung: Wie verändert Corona unsere Mobilität? , Mai 2020 [5] Ministerium für Verkehr BW, Studie „Klimaschutzszenario 2030“ [6] Vereinte Nationen, Bericht „United in Science 2020“ BIM im Straßenwesen Building Information Modeling (BIM) in der Straßenbauver-waltung Baden-Württemberg - Umsetzung und Evaluierung von BIM-Pilotprojekten 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 31 Building Information Modeling (BIM) in der Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg - Umsetzung und Evaluierung von BIM-Pilotprojekten Tanja Jakovljevic Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg (VM), Abt. 2 Straßenverkehr, Straßeninfrastruktur Zusammenfassung Hochbauprojekte mit Building Information Modeling (BIM) auszuführen, ist bereits immer häufiger Realität. Als Er-gebnis der Reformkommission „Bau von Großprojekten“ hat das BMVI im Rahmen eines Aktionsplans einen Leitfa-den Großprojekte entwickeln lassen. Zur praktischen Umsetzung der darin enthaltenen Empfehlungen wird unter ande-rem die Methode BIM in den Fokus gerückt. Zukünftig stellt sich die Frage, wie BIM für Bundes- und Landesstraßen in Baden-Württemberg als Regel-Methode implementiert werden kann. Dabei möchte das Land Baden-Württemberg bei der Umsetzung von BIM eine Vorreiterrolle einnehmen. BIM stellt gegenüber konventionell geplanten Bauprojekten einen Paradigmenwechsel dar. Aus diesem Grund wurden 2019 acht Projekte als Pilotmaßnahme benannt. Ziel ist es, neue Erfahrungen in der Umsetzung von BIM zu sammeln und Maßnahmen für den organisatorischen und technischen Bereich abzuleiten, um die Planung und Ausführung künftiger Maßnahmen zu optimieren. 1. Einführung Das Land Baden-Württemberg treibt die Einführung der Arbeitsmethodik BIM in der Straßenbauverwaltung intensiv voran. Seit 2016 erprobt das Ministerium für Verkehr Baden- Württemberg die Anwendung der BIM-Methode an-hand des Großprojekts „Zweite Gauchachtalbrücke, Ortsumfahrung Döggingen im Zuge des Ausbaus der B 31“. Dabei wurden wichtige Erkenntnisse bereits geliefert, um die Digitalisierung des Straßenbaus aktiv weiterzuentwickeln. Zudem wurde das Pilotprojekt „BIM SE“ (BIM Stra-ßenErhaltung) umgesetzt, bei dem eine Straßenerhal-tungsmaßnahme mit der BIM-Methode abgewickelt werden soll. Hierbei wurde auch eine Verknüpfung mit dem „Qualitätsstraßenbau 4.0“ durchgeführt, der eine Digitalisierung des Herstellprozesses zum Ziel hatte. Um vielfältigere Erkenntnisse zur Umsetzung von BIM zu erhalten, werden im Bereich der Bundes- und Landesstraßen derzeit insgesamt acht BIM-Pilotprojekte mit verschiedenen Anwendungsfällen durchgeführt. Die operative Ebene wird dabei besonders durch die Bereitstellung spezieller BIM-Hardware, umfangreicher Schulungen (Basis-Schulungen, Software-Schulungen), aller erforderlichen Software-Module sowie eigener Konzepte und Handlungshilfen unterstützt. 2. BIM- Konzept der SBV Mit der Initiierung der Pilotmaßnahmen war ein BIM- Konzept für die Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg unabdingbar. Der Inhalt des Konzeptes enthält eine Einführung von BIM im Straßenwesen, stellt einen Fahrplan für die Einführung von BIM im Straßenwesen vor und gibt allen Dienststellen eine Hilfestellung für die Herange-hensweise, die Planung und die Umsetzung von BIM-Projekten in der SBV BW. Die Ausgestaltung des Konzeptes wird durch das Verkehrsministerium (VM) und der Landesstelle für Straßentechnik (LST) gemeinsam formuliert, gestaltet und sukzessive fortgeschrieben. Die grafische und redaktio-nelle Aufbereitung bis zur Druckreife erfolgt durch Schrift & Grafik Stuttgart. Die Drucklegung erfolgt durch die Henkel GmbH Druckerei Stuttgart. Building Information Modeling (BIM) in der Straßenbauver-waltung Baden-Württemberg - Umsetzung und Evaluierung von BIM-Pilotprojekten 32 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Abbildung 1: BIM-Konzept für das Straßenwesen Baden-Württemberg Ziel des Dokumentes ist, eine Handreichung mit wesentlichen Informationen für die SBV BW zu erstellen und dieses für interne und externe Zwecke zu nutzen. Das Konzept ist eine Zusammenfassung aller aktuell vorhandener, wichtiger und valider Dokumente wie den Handreichungen von BIM4INFRA 2020, der VDI Richtlinie 2552, der DIN ISO 19650 sowie landesin-terner Informationen. Nach der BIM-Pilotierung soll das BIM-Konzept um die Erfahrungen aus den Projekten angereichert werden. Gleichermaßen werden Entwicklungen auf Bundesebene behandelt. 3. Evaluation der BIM-Pilotmaßnahmen in der SBV Im November 2019 sind im Bereich Bundes- und Landesstraßen insgesamt acht BIM-Pilotprojekte ausgewählt worden. Die Projekte wurden so gewählt, dass in möglichst unterschiedlichen Bereichen sowie einer zeitlichen Versetzung der Maßnahmen, vielfältige Erfahrungen gesammelt werden können. Der Fokus lag hierbei auf Kleinmaßnahmen wie beispielsweise der Neubau einer Lärmschutzwand, kleinere FDE-Maßnahmen, Erneue-rung einer kleinen Brücke oder eines Durchlasses, Er-neuerung einer Stützwand oder der Neubau eines Rad-weges. Abbildung 2: BIM-Pilotmaßnahmen der SBV BW Nach Festlegung der Maßnahmen wurde gemeinsam zwischen den einzelnen Projekten und dem VM der BIM-Umfang festgelegt. Dabei lag die Priorisierung auf die personellen Kapazitäten und das zum Teil be-reits vorhandene Wissen der einzelnen Projektmitarbei-terinnen und Mitarbeitern. So hat das Pilotprojektteam der „2. Gauchachtalbrücke“ deutlich mehr und umfang-reichere Anwendungsfälle (AwF) zur Pilotierung aus-gewählt als andere. 3.1 Schulungen Trotz unterschiedlicher Wissensstände bei den Mitar-beiterinnen und Mitarbeiter in der SBV, hat das Ver-kehrsministerium BW entschieden, zu Beginn eine gemeinsame und einheitliche Wissensbasis zu schaffen. Aus diesem Grund fanden im ersten Halbjahr 2020 eine BIM-Webinare-Reihe statt. Diese war in insgesamt drei Blöcken geteilt. Block eins enthielt zunächst die Grundlagen: - Was bedeutet BIM? - Begriffserläuterungen Der zweite Block, der Webinar-Reihe vermittelte die Inhalte anhand von Praxisbeispielen: - Der Deutschen Bahn, - DEGES und - Zweite Gauchachtalbrücke Der dritte und letzte Block der BIM-Webinar-Reihe hat den Teilnehmern die BIM-Koordination mit Unterstützung von einem Softwarebeispiel nähergebracht. Zielgruppe dieser BIM-Webinar Reihe waren die Pilotreferate. Die Durchführung der BIM-Webinare hat die IB&T Software GmbH umgesetzt. Für die Zukunft soll ein umfangreiches Schulungskonzept für die gesamte Straßenbauverwaltung BW erstellt und umgesetzt werden. Das Konzept ist aktuell, durch einen externen BIM-Berater in der Ausarbeitung. Neben Building Information Modeling (BIM) in der Straßenbauver-waltung Baden-Württemberg - Umsetzung und Evaluierung von BIM-Pilotprojekten 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 33 geplanten rollenbezogenen Präsenzschulungen soll das Konzept auch unterschiedliche Softwareschulungen erfassen. 3.2 Hardware und Software Zum Start der acht Pilotprojekte und durch die Er-kenntnisse aus den bereits durchgeführten Pilotmaß-nahmen, entschloss das Verkehrsministerium BW, die Pilotmaßnahmen mit der notwendigen Hardware auszu-statten. Der aktuelle Standard in der Straßenbauverwal-tung BW genügt zum aktuellen Stand nicht aus, um die BIM-Methode vollumfänglich umzusetzen. Nach Festlegung der Software hat sich relativ zügig eine Mindestkonfiguration für die Hardware herausge-stellt. Die Hardware wurde im Jahr 2020 für alle Pilot-referate durch das Verkehrsministerium finanziert und mit Unterstützung der LST beschafft. Im nächsten Schritt galt es die eingekauften Softwarelizenzen auszurollen und die Mitarbeiter zur Anwendung der Software zu schulen. Beschafft wurden neben Modellierungssoftware auch Koordinierungssoftware und eine Common Data En-vironment (CDE). 3.3 BIM-Pilotprojektumsetzung Die Erstellung für BIM-spezifischer Unterlagen gestaltet sich aktuell noch schwierig aufgrund von fehlenden Standards. Hier profitierten die Pilotreferate von den gewonnenen Erfahrungen der bereits umgesetzten Pilotmaßnahmen beziehungsweise nahmen bereits existierende Handreichungen wie die von BIM4Infra zur Hand. Die BIM-Maßnahmen werden teilweise intern in der SBV BW eigenständig umgesetzt oder an Ingenieurbü-ros vergeben. Diese sind allesamt öffentlich ausgeschrieben und im Wettbewerb vergeben worden. 3.4 BIM-Kompetenzzentrum Entscheidend bei einer landesweiten Pilotierung und den doch weit gestreuten Pilotreferaten ist die Bünde-lung des Wissens und der regelmäßige Austausch zwi-schen allen Beteiligten. Seit Anfang 2020 wurde deshalb sowohl im VM eine zentral steuernde Stelle implementiert als auch ein BIM- Kompetenzzentrum für das Land geschaffen. Ein BIM-Referent im VM steuert zentral die Umset-zung der Pilotmaßnahmen und entwickelt ein Konzept zur flächendeckendenden Implementierung der BIM-Methodik in der SBV BW. Das BIM-Kompetenzzentrum ist in der LST angesie-delt und unterstützt sowohl das Land bei der Imple-mentierung der BIM-Methodik als auch die Ausstat-tung und die Umsetzung der BIM-Pilotprojekte. Neben der Unterstützungsleistung hat das Kompetenzzentrum ein mobiles BIM-Lab zentral beschafft, welches für landesweite BIM-Maßnahmen zentral in der LST zur Verfügung gestellt wird. Mit dem mobilen BIM-Lab können die Pilotreferate eine Baustelle erlebbar gestalten und unterschiedlichste Besprechungen durchführen. Zusätzlich soll er die Mitarbeitenden der SBV BIM nähergebracht werden, quasi „BIM-zum-anfassen“. Ein stationäres BIM-Lab analog zu den BIM-Lab Lösungen der DB Netz und Karlsruhe oder dem Fraunhofer Institut in Stuttgart wird vom externen Berater aus-gearbeitet. 4. Fazit Die Implementierung der BIM-Methode in der Stra-ßenbauverwaltung des Landes Baden-Württemberg bedeutet einen tiefgreifenden Kulturwandel und die Wahrnehmung von neuen Rollen und Funktionen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die derzeit punk-tuelle Sammlung von Erfahrungen an einzelnen Projek-ten wird flächendeckend über Schulungsmaßnahmen und die Beratung des operativen Personals vervielfäl-tigt. Dabei werden alle Bereiche über Planung, den Neu- und Ausbau sowie die Erhaltung im Straßen- und Brückenbereich betrachtet. Neben der Hard- und Softwareausstattung sieht das Land Baden-Württemberg vor allem das Potenzial zur Umsetzung der BIM-Methodik in den Personalressourcen. Neben der Einstellung von neuem Personal sollen bevorzugt bestehende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschult werden. Ein Konzept für eine umfangreiche BIM-Schulung für das Land Baden-Württemberg ist 2021 geplant. Darüber hinaus wurde im Land ein neues BIM-Kompetenzzentrum aufgebaut, das alle BIM-Pilotprojekte sowie alle zukünftigen BIM-Maßnahmen im Land mit seiner Fachkompetenz unterstützt. Die Schaffung einheitlicher Standards ist eine unumgängliche Voraussetzung, um BIM auf breitere Füße zu stellen. Die Fortbildung von vielen Mitarbeitern erfordert einen hohen Einsatz an Geld und Zeit. Gleicher-maßen fehlt es derzeit noch an einer getesteten und freigegebenen Software für die SBV sowie die zugehö-rigen Objektkataloge und Parameter. Mit der Pilotierung sollen viele bisher unklaren Pro-zesse transparenter werden und Herausforderungen bei der Implementierung von BIM in der SBV BW erleichtern. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 35 Fachgruppe „BIM-Verkehrswege“ des buildingSMART Deutschland e.V. - Vorstandardisierung u. Veröffentlichung „BIM-Klassen der Verkehrswege“ Fachgruppe „BIM-Verkehrswege“ des buildingSMART Deutschland e.V. - Vorstandardisierung und Veröffentlichung „BIM-Klassen der Verkehrswege“ Dipl.-Ing. Uwe Hüttner Geschäftsführer, IB&T Software GmbH, 22848 Norderstedt, Deutschland Zusammenfassung Um die Einführung der BIM-Methode im Bereich der Infrastrukturplanung voranzubringen und allgemeingültige Standards für die Arbeit mit BIM zu definieren, wurde die Fachgruppe „BIM-Verkehrswege“ des buildingSMART Deutschland e.V. gegründet. Ziel ist es, insbesondere auf die speziellen Anforderungen, die sich bei Anwendung der BIM-Methode im Infrastrukturbau ergeben, einzugehen, wie die Berücksichtigung eines geodätischen Bezugssystems oder die korrekte Ermittlung von Trassierungselementen für die Modellierung. Im Mai 2020 erfolgte die erste Veröffentlichung der Fachgruppe BIM-Verkehrswege mit den „BIM - Klassen der Verkehrswege“ als Ergebnis der ehrenamtlichen Gremienarbeit. Als Fachgruppe innerhalb des Arbeitsraumes Infrastruktur des buildingSMART Deutschland e.V. hat sich der Zusammenschluss von fast 80 Experten aus über 56 Mitgliedsfirmen und Institutionen im Sommer 2018 gegründet und im Rahmen der Vorstandardisierung für den Bereich Verkehrswege ein erstes Ergebnis vorgelegt. Der Katalog wird aktuell vervollständigt, erweitert und planmäßig bis Ende 2021 in einer erweiterten und komplettierten Ausgabe herausgegeben. Durch die breite Vernetzung in viele andere Gremien und Verbände und die interdisziplinäre Besetzung der Fachgruppe, ist diese optimal aufgestellt, um eine fachliche Vereinheitlichung von Begriffen, Standards und Definitionen innerhalb des kompletten Planungs- Ausführungs- und Betriebsprozesses einer Verkehrswegemaßnahme anzustoßen. 1. Entstehung der Fachgruppe Die Fachgruppe BIM-Verkehrswege wurde formell am 05.06.2018 in Norderstedt gegründet. Hervorgegangen ist sie aus einer Initiative der heutigen Sprecher der Fachgruppe. Herr Dirk Röder, LASuV Freistaat Sachsen, BIM-Beauftragter des LASuV; Herr Rainer Raacke, Bickhardt-Bau AG; BIM-Beauftragter und Herr Uwe Hüttner, IB&T Software GmbH, Geschäftsführer forcieren im Zuge ihrer Mitwirkung im Arbeitsraum Infrastruktur des buildingSMART Deutschland e.V. die Berücksichtigung der Belange der Verkehrswege zum Ende 2017 und initiieren einen ersten Roundtable innerhalb des buildingSMART-Anwendertages im April 2018. Die sehr positive Resonanz der BIM-Interessierten in der Infrastruktur führt zur Gründung der Fachgruppe BIM- Verkehrswege, die im Rahmen ihrer ersten offiziellen Sitzung bei der IB&T Software GmbH in Norderstedt besiegelt wurde. 1.1 (Vor-) Standardisierung Der buildingSMART Deutschland e.V. verfolgt in seiner Arbeit eine Vielzahl von Aufgaben und Zielen. Ein Schwerpunkt ist jedoch die Vorbereitung der Standardisierung. Als Analogie für die Tätigkeiten des buildingSMART lässt sich ein Segelschiff verwenden, welches in den Zielhafen der Standardisierung steuert und mit möglichst viel Wind (aktiven Mitgliedern) hierbei Fahrt aufnimmt. 36 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Fachgruppe „BIM-Verkehrswege“ des buildingSMART Deutschland e.V. - Vorstandardisierung u. Veröffentlichung „BIM-Klassen der Verkehrswege“ Als Hafen der Standardisierung lässt sich die Normierung verstehen. International betrachtet gibt es drei Stufen der Normung. Angefangen bei der Internationalen Organisation für Normung - ISO, über das Comité Européen de Normalisation / europäisches Komitee für Normung - CEN, bis zu dem nationalen DIN (Deutsches Institut für Normung) oder dem Verein Deutscher Ingenieure - VDI mit den VDI-Regelungen. Und somit vorangestellt die Aktivitäten der „pränormativen“ Arbeit in den verschiedenen Fachverbänden, die sich mehr oder weniger aktiv dabei einbringen. Hier nimmt der buildingSMART eine Vorreiterrolle ein. 1.2 Standards von buildingSMART Im Rahmen seiner Tätigkeit veröffentlichte der buildingSMART e.V. auf internationaler Ebene bereits verschiedene Standards. Neben der wichtigsten Norm der ISO 16739, der Definition des IFC 4.0 als Standard-Austauschformat im Bauwesen, sind folgende Standards entstanden: - Information Delivery Manual, IDM (ISO 29481) - Methode, um die Anforderungen für den Datenaustausch zu definieren. - buildingSMART Data Dictionary - Wörterbuch, um sich darüber zu verständigen, was unterschiedliche Begriffe in unterschiedlichen Sprachen bedeuten. - IFC Model View Definition - Unterkategorie des IFC-Schemas für einzelne, konkrete Anwendungsfälle; notwendig, um die Anforderungen für den Datenaustausch zu definieren. - BIM Collaboration Format; Dateiformat zum Austausch von Entwurfsfragen in BIM-Projekten Quelle: buildingSMART Deutschland e. V. Gunther Wölfle 2. Fachgruppe BIM-Verkehrswege Die Fachgruppe BIM-Verkehrswege nimmt eine besondere Rolle ein. In ihr kommen Fachleute aus praktisch allen Bereichen des Projektierungs-Prozesses einer Verkehrswege-Baumaßnahme zusammen. Zu den aktiv Mitwirkenden und Beteiligten zählen Mitarbeiter von Bauverwaltungen, Betreibern und Investoren, Planungs- Ingenieur- und Vermessungsbüros, Bauunternehmen, BIM-Berater, Lehre und Forschung und Softwareunternehmen. Dadurch ist sichergestellt, dass die Belange aller am Bau Beteiligter berücksichtigt werden. Da bereits beim ersten Roundtable-Treffen vor der offiziellen Gründung mehr als hundert interessierte Teilnehmer für die Mitarbeit gemeldet waren, wurden kurzfristig fachliche Untergruppen gebildet, in die sich die aktiv Mitwirkenden aufteilen. Dadurch besteht die Fachgruppe BIM-Verkehrswege aus 7 Untergruppen: - Vermessung / Bestand - Baugrund / Geologie - Straße / Entwässerung - Brücke / Ingenieurbauwerk - Bahn - Tunnel / Spezialtiefbau - Wasserweg / Hafen Mittlerweile wirken aktiv in den Arbeitsgruppen fast 80 Personen aus aktuell 56 buildingSMART-Mitgliedsfirmen / -institutionen mit. Die Anzahl wächst stetig, wobei 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 37 Fachgruppe „BIM-Verkehrswege“ des buildingSMART Deutschland e.V. - Vorstandardisierung u. Veröffentlichung „BIM-Klassen der Verkehrswege“ die jeweiligen Gruppen teilweise bereits an die Grenze der Praktikabilität gekommen sind. 2.1 Motivation und Ziele der Fachgruppe Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur veröffentlichte im Dezember 2015 den „Stufenplan Digitales Planen und Bauen“. Ab Ende 2020 sollen danach in Deutschland alle Planungen auf Grundlage des vorgenannten Stufenplans im BIM-Leistungsniveau I durchgeführt werden. Die Fachgruppe „BIM - Verkehrswege“ des buildingSMART e.V. wird zur Entwicklung beitragen. Im Unterschied zu den Bereichen Hoch- und Industriebau werden im Rahmen aktueller nationaler BIM-Infrastrukturprojekte zurzeit nur einzelne Projektphasen und im Umfang eingeschränkte und ausgewählte Anwendungsfälle nach der BIM-Methode realisiert. Auch die internationalen sowie nationalen Standardisierungen zum herstellerneutralen Datenaustausch benötigen noch Zeit, bis sie in einer marktfähigen Reife für den BIM-Datenaustausch zur Verfügung stehen. Die Fortschreibung des IFC-Standards mit der Version 4.3 einschließlich der Erweiterungen um die Belange von Road, Rail, Bridge, Waterway and Harbour soll zum Jahresende 2021 fertiggestellt sein. Dann beginnt die Implementierung in den Softwarelösungen. Bis Mitte/ Ende 2022 soll dann auch die Zertifizierung der IFC 4.3-Implementierung möglich sein. Die deutsche „Normungsroadmap BIM (Building Information Modeling)“ steht seit Anfang Juli 2021 als Entwurf zur Verfügung und kann bis Ende August kommentiert werden. Die finale Normungsroadmap BIM wird Ende 2021 veröffentlicht. Durch fehlende Standards wurden in der Vergangenheit viele Insellösungen parallel entwickelt, was wiederum eine Weiterverwendung der gewonnenen Daten oder eine Nutzung und Bearbeitung über den gesamten Lebenszyklus eines Verkehrsweges im Sinne von OpenBIM erschwert. Die Infrastruktur-Experten der buildingSMART-Fachgruppe „BIM - Verkehrswege“ sind sich einig, dass ein gemeinsames Verständnis wesentlicher Fachbedeutungen sowie Begriffe im Sinne eines Standards teilweise fehlen. An dieser Stelle setzt die Arbeit der buildingSMART- Fachgruppe an. Die Fachgruppe bündelt Experten aus allen Fachbereichen der Verkehrswege-Infrastruktur über den Lebenszyklus des Planens, Bauens und Betreibens sowie deren Dienstleistern (Software, Consultant, Lieferant u.v.m.). Diese Experten widmen sich auf ehrenamtlicher Basis der Erarbeitung von (Vor-) Standards unter dem Dach des buildingSMART e.V. Folgende Aufgaben hat sich die Fachgruppe gestellt: - Definition der Klassen für Verkehrswege - Festlegung erforderlicher Merkmale für die Klassen - Zuordnung der Merkmale zur LOIN-Ausprägung Als Ziele verfolgt die Fachgruppe: - Vorstandardisierung, - Einheitliche Begrifflichkeit in allen Fachmodellen und Fachbereichen, - Nationale Ausprägung der Klassen und Merkmale, dadurch - Sicherstellung Vergleichbarkeit / Auswertbarkeit von Modellen / Informationen 2.2 Zusammenarbeit Dank vielfältiger personeller Überschneidungen bestehen sehr gute Kontakte zu Forschungsprojekten und Expertengruppen, wie beispielsweise BIM4Infra2020, BIMSTRUCT, IFC Bridge, IFC Road, IFC Rail, BIM- 4Rail, BIMSWARM, planen-bauen 4.0 Gesellschaft zur Digitalisierung des Planens, Bauens und Betreibens mbH und BIM Deutschland (ehemals: BIM Kompetenzzentrum des Bundes). Eine enge Zusammenarbeit erfolgt auch mit Fachverbänden und Vereinen, wie BAST (OKSTRA®), BVBS, DAUB, DVW, VDV, DIN und dem VSVI. Seit 2021 besteht eine strategische Zusammenarbeit mit dem DWA. Wesentliche Entwicklungen und Sichtweisen aus diesen Bereichen können bei der Arbeit der Fachgruppe „BIM - Verkehrswege“ daher berücksichtigt werden. 38 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Fachgruppe „BIM-Verkehrswege“ des buildingSMART Deutschland e.V. - Vorstandardisierung u. Veröffentlichung „BIM-Klassen der Verkehrswege“ Nach eineinhalbjähriger Tätigkeit erreicht die Fachgruppe einen Arbeitsstand, der einen ersten umfassenden Überblick über die Klassen im Bereich Verkehrswege ermöglicht. Ziel des Papiers ist daher die Veröffentlichung des Katalogs „BIM-Klassen der Verkehrswege“ 2.3 Grundsätze Die Arbeit der Fachgruppe orientiert sich an den Grundsätzen der internationalen und nationalen Standardisierung im Bereich BIM. Experten und Vertreter von Normungsgremien wurden als Berater bei der Bearbeitung des Kataloges „BIM-Klassen der Verkehrswege“ hinzugezogen. Neben einem regelmäßigen Abgleich mit den Entwicklungen im Bereich der internationalen IFC-Standardisierung sind Grundsätze relevanter Normen und Vorschriften berücksichtigt (z.B. ISO 23386, VDI 2552, ASB etc.). Quelle: Prof. André Borrmann 2.4 Veröffentlichung Die Fachgruppe verfolgt mit dem vorliegenden Katalog und der kommenden Fortschreibung das Ziel einer Auflistung der für die BIM-Modellierung im Bereich Verkehrswege fachspezifisch erforderlichen Klassen und Gruppen. Die Experten der Fachgruppe sind sich einig, dass es die neue und den Bausektor revolutionierende BIM-Methode erfordert, im Sinne einer BIM-Tauglichkeit althergebrachtes kritisch zu hinterfragen, auf Erfordernis zu prüfen, neu zu denken und das Notwendige in übersichtlichem Kontext zu fassen. Getreu dem Motto „weniger ist mehr“ wurden daher in der vorliegenden Arbeit zunächst nicht die Regelwerke und Vorschriften als Grundlage genommen, diese zusammengeführt, normalisiert und anschließend Doppelungen entfernt. Stattdessen haben die Experten ausgehend vom Prozessziel des Planens, Bauens und Betreibens die Elemente der Verkehrsweg-Infrastruktur analysiert und definiert, wie sich diese am besten durch Klassen beschreiben lassen. Eingeflossen sind dabei fachliche Anforderungen aus Verwaltungen, Planungsbüros, der Bauwirtschaft sowie Sichtweisen für die EDV-technische Umsetzung der Klassen. Der Katalog „BIM-Klassen der Verkehrswege“ vereint das langjährige Know-how einer breiten Fachschaft im Bereich Verkehrswege. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 39 Fachgruppe „BIM-Verkehrswege“ des buildingSMART Deutschland e.V. - Vorstandardisierung u. Veröffentlichung „BIM-Klassen der Verkehrswege“ Der Katalog „BIM-Klassen der Verkehrswege“ legt besonderen Wert auf die Eindeutigkeit der Klassen. Doppelungen werden im Sinne einer widerspruchsfreien BIM- Methodik ausgeschlossen, einheitliche Begriffe definiert und fachlich identische Klassen gleicher Merkmale, die sich nur in ihrer Geometrie unterscheiden, zusammengefasst. Hierdurch kann die Anzahl der Klassen reduziert und eine bessere Übersicht erreicht werden. Der Katalog „BIM-Klassen der Verkehrswege“ vereint in seiner ersten vorliegenden Version die Ergebnisse der Arbeitsgruppen: - Vermessung / Bestand - Baugrund / Geologie - Straße / Entwässerung - Brücke / Ingenieurbauwerk Der Umfang der Aufgabe, die Besetzung der Arbeitsgruppen sowie der Grad der Abstimmungserfordernisse führte dazu, dass die Ergebnisse folgender Fachgebiete im Katalog „BIM-Klassen der Verkehrswege“ erst ab Version 2.0 enthalten sind: - Bahn - Tunnel / Spezialtiefbau - Wasserweg/ Hafen 3. Ausblick und Version 2.0 Ein wesentlicher Inhalt der Erweiterung zur Version 2 ist ein erweitertes Konzept der Klassenspezifizierung durch die Metadaten Klasse und Metadaten Geometrie. Dadurch soll zum einen die Anzahl der unterschiedlichen Klassen minimiert und die Nutzbarkeit durch Softwarelösungen vereinfacht werden. Zusätzlich werden die meisten Klassen zur besseren Nutzung mit Definitionen und Erläuterungen erweitert. Die Fachgruppe „BIM - Verkehrswege“ wird sich weiterhin in die BIM-Standardisierung einbringen. Neben dem Katalog „BIM-Klassen der Verkehrswege“ hat sich die Fachgruppe die weiteren Ziele wie Praxis Datenaustausch, Modellierungsrichtlinie für Anwendungsfälle oder Koordinatensysteme vorgenommen. 40 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Fachgruppe „BIM-Verkehrswege“ des buildingSMART Deutschland e.V. - Vorstandardisierung u. Veröffentlichung „BIM-Klassen der Verkehrswege“ Zeitraum und Umfang der Bearbeitung hängen insbesondere von den zur Verfügung stehenden Ressourcen auf Seiten der Beteiligten ab. Weiterhin sind die Ziele der Fachgruppe mit den aktuellen Entwicklungen in der BIM-Standardisierung auf internationaler und nationaler Ebene, z. B. BIM Deutschland abzugleichen und ggf. neu zu justieren. Inhalt der beiden weiteren Hauptziele wird insbesondere sein: - Festlegung erforderlicher Merkmale für die Klassen: Mit diesen Merkmalen/ Merkmalssätzen ist der BIM- Anwender in der Lage, die maßgeblichen Eigenschaften der Klassen in allen Lebenszyklusphasen eindeutig zu beschreiben. Dabei werden nicht alle Merkmalssätze in jeder Lebenszyklusphase benötigt und gepflegt. - Zuordnung der Merkmale zur LOIN-Ausprägung: Mit einem LOIN-Standard-Datensatz lassen sich BIM-Modelle als Ergebnismodell plattformübergreifend austauschen und verwenden. Der Standard-Datensatz kann Grundlage bzw. wesentliche Unterstützung bei einer Schnittstellendefinition auf nationaler bzw. internationaler Ebene sein. Die Fachgruppe wird sich neben der Definition von Standards auch in die (Weiter-) Entwicklung von Datenaustauschformaten einbringen. Mit dem aktuell laufenden Deployment bzw. der Fertigstellung der Version IFC 4.3 ist ein weiterer Schritt zur Standardisierung international getan. Darin enthalten sind wesentliche Elemente zum Datenaustausch in der Infrastruktur. Mit der Arbeit der Fachgruppe wird die Standardisierung der IFC-Schnittstellen unterstützt und vor allem die Belange der deutschen Fachschaft vertreten. Auf Grundlage der in der Fachgruppe umfassend vorhandenen Expertise und einheitlicher Klassendefinitionen entsprechend des vorstehenden Kataloges „BIM-Klassen der Verkehrswege“ bringt diese Arbeit den Normierungsprozess zielgerichtet voran. Wichtig und ein wesentliches Ziel der Fachgruppe ist dabei der Austausch und die Zusammenarbeit mit vorgenannten bundesweiten Gremien, Pilotprojekten und Forschungsprojekten. Parallelentwicklungen müssen nach Ansicht der Fachgruppe vermieden werden. Nationales Ziel ist eine einheitliche Definition / Schnittstelle für den BIM-Datenaustauch im Fachbereich der Verkehrswege. Neben den nationalen Aktivitäten ist ein weiteres Anliegen der Fachgruppe „BIM - Verkehrswege“ die fachliche Unterstützung des buildingSMART International. Der regelmäßige Austausch ist bereits gelebte Praxis. Wenn Sie mitarbeiten wollen: www.BIM-Verkehrswege.de Quellen: [1] Heft 1.01 der bSD Schriftenreihe: BIM-Klassen der Verkehrswege [2] Statusbericht Fachgruppe BIM-Verkehrswege [3] Veröffentlichungen des buildingSAMT Deutschland e.V. [4] Projekt IFC Road - Dokumentation 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 41 BIM im Verkehrswegebau - Projektplanung der Bauausführung unter Anwendung eines Datenmodells: BIM-unterstütztes Datenmanagement im Straßenbau - Planung und Ausführung anhand von Praxisbeispielen Christoph Kellner STRABAG AG, Zentrale Technik - VWB Zusammenfassung Die Bedeutung von Building Information Modeling (BIM) gewinnt auch für den Infrastrukturbau zunehmend an Bedeutung. Die Ansätze, Methoden und Werkzeuge aus dem Hochsowie Ingenieurbau kommen dabei aber nur bedingt zum Einsatz, da insbesondere geometrische Gegebenheiten, Achskrümmung in Lage und Höhe, und eine andersartige Form der Komplexität andere technische Voraussetzungen bedingen. Losgelöst vom Gewerk wird aber immer das gleiche Ziel verfolgt; die Schaffung von Mehrwerten auf Basis der Etablierung modellbasierter Prozesse über den gesamten Lebenszyklus des Bauwerks. Im folgenden Beitrag werden die Möglichkeiten der BIM- Anwendung aus Sicht einer bauausführenden Unternehmung exemplarisch an zwei Verkehrswegebauprojekten dargestellt. Es wird aufgezeigt, wie die STRABAG die modellbasierte Bearbeitung für die Betriebsphase im Rahmen eines PPP-Projektes für sich nutzbar macht und die Grundlagen für die Übergabe an die Betreibersysteme der Baulastträger schafft. Darüber hinaus wird der baupraktische Nutzen von BIM im Zuge der Oberbausanierung eines Autobahnabschnitts dargestellt. 1. Einleitung Digitalisierung verbindet Chance und Risiko gleichermaßen. Die Chance, durch die kontinuierliche Verbesserung der Prozesse, eine Effizienzsteigerung hervorzurufen. Das Risiko, die Anwender und Nutzer mit einer hohen Anzahl an digitalen und teilweise disruptiven Lösungen zu überfordern. Eine Einbindung dieser Personengruppen in den Umgestaltungsprozess ist daher unabdingbar. Dieser Change Prozess betrifft zudem alle Stakeholder der Baubranche gleichermaßen und verlangt eine digitale Transformation von drei wesentlichen Komponenten in der Bauindustrie: Mensch, Verträge/ Normen und Technologie. Diese stehen in ihrem Wirkungskreis in Abhängigkeit zueinander und sind daher umfassend anzugehen. Die große Herausforderung und Rolle eines traditionellen Baukonzerns wie der STRABAG ist es daher, als positives Beispiel Standards und digitale Innovationen aktiv mitzugestalten. Ein grundlegender Beitrag ist dabei die Entwicklung und Implementierung von BIM in Ausführungsprojekten. Das erlangte Knowhow soll im Weiteren gemeinsam mit Planern und Bauherrn in einem vollumfassenden modellbasierten Kreislauf eingebettet werden. Für die BIM-basierte Bearbeitung ist es notwendig, bestehende Arbeitsprozesse nachhaltig zu verändern, um eine ressourcenschonendere und effizientere Umsetzung von Bauprojekten zu ermöglichen. Darin verankert ist insbesondere eine durchgängigere, digitale und vor allem medienbruchfreie Verwaltung von Daten und Informationen zu jedem Projekt. Dadurch entstehen nicht nur neue Anforderungen für die im Rahmen der Bauausführung tätigen Menschen. Letztendlich wird der gesamte Mehrwert erst greifbar, wenn sich diese Veränderungen über alle Projektphasen - Planung, Bauvergabe, Ausführung, Betrieb und Erhaltung - erstrecken. Wenn diese gegenwärtigen Herausforderungen gemeistert werden können, wirkt sich dies positiv auf die gesamten Lebenszykluskosten eines Bauwerks aus. Um dieses Ziel zu erreichen, wird eine noch größere partnerschaftliche Zusammenarbeit aller Projektbeteiligten erforderlich. Hierzu sind zielgerichtete Adaptionen der bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen in allen Projektphasen ebenso erforderlich, wie die Schaffung von entsprechend fortschrittlichen Vertragsmodellen. Modelle, wie Partneringbzw. Allianzmodelle, Early Contractor Involvements (ECI) werden zukünftig heutige Bauverträge ersetzen. 42 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 BIM im Verkehrswegebau - Projektplanung der Bauausführung unter Anwendung eines Datenmodells Abbildung 1: Projektkreislauf 2. BIM in der Ausführung Im Zuge der Bauausführung stellt der Transfer der innerhalb der Modelle festgehaltenen Informationen, wie bspw. Geometrie, Kubaturen, Lieferant, Lagerort, etc., aus der Planung auf die Baustelle eine weitere Herausforderung dar. Diese Daten werden nicht mehr in Form von Papierplänen zur Baustelle übermittelt, sondern es sollen die erstellten Modelle in allen Dimensionen genutzt werden. Hierfür ist nicht nur die entsprechende Ausstattung mit geeigneter Hard- und Software sicherzustellen, auch das Baustellenpersonal ist im Umgang mit neuen Technologien zu schulen. Ziel ist es, die Mitarbeiter auf der Baustelle in die Lage zu versetzen, Modelle mit Informationen über die Bauzustände anreichern zu können, sowie Daten für die Planung und das Monitoring des Bauablaufs zu liefern. Durch die Arbeitsweise mittels Modelldatenbanken können solche Änderungen transparent und effizient eingearbeitet, sowie interaktiv mit den involvierten Planungs- und Baubeteiligten verifiziert werden. Flächendeckende Informationen werden durch den Einsatz von Drohnenund/ oder Lasertechnologie (Mobile Mapping) berücksichtigbar. In weiterer Folge sind dadurch auch die Daten der Ausführung für die auf dem Baufeld agierenden Baugeräte verfügbar und werden über entsprechende Schnittstellen aus dem Modell auf die Baumaschine übertragen. Die Frage der Aktualität der auf den Baustellen vorhandenen Papierpläne gehört damit der Vergangenheit an. Weiterhin ist die Möglichkeit zur modellbasierten Terminplanung und Kostenverwaltung gegeben, die die Basis für eine genauere Leistungsverfolgung der Baustelle darstellt. Um jedoch auch eine effektivere Anwendung in der Bauabrechnung zu ermöglichen, ist eine Novellierung der bestehenden Abrechnungsregeln erforderlich. Abbildung 2: Maschinensteuerungsdaten Ausführung mit Punktwolke In der Betriebs- und Erhaltungsphase ist es möglich, Zustandserhebungen im Modell zu verwalten. Dieser Ansatz kann durch georeferenzierte Bildaufnahmen und Messungen, die mit dem Modell verknüpft sind, unterstützt werden. Dies ermöglicht eine modellgestützte Planung notwendiger Erhaltungsmaßnahmen. Ein solches Modell kann um die periodisch notwendigen Erhaltungsmaßnahmen fortgeschrieben und mit den hinterlegten Zustandswerten ein zustandsabhängiges, sowie dynamisches Erhaltungsmanagement betrieben werden. 3. Anwendung in der Praxis - Pilotprojekt Harsewinkel, DE Das Pilotprojekt „Harsewinkel“ wurde 2007 im Rahmen eines PPP-Modells beauftragt. Der Projektvertrag sieht nach der Baufertigstellung die Erhaltung und den Betrieb über 30 Jahre der Vertragsstrecke vor. Dieses Projekt dient zur Grundlagenermittlung für die weitere Entwicklung eines standardisierten modellbasierten Planungsverfahrens von PPP-Projekten, welche den Betrieb und die Erhaltung von Verkehrswegen und dessen Bestandteilen beinhaltet. Zentraler Kerninhalt des Pilot-Projektes war demgemäß die Schaffung eines Asset-Informationsmodells (AIM) Das Pilotprojekt fokussierte sich auf die modellbasierte Abbildung eines bestehenden, sich in Betrieb befindlichen, PPP-Projekts. Im Weiteren war es Ziel, eine Ausschreibung einer Erhaltungsmaßnahme modellgestützt durchzuführen. Durch die parallele Ausschreibung, die im konventionellen Sinn bearbeitet wird, entstand die Möglichkeit eines Vergleiches zwischen der herkömmlichen und der modellbasierten Ausschreibung. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 43 BIM im Verkehrswegebau - Projektplanung der Bauausführung unter Anwendung eines Datenmodells Abbildung 3: Streckenmodell PPP Harsewinkel In der Ausführungsphase erfolgte die Erfassung der Bestandsstruktur des Baufeldes anhand Laserscandaten (Mobile Mapping) mit anschließender Aufbereitung eines digitalen Geländemodells (Urgelände). Es wurde ein 5D-Modell in Hinblick auf die Bewertung von Kosten, Terminen und / oder der Qualität erstellt, anschließend die modellbasierten VA-Mengen aus dem 3D-Modell in iTWO in Hinblick auf Betrieb und Erhaltung verknüpft. Mit der Erstellung von zustandsabhängigen Terminplänen werden die Instandsetzungs- und Erneuerungsmaßnahmen (Betrachtungszeitraum von 30 Jahren) geplant. Die einzelnen Elemente der Fachmodelle verfügen über entsprechende Merkmale und Parameter (bspw. Material, erwartete Lebensdauer, etc.). Durch die Zusammenführung der Fachmodelle in ein Koordinationsmodell kann vorab eine Maßnahmenplanung für die Erhaltung durchgeführt werden. Unterstützt wird diese Maßnahmenplanung durch die Kombination georeferenzierter Bildaufnahmen, die im Zuge von Zustandskontrollen erstellt und direkt mit dem 3D-Objekt im Koordinationsmodell verknüpft werden. Somit ist bereits während der Kontrollen, durch eine direkte Verknüpfung der Bildaufnahme mit dem 3D-Modell durch mobile Applikationen, eine vorauslaufende Maßnahmenplanung möglich. Dies verspricht eine entsprechende Verkürzung der Bearbeitungsdauer, vor allem im Zuge der Reparatur von unerwartet auftretenden Beschädigungen durch Verkehrsunfälle. Somit kann das Asset-Management der Straßenausrüstung zukünftig auf Basis der Informationen aus dem 3D-Modell erfolgen, wobei eine gleichzeitige visuelle Darstellung der Einzel- Assets mittels des Modells als Unterstützung dient. 4. Anwendung in der Praxis - 3D-Fräsen - Pilotprojekt Knoten S33/ A1, AT Bei diesem Projekt wird in einem Zeitraum von rund 6 Monaten ein ca. 3km langer Autobahnabschnitt mit sieben Brückenobjekten saniert. Die Deckenfräsarbeiten, eine der Hauptleistungen bei diesem Projekt, werden auf einem Teilstück von ca. 500m unter Einsatz einer neuartigen 3D-Fräsmethode abgewickelt, um die Vorteile dieser Technologie unter Einsatz einer digitalen Arbeitsweise zu erproben. Die Verwendung digitaler Werkzeuge im Pilotprojekt lieferte den Anlass, neue Entwicklungsfelder im Asphaltstraßenbau anzuregen. Es wurde für das Teilstück eine Fräse mit entsprechender Sensorik und Hardware nachgerüstet, um das System der Laserscanaufnahme in der operativen Bauausführung auf Funktionalität und Praxistauglichkeit zu untersuchen. Das geplante Vorgehen wurde wie folgt festgelegt und abgewickelt: Initial wurde eine Bestandserfassung mittels Laserscan durchgeführt, um die zu bearbeitende Fräsfläche aufzunehmen. Anschließend wurde das Deckenbuch, auf Basis des Scans, gemäß Auftraggeber-Vorgaben generiert. Auf Basis der digitalen Grundlagen ist es möglich, dieses Deckenbuch so zu optimieren, dass ein ressourcenschonender und richtliniengetreuer Abtrag möglich wird. Im nächsten Schritt wird das Deckenbuch an die 3D-Fräse übertragen, die aufgrund von speziellen Sensoren und dem zugrundeliegenden Scan einen akkuraten Fräsvorgang verrichtet. Die Positionierung in der Lage ist dabei mittels GPS-Antennen sichergestellt. 44 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 BIM im Verkehrswegebau - Projektplanung der Bauausführung unter Anwendung eines Datenmodells Zum Abschluss erfolgt eine Überprüfung der As-Built Punkte. Dies kann konventionell mit einem Tachymeter bzw. einem erneuten Scan als Vorbereitung für einen nachgelagerten, 3D-gesteuerten Asphalteinbau durchgeführt werden. Abbildung 4: Laserscandaten Oberflächensanierung Herkömmlich wird vor dem eigentlichen Fräsen das Deckenbuch vom Vermesser in einem engmaschigen Intervall auf dem auszuführenden Bauvorhaben manuell abgesteckt. Diese Absteckarbeiten fallen durch den Einsatz von gesteuerten Fräsen völlig weg. Bei diesem Projekt konnte das getestete System speziell in Bereichen wie „Vorbereitungszeit auf der Baustelle“, „Möglichkeiten von modellbasierter Designoptimierung“ und „Personalaufwand beim Fräsvorgang“ überzeugen. Darüber hinaus wiesen die erzielte Genauigkeit, sowie die Geschwindigkeit in der Durchführung, ausgezeichnete Testergebnisse aus. Die Durchführung und anschließende Bewertung ergab schlussendlich, dass nicht nur eine Optimierung des Arbeitsaufwands im Zuge der Vorbereitung beim Abstecken für das Deckenbuch ermöglicht wird, sondern auch bei kurzfristigen Planänderungen (im konkreten Fall wurde die Fräsbreite kurz vor Beginn der Arbeiten adaptiert) kein zusätzlicher Vermessungsaufwand von Nöten ist. Mit den vorliegenden Ergebnissen wurden abschließend über das Projektteam unterschiedliche Varianten evaluiert, um schlussendlich eine weitere Optimierung des Fräsens für den Konzern mittels 3D- Modell sowie Maschinensteuerung voranzutreiben. Diese Varianten werden bei zukünftigen Pilotprojekten getestet, so dass ein standardisierter Prozess im Konzern für den Einsatz von 3D-Frässystemen entwickelt werden kann. Abbildung 5: 3D-Fräse im Einsatz Mobilitätsentwicklung 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 47 Mobilitätspakte Ein neues Instrument der Mobilitätspolitik Dipl.-Geogr. Nathalie Bednarek Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg, Stuttgart Zusammenfassung Mobilitätspakte sind als neues Instrument der Mobilitätspolitik seit 2017 in Baden-Württemberg etabliert. Die Arbeiten an einem Mobilitätspakt konzentrieren sich auf die Umsetzung von Maßnahmen, die in definierten Räumen spürbare Verbesserungen der Verkehrssituation für Bevölkerung, Umwelt und Wirtschaft bringen. Dem Leitbild der nachhaltigen Mobilität folgend wird der Fokus auf die Vielfalt und Vernetzung der Verkehrsangebote gelegt. Mobilitätspakte sind eine geeignete, innovative Möglichkeit, um die Verkehrsprobleme eines Raumes zielführend zu analysieren und gemeinsam Lösungsvorschläge zu entwickeln, die den Bedürfnissen der jeweiligen Region gerecht werden. Gemeinsam bedeutet, dass dies im Zusammenspiel der Verantwortlichen aus Land, Kommunen, Wirtschaft und Verkehrsbetrieben geschieht. Auch der Bevölkerung kommt dabei eine wichtige Rolle zu. 1. Nachhaltige Mobilität in Baden-Württemberg Baden-Württemberg möchte Wegbereiter einer modernen und nachhaltigen Mobilität der Zukunft sein. Dafür hat die grün-schwarze Landesregierung im Koalitionsvertrag 1 formuliert, dass - die Mobilität bis Mitte des Jahrhunderts weitgehend auf erneuerbare Energien umgestellt sein soll, - neue Mobilitätsformen gefördert werden sollen, die einen Beitrag zu einer neuen multimodalen Mobilitätskultur leisten und - diese neue Mobilität umwelt- und klimaverträglich, sozial, bezahlbar, wirtschaftlich effizient sein und die Lebensqualität sichern soll. Um die Klimaschutzziele der Landesregierung zu erreichen und die Verkehrswende einzuläuten, muss der Ausstoß von klimaschädlichem CO 2 um 40% verringert werden. Dafür wurden konkrete und messbare Zahlen definiert, die es zu erreichen gilt: - Ein Drittel weniger KfZ-Verkehr in den Städten - Verdopplung des Öffentlichen Verkehrs 1 Koalitionsvertrag zwischen Bündnis 90/ Die Grünen und der CDU Baden-Württemberg 2016 - 2021 abrufbar unter https: / / www.baden-wuertte berg.de/ fileadmin/ redak tion/ dateien/ PDF/ 160509_Koalitionsvertrag_B-W_2016-2021_ final.PDF - Jedes dritte Auto und jede dritte Tonne fährt klimaneutral - Jeder zweite Weg soll selbstaktiv mit Rad, Tretroller, E-Scooter oder zu Fuß zurückgelegt werden. Zentrales Ziel ist die Schaffung einer verlässlichen, nachhaltigen und gleichwertigen Mobilität in allen Regionen, die die Bedürfnisse der Menschen und der Wirtschaft dauerhaft befriedigt - auf eine sozial und ökologisch verträgliche Weise. Dies soll erreicht werden durch die Stärkung des Umweltverbundes (Rad- und Fußverkehr sowie Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV)). Baden-Württemberg steht vor großen Herausforderungen: Wirtschaftlich starke Räume und Wachstumsregionen haben mit den Auswirkungen ihres eigenen Erfolgs zu kämpfen: Prosperierende Wirtschaftsräume leiden besonders unter hohen Pendler- und Wirtschaftsverkehren, besonders auf der Straße. Die hohe Verkehrsbelastung bringt die Straßeninfrastruktur dort regelmäßig an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Bei Störungen wie Unfällen oder Baustellen scheint dieses System regelrecht vor dem Kollaps zu stehen. Peripher gelegene oder ländlich geprägte Räume haben nicht weniger mit schwierigen Voraussetzungen zu kämpfen: Die Anbindung an den ÖPNV ist bestenfalls befriedigend, mit langen Reisezeiten oder schlechten Anschlussverbindungen verbunden, Carsharing-Angebote sind noch selten vorhanden, ondemand-Verkehre erst im Aufbau. In diesen Räumen ist die Nutzung des eigenen Pkw Notwendigkeit und führt wiederrum zu Pendelverkehren in die Städte hinein. 48 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Mobilitätspakte Die kurze Gegenüberstellung zeigt, welche Anstrengungen erforderlich sind, um allen Bedürfnissen gleichermaßen gerecht zu werden. 2. Warum neue Instrumente? Die bisherigen Antworten auf die Fragen der Umsetzung für eine gleichwertige Mobilität für unterschiedlichste Räume waren für sich genommen gut: Der bedarfsgerechte Ausbau der Straßeninfrastruktur folgt dem Paradigmenwechsel „Erhalt vor Neubau“ und der Ausbau und die Förderung des Angebots im Öffentlichen Verkehr mit weitreichenden Verbesserungen der Tarifstrukturen (vgl. bwtarif 2 ) mit dem Ziel vermehrt Wege mit Bus und Bahn zurückzulegen, sind auf bestem Wege. Diese Maßnahmen folgen den politischen Zielen des Klimaschutzes, der Luftreinhaltung, des Lärmschutzes oder der Förderung von Elektromobilität. Von außen betrachtet stehen sich hier konkurrierende Maßnahmen und Ziele gegenüber. Während der Neubau einer Umgehungsstraße den Verkehr aus der Ortsmitte heraushalten soll und damit vermeintlich das Bild vermittelt, es würde allein für das Auto gebaut werden, versucht man mit großen Anstrengungen die Bevölkerung von Bus und Bahn zu überzeugen. Jedoch muss das übergeordnete Ziel sein, die Bevölkerung mit einem vielfältigen Mobilitätsangebot zu einem veränderten Mobilitätsverhalten zu motivieren. Dies bedeutet, den modal split dahingehend zu verändern, dass entsprechend der Ziele der Landesregierung mehr Wege im Umweltverbund zurückgelegt werden. Das funktioniert aber nur, wenn auf die Eigenverantwortung eines jeden Einzelnen gesetzt wird. Einen Zwang zum Umstieg darf es nicht geben. 3. Mobilitätspakte „Das Konzept [der Mobilitätspakte] mit seinem verkehrsträgerübergreifenden Ansatz bietet eine ideale Grundlage für die Vernetzung verschiedener Verkehrsträger. Solchen wirtschaftlich und ökologisch nachhaltig ausgerichteten Lösungen gehört die Zukunft. Politik, Wirtschaft und jeder einzelne kann und muss einen Beitrag dazu leisten! “Verkehrsminister Winfried Hermann MdL 3 Das Nebeneinander von Maßnahmen hat also dazu geführt, dass es zwar punktuelle Verbesserungen im Bereich der einzelnen Verkehrsträger gab, seien es Maßnahmen zur Kapazitätssteigerung von Straßen oder im Schienenverkehr. In der Gesamtschau haben diese 2 bwegt abrufbar unter: https: / / www.bwegt.de/ 3 Pressemitteilung des Ministeriums für Verkehr Baden-Württemberg vom 25.10.2018. Abrufbar unter: https: / / vm.baden-wuerttemberg.de/ de/ service/ pres se/ pressemitteilung/ pid/ mobilitaetskonzept-fuer-den-raum-wall dorf-wiesloch-vereinbart/ Maßnahmen aber nicht dazu geführt, den modal split in einer Region nachhaltig zu verändern. Mobilitätspakte verfolgen deshalb einen ganzheitlichen Ansatz. Um einen wesentlichen Beitrag zur zukunftsorientierten Mobilitätssicherung zu leisten, müssen verstärkt verkehrsträgerübergreifende und vernetzte Lösungsansätze zum Tragen kommen. Das funktioniert nur, wenn die jeweiligen Aufgabenträger gemeinsam darüber beraten, wie die einzelnen Maßnahmen zusammen dazu beitragen können, die Verkehrssituation in einer Region zu verbessern. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines Mobilitätspaktes verstehen sich als Partner, die gleichberechtigt ihre Interessen einbringen. Das Zusammenwirken von Politik, Verwaltung und Wirtschaft bietet großes Potenzial für eine zielgerichtete Diskussion und die zügige Umsetzung von Maßnahmen. Dies betrifft insbesondere die Gremienarbeit auf Ebene der Aufgabenträger aus der Verwaltung. Grundlage der Zusammenarbeit ist die Gründungserklärung, die alle Partner unterzeichnen. Damit wird die Verpflichtung der Partner nach außen sichtbar. Die Gründungserklärung enthält die Leitlinien des Mobilitätspaktes. Da jeder Pakt auf die Bedürfnisse und Herausforderungen einer Region zugeschnitten ist, hängen die Inhalte der Erklärung maßgeblich von den regional spezifischen Bedürfnissen der Bevölkerung und Wirtschaft vor Ort ab. Wichtig ist das gemeinsame Verständnis aller Partner, dass alle Maßnahmen der Verbesserung der angespannten oder unbefriedigenden Verkehrssituation dienen sollen. Die Gründungserklärung liefert mit einer Festlegung auf Handlungsfelder einen Rahmen für die weitere Erarbeitung eines Maßnahmenpakets. 3.1 Ablauf und Organisationsstruktur Mobilitätspakte zeichnen sich durch eine effiziente Organisationsform aus, bestehend aus Steuerungskreis, einer Koordinierungsebene sowie einer Arbeitsebene. Grundsätzlich sind in allen Projektebenen alle Partner im Pakt vertreten. Die politische Leitung obliegt bislang regelmäßig dem Verkehrsministerium Baden-Württemberg. Dem Steuerungskreis sitzt das Verkehrsministerium vor, vertreten durch Verkehrsminister Hermann oder Ministerialdirektor Prof. Dr. Lahl. Mitglieder im Steuerungskreis sind Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger der jeweiligen Partner ((Ober)Bürgermeisterin/ -Bürgermeister, Landrat, CEO, Geschäftsführung). Dieses Gremium fällt Grundlagenentscheidungen, die von der Projektebene vorbereitet und in der Tiefe weiter ausgearbeitet werden. Die Projektleitung obliegt dem zuständigen Regierungspräsidium. Sie bündelt Entscheidungen und Arbeitsschritte fachlich und organisatorisch und leitet hierzu Workshops und Besprechungen. In diesen Runden werden die verkehrlichen Herausforderungen identifiziert und mit ersten Lösungsansätzen hinterlegt. Sie folgen 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 49 Mobilitätspakte den Leitlinien der Gründungserklärung. Die Koordinierungsgruppe ist das Scharnier zwischen Arbeits- und Entscheidungsebene. Auf der Ebene der Arbeitskreise werden die konkreten Maßnahmen vertieft bearbeitet, so zum Beispiel Fragen von Umsetzbarkeit, Finanzierung oder Förderfähigkeit. Die Arbeitsgruppen können auch Zeitpläne zur Umsetzung ausarbeiten. Dadurch entsteht eine Verpflichtung zur Umsetzung der konkreten Maßnahmen. Je nach Ausrichtung und Zielrichtung eines Mobilitätspaktes können die Arbeitsgruppen verschiedenste Themen behandeln, zumeist in den Handlungsfeldern Öffentlicher Verkehr (ÖV), Motorisierter Individualverkehr (MIV), Fuß- und Radverkehr sowie Betriebliches und Behördliches Mobilitätsmanagement. Maßgabe ist jedoch immer ein stimmiges Gesamtkonzept, das die weitere Vernetzung der Verkehrsträger zum Ziel hat. 3.2 Maßnahmen Die Maßnahmen sollen umsetzbar sein, die Potenziale aller Verkehrsträger stärken und einen spürbaren Mehrwert für die Bevölkerung, die Wirtschaft vor Ort sowie die Umwelt bieten. Echtes Umdenken findet statt, wenn die Angebote dem individuellen Mobilitätsbedürfnis entsprechen, intuitiv umsetzbar sind und attraktiver erscheinen als der MIV. Dazu gehören attraktive Preise, einfache Tarifgestaltung, eine verbesserte Taktung und effiziente Umsteigezeiten. Für Pendlerinnen und Pendler ist eine gute Erreichbarkeit an den Arbeitsplatz wichtig, zum Beispiel Werksbusse, die passend zu den Arbeitszeiten an nahe gelegene Bahnhöfe fahren. Diejenigen, die mit dem Rad fahren, wünschen sich sichere und zugleich leicht zugängliche Abstellmöglichkeiten in unmittelbarer Nähe zu den Bahnhöfen. Neben Unternehmen, die womöglich ihren Fuhrpark elektrifizieren wollen, induzieren auch Bildungseinrichtungen wie Schulen oder Universitäten große Pendlerströme mit voraussagbaren Spitzenzeiten. Sie können in Form von Beratung zu Mobilitätsfragen, Roadshows und Workshops oder ähnlichem unterstützt werden. Die oben genannten Beispiele geben einen Einblick in die vielfältigen Fördertatbestände des Betrieblichen und Behördlichen Mobilitätsmanagements (B 2 MM) 4 . Über allem steht derzeit die Corona-Pandemie, die das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung vielfältig beeinflusst. Das Auto hat wieder an Bedeutung gewonnen, ebenso wird mehr Fahrrad gefahren und zu Fuß gegangen. Als großer Verlierer gilt aktuell der ÖPNV, der nach Jahren der Förderung und des Ausbaus insgesamt hohe Zuwachszahlen verzeichnen konnte. Das persönliche Schutzbedürfnis vor einer Infektion und die geringere 4 B 2 MM - Betriebliches und Behördliches Mobilitätsmanagement abrufbar unter: https: / / vm.baden-wuerttemberg.de/ de/ politik-zu kunft/ nachhaltige-mobilitaet/ mobilitaetsmanagement/ foerderpro gramm-betriebliches-und-behoerdliches-mobilitaetsmanagement/ berufliche Mobilität infolge ortsflexiblen Arbeitens haben jedoch dazu geführt, dass nach der Rückkehr aus dem lockdown im Frühsommer 2020 die Fahrgastzahlen nicht wieder an die Zahlen vor der Pandemie anknüpfen konnten. Bisher gibt es noch keine belastbaren Zahlen zu langfristigen Entwicklungen, was die Zahl der Beschäftigten im Homeoffice angeht. Viele Beschäftigte, insbesondere im Bereich wissensbasierter Tätigkeiten, arbeiten seit März von zuhause. Dies wirkt sich massiv auf die Verkehrsbelastungen zu Spitzenzeiten aus. All diese neuen Entwicklungen gilt es auch in Mobilitätspakten zu beleuchten und geeignete Maßnahmen zu identifizieren, um tragfähige Lösungen zu finden. 3.3 Öffentlichkeitsarbeit Ein wichtiger Baustein ist das Einbeziehen der Bevölkerung in den Prozess eines Mobilitätspaktes. Die Motivation der Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer zur Nutzung eines Verkehrsträgers muss bekannt sein, um daraus ableiten zu können, welche Anreize nötig sind, um zum Beispiel zum Umstieg vom Auto auf den ÖPNV zu motivieren. Sind es alleine die Preise, komplizierte Verkehrsverbundstrukturen oder unpassende Umsteigezeiten und somit wesentlich längere Fahrtzeiten? Wo gibt es im Verkehrssystem womöglich Ampelschaltungen, die zu bestimmten Zeiten unnötig Rückstau verursachen und den Verkehrsfluss beeinträchtigen? Fehlen ausreichend sichre Fahrradabstellmöglichkeiten an Bahnhöfen? Diese Gründe lassen sich nur über die direkte Beteiligung der Bevölkerung in der Region erfahren. Dabei gilt es geeignete Formate zu finden, die Interessierte zum Mitmachen und Diskutieren anregen. Die Öffentlichkeitsarbeit kann dabei ganz unterschiedlich ausgestaltet sein, beginnend bei der Pressearbeit, die regelmäßig über Meilensteine oder Termine berichtet, über eine eigene Internetpräsenz hin zu Beteiligungsprozessen, bei denen die Öffentlichkeit eigene Verbesserungsvorschläge einbringen kann. Die bisherigen Erfahrungen der Öffentlichkeitsbeteiligung zeigen, dass die Bevölkerung ein großes Interesse an Mobilitätsthemen hat und die Chance gerne wahrnimmt, konstruktive Vorschläge einzureichen. Die Prüfung der eingegangenen Ideen und die Einarbeitung in eine bestehende Maßnahmenliste kann zu neuen Lösungen beitragen. Zur besseren Sichtbarkeit von Fortschritten vereinbaren die Partner eine gemeinsame Kommunikation. Die Umsetzung von Maßnahmen und erreichten Ziele sollen in Verbindung mit dem Mobilitätspakt kommuniziert werden. 4. Beispiele 2017 wurde mit der Unterzeichnung des Mobilitätspaktes Heilbronn-Neckarsulm der Grundstein für weitere Pakte gelegt. Es folgten Walldorf-Wiesloch im Oktober 2018, Rastatt im Januar 2020 sowie Aalen/ Heidenheim im Oktober 2020. 50 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Mobilitätspakte 4.1 Heilbronn-Neckarsulm „Das bisherige Verkehrssystem stößt vielfach an die Grenzen der Leistungsfähigkeit. Tägliche Staus sind nur die Auswirkung dessen, aber nicht die Ursache. Daher geht es bei den Lösungsansätzen darum, Engpässe zu identifizieren und zu beseitigen, aber insbesondere auch darum, die Potentiale aller Verkehrsträger zu stärken.“ Andreas Hollatz, zum damaligen Zeitpunkt Abteilungspräsident, Regierungspräsidium Stuttgart 5 Der Mobilitätspakt Heilbronn - Neckarsulm ist der erste gegründete Pakt. Die Unterzeichnung fand im Juli 2017 mit folgenden Partnern statt: Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg, Regierungspräsidium Stuttgart, Landkreis Heilbronn, Stadt Heilbronn, Stadt Neckarsulm, Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg (NVBW), Albtal-Verkehrs-Gesellschaft Karlsruhe, AUDI AG und der Schwarz Gruppe. Die Gruppe der beteiligten Partner wächst derzeit. Im November 2020 wollen sich die Städte Bad Friedrichshall und Bad Wimpfen dem Pakt anschließen. Vereinbart wurden dabei unter anderem bessere Takte im Schienenverkehr, zusätzliche Spät- und Frühverbindungen, der Ausbau des betrieblichen Mobilitätsmanagements bei den großen Betrieben in der Region, Verbesserungen an der Bahn- und an der Straßeninfrastruktur sowie eine möglichst rasche Realisierung der geplanten Radschnellverbindung zwischen Bad Wimpfen und Heilbronn. Außerdem sollte eine großräumige Verkehrsuntersuchung als Datenbasis für die weitere Arbeit im Mobilitätspakt fertiggestellt werden. Maßnahmen Schon im Dezember 2017 konnte der Mobilitätspakt Heilbronn-Neckarsulm erste Erfolge verzeichnen: Mit dem Fahrplanwechsel konnte eine Verbesserung im Regionalverkehr mit zusätzlichen Halten in Neckarsulm sowie weiteren Zugpaaren der S 42 für die Audi-Schichtarbeiterinnen und -schichtarbeiter erreicht werden. Die beteiligten Firmen AUDI AG und Schwarz Gruppe konnten bereits erfolgreich Maßnahmen des betrieblichen Mobilitätsmanagements umsetzen und so ihre Beschäftigten zu einem Umdenken animieren: Das angebotene JobTicket als auch die Nutzung eine Mitfahr-App werden gut angenommen. Die gute Resonanz resultiert aus Erhebungen und Befragungen der Beschäftigten, die vorab durchgeführt wurden, um die Belange und Bedürfnisse der Beschäftigten zu kennen. 5 Pressemitteilung des Ministeriums für Verkehr Baden-Württemberg vom 26.07.2020 abrufbar unter: https: / / vm.baden-wuerttemberg. de/ de/ service/ presse/ pressemitteilung/ pid/ mobilitaetspakt-fuer-denwirtschaftsraum-heilbronn-neckarsulm/ 4.2 Walldorf/ Wiesloch „Die Stadt Walldorf begrüßt es sehr, dass in einer gemeinsamen Erklärung unterschiedlicher Verantwortlicher eine sach- und zielorientierte Mobilitätsplanung betrieben werden soll. Es ist wichtig, den dringend notwendigen Ausbau der Straßeninfrastruktur zu betreiben. Gleichzeitig müssen wir aber auch den Blick weiten für alternative Mobilitätskonzepte. In der Metropolregion und direkt auch am Standort Walldorf haben wir Firmen, die wegweisend in die mobile Zukunft gehen können. Wir haben aber auch eine Bevölkerung, die gegenüber neuen Technologien und Ideen im Bereich der Mobilität aufgeschlossen ist. Wenn wir die Offenheit der Menschen mit dem Know How der Unternehmen zusammenbringen, dann bekommen wir das Verkehrsproblem gelöst.“ Bürgermeisterin von Walldorf, Christiane Saab 6 Die Unterzeichnung des Mobilitätspaktes Walldorf/ Wiesloch im Oktober 2018 war der Startschuss für den zweiten Mobilitätpakt in Baden-Württemberg. Das Mobilitätskonzept benennt Ziele und Eckpunkte für die weitere Entwicklung des Verkehrs im Wirtschaftsraum. Es listet eine Reihe von Themenfeldern unter Berücksichtigung der Verkehrsträger Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV), Schiene und Straße auf und umfasst neben wichtigen Akzenten im betrieblichen Mobilitätsmanagement auch die Verbesserung des Radverkehrs in der Region. Öffentlichkeitsbeteiligung Im Juli 2019 wurde die Bevölkerung vor Ort zur Teilnahme an einem Online-Portal eingeladen. Dort wurden die vorgesehenen Maßnahmen des Mobilitätspaktes vorgestellt. Zeitgleich konnte die Bevölkerung einen Monat lang ihre eigenen Ideen in den Pakt einbringen. Insgesamt gingen über 1.700 Vorschläge ein. Die meisten Hinweise aus der Bevölkerung wurden zum Thema Radverkehr aufgenommen. Hier kamen insgesamt mehr als 550 Ideen zusammen, die eine wertvolle Grundlage für die Weiterentwicklung der Radinfrastruktur bieten. Anhand der eingegangenen Hinweise sowie der bereits bestehenden Maßnahmen soll erarbeitet werden, welche Handlungsschwerpunkte und Maßnahmen im Rahmen des Mobilitätspakts in den nächsten Jahren verfolgt werden. Im Januar 2020 ist eine Halbzeitbilanz geplant. 5. Ausblick Zu den aktuell vier unterzeichneten Mobilitätpakten werden in naher Zukunft noch einige weitere Pakte hinzukommen. Diese sind u.a. die Mobilitätspakte Region Rhein-Neckar und Böblingen/ Sindelfingen. Der Mobi- 6 Pressemitteilung des Ministeriums für Verkehr Baden-Württemberg vom 25.10.2018. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 51 Mobilitätspakte litätspakt Rhein-Neckar soll unter der Leitung des Verbands Region Rhein-Neckar die Zusammenarbeit der Länder Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland- Pfalz in der Metropolregion stärken und dabei grenzüberschreitende Mobilitätslösungen fördern. Das Format der Mobilitätspakte ist bislang sehr erfolgreich und soll daher auch in weiteren Regionen des Landes Baden-Waürttemberg zum Einsatz kommen. Um die Koordination aller Mobilitätspakte zu bündeln und Synergieeffekte zu nutzen, wurden in den vier Regierungspräsidien Stuttgart, Tübingen, Freiburg und Karlsruhe die Referate für „Regionales Mobilitätsmanagement“ gegründet. Dort werden zukünftig alle Mobilitätspakte zentral gesteuert und begleitet. Interessierte Akteure aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft sind eingeladen, ihre Ideen für einen Mobilitätspakt in der jeweiligen Region an die zuständigen Regierungspräsidien zu richten. Nur in der gemeinsamen Verantwortung für eine zukunftsfähige, nachhaltige und vielfältige Mobilität lassen sich Verkehrsprobleme lösen. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 53 Verkehrsmanagementstrategien über Stadtgrenzen hinaus - Ein Werkstattbericht aus der Region Stuttgart M.Sc. Steffen Sesselmann Trafficon - Traffic Consultants GmbH, München, Deutschland Dr. Annette Albers Verband Region Stuttgart, Stuttgart, Deutschland Zusammenfassung Maßnahmen des dynamischen Verkehrsmanagements sind auf Autobahnen und in Großstädten hinreichend bekannt, finden jedoch in Ballungsräumen mit vielen Akteuren bisher kaum Anwendung. Die bestehende Organisation des Straßenwesens ist an etablierte Strukturen der Straßenbaulastträgerschaft und des Betriebs im jeweiligen Zuständigkeitsbereich gebunden. Straßenbaulastträgerübergreifende Verkehrsmanagementstrategien werden bisher nicht bzw. nur einzelfallbezogen zur Lösung gebietsübergreifender, regionaler Verkehrsprobleme umgesetzt. Jedoch können kooperativ geplante und im operativen Betrieb laufende Verkehrsmanagementstrategien zur Verkehrssteuerung, -lenkung und -information auch regionale Verbesserungen erwirken und Zielen wie der Verkehrsverflüssigung, -verlagerung und -reduzierung dienen. Für ein wirksames und raumübergreifendes Verkehrsmanagement ist es daher erforderlich, dass Verkehrsmanagementstrategien und deren Maßnahmen auch über die Stadtgrenzen hinaus mit den Aufgabenträgern in den angrenzenden Gebietskörperschaften abgestimmt und umgesetzt werden. 1. Ausgangslage und Zielsetzung In Ballungsräumen führen die großen Verkehrsmengen zu erheblichen Verkehrs- und Umweltbelastungen. Zudem entwickeln sich in den hoch ausgelasteten Verkehrsnetzen schon aus kleinen Ereignissen lang andauernde Behinderungen. Insbesondere die größeren Städte und die von hochbelasteten Verbindungsstraßen durchzogenen Kommunen sind durch politische oder auch gesetzliche Vorgaben gefordert, wirksame Maßnahmen zur Verflüssigung oder Vermeidung des Verkehrs sowie zur dauerhaften Reduktion von Umwelt- und Umfeldbelastungen vorzulegen bzw. diese umzusetzen. Um den Situationen hoher Belastungen und deren verkehrlichen Folgen entgegen zu wirken, können im Rahmen des dynamischen Verkehrsmanagements grundsätzlich zahlreiche Möglichkeiten genutzt werden. Die Umsetzung öffentlicher Verkehrsmanagementstrategien ist dabei mittlerweile ein anerkanntes und wirksames Instrument der Verkehrsbeeinflussung. Dazu gehören die Vermeidung von Kfz-Fahrten, die Verlagerung von bereits angetretenen Kfz-Fahrten an P+R-Standorten auf den ÖPNV sowie die Verringerung des Aufkommens im motorisierten Individualverkehr durch eine zeitliche und räumliche Verlagerung. Vor allem vor dem Hintergrund kommunaler Erfordernisse oder geforderter Grenzwerteinhaltungen haben diese Möglichkeiten zunehmend an Bedeutung gewonnen. Aktuell beschränken sich diese Maßnahmen jedoch mehrheitlich auf den jeweiligen kommunalen Zuständigkeitsbereich. Verkehrsteilnehmer, die aus angrenzenden Regionen in die Ballungsräume pendeln oder diese durchfahren, können mit den vorhandenen räumlich begrenzten Lenkungsstrategien nur schwer erreicht und gesteuert werden. Zudem können auch die angrenzenden Städte und Gemeinden nur bedingt auf diese Strategien reagieren und entsprechende komplementäre Maßnahmen ergreifen. Die bisherigen Verkehrsmanagementstrategien zielen weitgehend auf die jeweiligen lokalen Erfordernisse und Bedürfnisse der einzelnen Akteure ab. Abgestimmte und straßenbaulastträgerübergreifende Strategien werden bisher zur Lösung gebietsübergreifender, regionaler Verkehrsprobleme und einhergehender Umwelt- und Umfeldbelastungen nicht bzw. nur einzelfallbezogen umgesetzt. Zudem verfügen die an die Großstädte angrenzenden Landkreise und deren kreisangehörigen Städte und Gemeinden meist nicht über die Voraussetzungen, entsprechende interkommunal abgestimmte Verkehrsmanagementstrategien umzusetzen. Für eine wirksame und frühzeitige raumübergreifende Verkehrslenkung, -steuerung und -information ist es jedoch erforderlich, dass Maßnahmen und Strategien auch über Verkehrsmanagementstrategien über Stadtgrenzen hinaus - Ein Werkstattbericht aus der Region Stuttgart 54 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 die Stadtgrenzen hinaus mit den Aufgabenträgern in den angrenzenden Gebietskörperschaften abgestimmt und umgesetzt werden können. Daher ist eine Vernetzung der zuständigen Aufgaben- und Verkehrsträger in den Ballungsräumen erforderlich, um den zuständigkeitsübergreifenden Austausch von Daten und Informationen sowie Strategien gemeinsam abstimmen und technisch umsetzen zu können. Die Voraussetzungen für eine Umsetzung der Strategien und Maßnahmen in den umliegenden Landkreisen, Städten und Gemeinden ist auf organisatorischer und technischer Seite bisher kaum oder nur sehr rudimentär gegeben. Es gilt, diese Ansätze systematisch auszuweiten, so dass bereits frühzeitig im Zulauf auf die betroffenen Gebiete auch außerhalb der Stadtgrenzen entsprechende Strategien aktiviert werden können. Mit dem Vorhaben eines straßenbaulastträgerübergreifenden regionalen Verkehrsmanagements kann eine stärkere technische und organisatorische Vernetzung der Akteure im Verkehrsmanagement erreicht werden. Ziel ist es, sowohl auf strategischer Ebene die Planungen zur Verkehrslenkung abzustimmen als auch eine abgestimmte Steuerung der Verkehre im operativen Verkehrsmanagement umzusetzen. Durch die Kooperation und Ausweitung der verkehrlichen Steuerungsmaßnahmen auf angrenzende Gebietskörperschaften können die Wirkungen kommunaler Maßnahmen somit verstärkt werden. 2. Zuständigkeitsübergreifendes Verkehrsmanagement Zur Umsetzung straßenbaulastträgerübergreifender und zwischen den Beteiligten abgestimmter Verkehrsmanagementstrategien ist die Etablierung einer dauerhaften regionalen organisatorischen und technischen Zusammenarbeit der Akteure im zuständigkeitsübergreifenden dynamischen Verkehrsmanagement Voraussetzung. Grundlage ist ein abgestimmtes und koordiniertes Strategiemanagement, die Ertüchtigung strategierelevanter verkehrstechnischer Infrastrukturen der Akteure sowie die technische Vernetzung von Verkehrsmanagementsystemen über Zuständigkeitsgrenzen hinweg. Darauf aufbauend können die Entwicklung, technische Umsetzung und der dauerhafte Betrieb gebietsübergreifender abgestimmter Verkehrsmanagementstrategien erfolgen. Die heutigen hoheitlichen Steuerungskompetenzen der beteiligten Akteure bleiben dabei fortlaufend gewahrt. Für die Konzeption und spätere Umsetzung solcher Verkehrsmanagementstrategien sind zum einen der Aufbau eines Abstimmungs- und Planungsprozesses in Form eines gebietsübergreifenden Facharbeitskreises unter Beteiligung der zuständigen Fachplaner je beteiligter Institution und zum anderen der Aufbau und die Etablierung eines Beirates für die Einbeziehung der kommunalen Entscheidungsebene vorzusehen. Neben der Organisation der Akteure erfolgen Planungen, um Grundlagen für die Strategien und deren Projektierung zu erarbeiten sowie eine Abstimmung zwischen den Beteiligten und ihren Zuständigkeiten zu erwirken. Dies bedeutet die fachliche und politische Mitwirkung der o.g. Akteure, die verkehrslenkende und steuernde Funktionen ausführen. Am Anfang steht die Identifikation von Problemstellen (MIV, ÖV) im strategischen Netz auf Basis verkehrlicher Analysen und Expertennennungen. Regional bedeutsame Situationen, die nicht allein im Wirkungsbereich eines Straßenbaulastträgers liegen (z.B. in den Hauptverkehrszeiten, bei Veranstaltungen, durch Baustellen, Unfall, Umwelt, etc.) werden in Abstimmung mit den Akteuren definiert [1]. Anhand dieser werden geeignete Maßnahmen und Strategien konzipiert und sowohl hinsichtlich der zu erwartenden Wirkungen, Komplexität und Form der Vernetzung als auch in Bezug auf den Umsetzungshorizont und zuständigkeitsübergreifenden Planungsansatz bewertet. Im Rahmen der Planungen ist neben der Strategieentwicklung die detaillierte Konzeption der Vernetzung mit Rollen- und Betreibermodell(en) sowie die Entwicklung geeigneter digitaler Instrumente (Software) für ein strategisch-taktisches und operatives Verkehrsmanagement vorzusehen. Für eine effiziente Vernetzung müssen zum einen die Anforderungen einer Strategie bekannt sein, zum anderem muss die Strategieentwicklung die existierende oder realisierbare Vernetzung berücksichtigen. Bei der Konzeption der Vernetzung werden unter anderem die Erarbeitung von Strategie- und Kooperationsvereinbarungen, auszutauschender Daten und technischer Fragestellungen, wie z.B. Schnittstellen innerhalb von Netzwerken, Datenformate und die einzusetzende Kommunikationstechnik berücksichtigt sowie mit den beteiligten Akteuren abgestimmt [1]. Um verbindliche Strategievereinbarungen zwischen den beteiligten Akteuren im Kontext des operativen Verkehrsmanagements zu treffen, werden die im Ergebnis vorliegenden Verkehrsmanagementstrategien zwischen den Akteuren auf Fach- und Entscheidungsebene abgestimmt und unterzeichnet. Diese beinhalten u.a. die betrieblich-organisatorischen Abläufe beim Strategiemanagement sowie regelmäßige Grundsatzabstimmungen zur Weiterentwicklung der Systeme und Strategien. In Kooperationsvereinbarungen werden zudem Zweck und Organisation der Zusammenarbeit, Regelungen zum Ablauf der Strategieabstimmung und -umsetzung, Datenaustausch sowie zur Kommunikation, Datenüberlassung, Kostenteilung und Vertragsbindung geregelt [1]. 3. Praxisbeispiel Region Stuttgart - Werkstattbericht Die Region Stuttgart, mit ihrer polyzentrischen Struktur und einer daraus resultierenden Vielzahl an hochverdichteten Wohn- und Arbeitsstätten, zeichnet sich durch ein besonders stark ausgelastetes Straßennetz aus. Interkommunale Pendlerströme und ein bedeutender Wirtschaftsverkehr überlagern sich mit starken Strömen des Fernverkehrs. Daraus resultiert insbesondere eine regelmäßige Überlastung des Straßennetzes zu den Spitzenzeiten. Erweiterungen der Verkehrsinfrastruktur sind sowohl im motorisierten Individualverkehr als auch im öffentlichen Verkehr nur punktuell möglich. Demzufolge Verkehrsmanagementstrategien über Stadtgrenzen hinaus - Ein Werkstattbericht aus der Region Stuttgart 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 55 führen hohe Auslastungen und Störungsursachen zu erheblichen Zeitverlusten für die Verkehrsteilnehmer [2]. Die polyzentrale politische Gliederung in insgesamt 179 Kommunen sowie fehlende Schnittstellen und Vernetzungen hindern die Akteure im Verkehrsmanagement (Land, Kreise, Kommunen) bis heute daran, regionsweit aktiv die Ströme in den Netzen zu lenken. Verkehrssteuerungskompetenzen sind räumlich und organisatorisch verteilt und entsprechen nicht dem Bedarf an koordinierten verkehrsgerechten Eingriffen in das betroffene Straßennetz. Einen Lösungsansatz bietet hierfür der Aufbau eines regionalen und zuständigkeitsübergreifenden Verkehrsmanagements unter einem Dach. Der Verband Region Stuttgart hat die Koordinierung und Förderung eines regionalen Verkehrsmanagements und der intermodalen Vernetzung im Zuge des ÖPNV- Paktes 2025 als gesetzliche Aufgabe übernommen. Er hat sich um Mittel aus dem europäischen Fonds für Regionalentwicklung (EFRE) im Landesprogramm Regio- WIN beworben und wurde mit dem Leuchtturmprojekt „Regionale Mobilitätsplattform“ ausgezeichnet [3]. Das Modellprojekt wird aus EFRE-Mitteln sowie dem Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden- Württemberg gefördert und weist ein Gesamtvolumen von 9,5 Mio. Euro [4] auf. Der Fokus des Projektes liegt auf dem straßengebundenen Verkehr unter Berücksichtigung des ÖPNV. Hierfür wird bis 2022 eine regionale Verkehrsmanagementzentrale in einem Ring um die Landeshauptstadt Stuttgart aufgebaut, die sowohl den organisatorischen als auch operativen Rahmen für das zuständigkeitsübergreifende Verkehrsmanagement definiert. Das Vorgehen zur Entwicklung und Umsetzung straßenbaulastträgerübergreifender Strategien orientiert sich an den Empfehlungen der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) [1]. Abbildung 1: Untersuchungsraum für das Pilotprojekt Regionale Mobilitätsplattform Quelle: Verband Region Stuttgart Um mit den relevanten Akteuren aus Land Baden-Württemberg, Landkreisen, Landeshauptstadt Stuttgart und weiteren Kommunen eine maßgeschneiderte Aufgabenstellung für spätere Investitionen zu erstellen, wurde das Projekt Regionale Mobilitätsplattform in zwei Projektphasen gegliedert. Die Projektphase I (Abschluss im Sommer 2019) umfasste ausschließlich Konzeptionen und Planungen, um Grundlagen für Verkehrsmanagementstrategien und deren Projektierung zu erarbeiten sowie eine Abstimmung zwischen den Beteiligten und ihren Zuständigkeiten zu erwirken. Dies bedeutet die Berücksichtigung und Beteiligung der Straßenbaulastträger auf den Ebenen Bundesfernstraßen bis zu kommunalen Straßen sowie der Straßenverkehrsbehörden und weiterer Organisationen, die verkehrslenkende und -steuernde Funktionen ausführen. Die Projektphase II (Beginn Januar 2020) umfasst vor allem die Ausführungsplanung und Umsetzung von Verkehrsmanagementstrategien im motorisierten Individualverkehr und straßengebundenen ÖPNV sowie die Implementierung der dafür notwendigen verkehrs- und systemtechnischen Infrastruktur. Innerhalb des im Projekt definierten Untersuchungsraumes (siehe Abbildung 1) wurden gemeinsam mit den im Projekt beteiligten Akteuren und auf deren Vorschlag hin in der Projektphase I in monatlich stattfindenden Expertenforen (Facharbeitskreisen) zuständigkeitsübergreifende Verkehrsmanagementstrategien mit dazugehörigen Maßnahmen zur Lösung der zuvor identifizierten regionalen Verkehrsprobleme intensiv ausgearbeitet (siehe Abbildung 2) [2]. Abbildung 2: Regional bedeutsame verkehrliche Problemstellen zu den Hauptverkehrszeiten Quelle: Verband Region Stuttgart Etwa 40 (Teil-)Strategien und mehr als 60 Maßnahmen wurden mit den beteiligten Akteuren in den Expertenforen sowie mit den Entscheidungsträgern des Landes Baden-Württemberg, der Landkreise und Kommunen im Verkehrsmanagementstrategien über Stadtgrenzen hinaus - Ein Werkstattbericht aus der Region Stuttgart 56 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Rahmen des “Beirats Verkehrsmanagment Region Stuttgart” abgestimmt sowie fachlich zur Weiterführung in der Projektphase II beschlossen. Neben der Abstimmung der Strategien zwischen den lokalen Akteuren (Landkreis und Kommune) wurden Abstimmungen mit dem Regierungspräsidium Stuttgart hinsichtlich einer Umsetzung der Strategien mittels Neubau bzw. Ertüchtigung verkehrstechnischer Infrastrukturen geführt. Das insgesamt befürwortende Ergebnis des Abstimmungsprozesses zwischen allen Akteuren zeigt auf, dass die geplanten Verkehrsmanagementstrategien mitsamt erarbeiteten Maßnahmen(-bündel) nur dann ihre verkehrlichen Wirkungen erzielen werden, wenn sich alle Akteure (Straßenbauverwaltung des Landes, Landkreise, Kommunen) auf eine konstruktive Zusammenarbeit verpflichten. Abbildung 3: Ausgewählte Pilotkorridore Quelle: Verband Region Stuttgart In der Region Stuttgart wurden zur Umsetzung der Planungsergebnisse der Projektphase I vier Pilotkorridore (siehe Abbildung 3) aus dem strategischen Straßennetz ausgewählt und Verkehrssteuerungs-, Lenkungs- und Informationsstrategien als Beitrag zur Reduzierung der Umweltbelastungen sowie zur Steigerung der Effizienz der Straßeninfrastrukturen in definierten Verkehrssituationen konzipiert [5]. In der Projektphase II erfolgen somit Kooperationen mit der Straßenverkehrszentrale Baden-Württemberg und der Integrierten Verkehrsleitzentrale der Landeshauptstadt Stuttgart sowie dem Regierungspräsidium Stuttgart, Rems-Murr-Kreis und Landkreis Böblingen. Darüber hinaus beteiligen sich die Städte Ludwigsburg, Waiblingen, Fellbach, Böblingen, Leonberg und Ditzingen. Für die vier Korridore wurden Strategien des dynamischen Verkehrsmanagements mit konkreten Maßnahmen(-bündeln) definiert. Diese beinhalten folgende Maßnahmen für den straßengebundenen Verkehr: • Standortspezifische dynamische Verkehrsinformationen in Form virtueller Infotafeln • Empfehlungen zur Nutzung von P+R-Anlagen entsprechend des aktuellen Auslastungsgrades und der S-Bahn-Anschlüsse • Dynamische Lichtsignalsteuerungen für ein situationsabhängiges Kapazitätsmanagement zur Gewährleistung der Verkehrsqualität in städtischen Straßennetzen • Berücksichtigung des ÖPNV mittels Busbevorrechtigung Um den Verkehr im Bedarfsfall gezielt zentral beeinflussen oder Handlungsvollzüge auf der Basis der vorabgestimmten Strategien empfehlen zu können, bedarf es einer entsprechend ausgestatteten Straßenverkehrstechnik vor Ort (Lichtsignalanlagen, Verkehrskameras, Detektoren, angepasste Signalprogramme, etc.) in den vier Pilotkorridoren, die mit einer regionalen Verkehrsmanagementzentrale vernetzt sind. 3.1 Strategien zu den Hauptverkehrszeiten Während den Hauptverkehrszeiten (morgendliche und abendliche Spitzenstunde) kommt es zu Überlastungen im strategischen Netz der Region Stuttgart. Neben Überlastungen im übergeordneten Straßennetz erfolgen auch Verkehrsbelastungen im nachgeordneten Straßennetz und insbesondere in den innerörtlichen Siedlungsbereichen. Diese werden durch hohe Durchgangs- und Pendlerverkehre stark belastet. Das Handlungsspektrum der konzipierten Strategien zu den Hauptverkehrszeiten setzt sich vor allem aus der Verkehrssteuerung und begleitenden Straßenverkehrsinformation zusammen. Ziel ist es, die Leistungsfähigkeit des übergeordneten und nachgeordneten Straßennetzes zu erhalten sowie die örtlichen Umweltbelastungen durch Verflüssigung des Verkehrs zu reduzieren. Dazu soll der Durchgangsverkehr zu den Hauptverkehrszeiten auf dem großräumigen und überregionalen Straßennetz verbleiben und eine Verlagerung des Kraftfahrzeugverkehrs in die innerstädtischen Siedlungsbereiche vermieden werden (siehe Abbildung 4). Abbildung 4: Pilotkorridor Waiblingen - Fellbach - Stuttgart-Bad CannstattQuelle: Verband Region Stuttgart Verkehrsmanagementstrategien über Stadtgrenzen hinaus - Ein Werkstattbericht aus der Region Stuttgart 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 57 Durch ein situations- und verkehrsabhängiges Kapazitätsmanagement zur Erreichung einer ausreichenden Verkehrsqualität in den Siedungsbereichen, virtuellen dynamischen Straßenverkehrsinformationen an relevanten Entscheidungspunkten im übergeordneten Straßennetz sowie Empfehlungen zur Nutzung von P+R-Anlagen bei noch freien Parkplätzen bzw. der frühen Ankündigung einer Vollbelegung, wird diese Strategie verfolgt. 3.2 Strategien bei nicht planbaren Ereignissen Nicht planbare Ereignisse (z.B. Unfälle, Glätte, etc.) verstärken die bestehenden Überlastungen zu den Hauptverkehrszeiten im regionalen Straßennetz zusätzlich, wenn deren Auswirkungen in die Hauptverkehrszeiten hineinreichen. Ziel ist es, bei Störfällen das strategische Netz möglichst leistungsfähig zu halten und die negativen Auswirkungen auf den Verkehrsfluss zu minimieren. Es gilt, eine zeitliche und räumliche Ausweitung von Verkehrsüberlastungen durch nicht planbare Ereignisse in die morgendliche bzw. abendliche Hauptverkehrszeit hinein zu vermeiden. Daher müssen mögliche freie Kapazitäten in Schwachlastbzw. Nebenverkehrszeiten (z.B. nachts) im gesamten strategischen Netz genutzt werden, um langanhaltende Verkehrsbehinderungen in den durch Unfälle gestörten Netzbereichen zu vermeiden und reduzieren (siehe Abbildung 5). Abbildung 5: Pilotkorridor Waiblingen - Fellbach - Stuttgart-Bad Cannstatt Quelle: Verband Region Stuttgart Im Zuge dessen kann das nachgeordnete Netz situationsbedingt (z.B. bei einem Unfall) zusätzliche Kapazitäten für den Verkehr vom übergeordneten Straßennetz (z.B. Bundesautobahn, Bundesstraße) zur Verfügung stellen, sodass ein geordneter Verkehrsfluss sowohl im überals auch nachgeordneten Straßennetz zügig wiederhergestellt werden kann. 3.3 Kooperation der Akteure im regionalen Verkehrsmanagement Für die Umsetzung der Schaltzustände der entwickelten Verkehrsmanagementstrategien soll eine regionale Verkehrsmanagementzentrale schwerpunktmäßig für die Landkreise und Kommunen im „Ring“ um Stuttgart aufgebaut und anschließend als dauerhafte regionale Zusammenarbeit der Akteure im zuständigkeitsübergreifenden dynamischen Verkehrsmanagement etabliert werden. Sie wird in enger Zusammenarbeit mit den bestehenden Einrichtungen der Straßenverkehrszentrale Baden-Württemberg und der Integrierten Verkehrsleitzentrale der Landeshauptstadt Stuttgart Verkehrsmanagementaufgaben wahrnehmen. Diese regionale Verkehrsmanagementzentrale mit den Systemen zur Verkehrsinformation und Verkehrssteuerung mit einem Zugriff auf die lokale Verkehrstechnik vor Ort, kann auf die Verkehrsstörungen im Straßennetz, abgestimmt mit den beiden bestehenden Zentralen, reagieren (siehe Abbildung 6). Der Aufbau der regionalen Verkehrsmanagementzentrale soll bis Projektende als Pilotvorhaben mit den bisher gewonnenen Interessenten erfolgen. Zeitlich parallel wird der Bund die Unterhaltung und den Betrieb der Bundesautobahnen zentralisieren. Dies wird auch zu einer Neuaufstellung der Straßenverkehrszentrale des Landes führen. In gemeinsamer Abstimmung mit dem Land Baden-Württemberg werden künftige Verkehrsmanagementaufgaben des Landes und der regionalen Ebene perspektivisch zusammengeführt bzw. entwickelt werden. Ausgehend von diesem Pilotprojekt soll das regionale Verkehrsmanagementsystem im Datenverbund bei Erfolg sukzessive auf weitere Bereiche der Region ausgeweitet werden, um so ein flächendeckendes abgestimmtes operatives Verkehrsmanagement in der Region Stuttgart zu erreichen. Ziel ist die Etablierung einer dauerhaften regionalen Zusammenarbeit der Akteure im zuständigkeitsübergreifenden dynamischen Straßenverkehrsmanagement. Abbildung 6: Kooperation im regionalen Verkehrs-management Quelle: Verband Region Stuttgart Um einen effizienten, leistungsfähigen, sicheren, umwelt- und umfeldgerechten sowie wirtschaftlichen Verkehrsablauf zu gewährleisten, vereinbaren die Partner eine kontinuierliche Zusammenarbeit bei der Planung und operativen Umsetzung von Verkehrsmanagementstrategien. Zweck der Kooperation ist es, zuständigkeitsübergreifende Strategien und Maßnahmen gemeinsam Verkehrsmanagementstrategien über Stadtgrenzen hinaus - Ein Werkstattbericht aus der Region Stuttgart 58 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 vorzubereiten, in abgestimmter Form den zuständigen Entscheidungsträgern vorzulegen und die vereinbarten Strategien im operativen Betrieb anzuwenden Im Zuge der künftigen Strategieumsetzung sind hierzu verbindliche Strategievereinbarungen vorgesehen, die Zweck und Organisation der Zusammenarbeit, den Ablauf der Strategieabstimmung und -umsetzung sowie den Datenaustausch regeln. Jede einzelne Verkehrsmanagementstrategie mitsamt Maßnahmen(-bündel) wird in einer detaillierten Strategievereinbarung festgehalten und mit den beteiligten Projektpartnern ausgearbeitet sowie abgestimmt. Die verbindlichen Strategievereinbarungen mitsamt eingeholter verkehrsrechtlicher Anordnungen stellen im Rahmen der zuständigkeitsübergreifenden Kooperationen das zukünftige Handeln der Operatoren im operativen Betrieb sicher. 3.4 Mehrwert und Nutzen für die regionalen Akteure Neben einer kontinuierlichen straßenbaulastträgerübergreifenden Abstimmung und Etablierung eines zentra-len Ansprechpartners im regionalen Verkehrsmanagement ergeben sich sowohl im jeweiligen eigenen Verantwortungsbereich als auch übergreifend Verbesserungen der Umwelt- und Umfeldverträglichkeit mit einer Emissionsminderung in den Siedlungsbereichen durch die situationsbedingte Steuerung des Verkehrs. Der übergeordnete Nutzen für die Beteiligten zielt auf folgende Bereiche ab: • Verbesserte Abstimmung und Koordinierung situationsbedingter Verkehrssteuerungen • Schaffung eines Organisationsrahmens zur Vernetzung der Verkehrssysteme • Schaffung regionaler Grundlagen für die Planung • Differenzierte Informationen zur Echtzeitverkehrslage als Planungs- und Entscheidungsgrundlage • Der operative Nutzen stellt für die Beteiligten die • Situationsbedingte Steuerung des Verkehrsangebots im eigenen Verantwortungsbereich • Verbesserung des Verkehrsflusses mit verbesserter Netzauslastung • Reduzierung von Luftschadstoffemissionen, CO 2 - und Lärmemissionen • Zugang zum Verkehrsmanagementsystem mit Informationen zur Echtzeitverkehrslage und geschalteten Strategien dar. Weiterhin ist es vorgesehen, sich zur Kommunikation der Verkehrsmanagementstrategien des Mobilitäts Daten Marktplatzes (MDM) zu bedienen. Als Deutschlands nationaler Zugangspunkt für Verkehrsdaten gewährleistet der MDM, angesiedelt bei der Bundesanstalt für Straßenwesen, dass Informationen - in diesem Fall z.B. über aktive Strategien diskriminierungsfrei zur Verfügung stehen und im Rahmen der Strategien zu erwartende Schaltzustände bereits von Navigationsanbietern im Routing berücksichtigt werden können [6]. 3.5 Ausblick Neben den vier Pilotkorridoren und der damit verbundenen Umsetzung erster zuständigkeitsübergreifender Initialstrategien sollen in zukünftigen Ausbaustufen des regionalen Verkehrsmanagements weitere Teilnetze nach Bedarf miteinbezogen werden. Alle Beteiligten erhalten die Möglichkeit, an den im Weiteren zu erarbeitenden Projektergebnissen zu partizipieren und aktive Beteiligte im strategisch-taktischen und operativen Verkehrsmanagement zu werden. Dabei geht es um die Aufnahme verkehrsrelevanter Ereignisse (u.a. Baustellen, Veranstaltungen, nicht planbare Störfälle, etc.) in eine gemeinsame regionale Verkehrsinformationsbasis und um die Bereitstellung bzw. den Abruf relevanter Informationen aus dieser. In dem Projekt wurde ein Expertenforum der Fachleute (Facharbeitskreis) mit etwa monatlichen Treffen etabliert, das von den Teilnehmern als Austauschplattform sehr geschätzt wird und fortgeführt werden soll. Im Rahmen der aktuellen Planungen in Projektphase II (Stand Herbst 2020) erfolgt die Detailplanung der in Projektphase I im Entwurf erarbeiteten Strategien mit den beteiligten Projektpartnern bis hin zur Ausführungsreife. Dabei werden auch die erforderlichen verkehrsrechtlichen Anordnungen je Maßnahme bei den zuständigen Straßenverkehrsbehörden eingeholt. Dieser Planungsprozess steht in starker Wechselwirkung und Abstimmung zur Planung der lokalen strategierelevanten Verkehrstechnik (z.B. Anpassung von LSA-Programmen und Aktualisierung von Steuergeräten). Um verbindliche Strategievereinbarungen zwischen den beteiligten Akteuren im Kontext des operativen Verkehrsmanagements zu treffen, werden die im Ergebnis vorliegenden Strategien zwischen den Akteuren auf Fach- und Entscheidungsebene abgestimmt und unterzeichnet. Diese beinhalten u.a. die betrieblich-organisatorischen Abläufe beim Strategiemanagement sowie regelmäßige Grundsatzabstimmungen zur Weiterentwicklung der Systeme und Strategien. Für die auf Basis der in der Ausführungsplanung entwickelten verkehrs- und systemtechnischen Infrastrukturen der regionalen Verkehrsmanagementzentrale wurden die Ausschreibungsunterlagen erstellt und das Ausschreibungsverfahren samt Vergabe eingeleitet. Die Ausschreibungen beinhalten die Lieferung, Erstellung und Versorgung der Systeme. Die spätere Ausschreibung und Vergabe der lokalen Verkehrstechnik erfolgt eigenständig unter der Federführung der beteiligten Projektpartner (Land, Landkreis, Kommune). Verkehrsmanagementstrategien über Stadtgrenzen hinaus - Ein Werkstattbericht aus der Region Stuttgart 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 59 4. Zusammenfassung Es hat sich gezeigt, dass für eine Verbesserung der verkehrlichen Situation in regionalen Straßennetzen neben den verkehrsplanerischen und -technischen insbesondere die organisatorischen Ansätze sowie ein breiter politischer Konsens zur erfolgreichen Initiierung und späteren Etablierung eines zuständigkeitsübergreifenden Verkehrsmanagements Berücksichtigung finden müssen. Zudem werden je nach Ausgangslage der unterschiedlichen verkehrlichen oder umweltrelevanten Problemstellen maßgeschneiderte Lösungen erforderlich. Grundlegend sind zur Bewältigung und Verbesserung des Status Quo der Aufbau einer dauerhaften Kooperation und eine fortlaufende transparente Abstimmung zwischen den kommunalen und institutionellen Partnern. Literatur [1] FGSV - Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, Arbeitsgruppe Verkehrsmanagement: Hinweise zur Strategieanwendung im dynamischen Verkehrsmanagement (2011) [2] Regionalverkehrsplan Region Stuttgart - Beschluss der Regionalversammlung vom 18.07.2018 - Verband Region Stuttgart, https: / / www.regionstuttgart.org/ regionalverkehrsplan (URL vom 23.10.2020) [3] Verband Region Stuttgart - „Regionale Mobilitätsplattform“, https: / / www.region-stuttgart.org/ mobilitaetsplattform (URL vom 08.10.2020) [4] Verband Region Stuttgart - Aufgaben und Projekte, https: / / www.region-stuttgart.org/ aufgabenund-projekte/ verkehrsmanagement (URL vom 26.10.2020) [5] Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH - Das Standortmagazin der Region Stuttgart, Themenheft 2019 [6] MDM Mobilitäts Daten Marktplatz, https: / / www. mdm-portal.de/ (URL vom 24.10.2020) 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 61 Motorradlärm in Baden-Württemberg - Von der subjektiven Belästigung zu belegbaren Grundlagedaten Dr.-Ing. Hartmut Ziegler DTV-Verkehrsconsult GmbH, 52076 Aachen, Deutschland Zusammenfassung In Baden-Württemberg wurde von Land und Kommunen die Initiative Motorradlärm gegründet, in der sich beide gemeinsam für Verbesserungen einsetzen. Einen Baustein dabei bildet die Objektivierung der Belastungen durch Motorradlärm. Dazu wurde das Zählstellennetz des Landes hinsichtlich hoher Motorradzahlen analysiert und geeignete Indikatoren für „viel“ Motorradverkehr überprüft und auf ihre Eignung getestet. Aus dieser Bewertung wurden rund 100 besonders hoch belasteten Stellen ausgewählt, an denen kontinuierliche Lärmmessungen über 14 Tage durchgeführt werden. Dazu werden sogenannte Akustikleitpfosten eingesetzt, die über Seitenradartechnik zur Zählung und Klassifizierung des Verkehrs verfügen und zusätzlich den Fahrzeuglärm von Fahrzeugen, die am Leitpfosten direkt vorbeifahren, aufzeichnen. Die Ergebnisse dieser Messungen dienen als Grundlage für weitere Überlegungen, um eine Verminderung des Motorradlärms zu erreichen. 1. Ausgangssituation Verkehrslärm belastet. Besonders Motorradlärm ist dabei zu einem breit thematisierten Ärgernis geworden. Vor allem in landschaftliche Gebieten, die für Motorradfahrer attraktive Streckenverläufe aufweisen, steigt der Unmut bei den Bewohnern der Ortschaften und auch bei Erholungssuchenden. All dies sind bekannte Fakten. Diese Lärmbelastungen werden nicht nur durch unzulässige Manipulationen an den Motorrädern hervorgerufen, sondern in erster Linie durch die Fahrweise Ihrer Nutzer. Es bestehen bereits verschiedene kommunikative und praktische Ansätze, gegen diesen Lärm vorzugehen. Dies geschieht z.B. mittels Workshops, Infoterminen oder mittels Dialogdisplays. Über die Wirksamkeit solcher Maßnahmen gibt es unterschiedliche Bewertungen. Das Thema Lärm - und besonders Motorradlärm ist teils stark emotional geprägt, was aufgrund der persönlichen Betroffenheit nachvollziehbar ist. In Baden-Württemberg wurde von Land und Kommunen eine gemeinsame „Initiative Motorradlärm“ gegründet. Der Verkehrsminister des Landes Baden-Württemberg, der Lärmschutzbeauftragte der Landesregierung von Baden-Württemberg und die der Initiative beigetretenen Städte, Gemeinden und Landkreise aus Baden-Württemberg fordern, dass alle Handlungsmöglichkeiten ergriffen werden, um Motorradlärm wirkungsvoll zu reduzieren. Die Initiative Motorradlärm fordert, dass Motorräder leiser werden, dass Motorräder leiser gefahren werden, und dass rücksichtsloses Fahren deutliche Folgen hat. Einen Baustein dabei bildet die Objektivierung der Belastungen durch Motorradlärm. Die Fragen lauten dabei stark vereinfacht: - Wie laut sind die Motorräder? - Wo ist es besonders laut? Diesen Fragestellungen will eine vom Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg beauftragte Untersuchung nachgehen. Dazu wurden drei zentrale Arbeitspositionen definiert: - Ermittlung von verkehrlich hochbelasteten Motorradstrecken - Messung von Verkehrszahlen und Lärmpegeln von Pkw, Lkw und Motorrädern - Bewertung der Messergebnisse Dazu sollten in einem ersten Schritt die durch Motorräder höchstbelasteten Zählstellen im Land ermittelt werden und anschließend dort Verkehrszählungen und Lärmmessungen durchgeführt werden. Bisher waren Lärmmessungen im Verkehrsraum sehr aufwändig und wurden daher eher selten durchgeführt. Mit einer neuen Erhebungstechnik hat sich das insofern geändert, dass vergleichende Messungen mit vergleichsweise geringem Aufwand möglich sind. Damit sind sozusagen flächendeckende Messungen realisierbar. Motorradlärm in Baden-Württemberg - Von der subjektiven Belästigung zu belegbaren Grundlagedaten 62 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 2. Motorradstrecken 2.1 Indikatoren Motorradlärm hängt von verschiedenen Faktoren ab. Neben dem individuellen Fahrzeug und der individuellen Technik, spielen auch die Verkehrsmenge, Topographie, verkehrsregelnde Maßnahmen und natürlich die individuelle Fahrweise eine Rolle. Wo besonders viele Motorräder unterwegs sind, kann es auch besonders laut sein. Dieser Aspekt sollte in einem ersten Schritt analysiert werden. Dies ist relativ leicht möglich, da das Land Baden-Württemberg seit 2010 landesweit und systematisch ein rund 4.500 Zählstellen umfassendes Netz von Erfassungsstellen betreibt, bei der in kontinuierlichen Wochenzählungen der Verkehr gezählt und nach Fahrzeugarten differenziert analysiert werden. Das Verfahren hat unter dem Namen „Verkehrsmonitoring“ mittlerweile bundesweite Verbreitung gefunden. Dieses Zählstellennetz verteilt sich wie folgt auf die verschiedenen Straßenklassen: - Bundesstraßen: 513 - Landesstraßen: 1.770 - Kreis- und Gemeindestraßen: 2.080 Diese Verteilung lässt erkennen, dass Verkehrsmengendaten nicht nur für die hochbelasteten Fernstraßen, sondern tatsächlich flächendeckend auch auf weniger verkehrsbelasteten Straßen vorliegen. Diese sind für Motorradfahrer häufig wesentlich attraktiver als gut ausgebaute und hochbelastete Straßen. Die Frage, wo besonders viele Motorräder unterwegs sind, lässt sich aber gar nicht so eindeutig beantworten, da zunächst der Begriff „viele“ definiert werden muss. Dazu bieten sich verschiedene Kenngrößen an, die entweder gezählt oder berechnet wurden. Im Verkehrswesen wird üblicherweise mit Jahresdurchschnittswerten, dem DTV (Durchschnittlicher täglicher Verkehr) aller Tage eines Jahres gearbeitet. Außer an kontinuierlich das ganze Jahr zählenden Erfassungseinrichtungen liegt dieser Wert aber nicht als Zählwert vor, sondern wird mittels Hochrechnungsverfahren berechnet. Zudem hat er den Nachteil, dass er durch die Durchschnittsbildung verkehrliche Spitzenbelastungen nivelliert. Zielführender scheinen aus den Zählungen direkt ermittelte maximale Tagesbelastungen oder auch maximale Stundenbelastungen zu sein. Diese hängen jedoch stark von den Tagen ab, an denen die Stichprobenzählungen durchgeführt wurden. Bei schlechtem Wetter finden üblicherweise weniger Freizeitfahrten mit Motorrädern statt, als bei gutem Wetter. Für eine erste Analyse standen über 10.000 in den Jahren 2016 bis Frühjahr 2020 durchgeführte Wochenzählungen zur Verfügung, die jeweils ein vollständiges Wochenende mit umfassen. Die drei genannten Kennwerte, DTV, maximaler Tageswert und maximaler Stundenwert, wurden für diese Zählungen jeweils der Größe nach geordnet. In Abbildung 1 sind die Ergebnisse dargestellt. Abb. 1: Anzahl Motorräder Während der Maximalwert des Jahresdurchschnittswerts der ca. 10.000 Zählungen bei rund 1.100 Motorrädern pro Tag liegt, beträgt der maximale Tageswert aus den Zählungen rund 3.700 Motorräder pro Tag. Der maximale Stundenwert beträgt rund 400 Motorräder pro Stunde. Interessant ist bei dieser Auswertung aber auch, dass sich die jeweilige Kennzahl innerhalb der ersten 100 Ränge stark verändert, während der Kurvenverlauf anschließend wesentlich flacher verläuft. Aufgrund dieser Auswertung wurde daher festgelegt, die 100 höchstbelasteten Zählstellen im Land näher zu betrachten. Um jedoch festzulegen, welche der drei Kenngrößen für die Auswahl herangezogen werden sollte, wurde überprüft, ob sich die Rangfolgen der Kriterien eher ähneln oder nicht. Dazu wurde in einem Diagramm zu jeder Messstelle der Rang des maximalen Tageswertes dem des DTV-Wertes gegenübergestellt. Im Fall einer weitgehenden Ähnlichkeit würden die im Diagramm aufgetragenen Punkte dann auf der „Winkelhalbierenden“ liegen. In Abbildung 2 ist jedoch erkennbar, dass dies nicht der Fall ist, sondern vielmehr eine große Streuung vorliegt. Abb. 2: Vergleich Rang DTV / max. Tageswert Ähnlich sieht es auch beim Vergleich der DTV-Werte mit den maximalen Stundenwerten aus. Hingegen zeigt der Motorradlärm in Baden-Württemberg - Von der subjektiven Belästigung zu belegbaren Grundlagedaten 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 63 Vergleich von maximalen Tages und Stundewerten eine wesentlich stärkere Übereinstimmung (Abbildung 3). Abb. 3: Vergleich Rang max. Tages- / Stundenwerte Daher wurde entschieden, dass hochgerechnete DTV- Werte nicht zur Zählstellenauswahl herangezogen werden sollen. Der Vergleich der Rangwerte der 100 Zählstellen mit den höchsten Tageswerten ergab im Durchschnitt Rang 84 bei den maximalen Stundenwerten, während umgekehrt der mittlere Rang der maximalen Tageswerte bei den 100 höchsten maximalen Stundenwerten 113 betrug. Daher wurde für die weiteren Betrachtungen die Rangfolge der maximalen Tageswerte verwendet. Übernimmt man ohne weitere Detailbetrachtung diese Zählstellen, ergibt sich die in Abbildung 3 dargestellte Verteilung auf Straßenklassen und Stadt-/ Landkreise. Abb. 4: Zählstellenverteilung 2.2 Detailbetrachtung Anhand der vorliegenden Zählstellenbeschreibungen wurde deren Eignung untersucht. Dazu wurden Zählstellen, die dauerhaft betrieben werden ebenso ausgeschlossen, wie derzeit nicht mehr betriebene (inaktive) Zählstellen. An dauerhaft betriebenen Zählstellen sollte die Datenerfassung nicht für die Lärmmessung unterbrochen werden. Weiter zeigte die Detailbetrachtung, dass zum Teil ausgewählte Zählstellen dicht nebeneinander auf derselben Straße in Nachbarabschnitten lagen. In diesem Fall wurde geprüft, ob zwischen benachbarten Zählstellen ein größerer Ort oder ein Knotenpunkt mit einer gleich- oder höherrangigen Straße lag. Wenn dies nicht so war, wurde die Zählstelle mit dem niedrigeren Rang aussortiert. Anschließend wurde die Liste mit „Nachrückern“ wieder aufgefüllt. Das so ermittelte Zählstellenkollektiv bildete das Grundgerüst für die geplanten Lärmmessungen. 3. Lärmmessungen 3.1 Messkonzept Im Rahmen des landesweiten Verkehrsmonitorings werden Leitpfostenzählgeräte eingesetzt, die mobil an dafür vorbereiteten Standorten verwendet werden können. Dazu sind an den registrierten Zählstellen Fundamente im Bankett einbetoniert, in denen normale (lange) Leitpfosten eingesteckt sind. Für die Zählungen wird der Leitpfosten lediglich gegen einen nahezu gleich aussehenden Zählleitposten ausgetauscht (Abbildung 5). Abb. 5: Leitpfostenzählgerät (Foto DTV-Verkehrsconsult GmbH) Inzwischen sind Zählleitpfosten auf dem Markt verfügbar, die auch das Vorbeifahrgeräusch eines Fahrzeugs zusätzlich zu den Merkmalen Zeitstempel, Fahrzeugart, Richtung und Geschwindigkeit aufzeichnen. Wie aus dazu früher durchgeführten Untersuchungen des Verkehrsministeriums und des Herstellers nachgewiesen werden konnte, haben die Lärmwerte eine hohe Aussagekraft und ermöglichen zumindest eine vergleichende Bewertung der Lärmsituation an den Messstandorten. Dabei werden die Lärmwerte nur für Fahrzeuge des nahen Fahrstreifens ermittelt und dokumentiert, wohingegen die Standardzählgeräte zwei Fahrstreifen im Gegenrichtungsverkehr komplett erfassen. Damit wird es möglich, ohne großenAufwand Lärmmessungen an Straßen vorzunehmen. Da die geplanten Lärmmessungen nicht der Ermittlung rechtssicherer Belastungspegel dienen, sondern den Vergleich verschiedener Standorte und auch verschiedener Fahrzeugarten ermöglichen sollen, kann der geschilderte Weg eingeschlagen werden. Motorradlärm in Baden-Württemberg - Von der subjektiven Belästigung zu belegbaren Grundlagedaten 64 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 3.2 Auswertungen Um die Lärmsituation an einer Messstelle zu beschreiben, sollen verschiedene Kennwerte ermittelt und gegenübergestellt werden. Dazu gehören die - Verkehrsmengen - gemittelte Lärmpegel verschiedener Fahrzeuggruppen - Anzahl und Höhe von Einzel-Schallpegeln - Schallwerte abhängig von der Geschwindigkeit - Mittelungspegel differenziert nach Zeitbereichen Bei der Erhebung werden die Vorbeifahrtpegel (SPB) abgespeichert. Um daraus Emissionspegel (L m,E ) gemäß der RLS-90 zu bilden, werden der tatsächliche Abstand zwischen Fahrachse und Messpunkt, die Höhe des Messpunkts über der Fahrbahn und die Geschwindigkeit des Fahrzeugs benötigt. Diese können je Messstelle variieren. Um die lagebezogenen Daten zu den Messstellen einzubeziehen, werden die Zählstellendokumentationen im Verkehrsmonitoring und im landesweiten Verkehrssicherheitsscreening hinzugezogen. Damit sind die Emissionspegel sowohl der Einzelfahrzeuge als auch die Aggregation auf Stunden oder Stundengruppen berechenbar. Um diese Werte übersichtlich darstellen zu können, wurden erste Grafiken entwickelt, die die spezifischen Situationen darstellen. Nachfolgend werden einige dieser Musterdarstellungen mit noch nicht finalen Werten vorgestellt. Die Verteilung der Schallpegel aller gemessenen Motorräder wird gemäß Abbildung 6 dargestellt. Zusätzlich erfolgt eine Unterscheidung in Werktage (Mo - Fr) und Wochenenden (Sa, So). Mit dieser Darstellung wird erkennbar, wie stark die Werte streuen und ob es eine starke Gruppe besonders „lauter“ Motorräder gibt. Abb. 6: Anzahl und Schallpegel der Motorräder In Abbildung 7 wird die Verteilung der Schallwerte je gefahrener Geschwindigkeit dargestellt. Damit soll untersucht werden, ob es Geschwindigkeitsbereiche gibt, die besonders „laut“ sind. Abb. 7: Geschwindigkeiten und Schallpegel Weitere Auswertungen, bei denen die Emissionspegel (L m,E ) gemäß der RLS-90 und die Verkehrsstärken für die verschiedenen Fahrzeuggruppen Pkw, Lkw und Motorräder über die Zeit betrachtet werden, sind in Vorbereitung. Insbesondere sollen die Unterschiede der Wochentage Montag bis Freitag gegenüber den Wochenenden näher betrachtet werden. 4. Messkampagne Seit Ende Juni 2020 bis in den Herbst des Jahres 2020 hinein wurden die Lärmmessungen kontinuierlich im Land durchgeführt. Weitere Messungen werden im Frühjahr 2021 folgen. Ziel ist es, insgesamt rund 100 Lärmmessungen kombiniert mit Verkehrszählungen durchzuführen. Bisher konnte rund die Hälfte des Messprogramms abgearbeitet werden. Die aus dem Verkehrsmonitoring Baden-Württembergs ausgewählten Zählstellen haben für die Lärmmessungen jedoch den systematischen Nachteil, dass sie meist auf der freien Strecke liegen. Aus diesem Grund werden Lärmmessungen auch an Beschleunigungsstrecken an den Ortsausgängen durchgeführt. Hierfür wurden die Kommunen angeschrieben und um Unterstützung gebeten. Eine große Zahl der Kommunen hat sich dankenswerter Weise aktiv an der Auswahl der Standorte der Zählstellen beteiligt und auch die bauliche Vorbereitung durch Einbau der Fertigfundamente für die Leitpostenzählgeräte übernommen. Ab dem Frühjahr 2021 wird die Zählkampagne fortgesetzt und anschließend die Analyse der Daten vorgenommen. Das Projekt soll im Laufe des Jahres 2021 abgeschlossen werden. Bitumen 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 67 Bitumenmodifikation - Eine Optimierungsaufgabe mit Zielkonflikten? Markus Oeser RWTH Aachen, Aachen, Deutschland Nicolás Carreño RWTH Aachen, Aachen, Deutschland Zusammenfassung Aktuell ist die Straßenbauindustrie mit verschiedenen Hausforderungen konfrontiert. Neue Vorschriften zur Reduktion von Bitumendämpfen und Aerosolen während der Einbauphase und der Wunsch nach einem geringeren Energieeinsatz bei der Asphaltherstellung erfordern einen Paradigmenwechsel hin zu temperaturabgesenkten Asphalten. Mit der Temperaturabsenkung steigen jedoch die Prozessrisiken, da das Zeitfenster für eine ausreichende Verdichtung kleiner wird oder plötzliche Phasenübergänge - wie bei wachsmodifizierten Asphalten - den ohnehin bereits hohen Komplexitätsgrad des Asphalteinbaus weiter steigern. Trotzdem sollen gut verdichtete und langlebige Straßenbaustoffe zur Verfügung gestellt werden, die auch unter extremen klimatischen und verkehrlichen Beanspruchungen dauerhaft funktionieren. Eine Optimierungsaufgabe mit Zielkonflikten? Das neuartige chemisch reaktive Bitumenadditiv B2Last® kann hierbei eine Lösung sein. B2Last®-modifizierte Asphalte können durch eine zeitlich begrenzte Viskositätsabsenkung bei verminderten Temperaturen produziert und eingebaut werden. Für die Verdichtung verbleibt ein komfortables Zeitfenster. Nach Abschluss der Modifikations-reaktion existiert im Bitumen ein Netzwerk, das zu verbesserten Verformungsstabilitäten und gesteigerten Ermüdungsresistenzen beiträgt, ohne dass da-bei die Tieftemperatureigenschaften beeinflusst werden. In der vorliegenden Studie werden im Labor durchgeführten Steifigkeits- und Ermüdungsversuchen präsentiert. Die Performanceeigenschaften eines Tragschichtasphaltes mit und ohne B2Last® werden eingehend analysiert und Lebensdauerbetrachtungen auf Basis der RDO Asphalt 09 angestellt. 1. Einleitung Die übergeordnete Fragestellung, die der Veröffentlichung zugrunde liegt, besteht in der Lösung des Zielkonfliktes zwischen Temperaturabsenkung, Verdichtung und Performancesteigerung von Asphalten. Es wird nachgewiesen, dass ein neuartiger Bitumenmodifikator (B2Last®) die Asphaltperformancecharakteristiken steigert und gleichzeitig eine sehr gute Verarbeitbarkeit auch bei abgesenkten Temperaturen gewährleistet. Abbildung 1: Bitumenmodifikation mit B2Last® Das Additiv stellt eine dauerhafte chemische Bindung zwischen inhärenten Bitumenkomponenten (hauptsächlich Harzen und Asphaltenen) her, siehe Abbildung 1. Da es sich bei B2Last® um ein chemisch reaktives Additiv handelt und dem Bitumen - anders als bei einer physikalischen Modifikation - keine zweite unabhängig existierende Phase beigemischt wird, besteht keine Entmischungsgefahr. Das Additiv reagiert mit den funktio- Bitumenmodifikation - Eine Optimierungsaufgabe mit Zielkonflikten? 68 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 nellen Gruppen innerhalb des Bitumens. Je mehr funktionelle Gruppen vorhanden sind, desto besser ist das Ergebnis der Modifikation. Infolge von Oxidationsprozessen steig die Anzahl der verfügbaren funktionellen Gruppen, siehe Abbildung 2. Aus diesem Grund ist ein besonders positiver Reaktionsverlauf bei Mischungen mit Asphaltgranulat zu beobachten. Die chemische Bindung zwischen den vernetzten Bitumenkomponenten steigert die verbleibende Steifigkeit des modifizierten Bitumens bei hohen Temperaturen, was die Verformungsstabilität erhöht und der Spurrinnenbildung entgegenwirkt. Die chemischen Bindungen wirken auf molekularer Ebene wie kleine Bewehrungselemente zwischen den vernetzten Bitumenkomponenten. Dieser Effekt führt zu einer verbesserten Ermüdungsstabilität. Abbildung 2: Interaktion von B2Last® mit Asphaltgranulat Wie bereits erwähnt, kann mit dem Additiv die Asphaltherstellung und der Einbau bei abgesenkten Temperaturen durchgeführt werden kann. Dies ist durch die reduzierte Viskosität während des zweistufigen Reaktionsprozesses möglich. Das Additiv wird über einen in-line Prozess als niedrigviskose Flüssigkeit im Mischwerk dosiert zugegeben. Zunächst erfolgt die erste Stufe der Modifikation, das Additiv reagiert in das Bitumen ein. Diese erste Stufe läuft innerhalb kürzester Zeit ab und verhindert ein Ausdiffundieren des Additivs aus dem heißen Bitumen. Bedingt durch die niedrige Viskosität des Additivs fällt die Viskosität des Bitumen-Additiv-Gemisches ab, sodass die Verarbeitung und der Einbau bei geringeren Temperaturen möglich werden. Während der zweiten Stufe der Modifikation erfolgt die Vernetzung. Als Folge der Vernetzung steigt die Viskosität an. Diese Stufe benötigt jedoch einen längeren Zeitraum (bis hin zu mehreren Stunden). Für den Einbau und die anschließende Verdichtung verbleibt deshalb in jedem Falle ein ausreichend großes Zeitfenster. Nach Abschluss der Vernetzungsreaktion liegen die verbesserten Performancecharakteristiken des Asphaltes vor. Diese manifestieren sich - wie bereits erwähnt - in einer höheren Verformungsstabilität und geringeren Ermüdungs-anfälligkeit. Um das Potential der Temperaturreduktion weiter auszuschöpfen, kann außerdem ein weicheres Bitumen (z.B. PEN 70/ 100 statt 50/ 70) eingesetzt werden. Mit dem Additiv können dann trotzdem die Anforderungen an eine hohe Verformungsstabilität bei hohen Temperaturen sichergestellt werden. 2. Lebensdauer Prognose Um die Nachhaltigkeit des Modifizierungsansatzes beurteilen zu können, müssen neben den Ergebnissen zur Energieeinsparung bei der Asphaltproduktion auch Aussagen zur Dauerhaftigkeit des modifizierten Asphaltes und zur erwartenden Lebensdauer der - mit diesem Asphalt hergestellten - Straßenaufbauten vorliegen. Zu diesem Zweck wurde das rechnerische Dimensionierungsverfahren für Asphalt-befestigungen (RDO Asphalt 09) herangezogen. Dieses Verfahren wurde für die Dimensionierung von Asphaltbefestigungen unter Berücksichtigung der verkehrlichen und klimatischen Einflüsse sowie der Materialeigenschaften entwickelt. Dabei werden für definierte Kombinationen aus klimatischen und verkehrlichen Einwirkungen die Biegezugdehnungen an der Unterseite der Asphalttragschichten berechnet. Jeder Kombination aus verkehrlichen und klimatischen Einflüssen kann eine Auftretenshäufigkeit zugeordnet werden, sodass über die angestrebte Nutzungsdauer für jede berechnete Biegezugdehnung eine vorhandene Lastwechselzahl vorliegt. Diese Lastwechselzahl wird einer aufnehmbaren Lastwechselzahl gegenübergestellt, die sich experimentell nach dem Verfahren (TP Asphalt-StB Teil 24) ermitteln lässt. Der Quotient aus vorhandener und aufnehmbarer Lastwechselzahl liefert das Schädigungsinkrement der zugehörenden Kombination aus klimatischen und verkehrlichen Einwirkungen. Werden die Schädigungsinkremente aller Einwirkungskombinationen addiert, kann mit der Schädigungshypothese nach Miner der Ermüdungsstatus berechnet werden. Liegt der Ermüdungsstatus über der Zahl eins, bedeutet dies, dass die Befestigung unterdimensioniert ist und voraussichtlich vor dem Erreichen der geplanten Lebensdauer versagen wird. Ein Ermüdungsstatus unter der Zahl eins bedeutet hingegen, dass die Befestigung überdimensioniert ist, voraussichtlich eine höhere Lebensdauer aufweist als geplant und ggf. unwirtschaftlich ist. Deshalb wird im Dimensionierungsprozess ein Ermüdungsstatus von eins angestrebt, was durch eine geeignete Wahl des Befestigungsaufbaus, der Schichtdicken und der verwendeten Materialien erreicht werden kann. Das Verfahren lässt sich aber auch einsetzen, um Befestigungsaufbauten und die darin verwendeten Materialien miteinander zu vergleichen. Hierzu werden nun zwei Szenarien skizziert: Bei gleichbleibendem Befestigungsaufbau (d.h., gleichbleiben-der Schichtdicke und Schichtfolge) kann der Einfluss unterschiedlicher Mate- Bitumenmodifikation - Eine Optimierungsaufgabe mit Zielkonflikten? 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 69 rialperformance auf die Lebendsauer abgebildet werden. Andererseits kann bei gleich-bleibender Lebensdauer der Einfluss der unterschiedlichen Materialperformance auf die erforderliche Schichtdicke bestimmt werden. Weitere Szenarien sind denk-bar. Da B2Last® modifizierte Asphalte eine geringere Ermüdungsneigung aufweisen als nicht modifizierte Asphalte, lassen sich im ersten Szenario ein Zugewinn an Lebensdauer und im zweiten Szenario das Materialeinsparpotential ermitteln. Diese Größen sind neben dem Energieeinsparpotential Grundlagen für die Nachhaltigkeitsbewertung. 2.1 Charakterisierung des Tragschichtmaterials Für die Untersuchung wurde ein AC 22 T S ausgewählt. Zuerst musste das Mischungsverhältnis überprüft werden, da sowohl die Referenz als auch die B2Last® modifizierten Mischungen mit 50 % Ausbauasphalt produziert werden sollten. Für beide Asphaltgemische wurde das Bitumen PEN 50/ 70 eingesetzt; die modifizierte Variante wurde mit 2.5 % B2Last® (bezogen auf das Bitumengewicht) modifiziert. Um im Labor die in der Realität vorliegenden Bedingungen nachzubilden, wurden für die modifizierte Variante bei 115 °C Asphaltplatten mit dem Walz-Segment-Verdichter hergestellt, während die Platten der Referenzvariante bei der Normtemperatur von 135 °C verdichtet wurden. Um die Lebensdauer vorauszusagen, wurden die Steifigkeit (Masterkurve) und das Ermüdungsverhalten des nicht modifizierten und modifizierten Tragschichtmaterials gemäß TP Asphalt-StB Teil 24 und Teil 26 experimentell ermittelt. Beide Normen schreiben den Spaltzugschwellversuch (SZSV) vor, welcher bei verschiedenen Temperaturen und Frequenzen durchzuführen ist. Das Ermüdungsverhalten wurde durch SZS-Versuche bei 20 °C, bei einer Frequenz von 10 Hz und bei drei unterschiedlichen Belastungszuständen ermittelt, während die Steifigkeitsmasterkurve durch SZS-Versuche bei -10 °C, 5 °C und 20 °C, und bei Frequenzen zwischen 0.1 Hz bis 10 Hz, sowie unterschiedlichen Belastungszuständen (Spannungen) erlangt wurde. Die Ergebnisse sind in Abb. 3 und Abb. 4 dargestellt. Die B2Last® modifizierte Asphalt Tragschicht zeigt eine höhere liegende Ermüdungskurve (Abb. 3), dies bedeutet, dass das modifizierte Material unter gleicher Beanspruchung (hier Dehnung) eine größere Anzahl an Lastzyklen erträgt und damit ermüdungsresistenter ist als die nicht modifizierte Variante. Weiterhin zeigt die Masterkurve (Abb. 4) der modifizierten Variante eine höhere Steifigkeit bei geringen Frequenzen bzw. hohen Temperaturen und eine geringere Steifigkeit bei höheren Frequenzen bzw. niedrigeren Temperaturen verglichen mit der Referenzvariante. Diese Wirkung ist wünschenswert und führt zu einer besseren Asphaltperformance sowohl im hohen als auch im niedrigen Temperaturbereich. Abbildung 3: Ermüdungsfunktion der modifizierten und nicht modifizierten (Referenz) Varianten Der Grund für die Steifigkeitsunterschiede im Bereich niedriger Frequenzen bzw. hoher Temperaturen ist im chemisch erzeugten Netzwerk zu suchen, das dem modifizierten Material eine höhere Stabilität verleiht, während das nicht modifizierte Material quasi unbegrenzt erweicht. Wieso am anderen Ende des Frequenz-Temperatur-Spektrum der Masterkurve beim modifizierten Material eine geringfügig niedrigere Steifigkeit oder besser gesagt ein späteres Erreichen des Glasmoduls vorliegt, als beim nicht modifizierten Material, ist derzeit noch nicht abschließend geklärt. Wie oben bereits erwähnt, ist dieser Effekt zwar ebenfalls wünschenswert, weil er geringere kryogene Spannungen im Tieftemperaturbereich und ein duktileres Verhalten erwarten lässt, jedoch wird derzeit noch an einer plausiblen und physikalisch begründeten Interpretation dieses Effektes gearbeitet. b) Abbildung 4: Ermüdungsfunktion (a) und Masterkurve (b) der modifizierten und nicht modifizierten Varianten 2.2 Verkehr- und Temperaturlasten Neben den Materialeigenschaften müssen - wie oben bereits erwähnt - Verkehrs- und klimatologische Daten berücksichtigt werden. Für die Berechnung sind diese Werte für beide Varianten (modifiziert und nicht modifiziert) identisch. Die gewählte Verkehrsbelastung entspricht einem DTV von 42.500 Fahrzeugen pro Tag mit einem SV-Anteil von 21 % (jährliche Zunahme 3%). Der Bemessungszeitraum wurde auf 30 Jahre festgesetzt und die Bitumenmodifikation - Eine Optimierungsaufgabe mit Zielkonflikten? 70 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Lastverteilung für eine Bundesautobahn angenommen. Diese Annahmen führen zu einer Anzahl von 129,2 Mio. äquivalenten 10-Tonnen-Achsübergängen. Hinsichtlich der klimatologischen Daten wurde die Auftretenshäufigkeit der Oberflächentemperatur der Zone 3 genutzt, die für große Teile Süddeutschlands gilt. 2.3 Ergebnisse der Lebensdauerprognose Die letzte Stufe der Untersuchung bestand darin, die Schichtdicken der flexiblen Asphaltbefestigung zu definieren. Zwei Szenarien wurden analysiert, siehe Tab. 1. Die Dicken für Szenario 1 entsprechen der Tabelle 1, Bk100 der RStO 12. Da im ersten Szenario die Befestigung (bei Verwendung des nicht modifizierten Materials) unterdimensioniert ist (rechnerische Lebensdauer liegt lediglich bei 15,5 Jahren), wurde das zweite Szenario so definiert, dass sich mit dem nicht modifizierten Material bei Erreichen der angestrebten Lebensdauer ein Ermüdungsstatus von näherungsweise eins ergibt, d.h., die rechnerische Lebensdauer (32,3 Jahre) entspricht dann ungefähr der angestrebten Lebensdauer von 30 Jahren. Die Ergebnisse in Tab. 1 zeigen, dass der Aufbau mit der modifizierten Tragschicht in beiden Szenarien ca. die doppelte Lebensdauer aufweist wie der Aufbau mit der nicht modifizierten Tragschicht. Tabelle 1. Schichtdicke und Lebensdauerprognose Ergebnisse Schicht Szenario 1 Dicken [mm] Szenario 2 Dicken [mm] Deckschicht 40 40 Binderschicht 80 80 Tragschicht 220 290 Referenz 15,5 Jahre 32,3 Jahre B2Last ® 31,5 Jahre 59,9 Jahre Die Ergebnisse zeigen weiterhin, dass mit dem modifizierten Material eine Dicken-reduktion von 290 mm auf 220 mm, d.h., um 70 mm möglich ist, um die geplante Nutzungsdauer zu erfüllen. 3. Fazit In dieser Arbeit wurden das Temperaturabsenkungspotential und die Einflüsse auf die Lebensdauer eines Tragschichtasphaltes untersucht, der mit dem neuartigen chemischen Additivs B2Last® modifiziert wurde. Die Laborergebnisse zeigen, dass das Additiv die Performanceeigenschaften und hier insbesondere die Ermüdungsresistenz des Asphaltes signifikant verbessert hat, sodass eine Verdopplung der Lebensdauer oder eine Dickenreduktion der Tragschicht von 290 mm auf 220 mm bei gleichzeitiger Absenkung der Einbautemperaturen um ca. 20 °C möglich erscheint. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 71 Nachhaltigkeitsbewertung eines Bauprodukts im Straßenbau am Beispiel B2Last ® Amina Wachsmann, M.Eng. Institut für Verkehr und Infrastruktur (IVI), Hochschule Karlsruhe Technik und Wirtschaft, Deutschland Prof. Dr.-Ing. Christian Holldorb Institut für Verkehr und Infrastruktur (IVI), Hochschule Karlsruhe Technik und Wirtschaft, Deutschland Dr. Sonja Cypra Institut für Verkehr und Infrastruktur (IVI), Hochschule Karlsruhe Technik und Wirtschaft, Deutschland Abstract Die Thematik des menschgemachten Klimawandels und seiner Folgen sowie das Ziel der Klimaneutralität ist aktueller denn je. Auch wenn die Thematik keine neue ist, befeuert sie das Bestreben vieler Akteure nach einem umweltverträglicheren bzw. nachhaltigeren Lebensstil. Auch in der Bauindustrie werden daher neue Ideen und Produkte entwickelt, welche den Weg hin zu mehr Nachhaltigkeit ebenen sollen. Eines dieser neuen Produkte ist das Bitumen-Additiv B2Last ® von BASF. In dem Beitrag wird anhand aktueller Untersuchungsergebnisse dargestellt, welchen Einfluss die Nutzung eines solchen Produktes auf die Nachhaltigkeitsbewertung von Verkehrsflächen aus Asphalt haben kann. 1. Einleitung Die im folgenden dargestellten Ergebnisse sind in dem durch die BASF SE beauftragten Forschungsvorhaben „Nachhaltigkeitsbewertung zum Einsatz von B2Last®modifiziertem Asphalt“ [1] am Institut für Verkehr und Infrastruktur der Hochschule Karlsruhe erarbeitet worden. 1.1 Ausgangssituation Der Verkehrsweg Straße stellt eine wichtige Grundlage für die Mobilität und somit für Wirtschaft und Gesellschaft dar, da auf ihm der Großteil des in Deutschland stattfindenden Personen- und Güterverkehrs abgewickelt wird [2]. Damit dieser weitestgehend uneingeschränkt nutzbar ist, müssen an den Verkehrswegen regelmäßig Erhaltungsmaßnahmen durchgeführt werden. Neben der Anforderung, den Verkehrsteilnehmern möglichst sichere und dauerhafte Verkehrswege zur Verfügung zu stellen, ohne dabei das Budget überzustrapazieren, rücken Anforderungen an die Nachhaltigkeit der Verkehrswege mehr und mehr in den Vordergrund. Unter dem Begriff Nachhaltigkeit werden Aspekte aus den Bereichen Ökonomie, Ökologie und Soziales zusammengefasst. Während sich die Bestrebungen im Bereich nachhaltiger Straßenbau bislang hauptsächlich auf die Aspekte ökonomische Nachhaltigkeit, Verkehrssicherheit, Lärm, Ausbau der Radinfrastruktur und Umweltbelange in Planung und Ausführung bezogen [3], rücken auch Themen wie der Klimaschutz immer weiter in den Vordergrund. Die Herausforderung an die Asphaltindustrie besteht daher darin, ihre Produkte in Bezug auf Qualität, Kosten, Umweltwirkungen wie auch Gesundheitswirkungen zu optimieren. Diese Herausforderung begünstigt Innovationen, sodass neue Produkte entwickelt werden. Diese Produkte sind sowohl in der Praxis zu erproben als auch einer ganzheitlichen Betrachtung in Bezug auf ihre Nachhaltigkeit zu unterziehen. 1.2 Zielsetzung Ein von der BASF SE auf den Markt gebrachtes Produkt zur Asphaltmodifikation trägt den Namen B2Last ® und wurde bereits im Labor und auf ersten Untersuchungsstrecken erprobt. Dabei konnte belegt werden, dass B2Last ® -modifizierter Asphalt sowohl gute Einbaueigenschaften als auch gute Performance-Eigenschaften aufweist. Des Weiteren besteht durch die B2Last ® -Modifizierung die Möglichkeit der Temperaturabsenkung bei der Asphaltproduktion und damit einhergehend einer reduzierten Asphalttemperatur beim Einbau. [4] Ziel des Projekts ist es, die relevanten ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekte der Verwendung eines B2Last ® -modifizierten Asphalts gegenüber einem konventionell hergestellten Asphalt (je nach Anwen- 72 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Nachhaltigkeitsbewertung eines Bauprodukts im Straßenbau am Beispiel B2Last® dungsfall mit modifiziertem oder nicht modifiziertem Bitumen) darlegen zu können. 2. Grundlagen der Nachhaltigkeitsbewertung 2.1 Methoden Zur Darlegung der ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekte werden die nachfolgenden Berechnungs- und Bewertungsverfahren angewendet: • Ökonomie: Ermittlung von Lebenszykluskosten des Baulastträgers auf Grundlage von [5] und [6] unter Berücksichtigung eines Diskontierungszinssatzes von 3 % • Ökologie: Lebenszyklusanalyse (Ökobilanz) auf Grundlage von [7] bis [12] • Soziales: Zwar wurden bereits 2012 durch die Veröffentlichung der DIN EN 15643-3 [13] die Grundlagen für die Bewertung sozialer Aspekte im Hochbau geschaffen, allerdings sind diese nicht ohne weiteres sinnvoll auf den Straßenbau übertragbar. Da für den betrachteten fiktiven Autobahnabschnitt durch die Nutzung unterschiedlicher Asphalte keine negativen Auswirkungen für die Nutzer quantifiziert werden können, wird lediglich die gesundheitliche Belastung der Mitarbeiter durch Dämpfe und Aerosole beim Asphalteinbau betrachtet. Abbildung 1: Schichtdicken des gebundenen Verkehrsflächenoberbaus in Anlehnung an Tafel 1, Zeile 1 der RStO12 für die Belastungsklasse 100 (Bk100) [15] und [17] inkl. der Darstellung zur Randausbildung von Verkehrsflächen in Asphaltbauweise nach [18] sowie des weiteren Materialbedarfs 2.2 Untersuchungsrahmen Als Grundlage der Untersuchungen dient der gebundene Oberbau eines fiktiven Autobahnabschnitts, welcher wie folgt definiert ist: • 3 km lange Richtungsfahrbahn mit 3 Fahrstreifen entsprechend RQ 36 nach [14] • Durchschnittliche tägliche Verkehrsbelastung (DTV): 42.500 Kfz/ 24 h je Richtung; davon Schwerverkehr: 21 % • Maßgebende Belastungsklasse auf Grundlage der Verkehrsbelastung nach [15]: Bk100 Auf Grundlage der obigen Angaben wurde durch die RWTH Aachen ([17]) eine Dimensionierung des gebundenen Oberbaus nach [16] durchgeführt. Die aus der Dimensionierung resultierende Schichtdicke der Asphalttragschicht sowie die aus der RStO12 übernommenen Schichtdicken der Asphaltdeckschicht (ADS) und Asphaltbinderschicht (ABS) sind in Abbildung 1 dargestellt. Neben den bereits definierten Abmessungen und Schichtdicken spielen vor allem die Nutzungsdauern der Schichten, Transportentfernungen, Maschinenkenndaten, Materialzusammensetzungen und die über den gesamten Lebenszyklus zu berücksichtigenden Informationsmodule, wie nachfolgend beschrieben, eine wichtige Rolle für die Nachhaltigkeitsbewertung. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 73 Nachhaltigkeitsbewertung eines Bauprodukts im Straßenbau am Beispiel B2Last® Über den gesamten Lebenszyklus werden neben der Herstellungs- und Errichtungsphase (Module A1 bis A5 in Tabelle 1) auch die Instandsetzungen bzw. Erneuerungen und die Entsorgung der ausgebauten Materialien berücksichtigt (vgl. Modul B3, B4, C1 und C2 in Tabelle 1). Zusätzlich zu diesen in [10; 11; 12] definierten Informationsmodulen werden Arbeitsplatzbelastungen berücksichtigt (Z2). Baustellenbedingte Verkehrsbeeinträchtigungen (Z1) werden, wie bereits unter Abschnitt 2.1 erwähnt, nicht weiter berücksichtigt. Hintergrund ist, dass zum einen von einer Aufrechterhaltung der Fahrstreifenanzahl während der Baumaßnahmen ausgegangen wird und dadurch von keinen signifikanten Erhöhungen bei der Reisezeit oder den Unfallkosten auszugehen ist und dass zum anderen keine Hinweise für eine Veränderung der Oberflächeneigenschaften (Griffigkeit, Rollwiderstand) eines mit B2Last ® -modifizierten Asphalts gegenüber einem konventionellen Asphalts vorliegen. Tabelle 1: Berücksichtigte Informationsmodule zur Nachhaltigkeitsbewertung eines gebundenen Verkehrsflächenoberbaus aus Asphalt in Anlehnung an [10; 11; 12] Informationen zur Bewertung des gebundenen Verkehrsflächenoberbaus aus Asphalt Lebenszyklus des gebundenen Verkehrsflächenoberbaus aus Asphalt Ergänzende Informationen außerhalb des Lebenszyklus Phasenbezeichnung Planungsphase Herstellungsphase Errichtungsphase Nutzungsphase Entsorg ungsphase Vorteile und Belastungen jenseits der Systemgrenzen Informationsmodul A0 A1 A2 A3 A4 A5 B1 B2 B3 B4 B5 C1 C2 C3 C4 D Voruntersuchungen, Expertisen und Kosten Rohstoffgewinnung Transport zur Asphaltmischanlage Herstellung des Asphaltmischguts Transport zur Baustelle Einbau Betrieb Wartung Instandsetzung Austausch / Erneuerung Modernisierung Abbruch bzw. Ausbau aller Asphaltschichten Transport zur Asphaltmischanlage Abfallaufbereitung für Wiederverwendung, Rückgewinnung und Recycling Entsorgung Wiederverwendungs-, Weiterverwendungs-, Recyclingpotenzial Vermiedene Auswirkungen aus zusätzlichen Funktionen Z1 baustellenbedingte Verkehrsbeeinträchtig. B6 Energieverbrauch im Betrieb B7 Weitere Betriebsprozesse Z2 Arbeitsplatzbelastung B8 Nutzung Systemgrenze berücksichtigte Module zusätzlich berücksichtigte Module nicht-berücksichtigte Module 74 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Nachhaltigkeitsbewertung eines Bauprodukts im Straßenbau am Beispiel B2Last® 3. Bilanzierung 3.1 Datengrundlagen Als Eingangsdaten für die Bilanzierung dienen Daten, welche in folgender Reihenfolge berücksichtigt werden: 1. Angaben des Herstellers 2. Datenbanken 3. Literaturangaben Sofern möglich werden aktuelle Daten mit dem geographischen Bezug Deutschland verwendet, andernfalls wird auf europäische und globale Daten zurückgegriffen. Eine Übersicht über die Datenherkunft gibt Tabelle 2. Als Bezugszeitpunkt der Kosten dient das Ende des Jahres 2019. Ältere Kostendaten werden durch die Nutzung des Baupreisindex [19] auf das Ende des Jahres 2019 angepasst. Tabelle 2: Herkunft der verwendeten Datengrundlagen Datensatz Herkunft B2Last ® BASF Bitumen Eurobitume [20; 21] Herstellung des Asphaltmischgutes Brzuska; DAV [22; 23] Einsatzdauern Baumaschinen Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V.; Wirtgen GmbH; Krause/ Ulke [24; 25; 26] Weitere Energie- und umweltbezogene Daten GaBi-Professionaldatenbank; GaBi Extension database XIV: Construction materials [27] Kostendaten Baupreislexikon; Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V.; Zander/ Birbaum; BASF; Oefer et al. [24; 28; 29; 30] Arbeitsplatzbelastung Gesprächskreis Bitumen, DAV, EAPA, FAV [23; 31; 32; 33; 34] 3.2 Untersuchte Varianten Um die relevanten ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekte eines B2Last ® -modifizierten Asphalts gegenüber einem konventionell hergestellten Asphalt darlegen zu können, werden drei Varianten untersucht sowie Sensitivitätsanalysen durch die Variation relevanter Parameter durchgeführt (vgl. Tabelle 4). Der Hauptunterschied der drei Varianten besteht in der Bindemittelauswahl. Während bei der konventionellen Variante (Variante 1) ein Polymermodifiziertes Bitumen in der Deck- und Binderschicht und ein übliches Straßenbaubitumen in der Tragschicht verwendet wird, wird bei der B2Last ® Variante 2.1 in allen drei Schichten eine B2Last ® -Modifizierung bei einem üblichen Straßenbaubitumen durchgeführt. Bei der Variante 2.2 wird ein B2Last ® -modifiziertes Bitumen nur in der Deck- und Binderschicht eingesetzt, in der Tragschicht wird jedoch auf ein übliches Straßenbaubitumen zurückgegriffen. Tabelle 3 zeigt die Asphaltmischgutzusammensetzung. Tabelle 3: Zusammensetzung Asphaltmischgut ADS ABS ATS Asphaltgranulat [%] - 50,00 50,00 Frischbitumen [%] 7,20 2,50 2,15 davon B2Last ® [% des Gesamt- Bitumengehalts] 2,50 2,50 2,15 Zellulosefasern [%] 0,30 - - Durch die RWTH Aachen [17] wurden die Schichtdicken für die Variante 1 mit dem Ziel ermittelt, eine Nutzungsdauer der Asphalttragschicht (ATS) von 30 Jahren zu erreichen. Die Schichtdicken der Asphaltdeckschicht (ADS) und der Asphaltbinderschicht (ABS) entsprechen denen aus Tafel 1, Zeile 1 der RStO12 für die Belastungsklasse 100. Für die Nutzungsdauern der ADS und ABS wurden Erfahrungswerte der RWTH Aachen angesetzt. Für die Varianten 2.1 und 2.2 wurden die Schichtdicken der Variante 1 übernommen. Bei der Nutzung von B2Last ® konnte anhand von Laborergebnissen durch [17] für die ATS eine Verdoppelung der Nutzungsdauer ermittelt werden (Variante 2.1). Durch die positiven Auswirkungen von B2Last ® auf die Performance kann somit auch von einer Verlängerung der Nutzungsdauer der ABS ausgegangen werden. Die für die ATS der Variante 2.1 ermittelte Nutzungsdauer von 60 Jahren wird als Betrachtungszeitraum für die Nachhaltigkeitsbewertungen festgelegt. Bei der Sensitivitätsanalyse werden neben der Variation der Nutzungsdauern bei Variante 2.1 auch eine geringere Reduktion der Herstelltemperatur bei B2Last ® -modifiziertem Asphalt betrachtet bzw. der Diskontierungszinssatz zu Veranschaulichungszwecken auf 0 % gesetzt. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 75 Nachhaltigkeitsbewertung eines Bauprodukts im Straßenbau am Beispiel B2Last® Tabelle 4: Übersicht der untersuchten Varianten sowie der Variation einzelner kritischer Parameter im Zuge der Sensitivitätsanalyse Fallbezeichnung Variante 1 - konventionell Variante 2.1 - B2Last ® (ges.) Variante 2.2 - B2Last ® (nur ADS und ABS) ADS ABS ATS ADS ABS ATS ADS ABS ATS Standardfall Bindemittelauswahl PmB B B + B2Last ® B + B2Last ® B Schichtdicke [cm] 4 8 29 4 8 29 4 8 29 Nutzungsdauer [a] 10 20 30 10 30 60 10 30 30 Herstelltemperatur Asphalt [°C] 170 140 140 170 Diskontierungszinssatz [%] 3 3 3 Variation ND Nutzungsdauer [a] siehe Standardfall 12 24 48 siehe Standardfall Variation T Herstelltemperatur Asphalt [°C] 170 150 150 170 Variation D Diskontierungszinssatz [%] 0 0 0 Bemerkungen: B = Straßenbaubitumen; PmB = Polymermodifiziertes Bitumen Schichtdicken: Ergebnisse aus [17] Nutzungsdauern: ATS (Standardfall) Berechnungsergebnisse aus [17]; ADS, ABS und ATS (Variation ND) Festlegung auf Grundlage von Erfahrungswerten und bisherigen Laborergebnissen der RWTH Aachen 4. Ergebnisse der Nachhaltigkeitsbewertung 4.1 Ökologie Folgende Wirkungskategorien bzw. Indikatoren werden im Bereich Ökologie über einen Zeitraum von 60 Jahren betrachtet: • Gesamtprimärenergiebedarf (PE) • der nicht erneuerbare Primärenergiebedarf • Treibhauspotenzial (Global Warming Potential (GWP)) • Primärmaterialbedarf sowie Möglichkeiten zur Nutzung von Recyclingmaterial Abbildung 2 zeigt für die in Tabelle 4 definierten Standard-Varianten den Gesamtprimärenergiebedarf sowie die Treibhausgasemissionen für alle berücksichtigten Informationsmodule (vgl. Tabelle 1). Dabei ist zu erkennen, dass der energetische Vorteil der B2Last ® -modifizierten ADS (Variante 2.1 und 2.2) gegenüber der konventionellen ADS (Variante 1) vergleichsweise gering ist. Bei den Treibhausgasemissionen fällt die Differenz bereits höher aus. Aufgrund der gleichen Nutzungsdauern sind energetische Vorteile lediglich auf die reduzierte Herstelltemperatur und die Verwendung von B2Last ® anstelle eines Polymers zurückzuführen, bei den Treibhausgasemissionen spielen zudem die eingesetzten Energieträger eine relevante Rolle. Der Vorteil von B2Last ® gegenüber Polymeren ist auf den geringeren Energiebedarf bei der Herstellung zurückzuführen. Bemerkenswerte energetische Vorteile und Treibhausgaseinsparungen können vor allem dann verzeichnet werden, wenn B2Last ® in allen drei Schichten verwendet wird. Die Gesamtprimärenergieeinsparung umfasst 41,3 % und die Treibhausgasemissionseinsparungen betragen 46,0 % gegenüber der konventionellen Variante 1. Ausschlaggebend ist dabei die Verlängerung der Nutzungsdauer, wobei sich auch die reduzierte Herstelltemperatur und der Verzicht auf Polymere positiv auf die Energiebilanz der B2Last ® -modifizierten Asphalte auswirken. Wird B2Last ® hingegen lediglich in der ADS und der ABS eingesetzt (Variante 2.2), beläuft sich die Gesamtprimärenergieeinsparung immer noch auf 12,6 % und die Treibhausgasemissionseinsparung auf 13,0 % gegenüber der konventionellen Variante 1. Die Untersuchungen zeigen des Weiteren, dass rund 90 % des Gesamtenergiebedarfs durch nicht erneuerbare Energieträger gedeckt werden. Durch die Variation der Nutzungsdauer (Variation ND, Tabelle 4) bei der Variante 2.1 beschränkt sich die Reduzierung des Gesamtprimärenergiebedarfs auf rund 35 % im Vergleich zur Variante 1, sodass auch dann eine signifikanten Einsparung verzeichnet werden kann. Wird hingegen die Variation der Herstelltemperatur (Variation T, Tabelle 4) betrachtet, sind lediglich geringfügige Veränderungen zu verzeichnen. 76 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Nachhaltigkeitsbewertung eines Bauprodukts im Straßenbau am Beispiel B2Last® Abbildung 2: Gesamtprimärenergiebedarf (PE) und Treibhausgasemissionen über einen Betrachtungszeitraum von 60 Jahren unterschieden nach Schichtart In Abbildung 3 ist der Rohstoffbedarf für die drei in Tabelle 4 definierten Standard-Varianten, unterschieden nach Primär- und Recyclingmaterialien (=Asphaltgranulat), dargestellt. Einen Einfluss auf den Rohstoffbedarf haben neben den Schichtdicken auch hier die Nutzungsdauern und die damit verbundenen Erneuerungsintervalle. Wird B2Last ® in allen 3 Schichten eingesetzt (Variante 2.1), kann der Materialbedarf um 42,7 % gegenüber der konventionellen Variante 1 reduziert werden. Dies ist auf die große Schichtdicke der ATS in Verbindung mit den höheren Nutzungsdauern der ATS und ABS zurückzuführen. Die ADS hat auf die Differenz des Materialbedarfs aufgrund der zugrunde gelegten gleichen Nutzungsdauer keinen Einfluss. Wird B2Last ® hingegen nur in der ADS und der ABS eingesetzt (Variante 2.2), kann noch eine Reduzierung des Materialbedarfs um 9,7 % gegenüber der Variante 1erzielt werden. Abbildung 3: Gesamter Rohstoffbedarf über einen Betrachtungszeitraum von 60 Jahren 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 77 Nachhaltigkeitsbewertung eines Bauprodukts im Straßenbau am Beispiel B2Last® 4.2 Ökonomie Im Bereich Ökonomie werden die Baulastträgerkosten ebenfalls über einen Zeitraum von 60 Jahren betrachtet. Abbildung 4 zeigt diese Baulastträgerkosten für die drei in Tabelle 4 definierten Standard-Varianten, unterschieden nach der Schichtart bzw. allgemeinen baustellenbedingten Kosten. Während unter den allgemeinen baustellenbedingten Kosten (Informationsmodule A5 C1 nach Tabelle 1) die Kosten für Personal, Maschinen, Verkehrssicherung und Baustelleneinrichtung unabhängig von der Schichtart zusammengefasst sind, sind den einzelnen Schichten nur die Material- und Transportkosten zugerechnet. Eine bei den B2Last ® -modifizierten Asphalten infolge der Temperaturabsenkung zustande kommende Kosteneinsparung bleibt unberücksichtigt, da davon auszugehen ist, dass eine solche Kosteneinsparung eine untergeordnete Rolle spielt. Wird B2Last ® in allen drei Asphaltschichten eingesetzt (Variante 2.1), kann eine Kosteneinsparung von knapp 24 % gegenüber der konventionellen Bauweise (Variante 1) erzielt werden. Während die Kostenersparnis der ADS aufgrund der gleichen Nutzungsdauer gering ausfällt, führt die Nutzungsdauerverlängerung bei der ATS und ABS zu erheblichen Kosteneinsparungen. Wird B2Last ® lediglich in der ADS und der ABS eingesetzt (Variante 2.2), kann immer noch eine Kosteneinsparung von rund 8 % erzielt werden. Die Kosteneinsparung ist dabei hauptsächlich auf die Nutzungsdauerverlängerung der ABS zurückzuführen. Abbildung 4: Anfallende Baulastträgerkosten über einen Betrachtungszeitraum von 60 Jahren (Diskontierungszinssatz 3 %, Bezugsjahr 2019; ohne MwSt.) 4.3 Soziales - Arbeitsplatzbelastung beim Asphalteinbau Zur Bewertung der gesundheitlichen Gefährdung für die am Asphalteinbau beteiligten Mitarbeiter wurde die in Tabelle 2 aufgeführte Literatur zur Temperaturabhängigkeit der Expositionsbelastung herangezogen. Hierbei ist für den Vergleich der B2Last ® -modifizierten Asphalte gegenüber konventionell hergestellten Asphalten die verringerte Herstelltemperatur bei B2Last ® -modifiziertem Asphalt und die damit einhergehende deutlich niedrigere Einbautemperatur von Bedeutung (vgl. Abbildung 5). Die in Abbildung 5 dargestellten Werte mit einer großen Spannweite der Messergebnisse gelten für eine Temperaturabsenkung von im Mittel 20 °C. Sowohl das 50 %als auch das 95 %-Perzentil zeigen, dass durch den Einsatz von temperaturreduziertem Asphalt anstelle von konventionellem Walzasphalt deutliche Expositionsreduzierungen erzielt werden können. Die Expositionsbelastung des Walzenfahrers, welcher generell deutlich geringeren Expositionen ausgesetzt ist, weist ein geringfügig erhöhtes 95 %-Perzentil auf. Dies ist auf Einzelwerte bei geringer Messwertanzahl zurückzuführen. Allgemein kann jedoch zusammengefasst werden, dass bei allen Personengruppen für das 50 %-Perzentil von mindestens einer Halbierung der Exposition auszugehen ist. Bei einer Reduzierung der Herstelltemperatur um 30 °C kann von einer Reduzierung der Expositionswerte um ca. zwei Drittel gegenüber einem konventionell hergestellten Asphalt ausgegangen werden. 78 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Nachhaltigkeitsbewertung eines Bauprodukts im Straßenbau am Beispiel B2Last® Abbildung 5: Expositionsbelastung aus Dämpfen und Aerosolen beim Einbau von Walzasphalt, Daten-grundlage: [31; 32] 5. Zusammenfassung und Ausblick Die Untersuchungen zeigen deutlich, dass sich der Einsatz von B2Last ® positiv auf die Ergebnisse der Nachhaltigkeitsbewertung auswirkt. Die größten Vorteile können erzielt werden, wenn B2Last ® in allen drei Asphaltschichten eingesetzt wird (Variante 2.1). Durch den Einsatz von B2Last ® in allen drei Schichten können folgende Vorteile erzielt werden: • Reduzierung der Asphalttemperatur um 30 °C • Verlängerung der Nutzungsdauern von 20 auf 30 Jahre (ABS) bzw. 30 auf 60 Jahre (ATS) Infolge der Mischguttemperaturabsenkung und der Nutzungsdauerverlängerung ist von folgenden Reduzierungen innerhalb des Betrachtungseitraums von 60 Jahren auszugehen: • Gesamtprimärenergiebedarf: - 41 % • Treibhausgasemissionen: - 46 % • Primärrohstoffbedarf: - 37 % • Baulastträgerkosten: - 24 % • gesundheitsgefährdenden Exposition: - 67 % bei 4 Einbauvorgängen (1-lagiger ADS und ABS Einbau sowie 2-lagiger ATS Einbau) Als signifikante Parameter der Bewertung sind die berechneten bzw. angesetzten Nutzungsdauern der einzelnen Asphaltschichten, die Temperaturabsenkung, die angesetzte Diskontierungsrate und die Datenqualität zu nennen. Soll die Nachhaltigkeitsbewertung auf andere verkehrliche Situationen bzw. Projekte übertragen werden, ist zu prüfen, ob die gewählten Kriterien zielführend sind oder aber beispielsweise zustande kommende Umwege oder Staus infolge der Erhaltungsmaßnahmen einen signifikanten Einfluss auf die Bewertungsergebnisse haben können und deshalb eine Anpassung der Kriterien notwendig ist. Literatur [1] Holldorb, C.; Brzuska, A.; Cypra, S.: Nachhaltigkeitsbewertung zum Einsatz von B2Last®-modifiziertem Asphalt: Schlussbericht im Auftrag der BASF SE, Karlsruhe (unveröffentlicht), 2020. [2] MVIBW Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg: Wir bauen nachhaltig! (2015). Online verfügbar unter: https: / / vm.baden-wuerttemberg.de/ fileadmin/ redaktion/ m-mvi/ intern/ Dateien/ Brosch%C3%BCren/ Wir_bauen_nach haltig_Broschuere-Strassenbau_MVI_Internet.pdf, abgerufen am: 22.09.2020 [3] Radke, S.; BMVI Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Hrsg.): Verkehr in Zahlen 2019/ 2020. 48. Auflage. (2019). Online verfügbar unter: https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Publikationen/ G/ verkehr-in-zahlen-2019-pdf. pdf? __blob=publi-cationFile, abgerufen am: 20.07.2020. [4] Carreño, N., Renken, L., Schatz, W., Zeilinger, M., Bokern, S., Fleischel, O., Oeser, M..: New type of chemical modification of asphalt binders to enhance the performance of flexible pavements. Proceedings of the 7th Eurasphalt & Eurobitume Congress v1.0, 2020. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 79 Nachhaltigkeitsbewertung eines Bauprodukts im Straßenbau am Beispiel B2Last® [5] ISO International Organization for Standardization: Buildings and constructed assets, service life planning; Part 5: Life-cycle-costing (ISO 15686-5). Geneve, 2008. [6] DIN Deutsches Institut für Normung e.V.: Nachhaltigkeit von Bauwerken - Bewertung der Nachhaltigkeit von Gebäuden - Teil 4: Rahmenbedingungen für die Bewertung der ökonomischen Qualität (DIN EN 15643-4: 2012). Beuth-Verlag. Berlin, 2012. [7] DIN Deutsches Institut für Normung e.V.: Umweltkennzeichnungen und -deklarationen, Allgemeine Grundsätze (DIN EN ISO 14020: 2001). Beuth- Verlag. Berlin, 2002. [8] DIN Deutsches Institut für Normung e.V.: Umweltmanagement - Ökobilanz - Grundsätze und Rahmenbedingungen (DIN EN ISO 14040: 2006). Beuth-Verlag. Berlin, 2009. [9] DIN Deutsches Institut für Normung e.V.: Umweltkennzeichnungen und -deklarationen - Typ III Umweltdeklarationen - Grundsätze und Verfahren (DIN EN ISO 14025: 2011). Beuth-Verlag. Berlin, 2011. [10] DIN Deutsches Institut für Normung e.V.: Nachhaltigkeitsbewertung von Bauwerken - Bewertung der Nachhaltigkeit von Gebäuden und Ingenieurbauwerken - Teil 5: Leitfaden zu den Grundsätzen für und den Anforderungen an Ingenieurbauwerke (DIN EN 15643-5: 2017). Beuth-Verlag. Berlin, 2018. [11] DIN Deutsches Institut für Normung e.V.: Nachhaltigkeit von Bauwerken - Umweltproduktdeklaration - Grundregeln für die Produktkategorie Bauprodukte (DIN EN 15804: 2012 +A2: 2019). Beuth-Verlag. Berlin, 2020. [12] DIN Deutsches Institut für Normung e.V.: Nachhaltigkeit von Bauwerken - Umweltproduktdeklarationen - Festlegung für Straßenbaustoffe - Teil 1: Asphaltmischgut (Entwurf, DIN EN 17392-1: 2020). Beuth-Verlag. Berlin, 2020. [13] DIN Deutsches Institut für Normung e.V.: Nachhaltigkeit von Bauwerken - Bewertung der Nachhaltigkeit von Gebäuden - Teil 3: Rahmenbedingungen für die Bewertung der sozialen Qualität (DIN EN 15643-3: 2012). Beuth-Verlag. Berlin, 2012. [14] FGSV - Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Richtlinien für die Anlage von Autobahnen (RAA 08/ 14) (FGSV 202). FGSV-Verlag. Köln, 2008/ 2014. [15] FGSV - Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen (RStO 12) (FGSV-Nr.: 499). FGSV-Verlag. Köln, 2012. [16] FGSV - Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Richtlinien für die rechnerische Dimensionierung des Oberbaus von Verkehrsflächen mit Asphaltdeckschicht (RDO Asphalt 09) (FGSV 498). FGSV-Verlag. Köln, 2009. [17] Carreno, N.: Nutzungsdauern von B2Last-Asphalt nach RDO Asphalt 09. Aachen (unveröffentlicht), 2020. [18] FGSV - Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für den Bau von Verkehrsflächen aus Asphalt (ZTV Asphalt-StB 07/ 13) (FGSV 799). FGSV-Verlag. Köln, 2007/ 2013. [19] Statistisches Bundesamt: Baupreisindizes: Deutschland, Berichtsmonat im Quartal, Messzahlen mit/ ohne Umsatzsteuer, In-genieurbau, Bauarbeiten (Tiefbau), 61261-0004 (2020). Online verfügbar unter: https: / / www-genesis.destatis.de/ genesis/ online, abgerufen am: 30.04.2020. [20] Eurobitume: Life Cycle Inventory: Bitumen. 2. Auflage. (2012). Online verfügbar unter: h t t p s : / / w w w. e u r o b i t u m e . e u / i n d e x . p h p ? i d =233&no_cache=1&keyword=LCI, abgerufen am: 06.04.2020. [21] Eurobitume: The eurobitume Life-Cycle Inventory for Bitumen. 3. Auflage. (2019). Online verfügbar unter: https: / / www.eurobitume.eu/ public_downloads/ General/ LCI/ EB.LCI.Re-port.Jan2020.Pages_Interactive.pdf, abgerufen am: 27.03.2020. [22] Brzuska, A.: Ermittlung der CO 2 -Emissionen bei einer Straßenerneuerungsmaßnahme am Fallbeispiel der K 3533 (ehem. L 560) im Landkreis Karlsruhe. Bachelor-Thesis an der Hochschule Karlsruhe - Technik und Wirtschaft, Karlsruhe (unveröffentlicht), 2016. [23] DAV - Deutscher Asphaltverband e.V.: Temperaturabgesenkte Asphalte, Ratschläge aus der Praxis für die Praxis (2009). Online verfügbar unter: https: / / www.asphalt.de/ fileadmin/ user_upload/ downloads/ dav/ temperatur-abgesenkte_asphalte. pdf, abgerufen am: 25.02.2020. [24] Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V.: BGL Baugeräteliste 2015: Technisch-wirtschaftliche Baumaschinendaten. Baugeräteliste, 2015. Bauverlag. Gütersloh, 2015. [25] Wirtgen GmbH: Wirtgen Kaltfräsen Handbuch: Technologie und Anwendung (1. Aufl.). Windhagen, 2013. [26] Krause, T.; Ulke, B.: Zahlentafeln für den Baubetrieb (9., überarbeitete und aktualisierte Auflage). Springer Vieweg. Wiesbaden, 2016. [27] thinkstep AG: GaBi ts: GaBi Professional-Datenbank; GaBi Extension database XIV_Construction materials (Version 9.2.1.68). Leinfelden-Echterdingen, 2020. [28] f: data GmbH: Baupreislexikon. Online verfügbar unter: https: / / www.baupreislexikon.de/ , abgerufen am: 30.04.2020. Weimar, 2020. [29] Oefer, G.; Krmek, M.; Nußrainer, C.: Kostenermittlung für Erhaltungsmaßnahmen zur Bestimmung 80 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Nachhaltigkeitsbewertung eines Bauprodukts im Straßenbau am Beispiel B2Last® der Kosteneingangsgrößen für das PMS (Pavement Management System). Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, Heft 896. DMB Bundesdruckerei GmbH & Co. KG. Bonn, 2004. [30] Zander, U.; Birbaum, J.: Aktualisierung der Kostendaten. Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, Heft 1108. Fachverlag NW. Bremen, 2014. [31] Gesprächskreis Bitumen: Expositionsbeschreibung Herstellung und Beförderung von Asphalt (2018). Online verfügbar unter: https: / / www.bgbau.de/ fileadmin/ Die_BG_BAU/ Gespr%C3%A4chskreis_ Bi-tumen/ ExpoHerstTranspAsphalt.pdf, abgerufen am: 27.05.2020. [32] Gesprächskreis Bitumen: Expositionsbeschreibung Einbau von Walzasphalt im Straßenbau (2018). Online verfügbar unter: https: / / www.bgbau.de/ file admin/ Die_BG_BAU/ Gespr%C3%A4chskreis_ Bi-tumen/ ExpoWalzasphalt.pdf, abgerufen am: 27.05.2020. [33] EAPA-EuropeanAsphaltPavementAssociation: The use of Warm Mix Asphalt - Position Paper. Brussels, Belgium, 2014. [34] FAV - Norwegian Asphalt and Road Contracting Association: Norwegian WMA project - Low Temperature Asphalt 2011 - Main Report (2012). Online verfügbar unter: https: / / www.vegvesen.no/ fag/ fokusomrader/ forskning+og+utvikling/ Avsluttede+FoU-program/ Varige+veger/ Rapporter/ _attach-ment/ 1337373? _ts=154611d3240&fast_ title=Norwegian+WMA+project+%E2%80%93+ Low+Tem-perature+Asphalt+2011, abgerufen am: 27.05.2020. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 81 Neue Bitumen zur Reduzierung von Emissionen aus Asphalt Martin Vondenhof Shell Deutschland Oil GmbH, Hamburg Zusammenfassung Die Emissionen bei der Verarbeitung von Asphalt sind besonders seit Einführung von Arbeitsplatzgrenzwerten für Dämpfe und Aerosole aus Bitumen im Fokus der Industrie. Verschiedene Forschungsprogramme von Shell zu diesem Thema werden vorgestellt. Diese umfassen einerseits die Erprobung von Additiven zur direkten Reduzierung bestimm-ter Emissionen und andererseits die Entwicklung neuer modifizierter Bitumen, die den Asphalteinbau bei verringerter Temperatur erlauben und auf diesem Wege Emissionen senken. Um die Verarbeitbarkeit von Asphalt bei unterschiedli-chen Temperaturen im Labor beurteilen zu können wurde ein neues Prüfverfahren erfolgreich erprobt. 1. Emissionen aus Bitumen Bitumen ist ein Gemisch aus Kohlenwasserstoffen und enthält außerdem in geringen Mengen Sauerstoff, Schwefel, Stickstoff und in Spuren weitere Elemente. Aufgrund seiner Herstellung aus Rohöl und den Produktionsbedingungen in den Raffinerien schwankt die genaue Zusammensetzung. Bei Erwärmung ist stets ein bitumentypischer Geruch wahrnehmbar. In einer Studie aus dem Jahr 1999 [1] wurde die deutliche Temperaturabhängigkeit des Ausmaßes der gasförmigen Emissionen (Dämpfe und Aerosole) nachgewiesen. So wurden bei Bearbeitungstemperaturen von 80 °C keine quantifizierbaren Aerosol-Emissionen nach-gewiesen, und die bei 120 bzw. 150 °C durchgeführten Emissionsversuche ergaben - außer bei einigen ver-nachlässigbaren Ausnahmen - Werte unterhalb 1 mg Aerosol/ h. In einer 2006 veröffentlichten Studie des Fraunhofer-Instituts [2] entwickelten Versuchstiere bei den höchs-ten Dampf- und Aerosolkonzentrationen entzündliche Prozesse, jedoch gab es keinen statistisch signifikanten Anstieg in der Krebsrate. Daraufhin war der Weg für einen MAK- Wert (Maximale Arbeitsplatzkonzentrati-on) frei, denn für krebserregende Stoffe gibt es solch einen Wert nicht. Dieser Wert für Dämpfe und Aerosole aus Bitumen (außer Oxidationsbitumen) wurde von der ständigen Senatskommission im Jahr 2018 auf 1,5 mg/ m³ festge-setzt. Der Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) hat da-raufhin am 19. November 2019 einen Arbeitsplatz-grenzwert (AGW) für Dämpfe und Aerosole bei der Heißverarbeitung von Destillations- und Air-rectified-Bitumen von 1,5 mg/ m³ festgelegt. Für Walz- und Gussasphalt und für den Bereich der Bitumen- und Polymerbitumenbahnen soll für den AGW eine Übergangsfrist bis zum 31.12.2024 gelten. Bis Mai 2020 ist von der BG Bau gemeinsam mit dem Baugewerbe und der Bauindustrie ein detaillierter Plan über die vorgesehenen Aktivitäten, die zur Einhaltung des Grenzwerts führen, zu erstellen. Ein erweiterter Bericht zum Sachstand erfolgt im AGS im Mai 2022. 2. Möglichkeiten der Emissionsreduzierung Zur Reduzierung der Emissionen gilt das STOP Prin-zip (Substitution - Technische Maßnahmen - Organi-satorische Maßnahmen - Persönliche Schutzausrüs-tung) in absteigender Präferenz. Die Modifikation des Bindemittels Bitumen zur Reduzierung der Emissionen ist als Substitution oder als technische Maßnahme einzuordnen 2.1 Direkte Reduzierung von Emissionen aus Bi-tumen Ein Weg zur Reduzierung von Dämpfen und Aerosolen bei ansonsten unveränderten Produktionsbedingungen für den Asphalt besteht darin, die Zusammensetzung des Bindemittels Bitumen so zu verändern, dass bei der Herstellung und beim Einbau weniger Gase emit-tiert werden. Die gegebenen Rohölsorten und Raffinerieprozesse bestimmen die chemischen Eigenschaften des Destillationsrückstands Bitumen und damit auch dessen Emissionseigenschaften. Raffinerien sind im Allgemeinen bestrebt, zur Erhöhung der Ausbeute an niedriger mo-lekularen Mineralölprodukten die Destillationstiefe zu steigern, was prinzipiell zu weniger flüchtigen Rück-ständen und damit Bitumenprodukten führt. Dieser Weg ist aber nicht problemlos fortführbar, an seinem Ende steht nicht Bitumen als Endprodukt, sondern Petrolkoks, der nicht als Bindemittel eingesetzt werden kann. Neue Bitumen zur Reduzierung von Emissionen aus Asphalt 82 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Eine weitere Möglichkeit zur direkten Minimierung der Emissionen besteht darin, die gasförmigen Komponenten im heißen Bitumen durch Zugabe von chemischen Additiven zu binden und so dafür zu sorgen, dass diese nur noch in geringerer Menge emittiert werden. Ein Beispiel für eine solche Technologie stellt Shell Bitu-men FreshAir dar. In Labor- und Feldversuchen wurden gasförmige Emissionen (SOx, VOC, CO) im Durch-schnitt um bis zu 40 % reduziert im Vergleich zu her-kömmlichen Bitumen [3]. 2.2 Indirekte Reduzierung von Emissionen: Tem-peraturabsenkung (TA) beim Einbau von Asphalt Das Ausmaß gasförmiger Emissionen von Bitumen hängt in extremem Ausmaß von der Temperatur des Bindemittels ab [4]. Ideal wäre daher, den Straßenbelag bei Umgebungstemperatur einzubauen - allerdings müsste die Viskosität des Bindemittels unter diesen Bedingungen für den Einbau und die Verdichtung geeignet sein. Bitumengebundene Kaltbauweisen, das sind im wesentlichen Schaumbitumen und Emulsio-nen, kämpfen mit technologischen Problemen, die hauptsächlich auf die Gegenwart von Wasser im Belag zurückzuführen sind. Seit nunmehr 25 Jahren wird daher versucht, mit kristallisierenden Additiven (Wach-sen) die Viskosität des Bindemittels so zu verändern, dass eine Verdichtung auch bei abgesenkter Tempera-tur, das heißt, je nach Asphaltmischgut im Bereich von 100 bis 140 °C, erfolgen kann. Diese Technologie wird, wie auch die Verwendung kristallwasserhaltiger Mineralstoffe (Zeolithe) in den Empfehlungen zur Klassifikation von viskositätsveränderten Bindemitteln E KvB (2016) und im M TA (neue Auflage voraus-sichtlich 2021) beschrieben. Außer Wachsen, die das Viskositätsverhalten des Bindemittels auch im Gebrauchstemperatur beeinflussen und bei Fehldosierung zur Beeinträchtigung der Kälteeigenschaften führen können, wurden auch Additive erforscht, die die Benet-zung des Gesteins mit dem Bindemittel erleichtern und so eine Temperaturabsenkung ermöglichen. Es ist zu bedenken, dass das derzeit gültige Regelwerk (TL Asphalt-StB 07/ 13, ZTV Asphalt-StB 07/ 13) - mit der Ausnahme für Gussasphalt keine Temperatur-absenkung zulässt, daher ist von Seiten des Auftragge-bers in Zusammenarbeit mit der Industrie eine vorsich-tige Anpassung der Technischen Liefer- und Vertrags-bedingungen erforderlich. 2.3 Beurteilung der Effektivität von TA-Additiven Um die Wirksamkeit der beschriebenen Additive im Labor beurteilen zu können, wurde ein Rührversuch konzipiert, der die Viskosität eines 1: 1-Gemisches aus dem zu prüfenden Bitumen und Füller ermittelt. Mit einer speziell entwickelten, kalibrierten Spindel in Form eines Rührers wird sichergestellt, dass während der Messung keine Trennung von Füller und Bitumen auftreten kann. Die Bestimmung der dynamischen Viskosität bei verschiedenen Temperaturen ist so auch von Mastices möglich. Die benötigte Probenmenge ist dabei klein (unter 20 g). Erste Versuche haben gezeigt, dass die Viskositätsreduzierung durch oberflächenaktive Substanzen in Bitumen in der gleichen Größenordnung liegen kann wie bei den seit vielen Jahren praxiserprobten Wachsen. Solche Additive verändern im Gegensatz zu den Wachsen die Gebrauchseigenschaften des Asphaltbelags nach derzei-tigen Erkenntnissen nicht. Im abgebildeten Diagramm werden beispielhaft die Ergebnisse bei der Prüftemperatur 120°C gezeigt. Auf der y-Achse ist die relative Viskosität des mit ver-schiedenen Additiven modifizierten Mastix im Ver-gleich zu einem Mastix mit reinem Bitumen 70/ 100 aufgetragen. Die x- Achse beschreibt die relative Visko-sität des additivierten Bitumen 70/ 100 im Vergleich zu reinem Bitumen 70/ 100. Verschiedene oberflächenaktive Substanzen (VOBP, PAAE, PAEE), Mineralöl (MO) und die bekannten Wachse (FAA, FT-Wax) führen in allen Fällen zu einer stärkeren relativen Senkung der Mastix-Viskosität. Dies bedeutet, dass die Additive auch in Asphalt bei 120 °C effektiv die Viskosität absenken können, denn sie sind nicht nur in reinem Bitumen aktiv. 3. Ausblick Durch die Kombination verschiedener technischer Maßnahmen zur Senkung der Emissionen von Bitu-mendämpfen und -aerosolen wird angestrebt, einen zukünftigen Arbeitsplatzgrenzwert sicher einzuhalten. Neben technischen Maßnahmen beim Einbau, wie zum Beispiel die Absaugung der Fertigerbohle stellt die Weiterentwicklung der Bindemitteltechnologie eine vielversprechende Möglichkeit dar. Für die Erprobung in der Praxis bleibt nicht mehr viel Zeit, doch die bisherigen Ergebnisse sind durchaus vielversprechend. Literatur [1] U. Knecht, S. Stahl, H.-J. Woitowitz: Handelsübliche Bitumensorten: PAH-Massegehalte und tempera-turabhängiges emissionsverhalten unter standardisierten Bedingungen, Gefahrstoffe - Reinhaltung der Luft 59 (1999), 429 - 434. [2] R. Fuhst, O. Creutzenberg, H. Ernst, T. Hansen, G. Pohlmann, A. Preiss, S. Rittinghausen: 24 Months Inhalation Carcinogenicity Study of Bitumen Fumes in Wistar (WU) Rats, Journal of Occupational and Envi-ronmental Hygiene 4 (2007), 20 - 43. [3] R. Taylor, R. Hanumanthgari, D. D’Melo, E. Mallinson: Shell Bitumen FreshAir - Technischer Leitfaden. Shell International Petroleum Company Limited (2020) [4] M. Hugener, K. Zeyer, J. Mohn: Reduced emis-sions of warm mix asphalt during construction. Road Materials and Pavement Design 20 (2019), 568 - 577. Asphaltrecycling 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 85 Technische Aspekte einer Kaltrecyclingbauweise von Asphalt ohne Zusatz von Bindemittel Dr.-Ing. Hartmut Herb Hochschule Karlsruhe -Technik und Wirtschaft Prof. Dr.-Ing. Markus Stöckner Hochschule Karlsruhe -Technik und Wirtschaft Zusammenfassung Im Rahmen des europäischen Forschungsverbundprojekts ORRAP (Optimales Recycling von Ausbauasphalt auf verkehrsschwachen Straßen) wurde in der Region Oberrhein das Ziel verfolgt, Ausbauasphalt bei Umgebungstemperatur und ohne Zusatz von bituminösem Bindemittel zu 100 % wiederzuverwenden. Konzipiert wurde diese Kaltrecyclingbauweise in den Ländern Frankreich, Schweiz und Deutschland für Fahrbahnen mit geringer Verkehrsbelastung. Im experimentellen Teil des Projekts wurden zunächst Ausbauasphaltgranulate asphalt- und bitumentechnologischen Prüfungen unterzogen, d.h. mechanisch-physikalisch und chemisch charakterisiert. Anhand der Verdichtung und Prüfung von Laborprüfkörpern konnte die Durchführbarkeit des ORRAP-Verfahrens demonstriert werden, was somit zum erfolgreichen Bau zweier Teststrecken führte. Zur Qualitätskontrolle wurden mechanische Prüfungen nach dem Einbau anhand von Plattendruckversuchen durchgeführt. Kontrollmessungen auf den Teststrecken erfolgen weiterhin, um das Langzeitverhalten der Bauweise zu beurteilen. 1. Einleitung Für den Bau, die Sanierung und die Instandhaltung von Straßen werden erhebliche Mengen natürlicher, qualitativ hoher Ressourcen in Form von Gesteinskörnung und Bitumen verwendet. Heutzutage wird es daher immer wichtiger, die Ausbeutung natürlicher Ressourcen zu begrenzen, indem die Wiederverwendung von Ausbauasphalt gefördert wird. Darüber hinaus begründen zunehmend begrenzte Haushaltsmittel und steigende Umweltschutzziele den Einsatz ökonomischer und weniger energieintensiver Materialien. Daher wurde in der Region Oberrhein das trinationale Forschungsverbundprojekt ORRAP - Optimales Recycling von Ausbauasphalt auf verkehrsschwachen Straßen - mit dem Ziel initiiert, Ausbauasphalt in einer Kaltrecyclingbauweise und ohne Zusatz von bituminösem Bindemittel vollständig wiederzuverwenden. Dieses Material sollte dabei auf Straßen für geringen oder mäßigen Verkehr eingesetzt werden. Aufbauend auf schwedischen Erfahrungen [1] wurde das Konzept verfolgt, nach Laborversuchen Ausbauasphaltgranulat mit einem bestimmten Wassergehalt einzubauen und zu verdichten. 2. Charakterisierung der verwendeten Materialien Aus allen drei Ländern (F, CH, D) wurde Ausbauasphaltgranulat von Halden verschiedener, regionaler Mischwerke bezogen und asphalttechnologischen Prüfungen unterzogen. Ebenso wurden die rückgewonnenen Bitumen sowohl physikalisch-mechanisch als auch chemisch charakterisiert. 2.1 Ausbauasphaltgranulat Vorwiegend wurden Ausbauasphaltgranulate der Kornklasse 0/ 16 untersucht. Zur Ermittlung der modifizierten Proctordichte des Ausbauasphaltgranulats bei entsprechendem optimalen Wassergehalt wurde der Proctorversuch mit modifizierter Verdichtungsarbeit eingesetzt [2]. Mit dem CBR (California Bearing Ratio) -Test erfolgten Untersuchungen zur Tragfähigkeit [3]. Der CBR-Wert wird dabei als Verhältnis der für eine bestimmte Eindringtiefe gemessenen Kraft zu einer Bezugskraft in Prozent (%) berechnet. 100 % entsprechen dabei einem genormten kalifornischen Kalkstein. Der zu messende Probekörper wird durch modifizierte Verdichtungsarbeit im Proctortopf hergestellt. Die Ergebnisse in Tabelle 1 zeigen für die Proctorversuche, dass die optimalen Was- 86 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Technische Aspekte einer Kaltrecyclingbauweise von Asphalt ohne Zusatz von Bindemittel sergehalte bei ca. 5% liegen. Abhängig von den Feuchtegehalten auf der Halde sind die AA daher für den Einbau auf der Baustelle entsprechend mit Wasser einzustellen. Die gemessenen CBR-Werte betragen ca. 14 %. Tabelle 1: Ergebnisse aus modifiziertem Proctor- und CBR-Versuchen AA (D) AA (F) AA (CH) mod. Proctordichte in g/ cm³ 1,92 1,79 1,81 opt. H2O-Gehalt in % 5,6 5,5 4,3 CBR-Wert in % 14 12 14 Um eine Abschätzung der aus den ermittelten CBR-Werten zu erwartenden EV2-Werten auf der realen Straße vorzunehmen, wurde anhand einer in der Literatur [4] beschriebenen Relation eine Kalkulation der EV2-Werte vorgenommen. Ein CBR-Wert von 14 % sollte damit einem EV2-Wert von ca. 75 MN/ m² entsprechen. In diesem trinationalen Projekt wurden die verschiedenen Ausbauasphaltgranulate hinsichtlich ihres mechanischen Verhaltens eingehend mit Triaxialversuchen auf Verdichtungseigenschaften [5] mit dem Verkehrslastsimulator (MMLS3) hinsichtlich Spurrinnenbildung [6] untersucht. Probekörper unterschiedlicher Geometrie wurden dafür hergestellt. 2.2 Charakterisierung der rückgewonnenen Bitumen Nach Heißextraktion der Ausbauasphaltgranulate mit Trichlorethen wurden die Bitumen im Rotationsverdampfer zurückgewonnen und charakterisiert. Als mechanischphysikalische Testmethoden wurden neben der Ermittlung des Bitumengehalts die Bestimmung des Erweichungspunkts (Ring und Kugel), der Nadelpenetration (bei 25°C), der elastischen Rückstellung, des komplexen Schermoduls und des Phasenwinkels mit dem Dynamischen Scherrheometer (T-Sweep) und das Tieftemperaturverhalten mit dem Biegebalkenrheometer eingesetzt. Chemisch wurden die Bitumen durch Bestimmung der Carbonyl- und Sulfoxid-Indices mit Fourier Transformierter-Infrarot-Spektroskopie (FT-IR), der mittleren Molmasse mit Gelpermeationschromatographie (GPC) und der SARA (Saturates, Aromatics, Resins, Asphaltenes) -Analyse charakterisiert. In Tabelle 2 sind die Ergebnisse zur Bestimmung der Nadelpenetration [7] der zurückgewonnenen Bitumen der Ausbauasphaltgranulate (AA) aufgetragen. Vergleichend hierzu wurde zusätzlich das Ergebnis für ein Bitumen der Sorte 50/ 70 dargestellt, sowohl im Zustand frisch aus der Raffinerie als auch nach einem künstlichen Alterungsprozess im Labor (PAV-Verfahren - Pressure Ageing Vessel [8]). Die zurückgewonnenen Bitumen weisen geringere Eindringtiefen auf als das gealterte Vergleichsbitumen. Sie sind somit durch erfolgte Alterungsprozesse in ihrem Gebrauchsverhalten entsprechend härter. Tabelle 2: Ergebnisse der Bestimmung der Nadelpenetration der Bitumen Komplementär zu diesen Ergebnissen zeigt die FT-IR- Bestimmung [9] der Oxidationsindices, welche eine Quantifizierung für den Oxidationsgrad von Kohlenstoff- und Schwefelverbindungen im Bitumen darstellen [10], in Tabelle 3, dass die zurückgewonnenen Bitumen der AA höhere Indices aufweisen als das künstlich gealterte Bitumen der Sorte 50/ 70. Durch Oxidation mit Sauerstoff während der Bau- und Nutzungsphase waren die Bitumen entsprechend gealtert. Alle aus den untersuchten Ausbauasphaltgranulaten zurückgewonnenen Bitumen zeigen somit hinsichtlich mechanisch-physikalischer und chemischer Charakterisierung, wie beispielhaft an den zwei erläuterten Testmethoden dargestellt, einen fortgeschrittenen Alterungsgrad, was beim Recycling zu berücksichtigen ist. Tabelle 3: Ergebnisse der Bestimmung der Carbonyl (C=O)- und der Sulfoxid (S=O)-Indices der Bitumen 3. Einbau auf den Teststrecken Vor dem Einbau wurde der vorhandene Asphaltbelag durch Fräsen bzw. Aufrauen bearbeitet, um dessen Dicke zu verringern und die nötige Oberflächenrauhigkeit zur Sicherstellung eines guten Haftverbunds zu erreichen. Zusätzlich wurde ein Haftkleber aufgebracht. Das Aufbringen des ORRAP-Materialien erfolgte durch einen Grader bzw. Straßenfertiger mit einer Schichtdicke (je nach Teststreckenabschnitt) von 10 cm (Teststrecke Schweiz) bzw. 12 und 15 cm (Teststrecke Frankreich). Während des Einbaus sowie während dem Verdichten wurde das Material bewässert z.T. mit am Straßenfertiger 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 87 Technische Aspekte einer Kaltrecyclingbauweise von Asphalt ohne Zusatz von Bindemittel (Bohle, Schnecke) montierten Bewässerungsvorrichtungen bzw. mit fahrbarem Wassertank mit Exaktverteiler, um die Verdichtung zu optimieren. Abbildung 1: Einbau des ORRAP-Materials mit einem Straßenfertiger Die Verdichtung erfolgte mit Gummiradwalzen und Stahlglattradwalzen, wobei letztere für eine glatte und gleichmäßige Oberfläche sorgten. Bei Verwendung der Vibrationsvorrichtung an Stahlglattradwalzen wurde darauf geachtet, dass eine Rissbildung vermieden wurde. Schwere Stahlradwalzen wurden nicht eingesetzt. Die Verdichtung der Bankette erwies sich schwieriger als beim Einbau von Heißasphalt. Daher wurde die ORRAP- Schicht mit einer zusätzlichen Breite von ca. 30 - 50 cm, um so ein Befahren der Randbereiche zu vermeiden. Der Verdichtungsaufwand (Anzahl der Walzendurchgänge) entsprach ungefähr dem doppelten Aufwand, der für die Heißasphaltbauweise erforderlich ist. Die ORRAP-Bauweise kann generell nicht für eine Deckschicht verwendet werden, da das Asphaltgranulat nicht den Kriterien für Deckschichten (Qualität der Gesteinskörnung, Mikrotextur, Makrotextur) entspricht, und somit das Risiko von Kornausbrüchen besteht. Daher wurde auf den Teststrecken am Tag nach dem Einbau des ORRAP-Materials eine Asphaltbetondeckschicht von 4 cm bzw. eine bituminöse Versiegelung aufgetragen. 4. Qualitätskontrolle der Bauweise Während des Einbaus wurden Verdichtungsprüfungen durchgeführt, um eine ordnungsgemäße Verdichtung des verwendeten Materials sicherzustellen. Aufgrund des feuchten Materials wurde ein Dual-Source-Gamma- Densimeter (Isotopensonde) eingesetzt. Die Dicke der Schicht wurde während des Einbaus mit einem Tiefenmesser überprüft. Nach dem Einbau wurden am folgenden Tag Plattendruck- und Deflektionstests durchgeführt. Zudem wurden die Streckenabschnitte nach 3 Monaten bezüglich einer Nachverdichtung des Materials und auf eventuell auftretende Spurrinnenbildung überwacht. Die Ergebnisse der statischen Plattendruckversuche auf den zwei Abschnitten der französischen Teststrecke mit einer Schichtdicke von 12 bzw. 15 cm sind in Abbildung 2 dargestellt. Abbildung 2: Ermittelte E V 1- und E V 2-Werte auf der französischen Teststrecke 1 bzw. 96 Tage nach dem Einbau Die realen EV2-Werte des AA unterscheiden sich von den aus Ergebnissen der CBR-Versuche korrelierten Werten. In situ sind für 1 d nach dem Einbau 109 bzw. 131 MPa erreicht worden. Der CBR-Wert für das französische Teststreckenmaterial betrug 20 %. Die entsprechende Korrelation hat ca. 95 MPa als Resultat. Die realen EV2- Werte sind somit ca. 15 bis 25% höher. Nach 3 Monaten Liegezeit unter Befahrung betrugen die EV2-Wertes des AA bei ca. 190 MPa. 5. Ausblick Die bisherigen Ergebnisse der entwickelten Kaltrecyclingbauweise zeigen die erfolgreiche Durchführbarkeit in der Praxis. Es ist geplant, die Teststrecken in den nächsten drei Jahren über das Ende des Projektzeitraums hinaus weiterhin zu beobachteten und Kontrollmessungen durchzuführen, um das Langzeitverhalten der Bauweise zu beurteilen. Insbesondere wird hier die Entwicklung der Spurrinnenbildung untersucht. Neben den dargestellten technischen Aspekten berücksichtigt die ORRAP-Bauweise verschiedene wirtschaftliche, ökologische und gesundheitliche Aspekte, da sie natürliche Ressourcen schont und die Verwendung von Materialien geringerer Qualität ermöglicht [11]. Darüber hinaus reduziert diese 100%-ige Recyclingtechnologie nicht nur die Menge der AA-Lagerbestände, sondern stellt auch eine umweltfreundliche Bauweise dar, die zur CO 2 -Einsparung und Reduzierung anderer Emissionen führt. 88 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Technische Aspekte einer Kaltrecyclingbauweise von Asphalt ohne Zusatz von Bindemittel Literatur [1] Torbjörn Jacobson and Andreas Waldemarson, 2010, Återvinning av asfaltgranulat vidmotorvägsbygget på E4, Markaryd Uppföljningar åren (Recycling of crushed asphalt pavement on highway construction on E4, Markaryd - follow-up period) 2005-2010, VTI (Swedish National Road and Transport Research Institute), SE-581 95 [2] EN 13286-2 (2010): Ungebundene und hydraulisch gebundene Gemische - Teil 2: Laborprüfverfahren zur Bestimmung der Referenz-Trockendichte und des Wassergehaltes - Proctorversuch, Beuth-Verlag, Berlin [3] EN 13286-47 (2012): Ungebundene und hydraulisch gebundene Gemische - Teil 47: Prüfverfahren zur Bestimmung des CBR-Wertes (California bearing ratio), des direkten Tragindex (IBI) und des linearen Schwellwertes; Beuth-Verlag, Berlin [4] Lottmann A. (2003): Tragfähigkeit und Frostempfindlichkeit von kalkbehandelten bindigen Böden im Planumsbereich von Verkehrsflächen; Dissertation, Technische Universität Cottbus, S. 48 [5] Laura Gaillard, Cyrille Chazallon, Pierre Hornych and Juan Carlos Quezada, (2019), Study of the Mechanical Behaviour of Reclaimed Asphalt Aggregates Without Binder Addition, E3S Web of Conferences, Volume 92, on 7th International Symposium on Deformation Characteristics of Geomaterials (IS-Glasgow 2019), https: / / doi.org/ 10.1051/ e3sconf/ 20199210004 [6] Christiane Raab and Manfred Partl, (2020), Laboratory Evaluation and Construction of Fully Recycled Low-Temperature Asphalt for Low-Volume Roads, Advances in Materials Science and Engineering, Volume 2020 |Article ID 4904056 | https: / / doi.org/ 10.1155/ 2020/ 4904056 [7] DIN EN 1426 (2015): Bitumen und bitumenhaltige Bindemittel - Bestimmung der Nadelpenetration, Beuth-Verlag, Berlin [8] EN 14769 (2012): Bitumen und bitumenhaltige Bindemittel - Beschleunigte Langzeit-Alterung mit einem Druckalterungsbehälter (PAV), Beuth-Verlag, Berlin [9] Lu X., Isacsson U., (2002), Effect of ageing on bitumen chemistry and rheology. Constr.Build. Mater.; 16: 15-22 [10] Le Guern M. et al., (2010), Physico-chemical analysis of five hard bitumens: Identification of chemical species and molecular organization before and after artificial aging, Fuel 89, 3330-3339 [11] A. Brzuska, S. Cypra, C. Holldorb und M. Stöckner, (2018), CO2-Emissionen bei der Straßenerhaltung, Straße und Autobahn, Jg. 69, Nr. 10, S. 845-853 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 89 Dimensionierung von Asphaltbefestigungen mit Kaltrecyclingmischgut: ein internationaler Vergleich Marius Winter Universität Kassel, Hessen Konrad Mollenhauer Universität Kassel, Hessen Zusammenfassung Die Wiederverwendung von Asphaltgranulat im europäischen Straßennetz gewinnt zunehmend an Bedeutung. Neben den konventionellen Möglichkeiten der Wiederverwendung (z. B. in Heißasphaltmischgut), findet auch die Verwertung in Tragschichten als Kaltrecycling-Baustoff Anwendung. Ein europäischer Vergleich zeigt, dass die Dimensionierungsverfahren sowohl unter dem Einsatz von Heißasphalt als auch von Kaltrecyclingmischgut international voneinander abweichen. Allerdings macht die Analyse der verschiedenen Regelwerke deutlich, dass trotz unterschiedlicher Verfahrensansätze teilweise ähnliche Schichtdicken innerhalb der Befestigungen resultieren (insb. für Heißasphalt). Im Allgemeinen führt die Verwendung von Kaltrecyclingmischgut zu einer Zunahme der Schichtdicke im Vergleich zum Standardaufbau. Des Weiteren können verschiedene Sicherheitsparameter identifiziert werden, welche im Rahmen der internationalen Dimensionierungen Anwendung finden. Grundsätzlich lassen die untersuchten Verfahren eine Differenzierung zweier Ansätze zu. Zum einen findet die rechnerische Dimensionierung Anwendung, welche die Ermittlung der erforderlichen Schichtdicken ermöglicht. Zum anderen können empirische Verfahren zur Dimensionierung herangezogen werden. 1. Einführung Da das europäische Straßennetz fast vollständig ausgebaut ist, wird die bauliche Erhaltung der bestehenden Straßen einen zunehmenden Anteil der künftigen Investitionen in die Straßeninfrastruktur abdecken. Der überwiegende Anteil der Straßen wird mit Asphaltbelägen gebaut, wobei das übliche Verfahren darin besteht, den gesamten Asphaltaufbau oder die obere(n) Schicht(en) davon zu entfernen und auf dem verbleibenden Aufbau neuen Asphalt einzubauen. Infolgedessen führt das zunehmende Alter des Straßennetzes zu steigenden Mengen an Ausbauasphalt bzw. Asphaltgranulat (AG). Dieses wird vornehmlich in Asphalttragschichten recycelt. Da überwiegend Asphaltdeck- und -binderschichten erneuert werden, kommt es zu einem Überschuss an AG. Kaltrecycling (KRC) von AG ist ein Verfahren, bei dem hohe Recyclingraten von in der Regel ≥ 75 % bei geringerer Empfindlichkeit bezüglich der AG-Eigenschaften erreicht werden [1] im Vergleich zu anderen Recyclingoptionen (z. B. in Heißasphaltmischungen). KRC wird erfolgreich in zahlreichen Straßenstrukturen unterschiedlicher Verkehrsbelastungen eingesetzt. Da das Mischgut bei Umgebungstemperatur hergestellt wird, wird der Prozess mit dem höchsten Energieverbrauch die Erwärmung und Trocknung der Zuschlagstoffe vermieden. Dadurch können die herstellungsbedingten CO 2 -Emissionen signifikant reduziert werden. [2] Trotz der praktischen Erfahrungen mit kaltrecycelten Materialien sind die Versagensarten dieser Schichten noch nicht vollständig verstanden. Dies lässt sich zum Teil durch die häufige Anwendung innerhalb des Straßennetzes mit vergleichsweise geringem Verkehrsaufkommen sowie mit geringer Fachkenntnis und geringem Bedarf an Erhaltungsprognosen und Dauerhaftigkeitsbewertung erklären. Die mechanischen Eigenschaften von Kaltrecyclingmaterial sind in laborgestützten Projekten gut erforscht. Dabei werden in der Regel geringere Steifigkeits- und Festigkeitseigenschaften im Vergleich zu Heißasphaltmischungen (HMA) festgestellt. Daher führen verfügbare Dimensionierungsverfahren auf der Grundlage von Ermüdungsversagenskriterien, die üblicherweise auf Heißasphalte angewendet werden, zu hohen erforderlichen Tragschichtdicken und sind daher in der Praxis unwirtschaftlich [3]. Die in der Praxis angewandten Dimensionierungsverfahren unterscheiden sich somit erheblich und reichen von den gleichen Dickenabschätzungen wie bei heißen bituminösen Materialien (z. B. in der Schweiz) bis zu Dickenerhöhungsfaktoren von z. B. 50 % [4] im Vergleich zu Heißasphaltschichten. Ein Grund für diese vorsichtigen Dimensionierungen liegt in der zeitabhängigen Änderung der Materialfes- 90 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Dimensionierung von Asphaltbefestigungen mit Kaltrecyclingmischgut: ein internationaler Vergleich tigkeit während der Aushärtung, die dazu führt, dass die Tragfähigkeit von KRC-Schichten über Monate oder sogar Jahre hinweg zunimmt [5]. Internationale Erfahrungen zeigen die Anwendbarkeit von Kaltrecyclingmaterial auch bei stark befahrenen Autobahnkonstruktionen [6]. Da die mechanistischen Bemessungsansätze noch nicht vollständig akzeptiert sind und Versagensmodi für kaltrecycelte Materialien innerhalb der Verfahren nicht implementiert sind, wurden die bestehenden empirischen Dimensionierungsverfahren in mehreren Ländern verglichen. Da die für konventionelle Materialien (insbesondere Heißasphalte) angewandten Standardbemessungsverfahren von Land zu Land sehr unterschiedlich sind, werden diese Ansätze in einem ersten Schritt verglichen. Danach werden spezielle Ansätze für kaltrecycelte Materialien vorgestellt. Zum Vergleich der Dimensionierungsverfahren sowohl für Befestigungen mit Tragschichten aus HMA als auch aus KRC-Material werden empirische und mechanistische Dimensionierungsverfahren aus fünf ausgewählten europäischen Ländern, die das Spektrum der klimatischen Bedingungen innerhalb Europas abdecken, für acht gängige Modellbeläge mit unterschiedlichen Verkehrs- und Untergrundbedingungen herangezogen. Aus diesen Ergebnissen werden die Erwartungen an KRC-Material im Vergleich zu HMA bewertet. 2. Empirische Dimensionierungsverfahren für Straßenbefestigungen 2.1 Betrachtete nationale Dimensionierungsverfahren Die innerhalb Europa angewendeten Verfahren für die Dimensionierung von Straßenbefestigungen unterscheiden sich erheblich. Um den strukturellen Aufbau von KRC-Tragschichten, wie sie in verschiedenen Ländern angewendet werden, zu vergleichen, werden zunächst die Gemeinsamkeiten der Bemessungsansätze diskutiert. Die für Standard-Asphalttragschichten sowie für ungebundene und zementstabilisierte Tragschichten angewandten Bemessungsansätze werden als Referenz für den Vergleich der Befestigungen mit KRC-Tragschichten verwendet. Die aktuellen Richtlinien für die Dimensionierung von Straßenbefestigungen in Großbritannien werden in dem Design Manual for Roads and Bridges der Highway Agency (HA) beschrieben [7][8][9]. Die Vorschriften der schwedischen Verkehrsbehörde sind in der TRVK Väg [10] festgelegt und beschreiben, dass die Bemessung des Oberbaus durch die Begrenzung der horizontalen Dehnung an der Unterseite der unteren gebundenen Asphaltschicht und der vertikalen Dehnung an der Oberseite des Untergrunds erfolgen sollte. Zusätzliche Anforderungen bezüglich der Mindestdicken für die verschiedenen Schichten müssen ebenfalls erfüllt werden. In Italien ist das einzige verfügbare offizielle Referenzdokument zur Dimensionierung ein Befestigungskatalog, „CATALOGO DELLE PAVIMENTAZIONI STRADA- LI“, der 1994 vom Nationalen Forschungsrat veröffentlicht wurde (CNR) [11]. Der Katalog wurde nach der Entwurfsmethode entwickelt, die im „AASHTO Guide for Design of Pavement Structures“ beschrieben ist. Neben dem Katalog des CNR wird ein Entwurfsdokument für kaltrecycelte Materialien angewandt, welches auch die unterschiedlichen klimatischen Bedingungen in Norditalien berücksichtigt [12]. In Deutschland ist das Bemessungsverfahren für Straßenbefestigungen in der RStO 2012 festgelegt [13]. Das Verfahren berücksichtigt die mechanischen Eigenschaften der verwendeten Straßenbaustoffe, die ihrerseits in Mischgutnormen festgelegt sind, sowie die Umweltbedingungen. Die Vorgaben für die Dimensionierung unter Berücksichtigung von KRC-Material sind im M KRC [14] enthalten. Das französische Dimensionierungsverfahren für Straßenbefestigungen wird in der Norm NF P98-086 [15] beschrieben, die die Anwendung eines mehrschichtigen elastischen Schichtenmodells für die Schichtdickenermittlung beschreibt. In erster Linie werden die berechneten Spannungen und Dehnungen in den Schichten mit Werten verglichen, die hauptsächlich von der Anzahl der äquivalenten Achslastübergänge und den Schichteigenschaften abhängen. 2.2 Allgemeiner Aufbau von Straßenbefestigungen Innerhalb Europas hat fast jedes Land unterschiedliche Ansätze für den Entwurf von Straßenbefestigungen. Trotz unterschiedlicher Werkzeuge zur Berücksichtigung von Verkehrsbelastungen und Untergrundbedingungen sind die allgemeinen Aufbauten jedoch ähnlich, mit zunehmender Steifigkeit, Tragfähigkeit und Widerstand gegen Rissbildung und/ oder permanente Verformung von der Unterseite bis zur Oberseite des Oberbaus. Abbildung 1 und Tabelle 1 zeigen die schematische Darstellung des allgemeinen Oberbaus und angewandten Fachbegriffe aus den fünf ausgewählten europäischen Ländern, die das Spektrum der klimatischen Bedingungen innerhalb Europas abdecken. Auf dem vorhandenen, wenig tragfähigen Untergrund (z. B. Lehm) wird eine erste Tragschicht (1) entweder durch Aufbringen einer ungebundenen Tragschicht oder einer hydraulisch gebundenen Schicht hergestellt. Die Tragschicht (2) wird aufgebracht, um die Tragfähigkeit zu erhöhen sowie die Frostbeständigkeit und Wasserdurchlässigkeit des Aufbaus zu gewährleisten. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 91 Dimensionierung von Asphaltbefestigungen mit Kaltrecyclingmischgut: ein internationaler Vergleich Abbildung 1: Schematische Darstellung der einzelnen Schichten einer Straßenbefestigung Tabelle 1: Nationale Fachbegriffe und verwendete Materialien für die Schichten der Straßenbefestigung gemäß den nationalen Vorschriften zur Dimensionierung Schicht UK 1 SWE 2 ITA 3 DE 4 FRA Deckschicht „Surface course“ (Asphalt) „Slitlager“ (Asphalt) „Tappeto di usura“ (Asphalt) „Deckschicht“ (Asphalt) „Couche de roulement“ (Asphalt) Binderschicht „Binder course“ (Asphalt) „Bindlager“ (Asphalt) „Strato di collegamento“ (Asphalt) „Binderschicht“ (Asphalt) „Couche de liaison (Asphalt) Tragschicht (2) „Base“ (Asphalt, hydraulisch gebunden oder SoB) „Bundet bärlager“ (Asphalt) „Strato di Base“ (Asphalt) „Tragschicht“ (Asphalt) „Couche de base“ (Asphalt, hydraulisch gebunden oder SoB) Tragschicht (1) - „Obundet bärlager“ (SoB) „Misto cementato“ (hydraulisch gebunden) „Tragschicht“ (hydraulisch gebunden, SoB) - Unterbau (2) „Sub-base“ (hydraulisch gebunden, SoB) „Förstärkningslager“ (SoB) „Misto granulare“ (SoB) „Frostschutzschicht“ (SoB) „Couche de foundation“ (Asphalt, hydraulisch gebunden, SoB) Unterbau (1) „Capping“ (hydraulisch gebunden, SoB) „Skyddslager“ (SoB) „Strato antigelo“ (SoB) „Bodenverfestigung“ (hydraulisch gebunden) „Couche de forme“ (hydraulisch gebunden, SoB) Planum 1 (Highways Agency, 2006), 2 (Trafikverket, 2011), 3 (Consiglio Nazionale Ricerche, 1995), 4 (FGSV, 2012), 5 (Afnor, 2011) 92 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Dimensionierung von Asphaltbefestigungen mit Kaltrecyclingmischgut: ein internationaler Vergleich Die Tragschichten sorgen für die erforderliche Tragfähigkeit und können aus ungebundenen, hydraulisch gebundenen oder Asphalttragschichten bestehen. Die weitere Asphaltüberbauung besteht aus einer Asphaltbinderschicht, die einen hohen Widerstand gegen bleibende Verformungen bietet, über welcher die Asphaltdeckschicht angeordnet wird. 2.3 Dimensionierungsparameter 2.3.1 Verkehrsbelastung Die Berechnungsverfahren zur Berücksichtigung der Verkehrsbelastung sind innerhalb der ausgewählten europäischen Länder ähnlich. Tabelle 2 gibt einen Überblick über verschiedene Eingangsparameter, die innerhalb der nationalen Richtlinien angewendet werden. Der Basiswert zur Berücksichtigung der Verkehrsbelastung ist die Anzahl der Standardachslasten während der angestrebten Nutzungsdauer der Befestigung. Als Standardachslast werden 8,2 t (UK, IT), 10 t (SWE GE) oder 13 t (FR) angesetzt und die angestrebte Nutzungsdauer beträgt 30 Jahre (SWE, IT, GE, FR) bzw. 40 Jahre (UK). Alle Berechnungen berücksichtigen die durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke (DTV), den Anteil des Schwerverkehrs sowie die Straßenkategorie. 2.3.2 Untergrundbedingungen Die Verfahren zur Berücksichtigung der individuellen Tragfähigkeit des Untergrundes variieren innerhalb der Regelwerke für die Dimensionierung der Befestigung. In Deutschland ist ein Mindestwert für die Untergrundtragfähigkeit in Form eines Verformungsmoduls E V2 ≥ 45 MN/ m² definiert. Falls die Bodenverhältnisse diese Anforderung nicht erfüllen, wird der Untergrund durch hydraulische Bindemittel stabilisiert. Andere Bemessungsansätze verfügen über eine höhere Flexibilität hinsichtlich unterschiedlicher Tragfähigkeiten des natürlichen Bodens und bieten Fundamentklassen entsprechend der verfügbaren Tragfähigkeit in Form des Elastizitätsmoduls Mr, des CBR-Wertes oder des Oberflächenmoduls. Bei geringer Tragfähigkeit des natürlichen Bodens kann zur Verbesserung der Bodeneigenschaften eine Zement- oder Kalkbehandlung eingesetzt werden. Darüber hinaus wird die Frostempfindlichkeit des Untergrundes nach den deutschen, schwedischen und französischen Dimensionierungsrichtlinien berücksichtigt. Nach den Bodenparametern (insbesondere der Einstufung) wird der Boden entsprechend der Gefahr von Frosthebungen bei winterlichen Bedingungen in drei (GER, FRA) oder vier (SWE) Frostempfindlichkeitsklassen eingeteilt. Die Frostempfindlichkeitsklasse des Bodens bestimmt einen Zuschlag auf die Befestigungsdicke (in der Regel als ungebundene Frostschutzschicht). 2.3.3 Klimatische Bedingungen Der Klimaeinfluss wird von Land zu Land unterschiedlich betrachtet. In den meisten Richtlinien wird jedoch eine Landkarte mit unterschiedlichen Klimazonen (Frostzonen) angewendet. Die deutschen und schwedischen Richtlinien haben Frostzonen, die drei (GER) oder fünf (SWE) Klimazonen für die Berücksichtigung der Frosteindringungstiefe im Winter definieren, vgl. Abbildung 2. Der italienische Befestigungskatalog „CATALOGO DELLE PAVIMENTAZIONI STRADALI“ bezieht sich ausdrücklich auf die für Mittelitalien typischen klimatischen Bedingungen, während nach der norditalienischen Gestaltungsrichtlinie die Höhenlage über dem Meeresspiegel berücksichtigt wird, siehe Tabelle 3. Innerhalb Großbritanniens und Frankreichs ist der mittlere jährliche Frostindex die Grundlage für die Beurteilung der Frosttiefe, der auch zur Definition der Frostzonen (RStO) verwendet wird. Tabelle 2: Zusammenstellung der Eingangsparameter zur Ermittlung der Verkehrsbeanspruchung UK SWE ITA DE FRA Standardachslast [t] 8.2 10 8.2 10 13 DTV Anteil des Schwerverkehrs Angestrebte Nutzungsdauer [a] 40 30 30 30 20 / 30 Verkehrszuwachs Straßenkategorie Fahrbahnbreite x Anteil der Fahrzeuge innerhalb der Schwerverkehrrollspur x x Geschwindigkeitsfaktor x x x x Längsneigung x x x x 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 93 Dimensionierung von Asphaltbefestigungen mit Kaltrecyclingmischgut: ein internationaler Vergleich Abbildung 2: Klimazonen zur Berücksichtigung der Frosttiefe in Schweden (links) und Deutschland (rechts) Tabelle 3: Italienische Klimazonen gemäß Befestigungskatalog [12] Klima zone Höhe [m] Wärmste monatliche Durchschnitts-temperatur [°C] Kälteste monatliche Durchschnittstemperatur [°C] 1 bis 500 23.1 0.9 2 500 bis 1000 21.0 0.1 3 1000 bis1500 17.9 - 0.1 4 über 1500 15.8 - 1.5 2.4 Dimensionierungsverfahren Die Untersuchung der verschiedenen Dimensionierungsverfahren macht deutlich, dass es drei verschiedene grundlegende Ansätze zur Dimensionierung einer geeigneten Befestigung gibt. Das Vereinigte Königreich verwendet Nomogramme mit hinterlegten Funktionen zur Bemessung der Gesamtasphaltdicke. Die darunterliegenden Schichten werden mit Hilfe von Nomogrammen in Abhängigkeit von der Untergrundklasse des natürlichen Bodens definiert. Die Richtlinien aus Italien und Deutschland verwenden ein Katalogsystem zur Dimensionierung von Straßenbefestigungen. In Schweden und Frankreich wird ein mechanistisch-empirisches Bemessungsverfahren angewandt, das auf der Mehrschichtentheorie basiert und den Widerstand gegen Ermüdungsrisse an der Unterseite der gebundenen Schichten und gegen permanente vertikale Verformung an der Oberseite des Unterbaus berücksichtigt. Allen Verfahren gemeinsam ist, dass die Gesamtdicke der Befestigung zur Vermeidung von Frosthebungen unter Berücksichtigung der klimatischen Parameter sowie der Untergrundeigenschaften berechnet wird. Während in Schweden und Deutschland die erforderliche Dicke bis zu 80 cm betragen kann, wird in Großbritannien eine Dicke von 45 cm (35 cm in Küstenregionen) angesetzt. 2.4.1 Katalogsystem Die in Italien und Deutschland angewandten empirischen Dimensionierungsverfahren für Straßenbefestigungen basieren auf einem Katalogsystem. Für gegebene Verkehrsbelastungsklassen, Untergrundtragfähigkeiten sowie die verwendeten Tragschichtmaterialien werden geeignete Oberbauten definiert. In Frankreich existiert neben dem mechanistisch-empirischen Bemessungsverfahren auch ein Katalog [16], der vorberechnete Bemessungslösungen für einige Standardtypen von Oberbaukonstruktionen, für verschiedene Verkehrsklassen und Untergrundtragfähigkeiten bietet. 2.4.2 Nomogramm System Im Gegensatz zum Katalogsystem wenden die Richtlinien des Vereinigten Königreichs Nomogramme mit hinterlegten Funktionen an, um die Gesamtasphaltdicke des Oberbaus zu ermitteln. Für dieses Verfahren werden die Anzahl der äquivalenten Standard-Achslasten auf den Oberbau während der Nutzungsdauer sowie die aktuelle Fundationsklasse als Eingabeparameter verwendet. Abbildung 3 zeigt die Bemessungsdicke für bituminöse Oberbauten. Nach der Berechnung der Verkehrslast wird die entsprechende Fundationsklasse verknüpft (1). Die erforderliche Gesamtdicke des Asphaltoberbaus hängt vom verwendeten Asphalttragschichtmaterial ab (2). Außerdem erlaubt das Dimensionierungsverfahren, die Asphalttragschicht durch eine HBM-Tragschicht (hydraulisch gebundenes Material) zu ersetzen. 2.4.3 Mechanistisch-empirisches Dimensionierungsverfahren Im Rahmen des schwedischen und französischen Dimensionierungsverfahren wird eine auf der elastischen Mehrschichtentheorie basierende Software zur Berechnung der resultierenden Spannungen und Dehnungen im gebundenen Oberbau verwendet. Die Steifigkeitsparameter für die Asphaltschichten werden entsprechend dem jeweiligen Material gewählt. Die Untergrundsteifigkeit wird in Abhängigkeit von der Jahrestemperatur und den Frostempfindlichkeitsbedingungen (in Schweden) bzw. in Abhängigkeit von der langfristigen Tragfähigkeitsklasse des Untergrundes variiert. Im Rahmen des Verfahrens werden die Schichtdicken so festgelegt, dass die vertikalen Spannungen auf der Oberseite des Untergrundes begrenzt werden, um der tatsächlichen Anzahl von Belastungszyklen während der Nutzungsdauer des Oberbaus zu widerstehen. Darüber hinaus wird die horizontale Dehnung an der Unterseite der Asphalttragschicht bzw. die horizontale Spannung an der Unterseite der hydraulisch gebundenen Tragschicht begrenzt, um Ermüdungsrisse zu vermeiden. 94 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Dimensionierung von Asphaltbefestigungen mit Kaltrecyclingmischgut: ein internationaler Vergleich Abbildung 3: Schichtdickendimensionierung für Asphaltbefestigungen [7] 3. Dimensionierungsverfahren mit Kaltrecyclingmaterial Die Verwendung von KRC-Material ist in den meisten europäischen Ländern nicht standardisiert. Daher wird es bei der Dimensionierung nur bedingt berücksichtigt. Als Alternative müssen mechanistische Verfahren für die Dimensionierung angewendet werden, wenn nicht standardisierte Straßenmaterialien verwendet werden. Für die Anwendung in Italien beschreibt die Norm der norditalienischen Provinz Bozen folgende Asphaltbaustoffe [12]: • Asphaltbeton für Deck-, Binder- oder Tragschichten, die alle mit modifiziertem SBS-Bindemittel hergestellt werden; • KRC-Tragschicht mit SBS-modifizierter Bitumenemulsion und Zement; • KRC-Tragschicht mit Schaumbitumen oder Bitumenemulsion und Zement; • Zement- oder kalkstabilisierte Fundationsschichten Alle Schichten werden unter Berücksichtigung individueller technischer Spezifikationen sowohl für die Materialien wie auch die Bauwerke dimensioniert. Die Verwendung einer KRC-Tragschicht ist oft mit einer darunter angeordneten zement- oder kalkstabilisierten Fundationsschicht kombiniert. Dies ist ein wirksames Mittel, um die Zugbeanspruchung in der KRC-Tragschicht zu begrenzen und damit deren Dauerhaftigkeit zu erhöhen. Darüber hinaus erfordert die Anwendung von KRC-Tragschichten nach italienischen Spezifikationen den Bau eines Versuchsabschnitts, um den Bauablauf, die Verdichtbarkeit der Mischung und ihre mechanischen Eigenschaften zu testen. Da der Versuchsabschnitt für den Auftragnehmer mit zusätzlichen Kosten verbunden ist, ist die Anwendung von KRC-Tragschichten oft auf mittlere oder große Projekte beschränkt. In ähnlicher Weise fehlt auch in der deutschen Richtlinie zur Dimensionierung von Straßenbefestigungen die Anwendung von KRC-Mischgut [13]. Im Merkblatt für Kaltrecycling in situ im Straßenoberbau sind jedoch geeignete Oberbaustrukturen einschließlich KRC-Tragschichten enthalten, die auch aus teerkontaminiertem Asphaltmaterial bestehen können. Im Vergleich zu den betrachteten Ländern weist das deutsche KRC-Mischgut hohe Gehalte an bituminösen und zementhaltigen Bindemitteln auf. Nach den schwedischen Richtlinien gibt es bei der Verwendung von Kaltrecyclingmaterial keine besonderen Anforderungen. Das Ziel bei der Verwendung von KRC- Mischgut ist, dass die KRC-Schicht eine vergleichbare Wertigkeit zur konventionelle Asphalttragschicht aufweist. Daher ist eine individuelle Beurteilung erforderlich, um festzustellen, wann das Kaltrecyclingmaterial die Anforderungen erfüllt und als qualitativ gleichwertig mit dem konventionellen HMA angesehen werden kann. Im Vereinigten Königreich können kaltrecycelte Materialien auf zwei Arten in einer Straßenbefestigung verwendet werden [17]: • Das kaltrecycelte Material bildet die Schicht unmittelbar über der Fundation und wird bituminös überdeckt; • Bitumengebundenes Kaltrecyclingmaterial kann als Ersatz für konventionelles Heißmischgut für Inlay-Behandlungen verwendet werden, bei denen ein erheblicher Anteil der vorhandenen Befestigung als Teil des sanierten Oberbaus verbleibt. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 95 Dimensionierung von Asphaltbefestigungen mit Kaltrecyclingmischgut: ein internationaler Vergleich Tabelle 4: Verkehrsbeanspruchung und Untergrundbedingungen der Modell-Befestigungen Verkehrsbeanspruchung Untergrundbedingungen Befestigung 1 Mittlere Verkehrsbeanspruchung: DTV = 4500 / Fahrstreifen Schwerverkehranteil: 3 % Fahrbahnbreite: 3,0 m Verkehrszuwachs: 2 %/ Jahr Hohe Tragfähigkeit: CBR: > 15 % M R = 120 MN/ m² Befestigung 2 Geringe Tragfähigkeit: CBR: 10 % M R = 50 MN/ m² Befestigung 3 Geringe Verkehrsbeanspruchung: DTV = 450 / Fahrstreifen Schwerverkehranteil: 3 % Fahrbahnbreite: 2,6 m Verkehrszuwachs: 1 %/ Jahr Hohe Tragfähigkeit: CBR: > 15 % M R = 120 MN/ m² Befestigung 4 Geringe Tragfähigkeit: CBR: 10 % M R = 50 MN/ m² Die französische Dimensionierung definiert kein spezielles Verfahren für Befestigungen mit Kaltmischgutschichten. Die Richtlinien sehen lediglich spezifische mechanische Leistungsklassen für bituminöse Kaltmischgüter (Grave-Emulsion / GE) vor. Diese Mischungen enthalten kein hydraulisches Bindemittel. Je nach dem Gehalt an bituminösem Bindemittel wird zwischen drei Typen unterschieden: • Typ 1 wird für Profilierungsarbeiten verwendet. Die maximale Korngröße kann 10 oder 14 mm betragen. • Typ 2 und 3 werden für Tragschichten verwendet. Die maximale Korngröße kann 10, 14 oder 20 mm betragen. Um die verschiedenen Dimensionierungsverfahren mit und ohne kaltrecycelten Tragschichtmaterialien vergleichen zu können, werden Modell-Befestigungen auf der Grundlage der üblichen Verkehrslasten sowie der Tragfähigkeiten im Untergrund entworfen. 4. Vergleich von Modell-Befestigungen Im folgenden Abschnitt werden die beschriebenen Dimensionierungsverfahren auf Modell-Befestigungen angewendet, die durch übliche Verkehrslasten und Untergrundbedingungen definiert sind. Für jede Befestigung werden die Modelle sowohl für eine Standardbefestigung mit einer konventionellen Asphalttragschicht als auch für eine Befestigung mit KRC-Tragschicht verglichen. Die Bedingungen für die vier Modell-Befestigungen sind in Tabelle 4 aufgeführt. Der wesentliche Unterschied zwischen den einzelnen Beispielen liegt in der Verkehrsbelastung (DTV, Fahrbahnbreite, Verkehrszunahme) und den Untergrundbedingungen. Die Befestigungen 1 und 2 sollen mittlere Verkehrsbelastungen (Bk3,2) mit hoher oder eher geringer Tragfähigkeit des Untergrundes simulieren. Im Vergleich dazu stellen die Befestigungen 3 und 4 geringe Verkehrsbelastungen (Bk0,3) dar. Als Ergebnis zeigt Abbildung 4 die resultierenden Befestigungen nach den verschiedenen Dimensionierungsverfahren für Modell-Befestigung 1. Die Konstruktionen unterscheiden sich erheblich in der Gesamtdicke. Für Deutschland ist angesichts der hohen Tragfähigkeit des Untergrundes keine Frostschutzschicht erforderlich. Die Gesamtdicke des Asphaltpaketes beträgt 22 cm. Bei Verwendung von KRC-Material als zusätzliche Tragschicht ist eine Gesamtdicke des bituminösen Oberbaus von 32 cm erforderlich, welcher sich aus 12 cm Asphalttragschicht und 20 cm KRC-Tragschicht zusammensetzt. Als Ergebnis des italienischen Verfahrens ergibt sich eine Gesamtasphaltdicke von 22 cm, einschließlich einer Asphalttragschicht von 14 cm und einer ungebundenen Tragschicht. Wenn anstelle der Asphalttragschicht eine Tragschicht aus KRC-Material verwendet wird, erhöht sich die Dicke der Tragschicht um 2 cm. Darüber hinaus muss die ungebundene Tragschicht durch eine hydraulisch gebundene Tragschicht ersetzt werden, um eine ausreichende Tragfähigkeit zu gewährleisten. In Schweden wird ein mechanistisch-empirisches Verfahren angewendet, das die tatsächlichen Steifigkeitseigenschaften der Schichten berücksichtigt. Da KRC-Material nicht spezifisch beschrieben ist, wurden die gleichen Eigenschaften wie bei HMA-Tragschichten angewendet, was zu der gleichen Gesamtdicke der Befestigung führt. Insgesamt summieren sich die Asphaltschichten auf 14 cm basierend auf 8 cm ungebundener Tragschicht. Der britische Dimensionierungsansatz führt zu einer Gesamtasphaltdicke von 28 cm, welche eine Asphalttragschicht mit einer Dicke von 16 cm enthält. Wenn KRC- Material als Alternative zu Heißasphalt als bituminöse Tragschicht verwendet wird, ist eine Dicke von 29 cm erforderlich. 96 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Dimensionierung von Asphaltbefestigungen mit Kaltrecyclingmischgut: ein internationaler Vergleich Abbildung 4: Resultierende Befestigungen für Modell-Befestigung 1 (Mittlere Verkehrsbeanspruchung, hohe Untergrundtragfähigkeit) Die Dimensionierung nach dem französischen Verfahren ergibt eine Gesamtdicke des gebundenen Oberbaus von 17 cm, welcher sich aus einer Asphaltdeckschicht mit einer Dicke von 6 cm und eine Tragschicht mit einer Dicke von 11 cm zusammensetzt. Enthält die Befestigung KRC-Material, erhöht sich die Dicke der Tragschicht mit Grave Emulsion auf bis zu 14 cm. Für die anderen in Tabelle 4 beschriebenen Modell-Befestigungen sind die resultierenden Gesamtdicken der bituminösen Schichten in Tabelle 5 zusammengefasst. Zunächst ist festzustellen, dass das deutsche und italienische Dimensionierungsverfahren zu ähnlichen Schichtdicken der Straßenbefestigung mit Heißasphalttragschichten führen. Die Befestigungen nach dem britischen Verfahren haben eine höhere Asphaltdicke, während die Befestigungen nach schwedischem und französischem Dimensionierungsverfahren mit einer dünneren Asphaltdicke ausgelegt werden. Hinsichtlich des Unterschieds zwischen Befestigungen mit einer bituminösen Tragschicht aus KRC-Material und einer Asphalttragschicht ist zu beobachten, dass nach deutscher empirischer Auslegung die Asphaltschichtdicke für hoch tragfähige Untergrundverhältnisse um 45 % und für gering tragfähige Verhältnisse um bis zu 100 % erhöht wird. In Italien und Großbritannien wird die Asphaltschichtdicke um 18 % bis 37 % erhöht, wenn KRC-Material anstelle von HMA als Asphalttragschicht aufgebracht wird. Die daraus resultierenden Befestigungen zeigen, dass bei klassischen Materialien die verschiedenen Dimensionierungsverfahren zu mehr oder weniger vergleichbaren Befestigungen führen. Offensichtlich entstammen die verschiedenen Bemessungsansätze einer gemeinsamen Grundlage. 5. Zusammenfassung Verschiedene nationale empirische Dimensionierungsverfahren, die das Spektrum der klimatischen Bedingungen innerhalb Europas abdecken, wurden auf der Grundlage gemeinsamer Verkehrs- und Untergrundbedingungen verglichen. Als Ergebnis wird gezeigt, dass unterschiedliche Entwurfsansätze zu sehr ähnlichen Befestigungen führen können. Betrachtet man die ersten Erfahrungen mit der empirischen Bemessung von Befestigungen, die kaltrecycelte Materialien enthalten, so lassen sich unterschiedliche Gewichtungen der Sicherheitsparameter feststellen. Die in Deutschland angewandten Sicherheits-Zuschläge für KRC-Schichten gegenüber Heißasphaltbefestigungen sind dabei erheblich höher als bei den anderen betrachteten Ländern. Zur Identifizierung geeigneter Dimensionierungsverfahren für diese Materialien werden zwei Ansätze verfolgt. Im Rahmen des mechanistischen Verfahrens werden Steifigkeits- und Festigkeitsparameter von KRC-Material bewertet, die die Berechnung der erforderlichen Schichtdicke ermöglichen. Es muss jedoch sichergestellt werden, dass die angewandten Versagensmodelle für diese Art von nicht vollständig gebundenen Materialien tatsächlich gültig sind. Die Entwicklung ihrer Eigenschaften im Laufe der Zeit muss ebenfalls berücksichtigt werden. Auf der anderen Seite können bestehende Befestigungen mit KRC-Tragschichten überwacht werden, um das Langzeitverhalten zu beurteilen. Dies wird es ermöglichen, die empirischen Dimensionierungsverfahren zu validieren und mögliche Veränderungen zu identifizieren. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 97 Dimensionierung von Asphaltbefestigungen mit Kaltrecyclingmischgut: ein internationaler Vergleich Tabelle 5: Dicke des bitumengebundenen Oberbaus für die Modell-Befestigungen mit KRC-Material und HMA Befestigung Asphalt Schichtdicke DE ITA SWE UK FRA HMA KRC HMA KRC HMA KRC HMA KRC HMA KRC 1 Dicke 22 32 22 26 14 14 28 29 17 20 Δ [cm] +10 +4 +0 +1 +3 Δ [%] +45 % +18 % - +3 % +17 % 2 Dicke 22 36 23 - 14 14 30 33 22 22 Δ [cm] +14 +0 +3 +0 (+ ToB) Δ [%] +64 % - +10 % - 3 Dicke 14 24 10 - 4,5 - 21 28,5 1,5 (1) 13,5 Δ [cm] +10 +7,5 +12 Δ [%] +43 % + 36 % - 4 Dicke 14 28 10 - 4,5 - 23 31,5 1,5 (1) 13,5 Δ [cm] +14 +8,5 +12 Δ [%] +100 % +37 % - (1) Für besonders geringe Verkehrsbeanspruchungen ermöglicht das französische Dimensionierungsverfahren die Anwendung von sehr dünnen bituminösen Schichten mit einem granularen Unterbau (2) ToB: Tragschicht ohne Bindemittel Literatur [1] K. Mollenhauer and D. Simnofske, “Tolerances for inhomogeneity of pavement structure for in-situ cold recycling,” in 6th Eurasphalt & Eurobitume Congress: 1-3 June 2016, Prague Congress Centre, 2016. [2] C. Holldorb and T. Mayer, “Ökoprofil für Asphalt- und Betonbauweisen von Fahrbahnen,” Deutscher Asphaltverband e.V., 2009. [3] M. Radenberg, M. Miljković, and V. Schäfer, Einfluss des Asphaltgranulates auf die bemessungs- und ermüdungsrelevanten Materialeigenschaften einer zwangsgemischten, kaltgebundenen und bitumendominanten Tragschicht. Bremen: Fachverlag NW, 2015. [4] M. Bocci, F. Canestrari, A. Grilli, E. Pasquini, and D. Lioi, “Recycled Techniques and Environmental Issues Relating to the Widening of an High Traffic Volume Italian Motorway,” International Journal of Pavement Research and Technology, no. 3, pp. 171-177, 2010. [5] J.-P. Serfass, X. Carbonneau, F. Delfosse, and J.-P. Triquigneaux, “Emulsified Asphalt Mixes: towards a complete design method,” Revue Générale des Routes, pp. 2-22, 2010. [6] Wirtgen GmbH, “Wirtgen Group technologies take Brazil by storm - Ayrton Senna Highway rehabilitated with cold recycling,” Wirtgen GmbH, 2015. [7] Highways Agency, “Design Manual for Roads and Bridges (DMRB): HD 26/ 06: Pavement Design,” Highways Agency, London, 2006. [8] J. J. E. Liebenberg and A. Visser, “Towards a mechanistic structural design procedure for emulsiontreated base layers,” Journal of the South African Institution of Civil Engineering, no. 46, pp. 2-9, 2004. [9] N. Thom, “Principles of Pavement Engineering: Second edition,” London, 2008. [10] Trafikverkets tekniska krav Vägkonstruktion - TRVK Väg, 2011. [11] Catalogo delle pavimentazioni stradali. Bollettino Ufficiale CNR, 1995. [12] Autonome Provinz Bozen - Südtirol, “Verzeichnis der Bezugsbauweisen zur Dimensionierung von Asphaltstrassen,” 2016. [13] FGSV, Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen: RStO 12. Köln: FGSV Verlag GmbH, 2012. [14] FGSV, Merkblatt für Kaltrecycling in situ im Straßenbau - M KRC. Köln: FGSV-Verlag, 2005. [15] Afnor, NF P98-086 - Dimensionnement structurel des chaussées routières. La Plaine Saint-Denis Cedex: AFNOR, 2011. [16] SETRA-LCPC, “Catalogue des structures types de chaussées neuves,” 1998. [17] D. Merrill, M. Nunn, and I. Carswell, “A guide to the use and specification of cold recycled materials for the maintenance of road pavements: TRL Report TRL 611,” Department of Transport, London TRL 611, 2004. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 99 Thermische Reinigung von teerhaltigem Straßenaufbruch Dipl.-Ing. David Heijkoop Recycling Kombinatie REKO B.V., Direktor Vondelingenplaat 17, 3196 KL Rotterdam, Niederlande Tel.: +31 10 4724080, E-Mail: david.heijkoop@rekobv.eu Über das Unternehmen REKO Recycling Kombinatie REKO B.V. (Reko) ist ein Unternehmen in die Niederlande mit etwa 120 Mitarbeiter und hat das Unternehmungsziel um von einem mineralischen Abfall wieder neue Rohstoffe zu gewinnen (auch „Urban Mining“ genannt) oder „von Abfall bis neue Rohstoffe“. Um dieses Ziel „von Abfall bis Rohrstoffe“ zu erreichen ist in Rotterdam (NL) ein Recyclingstandort entwickelt. Dieser Standort (etwa 28 Hektar) liegt an den zwei größten Flüssen in die Niederlande und hat einen Kai mit einer Länge von 530 Meter. Dadurch können sowohl Seeschiffe als auch Binnenschiffe den Standort gut erreichen. Aufgrund dieses großes Kais ist die Recyclinganlage aus Länder wie Deutschland, Österreich, Frankreich, Belgien, Dänemark und England über Fluss oder Meer gut erreichbar. Abbildung 1: Recycling Standort im Hafen von Rotterdam 100 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Thermische Reinigung von teerhaltigem Straßenaufbruch Teerhaltigem Asphalt Granulat (TAG) Reinigung In den Niederlanden kommt bei der Rekonstruktion des Straßenverkehrsnetzes etwa 1,1 Millionen Tonnen teerhaltige Straßenaufbruch frei. Bis 2001 wird diese teer- / pechhaltiger Straßenaufbruch hauptsächlich als ein gebundene Tragschicht (mit Zement) im Straßenbau wieder verwendet. Das Problem um teerhaltigen Straßenaufbruch wieder einzubauen ist das die krebserzeugenden Schadstoffe des Teers verbleiben im Materialkreislauf. Am Ende des Lebensdauer von einer Autobahn kommt das teerhaltige Material wieder frei. Das heißt, nach etwa 15 bis 20 Jahre (nach Ende des Lebensdauer einer Autobahn) kommt das Material wieder frei und verursacht wieder ökologische Risiken und Risiken für die öffentliche Gesundheit. Und die kontaminierten Mengen sind dann sogar mit etwa 15 Prozent gestiegen, weil normalerweise Zement zugegeben wird mit einbauen von das teerhaltige Straßenaufbruch und mehr ausgegraben wird, um sicher zu sein, dass alles was in der Vergangenheit wieder eingebaut war weggenommen wird. Auf dieser Grund hat die niederländische Regierung gesagt das teerhaltigen Asphalt definitiv aus „der Kette“ genommen werden musste. Weil in den Niederlanden eine Deponieverbot ist für mineralische Abfällen war ab 2001 thermische Reinigung (in einer Anlage wobei die Kohlenteerpech verbrennt wird) die einzige Verwertungsmöglichkeit für teerhaltigen Straßenaufbruch. Infolge dieser klaren politischen Änderung durch die niederländische Regierung haben verschiedene Unternehmen in den Niederlanden ein Reinigungsanlage entwickelt. Auch in Rotterdam ist in 2006 ein spezielles für teerhaltigen Straßenaufbruch entwickelte thermische Reinigungsanlage in Betrieb genommen. In diese Anlage wird das teer verbrennt und bleibt der mineralische Anteil (Sand/ Kies/ Füller). Nach der Reinigung werden diese hochwertige Sekundärbaustoffe verwendet als Rohstoff in Asphalt- oder Betonmischwerken (100 % Recycling). Die bei der Verbrennung freiwerdende Wärme wird mit einem Dampfkessel und Turbine umgesetzt in Strom. Holländische Situation Die Niederlande hat eine besondere geologische Situation und Urbanisation. Es gibt kein natürliches Gestein im Niederländischen Boden. Ein Drittel von den Niederlanden ist ein Polder (unter dem Meeresspiegel) und hat ein Torf/ Schlammboden wo man kein Sand und Kies gewinnen kann. Nur im Osten der Niederlande befindet sich eine geringe Menge Sand/ Kies im Boden aber wegen der hohen Bevölkerungsdichte gibt es in diese Region nur bedingt Möglichkeiten um Sand oder Kies zu gewinnen. Durch das gegeben das in die Niederlande keine Rohstoffe im Boden gibt und auch wenig Möglichkeiten gibt um diese zu gewinnen, ist den Niederlanden gezwungen, jedes Jahr, etwa 25 Millionen Tonnen Primärrohstoffe, wie Sand und Kies, zu importieren. Der Sand und Kies kommt aus Deutschland, Belgien, Norwegen und Irland. Die Gewinnung von Primärrohstoffen verursacht jedoch Schäden an Natur und Umwelt und wird in der Zukunft zu einem Mangel an Primärbaustoffen zur Folge haben. Wegen dieser besonderen Situation hat die Regierungspolitik in den Niederlanden Recycling von mineralische Abfälle höchste Priorität gegeben. Dies hat zum Beispiel resultiert zu einem Deponieverbot für mineralischen Abfällen und Vorschriften für die Verwendung von Sekundärprodukten ohne Probleme für die Umwelt. Die Regierungspolitik in den Niederlanden ist somit auch darauf ausgerichtet, so viel wie möglich vergleichbare Recyclingbaustoffen aus mineralischen Abfällen zu verwenden. Besonders in den Niederlanden werden daher seit viele Jahren (ab 1990) mineralische Abfälle zu neuem RC-granulat recycelt. Zum Beispiel wird im Straßenbau normalerweise für Trag- oder Frostschicht immer sekundär Granulat und kein Naturstein verwendet. Im Moment wird in den Niederlanden etwa 99 Prozent aller Abbruchabfälle recycelt. Allgemeine Reinigungsprinzip von eine thermische Reinigungsanlage Das teerhaltige Asphalt wird zunächst in die richtige Größe gebrochen. Danach wird er in einem Ofen gereinigt. Bei einer Temperatur von ca. 850 bis 1.000 Grad Celsius verbrennen die organischen Verunreinigungen; neben PAK auch Öl, PCB und Aromaten. Das übrig bleibende mineralische Material (Öko-Sand und das übrig bleibende Öko-Granulat) werden in einer Kühler abgekühlt, in der richtigen Größe gesiebt und sind dann geeignet für die Verarbeitung in neuem Asphalt oder Beton. Die sehr heiße Rauchgase werden anschließend durch einen Abgaskessel geleitet, wo sie sich abkühlen. In diesem Kessel wird Dampf produziert. Dieser Dampf wird durch eine Dampfturbine geleitet der einen Generator zur Stromproduktion antreibt. Dieser Generator produziert etwa 5 MW Strom in einer Stunde. Genügend Strom, um etwa 9.000 Familien mit Strom zu versorgen. Nach dem Abkühlen der Rauchgase werden diese Rauchgase entstaubt durch zwei hintereinander geschaltete Gewebefiltern. In diesen Filtern wird der Staub abgetrennt und in einem Silo gelagert. Dieses Staub (auch Öko-Füllstoffe genannt) wird geliefert an der Beton- oder Asphaltindustrie. Nach diesen Entstaubungsfiltern werden die Rauchgase durch eine katalytische DeNOx-Anlage geleitet. Das Stickstoffoxid in den Rauchgase wird mittels dieser Anlage in unschädlichen Stickstoff und Sauerstoff umgewandelt. Nach dieser DeNOx Anlage werden den Rauchgase in einem DeSOx Anlage (Gaswäscher) behandelt, weil den Rauchgase schwer belastet sind mit Schwefeloxid. Diese Schwefeloxid entsteht durch die Verbrennung von 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 101 Thermische Reinigung von teerhaltigem Straßenaufbruch Schwefel was in hoher Konzentration vorhanden ist in Teer. Durch Waschen der Gase mit Wasser, in dem sich Kalk löst, wandelt sich Schwefeloxid, über eine chemische Reaktion, in Gips. Dieser Gips wird in einer Presse von der vorhandenen Feuchtigkeit befreit, wonach sich dieser für hochwertige Anwendungen in verschiedenen Bauprodukten eignet. Aus dem Schornstein wird dann nur noch Wasserdampf in die Luft geblasen und es bleibe keinerlei Abfälle mehr übrig. Einhundert Prozent Recycling. Abbildung 2: Prinzip der thermische Reinigung Abbildung 3: Flussdiagramm der thermische Reinigung 102 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Thermische Reinigung von teerhaltigem Straßenaufbruch Weitere Entwicklung von thermischer Reinigung in Europa Weil es in den Niederlanden immer noch große Nachfrage gibt nach Sand und Kies für die Bauwirtschaft ist in Rotterdam ab 2012 angefangen zu untersuchen ob es Möglichkeiten gibt teerhaltige Asphalt aus dem Ausland zu importieren für thermische Reinigung, wobei neue Rohstoffe aus Abfälle gewonnen werden können. Nach einer Untersuchung konnte man feststellen das auch im Ausland (Deutschland, Belgien, Frankreich, Österreich, Die Schweiz) viel teerhaltigen Straßenaufbruch gibt. (Deutschland etwa 4 mio ton pro Jahr). Für den Größten Teil wird das Material meistens auf Deponien transportiert. Wenn die Anlage in Rotterdam das teerhaltigen Straßenaufbruch importiert, wird im Ausland Deponieraum verschont und braucht man für die Niederländische Bauindustrie weniger Sand oder Kies ab zu graben und wird Natursteingrübe langsamer abgebaut. Abbildung 4: Lineare und Zirkulare Recycling Seit 2018 ist die Markt für die thermische Reinigung von teerhaltigen Straßenaufbruch so groß das man auf die Anlage in Rotterdam angefangen hat mit dem Bau von ein zweiter thermischen Reinigungsanlage mit einem Investitionsvolumen von etwa 125 Millionen Euro. Diese neue Anlage wird die „Reko II“ Anlage genannt und ist in September 2020 in Betrieb genommen. Mit dieser neue Anlage ist es möglich sehr effizient teerhaltigen Straßenaufbruch zu reinigen und in neue Rohstoffe um zu setzen mit einer Energieeffizienz von 400 %. Das meinst das neben diese neue Rohstoffe 400 % mehr Energie erhalten wird dann was am Gas in diese Anlage eingeführt ist. Mit dieser neue Anlage kann man in Rotterdam daher sehr effizient neue Rohstoffe und Energie produzieren für ein “Circular Economy“. Abbildung 5: Neue Reinigungsanlage (REKO II) BIM in der Ausführung 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 105 BIM im kommunalen Verkehrswege- und Tiefbau (BIM K-VTB) Rainer Schrode MTS Schrode AG, 72534 Hayingen, Deutschland Zusammenfassung „Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll.“Georg Christoph Lichtenberg Ob und wie modellbasiertes Bauen (BIM) unter realen Einsatzbedingungen im Tiefbau funktionieren kann, war die Ausgangsfrage, die die MTS Schrode AG dazu veranlasste, Deutschlands erste Modellbaustelle für „BIM im kommunalen Verkehrswege und Tiefbau (K-VTB)“ im Schwäbischen Erbstetten zu installieren. Zentraler Leitgedanke dabei war es, Bauunternehmer, Auftraggeber und Planer, aber auch die Gremien und Institutionen an einen Tisch zu bringen, um bereits umsetzbare Möglichkeiten auszuloten und nötige Vorgaben für die Zukunft modellbasierten Bauens gemeinsam zu definieren. Um die gewonnenen Erkenntnisse einem breiten Fachpublikum vorzustellen, installierte MTS im Folgejahr einen aufwändig gestalteten BIM-Parcours auf dem firmeneigenen Demonstrationsgelände. Rund 300 geladene Führungs- und Fachkräfte sowie Planer und Auftraggebervertreter rotierten in moderierten Kleingruppen entlang der insgesamt 13 Parcours-Stationen, die das ‚Big Picture‘ der BIM-Idee auf seine wichtigsten Puzzlesteine runterbrachen. Die im Rahmen dieser beiden Projekte erworbenen Erkenntnisse und Erfahrung sind zentraler Inhalt dieses Fachbeitrags. 1. Einführung 1.1 Wofür steht BIM? BIM ist aller Munde, doch nach wie vor wissen viele nicht, welche Leitidee mit den drei Buchstaben verbunden sind. Ausgeschrieben steht das Kürzel BIM für ‚Building Information Modeling‘, was sich am einfachsten mit ‚modellbasiertem Bauen‘ übersetzen lässt. In der Umsetzung bedeutet das: Das zu erstellende Bauwerk wird erst digital in 3D (dreidimensional, sprich in Lage und Höhe) geplant und virtuell im Maßstab 1: 1 errichtet und erst dann real. Der Vorteil: Gebaut wird nicht nach einer vage definierten Vorstellung des Bauherren, sondern nach einem gemeinsam entwickelten und getesteten Modell, auf das alle gleichermaßen Zugriff haben. So ergibt sich schon bei der Planung eine Kollisionsprüfung und Fehler können bereits vor dem Bau korrigiert werden. Darüber hinaus umfasst BIM den gesamten Lebens-zyklus eines Bauwerks. Sprich: Bauunternehmer und Planer liefern dem Bauherrn nicht mehr nur ein Bauwerk, sondern auch sämtliche Informationen, die für Bewirtschaftung und/ oder Rückbau desselben notwendig sind. Damit bringt BIM auf der einen Seite zwar einen zusätzlichen Aufwand für die Planung mit sich, im Rückkehrschluss aber auch eine enorme Prozess- und Kostensicherheit für die Bauherren. 1.2 Wie weit ist die Umsetzung gediehen? Die Realität der Bauwirtschaft ist von diesem Ziel noch weit entfernt, denn hier wird nach wie vor nicht leistungssondern nachtragsorientiert gearbeitet. Sprich: Der Bauunternehmer muss durch mangelnde Planung verursachte Verluste über ein Nachtrags-management ausgleichen und der Auftraggeber die „Zeche“ dafür zahlen (im Schnitt rund 60 Prozent Mehrkosten). Und bei kommunalen Projekten wie dem Berliner Flughafen zahlt dann letztlich der Steuerzahler das drauf, was im Zuge einer ordnungsgemäßen Planung hätte verhindert werden können. Kein Wunder also, dass sich viele Bauunternehmer und Auftraggeber vorm Umsatteln scheuen - auch aus Liebe zur Gewohnheit und aus Angst vor dem Aufwand, der mit jeder Veränderung verbunden ist. Währenddessen fragen die Planer zu Recht, wer ihnen den Mehraufwand für eine modellbasierte Planung entlohnt. Denn noch gibt es für diese Honorierung keine rechtsverbindliche Regelung, obwohl der Aufwand fürs digitale Planen im Zuge des modellbasierten Bauens nicht neu entsteht, sondern einfach von der Bauausführung in die Planung verlegt wird. Diese strukturelle Vorgabe ist einer der maßgeblichen Gründe, weshalb der Tiefbau dem Hochbau beim Thema BIM so sehr hinterher hinkt. Denn im Gegensatz zum Hochbau wird der Tiefbau von Auftraggeberseite voran- 106 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 BIM im kommunalen Verkehrswege- und Tiefbau (BIM K-VTB) getrieben, da die Bauherren hier meist privat sind und sich den finanziellen Vorteil modellbasierten Bauens so ins eigene Portemonnaie wirtschaften können. Expertenzirkel konnten diese Zusammenhänge bislang allenfalls thematisieren. Verändern lassen sie sich nur durch konkrete Pilot-Projekte wie die hier beschriebene Modellbaustelle: Denn nur diese zeigen auf, wie und unter welchen Voraussetzungen sich BIM schon heute konkret umsetzen lässt - nicht auf der grünen Wiese, sondern auf realen Modellbaustellen. 2. Das Projekt “Modellbaustelle” 2.1 Vorgeschichte und Profil Die Suche nach einer geeigneten Modellbaustelle verlief beschwerlich. MTS-Vorstandsvorsitzender Rainer Schrode fragte zunächst beim Bund an, erhielt hier jedoch nur Hinweise auf Brücken- und Tunnelprojekte, die mit den Belangen kommunalen Verkehrswege- und Tiefbaus nichts zu tun haben. So wandte er sich mit seinem Gesuch an Bürgermeister und Planer und stieß auf viele offene Ohren. Die Ausschreibung scheiterte trotz Kosten- und Terminvorteil jedoch immer wieder an dem Vorwurf der Wettbewerbsverzerrung; man würde Bieter ausschließen, die nicht in der Lage waren, so eine Ausschreibung und Ausführung umzusetzen. Nach über dreijähriger Suche hatte Schrode Anfang schließlich alles beisammen, was er brauchte: Eine Baustelle mit genügend komplexen Anforderungen, um BIM auf Herz und Nieren zu prüfen (bei der Sanierung sollten alle Kanäle und Straßen im Bestand komplett erneuert werden). Im Rücken sein eigenes Tiefbauunternehmen, das alle technischen und fachlichen Voraussetzungen für die 3D-Bauausführung erfüllt. Dazu ein Planungsbüro, das motiviert und in der Lage war, im Vorfeld eine akribische 3D-Planung umzusetzen. Und eine Stadt, die den Vorteil der Prozess- und Kostensicherheit für sich erkannte. Das Modellprojekt: Die Sanierung einer Ortsdurchfahrt im Schwäbischen Erbstetten mit einer Bausumme von ca. 2 Millionen Euro. Ein komplexes Bauvorhaben, bei dem es galt, mitten im Bestand sämtliche Kanäle und Straßen zu erneuern. Denn nur unter solchen Realbedingungen lässt sich ernsthaft prüfen, ob und wie sich ‚BIM im kommunalen Verkehrswege- und Tiefbau (K-VTB) in der Praxis wirklich umsetzen lässt und welche Hürden einem auf dem Weg dorthin begegnen. Und genau diesen Fragen müssen wir uns stellen, wenn wir das Thema BIM von der Möglichkeit zur gelebten Praxis führen wollen. In dem von MTS-Vorstandsvorsitzenden Rainer Schrode gewählten Setting konnte sich das klassischerweise auf Konfrontation ausgerichtete Zusammenspiel der am Bauprozess beteiligten Parteien zu einer sehr partnerschaftlichen Zusammenarbeit wandeln, die trotz aller Beschwerlichkeiten in der Startphase bis zum Ende der Maßnahme für eine große Zufriedenheit auf allen Seiten sorgte. 2.2 Die Idee Im Prinzip ging es MTS darum, auf dieser Modellbaustelle etwas an einem konkreten Beispiel umzusetzen, worüber andernorts in Expertenkreisen sehr abgehoben von der Praxis debattiert wird. Um die gemachten Erfahrungen in die Öffentlichkeit zu tragen und zur Diskussion zu stellen, lud MTS Vertreter aller am Bau-prozess Beteiligten zu einer Exkursion, deren Stationen im Folgenden beschrieben werden. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 107 BIM im kommunalen Verkehrswege- und Tiefbau (BIM K-VTB) 2.3 Die Stationen Zum Auftakt der Exkursion hatte MTS im Rahmen einer Live-Demonstration innovativer Tiefbautechnologie gemeinsam mit dem KI-Experten Robin Popelka den thematischen Bogen von der Kanalerstellung nach 3D bis hin zu den Perspektiven einer Flächendeckenden Verdichtungskontrolle (FDVK) geschlagen. Weiter ging es mit dem CAD-Experten Andreas Ragg und Bereichsleiterin Ulrike Nohlen zu einer multimedial begleiteten Einführung ins Thema 3D-Planung und Datenaufbereitung nach BIM-Vorgaben. An der nächsten Station demonstrierten Baggerfahrer Mustafa Durgan und Stefan Vezonik sowie Anwendungsingenieur Kevin Rau den Teilnehmern auf der Live-Baustelle das Arbeiten nach Digitalem Geländemodell (DGM) am Beispiel der Herstellung eines Erdplanums. Wie sich gemäß BIM dokumentieren und ein Aufmaß erstellen lässt, erklärten Polier Manfred Vöhringer und Bauleiter Michael Reichenecker anhand des BIM-Abwicklungsplans (BAP) den Exkursionsgästen an der nächsten Station im Baucontainer. Sie diskutierten mit den Teilnehmern auch, welche Veränderungen sich im Zuge von BIM für die Mengenermittlung und Abrechnung ergeben. Der BIM-gemäßen Absteckung von Randeinfassungen und dem Aufnehmen von Leitungen und Schächten (As- Built) widmeten sich anschließend Bauleiter Gerd Reimold und Polier Josia Wald. Bestückt mit Rover und ToughPad-Display erhielten die Exkursionsgäste parallel dazu die praktische Einweisung in die konkrete Umsetzung. 108 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 BIM im kommunalen Verkehrswege- und Tiefbau (BIM K-VTB) Über die Perspektiven für Gerätemanagement informierten schließlich Produktmanager Dr. Gerhard Lörcher und Diplom-Geografin Ruth Bantle anhand anschaulicher Praxisbeispiele rund um die smarte Erfassung von Geräten und Kosten Den Schlusspunkt der Exkursion setzten Josef Missel und Andreas Falch über das Thema gemeinsame Datenablage anhand NextCloud mit einer Präsentation von technischen Voraussetzungen und Möglichkeiten. 2.4 Teilnehmer-Statements Dipl.-Ing. Dirk Münzner Geschäftsführender Gesellschafter, BIM-Cluster BW „Wir beobachten bereits heute einen starken Anstieg der Nachfrage nach Planungsleistungen mit BIM. Innerhalb der Baubranche bauen viele Firmen Kapazitäten und Knowhow auf, um diese Planungen dann auch umsetzen zu können.“ Hartmut Gündra Clustermanager, GeoNet.MRN e.V. Heidelberg „Die Baubranche scheint mir in vielen Fällen deutlich besser vorbereitet zu sein, als die Verwaltung und die Planer. Wenn es darum geht, Prozessketten zu digitalisieren, müssen alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Hier liegt noch ein langer Digitalisierungsweg vor uns.“ Andreas ErwerleStadtbaumeister, Stadt Ehingen „Noch arbeiten die meisten Planungsbüros konventionell. Verständlich. Denn der im Zuge von BIM in die Planung vorverlegte Aufwand ist über die HOAI bislang nicht abgebildet. Sprich: Öffentliche Auftraggeber fordern eine hochwertige Planung, deren Honorierung vergaberechtlich noch nicht geregelt ist.“ Jürgen Weber Sachgebietsleitung Tiefbau, Stadt Münsingen „Wann soll ich meinen Zaun flicken, wenn ich die ganze Zeit meine Hühner einfangen muss? Der Fachkräftemangel in der Baubranche zwingt uns zum effizienten Einsatz moderner Technologien, auch wenn uns scheinbar die Zeit hierfür fehlt.“ Dr. Stefan Engelhard Bereichsleiter Innovation/ Umwelt, IHK Reutlingen „Gespräche mit der öffentlichen Auftraggeberseite, auf der Modellbaustelle und auch davor, zeigen mir, dass die Potenziale zunehmend erkannt werden, die BIM mit sich bringt. Bis BIM allerdings auch von der letzten Kommune tatsächlich in einer zielführenden Form umgesetzt werden wird, ist sicher noch ein langer Weg zu gehen.“ 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 109 BIM im kommunalen Verkehrswege- und Tiefbau (BIM K-VTB) 2.5 Zwischenresümee Es ist höchste Zeit, virtuelle BIM-Denkgebäude auf ihre Umsetzbarkeit im Bestand zu prüfen und auch der Politik gegenüber aufzuzeigen, wo es noch klemmt. So stellte sich beispielsweise heraus, dass die HOAI (Honorarordnung für Architekten und Ingenieure) an BIM angepasst werden sollte, da hier aktuell noch keinerlei Honorierung des deutlich erhöhten Planungsaufwands von modellbasierten Bauen vorgesehen ist. Dabei entsteht der Aufwand nicht neu, sondern wird einfach in die Planung vorverlegt. Auch müssen die zuständige Rechnungsprüfungstellen mit ins Boot genommen werden. Digital in 3D prüfen ist viel einfacher, jedoch fehlt es oftmals an den notwendigen technischen Voraussetzungen und das Personal ist nicht ausreichend geschult. Die Forderung derzeit lautet daher: Digital in 3D zu planen, zu bauen und abzurechnen und keinesfalls für die Abrechnung analog in nicht georeferenzierten Papierplänen und Aufmaßzetteln zu arbeiten. Denn das würden dem BIM-Grundgedanken widersprechen und einen völlig unnötigen Aufwand mit sich bringen. Im Prinzip geht es also eigentlich vor allem darum, alle am Bauprozess Beteiligten an einen gemeinsamen Tisch zu bekommen. Denn Zukunft lässt sich - auch im kommunalen Verkehrswege- und Tiefbau - nur gemeinsam gestalten. 3. Das Projekt “BIM-Parcours” Um die auf der Modellbaustelle gewonnenen Erfahrungen umzusetzen und einem breiten Fachpublikum zugänglich zu machen, entschied MTS sich zur Installation einer Leistungsschau mit BIM-Parcours auf dem Demonstrationsgelände des Hauptstandorts im Schwäbischen Hayingen. 3.1 Die Idee Wie jede Veränderung erfordert auch die Digitalisierung ein Umdenken, das auf Ängste, Vorbehalte und Widerstände stößt, die man nur auflösen kann, indem man jeden Einzelnen genau hier abholt. Digitalisierung fängt immer im Kopf an und der wichtigste Schlüssel für ihre erfolgreiche Umsetzung ist die persönliche Begeisterung aller am Bauprozess Beteiligten. Darum ist es so entscheidend, dass jeder aus dem Big Picture ein eigenes Bild macht. Zentraler Leitgedanke der Idee zum BIM-Parcours war es darum, das auf der Modellbaustelle bereits erprobte ‚Big Picture‘ der BIM-Idee auf seine wichtigsten Puzzlesteine runterzubrechen, verständlich und praxisnah mit Leben zu füllen und für jeden Teilnehmer greifbar zu machen. Die in moderierte Kleingruppen unterteilten Fach- und Führungskräfte rotierten dafür im 20-Minuten-Takt über den BIM-Parcours und erhielten an den insgesamt 110 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 BIM im kommunalen Verkehrswege- und Tiefbau (BIM K-VTB) 13 Stationen ausführlich Gelegenheit, sich ihr eigenes Bild zu machen. 3.2 Der Parcours im Überblick Angefangen wurde bei der Planung und den Auftraggeber-Informations-Anforderungen (AIA), im Rahmen derer Auftraggeber, Bauunternehmer und Planer gemeinsam definieren, was sie für die Planung, den Bau und die Unterhaltung des Bauwerks konkret benötigen und in welcher Tiefe die Informationen für die jeweiligen Anwendungsfälle abzubilden sind. Eine Art gemeinsam erstelltes Lastenheft also. Der Parcours führte weiter vorbei am gemeinsamen Projektraum und dem Bauabwicklungsplan (BAP). Dieser legt fest, wie genau was genau wann genau auf welcher Grundlage umzusetzen und zu dokumentieren ist. Denn beim modelbasierten Bauen gelte es, eine im Laufe des Projektgeschehens immer größer werde Menge an Informationen zu sammeln, zu verwalten und allen Prozessbeteiligten in zielführender Weise zugänglich zu machen. Bei der Umsetzung und der Unterhaltung wird dabei zwischen dem BIM-Autor und dem BIM-User unterschieden. So beispielsweise beim Geräteführer, der beim Aufnehmen von Homogenbereichen oder Infrastrukturleitungen mit seinem Löffel zum BIM-Autor wird. Beim profilgerechten Einbau entlang der Oberflächenkonturen des virtuellen Bauwerkmodells wird er dann jedoch wieder zum BIM-Nutzer. Ebenso wie der Auftragnehmer, der am Ende der Prozesskette das fertige Bauwerk nicht mehr komplett neu aufmessen muss, sondern das Ausführungsmodell als Grundlage für seine Abrechnung nutzen kann und wenn dann nur noch einzelne Lagen und Höhen prüfen muss (As-Built). Die Beispiele lassen sich beliebig fortsetzen: So kann der Geräteführer auch bei der Qualitätssicherung zum BIM- Autor werden, wenn er über das sauber aufeinander abgestimmte Zusammenspiel aus 3D-Baggersteuerung und Anbauverdichter während des Verdichtungsprozesses automatisch Verdichtungsgrad und Tragfähigkeit misst und dokumentiert. Der letzte BIM-Nutzer in diesem Zirkel ist der Auftraggeber, der im Ergebnis nicht mehr nur wie bisher ein Stück Straße oder Infrastruktur erhält, sondern auch ein Bauwerksmodell mit sämtlichen Informationen, also echtes „Datengold“ für den folgenden Zirkel der Bewirtschaftung und Unterhaltung (Asset-Phase) des Bauwerks. Um allen Prozessbeteiligten den mit dem Leistungsschau-Parcours veranschaulichten Weg zu ebnen, entwickelte MTS eine bislang einmalige und in ihrem Grundmodul ‚BIM Basic‘ durch buildingSMART/ VDI zertifizierte Weiterbildung zum ‚BIM-Baustellen-Manager für kommunalen Verkehrswege- und Tiefbau‘, die an der letzten Station vorgestellt wurde. Die darauf aufbauende nebenberufliche Qualifizierungsmaßnahme ‚BIM Professional‘ vermittelt ihren Teilnehmern im Rahmen von 10 Monaten das nötige Expertenwissen, um BIM-Prozesse zu verstehen und im eigenen Unternehmen erfolgreich anleiten und umsetzen zu können. 3.3 Die Stationen im Detail 3.3.1 Digitale Planung & Datenaufbereitung Herzstück der ersten Station war eine von Buchautor Markus Becker lebendig moderierte Podiumsdiskussion, an der Vertreter aller Prozessbeteiligten teilnahmen. Sein Leitgedanke war das Miteinander im Bau: „Ein Team ist keine Gruppe, die zusammenarbeitet, sondern eine Gruppe, die einander vertraut. Wenn wir über bestehende Vorurteile nicht hinwegkommen, brauchen wir über BIM nicht zu reden macht dann keinen Sinn.“ Zu Gast waren der Hayinger Bürgermeister Kevin Dorner, der MTS-Software-Entwickler Dr. Alexander Beetz, Marco Herberger vom Ingenieurbüro Eisele sowie CAD-Spezialist Andreas Ragg, die gemeinsam die zweite Modellbaustelle für kommunalen Verkehrswege- und Tiefbau ins Leben gerufen hatten und über Ihre Erfahrungen in der neuen Form von Zusammenarbeit berichteten. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 111 BIM im kommunalen Verkehrswege- und Tiefbau (BIM K-VTB) 3.3.2 Projektraum und BAP Der Projektraum entspricht dem klassischen Besprechungsraum auf der Baustelle und dient als Schnittstelle für den Austausch aller am Bauprozess Beteiligten. Ein gemeinsam erarbeiteter BIM-Abwicklungs-Plan (BAP) dient als strukturierende Vorlage für alle das Bauvorhaben betreffenden Kommunikationsprozesse. Ein Beispiel dafür ist die gemeinsame Festlegung des Datenworkflows: Dabei wird die konventionelle Datenablage in eigenen lokalen Ordnersystemen durch eine gemeinsame Ablagestruktur in einer Cloud-Lösung abgelöst. Hier können dann beispielsweise Planer ihre Digitalen Geländemodelle ablegen, Geräteführer die Daten für ihre Maschinensteuerung abholen, Poliere ihre Aufmaße hochladen. Sämtliche Daten stehen jederzeit aktuell und mit allen relevanten Informationen zur Einsicht wie zur weiteren Bearbeitung zur Verfügung. Die meisten Teilnehmer waren überrascht, wie flüssig der so definierte Datenworkflow schon heute funktionieren kann und welche Möglichkeiten er beinhaltet: Beispielsweise beim Verschneiden von DGMs oder bei der Weiterverarbeitung von Aufmaßen. 3.3.3 Modellbasierter Grabenaushub, Homogenbereiche, Dokumentation Diese Station erklärte die digitale Bauausführung am Beispiel des Themas Rohrverlegung und Homogenbereiche im BIM-Kontext. Gestartet wurde mit einem modellbasiertem Grabenaushub, bei dem das Modell vom Graben im Bagger-Display als 3D-Linie für den Kanal hinterlegt ist. Die Besonderheit von BIM im Tiefbau ist, dass man dabei nicht einfach planabgeleitet, sondern aktiv mit dem Modell arbeitet. Der Geräteführer ist also nicht mehr nur ‚BIM-User‘, sondern auch ‚BIM-AUTOR‘, wenn er beispielsweise unvorhergesehene Dinge wie eine querende Leitung mit seiner Löffelspitze einmisst und aufnimmt. Sprich: Er nutzt nicht nur Daten, sondern erzeugt selber welche und ergänzt sie im Modell. Sehr anschaulich wird das beispielsweise bei der Aufnahme von Homogenbereichen: Homogenbereiche können im ersten Schritt immer nur eine Annahme darstellen, denn der Baugrundachter hat nur einzelne Bohrpunkte oder Schurfgruben und muss daraus seine Annahmen interpolieren. Die vollstände Baugrund-modellierung lässt sich also erst dann fertigstellen, wenn die Baumaßnahme abgeschlossen ist und der Baggerfahrer die tatsächlichen Homogenbereiche baubegleitend aufgenommen und dokumentiert hat. Seine Dokumentation wird dann die Grundlage für die Abrechnung, die der Bauunternehmer stellen möchte, aber vor allem auch für die spätere Dokumentation, den weiteren Baufortschritt und spätere Bauvorhaben des Auftraggebers. Sprich: Alle am Bauprozess Beteiligten profitieren davon. Nachdem der Graben ausgehoben und die Homogen-bereiche dokumentiert wurden, kann der Geräteführer seine Rohre verlegen. Auf dem BIM-Parcours demonstriert MTS wie diese Arbeit teilautomatisiert erfolgen kann: Ein Rohrschiebeadapter schiebt die Rohre mit begrenzter und einstellbarer Kraft zusammen. Nachdem dem händischen Verdichten des Rohrzwickels erledigt der Geräteführer mittels Universalverdichter die abschließende Verdichtung der Leitungszone. Viele Teilnehmer interessierte, wie der Geräteführer damit zurechtkommt, plötzlich für so viele Dinge Verantwortung zu tragen. Dieser bewertete den Einsatz der neuen Technologien als deutliche Arbeitserleich-terung, da 112 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 BIM im kommunalen Verkehrswege- und Tiefbau (BIM K-VTB) er auf seinem Display immer sämtliche Informationen im Blick hat, nicht mehr auf einen Mann im Graben achten muss und auch flüssig durcharbeiten kann, weil er nicht mehr warten müsse, bis der Vermesser kommt. Letztlich unterliegt die jeweilige Antwort auf diese Frage aber sicher einem Generationsfrage: Wobei anzumerken ist, dass die Affinität zu digitalen Technologien immer höher wird und aus Sicht des Nachwuchses den Arbeitsplatz in der Regel maßgeblich aufwertet. 3.3.4 Profilgerechter Bodeneinbau und Bodenbehandlung Verschwendung beginnt dort, wo gutes Bodenmaterial abtransportiert und ersetzt, statt an Ort und Stelle aufbereitet wird - das gilt insbesondere für Kanal- und Rohrleitungsbaustellen. Entsprechend rentabel sind moderne Bodenaufbereitungsverfahren, die mit den geltenden Richtlinien für den Erd- und Straßenbau (ZTVE-StB) im Einklang stehen - zumal der Austausch von Böden ohnehin dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz widerspricht. Da der Wiedereinbau anstehender Böden in der Regel jedoch an mangelnder Verdichtbarkeit, nicht ausreichender Tragfähigkeit oder zu großen Steineinlagerungen scheitert, gilt es, diese Eigenschaften über bodenaufbereitende Maßnahmen zu optimieren. Im Vordergrund stehen dabei die Reduktion des Wassergehalts und die Strukturverbesserung des Bodens. Das zu diesem Zweck entwickelte effiziente wie kosten- und ressourcenschonende e.p.m- Verfahren wurde an dieser Station vorgestellt. Es arbeitet in erster Linie mit einem bodenspezifischen Bindemittel, das direkt auf der Baustelle in Großsilos oder Big Bags bevorratet, über einen Bindemittelstreuer dosiert auf den Aushub ausgebracht, mittels Boden- Recycler mit dem anstehenden Boden homogenisiert wird, dann zerkleinert oder ausgesiebt und im gleichen Arbeitsgang wieder in den Graben eingebaut wird. Den sekundenschnellen Wechsel der Anbaugeräte direkt vom Bagger aus erlaubt ein vollhydraulisches Schnellwechselsystem. Im Zusammenspiel mit der 3D-Baggersteuerung ergeben sich zusätzliche Möglichkeiten, Effizienz und Wirtschaftlichkeit zu steigern: Zum einen lässt sich der Einbau der korrekten Schüttlagen mittels Schüttlagenassistent über das Display kontrollieren und zum späteren Nachweis digital dokumentieren. Zum anderen erlaubt das Ausführungsmodell dem Geräteführer seinen Baggerlöffel via Satellit und Neigungssensoren entlang des digitalen Geländemodells zu navigieren und den Boden auf Anhieb profilgerecht einzubauen. Beim Abgleich der jeweils aktuellen Soll- und Ist-Position des Baggerlöffels liefert das Gerät präzise Führungsvorgaben und spart so baubegleitende Vermessungsarbeiten sowie zeit- und kosten intensive Nachprofilierungen. 3.3.5 Digitale Dokumentation und 3D-Aufmaß Wie schnell und unkompliziert sich ohne weitere Vorkenntnisse ein einfaches Digitales Geländemodell (DGM) erstellen lässt, wurde am Beispiel der Dokumentation eines Erdplanums unter Beweis gestellt. Dafür nahm der Polier Lage- und Höhe-Punkte mittels Rover auf und erstellte mittels Mausklick eigenhändig das DGM für das zu dokumentierende Bauwerk. Hierbei ist wichtig zu verstehen, dass nach Plan gebaut und gemäß dem BIM-Abwicklungsplan (BAP) die Qualität in 3D geprüft wird. Aufgemessen wird dann in 3D nur noch, was sich tatsächlich ändert oder was bei der Planung nicht feststellbar war. 3.3.6 Bodenverdichtung und Qualitätssicherung (Flächendeckende Verdichtungskontrolle, FDVK) Bei dieser Station wurden bestehende und künftige Möglichkeiten der Qualitätssicherung am Beispiel der Verdichtungstechnologie aufgezeigt, die sich im Zuge der Implementierung hochkomplexer Sensortechnologie und Künstlicher Intelligenz ergeben. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 113 BIM im kommunalen Verkehrswege- und Tiefbau (BIM K-VTB) Bereits umgesetzt sind diverse Assistenzsysteme für den Geräteführer. Angefangen bei der Frequenzkontrolle, die dem Geräteführer die aktuelle Drehzahl anzeigt und ihn bei der Auswahl der richtigen Baggersteinstellungen unterstützt. Beim Andrücken des Anbauverdichters symbolisieren Pfeile im nächsten Schritt die Auflastempfehlung für den aktuellen Verdichtungsvorgang. Lässt sich der Boden schließlich nicht weiter verdichten, meldet die Verdichtungsendeanzeige das Ende der Verdichtbarkeit und hilft, Verdichtungsvorgänge nicht zu früh abzubrechen, aber auch nicht länger als notwendig auszudehnen. Entsprechend der gewählten Voreinstellung (Verdichtermodell und Plattenbreite) berechnet der Schüttlagenassistent schließlich eine Schüttlagenempfehlung und visualisiert die Führungsvorgaben durch Pfeile. Sobald dann die optimale Schüttlage erreicht ist, kann der Geräteführer die Protokollierung des weiteren Verdichtungsvorgangs auslösen: Mit einem Klick auf den „Protokoll-Button“ startet der Geräteführer die Protokollierung der für die flächendeckende Verdichtungskontrolle (FDVK) vorgeschriebenen Parameter. Die von ihm im Zuge der Protokollierung erzeugten Ergebnisse erscheinen in Echtzeit auf seinem Display und geben ihm Aufschluss über die Qualität seiner Arbeit. Ein weiterer Vorteil: Die von ihm erzeugten Protokolldaten können dem Auftraggeber später als BIM-gerechter Nachweis sorgfältigen Arbeitens vorgelegt werden Auch für die ferne Zukunft ist die innovative Verdichtungstechnologie bereits gerüstet: Denn schon heute angedacht, Methoden der Künstlichen Intelligenz zu implementieren, um mittels einer Raumfüllende Verdichtungskontrolle (RFVK) nicht mehr nur die Bodensteifigkeit, sondern auch den jeweiligen Verdichtungsgrad ermitteln zu können. 3.3.7 Gerätemanagement und -disposition Thema dieser Station war eine herstellerunabhängige Lösung für die Verwaltung von Geräte- und Maschinenparks. Intelligentes Gerätemanagement nutzt die Vorteile moderner Smartphone- und Servertechnik zur schnellen Datenübertragung und Aktualisierung aller beteiligten Systeme. Der Vorteil: Der Informationsfluss wird sinnvoll gelenkt, da alle Vorgänge zentral dokumentiert und von allen Beteiligten abgerufen werden können. Dokumente zu einzelnen Geräten (Benutzerhand-bücher) lassen sich bei Bedarf hinterlegen und vor Ort einsehen. Zudem erleichtert innovatives Gerätemanagement auch die Abrechnung von Baustellen sowie die Durchführung von Inventuren, 114 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 BIM im kommunalen Verkehrswege- und Tiefbau (BIM K-VTB) 3.3.8 Ausbildung zum BIM-Baustellen-Manager (BIM-K-VTB) Um kleine und mittlere Bauunternehmen auf die mit BIM einhergehenden Herausforderungen vorzubereiten, startete die MTS-Akademie eine neue Ausbildung zum „BIM-Baustellen-Manager für kommunalen Verkehrswege- und Tiefbau“. Das zehnmonatige Weiterbildungsangebot war Thema der letzten Station und vermittelt ausgewählten Schlüsselpersonen das für die Umsetzung und Anleitung von BIM-Prozessen nötige Knowhow im Rahmen einer berufsbegleitenden Qualifizierung. Diese richtet sich sowohl an Bauleiter und Poliere als auch an Auftraggeber und Planer. Leitgedanke ist dabei das Neudenken des Bau-prozesses, bei dem die eingesetzte Software nur eine untergeordnete und herstellerunabhängige Rolle spielt. Entsprechend ist das Ausbildungsangebot an keinerlei Systemvoraussetzungen gebunden und setzt neben PC-Grundkenntnissen lediglich Berufserfahrungen im Tief- und Straßenbau sowie Veränderungsbereitschaft voraus 3.4 Fazit Wer am Ende des Leistungsschau-Parcours angekommen war, verstand in der Regel zwei Dinge: Zum einen, dass der kommunale Verkehrswege- und Tiefbau (BIM K-VTB) bereits heute ‚BIM-ready“ ist und zum anderen, dass BIM wenig bis gar nichts mit irgendeiner Software-Lösung zu tun hat, sondern in erster Linie eine völlig neue Form der Baukultur darstellt, bei der das Herzstück das Miteinander, die Kommunikation, der Austausch und die Transparenz zwischen allen Prozessbeteiligten ist. Zentrale Botschaft dieses Beitrags ist demzufolge der Aufruf an jeden Einzelnen, schon heute neue Wege zu wagen. Denn der BIM-Stufenplan rückt näher und wird jeden einholen, der sich damit nicht rechtzeitig auseinandersetze. Das gilt für alle am Bauprozess Beteiligten. Und zwar ganz abgesehen von den vielen wirtschaftlichen Vorteilen im Hinblick auf Terminsicherheit und Effizienz wie auf die gesteigerte Attraktivität von Arbeitsplätzen. Literaturhinweise [1] BIM-Handbuch - Empfehlungen für den digitalen Bauablauf im Tief- & StraßenbauISBN 978-3- 9820814-0-3 [2] Die Wahrheit liegt vor der Baggerschaufel - Wie Infrastrukturprojekte wirklich gelingen Markus Becker & Guido QuelleISBN: 9783752861594 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 115 Dokumentation einer Straßenbaustelle - es muss ja nicht immer BIM sein! Stefan S. Grubinger, Matthias J. Rebhan, Simon Jimenez recordIT GmbH, Graz, Österreich Reinhard Hinrichs, Michael Rappold Amt der Steiermärkischen Landesregierung, A16 Straßeninfrastruktur - Sonderprojekte, Graz, Österreich Zusammenfassung Um eine Entlastung der Anrainer und Autofahrer zu ermöglichen, wurden durch das Land Steiermark in den letzten Jahren eine Vielzahl an Großprojekten zur Verkehrsberuhigung gestartet und umgesetzt. Eines dieser Projekte ist die Ortsumfahrung Preding - Weiz. Diese wird in drei Teilen hergestellt wird die aktuell oberirdisch durch das Ortsgebiet von Weiz verlaufende B64 durch Nieder- und Unterflurtrassen sowie einige Tunnelabschnitte ersetzen. Der Teil 2 besteht aus drei Niederflurtrassen und zwei Unterflurtrassen, welche in offener Bauweise errichtet werden. Neben den geotechnischen und bautechnischen Anforderungen dieses Bauabschnittes wurde ein Fokus des Landes Steiermark A16 Straßeninfrastruktur Sonderprojekte auch auf die Dokumentation des Baufortschrittes und der Bauleistung gelegt. Gemeinsam mit dem Softwareunternehmen recordIT wurde im Zuge dieses Projektes eine Pilotstudie zur Erfassung von Daten, Informationen und Bildern durchgeführt. Ziel hierbei war es, ab Baubeginn sämtliche Informationen, welche vor Ort aufgenommen und erfasst werden in einer zentralen Datenbank abzulegen und nachhaltig zu verwalten. Diese dient anschließend als Datenablage und kann zu späteren Zeitpunkten, beispielsweise bei Schadensfällen oder im Zuge einer Sanierung und Instandhaltung, erneut als Datengrundlage herangezogen werden. Neben den Möglichkeiten der Datenerfassung wie die Aufnahme von Bildern oder das Einspielen von PDF-Dokumenten wurde im Zuge dieses Pilotprojektes auch eine neue Form der Datensortierung untersucht. Diese beruht dabei auf der Vergabe von Schlagworten, welche den Bildern bzw. Daten bei der Aufnahme zugeordnet werden, woraus eine übersichtliche Sortierung bzw. eine einfachere Wiederauffindung resultiert. Diese Funktion wird zusätzlich zu einer lagerichtigen Verortung des Standortes in Bezug auf die Straßenachse ergänzt. Daraus folgend können hocheffizient und nachvollziehbar Informationen und Daten zu Bauprozessen bzw. Bauabschnitten aufgenommen werden. Weiterführend ist auch die Ausgabe in Form von Berichten möglich oder der Bauwerkserhalter nützt die Informationen in digitaler Form. Ebenso wurde durch diesen Dokumentationsprozess, neben einer Standardisierung für alle Beteiligten, eine Zeitersparnis bei der Berichtserstellung und der Aufbereitung der Baustellendokumentation generiert. 1. Projekt Ortsumfahrung Preding - Weiz Die B64 Rechberg Straße liegt im Herzen der Steiermark nördlich der Landeshauptstadt Graz und stellt neben den beiden Autobahnen A9 und A2 sowie der S35 eine der wichtigsten Verkehrsachsen im Raum Graz Umgebung dar. Sie führt auf einer Länge von 50,5 km von Gleisdorf an der Südautobahn (A2) entlang der Raab und dem Weizbach im Grazer Bergland nach Frohnleiten im Murtal an der Brucker Schnellstraße (S35). Sie verbindet die Bezirkshauptstadt Weiz mit der restlichen Steiermark und hat somit einen erheblichen wirtschaftlichen Beitrag für die Region. Zudem liegt im Einzugsgebiet der B64 noch der Bereich der Weizklamm sowie Teichalm, welche zwei der wichtigsten Naherholungs- und Ausflugsgebiete der Steiermark darstellen. Mit einem durchschnittlichen täglichen Verkehr DTV von mehr als 11.000 KfZ/ 24h handelt es um eine der meistbefahrenen Landesstraßen im Netz des Landes Steiermark. Aktuell führt die Trasse der B64 direkt durch das Stadtgebiet von Weiz, wo es einerseits zu einer Verkehrsbeeinflussung durch Engstellen kommt und zum anderen auch eine unnötige Einschränkung der Lebensqualität für die Einwohner*Innen der Stadt Weiz hervorruft. Aus diesem Grund wurde im Jahr 2011 mit der Errichtung einer Ortsumfahrung (vgl. Abb. 1), welche die innerstädtische Verkehrsbelastung reduzieren wird, begonnen. (Amtsblatt Stadt Weiz) 116 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Dokumentation einer Straßenbaustelle - es muss ja nicht immer BIM sein! Abb. 1: Gesamtübersicht des Projektes Ortsumfahrung Preding - Weiz (www.ortsdurchfahrt.at) Das gesamte Projekt Ortsumfahrung Weiz besteht dabei aus 3 Teilen, welche in Abb. 1 zu erkennen sind. Der 1. Teil beginnt im Bereich Preding im Südosten von Weiz, wo die Trasse der B64 als Zulaufstrecke für die geplante neue Trassenlage vorbereitet wurde. Dieser Teil wird in Form einer Wanne ausgeführt und schließt im Kreuzungsbereich der B64 mit der B72 an den Teil 2 an. Dieser weist eine Gesamtlänge von ca. 1.200 m auf und besteht aus zwei Hauptbauwerken in Form von Unterflurtrassen mit einer Länge von 425 bzw. 274 m. Diese Bauwerke (vgl. Abb. 2) werden in offener Bauweise hergestellt, wobei neben den Anforderungen an die Herstellung der Baugruben auch eine entsprechende Wasserhaltung erforderlich war. Abb. 2: Übersichtskarte des Teils 2 (www.ortsdurchfahrt.at) Die Fertigstellung des Gesamtprojektes ist für das Frühjahr 2022 geplant. Ab diesem Zeitpunkt soll der gesamte Durchzugs- und Pendlerverkehr nicht mehr wie aktuell durch das Ortsgebiet von Weiz geführt werden, sondern über die neue Trassenlage der B64. Damit sollen neben einer Verkehrsberuhigung des Innenstadtbereiches und der damit einhergehenden Aufwertung und Erhöhung der Lebensqualität auch die Verkehrsbehinderungen auf ein Minimum reduziert werden. 2. Aufgabenstellung an eine Dokumentationssoftware auf der Baustelle Eine der Hauptaufgaben am Bau - neben der technisch und sachlich richtigen Umsetzung des Bauprojektes - ist es auch, das Werk entsprechend zu dokumentieren. Neben der Einhaltung normativer Vorgaben und Vertragsbedingungen, dient die Dokumentation auch der Aufzeichnung des Baufortschrittes bzw. der Erfassung von Mängeln, Schäden und anderen Ereignissen. Aufgrund dieser Anforderungen ist in Bezug auf eine Dokumentationssoftware eine einfache Handhabung sowie eine anpassbare Funktionsweise erforderlich. Die einfache Handhabung kann bei Softwarelösungen durch eine intuitive und auf die Anwender abgestimmte Oberfläche erreicht werden. Auf diese Themenstellung wird in Kapitel 4.1 dieses Beitrages vertieft eingegangen. Um eine möglichst große Bandbreite der Funktionalität sicherzustellen ist es vorteilhaft, die Anwender sowie deren Anforderungen zu kennen, und darauf aufbauend die Erfordernisse an eine Software definieren zu können. Vor allem im Bereich des Berichtswesens und des Exportes von Dokumenten (vgl. Kapitel 4.3) können hier erhebliche Nutzungseinschränkungen bestehen, welche bei der Anwendung einer Dokumentationssoftware behindern bzw. die Nutzerzufriedenheit beeinflussen. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 117 Dokumentation einer Straßenbaustelle - es muss ja nicht immer BIM sein! 2.1 Besondere Anforderungen einer Linienbaustelle Hochbaubaustellen wie die Errichtung einer Wohnanlage oder der Bau einer Industriehalle sind generell durch eine vertikale Bauweise gekennzeichnet. Wie Abb. 3 oben zeigt, wird im Regelfall mit der Herstellung der Gründung bzw. in diesem Fall der unterirdischen Geschosse begonnen, ehe darauffolgend nach oben gebaut wird. Damit verbunden ist eine dreidimensionale, nach oben zunehmende Ausrichtung der Bauprozesse. Beispiel hierfür ist die Position der vertikalen Tragwerksbauteile zur Lastableitung, welche im Fall eine Hochbaues im Allgemeinen in jedem Geschoss ähnlich ist. Daraus resultiert, dass diese Tatsache bei einer Dokumentation berücksichtigt werden muss. Im Regelfall wird hierzu die Anzahl der Geschosse als Abgrenzung verwendet, und Bilder werden nicht nur der Lage im Grundriss sondern auch dem entsprechenden Geschoss zugeordnet. Abb. 3: Oben: Übersichtsbild einer Baugrube (Hochbau); Unten: Übersicht einer Linienbaustelle Im Gegensatz hierzu zeichnen sich Linienbaustellen, wie in Abb. 3 unten zu erkennen, durch eine einer Linie oder Trasse folgenden Ausdehnung aus. Daraus resultiert, dass die obigen Einschränkungen einer Hochbaustelle durch das Errichten von unten nach oben auf eine Ebene projiziert werden müssen. Im Falle der in Abb. 3 unten gezeigten Errichtung einer Straßentrasse ist es somit möglich, in Bereichen der Baustelle Belagsarbeiten durchzuführen, während in anderen Bereichen der Baustelle noch an der Herstellung des Einschnittes und der Böschungssicherungen gearbeitet wird. Während bei Hochbaubaustellen das Geschoss als Hauptebene der Bildsortierung verwendet werden kann ist es bei Linienbaustellen sinnvoll die Trassierung als zusätzliche Bildinformation zu speichern und diese auch für Sortierungs-, Ablage- oder Dokumentationsinhalte zu verwenden. Aus den obigen Ausführungen wird ersichtlich, dass große Unterschiede zwischen einer klassischen Hochbaubaustelle und einer Linienbaustelle vorhanden sind. Diese sind nicht nur bei der Bauherstellung - speziell der Bauzeitplanung und der Koordinierung - zu beachten, sondern auch bei der Verwendung von Softwarelösungen für die Dokumentation und das Berichtswesen. 2.2 Anforderungen seitens des Landes Steiermark Seitens des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung, welche das Projekt der Ortsumfahrung Weiz als Bauherr und späterer Betreiber umsetzt, wurden im Zuge der Projektplanung die Anforderungen an eine zentral verwaltete Fotodokumentation definiert. Diese sollte dabei über die gesamte Bauzeit von rund 3,5 Jahren verwendbar sein und dadurch den gesamten Bauprozess vom ersten Spatenstich bis zur Fertigstellung abdecken. Ein Hauptaugenmerk neben der technischen Umsetzung dieses Projektes war dabei eine einfache und intuitive Handhabung, um von den Anwendern vor Ort eine größtmögliche Akzeptanz zu erhalten und damit eine lückenlose und umfassende Anwendung der Dokumentationssoftware sicherzustellen. Eine weitere Anforderung an eine Dokumentationssoftware war ein einfaches Auffinden der dokumentierten Inhalte. Aus anderen, durch das Amt der Steiermärkischen Landesregierung bereits erfolgreich umgesetzten Bauprojekten, wurde von ca. 35.000 Bildern über die gesamte Projektlaufzeit ausgegangen. 3. Verwendung der Software recordIT Um die in Kapitel 2.2 angeführte Anzahl an Bildern verwalten zu können aber auch schnell auffinden zu können wurde auf die Softwarelösung recordIT (www.recordIT. at) zurückgegriffen. Nachfolgend wird kurz erklärt, wie diese aufgebaut ist, bzw. wie der Einsatz bei diesem Projekt stattfand. recordIT ist als universell verwendbares Tool für eine zeitsparende Berichterstellung konzipiert. Baustellen und Berichte können je nach firmenspezifischem Bedarf aufgelistet werden und sind durch eine individuelle Sortierung (z.B. nach Entfernung zum Anwender) schnell auffindbar. Die Hauptverwendung bei diesem Projekt war die direkte und einfache Ablage von Bildern mit Verschlagwortung und automatischer Vermarkung auf dem auf der Basemap © lagerichtig verlinkten Objektplan. Diese Bilder konnten in weiterer Folge durch Filterung nach Aufnahmezeitraum, Schlagwort oder den GPS-Koor- 118 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Dokumentation einer Straßenbaustelle - es muss ja nicht immer BIM sein! dinaten gesucht und sortiert werden. Beispielsweise ist es somit möglich, alle Bilder auszugeben, die zwischen März und April 2018 aufgenommen wurden. Zusätzlich kann die Suchfunktion verfeinert werden, indem nur jene Bilder ausgeben werden, welche 100 m von einem spezifischen Punkt (auf der Karte bzw. dem Objektplan) aufgenommen wurden und das Schlagwort „Entwässerung“ beinhalten. Die zweite Verwendung ist die Erstellung von Berichten. Bei der Verwendung dieses Modules werden Vorlagen (vergleichbar mit analogen Leerformularen) mit den gewünschten Bildern und Informationen befüllt und die Berichterstellung ist abgeschlossen. Die Bearbeitung des Berichts im Büro ist möglich, kann aber auch bereits vor Ort durchgeführt werden. Der Workflow von recordIT ist in nachfolgender Abb. 4 dargestellt. Abb. 4: Workflow der Softwarelösung recordIT Aus der obigen Beschreibung des Workflows lässt sich erkennen, dass diese für die Erstellung von Fotodokumentation und der daraus folgenden Ableitungen von Berichten maßgeschneidert ist. In den nachfolgenden Kapiteln werden noch einige Besonderheiten, welche auch mit dem in Kapitel 1 angeführten Projekt in Zusammenhang stehen, beschrieben. Diese beziehen sich auf die Bereiche der Fotodokumentation und des Berichtswesens sowie ein spezielles Modul, welches die Anforderung einer Linienbaustelle abdeckt. 3.1 Fotodokumentation Wie die Ausführung zum Workflow von recordIT zeigt, ist es unter Anwendung von Softwarelösungen möglich, schnell und schematisiert Bilder, Informationen und Daten vor Ort zu erfassen und diese Inhalte ohne Informationsverlust in einen Bericht einzufügen. Vor der Anwendung von Softwarelösungen gestaltete sich die Erstellung von Berichten und vor allem von Fotodokumentationen als sehr zeitaufwändig und auch fehleranfällig. Maßgeblich sind hierfür zwei Punkte verantwortlich. Einerseits ist, auf Grund der Aufnahme vor Ort und der Berichterstellung ein zeitlicher Unterschied gegeben. Daraus resultierend wird mit der Erstellung der Bericht erst nach Erfassung sämtlicher Informationen begonnen. Daraus folgend lässt sich erkennen, dass ein gewisser Informationsverlust unweigerlich stattfindet. Bei Fotodokumentationen ist dies oftmals die Zuordnung der Inhalt und Bilder zu ihrer Lage am Objekt. Bei der lagerichtigen Zuordnung der Bilder wird es im Regelfall ab einer gewissen Anzahl an Bildern schwierig, den Überblick zu behalten und diese Informationen in Plänen oder anderen Unterlagen festzuhalten. Dies verstärkt sich durch die Tatsache, dass oftmals ähnliche Bauteile (z.B. Stützenreihe) auftreten. Daraus folgend können Bilder im Nachhinein lediglich falsch oder nicht mehr eindeutig zugeordnet werden, worunter nicht nur die technische Richtigkeit der Fotodokumentation leidet, sondern auch eine gewisse Unsicherheit für das Personal gegeben ist. Andererseits findet bei einer analogen Vorgehensweise mit Plan, Skizzenblock und Kamera die Vermarkung der Bilder und auch die Erfassung von Informationen an unterschiedlichen Orten statt. Maße oder Längen werden im Regelfall auf den Planunterlagen erfasst, wohingegen textlichen oder inhaltliche Informationen zu den Bildinhalten auf einem Skizzenblock erfasst werden. Daraus folgend resultiert, dass im Zuge der Berichterstellung die Inhalte mehrerer Quellen zu einem Gesamtdokument zusammengefasst werden müssen, woraus ebenfalls ein gewisses Fehlerpotential und eine Fehleranfälligkeit resultiert. Die beiden oben angeführten Schwachstellen bei einer klassischen, analogen Dokumentation können durch die Anwendung einer entsprechenden Softwarelösung abgemindert und in manchen Bereichen auch beseitigt werden. Beispielsweise kann mit der in diesem Beitrag angeführten Softwarelösung eine eindeutige Zuteilung und Vermarkung (vgl. Kapitel 3.2) der Bilder und der Bildinhalte vorgenommen werden. So können für Linienbaustellen etwa spezielle Bezüge zum Lage- und Objektplan aber auch zur Kilometrierung (Straße) oder Hektometrierung (Schiene) vorgenommen werden, um eine eindeutige Lagekennzeichnung zu ermöglichen. Weiters wird den Anwendern auch die Möglichkeit gegeben, Informationen und Abfragen direkt im Zuge der Bilderfassung zu einem aufgenommenen Bild anzuführen. Dies stellt sicher, dass diese Informationen zum Zeitpunkt der Erfassung bereits in den Bericht eingepflegt werden. Der zuvor angeführte Punkt eines möglichen Informationsverlustes kann somit weitgehend ausgeschlossen werden. 3.2 recordIT via recordIT via stellt eine Erweiterung des oben angeführten Workflows zur Erstellung von Berichten und Fotodokumentation bei Linienbaustellen dar. Die Vorteile hierbei sind, dass beispielsweise die in Kapitel 3.1 angeführte Vermarkung von Bildern automatisiert durchgeführt wird, bzw. im Bedarfsfall entsprechend angepasst werden kann. Wie Abb. 5 zeigt, kann sowohl eine Karte - als Auszug aus einem GIS-basierten System wie Basemap © aber auch der Objekt- oder Lageplan des Projektes verwendet werden. Damit ist es möglich, Bilder parallel durch zwei unterschiedliche Vorgehensweisen zuzuordnen. Zum einen kann dies durch die Verwendung des 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 119 Dokumentation einer Straßenbaustelle - es muss ja nicht immer BIM sein! GPS-Sensors des Eingabegerätes (Tablet oder Mobiltelefon) geschehen. Ist die Verortung des Gerätes aktiv, so werden die Längen- und Breitengrade des Gerätestandortes bei der Aufnahme eines Bildes als Metadaten abgelegt und in das System eingepflegt. Zum anderen kann auch eine Vermarkung des Bildes auf dem Objekt- oder Lageplan durch den Anwender oder die Anwenderin vorgenommen werden. Dies geschieht durch einfaches Setzen eines Punktes (Marker) am gewünschten Ort. Durch die Möglichkeit, den Objektplan lagerichtige zu verorten ist somit sichergestellt, dass durch ein einmaliges Referenzieren das Bilder gleichermaßen am Objekt- und Lageplan und auf einer GIS-basierten Karte verortet wurde und somit auch in beiden zur Ansicht oder Auswertung und Weiterbearbeitung verwendet werden kann. Abb. 5: Beispiel der Vermarkung eines Bildes Durch beide Verfahren - sowohl die Vermarkung per GPS als auch das händische Setzen eines Markers - führt dazu, dass das Bild lagerichtig in beiden Dokumenten dargestellt wird. So kann sowohl der Objekt- und Lageplan als auch die Karte als Referenz für den Standort verwendet werden. Dies vereinfacht die Handhabung vor Ort, da durch die GPS-Koordinaten ein eindeutiger Lagebezug gegeben ist und zudem können durch eine händische Erfassung auch Lagefehler (Genauigkeit GPS ca. 1 m) behoben werden oder es kann eine detailliertere Erfassung des Standortes vorgenommen werden. Neben der lagegenauen Erfassung des Bildstandortes wurde in recordIT via auch eine Tag-Funktion zur Verschlagwortung eingebaut. Diese basiert auf einer Datenbank, welche durch den Kunden mit Begriffen bestückt wird. Im Zuge der Aufnahme eines Bildes kann so durch einfache Auswahl des oder der jeweiligen Schlagworte ein Bildinhalt definiert und spezifiziert werden. Darüber hinaus ist dieses System selbstlernend aufgebaut und nimmt zusätzliche, durch die Anwender definierte Bildinhalte, mit in die Datenbank auf und stellt diese bei weiteren Aufnahmen wieder zur Auswahl. Dies ermöglicht einen aktuellen und vollständigen Inhalt der Schlagwörter auf Basis eines selbstlernenden Systems. Abb. 6: Filter- und Suchfunktion basierend auf der Beschlagwortung eines Bildes Neben der einfachen Eingabe und Erfassung von Bildinhalten dienen diese Tags auch der Strukturierung und Sortierung der Dokumentationsinhalte. Mit Ergänzung durch den Bildstandort ist es so beispielswiese möglich, wie in Abb. 6 gezeigt, sämtliche Bilder und Vermarkungen mit dem Tag „Schacht“ in einem Umkreis von 50 m vom aktuellen Standort anzuzeigen. Daraus resultiert für die Anwender, dass diese sich andere, bereits dokumentierte Inhalte zum gleichen Themenbereich anzeigen lassen können, aber auch, dass eine gezielte Suche nach Dokumentationsinhalten entlang der gesamten Baustellentrasse möglich ist. 3.3 Mangelmanagement Neben den oben angeführten Inhalten und Programmfeatures, um eine lückenlose und schlüssige Dokumentation eines Bauprojektes sicherzustellen bietet recordIT auch Lösungen an, um das Mangelmanagement innerhalb der Software zu verwalten. Mit diesem Modul können im Zuge der Fotodokumentation - im gleichen Arbeitsschritt - Aufgaben für unterschiedliche Personenkreise definiert werden. So wird sichergestellt, dass kein Informationsverlust vorliegt und dass Mängel, welche bereits erfasst wurden, auch gleich einer Bearbeitung zugeführt werden. Als Personenkreise können hier sowohl einzelne „physische“ Personen aber auch Firmen oder Auftragnehmer definiert werden. Die Abarbeitung der Mängel findet ebenfalls auf der Oberfläche von recordIT statt. Die im Zuge einer Mangelerfassung angeführten Personen werden verständigt und über das Vorliegen eines Mangels informiert. Nach Behebung des Mangels kann ein Bild oder Kommentar hochgeladen werden, sofern dies vom Verfasser des Mangels geplant ist. Zudem kann abschließend eine Übersicht zu Mängeln erstellt werden. Damit ist eine rasche Übersicht gegeben und diese kann beispielsweise im Zuge der Ab- und Übernahme aber auch der Abrechnung verwendet werden. Vor allem Letzteres stellt dabei einen durchgehenden Informationsfluss dar und verhindert das Mängel im Übernah- 120 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Dokumentation einer Straßenbaustelle - es muss ja nicht immer BIM sein! meprozess übersehen werden, oder diese beispielsweise nicht in der Abrechnung Berücksichtigung finden. 4. Generelle Anforderungen an den Digitalisierungsprozess zur Dokumentation von Baustellen In den beiden vorherigen Kapiteln wurde aufgezeigt, dass große Unterschiede zwischen einer Hochbaubaustelle und einer Linienbaustelle wie beispielsweise der hier vorliegenden Umfahrung, aber auch Tunneln oder anderen Straßenbaustellen, bestehen. Diese Baustellenarten bringen einige besondere Anforderungen mit sich, welche in den Softwarelösungen zur Erfassung der Baustelle berücksichtigt werden müssen. Nachfolgend soll kurz auf generelle Anforderungen aus dem Dokumentationswesen und vor allem die in diesem Bereich stattfindenden Digitalisierungsprozesse eingegangen werden. 4.1 Datenerfassung vor Ort Eine einfache und intuitive Erfassung von Informationen auf der Baustelle bildet die Grundlage für eine Dokumentation da hier der Verlust von Informationen am geringsten ist. Aus diesem Grund gilt es dieser Phase und Tätigkeit die größte Aufmerksamkeit zu schenken. Neben dem zur Verfügung stellen sämtlicher Tools und Funktionen die hierfür benötigt werden, muss auch sichergestellt werden, dass die Handhabung für die Anwender ohne großen Aufwand möglich ist. Nur so kann die Dokumentation in der Qualität durchgeführt werden, wie diese benötigt wird auch im Nachgang Aussagekraft zu besitzen. Darüber hinaus ist festzustellen, dass eine personenübergreifende und somit vollständige Dokumentation eines Bauprojektes nur selten in der Praxis umgesetzt werden kann. Wobei hier eine Zunahme auf Grund der steigenden Verwendung von digitalen Lösungen zu erkennen ist. Durch das zur Verfügung stellen von Plattformen für eine personenübergreifende Dokumentation kommt man zu Lösungen welches sich im Baualltag als praktikabel erweisen und auch Verwendung finden. Gestützt auf den zuvor angeführten Punkten kann davon ausgegangen werden, dass eine nicht ausreichende Dokumentation im Feld nur schwer oder gar nicht in nachfolgenden Phasen egalisiert bzw. beseitigt werden kann. 4.2 Berichterstellung und Export Wie die Ausführung zu den Anforderungen des Digitalisierungsprozesses und auch die in den vorherigen Kapiteln angeführten Inhalte zur Dokumentation von Linienbaustellen zeigen, ist die Verwendung einer Softwarelösung für die Berichtserstellung mit einer Vielzahl an Vorteilen verbunden. Hierzu ist es jedoch in manchen Bereichen erforderlich, bekannte und bisher etablierte Denkweisen und Muster abzulegen bzw. diese in eine digitale Herangehensweise zu transformieren. Einer der Hauptschwächen einer schematisierten und zeitsparenden Dokumentation sind die verwendeten Berichtsvorlagen. Für diese gibt es in den meisten Unternehmen bereits Vorlagen, welche jahrelang in Verwendung waren und damit entsprechend erprobt und auch ausgereift sind. Diese sind im Regelfall jedoch auf eine analoge Erstellung der Berichte - nach der Erfassung der Inhalte vor Ort - ausgelegt. Daher sind oftmals kleinere Anpassungen bzw. Adaptierungen erforderlich, welche die Inhalte der Berichte nicht verändern, sondern in Bezug auf ihre digitale Bearbeitung in einer „vor-Ort-Software“ hin optimieren. Beispielsweise erlaubt die digitale Erfassung, nur die relevanten Checklisteneinträge im finalen Bericht erscheinen zu lassen, anstatt alle möglichen Varianten zu zeigen. Dieser Punkt wird vor allem bei der Nutzung von Vorlagen, welche in Normen oder Regelwerken gegeben sind, ersichtlich. Diese sind auf eine technisch richtige und schlüssige Erfassung und Aufbereitung der Inhalte ausgelegt, jedoch im Regelfall nur bedingt mit den Anforderungen an eine digitale Erfassung kompatibel. Daher empfiehlt es sich, derartige Vorlagen geringfügig umzuarbeiten um damit eine softwaretechnische Nutzung zu vereinfachen. Neben dem strukturellen und optischen Aufbau von Vorlagen sollten auch die Inhalte dieser definierbar und durch die Anwender anpassbar sein. Dies ermöglicht zum einen eine schnelle Reaktion auf Änderungen wie beispielsweise die Einarbeitung neuer Erkenntnisse oder der Änderungen einer technischen Vorgabe. Um hierbei eine größtmögliche Nutzerfreundlichkeit sicherzustellen, empfiehlt es sich, eine Reihe an unterschiedlichen Eingabemöglichkeiten vorzugeben. Neben Textfeldern und Auswahlmenüs sollte es auch möglich sein, Tabellen oder Skizzen in einen Bericht einfügen zu können. Tabellen werden dabei oftmals zur Erfassung gleichbleibender Inhalte (z.B. Anwesenheit) verwendet und können somit sehr zur Vereinfachung der Dokumentation beitragen. Skizzen - als eines der Hauptwerkzeuge des Technikers und der Technikerin - sind dabei ein täglicher Begleiter und unerlässlicher Bestandteil, um eine umfassende Dokumentation sicherzustellen. Abschließend sind auch entsprechende Exportfunktionen erforderlich, um eine Dokumentationssoftware anwenderpraktikabel und nutzbar zu gestallten. Neben dem Export von Bildern und abgeschlossenen Berichten sollte auch die Nachbearbeitbarkeit und die Verwendung der Berichte und Dokumentationen angedacht werden. Als Format wird dabei in den meisten Firmen Microsoft Word (*.doc oder *.docx) verwendet. Die Softwarelösung recordIT benutzt dieses Format sowohl als Grundlage für ihre Vorlagen als auch zur Ausgabe der fertiggestellten Berichte. Damit kann auch im Nachgang eine einfache und schnelle Bearbeitung durch die Anwender vorgenommen werden. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 121 Dokumentation einer Straßenbaustelle - es muss ja nicht immer BIM sein! 4.3 Datenverwaltung und Datenmanagement Eine digitale Erfassung ermöglicht auch beim Thema Zugangsrechte neue Gestaltungsmöglichkeiten. So ist es möglich, für gewisse Gruppen nur das Hinzufügen von Bilder zu erlauben, jedoch nicht das Durchsuchen dieser nach Inhalten. Mit einer durchdachten Dokumentationssoftware kann so beispielsweise eine vertraglich vereinbarte Zugriffsregelung oder auch die Einbindung von Subunternehmern in die Dokumentation sichergestellt werden. Bei aktuellen Dokumentationslösungen, wie auch anderen digitalen Produkten zur Nutzung am Bau, wird aktuell von cloud-basierten Lösungen gesprochen. Prinzipiell versteht man darunter, dass sich der Anwender nicht selbst um den Betrieb der Software kümmern muss, sondern der Anbieter sorgt dafür, dass die Software erreichbar, die Daten und die Datenbanken regelmäßig gesichert werden und Updates der Software problemlos verlaufen. Anfangs lagen hier auf Anwenderseite oftmals Bedenken vor, dass dadurch der Zugriff durch Dritte auf die Daten ermöglicht wird, inzwischen wurde jedoch mehrfach bewiesen, dass dies nicht möglich ist. Abschließend stellt sich in Bezug auf das Datenmanagement vor allem bei cloud-basierten Lösungen die Frage, ob am Ende der Nutzung nicht ein sogenannten „Vendor- Lock-In“ vorliegt, und die Daten nach Nutzung verloren sind. Gerade bei Lösungen, welche auf einer jährlichen Abrechnung basieren, wäre es unangenehm sämtliche Daten in dem Moment zu verlieren, indem die Nutzungsperiode abläuft. Die verwendete Software recordIT bietet hier zum einen die Möglichkeit, die Daten zu exportieren. Zudem ist es weiters möglich, die gesamten Projektdaten bereits während der Aufnahme auf einem externen Server abzulegen. Somit kann zumindest in Bezug auf die Datensicherheit und die Nutzung eine erforderliche Redundanz sichergestellt werden. 5. Zusammenfassung In diesem Beitrag wurde die Anwendung einer Dokumentationssoftware speziell für Linienbaustellen vorgestellt und kurz auf die bei der Planung und Umsetzung einer derartigen Lösung zu berücksichtigenden Rahmenbedingungen eingegangen. Vor allem durch die Anforderungen einer Linienbaustelle und den daraus folgenden Dokumentationsprozessen weisen diese einen erheblichen Unterschied im Vergleich zu bekannten Softwarelösungen für die Dokumentation von Hochbaubaustellen auf. Die Umsetzung derartiger Projekte, sowohl die softwaretechnische Entwicklung als auch die Anwendung unter praktischen Randbedingungen ist im Regelfall nur auf Grund des Einsatzes und der Bereitschaft zur technischen und digitalen Weiterentwicklung aller Projektbeteiligten möglich. Quellen [1] Amtsblatt der Stadt Weiz; Sonderausgabe Baustart der Ortsdurchfahrt Weiz; Ausgabe Mai 2016 [2] www.ortsdurchfahrt.at; Ortsdurchfahrt Weiz; Zugriff im Oktober 2020 [3] www.recordIT.at; Homepage der recordIT GmbH; Zugriff im Oktober 2020 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 123 Modellbasiertes Aufmaß und Abrechnung mit vernetzter Maschinensteuerung Andreas Velten, M.B.A. MOBA Mobile Automation, Limburg an der Lahn, Deutschland Zusammenfassung Die papierlose Straßenbaustelle soll kommen. Alle relevanten Daten, Informationen sowie Unterlagen werden nur noch digital und damit viel schneller ausgetauscht werden. Die Grundlage bildet ein einheitliches und von allen Beteiligten benutzten 3D-Modell. Dieser Arbeitsansatz kann auch auf die Ausführungsphase übertragen werden. Dadurch vereinfacht und beschleunigt sich die Baufortschrittskontrolle, die Zwischensowie Endabrechnung und die Datenbereitstellung für den digitalen Zwilling. Grundsätzlich ist dies auch mit konventioneller Vermessungstechnik, Laserscannern und/ oder Vermessungsdrohnen möglich. Hier wird die modellbasierte Arbeitsweise für Aufmaß, Abrechnung und Dokumentation auf Basis von vernetzter Maschinensteuerung betrachtet. Mit diesem technologischen Ansatz ist eine Echtzeitdatenübertragung unmittelbar nach Arbeitsfortschritt möglich. Damit ist immer eine zeitnahe Eigenüberwachung durch das Bauunternehmen als auch die abrechnungsrelevante Überwachung und Freigabe durch den Auftraggeber möglich. Gleichzeitig reduziert sich der Aufwand für Vermessungsarbeiten auf der Baustelle und damit die Kosten erheblich. Bedeutend ist hierbei für Bauunternehmen, dass sie diese Vermessungsarbeiten in der Regel nicht als eigene Leistungsposition vergütet bekommen. 1. Digitalisierung im Straßenbau Sowohl in der gesamten Bauindustrie als auch im Straßenbau im Speziellen besteht bei der Digitalisierung im Vergleich zu anderen Branchen wie dem Einzelhandel oder der Automobilindustrie noch erheblicher Nachholbedarf (vgl. u.a. Top500 Digitaler Index Deutschland, Accenture 2016). Markant verdeutlicht dieses der Arbeitsproduktivitätsindex des Zentralverbandes Deutsches Baugewerbe. Danach stagnierte die Arbeitsproduktivität binnen rund 30 Jahren im Baugewerbe, während diese im produzierenden Gewerbe um über 70 % anstieg. Abb. 1: Arbeitsproduktivität Deutsches Baugewerbe Ein Grund könnte sein, dass wir in der Baubranche als konservativer gelten als andere Industrien. Sehr viel wahrscheinlicher liegt das jedoch in der ortsgebundenen Baustellenfertigung im Sinne einer wandernden Fabrik [10] begründet. In stationären Fabriken und Gewerben waren die Voraussetzungen für eine digitale Arbeitsweise deutlich früher gegeben. Hohe Bandbreiten zur Datenübertragung waren zunächst nur stationär verfügbar. 1.1 Aktueller Stand Trotz einiger Pilotprojekte für digitale Arbeitsweisen nach der BIM-Methode ist heute die lageorientierte Trassenplanung mit Längs- und Querprofil im Sinne eines 2D-Planes als Status quo im Straßenbau zu sehen [23], [18]. Dabei entstehen die bekannten, oft ausgedruckten und z. T. sehr großen 2D-Pläne mit Höhenangaben, ergänzt um die erforderlichen Profile. Auf dieser noch üblichen Grundlage erfolgt Ausschreibung, Vergabe und Ausführung einer Infrastrukturmaßnahme. Die schon seit sehr langer Zeit angewandte statische Absteckung und damit manuelle Übertragung der Planvorgaben in die Örtlichkeit wird immer mehr von einer kinematischen Absteckung mittels Baumaschinensteuerung verdrängt [28], [26]. Dabei wird in der Baustellenpraxis die Baumaschinensteuerung noch nicht für alle Arbeiten der Erdbaumaschinen eingesetzt, so dass die statische 124 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Modellbasiertes Aufmaß und Abrechnung mit vernetzter Maschinensteuerung Absteckung noch auf den meisten Baustellen weiterhin zum Einsatz kommt. Beim Deckeneinbau ist der Einsatz von Baumaschinensteuerungen besonders auf dem Asphaltfertiger allenfalls für die Ebenheits- oder Höhensteuerung üblich. Die Lage wird überwiegend noch manuell markiert. Sowohl im Erdbau bzw. Unterbau als auch bei Deckeneinbau erfolgt das lagenweise Aufmaß für Abrechnungs- und Dokumentationszwecke mit konventioneller Vermessungstechnik. 1.2 Baumaschinensteuerungen im Erdbau Im Straßenbau sind Baumaschinensteuerungen heute besonders im Erdbau sowie Unterbau auf größeren Maßnahmen fester Bestandteil der Bauausführung [21]. Es gibt unterschiedliche Varianten für die verschiedenen Baumaschinenarten. Zum einen wird nach Führungssystemen, semi- und voll-automatischen Systemen unterschieden [29]. Bei Führungssystemen erhält der Bediener visuelle Informationen zum manuellen Betrieb des Werkzeuges (Baggerschaufel, Schild, Schar usw.). Bei semi-automatischen übernimmt das System bereits die Steuerung des Werkzeuges, die Bewegung der Maschine wird noch manuell vorgenommen. Voll-automatische Systeme sind noch die Ausnahme, hier wird die Steuerung von Werkzeug und Maschine vom System übernommen [29]. Zusätzlich wird nach Systemen für Positionsbestimmung nur von der Höhe (1D), von Höhe und Neigung (2D) sowie von Höhe, Neigung und Lage (3D) des Werkzeuges bzw. der Maschine unterschieden. Für die modellbasierte Arbeitsweise kommen nur 3D- Systeme, d. h. die auch die exakte Lage der Maschine bzw. des Werkzeuges bestimmen, in Frage. Verbreitet sind dabei semi-automatische Raupenbzw. Gradersteuerungen und Führungssysteme für Bagger. Die Verbreitung von semi-automatischen Baggersystemen steckt noch in den Anfängen. Für den Einsatz von 3D-Baumaschinensteuerungen wird die Bauausführungsplanung in Form von drei-dimensionalen Planungsdaten benötigt [24]. Damit übernimmt das System die kinematische Absteckung und Fertigung in einem Schritt [26]. Die drei-dimensionale Planung wird dafür in Punkten, sprich Koordinaten, beschrieben, die als digitale Geländemodelle (DGM) mit geradlinigen Verbindungen vermascht werden. Mit den dabei entstehenden Dreiecksnetzen wird die Geländeoberfläche beschrieben [15], [17]. Bei dieser Erstellung der Bauausführungsplanung als DGM ist darauf zu achten, dass Bruch- und Böschungskanten, Zwangslinien oder Ähnliches festgehalten werden [15]. 1.3 Reduzierung von Nebenleistungen Die Bauausführung ist ohne Vermessungsarbeiten für die Absteckung des Bausolls, das Kontrollieren während der Herstellung und das Aufmaß für die Abrechnung bzw. Dokumentation nicht möglich. Diese Vermessungsarbeiten gelten gemäß VOB als Nebenleistungen. Das bedeutet, sie sind für die Leistungserstellung auf der Baustelle zu erbringen, stellen in der Regel jedoch keine eigene Leistungsposition dar. Der Auftragnehmer erhält für diese Arbeiten keine gesonderte Vergütung [2]. Es liegt auf der Hand, dass eine Reduzierung von Nebenleistungen bei der Bauausführung zu einem Kosten- und Zeitvorteil führt. Bereits im Einsatz von 3D-Baumaschinensteuerungen zur Reduzierung von statischen Absteckungen sowie Vermeidung von kontinuierlichen Höhenkontrollen während der Ausführung sieht Stempfhuber [28] eine Optimierung der Absteck- und Vermessungsarbeiten von rund 50 %. Dieses ist nicht nur für die Reduzierung von Nebenleistungen von Bedeutung, sondern in Zeiten des Fachkräftemangels eine wichtige Aufwandsreduzierung für die „knappen“ Geodäten. 1.4 BIM im Rahmen der Digitalisierung im Straßenbau „Erst digital, dann real bauen“ ist der Grundsatz bei der Einführung der Methodik Building Information Modeling (BIM) im Bundesverkehrswegebau [5]. Abgeleitet ist dieser von der in der Industrie schon länger üblichen Vorgehensweise, herzustellende Maschinen, Fahrzeuge oder Ähnliches zunächst digital zu konstruieren und zu simulieren, bevor der erste Prototyp entsteht. Als Definition wird hier in Anlehnung an Bormann [7] sowie Blankenbach und Lehmkühler [4] die Erschaffung und Verwaltung eines bauteilorientierten, digitalen Bauwerksmodells sowie dessen Nutzung über den gesamten Lebenszyklus in einer kollaborativen Arbeitsweise mittels Softwareeinsatz zu Grunde gelegt. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) formuliert dabei • die Erhöhung von Planungsgenauigkeit und Kostensicherheit • die Optimierung der Kosten im Lebenszyklus und • die Umsetzung der Kernempfehlungen der Reformkommission als die wesentlichen Themen bei der Einführung von BIM [5]. Ein endscheidender Fortschritt durch die Einführung von BIM ist der Wandel von den heute noch üblichen zweidimensionalen Methoden bei der Planung von Bundesverkehrswegen hin zur ausschließlichen Planung in bauteilorientierten 3D-Modellen. Diese enthalten dann alle geometrischen sowie semantischen Informationen eines Bauteils, einer Schicht bzw. eines Erdkörpers [27], [3]. Die herrschende Meinung sowohl in der Literatur als auch in der Praxis ist, dass die Digitalisierung der Bauausführung als auch die Einführung von BIM, zunächst für den Bundesverkehrswegebau, nur mit offenen Schnittstellen 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 125 Modellbasiertes Aufmaß und Abrechnung mit vernetzter Maschinensteuerung und herstellerunabhängigen, standardisierten Formaten gelingen kann. So wird ein verlustfreier Datenaustausch ohne Informationsbrüche sichergestellt und gleichzeitig die heute noch häufigen Neuerstellungen von Plänen, manuellen Neueingaben und besonders dabei mögliche Fehler vermieden [1]. Die internationale Organisation buildingSMART hat mit den Industry Foundation Classes (IFC) ein solches standardisiertes Datenmodell geschaffen. Im Hochbau wird der IFC-Standard bereits regelmäßig eingesetzt, in der Regel bei Projekten, bei denen die BIM-Methode gefordert ist. Im Straßenbau wird dieses Datenmodell mit dem IFC Release 5 eingeführt [1]. Bisher scheinen damit weiter erst einmal nur die erprobten zweidimensionalen Methoden auf Basis eines Lage- und Höhenplans für den Entwurf einer Straße zur Verfügung zu stehen. Auf deren Grundlage werden die dreidimensionalen digitalen Geländemodelle mit Dreiecksnetzen als eine Geländeoberfläche für die Baumaschinensteuerung erstellt. 2. Modellbasiertes Arbeiten Der naheliegenden Frage, ob eine mit Plandaten ausgestattete 3D-Baumaschinensteuerung nicht auch die Ist- Geometrien für die Baufortschrittskontrolle, die Abrechnung und die Dokumentation liefern kann, wurde bereits nachgegangen. 2.1 Methodische Ansätze zur Ermittlung der Ist-Geometrie mittels Baumaschinensteuerung Kivimäki und Heikkilä stellen eine Methode zur Echtzeit-Qualitäts- und Baufortschrittsüberwachung vor. Basis ist die Aufnahme der Ist-Geometrie durch vernetzte Baumaschinensteuerungen. Damit eine automatische Zuordnung der mit dem Arbeitswerkzeug erfassten Messpunkte möglich ist, werden die einzelnen Oberflächen bereits im Planmodell mit einem Code klassifiziert. Die Baumaschinensteuerung liefert die Messpunkte mit dem gleichen Klassifizierungscode und ermöglicht dann in einer Cloud-Plattform eine automatisierte Echtzeitüberwachung [20]. Dieser Ansatz der Messpunktzuordnung entspricht dem erprobten Prinzip des codierten Aufmaßes. Geodäten klassifizieren die mittels herkömmlicher Vermessungstechnik aufgenommenen Messpunkte ebenfalls mit Codes [6], [14], [31]. Abb. 2: Klassifizierte Schichten, Erdkörper und Bauteile (Quelle: buildingSMART Finland) 126 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Modellbasiertes Aufmaß und Abrechnung mit vernetzter Maschinensteuerung Ferger entwickelt in seiner Dissertation ein Verfahren zur Mengenermittlung im Erdbau unter Einsatz von Baumaschinensteuerungen. Dabei werden die von den Baumaschinensteuerungen gelieferten Ist-Geometrien für Prozess- und Abrechnungsmengenermittlungen herangezogen [16]. Vergleichbar zu Kivimäki und Heikkilä stellt auch Ferger die Notwendigkeit einer Zuordnung der Ist-Geometrien von der Baumaschinensteuerung zu den Geometriedaten aus der Planung und den Leistungsverzeichnispositionen dar. Diese Verknüpfung geschieht in der sogenannten 5D-Software in der Regel per „Drag & Drop“. Der Vorteil einer automatisierten Zuordnung anhand von codierten 3D-Modellen liegt auf der Hand. Dabei können eigene unternehmensbzw. baustellenspezifische Codierungssysteme verwendet oder später nach IFC Release 5 entsprechend erstellt werden. Solange letzteres noch nicht bereitsteht, bietet sich auch das finnische Infra- BIM Classificationsystem YIV 2019 an, das mit über 600 Codes und Bezeichnungen als umfassend angesehen werden kann. Abb. 3: Auszug InfraBIM Classificationsystem Der Auszug aus dem sogenannten finnischen InfraBIM- Modell (Abb. 3) gibt einen Einblick und entspricht zwei der im Abschnitt 3.1 dargestellten Schichten eines in Deutschland durchgeführten Piloten. Unabhängig vom Einsatz der BIM-Methodik für eine Infrastrukturmaßnahme kann der hier beschriebene Arbeitsansatz auf der Baustelle angewendet werden. Dafür werden alle Elemente wie der Schichtenaufbau, die Erdkörper und weitere Bauteile von der Planung über die Ausführungsdaten für die Baumaschinensteuerung bis hin zur hergestellten Ist-Geometrie codiert und Messpunkte entsprechend automatisch zugeordnet. Ferger belegt im Rahmen einer Simulation der IT-gestützten Ermittlung von Abrechnungsmengen im Erdbau mittels Baumaschinensteuerungen eine Gesamtkostenersparnis bei einer Baumaßnahme von 17 %. Nach Abzug der eigentlichen Ausführungszeit, die in der konventionellen und der ITsowie baumaschinensteuerungsgestützten Methode gleich ist, beträgt die Zeitersparnis bei den übrigen Baustellenarbeiten sogar 46 % [16]. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 127 Modellbasiertes Aufmaß und Abrechnung mit vernetzter Maschinensteuerung Diese Kostenreduzierung deckt sich grundsätzlich mit Praxiserfahrungen auf Basis der Methode von Kivimäki- Heikkilä (vgl. Abschnitt 3.1). 2.2 Qualität der Messpunkte von Baumaschinensteuerungen Die meisten eingesetzten Baumaschinensteuerungen arbeiten mit einer GNSS-Positionsbestimmung. Auf Motorgradern ist die Verwendung von zielverfolgenden Tachymetern üblich, wobei auch hier immer mehr GNSS-Empfänger zum Einsatz kommen. Zielverfolgende Tachymeter weisen grundsätzlich eine höhere Genauigkeit von unter 1 cm auf, sind dafür aber komplexer und zeitaufwendiger in der Anwendung für Baumaschinensteuerungen. Eine Positionsbestimmung mittels GNSS ist hier deutlich einfacher in der Handhabung, erreicht aber nicht die gleiche Genauigkeit. Moderne GNSS- Empfänger, besonderes bei der Verwendung von allen vier verfügbaren Satellitensystemen (GPS, G lonass , Beidou, Galileo), erreichen nach der herrschenden Meinung eine Genauigkeit im unteren Zentimeterbereich. Wiesner et al., Morte et al. und Ferger gehen sogar von einer möglichen Genauigkeit von besser als 1 cm aus [32], [22], [16]. Unstrittig reichen die Genauigkeiten von GNSS-Positionierungssystemen wie Vermessungsrover oder Baumaschinensteuerungen für die Genauigkeitsanforderungen im Erdsowie Unterbau aus. Der Einsatz von erforderlichen Korrekturdaten zur Erzielung der geforderten Genauigkeit via Korrekturdatendienst oder Basisstation ist in der Baustellenpraxis Standard, wobei in der Regel eine akkurat eingemessene Basisstation die besseren Ergebnisse liefern wird. Neben der eingesetzten Technik hat deren Anwendung Einfluss auf die Qualität der Messpunkte. Um hier Abweichungen oder Messungen außerhalb der gegebenen Toleranzen zu vermeiden, ist eine Schulung der Fahrer sowie die regelmäßige Genauigkeitskontrolle der Baumaschinensteuerung erforderlich. Die Praxis hat gezeigt, dass letzteres wenigstens täglich durch den Fahrer erfolgen sollte und zusätzlich in größeren zeitlichen Abständen, z. B. wöchentlich, durch den Vermesser [30]. 2.3 Gemeinsame Feststellung Bei dem in Deutschland üblichen Regelwerk VOB/ B für Bauleistungen im Straßenbau wird im § 14 die gemeinsame Feststellung der erbrachten Bauleistung vorgegeben. In Österreich und der Schweiz sind die Normen zwar andere, doch das Prinzip grundsätzlich gleich. Die VOB/ B und die regelmäßige Rechtsprechung schreiben das gemeinsame Aufmaß jedoch nicht zwingend vor. Auch das einseitige Aufmaß durch den Auftragnehmer ist üblich und oft unumgänglich, wenn z. B. vor Überbauung eine Leistung festgestellt werden muss und die Zeit für eine gemeinsame Feststellung mit dem Auftraggeber fehlt. Durch eine gemeinsame Feststellung werden spätere Unstimmigkeiten vermieden. Ein gemeinsames Aufmaß ist bei Einigkeit für Auftraggeber und -nehmer bindend. Gleichzeitig tritt eine Beweislastumkehr ein, so dass der Aufraggeber bei einem späteren Einwand beweisen muss, dass die Abrechnungsmengen nicht berechtigt sind [16]. Im Allgemeinen gehen wir davon aus, dass diese gemeinsame Feststellung persönlich vor Ort stattfinden soll. Die DEGES, als einer der größten Auftraggeber von Bundesverkehrswegeprojekten und zukünftiger Bestandteil der Autobahn GmbH, sowie die Deutsche Bahn haben in ihren BIM-Regelwerken bereits die Leistungserfassung mit vernetzter Baumaschinensteuerung auf der Baustelle mit einer direkten Übernahme in die 3D-Modelle zugelassen. Dabei soll diese Form der Leistungserfassung als Grundlage der Abrechnung dienen [12], [13]. Die DE- GES hält dazu ergänzend fest, dass der „Auftraggeber die erfassten Daten, Protokolle und Prüfberichte über eine gemeinsame Projektplattform mit dem Auftragnehmer“ einsehen können muss. In diesem Sinne definieren Borrmann et al. im Auftrag des BMVI die „Plausibilisierung der in Rechnung gestellten Bauleistung anhand des“ im 3D-Modell „hinterlegten Baufortschritts“ [8]. Selbst wenn noch keine rechtliche Regelung für eine digitale gemeinsame Feststellung existiert, wird hiermit der grundsätzliche Rahmen dafür geschaffen. Darüber hinaus herrscht Vertragsfreiheit, das bedeutet die Vertragspartner können sich auf eine solche digitale gemeinsame Feststellung verständigen. In einer Übergangsphase, oder wenn gewünscht, können die im Abschnitt 3.2 beschriebenen Qualitätsmessungen gemeinsam von Auftraggeber und Auftragnehmer durchgeführt werden. 2.4 Abrechnung auf Grundlage von Ausführungsplänen Das Regelwerk der VOB ermöglicht auch eine Abrechnung auf Grundlage der Ausführungspläne, soweit auch wie geplant gebaut wurde [9]. Die im vorherigen Abschnitt beschriebene Vorgehensweise der Plausibilisierung des Baufortschritts und der tatsächlichen Leistungserbringung auf dem digitalen Weg erscheint bei dieser Abrechnungsvariante einfacher und schneller umsetzbar. Hierbei kann mit der Baumaschinensteuerung die plangemäße Leistungserfassung festgehalten werden. Alle anderen Leistungen, die vom Ausführungsplan abweichen, könnten vom Vorarbeiter oder Vermesser, ggf. gemeinsam mit dem Auftraggeber, aufgenommen werden. 128 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Modellbasiertes Aufmaß und Abrechnung mit vernetzter Maschinensteuerung Zentrale Erkenntnisse aus diesem Piloten waren, dass noch nicht alle verfügbaren Baumaschinensteuerungsanbieter diese Methode gleich gut bzw. gleich einfach unterstützen. Darüber hinaus wurde deutlich, dass genügend Augenmerk auf die Einweisung der Fahrer gelegt werden sollte. Je einfacher das System für den Maschinenführer anzuwenden ist, desto größer sind die Aussichten auf eine erfolgreiche Umsetzung. Am besten erscheint eine Einweisung des Fahrers auf die Erstellung von Messpunkten zur regelmäßige Eigenkontrolle. Eine Einweisung auf das Aufnehmen von Messpunkten als Ersatz für den Vermesser kann zu kontraproduktiver Verunsicherung führen. In Finnland wurden die ersten Piloten mit dem Vorgehen im Jahr 2014 umgesetzt. Heute ist dort das modellbasierte Aufmaß und Abrechnung mit vernetzter Baumaschinensteuerung Standard auf allen größeren Infrastrukturmaßnahmen. So konnten bei einer rund 1,2 km langen Landstraße unter Einsatz dieser Methode rund 410 Stunden an Vermessungsaufwand und 7.600 km Fahrstrecke gegenüber der traditionellen Vorgehensweise eingespart werden. 3. Praxis Die hier beschriebene sukzessive, kontinuierliche Mengenermittlung während der Bauausführung wird bereits in der Praxis angewendet. In Skandinavien, insbesondere in Finnland, wird auch die gemeinsame Plausibilisierung im Sinne einer volumenorientierten Baufortschrittkontrolle und -freigabe mittels einer gemeinsamen Plattform erfolgreich praktiziert. Dafür werden Aufmaß-Daten aus vernetzter Baumaschinensteuerung mit sogenannten Qualitätsmessungen des Vermessers verbunden und in einer gemeinsamen Plattform modellorientiert bereitgestellt. Dort erfolgt zunächst ein automatisierter Soll- Ist-Vergleich, der bei Überschreitung der vereinbarten Toleranzen die Bauausführenden informiert. Fällt dieser Vergleich positiv aus, prüft der Auftraggeber den Baufortschritt und gibt diesen für die Abrechnung frei. 3.1 Beispiele für Pilot- und Praxisprojekte In Deutschland wurde dieses Jahr ein Pilotprojekt zur Erprobung dieser Arbeitsweise durchgeführt. Dabei wurde die in Abschnitt 2.1 beschriebene Codierung des Modells angewendet und die eingesetzten Baumaschinensteuerungen mit einer Cloud-Plattform vernetzt. Abb. 4 + 5: Modell einer kleinen Pilotbaustelle 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 129 Modellbasiertes Aufmaß und Abrechnung mit vernetzter Maschinensteuerung Abb. 6: Praxisbeispiel 1,2 km Landstraße Bei einem 4,5 km langen Teilabschnitt einer insgesamt 9 km langen Umgehungsstraße der finnischen Stadt Lahti konnte der Vermessungsaufwand mit Einsatz dieses modellbasierten Arbeitens rund halbiert werden. Bei dem 74 km langen Ausbau der Bahnstrecke Helsinki-Riihimäki wurden bisher 20 % der veranschlagten Baukosten eingespart. Abb. 7: BIM-Modell Ausbau Bahnstrecke Wie die Abbildung 7 verdeutlicht, wurde bei diesem Projekt eine vollständige Modellierung nach der BIM- Methode vorgenommen. Das während der Bauphase sukzessive entstehende digitale Wie-gebaut-Modell wird später in der Betriebs- und Wartungsphase des Bauwerks weiterverwendet werden. 130 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Modellbasiertes Aufmaß und Abrechnung mit vernetzter Maschinensteuerung 3.2 Konzept der Qualitätsmessungen Während der ersten Pilotprojekte im Jahre 2014 und in der folgenden regelmäßigen Anwendung der Arbeitsweise hat sich ein Konzept von Qualitätsmessungen bewährt. Der Baumaschinenfahrer liefert im Rahmen seiner Eigenkontrolle automatisch die erforderlichen Messpunkte als Ist-Geometrie. Dafür prüft er die Querprofile in der Regel in 20 m-Abschnitten, insbesondere die Bruchkanten. Zur Sicherstellung der erforderlichen Messgenauigkeit prüft der Fahrer diese einmal am Tag an dafür vom Vermesser bereitgestellten Kontrollpunkten. Die Messgenauigkeit seines Arbeitswerkzeuges wird mittels der Vernetzung mit der Cloud-Plattform für alle Beteiligten einsehbar dokumentiert. Ergänzend führt der Baustellenvermesser einmal pro Woche eine eigene Kontrolle der Genauigkeit der Maschinen sowie der Basisstationen durch. Damit bleibt die wichtige Sicherstellung der Genauigkeit in seiner Hand. Nach Herstellung der Planumshöhen und ihrer anschließenden Verdichtung führt der Vermesser ggf. auch gemeinsam mit dem Auftraggeber alle 100 m oder 200 m Qualitätsmessungen durch. Auch diese werden in der Cloud-Plattform abgelegt. Nur wenn die Ist-Geometrie mehr als die zulässige Toleranz von der Soll-Geometrie abweicht, werden Kontrollmessungen zur Ursachenfeststellung durchgeführt. Dieses Vorgehen ist mit dem Konzept der Bohrkerne beim Deckeneinbau vergleichbar. Die Freigabe der Messpunkte und Ist-Geometrie kann mehrstufig erfolgen. Nach einer Eigenplausibilisierung durch z. B. den Vermesser oder Bauabrechner kann die Leistungserfassung zur Freigabe an den Bauüberwacher weitergeleitet werden. 4. Fazit Bauen, erfassen, prüfen, abrechnen und dokumentieren ist ohne Papier schon jetzt rein digital möglich und wird in Skandinavien bereits erfolgreich eingesetzt. Die Vorteile für Auftragnehmer und -geber liegen auf der Hand. Eine schnelle Informationsverfügbarkeit in der Baufortschrittskontrolle wird ermöglicht - in Echtzeit. Dadurch lassen sich während der Bauausführung schneller Fehler erkennen und vermeiden. Nacharbeiten reduzieren sich. Durch die teilautomatisierte Leistungserfassung mittels Baumaschinensteuerung reduzieren sich Vermessungsaufwand und -kosten deutlich. Das Qualitätskonzept stellt sicher, dass der Vermesser weiter die Genauigkeit sicherstellt und überwacht, ohne dabei seine Zeit für einfache Routineaufgaben zu verbrauchen. Durch die Zeiteinsparung beim Vermesser als auch bei der Bauausführung durch weniger Nacharbeiten wird dem Fachkräftemangel begegnet. Im deutschsprachigen Raum steckt diese Arbeitsweise noch in den Anfängen. Eine weitere Erprobung und schrittweise Umsetzung stehen bevor, das Interesse besonders bei Bauunternehmen ist vorhanden. Parallel hat der Auftraggeber mit seinen BIM-Regelwerken die Voraussetzungen bis hin zur Plausibilisierung der Leistungserfassung und Prüfung der Abrechnungen geschaffen. Literaturangaben [1] Amann, J., Borrmann, A., 2015. Open BIM for Infrastructure - mit OKSTRA und IFC Alignment zur internationalen Standardisierung des Datenaustausches, Internetabruf von publications.cms.bgu.tum. de am 26.11.2020, TU München [2] Berner, F. et al., 2020. Grundlagen der Baubetriebslehre 1, 3. Auflage, Leitfaden des Baubetriebs und der Bauwirtschaft, Springer [3] Blankenbach, J., Becker, R., 2020. 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Prozessorientierung im Außendienst mit dem grafischen Feldbuch, 20. Internationale Geodätische Woche Obergurgl 2019, Internetabruf IUBH School of Business and Management, 27.11.2020 [32] Wiesner, A. et al., 2017. Ingenieurgeodäsie - eine Einführung in Ingenieurgeodäsie, Springer Asphaltbauweisen 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 135 Asphaltoptimierung nach Performancekriterien Dipl.-Ing. Erik Kamratowsky TU Dresden, Deutschland Prof. Dr.-Ing. habil. Frohmut Wellner TU Dresden, Deutschland Zusammenfassung Um die vorhandenen Ressourcen effizienter nutzen und ein weitgehend sicheres und dauerhaftes Verkehrsnetz bieten zu können, ist es von großer Bedeutung die einzelnen Konstruktionsschichten von Verkehrsflächenbefestigungen aus Asphalt ihrer Beanspruchung entsprechend zu konzipieren. Das Ziel des Forschungsvorhabens „Entwicklung von Asphalten für zukünftige schwerste Verkehrsbelastungen“ ist, über die Bestimmung des Einflusses der Zusammensetzung von Asphaltdeckschichtgemischen auf deren Gebrauchseigenschaften eine Herangehensweise für die Asphaltkonzeption unter Verwendung von gebrauchsverhaltensorientierten Prüfverfahren zu entwickeln. Die Ergebnisse der Versuchsergebnisse und der Prognoserechnungen zeigten ebenfalls, dass es bei allen untersuchten Asphaltgemischen jeweils ein Bereich des Bindemittelgehaltes bestimmt wurde, in denen sich das Griffigkeits-, das Ermüdungs- und das Verformungsverhalten nur geringfügig ändern. 1. Einleitung In Deutschland werden Verkehrsflächenbefestigungen größtenteils auf der Grundlage empirisch gewonnener Erkenntnisse dimensioniert und ausgeführt. Die Festlegung der Dicken der gebundenen und ungebundenen Schichten von Straßenbefestigungen erfolgt unter Anwendung der Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen [3]. Des Weiteren wird das Gebrauchsverhalten der Baustoffgemische dieser Schichten indirekt über ihre Zusammensetzungen und einige wenige leistungsbezogene Prüfverfahren beschrieben. Um die noch vorhandenen Ressourcen effizienter nutzen und ein weitgehend sicheres und dauerhaftes Verkehrsnetz bieten zu können, ist es von großer Bedeutung die einzelnen Konstruktionsschichten von Verkehrsflächenbefestigung aus Asphalt ihrer Bean-spruchung entsprechend zu konzipieren. Geeignete Werkzeuge für die Prognose der strukturellen Substanz auf der Grundlage materialtechnischer und stochastisch abgesicherter Kennwerte stellen die Verfahren der Richtlinien für die rechnerische Dimensionierung des Oberbaus von Verkehrsflächen mit Asphalt-deckschichten [2] zur Prognose der Nutzungsdauer einer Asphaltbefestigung und das in [8] beschriebene Verfahren zur Prognose der Spurrinnenentwicklung dar. Das Forschungsvorhaben „Entwicklung von Asphalten für zukünftige schwerste Verkehrsbelastungen“ des Deutschen Asphaltinstitutes (DAI) wurde an der Technischen Universität Dresden bearbeitet und aus den Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi) über die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsgemeinschaften (AiF) gefördert. Das Ziel des Forschungsvorhabens ist, über die Bestimmung des Einflusses der Zusammensetzung von Asphaltdeck- und Asphaltbindergemische auf deren Gebrauchseigenschaften eine Herangehensweise für die Asphaltkonzeption von diesen Materialien für zukünftige schwerste Verkehrsbelastung unter Verwendung von gebrauchsverhaltensorientierte Asphaltprüfverfahren zu entwickeln. In diesem Artikel werden die Ergebnisse der Laboruntersuchungen und der Prognoseberechnungen der Asphaltdeckschichtgemische vorgestellt. 2. Untersuchte Materialien In die Untersuchungen werden als Asphaltdeck-schichtmaterialien ein Splittmastixasphalt mit einem Größtkorn von 11 mm unter zweifacher Variation der Korngrößenverteilung sowie als Asphaltbinder-gemische ein stetig gestufter Asphaltbeton und ein Splittmastixasphalt mit jeweils einem Größtkorn von 16 mm einbezogen. Die Asphaltbindergemische werden nach Hinweise für die Planung und Ausführung von alternativen Asphaltbinderschichten [1] hergestellt. Als Bindemittel kommen polymermodifizierte Bitumen zum Einsatz. Damit der Einfluss der Korngrößenverteilung (KGV) des Asphaltes auf die Materialeigenschaften bestimmt werden kann, müssen die Sieblinien der einzelnen Deck- 136 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Asphaltoptimierung nach Performancekriterien bzw. Binderschichten möglichst weit auseinander liegen. Somit wird für die Variation der Korngrößenverteilung des SMA 11 S die obere (feine KGV) und die untere Grenze (grobe KGV) des Toleranzbereiches der TL Asphalt-StB 07 [4] verwendet. Die Korngrößenverteilung der Binderschichtgemische wird nach dem gleichen Prinzip variiert. Somit wird für den AC 16 B S SG die obere Grenze und für den SMA 16 B S die untere Grenze nach H Al Abi als Sieblinie verwendet. Der Bindemittelgehalt wurde für jede Korngrößenverteilung ebenfalls variiert. Dafür wurde mithilfe der Untersuchungen des Gesteins und der Bitumen der Bindemittelbedarf der Asphaltgemische nach dem Verfahren von Radenberg et al. [10] ermittelt. Die Methode wurde zur Ermittlung des Bindemittelbedarfes für Dünne Schichten im Kalteinbau entwickelt. Bei diesem Verfahren wird der notwendige Bindemittelbedarf unter Betrachtung der spezifischen Oberfläche, der Bitumenfilmdicke, dem tatsächlichen Massenanteil der Gesteinsfraktion und der Kornformkennzahl ermittelt. In Tabelle 1 sind die Ergebnisse für die Asphaltgemische zusammengefasst. Tabelle 1: Bindemittelbedarf der Asphaltgemische Asphaltgemisch Bindemittelbedarf SMA 11 S: feine KGV 7,0 M-% SMA 11 S: grobe KGV 5,8 M-% AC 16 B S SG 7,0 M-% SMA 16 B S 5,4 M-% Für die Asphaltdeckschichtgemische und dem SMA 16 B S wird mithilfe des Verfahren jeweils ein realistischer Bindemittelbedarf ermittelt. Das Verfahren zeigt jedoch Grenzen bei der Ermittlung des Bindemittelbedarfes für den stetig gestuften Asphaltbeton (AC 16 B S SG), aufgrund des deutlich zu hohen Bindemittelgehaltes des Asphaltbindergemisches. Zur Festlegung der endgültigen Spanne für die Variation des Bindemittelgehaltes wurden zusätzlich Erstprüfungen an den Asphaltgemischen durchgeführt. In Tabelle 2 sind alle untersuchten Materialien zusammengefasst. Tabelle 2: Übersicht der Asphaltgemische Asphaltgemisch Bitumensorte Bindemittelgehalt [M-%] SMA 11 S fKGV 25/ 55-55A 6,03/ 6,50/ 6,79/ 7,52/ 8,02 SMA 11 S gKGV 25/ 55-55A 5,61/ 6,42/ 6,71/ 7,76 SMA 11 S fKGV 10/ 40-65A 7,01 AC 16 B S SG 10/ 40-65A 4,75/ 5,00/ 5,68/ 5,98/ 6,55 SMA 16 B S 10/ 40-65A 5,17/ 5,47/ 6,03/ 6,50 AC 16 B S SG 25/ 55-55A 5,28 3. Versuchsergebnisse In diesem Artikel werden lediglich die Versuchsergebnisse der Asphaltdeckschichtgemische dargestellt. Die vollständigen Untersuchungsergebnisse sind im Abschlussbericht [9] enthalten und über die Homepage des DAI abrufbar. 3.1 Einfluss der Asphaltzusammensetzung auf das Steifigkeitsverhalten Die Bestimmung der Hauptkurve zur Beurteilung des Steifigkeitsverhaltens erfolgt anhand von einaxialen Druck-Schwellversuche am schlanken Probekörper. Somit kann die Hauptkurve auch bei Temperaturen über 20°C versuchstechnisch ermittelt werden. Die Versuche werden als Multistage-Versuche über mehrere Temperaturen und Frequenzen durchgeführt. Für die Versuche bei einer Temperatur von 35°C wurde ein neuer Probekörper verwendet, damit Teilschädigun-gen, die das Ergebnis beeinflussen können, ausgeschlossen sind. Die Versuchsparameter sind in Tabelle 3 aufgeführt. Tabelle 3: Versuchsparameter zur Bestimmung der Hauptkurve T [°C] F [Hz] ε ele,anf [‰] σ u [N/ mm²] σ o [N/ mm²] -10; 5; 20; 35 0,1; 0,3; 1; 3; 5; 10 ca. 0,065 0,035 T und f abhängig Zur Minimierung der Querdehnungsbehinderung wird zwischen dem Probekörper und dem Laststempel bzw. der Lastplatte eine Teflonfolie angeordnet. Die Messung der vertikalen Dehnungen erfolgt über die Extensometer, die mithilfe von Magneten am Probekörper befestigt sind. In Abbildung 1 sind die Steifigkeitsmodul-Temperatur- Funktionen der untersuchten Asphaltdeckschichtvarian- 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 137 Asphaltoptimierung nach Performancekriterien ten (SMA 11 S feine KGV) und in Abbildung 2 die Steifigkeitsmodul-Temperatur-Funktionen der untersuchten Asphaltdeckschichtvarianten (SMA 11 S grobe KGV) unter Variation des Bindemittelgehaltes dargestellt. Der Einfluss der Sieblinie ist deutlich erkennbar. Die Steifigkeiten erhöhen sich durch die Verwendung einer feineren Korngrößenverteilung. Die Steifigkeiten der untersuchten Materialien mit einer feinen Korngrößenverteilung reduzieren sich mit zunehmenden Bindemittelgehalt. Eine Ausnahme stellt die Variante mit einem Bindemittelgehalt von 6,79 M-% dar. Diese Variante besitzt höhere Steifigkeiten bei tiefen Temperaturen als die Variante mit einem geringeren Bindemittelgehalt. Bei der groben Korngrößenverteilung bewirkt die Erhöhung des Bindemittelgehaltes eine Zunahme der Steifigkeiten bei tiefen Temperaturen. Allerdings besitzt die Variante mit dem geringsten Bindemittelgehalt die höchsten Steifigkeiten bei Temperaturen über -10°C. Des Weiteren verlaufen die Steifigkeitsmodul-Temperatur- Funktion bei den anderen Varianten nahezu identisch über einer Temperatur von 0°C. Abb. 1: Steifigkeitsmodul-Temperatur-Funktion SMA 11 S feine KGV Abb. 2: Steifigkeitsmodul-Temperatur-Funktion SMA 11 S grobe KGV 3.2 Einfluss der Asphaltzusammensetzung auf das Ermüdungsverhalten Die Bestimmung der Ermüdungsfunktionen der Asphaltvarianten erfolgte gemäß der TP Asphalt-StB Teil 24 Entwurf 2017 [5] mithilfe des Spaltzug-Schwellversuches. In Abbildung 3 und 4 sind die Ermüdungsfunktionen der Asphaltdeckschichtvarianten dargestellt. Bei beiden Korngrößenverteilungen der Deckschichtvarianten nehmen die ertragbaren Lastwechselzahlen mit zunehmendem Bindemittelgehalt bei gleichen elastischen Anfangsdehnungen zu. Bei der feinen Korngrößenverteilung verschlechtert sich die Ermüdungsfunktion erst ab der Variante mit einem Bindemittelgehalt von 8,02 M-%. Dabei verschieben sich die Ermüdungsfunktionen mit Zunahme des Bindemittelgehaltes bei beiden Sieblinien annähernd parallel zueinander. Bei elastischen Anfangsdehnungen von ε el, anf ≤ 0,12 ‰ weisen die Varianten der feinen Korngrößenverteilung bei gleichem Bindemittelgehalt eine bessere Ermüdungsfunktion auf, als die Varianten mit der groben Sieblinie bis zu einem Bindemittelgehalt von 6,50 M-%. Die grobe Korngrößenverteilung bei einem Bindemittelgehalt von circa 6,7 M-% besitzt eine bessere Ermüdungsfunktion ab einer elastischen Anfangsdehnungen von ε el, anf ≤ 0,085 ‰ als die feine Korngrößenverteilung. Bei dem Bindemittelgehalt von 7,76 M-% besitzt die grobe Sieblinie ein besseres Ermüdungsverhalten im gesamten untersuchten Bereich als die der feineren. Zusätzlich besitzen die Deckschichtgemische mit der feinen Korngrößenverteilung größere Steifigkeiten, sodass bei gleicher Lasteintragung geringere Dehnungen im Asphalt entstehen. Somit ist ein besseres Ermüdungsverhalten zu erwarten. Abb. 3: Ermüdungsfunktion SMA 11 S feine KGV Abb. 4: Ermüdungsfunktion SMA 11 S grobe KGV 138 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Asphaltoptimierung nach Performancekriterien 3.3 Einfluss der Asphaltzusammensetzung auf das Verformungsverhalten Der Einfluss der Asphaltzusammensetzungen auf das Verformungsverhalten wird mit dem einaxialen Druck- Schwellversuch und an ausgewählten Asphaltvarianten mit dem Triaxialversuch mit Druckbeanspruchung überprüft. Die Untersuchung der Verformungsbeständigkeit erfolgt in Teilschritten: • Einaxiale Druck-Schwellversuche am schlanken Probekörpern als Multistage-Versuche • Einaxiale Druck-Schwellversuche am gedrungenen Probekörpern als Multistage-Versuche • Einaxiale Druck-Schwellversuche nach TP Asphalt- StB 25 B 1 • Triaxialversuche mit Druckbeanspruchung an den optimierten Asphaltvarianten. Die verschiedenen Versuchsdurchführungen kommen zur Anwendung, um in Auswertung der Versuche und der geplanten Prognoserechnungen der Spurrinnen-entwicklung beurteilen zu können, ob zum einen der einaxiale Druck-Schwellversuch nach TP Asphalt.StB 25 B 1 den Widerstand der Asphalte gegenüber bleibenden Verformungen korrekt beurteilen kann. Zum anderen soll die Frage beantwortet werden, ob es möglich ist, ausschließlich anhand der Ergebnisse der einaxialen Druck- Schwellversuche Spurrinnenprognoserechnungen durchführen und auf die Verwendung von Triaxialversuchen verzichten zu können. Nachfolgend wird die Versuchsdurchführung des einaxialen Druck-Schwellversuches erläutert und dessen Ergebnisse an den Asphaltdeckschichtgemischen dargestellt. Bei dem einaxialen Druck-Schwellversuch am schlanken Probekörper werden Probekörper mit einem Durchmesser von 100 mm und einer Höhe von 200 mm geprüft. Der Probekörper wurde mindestens 6 Stunden vor Versuchsbeginn auf die jeweilige Prüftemperatur temperiert und anschließend zentrisch unter den Laststempel in die Prüfeinrichtung eingebaut. Zur Minimierung der Querdehnungsbehinderung wird zwischen dem Probekörper und dem Laststempel bzw. der Lastplatte eine Teflonfolie angeordnet. Die Versuche werden als Multistage- Versuche über mehrere Temperaturen bei einer Frequenz von 10 Hz durchgeführt. Die Belastung der Probekörper erfolgt in Form einer kraftgeregelten, harmonischen Sinusschwellbelastung ohne Lastpausen. Die Unterspannung dient der Lagesicherung des Probekörpers während des Versuches und beträgt 0,020 MPa für alle Versuche. Während eines Versuches wird der Probekörper mit 3 unterschiedlichen Oberspannungen mit jeweils 30.000 Lastwechsel belastet. Die Messung der vertikalen Verformungen während des Versuches erfolgten über drei Extensiometer, die in Probekörpermitte jeweils um 120° versetzt angeordnet sind. Die Extensiometer wurden mit Hilfe von Gummiringen direkt am Probekörper angebracht, da die Klebeverbindung mit dem Magneten über die Versuchsdauer von 3 Stunden unter den Belastungen versagte. Zusätzlich sind noch 3 induktive Wegaufnehmer auf dem Laststempel positioniert. In Abbildung 5 sind die plastischen Dehnungen der Deckschichtvarianten in Abhängigkeit des Bindemittelgehaltes dargestellt. Für beide Korngrößenverteilungen ist zu erkennen, dass sich die plastischen Dehnungen mit zunehmendem Bindemittelgehalt zunächst reduzieren. Bei dem Bindemittelgehalt von 6,7 M-% bewirkt eine weitere Zugabe an Bitumen eine Verschlechterung der Verformungsbeständigkeit. Des Weiteren weisen die Varianten mit der feinen Korngrößenverteilung gegenüber denen mit der gröberen eine schlechtere Verformungsbeständigkeit mit gleichem Bindemittelgehalt und eine deutlichere Zunahme der plastischen Dehnungen ab einem Bindemittelgehalt von 6,70 M-% auf. Der Bindemittelgehalt von 6,71 M-% stellt aber nicht zwangsläufig den optimalen Bindemittelgehalt in Bezug auf die Verformungsbeständigkeit der groben Korngrößenverteilung dar. Es besteht die Möglichkeit, dass die Variante mit einem Bindemittelgehalt von 7,50 M-% eine bessere Verformungsbeständigkeit aufweisen könnte. Die Versuche belegen lediglich, dass sich das Verformungsverhalten bei einem Bindemittelgehalt von 7,76 M-% sich wieder verschlechtert. Abb. 5: Ergebnisse des einaxialen Druck-Schwellversuchs der Deckschichtvarianten bei T=40°C; σo=0,15 N/ mm² 3.4 Einfluss der Asphaltzusammensetzung auf das Griffigkeitsverhalten Im Anschluss an das Forschungsprojekt wurde der Einfluss der Asphaltzusammensetzung auf das Griffigkeitsverhalten mithilfe des Prüfverfahrens nach Wehner/ Schulze in der Diplomarbeit [11] untersucht. Das Prüfverfahren Wehner/ Schulze simuliert zeitraffend die Verkehrsbeanspruchung durch drei umlaufende, konische Gummirollen, die die Oberfläche der Asphaltplatte auf einer Kreisbahn befahren. Während der Überrollung der Gummirollen wird ständig ein Wasser-Quarz-Gemisch auf die Oberfläche des Probekörpers gespült um zum einen die Rollen zu kühlen und zum anderen um die Polierwirkung zu verstärken. Nach 90.000 Überrollungen der Asphaltplatte wurde die Oberfläche mit 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 139 Asphaltoptimierung nach Performancekriterien Korundsand abgestrahlt. Die Sandstrahlung simuliert die Beanspruchung der Asphaltfahrbahn durch Witterungseinflüsse und dem Winterdienst. Danach erfolgten 2 Durchgänge mit jeweils 90.000 Überrollungen. Der Reibungskoeffizienten wurde jeweils nach 90.000 Überrollungen und dem Sandstrahlen des Probekörpers mithilfe der Prüfanlage Wehner/ Schulze automatisiert unter definierten Prüfbedingungen ermittelt. Die Endgriffigkeit der Asphaltplatte wurde somit nach 270.000 Überrollungen bestimmt. Die Ergebnisse der Endgriffigkeit der Asphaltdeckschichtgemische sind für die feine KGV in Abbildung 6 und für die grobe KGV in Abbildung 7 dargestellt. Die feine Korngrößenverteilung besitzt im gesamten untersuchten Bindemittelbereich deutlich schlechtere Endgriffigkeitswerte als die grobe Korngrößenverteilung. Bei beiden Sieblinien der Deckschichtgemische konnte ein Bindemittelbereich festgestellt werden, indem die Variation des Bindemittelgehaltes geringe Auswirkungen auf das Griffigkeitsverhalten besitzt. Dieser Bereich liegt bei beiden Korngrößenverteilungen bei einem Bindemittelgehalt zwischen 6,0 M-% und 7,0 M-%. Bei einer weiteren Erhöhung des Bindemittelgehaltes nimmt die Endgriffigkeit insbesondere bei der feinen Korngrößenverteilung ab [11]. Abb. 6: Reibbeiwert PWS in Abhängigkeit des Bindemittelgehaltes SMA 11 S feine KGV [11] Abb. 7: Reibbeiwert PWS in Abhängigkeit des Bindemittelgehaltes SMA 11 S grobe KGV [11] 4. Ergebnisse der Prognoseberechnungen Mit den Versuchsergebnissen werden Prognoserechnungen durchgeführt, welche die Auswirkungen der Asphaltzusammensetzung auf Erhaltungs-/ Erneuerungs-intervalle verdeutlichen können. Die Prognoserechnungen sollen sich hauptsächlich auf die Spurrinnenbildung und Ermüdungsrissbildung innerhalb der Asphaltdeckschicht konzentrieren. Anhand der Versuchsergebnisse und dieser Prognoserechnungen sollen sowohl eine verbesserte Methode zur Bestimmung der Asphaltkonzeption als auch Konzeptionen für Asphaltgemische entwickelt werden, welche hinsichtlich ihrer Eigenschaften und Anforderungen optimiert sind. Die Prognoserechnungen wurden unter Annahme der folgenden Parameter durchgeführt. Die Mindestdicke des frostsicheren Oberbaus wurde bei einer BK 100 mit 70 cm ermittelt. Als Häufigkeitsverteilung des Achslastkollektivs wurde BAB Fernverkehr und der Oberflächentemperaturen die Zone 3 ausgewählt. Der Konstruktionsaufbau wurde nach RSTO 12 Tabelle/ Zeile 1 ausgewählt: • 4cm Asphaltdeckschicht • 8 cm Asphaltbinderschicht • 22 cm Asphalttragschicht • 36 cm Frostschutzschicht. Die Ergebnisse der Prognoserechnungen wurden wegen noch nicht erfolgter Kalibrierung der Verfahren (Ermüdung Nachweispunkt Deckschicht und Prognose der Spurrinnenbildung) als Relativwerte angegeben. Es erfolgte die Festlegung des Ergebnisses des nachfolgenden Befestigungsaufbaus als Referenzwert (100%): • SMA 11 S, feine Korngrößenverteilung, 6,79 M-% Bindemittelgehalt • AC 16 B S SG, 5,00 M-% Bindemittelgehalt • AC 22 T S, 4,39 M-% Bindemittelgehalt (50/ 70). Bei den unterschiedlichen Berechnungen wird nur die Asphaltdeckschicht variiert. 4.1 Ermüdungsrissbildung innerhalb der Asphaltdeckschicht Die Nachweisführung für die Deckschicht erfolgte in Analogie zu dem Verfahren der RDO Asphalt 2009 [2] für die Tragschicht. Nach RDO Asphalt 2009 sind die Beanspruchungen des Asphaltes soweit zu begrenzen, dass Risse in den Asphaltschichten während des Nutzungszeitraumes auszuschließen sind. Dabei wird angenommen, dass bis zu einer bestimmten Anzahl an ertragenen Lastwechselzahlen bei einer bestimmten Biegezugdehnung die Rissbildung verhindert werden kann. Erst bei einer Überschreitung der sogenannten Grenzlastwechselzahl entstehen Risse in der jeweiligen Asphaltschicht. Die Grenzlastwechselzahl ist dabei von dem jeweiligen vorherrschenden Beanspruchungszustand abhängig. Die verschiedenen Beanspruchungszustände setzen sich aus den verschiedenen Achslasten und den unterschiedlichen Temperaturzustände zusammen. Für die Berechnungen wird vorausgesetzt, dass die Teilschädigungen infolge der ertragenen Lastwechsel anhand der Hypothese von Miner zur Gesamtschädigung akkumuliert werden können. 140 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Asphaltoptimierung nach Performancekriterien In Abbildung 8 ist der Verlauf der vertikalen Dehnungen im Straßenquerschnitt dargestellt. Der maßgebende Nachweispunkt für die Asphaltdeckschicht ist die Oberseite der Deckschicht unter Betrachtung der vertikalen Zugdehnungen. Die größten Zugdehnungen treten dabei 165 mm neben der Lastachse an der Oberseite der Asphaltdeckschicht auf. Die kryogenen Zugspannungen werden bei diesem Nachweis nicht mit betrachtet, da diese in horizontaler Richtung entstehen und der Einfluss auf die vertikalen Zugdehnungen nicht ausreichend bekannt ist. Abb. 8: Verlauf der vertikalen Dehnungen im Straßenquerschnitt Aus den Ergebnissen der Prognoserechnungen (Abbildung 9) ist ersichtlich, dass die feine Korngrößenverteilung bei gleichem Bindemittelgehalt (mit Ausnahme von 8,0 M-%) des SMA 11 S einen deutlich geringeren Ermüdungsstatus aufweist als die grobe Sieblinie. Die feine Korngrößenverteilung besitzt den geringsten Ermüdungsstatus bei einem Bindemittelgehalt von 6,50 M-%. Bei weiterer Erhöhung des Bindemittelgehaltes verschlechtert sich das Ermüdungsverhalten der Deckschicht allmählich. Dagegen bewirkt die Zunahme des Bindemittelgehaltes über den gesamten untersuchten Bereich eine Verringerung (also Verbesserung) des Ermüdungsstatus bei den Deckschichtvarianten mit der groben Korngrößenverteilung. Abb. 9: relativer Ermüdungsstatus der Asphaltdeckschichtgemische 4.2 Prognose der Spurrinnenbildung Bei diesem Verfahren wird für die Spurrinnenprognose die Akkumulation der bleibenden Dehnungen durch zufallsbedingte Beanspruchungszustände vorgenommen. Dabei wird der Beanspruchungszustand anhand der berechneten elastischen Dehnung definiert. Somit kann durch die Impulskriechkurve, die mit Hilfe der elastischen Dehnung aufgestellt wird, der Zusammenhang zwischen dem Beanspruchungszustand und den plastischen Dehnungen geschaffen werden. Jeder Beanspruchungszustand ist weiterhin durch eine bestimmte Kombination aus den Belastungsgrößen Temperatur und Verkehrslast bestimmt. Anhand der Eintrittswahrscheinlichkeit der Belastungsgrößen kann somit jedem Belastungszustand eine beliebige Lastwechselzahl zugeordnet werden. Dabei werden die Kombination der Belastungsgrößen (Temperatur, Verkehrslast), sowie die Reihenfolge in der die Belastungszustände auftreten, zufällig generiert. Damit saisonale Veränderungen der Temperaturverläufe berücksichtigt werden können, werden Ordnungskriterien bei der zufälligen Kombination der Belastungsgrößen und der Reihenfolge der Belastungszustände eingeführt. Infolge der Beanspruchungszustände können in jedem Punkt des Fahrbahnoberbaus Zugbzw. Druckdehnungen entstehen, die in den Berechnungen ebenfalls mit berücksichtigt werden. Das Verfahren bietet die Möglichkeit die Zug- und Druckdehnungen unabhängig voneinander zu betrachten und somit auch unabhängige Materialparameter für beide Zustände zu ermitteln. Nach der Berechnung aller Beanspruchungszustände ermitteln sich die gesamten bleibenden Verformungen der Straßenkonstruktion durch Multiplikation der berechneten Verformung je Schicht mit der jeweiligen Schichtdicken und summiert diese über alle Schichten auf. Das Verfahren der Spurrinnenprognose wurde bisher weder validiert noch kalibriert, sodass nur vergleichende Untersuchungen an fiktiven Asphaltbefestigungen möglich sind. Des Weiteren wurde in diesem Forschungsprojekt das Zugverhalten der Asphaltgemische nicht versuchstechnisch ermittelt. Damit werden die Materialparameter, die mit Hilfe der Druck-Schwellversuche bestimmt wurden, für die Zug- und Druckphasen gleichermaßen verwendet. Die Ergebnisse der Spurrinnenprognose (Abbildung 10) belegen, dass die grobe Korngrößenverteilung im untersuchten Bindemittelbereich ein besseres Verformungsverhalten (Ausnahme bei einem Bindemittelgehalt von 5,61 M-%) aufweisen als die feine Korngrößenverteilung. Mit zunehmenden Bindemittelgehalt verbessert sich die Verformungsbeständigkeit der groben Korngrößenverteilung. Dagegen bewirkt die Zunahme des Bindemittelgehaltes bei der feinen Korngrößenverteilung eine Verschlechterung des Verformungsverhaltens. Zunächst steigt die Spurrinnentiefe zwischen den Varianten des SMA 11 S nur allmählich an. Ab dem Bindemittelgehalt von 7,52 M-% kommt es zu einer deutlichen Verschlechterung der Verformungsbeständigkeit. Aufgrund der ge- 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 141 Asphaltoptimierung nach Performancekriterien ringen Anzahl an auszuwertenden Versuchsergebnissen und der damit verbundenen hohen Unsicherheit bei der Bestimmung der Materialparameter für die Variante des SMA 11 S, der feinen Korngrößenverteilung, mit einem Bindemittelgehalt von 8,02 M-% wird auf eine Darstellung des Ergebnis der Prognoserechnung verzichtet. Abb. 10: relative Spurrinnentiefe der Fahrbahnkonstruktion unter Variation der Asphaltdeck-schichtgemische anhand des Druck-Schwellversuches am schlanken Probekörper 5. Optimierung der Asphaltdeckschichtgemische Bei der Optimierung des Bindemittelgehaltes sollten alle Kriterien (Ermüdung-, Verformungsbeständigkeit, Griffigkeit) bewertet werden. Dadurch können Bereiche des Bindemittelgehaltes ermittelt werden, in denen die Schwankung des Bindemittelgehaltes keine negativen Auswirkungen besitzen. Somit ist der optimale Bindemittelgehalt so zu wählen, dass aufgrund der zugelassen Differenz des Bindemittelgehaltes nach ZTV Asphalt 07/ 13 [7] weder zu Rissen oder Spurrinnen führen kann und eine ausreichende Griffigkeit während der Nutzungsdauer gewährleistet wird. Die feine Korngrößenverteilung besitzt im Bereich des Bindemittelgehaltes von 6,5 M-% bis 7,5 M-% geringe Unterschiede des Ermüdungsstatus. Außerhalb dieser Spanne erhöht sich das Risiko der Rissbildung während des Nutzungszeitraums deutlich. Der Bereich des Bindemittelgehaltes von 6,0 M-% bis 7,0 M-% weist ein sehr ähnliches Verformungsverhalten als auch Griffigkeitsverhalten auf. Dies bedeutet, dass in dem Bereich des Bindemittelgehaltes von 6,5 M-% bis 7,0 M-% der SMA 11 S mit der feinen Korngrößenverteilung nur geringe Unterschiede im Ermüdungs-, Verformungs- und Griffigkeitsverhalten aufweist. Der optimale Bindemittelgehalt sollte so gewählt werden, dass mit der zulässigen Differenz der ZTV Asphalt dieser Bereich eingehalten wird. Somit ist der optimale Bindemittelgehalt des untersuchten SMA 11 S (feine KGV) Bopt = 6,6 M-% (Abbildung 11). Abb. 11: Optimierung des Bindemittelgehaltes SMA 11 S feine KGV In dem Bereich des Bindemittelgehaltes von 6,7 M-% bis 8,0 M-% weist der SMA 11 S mit der groben Korngrößenverteilung nur geringe Unterschiede im Ermüdungs- und Verformungsverhalten auf. Allerdings ändert sich das Griffigkeitsverhalten im Bereich des Bindemittelgehaltes von 6,0 bis 7,0 M-% nur geringfügig. Hinsichtlich der Verkehrssicherheit und der Verkehrssicherungspflicht besitzt die Griffigkeit eine maßgebende Rolle. Daher ist der optimale Bindemittelgehalt des SMA 11 S (grobe KGV) Bopt = 6,8 M-%. Abb. 12: Optimierung des Bindemittelgehaltes SMA 11 S grobe KGV 142 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Asphaltoptimierung nach Performancekriterien 6. Zusammenfassung und Ausblick Hauptziel des Forschungsvorhabens ist es, über die die Bestimmung des Einflusses der Zusammensetzungen von Asphaltdeck- und Asphaltbinderschichtgemischen auf deren Gebrauchseigenschaften eine Herangehensweise für die Asphaltkonzeption von diesen Gemischen für zukünftige schwerste Verkehrsbelastung unter Verwendung von gebrauchsverhaltensorientierten Asphaltprüfverfahren zu entwickeln. Somit sollen Asphaltgemische entworfen werden, die hinsichtlich ihrer Eigenschaften und Anforderungen optimiert sind. Die Ergebnisse der Versuchsergebnisse und der Prognoserechnungen zeigten ebenfalls, dass es bei allen untersuchten Asphaltgemischen jeweils ein Bereich des Bindemittelgehaltes ermittelt wurde, in denen sich das Griffigkeits-, das Ermüdungs- und das Verformungsverhalten nur geringfügig ändern. Anhand der Laboruntersuchungen und der Prognoserechnung konnte eine Herangehensweise zur Optimierung von Asphaltgemischen für zukünftige schwerste Verkehrsbelastung aufgestellt werden. Aufgrund einer fehlenden Kalibrierung der Prognoserechnung der Ermüdungsrissbildung für die Deckschicht, sowie die fehlende Validierung der Verfahrensweise der Spurrinnenbildung konnten die Ergebnisse nur als Relativwerte angegeben werden. Zur Ermittlung der Auswirkung der Asphaltgemische auf ihre Nutzungsdauer bzw. auf Erhaltungs-/ Erneuerungs-intervalle ist es wünschenswert, dass die Verfahren in Zukunft kalibriert bzw. validiert würden. In dieser Arbeit wurde die Optimierung der Asphaltzusammensetzung in Bezug auf die Korngrößenverteilung und des Bindemittelgehaltes für einen SMA 11 S durchgeführt. Eine Ausweitung der Optimierung der Asphaltzusammensetzung auf modifizierte und viskositätsveränderte Bindemittel sollte in weiteren Forschungen mit berücksichtigt werden. Quellenverzeichnis [1] H Al Abi 2015; Hinweise für die Planung und Ausführung von Alternativen Asphaltbinderschichten Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, FGSV Verlag GmbH; Köln; 2015 [2] RDO-Asphalt 09; Richtlinien für die rechnerische Dimensionierung des Oberbaus von Verkehrsflächenbefestigung mit Asphaltdeckschichten Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, FGSV Verlag GmbH; Köln; 2009 [3] RStO 2012; Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, FGSV Verlag GmbH; Köln; 2012 [4] TL Asphalt-StB 2007; Technische Lieferbedingungen für Asphaltmischgut für den Bau von Verkehrsflächenbefestigungen Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, FGSV Verlag GmbH; Köln; 2013 [5] TP Asphalt-StB Teil 24 Entwurf 2017; Spaltzug- Schwellversuch - Beständigkeit gegen Ermüdung Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, unveröffentlicht; Entwurf 2017 [6] TP Asphalt-StB Teil 26 Entwurf 2017; Spaltzug- Schwellversuch - Bestimmung der Steifigkeit Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, unveröffentlicht; Entwurf 2017 [7] ZTV Asphalt-StB 2007; Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für den Bau von Verkehrsflächenbefestigungen aus Asphalt Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, FGSV Verlag GmbH; Köln; 2013 [8] Dragon, I.; Reinhardt, U. Weiterentwicklung der Ansätze für die Spurrinnenprognose von Asphaltbefestigungen, Straße und Autobahn; 66. Jahrgang; Heft 4, Kirchbaum-Verlag GmbH; 2015 [9] Wellner, F.; Kamratowsky, E. Entwicklung von Asphalten für zukünftige schwerste Verkehrsbelastung, Schlussbericht zum IGF-Vorhaben Nr. 18472 BR, Dresden, 2018 [10] Radenberg, M.; Schmitz, J. Theoretische Berechnung des Bindemittelbedarfes für Dünne Schichten im Kalteinbau (DSK) Bitumen; 58. Jahrgang; Heft 2; Seiten 50-53 Urban-Verlag Hamburg/ Wien GmbH, Isernhagen; 1996 [11] Roski, S. Auswirkungen der Asphaltzusammensetzung auf das Griffigkeitsverhalten von Asphaltdeckschichtgemischen, Diplomarbeit, Dresden, 2019 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 143 Einsatz und messtechnische Überprüfung von emissionsreduziertem Asphalt im kommunalen Straßenbau - ein Beitrag zum Klima- und Arbeitsschutz Thomas Schönauer B.Eng. FH Münster - University of Applied Sciences (Forschungsgruppe Verkehrswesen), Münster, Deutschland Maria Koordt, M.Sc. Stadt Münster - Amt für Mobilität und Tiefbau, Münster, Deutschland Dr. Alexander Buttgereit Stadt Münster - Amt für Mobilität und Tiefbau, Münster, Deutschland Dr. Daniel Gogolin Ingenieurgesellschaft PTM, Dortmund, Deutschland Dr. Knut Johannsen EUROVIA Services GmbH - MPA, Bottrop, Deutschland Prof. Dr.-Ing. Hans-Hermann Weßelborg FH Münster - University of Applied Sciences (Forschungsgruppe Verkehrswesen), Münster, Deutschland Zusammenfassung Bereits seit vielen Jahren betreibt das Amt für Mobilität und Tiefbau (AMT) der Stadt Münster ein Umweltmanagement, wobei die Beteiligten aktiv nach umweltverträglichen Lösungen suchen und diese anwenden. Im Jahr 2018 wurde zudem durch die ständige Senatskommission zur Prüfung gesundheitlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) der MAK-Wert (maximale Arbeitsplatz-Konzentration) für Dämpfe und Aerosole von Bitumen (Destillationsbitumen, Air-Rectified-Bitumen und Gussasphalt) auf 1,5 mg/ m³ festgelegt und eine Einstufung der Kanzerogenität in die Kategorie 3B vorgenommen. Da für die Einhaltung des Grenzwertes sowohl technische Maßnahmen an der Einbautechnik als auch Veränderungen in der Materialtechnologie denkbar sind, wurden in einem Gemeinschaftsprojekt zwischen der EUROVIA Services GmbH und der Stadt Münster, vier ländlich gelegene Teststrecken zu einer Hälfte mit Warmmix-Asphalt (WMA) und als Referenz zu einer Hälfte mit konventionell heißgemischtem Asphalt hergestellt. Hierbei kam ein Radfertiger mit einer eingebauten Bohlenabsaugung zum Einsatz, mit welcher etwaige Aerosole und Dämpfe an der Übergabestelle zur Verteilerschnecke abgesaugt und vorne am Mischgutbehälter ausgeblasen werden können. Neben den mit der Eigenüberwachung einhergehenden Messungen (Mischguttemperatur, Verdichtungszustand - Isotopensonde, etc.), welche in Zusammenhang mit den Kontrollprüfungen erste positive Ergebnisse brachten, wurden zusätzliche Expositionsmessungen mit einem Photoionisationsdetektor (PID) durchgeführt. Diese PID-Messungen lieferten zwar ebenfalls plausible Ergebnisse, jedoch können keine Aussagen über die Kanzerogenität getroffen werden. 144 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Einsatz und messtechnische Überprüfung von emissionsreduziertem Asphalt im kommunalen Straßenbau - ein Beitrag zum Klima- und Arbeitsschutz 1. Einleitung Der Schwerpunkt der Straßenbauarbeiten der Stadt Münster liegt schon seit Jahren in der Straßenerhaltung. Deshalb ist die Prozesskette der Straßenerhaltung nach einem Klimaschutz-Potential, insbesondere der CO2-Reduktion, untersucht worden. Bei der Betrachtung der Prozesskette ist sehr schnell deutlich geworden, dass das größte Potential in der Einsparung von CO2-Emission bei der Produktion des Asphaltes an der Mischanlage liegt (vgl. [1, S. 845ff]). Um dieses Potential zu nutzen, ist es aus Sicht des Amts für Mobilität und Tiefbau (AMT) erforderlich, verantwortlich zu handeln, in dem künftig verstärkt temperaturabgesenkter Asphalt zur Ausführung kommt. In Deutschland (also auch in Münster) besteht dabei die Problematik, dass es aktuell kaum Ansprechpartner*innen und Erfahrungen gibt, um die Technologie sofort als Standard umsetzen zu können, wodurch sich u.a. die folgenden Fragen ergeben. • Ist ein „Warmmix-Asphalt“ mit den zur Verfügung stehenden Materialien überhaupt in gleicher Qualität herstellbar? • Welche Anpassungen müssen ggf. in der Bautechnik, dem Bauprozess und dem Erhaltungsmanagement vorgenommen werden? • Welche Auswirkungen hat das auf die städtischen Klimaziele? • Welche Auswirkungen hat das auf den kurz-, mittel- und langfristigen Finanzbedarf? Als ein begleitender Umstand kommt außerdem hinzu, dass aus Arbeitsschutzgründen nach Lösungen gesucht werden muss, um die Arbeitsplatzgrenzwerte für das Baustellenpersonal sicher einhalten zu können. Die erstmalige Einführung eines Luftgrenzwertes für Dämpfe und Aerosole aus Bitumen bei der Heißverarbeitung erfolgte dabei in Deutschland im Herbst 1996. Hierbei wurde ein Grenzwert von 20 mg/ m³ für Arbeiten in Innenräumen und 15 mg/ m³ für alle übrigen Arbeiten festgelegt. Auf Basis koordinierter Arbeitsplatzmessungen durch den Gesprächskreis BITUMEN legte der Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) im Mai 2000 den Grenzwert auf 10 mg/ m³ fest, welcher jedoch nicht für Gussasphaltarbeiten galt. Bei Fertigerfahrern*innen bzw. Kolonnenführern*innen wurde dabei außerdem ein tolerierbarer Grenzwert von 12 mg/ m³ eingeräumt. Durch die Einführung einer neuen Gefahrstoffverordnung wurden alle technisch bedingten Grenzwerte und somit auch der Grenzwert für Dämpfe und Aerosole aus Bitumen bei der Heißverarbeitung ab dem 1. Januar 2005 ausgesetzt, wobei der Einbau von Gussasphalt seit 2008 nur noch bei abgesenkten Temperaturen von maximal 230 °C erfolgen darf. (vgl. [2, S. 7ff]) Infolgedessen wurde Bitumen bis 2017 in der MAK- und BAT-Werte-Liste der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zwar in die Kategorie 2 der Krebserzeugenden Arbeitsstoffe eingestuft, jedoch bestand kein Grenzwert für die bei der Heißverarbeitung entstehenden Dämpfe und Aerosole (vgl. [3, S. 171]). Neben der seit längerem bestehenden Anregung aus der Kommission, dass das krebserzeugende Potential von Bitumen überprüft werden soll, wurde in der MAK- und BAT-Werte- Liste von 2017 außerdem die Anregung zur Aufstellung eines MAK-Wertes festgehalten (vgl. [3, S. VIII]). Mit der Mitteilung 54 der Ständigen Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der DFG erfolgte daraufhin eine Festlegung des MAK-Wertes für Dämpfe und Aerosole von im Straßenbau vorkommenden Destillationsbitumen, Air-Rectified-Bitumen und Gussasphalt bei der Heißverarbeitung auf 1,5 mg/ m³. Zudem wurde hierfür eine Neueingruppierung der Kanzerogenität in die Kategorie 3B vorgenommen, wodurch deutlich wird, dass zwar Anhaltspunkte für eine krebserzeugende Wirkung bestehen, aber für eine endgültige Einstufung weitere Untersuchungen erforderlich sind. (vgl. [4, S. 38ff]) Dennoch wurde nach der Tagung des AGS am 19.11. und 20.11.2019 dieser Grenzwert, welcher nach dem Bitumenkondensat-Standard gemessen wird, in der TRGS 900 festgeschrieben. Die verbindliche Einführung erfolgte dabei durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Gemeinsamen Ministerialblatt (GMBl), wobei der Grenzwert für Walz- und Gussasphalt bis zum 31.12.2024 ausgesetzt wurde, sodass eine fünfjährige Übergangsfrist für die Umsetzung geeigneter Maßnahmen zur Einhaltung des Grenzwertes besteht. (vgl. [5]) Zur Einhaltung des Grenzwertes sind dabei sowohl technische Maßnahmen an der Einbautechnik als auch Veränderungen in der Materialtechnologie denkbar. Insbesondere die Senkung der Misch- und Einbautemperatur wird in diesem Zusammenhang als zielführend und notwendig angesehen. Hierbei kommen u.a. viskositätsveränderte Bindemittel zur Anwendung (vgl. [6, S. 10]), deren Funktionalität bei diversen Baumaßnahmen und Teststrecken in den vergangenen Jahren erprobt und ausgewertet wurde (vgl. [7, S. 41]). Darüber hinaus sind weitere Verfahren, insbesondere im Ausland, seit vielen Jahren in der Anwendung. Dazu gehören u.a. die Verwendung von chemischen Zusätzen, Schaumbitumen oder Bitumenemulsionen. Allein im Jahr 2019 wurden in den Vereinigten Staaten von Amerika rund 160 Mio. Tonnen Asphaltmischgut unter Verwendung chemischer Additive und Schaumbitumen produziert, was ungefähr dem Vierfachen der deutschen Jahresproduktion entspricht (vgl. [8, S. 8], [9]). Allgemein wird hierbei zwischen „Hot Mixes“, „Warm Mixes“ und „Cold Mixes“ unterschieden, wobei die Eingruppierung anhand der Misch- und Einbautemperatur erfolgt. (vgl. [10, S. 41]) Aber auch der Einsatz von z.B. Absauganlagen bei Asphaltfertigern wird als maschinenbautechnische Lösung zur Reduzierung der Immission von Dämpfen und Aerosolen, insbesondere bei den Fertigerfahrern*innen, angesehen (vgl. [11]). 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 145 Einsatz und messtechnische Überprüfung von emissionsreduziertem Asphalt im kommunalen Straßenbau - ein Beitrag zum Klima- und Arbeitsschutz Aufgrund der neuen Vorgaben für die Arbeitsbelastung durch den modifizierten Arbeitsplatzgrenzwert gilt es aktuell, verschiedene Maßnahmen zur Temperaturreduzierung sowohl maschinentechnisch als auch materialspezifisch zu untersuchen. Dabei stehen die Umsetzbarkeit, Einsatzgebiete und tatsächlichen Potenziale in Bezug auf die Temperaturabsenkung bei mindestens gleichbleibender Qualität im Vergleich zur konventionellen Bauweise im Vordergrund. Das im Folgenden beschriebene Projekt umfasst vier ländlich gelegene Teststrecken (Hunnebeckweg, Derßenbrockstiege / Schmitthausweg, Wellingweg und Vogelsang) welche jeweils zu einem Teil mit Warmmix- Asphalt (WMA) und als Referenz zu einem Teil mit konventionell heißgemischtem Asphalt ausgeführt wurden. Die Ausführung aller Teststrecken erfolgte dabei mit einer Asphalttragschicht (AC 22 T N) und einer darüberliegenden Asphaltdeckschicht (AC 5 D L). Neben den im Rahmen der Eigenüberwachung durchgeführten Messungen wurden zudem Expositionsmessungen mit einem Photoionisationsdetektor (PID) durchgeführt. Das hier verwendete PPID (Portable PID) wurde dabei von der Honold GmbH & Co. KG aus Nümbrecht zur Verfügung gestellt. 2. Grundlagen Zum besseren Verständnis der durchgeführten Messungen und der daraus hervorgehenden Messergebnisse, werden im Folgenden die entsprechenden Begriffe und Messverfahren näher beschrieben und erläutert. 2.1 Emissionsreduzierte Asphalte Warmmix-Asphalt (WMA) Mit dem Einsatz von temperaturabgesenkten Asphalten wird die Reduzierung der Herstell- und Verarbeitungstemperatur von Asphaltmischgütern gegenüber ihrer im Heißeinbau angewendeten Asphaltmischgutarten und sorten verfolgt (vgl. [6, S. 6]). Durch die Absenkung der Verarbeitungstemperatur um ca. 20 C° können u.a. durch den geringeren Energiebedarf für das Erhitzen der Gesteinskörnung und des Bindemittels die dabei auftretenden CO 2 Emissionen abgemindert werden. Neben der Einsparung von Energie bewirkt die Temperaturabsenkung außerdem eine Reduzierung des Verschleißes an den Asphaltmischanlagen sowie eine geringere Alterung des Bitumens. Vor allem jedoch nimmt die Verringerung von Expositionen, welchen die Beschäftigten bei der Heißverarbeitung von Asphalt ausgesetzt sind, in Bezug auf den Arbeitsschutz einen wichtigen Stellenwert ein. (vgl. [2, S. 14]) Da mit der Temperaturabsenkung eine Steigerung der Bindemittelviskosität einhergeht, werden dessen rheologische Eigenschaften durch viskositätsverändernde organische oder mineralische Zusätze verändert. Gleichermaßen können gebrauchsfertige viskositätsveränderte Bindemittel eingesetzt werden, welche bereits durch die Zugabe geeigneter Zusätze eine Veränderung ihrer rheologischen Eigenschaften erfahren haben. (vgl. [6, S. 6f]) Zu den viskositätsverändernden organischen Zusätzen gehören hierbei diverse Wachse bzw. Paraffine, wie z.B. Fettsäureamid mit einem Schmelzbereich von 140 bis 145 °C, Fischer-Tropsch-Wachs mit einem Schmelzbereich von 70 bis 115 °C sowie Montan-Wachs mit einem Schmelzbereich von 80 bis 125 °C, welcher bei einer Mischung aus Montan-Wachs und Wachs-Derivaten bis auf ca. 140 °C ausgeweitet werden kann. (vgl. [6, S. 6f]) Anders als bei den organischen Zusätzen, werden die viskositätsverändernden mineralischen Zusätze, i.d.R. natürliche und synthetisch hergestellte Zeolithe, während des Herstellungsprozesses als Gesteinskomponente mit dem Füller hinzugegeben (vgl. [4, S. 7], [10, S. 13]). Beim Erhitzen geben die Zeolithe sodann ihr kristallin gebundenes Wasser in Form von mikrofeinen Dampfblasen an das Bitumen ab, wodurch dessen Verarbeitungsviskosität stark abgesenkt wird. Während dies eine Verarbeitung des Asphaltmischgutes auch bei geringeren Temperaturen begünstigt, kondensiert das gasförmige Wasser wiederum beim Abkühlprozess, sodass das Bindemittel wieder seine Ursprungsviskosität erreicht und die Eigenschaften eines konventionellen Asphaltmischgutes wiedererlangt werden können. (vgl. [10, S. 13]) Neben den im Merkblatt für Temperaturabsenkung von Asphalt (M TA) beschriebenen Additiven kommen im Ausland weit überwiegend Chemische Additive sowie Schaumbitumen für die Herstellung von WMA zum Einsatz (vgl. [12]). Beim Schaumbitumen wird in das heiße Bitumen eine kleine Menge Wasser unter Druck injiziert, welches dadurch unmittelbar verdampft. Der entstehende Dampf schäumt das Bitumen auf, wodurch sich das Volumen deutlich erhöht. Durch diesen Effekt wird für eine bestimmte Zeit die scheinbare Viskosität des Bitumens herabgesetzt, was eine Umhüllung der Gesteinskörnung auch bei niedrigeren Temperaturen begünstigt. Die überbleibende Restfeuchte, die im Laufe des Verdichtungsprozesses entweicht, ermöglicht dabei eine Verdichtung des Asphalts auch bei niedrigeren Temperaturen. (vgl. [12]) Die chemischen Additive, zu welchen das in dem Projekt verwendete EVOTHERM ® MA3 der Produktgruppe Tempera ® von INGEVITY gehört, bewirken hingegen keine messbare Veränderung der Bitumenviskosität. Sie dienen stattdessen als Tenside, wobei sie die Oberflächenspannung des Bitumens herabsetzen. Dies hat wiederum eine Reduzierung der Reibungskräfte an der Grenzfläche zwischen Bitumen und Gesteinskörnung zufolge, wodurch sich der Asphalt auch bei niedrigeren Temperaturen mischen und verarbeiten lässt. (vgl. [12]) 2.2 Aerosole Als Aerosole treten an Arbeitsplätzen i.d.R. Stäube, Rauche oder Nebel auf, die insbesondere aus in der 146 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Einsatz und messtechnische Überprüfung von emissionsreduziertem Asphalt im kommunalen Straßenbau - ein Beitrag zum Klima- und Arbeitsschutz Luft dispers verteilten partikelförmigen Feststoffen oder Flüssigkeiten bestehen. Während Stäube primär aus mechanischen Prozessen oder durch Aufwirbelung entstehen, werden Rauche durch thermische oder chemische Prozesse mit feineren Feststoffen erzeugt. Nebel tritt hingegen als disperse Verteilung von partikelförmigen flüssigen Stoffen (Tröpfchen) in Gasen bzw. in der Luft auf. Ein Nebel kann somit beim Zerstäuben von Flüssigkeiten, beim Kondensieren aus der Dampfphase oder durch chemische Prozesse, wie z.B. beim Ölnebel, entstehen. (vgl. [13, S. 173]) Als gesundheitlich relevante Aerosolfraktionen werden dabei die mit Grenzwerten belegten alveolengängigen (A)-Fraktionen und die einatembaren (E)-Fraktionen unterschieden (vgl. [13, S. 174]). 2.3 IFA-, NIOSCH- und Heritage-Methode Zur Messung von Dämpfen und Aerosolen aus Bitumen kommen i.d.R. die IFA- (Institut für Arbeitsschutz), NIOSH- (National Institute for Occupational Safety and Health) und die Heritage-Methode zum Einsatz (vgl. [14, S. 1272f]). Bei der IFA-Standardmethode wird mit einer Pumpe die Luft am Arbeitsplatz angesaugt und durch einen 37-mm-Glasfaserfilter sowie einen nachgeschalteten XAD-2-Adsorber geführt. Bei einem kontinuierlichen Luftstrom von 3,5 l/ min werden dabei die Aerosole auf dem Glasfaserfilter und die Dämpfe auf dem Adsorber zurückgehalten. Durch eine quantitative, infrarotspektroskopische Auswertung des mit Tetrachlorethen extrahierten Filters und Adsorbens werden anschließend alle organischen Verbindungen, welche die aliphatischen C- H-Gruppen aufweisen, erfasst. Seit 2007 erfolgt hierbei die Ermittlung des Messwertes auf Basis des Kalibrierstandards „Bitumenkondensat“, während dies vorher über den Kalibrierstandard „Mineralöl für die Spektroskopie“ erfolgte. Der Vergleich zweier, auf dem jeweils anderen Kalibrierstandard beruhenden, Messwerte kann dabei mit dem Faktor 1,4689 (gerundet 1,5) erfolgen, wobei dieser mit dem Messwert nach Mineralölstandard multipliziert werden muss. (vgl. [14, S. 1272]) Mit der NIOSH-Methode können im Gegensatz zur IFA- Methode nur Aerosole und Stäube, aber keine Dämpfe erfasst werden. Bei einem von einer Pumpe erzeugten Volumenstrom von 2 l/ min wird hierbei die Luft am Arbeitsplatz durch eine Filterkassette mit einem 37-mm- Polytetrafluorethylen-Filter (PTFE) gesaugt. Auf diesem Filter werden die Stäube und Aerosole aus der Luft abgeschieden und durch deren gravimetrische Analyse vorerst die Gesamtpartikelmasse „Total Particulate Matter“ (TPM) ermittelt. Nach dem Extrahieren der benzollöslichen Bestandteile und dem anschließenden Abdampfen des Lösungsmittels (Benzol), werden die verbleibenden Bestandteile gravimetrisch bestimmt und als benzollösliche Fraktion „Benzene Soluble Fraction“ (BSF) bezeichnet. (vgl. [14, S. 1272f]) Eine Erweiterung der NIOSH-Methode stellt im Weiteren die Heritage-Methode dar. Hierbei wird dem Polytetrafluorethylen-Filter (PTFE) ein XAD-2-Adsorber nachgeschaltet. Dadurch werden auch die flüchtigen Bestandteile der Bitumen-Emissionen erfasst und nachfolgend das Adsorbens mit Dichlormethan extrahiert. Zusammen mit der benzollöslichen Fraktion kann somit mittels Flammen-Ionisations-Detektor der Gesamtgehalt an organischer Substanz „Total Organic Matter“ (TOM) ermittelt werden, wobei dieser anhand eines Kerosinstandard gemessen wird. (vgl. [14, S. 1272f]) 2.4 Photoionisationsdetektor (PID) Während die zuvor erwähnten gängigen Methoden zur Messung von Dämpfen und Aerosolen aus Bitumen i.d.R. eine mehrstündige Probenahme und eine nachträgliche Analyse im Labor erfordern und somit erst mit größerem zeitlichen Abstand zur Exposition vorliegen, können mit einem PID bereits vor Ort bestimmte Stoffe (z.B. Benzol, Toluol, etc.) gemessen werden. Hierbei wird wie bei den bereits genannten Methoden die Umgebungsluft mit einer integrierten Pumpe angesaugt, wobei diese Luft direkt an einer Entladungsröhre, im Allgemeinen eine UV-Lampe mit einem Ionisierungspotential von 10,6 eV, vorbeigeführt wird. Liegt die Energie des eingestrahlten Lichts über dem Ionisierungspotential der zu bestimmenden Stoffe, so werden diese ionisiert, woraus der PID schließlich ein Summensignal erzeugt. (vgl. [15, S. 7f]) Neben einer mit Krypton gefüllten 10,6 eV-Lampe kommen u.a. Lampen mit 11,7 eV, welche mit Argon gefüllt sind, zum Einsatz. Mit diesen können gleichzeitig mehrere Gefahrstoffe, wie z.B. Benzol, Toluol, Ethanol, Aceton und Methanol gemessen werden, während bei einer 10,6 eV-Lampe Methanol keine Auswirkung auf das Summensignal hat. Bei einer 9,5 eV-Lampe mit Xenon Füllung wird im Weiteren nur noch ein Summensignal für Benzol und Toluol erfasst. (vgl. [15, S. 7f]) Speziell bei diesem Projekt kam ein Portable PID (PPID) der Firma Analytical Control Instruments GmbH zum Einsatz, welches ebenfalls auf der Grundlage des molekularen Photoeffekts basiert und eine Hohlkathodenlampe mit einer Ionisationsenergie von 10,6 eV besitzt (vgl. [16, S. 11]). 3. Untersuchungsgebiet Das Untersuchungsgebiet umfasst im vorliegenden Anwendungsfall insgesamt vier, im Umkreis der Stadt Münster gelegene, ländliche Wege. Im Folgenden werden die einzelnen Teststrecken in ihrer Lage und Art beschrieben sowie auf deren Schichtenaufbau und die eingesetzten Einbau- und Verdichtungsgeräte eingegangen. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 147 Einsatz und messtechnische Überprüfung von emissionsreduziertem Asphalt im kommunalen Straßenbau - ein Beitrag zum Klima- und Arbeitsschutz 3.1 Teststrecken Bei den vier in Münster gelegenen Teststrecken handelt es sich um den Wellingweg, die Derßenbrockstiege bzw. den Schmitthausweg sowie den Hunnebeckweg (Hülshoffstraße) und den Vogelsang. Jeder dieser ländlichen Wege umfasst dabei zwei Testfelder, welche entweder mit einer Oberflächenbefestigung aus WMA oder aus konventionell heißgemischtem Asphalt hergestellt wurden. Aufgrund des Herstellungsprozesses an der für alle Strecken genutzten Asphaltmischanlage „Münster 1“ der Asphaltmischwerke Westfalen (AMW), wurde der WMA grundsätzlich zuerst gemischt und eingebaut. Nachfolgend wird auf etwaige Besonderheiten bei den Teststrecken eingegangen. Die jeweiligen Einbaulängen [m] sowie die Einbaumengen [t] können dabei der Tabelle 1 entnommen werden. Der Wellingweg stellt in diesem Projekt die erste der vier Teststrecken dar, bei welcher der WMA eingesetzt wurde. Die Straße liegt im nordöstlichen Teil von Münster und ist ca. 950 m lang. Bei der Baumaßnahme wurden insgesamt etwa 540,40 m mit einer neuen Tragschicht (AC 22 T N) und Deckschicht (AC 5 D L) versehen. Die Unterlage für die Tragschicht bestand dabei aus einer Ausgleichsschicht mit einem darüberliegenden Geogitter (Abb. 1). Abb. 1: Unterlage der Tragschicht -Wellingweg Die ländlich gelegenen Wege Derßenbrockstiege bzw. Schmitthausweg, welche die zweite Teststrecke darstellen, liegen ebenfalls im nordöstlichen Teil von Münster und besitzen zusammen eine Gesamtlänge von etwa 2,4 km. Erneuert wurden hierbei wiederum etwa 560,00 m. Aufgrund der teilweise seitlich verlegten Rasengittersteine, bei welchen die Gefahr des Verdrückens durch die zurücksetzenden LKW bestand, musste der Einbau in zwei Bauabschnitten erfolgen. Für die Deckschicht war hingegen eine Aufteilung in zwei Bauabschnitte nicht nötig. Die Unterlage der Tragschicht setzte sich wiederum aus einer Ausgleichsschicht und einem darauf aufgebrachten Geogitter zusammen (Abb. 2). Abb. 2: Unterlage und Rasengittersteine - Derßenbrockstiege / Schmitthausweg Tabelle 1: Zusammenstellung der jeweiligen Einbaulängen und Einbaumengen der Teststrecken Strecke Schichtart Einbaudatum WMA konventionell heißgemischter Asphalt Einbaulänge [m] Menge [t] Einbaulänge [m] Menge [t] Wellingweg AC 22 T N (50/ 70) 14.05.2020 300 238 230 188 AC 5 D L (70/ 100) 15.05.2020 250 55 290 81 Derßenbrockstiege Schmitthausweg AC 22 T N (50/ 70) 18.05.2020 310 270 230 213 AC 5 D L (70/ 100) 19.05.2020 350 108 210 55 Hunnebeckweg (Hülshoffstraße) AC 22 T N (50/ 70) 25.05.2020 430 350 260 188 26.05.2020 - - 460 350 AC 5 D L (70/ 100) 27.05.2020 530 110 620 137 Vogelsang AC 22 T N (50/ 70) 28.05.2020 350 187 320 218 AC 5 D L (70/ 100) 29.05.2020 400 82 270 81 148 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Einsatz und messtechnische Überprüfung von emissionsreduziertem Asphalt im kommunalen Straßenbau - ein Beitrag zum Klima- und Arbeitsschutz Die dritte Teststrecke für den Einsatz von WMA stellt ein westlich von Münster gelegener Seitenarm der Hülshoffstraße dar, welcher während der Projektbearbeitung unter dem Namen Hunnebeckweg geführt wurde. Bauanfang war hier die westlich der Hülshoffstraße gelegene Überquerung der Hunnebecke in nordwestlicher Richtung, wobei das Bauende an der Einmündung zum Hunnebeckweg lag. Entgegen der beiden vorherigen Teststrecken bestand hier die Unterlage der Tragschicht zum Teil aus der bereits bestehenden Asphaltdeckschicht inkl. einer aufgebrachten Bitumenemulsion bzw. einem aufgebrachten Haftkleber und zum Teil aus einer Ausgleichsschicht mit darüberliegendem Geogitter. Der Wechsel der Unterlage erfolgte hierbei kurz vor dem Übergang der Tragschicht von WMA auf konventionell heißgemischten Asphalt. (Abb. 3) Abb. 3: Wechsel der Tragschichtunterlage - Hunnebeckweg (Hülshoffstraße) Die letzte der vier Teststrecken ist in diesem Projekt die südwestlich von Münster gelegene Straße Vogelsang, welche eine Gesamtlänge von etwa 3,40 km besitzt. Das Testfeld lag hierbei zwischen dem Weg „Niederort“ und der Überführung über die Bundesautobahn (A 43), woraus sich eine Gesamteinbaulänge von etwa 671,50 m bzw. 789,50 m (Teilweiser zweibahniger Einbau) ergab. Der Bauanfang lag außerdem jeweils auf der Seite des Weges „Niederort“. Die Gründung der Tragschicht erfolgte über die gesamte Strecke auf der bestehenden Deckschicht, welche im Vorfeld mit einer Bitumenemulsion bzw. einem Haftkleber angespritzt wurde (Abb. 4). Abb. 4: Unterlage der Tragschicht und zweibahniger Einbau - Vogelsang Um den Haftverbund zwischen den beiden Deckschichtbahnen zu gewährleisten, wurde zudem die Längsnaht im „heiß an kalt“ Verfahren ausgebildet. Hierbei wird auf die leicht angeschrägte Nahtkante der ersten Bahn ein Bindemittel aufgetragen, bevor die zweite angrenzende Bahn asphaltiert wird. (vgl. [17, S. 24]) Abb. 5: Ausführung der Längsnaht zwischen den Deckschichtbahnen - Vogelsang 3.2 Geräteeinsatz Zur Herstellung der Asphaltschichten auf den einzelnen Teststrecken kamen diverse Baugeräte zum Einsatz. Hierzu zählten i.d.R. ein Radfertiger, zwei Tandemwalzen sowie eine kleinere Kombiwalze. Bei dem Asphaltfertiger handelt es sich um einen Radfertiger der Firma DYNAPAC (Baujahr 06/ 2016) mit der Typenbezeichnung „DYNAPAC SD2500WS“, welcher über eine Bohlenabsaugung verfügt. Dieses Emission Reduction Device (ERD) saugt während des Betriebes die an der Übergabestelle zwischen Tunnel und Verteilerschnecke anfallenden Dämpfe und Aerosole ab und leitet diese an der Vorderseite des Fertigers über den Mischgutbehälter (Mulde) ab (Abb. 6). Zusammen mit der Abluft der Motorkühlung und der Thermik, welche durch das heiße Material im Mischgutbehälter (Mulde) entsteht, sollen so die Aerosole und Dämpfe schnell nach oben steigen. (vgl. [18]) Abb. 6: Auslass der Absaugvorrichtung (ERD) 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 149 Einsatz und messtechnische Überprüfung von emissionsreduziertem Asphalt im kommunalen Straßenbau - ein Beitrag zum Klima- und Arbeitsschutz Zur Verdichtung der Asphaltschichten kamen auf den Teststrecken vorwiegend zwei schwere (zul. Gesamtgewicht 12 t), schemelgelenkte Tandemwalzen (Typ: BW 174 AP-4 AM; Bj. 2011) der Firma BOMAG zum Einsatz. Neben diesen Tandemwalzen wurde zudem eine kleinere Kombiwalze (zul. Gesamtgewicht 3.320 kg), mit einer vorderseitigen Vibrationsbandage und einem hinten angebrachten Rädersatz genutzt. Diese mit Knicklenkung versehene Walze der Firma HAMM entspricht dabei dem Typ HD 12 VT der Serie H262 (Abb. 7). Abb. 7: Eingesetzte Tandemwalze (links) & Kombiwalze (rechts) 4. Messungen und Messergebnisse Im Rahmen der Eigenüberwachung wurde neben der Messung der Mischguttemperatur beim Einbau, der Verdichtungszustand mit einer Isotopensonde überwacht. Zudem wurde die Oberflächentemperatur der eingebauten Asphaltschicht mit einer Infrarotkamera (Thermografie) gemessen sowie Expositionsmessungen mit einem PID durchgeführt. 4.1 Messung der Mischguttemperatur Die Messung der Mischguttemperatur erfolgte unter Verwendung eines Einstechthermometers bei der Anlieferung des jeweiligen Mischgutes im Mischgutbehälter (Mulde) des Fertigers. Während in den Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für den Bau von Verkehrsflächenbefestigungen aus Asphalt (ZTV Asphalt-StB) für konventionelle Asphalte Obergrenzen für die Asphalttemperatur bei der Herstellung und untere Grenzwerte bei der Anlieferung auf der Baustelle festgelegt sind (Tabelle 2), gibt es für temperaturabgesenkte Asphalte nach dem Merkblatt für Temperaturabsenkung von Asphalt (M TA) bisher lediglich Richtwerte (Tabelle 3) (vgl. [17, S. 19], [6, S. 9]). Für die konventionell heißgemischte Asphalttragschicht mit einem Straßenbaubitumen 50/ 70 sowie für die Asphaltdeckschicht mit einem Straßenbaubitumen 70/ 100 bedeutet dies, dass die Temperatur des Mischguts beim Einbau mindestens 140 °C betragen muss (Tabelle 2) (vgl. [17, S. 19]). Tabelle 2: Niedrigste und höchste Temperatur des Asphaltmischgutes in °C [17, S.19] Bei der Tragschicht und Deckschicht aus WMA mit derselben Grundbindemittelsorte wird hingegen ein Richtwert von mindestens 120 °C beim Einbau angegeben (Tabelle 3), (vgl. [6, S. 9]) welches einer Temperaturdifferenz an der Untergrenze zum konventionell heißgemischten Asphalt von 20 °C entspricht. Diese Temperaturdifferenz wurde in diesem Projekt gleichermaßen bei der Produktion angestrebt. Tabelle 3: Richtwerte für Asphaltmischguttemperaturen bei temperaturabgesenkten Asphalten [6, S.9] Nach einer Auswertung der am Mischgutbehälter gemessenen Asphalttemperaturen zeigte sich, dass die Grenz- und Richtwerte bei der Anlieferung i.d.R. eingehalten werden konnten, wobei stehts eine Temperaturdifferenz zwischen den beiden Asphaltmischgütern von mindestens 20 °C erreicht wurde. 4.2 Messung des Verdichtungsgrades (Isotopensonde & Kontrollprüfung) Im Rahmen der Eigenüberwachung durch die MPV (Materialprüfungs- und Vertriebsgesellschaft für Straßenbaustoffe mbH) wurden Messungen mit einer Isotopensonde des Typs 4640B „Thin Layer Density Gauge“ des Herstellers Troxler ® Electronic Laboratories Inc. durchgeführt (Abb. 8). 150 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Einsatz und messtechnische Überprüfung von emissionsreduziertem Asphalt im kommunalen Straßenbau - ein Beitrag zum Klima- und Arbeitsschutz Abb. 8: Messung des Verdichtungsgrades mit einer Isotopensonde (Troxler-Sonde) Hierbei wurden im Wesentlichen die folgenden Messparameter gewählt: • Messzeit: 30 sec. • Solldicke Asphalttragschicht 10 cm • → Messtiefe 9,0 cm • Solldicke Asphaltdeckschicht 3,0 cm • → Messtiefe 2,5 cm • Feldkalibrierung Durch diese zerstörungsfreien Messungen sollte direkt nach der Herstellung der Asphaltschichten die Endverdichtung der Asphaltdeckbzw. Asphalttragschichten überprüft werden. Dabei wurden Messungen in einem 20 m-Raster jeweils auf der rechten und linken Seite durchgeführt. Die hierfür benötigten Bezugsraumdichten wurden dabei im Rahmen der Eigenüberwachung der Asphaltmischanlage ermittelt. Bei der Überprüfung des Verdichtungszustandes, unter Berücksichtigung der mit der Isotopensonde gewonnenen Daten, zeigte sich, dass der konventionell heißgemischte Asphalt sowie der WMA ein ähnliches Verdichtungsverhalten aufzeigen. In der Tragschicht erreichte der konventionell heißgemischte Asphalt teilweise nicht den geforderten Verdichtungsgrad von mindestens 98 % (vgl. [17, S. 27]). Der Verdichtungsgrad beim WMA lag zumeist darunter. In der Deckschicht kamen beide Asphaltmischgüter jedoch grundsätzlich über den für einen AC 5 D L geforderten Verdichtungsgrad von mindestens 97 % (vgl. [17, S. 29]). Hierbei ist nicht auszuschließen, dass die im Endzustand teils geringeren Werte für den Verdichtungsgrad beim WMA auf die kühleren Umgebungstemperaturen zum Zeitpunkt des Einbaus zurückzuführen sind. Zudem besteht die Möglichkeit, dass das zur Verdichtung des konventionell heißgemischten Asphaltes angewendete Verdichtungsprogramm, nicht direkt auf die Verdichtung eines WMA übertragbar ist Bei der, von der Ingenieurgesellschaft PTM durchgeführten Kontrollprüfung stellte sich heraus, dass entgegen den Messungen mit der Isotopensonde, in der Tragschicht an jeder Stelle der Verdichtungsgrad erreicht wurde. Lediglich in der Deckschicht wurde an jeweils einer Stelle beim konventionell heißgemischten Asphalt und beim WMA der Verdichtungsgrad geringfügig unterschritten. Dies zeigt, dass beide Asphaltmischgutkonzepte, in Bezug auf die Verdichtbarkeit, als technisch gleichwertig angesehen werden können. 4.3 PID Messungen Neben der im Rahmen der Eigenüberwachung durchgeführten Messungen, wurden ergänzende Expositionsmessungen mit einem Photoionisationsdetektor durchgeführt (Abb. 9). Abb. 9: Portable PID (PPID) Der PID nahm während der Messung kontinuierlich Werte in „Parts per million“ [ppm] auf, wobei ein Messintervall von 1 s gewählt wurde. Um über die vier Teststrecken vergleichbare Ergebnisse zu erhalten, wurde hierfür im Vorfeld ein Messkonzept erstellt, wobei eine Festlegung der einzelnen Messpunkte erfolgte. Um gleichermaßen abbilden zu können, welche Personen der Kolonne einer stärkeren Exposition ausgesetzt sind und ob diese mit einem entsprechenden Abstand zum Arbeitsplatz geringer werden, wurden insgesamt 23 Messpunkte beschrieben (Abb. 10) sowie im Messprotokoll mit Angabe der Start- und Endzeit erfasst. Abb. 10: Lage der Messpunkte für die PID-Messungen 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 151 Einsatz und messtechnische Überprüfung von emissionsreduziertem Asphalt im kommunalen Straßenbau - ein Beitrag zum Klima- und Arbeitsschutz Der sich am LKW befindende Messpunkt „LKW“ stellt hierbei den Arbeitsplatz derjenigen Person dar, welche vor dem Abkippen des Mischgutes auf den LKW steigen muss, um die Abdeckplane des Kippers zu entfernen. Die Messung erfolgte i.d.R. kurz nach dem Abdecken der jeweiligen Mulde. Die beiden Messpunkte „MB-L“ und „MB-R“ repräsentieren im Weiteren den Ort, an welchem entweder eine, den/ die LKW-Fahrer*in einweisende oder im Rahmen der Eigenüberwachung am Mischgut temperaturmessende Person steht. Für den/ die Fertigerfahrer*in wurden wiederum drei Punkte im Leitstand (LS) des Fertigers festgelegt, wobei die beiden äußeren Punkte „LS-L“ und „LS-R“ im Wesentlichen die Hauptaufenthaltsbereiche und der mittlere Messpunkt „LS-M“ mehr eine Referenz darstellen. Der Mittlere Messpunkt liegt hierbei außerdem leicht versetzt über der Stelle des Fertigers, an welchem das Mischgut über den Tunnel zur Verteilerschnecke gelangt. Um den Arbeitsbereich der Bohlengänger*innen abbilden zu können, wurde mit 14 Messpunkten der größte Bereich abgedeckt. Die eher hohe Messpunktanzahl ergibt sich bereits daraus, dass diese Personen nicht durchgehend an einem Ort der Bohle arbeiten, sondern i.d.R. mehrere Bereiche um die Bohle erfassen müssen. Zudem wäre hier die Chance einer seitlichen Verlagerung des primären Arbeitsplatzes der Bohlengänger*innen zur Steuerung der Bohle am größten. Im Bereich vor der eigentlichen Einbaubohle ergeben sich somit die Punkte „VB-L1“ und „VBR1“ für die Bereiche direkte am Mischgut bzw. an der Verteilerschnecke sowie die Messpunkte „VB-L2“ und „VB-R2“, welche einen seitlichen Abstand von 0,5 m rechtwinklig zur Einbaukante besitzen. Im selben rechtwinkligen Abstand zur Einbaukante (0,5 m), jedoch auf Höhe der Einbaubohle, liegen dahinter die Punkte „B-L2“ und „B-R2“. Die Messpunkte „B- L1“ und „B-R1“ befinden sich hingegen direkt auf der Bohle bei der jeweiligen Bohlensteuerung und werden durch den mittig auf der Bohle verorteten Punkt „B-M“ ergänzt. Die sich hinter der Bohle befindenden Messpunkte „HB- L2“, „HB-R2“, „HB-L1“, „HB-R1“ und „HB-M“ sind quer zur Fahrbahnachse wie die gleichnamigen Messpunkte auf der Bohle angeordnet, wobei sie 1,0 m hinter der Bohle liegen. Um gleichermaßen die Punkte der Expositionsmessungen an der Walze festzulegen, wurden die Punkte „WL“ und „W-R“, welche sich jeweils links und rechts neben der Walze befinden, sowie der Punkt „WM“, welcher sich direkt bei dem/ der Walzenfahrer*in befindet, bestimmt. Die Messung erfolgte hierbei begleitend zur Fahrbewegung der Walze. Eine erste Auswertung der Minimal- und Maximalwerte der jeweiligen Messpunkte, zeigte bereits ein plausibles Ergebnis. So lagen die Messwerte beim konventionellen Asphalt i.d.R. höher als beim Warmmix-Asphalt. Zudem waren die Werte nahe der Verteilerschnecke und des Mischgutbehälters bei beiden Mischgütern höher als bei den weiter weg liegenden Punkten. Da die Messwerte jedoch in einem Intervall von 1 s aufgenommen wurden, bestand die Möglichkeit, dass vereinzelte kurzfristig auftretende Ereignisse den Maximalwert für einen Messpunkt beeinflussen. Dies bestätigte sich schließlich in einer Darstellung, bei welcher alle sekündlich gemessenen Werte in einem Diagramm bezogen auf die entsprechenden Messpunkte aufgezeigt wurden (Abb. 11). So ergab sich beispielsweise der Maximalwert für den konventionellen Asphalt am Messpunkt „MB“ (Mischgutbehälter) von 40,00 ppm durch einen für 1 s aufgetretenen Wert. Um diese einzeln gemessenen und nicht repräsentativen Werte auszuschließen, wurden die 95%Perzentile der einzelnen Messstellen ermittelt. Hierbei hat sich gezeigt, dass die Messwerte des konventionell heißgemischten Asphalts höher liegen als die korrespondierenden Werte des WMA. Außerdem waren die Werte um die Verteilerschnecke, wo eine Umwälzung des Mischgutes erfolgt, höher als jene Messwerte der weiter davon entfernt gelegenen Messpunkte. Abb. 11: Darstellung aller gemessenen Messwerte bezogen auf die Messpunkte (konv. links / WMA rechts) 152 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Einsatz und messtechnische Überprüfung von emissionsreduziertem Asphalt im kommunalen Straßenbau - ein Beitrag zum Klima- und Arbeitsschutz Die Auswertung der PID-Messungen ergab im Weiteren, dass die Maximalwerte bei angeschalteter Absauganlage im Bereich der Bohle und des Leitstandes niedriger als bei einer abgeschalteten Absauganlage sind. Die Wirkung der Anlage scheint außerdem bei zunehmendem Abstand an Wirkung zu verlieren, wobei dort im Allgemeinen auch niedrigere Werte gemessen wurden. Lediglich am Mischgutbehälter konnte bei angeschalteter Absauganlage ein höherer Maximalwert verzeichnet werden, wobei sich an dieser Stelle auch der Auslass der Bohlenabsaugung befindet, wodurch sich der höhere Wert plausibel erklären lässt. Dieses Ergebnis deutet somit darauf hin, dass mit einem PID mögliche Emissionsschwerpunkte beim Asphalteinbau identifiziert werden können. Jedoch kann aktuell keine Aussage über die Kanzerogenität der gemessenen Stoffe getroffen werden, da die Messung keine Auskunft über die Zusammensetzung der Aerosole und Dämpfe liefert. 5. Fazit Wie sich in diesem Projekt bisher gezeigt hat, bringt der Einsatz von Warmmix-Asphalt einige positive Aspekte mit sich. So konnte unter Verwendung des Additivs MA3 bei dem eingesetzten WMA bereits eine vergleichbare Einbauqualität gegenüber dem konventionell gemischten Asphalt erreicht werden, während die Lieferbzw. Einbautemperaturen i.d.R. mindestens um 20 °C niedriger lagen. Untersuchungen zum Alterungsverhalten des bei den Teststrecken verbauten WMA, befinden sich derzeit in Vorbereitung. Zudem kann momentan keine Aussage darüber getroffen werden, ob der vorgegebene Grenzwert von 1,5 mg/ m³ für Aerosole und Dämpfe aus Bitumen allein durch den Einsatz von temperaturabgesenkten Asphalten erreicht werden kann. Der Photoionisationsdetektor gibt hier lediglich ein Summensignal aus, wodurch u.a. die Kanzerogenität der gemessenen Stoffe sowie deren Masse, bezogen auf das Luftvolumen, nicht bestimmt werden können. Dennoch ließen sich mit dem PID plausible Emissionsschwerpunkte ausfindig machen und ein Vergleich zwischen an- und ausgeschalteter Bohlenabsaugung herstellen. Somit erscheinen Vergleichsmessungen mit einer etablierten Messmethode sinnvoll. Insbesondere das Potential des PID, Messergebnisse in Echtzeit zu erzeugen, eröffnet grundsätzlich neue Vorgehensweisen bei der Immissionsreduzierung. 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Kolloquium Straßenbau - September 2021 153 Einsatz und messtechnische Überprüfung von emissionsreduziertem Asphalt im kommunalen Straßenbau - ein Beitrag zum Klima- und Arbeitsschutz VCH, Weinheim, 2019, URL: https: / / onlinelibrary. wiley.com/ doi/ pdf/ 10.1002/ 9783527826155, Abruf: 09.04.2020 [15] Bartsch, R.; Brinkmann, B.; Brüning, T.; Hartwig, A.; Nies, E.; Pallapies, D.; Schriever-Schwemmer, G.; Steinhausen, M.; Welge, P.; Werner, S.C.M. (2019): Bitumen (Dampf und Aerosol bei der Heißverarbeitung) [MAK value documentation in German language, 2019], Wiley-VCH Werlag GmbH & Co.KGaA (Hrsg.), 2019, URL: https: / / online library.wiley.com/ doi/ pdf/ 10.1002/ 3527600418. mb805242d0067, Abruf: 09.04.2020 [16] Angerer, J.; Greim, H.; Parlar, H. (2009): Analytische Methoden zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe, Band 1: Luftanalysen, 16. 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Kolloquium Straßenbau - September 2021 155 Asphaltkonservierung - Moderne Erhaltung für eine längere Nutzungsdauer Sebastian Miesem POSSEHL SPEZIALBAU GMBH, Sprendlingen, Deutschland Zusammenfassung Die zu erwartende Nutzungsdauer von Asphaltdeckschichten hat sich aus verschiedenen Gründen in den letzten Jahren deutlich verkürzt. Dieser Entwicklung wird mit umfangreichen Maßnahmen zur Erneuerung der Asphaltdeckschichten Rechnung getragen. Dennoch altern die Asphaltdeckschichten schneller, als dass die Maßnahmen diesen fortschreitenden Effekt einholen könnten. Die Lösung ist eine präventive Vorgehensweise: die Konservierung mit Possehl-AsKo. Das ist technisch zielsicher und eine nachweislich wirksame Möglichkeit nahezu alle asphaltierten Verkehrsflächenbefestigungen präventiv aufrechtzuerhalten. Die zu erwartende Nutzungsdauer kann durch Konservierung deutlich erhöht werden dies bedeutet weniger Baustellen, weniger Stau und weniger Abgase. Außerdem trägt die Bauweise aktiv zur Ressourcenschonung bei. 1. Einleitung und Historie In einer Hochebene des US-amerikanischen Staates Utah liegen inmitten einer Trockensteppe die Vorkommen eines extrem reinen Asphaltits großer Härte, der in der Fachwelt die Bezeichnung „Gilsonite“ trägt. Quelle Giesel Verlag Da das Vorkommen bis zur Erdoberfläche reicht, bedurfte es um 1882 keines erfahrenen Geologen. So fand ein Trapper das Gilsonite und führte es einer aus seiner Sicht überaus sinnvollen Verwendung zu: dem Abdichten von Whiskeyfässern! Die heutige Anwendung dieses sehr hochwertigen Naturproduktes ist eine andere. Bereits in den 1970er Jahren wurde in den USA ein Verfahren zur Konservierung von bituminösen Asphalten mit Gilsonite entwickelt. Auch im Vereinigten Königreich wird das seit fast 50 Jahren erprobte - Produkt seit mehr als 20 Jahren erfolgreich eingesetzt. Logische Konsequenz der dort erzielten Erfolge ist, dass sich das Konservieren von Asphaltdeckschichten nunmehr nach und nach auch in anderen europäischen Ländern durchsetzt. Possehl Spezialbau ist eines der ersten Unternehmen auf dem europäischen Festland, das die fortschrittliche Behandlungsmethode der Asphaltkonservierung mit dem hochwertigen Produkt Everphalt anbietet. Essenziell ist hierbei, dass nachweislich mit dem oben beschriebenen Gilsonite aus Utah / USA gearbeitet wird. Denn nur diese Herkunft sichert durch den einzigartig hohen Reinheitsgrad die relevanten Eigenschaften und somit den gewünschten Erfolg: die Verlängerung der Nutzungsdauer einer Asphalt-Verkehrsfläche. Auf dem internationalen Markt wird Gilsonite auch aus anderen Herkunftsländern, wie zum Beispiel dem Iran, Irak, Kolumbien und weiteren angeboten. Die Reinheit und dementsprechend die Qualität des Rohstoffes aus diesen Ländern ist nicht mit dem aus Utah stammenden und durch unser Unternehmen eingesetzten Produkt zu vergleichen. Bei den alternativ bezeichneten Produkten ist insbesondere der Aschegehalt deutlich höher und lässt das System der Konservierung, wenn überhaupt, nur sehr bedingt seine Wirkung entfalten. Dies führt unweigerlich zu Unzufriedenheit beim Endverbraucher. In der heutigen Zeit werden nahezu alle Werkstoffe gegen vorzeitige Alterung geschützt und somit konserviert: Stahl wird verzinkt, Holz druckimprägniert usw.. Lediglich einer unserer wichtigsten volkswirtschaftlichen Vermögenswerte, unsere Straßen, schützen wir bislang nicht. Das kann und soll sich ändern! Denn das Volksvermögen „Straße“ ist ebenso zu bewahren, wie Fassaden von Schulen und anderer öffentlicher Gebäude. Auch uns selbst schützen wir in den unterschiedlichsten Formen - beispielsweise nutzen wir kosmetische Produkte zum Schutz unserer Haut. Es ist technisch zielsicher und nachweislich wirksam möglich, nahezu alle asphaltierten Verkehrsflächenbefestigungen zu konservieren und damit präventiv aufrechtzuerhalten. Der wirtschaftliche Umgang mit Steuergeldern ist hierbei eines der attraktivsten Argumente, um sich in letzter Konsequenz für das zur Verfügung stehende Verfahren zu entscheiden. Gleichermaßen gilt dies für Verkehrsflächen in Firmen- oder Privateigentum. Bekanntermaßen ist die Verlängerung der zu erwartenden Nutzungsdauer, die 156 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Asphaltkonservierung - Moderne Erhaltung für eine längere Nutzungsdauer Verlängerung des Zyklus und eine möglichst konstante Beschaffenheit der Oberflächentextur insbesondere für die Testzentren der Automobilindustrie von großer Bedeutung. Jeder Tag kostet hier bares Geld und die Automobilhersteller benötigen zudem dauerhaft möglichst gleiche Bedingungen, um keine falschen Rückschlüsse aus den Testfahrten abzuleiten. Sinngemäß gilt gleiches für die Reifenherstellerindustrie. Daher haben sich führende Unternehmen aus diesem Segment die Vorteile der Konservierung von Asphalt zu eigen gemacht und nutzen das Verfahren bereits jahrelang. 2. Warum gerade jetzt konserviert werden sollte In den letzten Jahren hat sich die zu erwartende Nutzungsdauer von Asphaltdeckschichten aus verschiedenen Gründen deutlich verkürzt. Ein wichtiger Aspekt dabei ist die Alterung des Bindemittels Bitumen. Asphaltdeckschichten bestehen zu rund 94 % aus Füller (Gesteinsmehl), feiner Gesteinskörnung < 2,0 mm (Sand) und grober Gesteinskörnung > 2,0 mm (Splitt) sowie ca. 6 % Bindemittel, dem Bitumen (Straßenbaubitumen oder Polymermodifiziertes Bitumen). Lediglich das Bindemittel unterliegt einer beschleunigten natürlichen Alterung, die bereits nach wenigen Jahren zu erkennbaren Schäden führt: Kornausbruch und Rissbildung münden in Schlaglöchern und letztlich vollständiger Zerstörung des Straßenkörpers. Eine beschleunigte Alterung des Asphaltes aufgrund der über Millionen Jahren entstandenen Gesteine ist faktisch ausgeschlossen und kann als Ursache ausgeschlossen werden. Nunmehr wird dieser Entwicklung mit umfangreichen Maßnahmen zur Erneuerung der Asphaltdeckschichten Rechnung getragen. Dennoch altern die Asphaltschichten deutlich schneller, als dass die Maßnahmen diesen fortschreitenden Effekt einholen könnten. Die Lösung ist eine präventive Vorgehensweise, wie wir sie aus vielen anderen Bereichen schon lange kennen: die Konservierung. Diese Technik bietet sehr ausgewogene Eigenschaften hinsichtlich versteifender Wirkung und positivem Kälteverhalten. Die Konservierung von Asphalt erfolgt durch Anspritzen der bestehenden Asphaltoberfläche mit „GPM“ (Gilsonite Preservative Material). Das Konservierungsmittel dringt dabei bis zu 10 Millimeter in die bestehende Deckschicht und geht eine chemische Verbindung mit dem vorhandenen Bindemittel ein. Dabei wird die Textur der Straßenoberfläche nicht verändert, auch offenporige Beläge behalten bei rechtzeitiger Konservierung ihre gewünschten Eigenschaften. Wesentlicher Wirkbestandteil des bislang bekannten Konservierungsmittels ist Gilsonit („Gilsonite“ bzw. „Uintahite“ aus Utah / USA). Gilsonit ist ein zu über 99 % reiner Kohlenwasserstoff natürlichen Ursprungs bzw. versteinertes Rohöl. Der Rohstoff Gilsonit zeichnet sich durch einen hohen Anteil von wertvollen Maltenen aus und ist im Einsatz als Konservierungsmittel besonders widerstandsfähig gegen Ausmagerungsprozesse (Oxidation und UV-Bestrahlung) und physikalische Beanspruchung. Durch diese Eigenschaften schützt das Konservierungsmittel das im Asphaltbelag vorhandene Bitumen vor dem natürlichen Alterungsprozess. Der typische Ausmagerungsprozess des Bindemittels wird für mehrere Jahre nachweislich aufgehalten. Gleichzeitig verhindert die Konservierung wirksam den Eintritt von Wasser in den Asphalt und unterbindet weitgehend dessen schädigenden Einfluss. Abbildung 1: Nach mehreren Jahren: Ausgemagerte Asphaltdeckschicht, Verdunstungsalterung, oxidative Alterung, Strukturalterung 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 157 Asphaltkonservierung - Moderne Erhaltung für eine längere Nutzungsdauer Abbildung 2: 1 Oxidation + Witterungseinflüsse werden zurückgewiesen 2 Maltene bleiben im Bitumen eingeschlossen Der Einsatz des Konservierungsmittels erfolgt zu einem Zeitpunkt, zu dem noch keine wesentlichen Schäden am zu konservierenden Asphalt eingetreten sind. In Abhängigkeit des Zeitpunktes der Konservierung kann die (Rest-) Nutzungsdauer der Asphaltdeckschicht bis zu verdoppelt werden. Die innovative Erhaltungstechnologie AsKo wird für potentielle Auftraggeber immer interessanter, da die Alterung des Bitumens und damit verbundenen Strukturschäden in der Asphaltdeckschicht mittels einer kostengünstigen und schnellen Ausführung gestoppt werden. In naher Zukunft wird insbesondere der Behandlung von offenporigen Asphaltbelägen eine hohe Bedeutung zukommen, da diese Beläge besonders schnell Alterung erfahren. Die behandelten Flächen können bereits nach spätestens zwei Stunden wieder für den fließenden Verkehr freigegeben werden. Zudem kann die Asphaltkonservierung in einem ca. jährigen Zyklus wiederholt werden. Viele Vorteile, die AsKo zu einer äußerst attraktiven Alternative zu den klassischen Instandhaltungsmaßnahmen von Asphaltdeckschichten macht. Die Konservierung ist eine Präventivmaßnahme, um die Alterung des Bindemittels im Asphalt zu verzögern. Dabei sollen der Anstieg des Erweichungspunktes Ring und Kugel im Laufe der Jahre verzögert und die Zeitabstände bis zum Erreichen des Zeitpunktes für eine erneute Erhaltungsmaßnahme verlängert werden. 158 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Asphaltkonservierung - Moderne Erhaltung für eine längere Nutzungsdauer Abbildung 3: Rampenspritzgerät 3. Rampenspritzgerät und Qualitätssicherung Im Konservierungsverfahren kommen Produkte zum Einsatz, die sprühfähig aufbereitet mit einem für die Verwendung von lösemittelhaltigen Bindemitteln geeigneten Rampenspritzgerät, in der erforderlichen Menge auf die Oberfläche der Verkehrsflächenbefestigung in Asphaltbauweise, aufgebracht werden. Je nach Anforderung kann die Fläche gleichzeitig mit einem Schmelzkammergranulat abgestreut werden. (das Merkblatt über die Verwendung von Kraftwerksnebenprodukten im Straßenbau ist zu beachten). Das eigens entwickelte Rampenspritzgerät muss dabei, mindestens jährlich oder nach größeren Reparaturen, einer Kalibrierung gemäß DIN EN 12272-1 unterzogen werden. Nur durch korrekt kalibrierte Verlegemaschinen kann eine entsprechend gleichmäßige Güte bei der Applikation des Konservierungsmittels erzielt werden. Daher ist eine fachmännische Kalibrierung ein notwendiges und wesentliches Kriterium. Kann die Gleichmäßigkeit über die gesamte Breite des Sprühbalkens nicht eingehalten werden, wird das gewünschte Sprühbild nicht erreicht und somit in letzter Konsequenz die gewünschten Eigenschaften nicht erzielt. Aus diesem Grund ist es ratsam das zugehörige Kalibrierprotokoll bereits bei der Ausschreibung anzufordern. Kann dieses nicht in entsprechender Form vorgezeigt, beziehungsweise in Kopie eingereicht werden, so ist der Bieter aus dem Vergabeverfahren auszuschließen. Hierbei empfiehlt es sich keine Kompromisse einzugehen, da eine fachmännische Kalibrierung ein Qualitätsindikator für die Arbeitsweise eines ausführenden Unternehmens darstellt und folglich der Qualitätssicherung dient. So können die nachfolgend dargestellten Verbrauchsmengen zielsicher erreicht werden: - Konservierungsmittel: 0,3 bis 0,8 kg/ m² - Schmelzkammergranulat (Körnung 0,5 bis 1,4 mm): 0,3 bis 0,5 kg/ m² 4. Schäden und Wirkungsweise Die Bauweisen offenporiger Asphalt sowie Splittmastixasphalt stehen, hinsichtlich der Dauerhaftigkeit und bei offenporigem Asphalt insbesondere der abnehmenden akustischen Wirksamkeit durch Kornverlust im Zuge der strukturellenAlterung desAsphaltes, zunehmend in Kritik. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 159 Asphaltkonservierung - Moderne Erhaltung für eine längere Nutzungsdauer Laborversuche haben nachgewiesen, dass der Splitt- oder Kornverlust in Folge Frost-Tau-Wechseln durch eine rechtzeitige Konservierung wirkungsvoll verhindert werden kann. Die akustischen Eigenschaften, insbesondere bei offenporigem Asphalt werden durch die marginale Veränderung des Hohlraumgehaltes nicht nachteilig beeinflusst. Das Konservierungsmittel verbindet sich auf der frei zugänglichen Oberfläche mit dem Bitumen des Asphaltmischgutes und schützt dieses gegen Witterungseinflüsse (Feuchtigkeit, Sonneneinstrahlung usw.). Durch die chemische Verbindung wird das Konservierungsmittel Bestandteil der behandelten Asphaltschicht, dringt in die Kapillaren ein und verschließt diese gegen den Zutritt von Wasser und Luftsauerstoff. Daraus resultiert ein verzögerter Alterungsprozess. Die Konservierung des Asphaltes entfaltet die größte Wirkung auf die Nutzungsdauer des Asphaltes, wenn sie zwischen 6 und 12 Monaten nach Einbau der Asphaltdeckschicht aufgebracht wird. Auch während der Nutzungszeit wirkt sich eine wiederholte Konservierung positiv auf die zu erwartende Restnutzungsdauer aus. Eine Wiederholung der Konservierung ist je nach Verkehrsbelastung und Zustand der Asphaltdeckschicht ca. alle 6 bis 8 Jahre möglich. Interne Erfahrungen des LBM RP zu einer wiederholten Anwendung des Verfahrens liegen zurzeit noch nicht vor. Ähnlich wie bei einer neuen Asphaltdeckschicht, muss nach der Konservierung mit einer temporären Griffigkeitsreduzierung gerechnet werden. Auf Grund dessen wird empfohlen eine Griffigkeitsmessung durchzuführen. Außerdem sollte die Strecke nach Konservierung mit dem Zeichen nach der StVO Nr. 114 (Schleudergefahr) und einer Geschwindigkeitsbeschränkung beschildert werden. Abbildung 4: Beispielhaft links ein konservierter und rechts nicht konservierter Bereich 5. Nachhaltige Bauweise Es liegt aus den dargestellten Zusammenhängen auf der Hand, dass die zu erwartende Nutzungsdauer durch Konservierung deutlich erhöht werden kann. Dies bedeutet weniger Baustellen und dadurch weniger Stau und gerade in innerstädtischen Bereichen weniger Abgase durch stehenden Verkehr. Die Bauweise erzielt andere Erhaltungszyklen, was zu einer Schonung der Ressourcen führt. Der Austausch der Asphaltdeckschicht in einer typischen Schichtdicke von 4 cm bedarf nicht nur entsprechende Baustoffe wie Sand, natürliches Gestein und Bitumen, sondern auch der Abtransport des gefrästen Ausbauasphaltes per LKW erzeugt zwangsläufig Abgase. Darüber hinaus wird die am Asphaltmischwerk zur Erwärmung des Gesteins notwendige Energie eingespart, wie auch der Transport vom Mischwerk zur Baustelle und die Vielzahl der Einbaugeräte vor Ort. All das zeigt in der heutigen Zeit den wesentlichen Nutzen der Konservierung und spricht für dieses Verfahren. Kommunale Planung 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 163 Ganzjährige Nutzung von Radwegen - Anforderungen an Unterhalt und Winterdienst auf Radwegen Prof. Dr.-Ing. Christian Holldorb Hochschule Karlsruhe - Technik und Wirtschaft, Karlsruhe Zusammenfassung Nicht erst im Rahmen einer Mobilitätswende gewinnt der Radverkehr zunehmend an Bedeutung. Hierfür ist es erforderlich, dass Radverkehrsanlagen ganzjährig sicher und möglichst komfortabel befahren werden können, so dass neben Planung und Ausführung auch Unterhaltung und Betriebsdienst zunehmend in den Fokus der Straßenbaulastträger rücken. In diesem Beitrag wird auf Grundlage aktueller Forschungsvorhaben und der Arbeit der FGSV ein Überblick gegeben, welche Standards für den ganzjährigen Unterhalt von Radverkehrsanlagen zu definieren sind. Neben rechtlichen und technischen Anforderungen sind auch organisatorische Fragestellungen zu berücksichtigen, da nur eine durchgängige Betreuung von Radwegeverbindungen, deren Teilstücke häufig von unterschiedlichen Baulastträgern unterhalten werden, zu einer ganzjährig hohen Nutzung führt. Neben der operativen Durchführung ist aber auch die aktuelle Information über Radwegeverbindungen und ihren Zustand entscheidend für das Nutzungsverhalten. 1. Einleitung Die Bereitstellung von durchgehenden sowie sicher und komfortabel befahrbaren Radverkehrsanlagen ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für eine breite Akzeptanz des Fahrrades als alltägliches Verkehrsmittel. Zahlreiche Kommunen haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten eine dahingehende Transformation des Verkehrsnetzes begonnen und konnten innerhalb überschaubarer Zeiträume beachtliche Veränderungen des Modal Split erreichen. So konnte z. B. der Radverkehrsanteil in Karlsruhe von 16 % im Jahr 2002 über zunächst 25 % im Jahr 2012 auf (vorläufigen Ergebnissen der letzten Erhebung von 2018/ 2019 zufolge) aktuell über 30 % erhöht werden. Aber nicht nur im kommunalen Bereich nimmt die Bedeutung des Radverkehrs zu. U.a. durch die starke Verbreitung von E-Bikes und Pedelecs wird er auch auf längeren Distanzen von 10 km und mehr für immer mehr Menschen eine Alternative zum Kfz bzw. zum ÖPNV auf dem Weg zur Arbeit, zur Ausbildung oder zum Einkaufen. Somit wächst die Bedeutung von Radwegeverbindungen auch im Außerortsbereich, die darüber hinaus für Freizeit und Tourismus genutzt werden und somit in vielen Regionen eine wichtige Säule für den Fremdenverkehr sind. Der wachsenden Bedeutung des Radverkehrs wird auf vielfältige Weise Rechnung getragen. Es gibt umfassende Förderprogramme, z.B. stellt das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) knapp 1,5 Milliarden Euro für die Förderung und Finanzierung des Radverkehrs und der Radinfrastruktur in den Jahren 2020 bis 2023 zur Verfügung [1]. Weiterhin fördert es sieben Stiftungsprofessuren, u.a. an der Hochschule Karlsruhe, mit dem Ziel, den Radverkehr in Forschung und Lehre zu verankern [2]. In mehreren Bundesländern, so auch in Baden-Württemberg, werden in den Straßengesetzen Radschnellverbindungen den Straßen als Landes-, Kreis- oder Gemeindestraßen gleichgestellt [3]. Auch in der Organisation der Straßenbauverwaltungen spiegelt sich die wachsende Bedeutung des Radverkehrs zukünftig wider: Beispielsweise sollen ab 2021 bei Hessen Mobil 20 neue Stellen im Bereich Radverkehr geschaffen werden und der Radverkehr wird mit Schienenverkehr und ÖPNV in einer neuen Abteilung gebündelt neben den klassischen Abteilungen „Planung und Bau“ sowie „Betrieb und Verkehr“ [4]. Mit der Corona-Pandemie steht der Radverkehr seit dem Frühjahr 2020 nochmals stärker im Fokus, da er neben dem Fußverkehr die einzige Mobilitätsform ist, mit der Wege weitgehend klimaneutral und mit minimalem Infektionsrisiko wahrgenommen werden können. 2. Rechtliche Anforderungen Die Verkehrssicherungspflicht gemäß § 823 und § 836 BGB [5] ist Grundlage für die Verpflichtung der jeweiligen Baulastträger zu Unterhaltung und Betrieb der Radverkehrsanlagen, die dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind. Weitere Grundlage sind die Straßengesetze von Bund und Ländern, nach denen auch separat geführte Radwege als Fahrbahnen eingestuft sind [6]. Aus der Verkehrssicherungspflicht resultiert insbesondere die 164 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Ganzjährige Nutzung von Radwegen - Anforderungen an Unterhalt und Winterdienst auf Radwegen Verpflichtung, eine gefahrlose Nutzung zu ermöglichen bzw. Gefahren für den Nutzer soweit möglich zu minimieren. Wenn eine Gefahrenbeseitigung nicht möglich ist, ist vor der Gefahr zu warnen oder ggf. der Radweg für die Nutzung zu sperren. Die Pflicht zu Reinigung und Winterdienst im innerörtlichen Bereich resultiert darüber hinaus auch aus der polizeilichen Reinigungspflicht. Für Gehwege sowie kombinierte Rad- und Gehwege kann diese durch Ortssatzung auf die Anlieger übertragen werden. In Schleswig-Holstein ist dies auch für Radwege möglich [7]. Konkrete gesetzliche Vorgaben zu Umfang, Häufigkeit oder Reaktionszeiten bestehen nicht, diese sollen sich an der Leistungsfähigkeit der Baulastträger orientieren, ein Recht auf immer gefahrlose Nutzung der Radwege, so wie für die Verkehrsinfrastruktur insgesamt, besteht also nicht. Maßgebend hierfür sind jedoch entsprechend der Rechtsprechung das Gefährdungspotenzial und die Verkehrsbedeutung [8]. Für Radwege besteht eine Benutzungspflicht für Radfahrende und ein Benutzungsverbot für den Kfz-Verkehr, wenn sie durch Zeichen 237, 240 oder 241 als Radweg ausgewiesen sind, dies gilt auch für Radfahrstreifen, bei denen ein Teil der Fahrbahn durch eine durchgehende Markierung von der Fahrbahn getrennt ist. Für Fußwege (Zeichen 239) mit dem Zusatzzeichen „Radfahrende frei“ (Zeichen 1022-10) besteht hingegen keine Benutzungspflicht. Schutzstreifen am rechten Fahrbahnrand, die bei Bedarf vom Kfz-Verkehr befahren werden dürfen, sind Teil der Fahrbahn und somit rechtlich nicht als Radwege einzustufen. Bild 1: Verkehrszeichen der StVO zu benutzungspflichtigen Radwegen Die Benutzungspflicht gilt für Radfahrende jedoch nicht, wenn der Radweg nicht befahrbar ist, z. B. aufgrund von Verschmutzung oder Schnee im Winter. Dann ist es zulässig, auf die Fahrbahn auszuweichen. Dieser Umstand entbindet den Baulastträger jedoch nicht von seiner rechtlichen Verpflichtung zum Unterhalt der Radwege, da benutzungspflichtige Radwege in der Regel dort angeordnet werden, wo die Nutzung der Fahrbahn zu einer besonderen Gefährdung der Radfahrenden führen würde. Somit sind benutzungspflichtige Radwege in der Regel als gefährlich im Sinne der Verkehrssicherungspflicht einzustufen [6]. Aus der nichtamtlichen Beschilderung von Radrouten (s. Bild 2) resultiert weder eine Verpflichtung zum Unterhalt des Verkehrswegs als Radweg gemäß Verkehrssicherungspflicht noch eine rechtliche Benutzungspflicht für Radfahrende. Diese Radrouten werden vielfach auch über das nachgeordnete Wegenetz (land- und forstwirtschaftliche Wege) geführt. Die rechtlichen Anforderungen an den Umfang von Unterhalt und Betrieb orientieren sich an der Nutzung durch Land- und Forstwirtschaft, z. B. besteht somit keine Verpflichtung zum Winterdienst. Bild 2: Tabellenwegweiser für die nichtamtliche Wegweisung von Radrouten [9] 3. Anforderungen aus Sicht der Radfahrenden Die rechtlichen Anforderungen an Unterhalt und Betrieb der Radwege sind für die Radfahrenden ähnlich wie an Fahrbahnen für den Kfz-Verkehr nur von sekundärer Bedeutung. Für die Radfahrenden steht die sichere und komfortable Nutzung der Radwegeverbindungen im Vordergrund. Somit sind die rechtlichen Anforderungen vielfach eher als Mindeststandard zu sehen, Unterhaltung und Betrieb sollten sich vielmehr am vorhandenen Verkehrsbedürfnis des Radverkehrs und darüber hinaus auch an der potenziellen Verkehrsnachfrage orientieren. Es ist zu berücksichtigen, dass zur Förderung des Radverkehrs verlässliche Angebote zu schaffen sind, die dann durch den Radverkehr wahrgenommen werden. Aber auch für die Radfahrenden ist es in der Regel nachvollziehbar, dass nicht alle Radwegeverbindungen immer einem optimalen Zustand entsprechen und dass je nach Art der Wegeverbindung und auch saisonal Einschränkungen in Kauf zu nehmen sind. Die Anforderungen an Radwegeverbindungen variieren somit: Bei Radwegeverbindungen, die überwiegend im Sommer touristisch genutzt werden, ist eine eingeschränkte Nutzbarkeit im Winter eher akzeptabel als bei Radwegeverbindungen, die ganzjährig im Alltagsradverkehr genutzt werden. Für Radwege, die z. B. ausschließlich zur Erschließung eines örtlichen Freibades dienen, ist die winterliche Nutzung sicherlich untergeordnet, die Verkehrsnachfrage wird durch einen optimalen Winterdienst nicht signifikant gesteigert werden können. Werden aber z. B. Schulen oder Sportanlagen erschlossen, kann durch die ganzjährige und zuverlässige Aufrechterhaltung der sicheren und komfortablen Befahrbarkeit der Radwegeverbindung ein erhebliches Nutzungspotenzial aktiviert werden. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 165 Ganzjährige Nutzung von Radwegen - Anforderungen an Unterhalt und Winterdienst auf Radwegen Bild 3: Radverkehrsführung auf ausgewählten Routen zwischen Karlsruhe und Weingarten [10] Für die Radfahrenden steht die durchgehende Nutzung von Radwegeverbindungen im Vordergrund, unabhängig von der Art der Führung. Radwegeverbindungen führen vielfach über unterschiedliche Arten von Radwegen, Straßen sowie nachgeordnete Wege (s. Bild 3). Anforderungen an Unterhaltung und Betrieb sollten sich daher aus Sicht der Radfahrenden an der Radwegeverbindung und nicht an der Art der Verkehrsführung orientieren. Beispielweise sollten auch Nebenstraßen, auf denen eine bedeutsame Radroute geführt wird, im Winterdienst betreut werden, obwohl sie für den Kfz-Verkehr nur eine untergeordnete Bedeutung haben. Aufgrund der in der Regel einspurigen Ausführung haben Fahrräder bei plötzlichen Änderungen der Fahrbahnbeschaffenheit eine deutlich geringere Stabilität als zweispurige Kfz. Weiterhin fehlt den Radfahrenden eine fahrzeugseitige Schutzhülle, so dass die Sturzgefahr bei schlechtem Wegezustand und die damit verbundene Verletzungsgefahr für Radfahrende deutlich höher als für Kfz-Insassen ist. Bei winterlicher Witterung ist das Unfallrisiko für Radfahrende deutlich höher: In einer Untersuchung der TU Dresden auf Grundlage von Befragungen, erhobenen Unfalldaten und entsprechenden Hochrechnungen wurde ein ca. 20-fach höheres Risiko bei winterlicher Fahrbahn ermittelt [6]. Aber nicht nur winterliche Glätte, sondern auch Glätte durch nasses Laub (s. Bild 4) oder durch die Verschmutzung landwirtschaftlicher Fahrzeuge können zu erheblichen Unfallrisiken führen, insbesondere dann, wenn sie in Kurven plötzlich auftreten. Bild 4: Laub auf Radweg, das bei Nässe ein erhebliches Gefährdungspotenzial für Radfahrende haben kann (Foto: Holldorb) Weitere Mängel, die für Radfahrende zu einer erhöhten Gefährdung bzw. deutlichen Reduktion des Fahrkomforts führen, sind 166 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Ganzjährige Nutzung von Radwegen - Anforderungen an Unterhalt und Winterdienst auf Radwegen • Splitt- und Sand auf dem Radweg, insbesondere bei Zufahrten nicht befestigter Wege • Scherben und andere spitze Gegenstände, die zu Reifenschäden führen • starke Unebenheiten, Schlaglöcher, Kanten, Hebungen durch Wurzeln • dauerhafte Wasseransammlungen infolge unzureichender Entwässerung • seitlicher Bewuchs mit Einschränkung der befahrbaren Breite oder der Sichtverhältnisse, insbesondere auch in Querungsbereichen • einzelne, in das Lichtraumprofil ragende Äste • zeitweise auf dem Radweg stehende Gegenstände, wie Werbetafeln, Mülltonnen etc. Für die Nutzer der Radwege ist es von großer Bedeutung, dass diese Mängel möglichst rasch behoben werden. Ansonsten besteht vor allem im Alltagsradverkehr die Gefahr, dass durch die Radfahrenden über die Fahrbahn ausgewichen wird, was zu einer zusätzlichen Gefährdung führt. Zu einer schnellen Mängelbeseitigung kann die einfache Meldung an die zuständigen Stellen beitragen. Hierzu gibt es in zahlreichen Kommunen DV-Anwendungen, die auch eine einfache Erfassung vor Ort mit dem Smartphone ermöglichen, bei der die Position automatisch erfasst wird und z.B. auch ein Foto unmittelbar zugeordnet werden kann (s. Bild 5). Allerdings ist aus Nutzersicht eine Baulastträger-übergreifende Meldung von großem Interesse, insbesondere bei Radwegeverbindungen, die durch verschiedene Gemeinden oder außerorts verlaufen. Die Bereitschaft zur Mängelmeldung ist bei Radfahrenden oftmals größer als bei Nutzern von Kfz, da sie am Schadensort oft leichter anhalten können und die Beeinträchtigung bzw. Gefährdung größer ist als im Kfz-Verkehr. Entscheidend für eine dauerhaft umfassende Nutzung solcher Anwendungen ist aber vor allem die kurzfristige Reaktion, d.h. die Mängelbeseitigung, durch den zuständigen Straßenbaulastträger und die entsprechende Information darüber. Bild 5: App „KA-Feedback“ für die Meldung von Mängeln auf Radwegen [11] Die vorgenannten Anforderungen gelten natürlich auch für den Winterdienst. Wie für den Kfz-Verkehr sollte auch auf Radwegeverbindungen Glätte nach Möglichkeit durch präventive Streueinsätze vermieden werden, da sie zu einer erheblichen Gefährdung beiträgt. Schneebedeckte Radwege sollten möglichst schnell geräumt werden, da ansonsten bei Nicht-Befahrbarkeit die Radfahrenden auf die Fahrbahn ausweichen. Wichtig ist auch die zuverlässige und rechtzeitige Durchführung im Winterdienst, d.h. nicht erst nachrangig nach den Fahrbahnen für den Kfz-Verkehr, sondern gleichrangig. Aus Sicht der Nutzer sollten auch die Nebenstraßen im Zuge von Radrouten im Winterdienst betreut werden, ebenso nachgeordnete landwirtschaftliche Wege, wenn sie eine Bedeutung für den ganzjährigen Radverkehr haben. Auf jeden Fall sollte das Zuschieben von Radwegen und Querungen bei der Räumung der Fahrbahn vermieden werden bzw. gewährleistet sein, dass diese Abschnitte durch nachfolgende Fahrzeuge auf dem Radweg unmittelbar wieder freigeräumt werden. Radrouten auf Abschnitten unterschiedlicher Baulastträger sollten möglichst durchgehend im Winterdienst betreut werden. Wesentlich für die Nutzung des Fahrrades auch bei winterlicher Witterung ist die Information der Radfahrenden über das betreute Radwegenetz im Winter, das oftmals nicht alle ausgeschilderten Radrouten beinhaltet. Beispielsweise wird in Karlsruhe nur ein Teil des Radnetzes im Winter betreut (s. Bild 6). Hierbei handelt es sich um die Verbindungen mit hoher Nutzung bzw. besonderen Gefahren, die in Abstimmung zwischen Radwegeplanung (Stadtplanungsamt), Winterdienstbetreiber (Amt für Abfallwirtschaft) und Nutzern (ADFC) festgelegt werden. Bild 6: Karte zum Winterradnetz der Stadt Karlsruhe im Internet [12] 4. Anforderungen aus Sicht des Betriebsdienstes Der Aufgabenumfang für Unterhaltung und Betrieb der Radwege nimmt aufgrund des Ausbaus des Radverkehrsnetzte und der stärkeren Nutzung stark zu. Oftmals stehen aber nicht im gleichen Maße zusätzliche Ressourcen zur Verfügung, so dass neben eigenen Mitarbeitern, Fahrzeugen und Geräten der Straßenmeistereien und kommu- 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 167 Ganzjährige Nutzung von Radwegen - Anforderungen an Unterhalt und Winterdienst auf Radwegen nalen Bauhöfe auch Fremdunternehmer, vor allem im Winterdienst, zum Einsatz kommen. Die erforderlichen Haushaltsmittel, egal ob für eigene Ressourcen oder die Fremdvergabe, stehen nicht immer in dem Maße zur Verfügung, wie sie erforderlich wären. Daher sind schon bei der Planung von Radwegerouten neben den Mitteln für den Bau auch die Mittel für Unterhaltung und Betriebsdienst zu berücksichtigen. Ähnlich wie beim Straßennetz ist es zweckmäßig, die Radwegeverbindungen hinsichtlich eines einzuhaltenden Level of Service zu klassifizieren, der auf Verkehrsbedeutung, Verkehrspotenzial und ggf. besonderen Gefahrenstellen basiert. Je nach Level of Service können dann nachvollziehbare und umsetzbare Standards definiert werden, aus denen sich der erforderliche Finanz- und Ressourcenbedarf ableiten lässt. Unterhaltung und Betrieb der Radwegeverbindungen stellen aber auch besondere organisatorische Anforderungen an die zuständigen Baulastträger, um eine effiziente Aufgabenerfüllung zu ermöglichen. Es kann zweckmäßig sein, die Aufgaben an Dritte, z. B. von der Straßenmeisterei an die Gemeinde oder von einer Gemeinde an einen Dritten zu übertragen, wenn die zu betreuenden Strecken nur kurz sind, schlecht erreichbar sind oder Fahrzeuge und Geräte nicht zur Verfügung stehen. Auch die durchgehende Betreuung der Radwegerouten an den Gemeindegrenzen erfordert eine zusätzliche Koordination. Für Radrouten, die auch über nachgeordnete Forst- und Waldwege, über Wege der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung oder über private Wege führen, sind zwar die Wegebesitzer verkehrssicherungspflichtig, dies umfasst aber nicht Unterhaltung und Betrieb als Radroute. Im Interesse der Nutzer ist aber eine einheitliche Qualität für die gesamte Radroute anzustreben. Bereits bei Ausweisung der Radroute sollte daher definiert werden, durch wen Unterhaltung und Betrieb erfolgen. Bei der Planung von Radwegeverbindungen ist ebenfalls darauf zu achten, dass Unterhaltung und Betrieb möglichst einfach und durchgehend möglich sind. Im Wesentlichen ist die durchgehende Befahrbarkeit mit Fahrzeugen des Unterhaltungs- und Betriebsdienstes zu nennen, die durch nicht ausreichende Breiten und Höhen (s. Bild 7) sowie unzureichende Traglasten von Brückenbauwerken unmöglich ist. Die Anordnung von Pfosten oder Absperrungen zur Vermeidung der Nutzung von Radwegen durch den Kfz-Verkehr oder zum Schutz der Radfahrenden an Querungsstellen steht dieser durchgehenden Befahrbarkeit oft entgegen. Pauschale Lösungen sind hierfür nicht möglich, so dass die planerischen, sicherheitsrelevanten und betrieblichen Aspekte im Einzelfall abzuwägen sind. Bild 7: Radweg mit geringer Durchfahrtshöhe im Zuge einer Bahnunterführung (Foto: Holldorb) Es ist in der Regel vor allem im Innerortsbereich notwendig, für Unterhaltung und Betrieb der Radwege Schmalspurfahrzeuge einzusetzen, für die das für Radwege vorgesehene Lichtraumprofil ausreichend ist. Hierbei sind nicht nur die gemäß technischem Regelwerk vorzusehenden Breiten maßgebend, sondern auch die im Bestandsnetz davon immer wieder abweichenden zu schmalen Radwege. Alternativ kann auch der Einsatz von E-Lastenrädern (s. Bild 8) oder E-Bikes für die Streckenkontrolle und punktuelle Einsätze sinnvoll sein; für Winterdienst oder großflächige Kehrarbeiten sind sie natürlich nicht einsetzbar. Bild 8: Einsatz eines E-Lastentrades im Rahmen des Projektes TRASHH durch die Stadtreinigung Hamburg [13] 168 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Ganzjährige Nutzung von Radwegen - Anforderungen an Unterhalt und Winterdienst auf Radwegen 5. Umsetzung im technischen Regelwerk Für die Planung und den Bau von Radverkehrsanlagen steht mit den Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA), Ausgabe 2010 ein technisches Regelwerk zur Verfügung [14]. Dieses soll in Kürze durch Hinweise zu Radschnellverbindungen und Radvorrangrouten ergänzt werden, für die aber bereits auch jetzt schon länderspezifische Standards bestehen, z.B. die Qualitätsstandards und die Musterlösungen für Radschnellverbindungen in Baden-Württemberg [15] [16]. Für Unterhaltung und Betrieb von Radverkehrsanlagen fehlen jedoch entsprechende Regelwerke. Zum Teil sind Radwege im technischen Regelwerk für den Straßenbetriebsdienst berücksichtigt, diese bestehenden Regelungen sind jedoch für Radwege oftmals nur pauschal und werden nicht immer den wachsenden Anforderungen an Radverkehrsanlagen gerecht. Durch den Arbeitsausschuss Winterdienst, der gemeinsamer Ausschuss der FGSV mit dem VKU (Verband kommunaler Unternehmen e. V.), Sparte Abfallwirtschaft und Stadtreinigung ist, wird in Kürze ein Papier zum Winterdienst auf Radwegen veröffentlicht. Im Sommer 2020 wurde durch die FGSV ein Arbeitskreis mit dem Ziel gegründet, bis 2021 ein Hinweispapier für den Betrieb von Radverkehrsanlagen zu erarbeiten. Darüber hinaus laufen derzeit mehrere Forschungsvorhaben zu Unterhaltung und Betrieb von Radverkehrsanlagen: • E-WIN - Effizienter Winterdienst auf Radverkehrsanlagen in deutschen Städten am Beispiel der Stadt Hamburg durch die Stadtreinigung Hamburg [17] • WinRad - Nachhaltige Förderung des Radverkehrs im Winter durch optimierten Winterdienst [18] • AllRad - Steigerung der Fahrradnutzung durch verbesserte Radwegeunterhaltung [19] Die Ergebnisse dieser vom BMVI geförderten Forschungsprojekte werden in zwei bis drei Jahren vorliegen und bei der Fortschreibung der technischen Regelwerke berücksichtigt werden können. Somit rücken Unterhaltung und Betrieb, insbesondere der Winterdienst, als wesentliche Phasen im Lebenszyklus der Radverkehrsanlagen jetzt immer stärker in den Fokus, da sie für die sichere Nutzung bei hoher Verkehrsqualität ganzjährig von entscheidender Bedeutung sind und somit wesentlich zur Förderung des Radverkehrs beitragen. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 169 Ganzjährige Nutzung von Radwegen - Anforderungen an Unterhalt und Winterdienst auf Radwegen Literatur [1] BMVI - Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Förderung und Finanzierung des Radverkehrs. Online verfügbar auf https: / / www. bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ StV/ Radverkehr/ finanzielle-foerderung-des-radverkehrs.html, abgerufen am 28.10.2020 [2] BMVI - Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: BMVI fördert erstmals Radverkehrs- Professuren. Online verfügbar auf https: / / www. bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Pressemitteilungen/ 2020/ 005-scheuer-wir-staerken-radfahrern-denruecken.html, abgerufen am 28.10.2020 [3] Straßengesetz für Baden-Württemberg (Straßengesetz - StrG), in der Fassung vom 11.02.2020. Online verfügbar auf http: / / www.landesrecht-bw.de, abgerufen am 28.10.2020 [4] NN: Hessen Mobil erhält eine neue Struktur. In Asphalt & Bitumen, Heft 04/ 2020, Giesel-Verlag, Hannover [5] Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), in der Fassung vom 12.06.,2020. Online verfügbar auf https: / / www.gesetze-im-internet.de/ bgb/ , abgerufen am 29.10.2020 [6] Hanke, H.: Winterdienst auf Radwegen - Herausforderungen und Lösungen. In. Straßenverkehrstechnik, Heft 8/ 2020. Kirschbaum-Verlag. Bonn [7] FGSV - Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen: Hinweise zur Übertragung von Winterdienstpflichten auf die Anlieger. Ausgabe 2015. FGSV-Verlag. Köln [8] Wichmann, M.: Straßenreinigung und Winterdienst in der kommunalen Praxis, 8. Auflage. Erich Schmidt Verlag, Berlin 2018 [9] Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg: Fahrradwegweisung in Baden-Württemberg: „Standards Wegweisende Beschilderung für den Radverkehr in Baden-Württemberg. Mai 2020. Online verfügbar: https: / / www.aktivmobil-bw.de/ file admin/ user_upload_ fahrradlandbw/ 1_Radverkehr _in_BW/ c_Projekte_Infrastruktur/ Landesradfern wege/ 200414_Standards_FWW-BW_final.pdf, abgerufen am 29.10.2020 [10] Röder, A.: Optimierung und Vergleich regionaler Radrouten unter Einsatz des SensorBikes am Streckenbeispiel Karlsruhe - Weingarten (Baden). Bachelorthesis an der Fakultät für Informationsmanagement und Medien der Hochschule Karlsruhe (unveröffentlicht). Karlsruhe 2020 [11] Stadt Karlsruhe: Smartphone Anwendung „KA- Feedback“-Version 4.0.2, erstellt durch das FZI Forschungszentrum Informatik am Karlsruher Institut für Technologie. Karlsruhe 2018 [12] Stadt Karlsruhe, TechnolgieRegion Karlsruhe GmbH: Mobilitätsportal der TechnologieRegion Karlsruhe. Online verfügbar: https: / / mobilitaet.trk. de/ portal. html, abgerufen am 29.10.2020 [13] Stadtreinigung Hamburg: Video: „Die neuen elektrischen Müll-Fahrräder der Stadtreinigung Hamburg“. Online verfügbar: https: / / www.youtube. com/ watch? v=iq0Cr-h8UWA&feature=emb_logo, abgerufen am 29.10.2020 [14] FGSV - Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen: Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA) - Ausgabe 2010. FGSV-Verlag. Köln [15] Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg: Qualitätsstandards für Radschnellverbindungen in Baden-Württemberg, Stand: März 2018. Online verfügbar: https: / / www.aktivmobil-bw.de/ radver kehr/ radschnellverbindungen/ qualitaetsstandardsund-musterloesungen/ , abgerufen am 28.10.2020 [16] Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg: Musterlösungen für Radschnellverbindungen in Baden-Württemberg, Stand: März 2018. Online verfügbar: https: / / www.aktivmobil-bw.de/ radver kehr/ radschnellverbindungen/ qualitaetsstandardsund-musterloesungen/ , abgerufen am 28.10.2020 [17] Institut für Verkehrsplanung und Straßenverkehr der Technischen Universität Dresden: E-WIN - Effizienter Winterdienst auf Radverkehrsanlagen in deutschen Städten am Beispiel der Stadt Hamburg. Online verfügbar: https: / / tu-dresden.de/ bu/ verkehr/ ivs/ voeko/ forschung/ forschungsprojekte/ e-wineffizienter-winterdienst-auf-radverkehrsanlagenin-deutschen-staedten-am-beispiel-der-stadt-ham burg, abgerufen am 29.10.2020 [18] Institut für Verkehr und Infrastruktur der Hochschule Karlsruhe: WinRad - Nachhaltige Förderung des Radverkehrs im Winter durch optimierten Winterdienst. Online verfügbar: https: / / www.hskarlsruhe.de/ ivi/ forschungsprojekte/ standard-titel, abgerufen am 29.10.2020 [19] Carsten Mahnel (Hochschule Mainz, Fachbereich Technik), Liliane Stein (Hochschule Mainz, Fachbereich Gestaltung): AllRad - Steigerung der Fahrradnutzung durch verbesserte Radwegeunterhaltung. Online verfügbar: https: / / nationalerradverkehrsplan.de/ de/ praxis/ allrad-steigerungder-fahrradnutzung-im-alltag, abgerufen am 29.10.2020 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 171 Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehrsraum: Planung, Ausführung, Fehlervermeidung Hinweise aus der Praxis Edgar Theurer Dipl.-Ing. Bau (FH) -BDB-, Grünflächen- und Tiefbauamt, Stadt Pforzheim, Baden-Württemberg Zusammenfassung Die Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehrsraum bietet viele Möglichkeiten, mobilitätseingeschränkten Menschen den Aufenthalt und die Interaktion mit ihrer Umwelt zu erleichtern. Vielfältige bauliche Maßnahmen erleichtern die Benutzung des ÖPNV, das Queren von Straßen, erleichtern Wege, erhöhen die Sicherheit und geben Hinweise auf Gefahrenstellen. Vielfältige bauliche Maßnahmen bieten aber auch vielfältige Möglichkeiten, das Gegenteil von Schutz und Sicherheit zu erreichen, indem durch Planungsfehler und nachlässige Bauausführung erst Gefahrenstellen geschaffen werden. Die nachfolgenden Seiten sollen Beispiele aufzeigen positive wie negative - und damit sensibilisieren, sich der Verantwortung bewusst zu sein, die ein Umgang mit der Materie mit sich bringt. Das Umsetzen von Barrierefreiheit ist leider selten konfliktfrei, erfordert von den Verantwortlichen Durchhaltevermögen und Detailkenntnis, schafft aber im Ergebnis Lebensqualität, Unabhängigkeit und Teilhabe. Was könnte es schöneres geben? Vorab bemerkt … … Barrierefreiheit nützt uns allen. Nicht nur dem viel zitierten Rollstuhlfahrer! Bild 1 172 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehrsraum: Planung, Ausführung, Fehlervermeidung 1. Grundlagen 1.1 Barrierefreiheit - warum? Ziel der Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehrsraum ist die Inklusion sämtlicher Teilnehmer am Verkehr bzw. Nutzer des Verkehrsraums - Chancengleichheit für Alle. Bild 2 Dieses Ziel hat sich erst im Verlauf vieler Jahre entwickelt. Wollte man früher „Behinderte“ getrennt von den übrigen Menschen „behandeln“, so war man sich rasch einig, sie zumindest zu integrieren. Aber auch das war immer noch eine Sonderbehandlung. Inklusion heißt eben Teilhabe, Selbstbestimmung, Chancengleichheit, keine Sonderbehandlung (außer den notwendigen besonderen Maßnahmen im Verkehrs-raum, das zu erreichen). 1.2 Arten von Einschränkungen (difu 2014) Körperliche Behinderungen bewegungsbehinderte Menschen wahrnehmungsbehinderte Menschen sprachbehinderte Menschen kleine / große Menschen, Übergewichtige Geistige Behinderungen geistige Einschränkungen (Analphabeten, …) psychische Behinderung (Klaustrophobie, …) Alterseinschränkungen Junge / Alte Temporäre Einschränkung Schwangere, Menschen mit Gepäck / Hund / Kindern, Kranke Sprachunkundige, Ortsunkundige, … 7,3 Mio. Schwerbehinderte (mit Ausweis) = 9% d. dt. Bevölkerung Zahl mobilitätsbehinderter Personen weitaus höher: 20% bis 30% der Bevölkerung Ein Hinweis meinerseits bei Schulungen von Busfahrern, an denen ich ab und zu teilnehme, lautet: „Gehen sie davon aus, dass in jedem Bus, den sie lenken, mindestens 5 Menschen mitfahren, die in ihrer Mobilität irgendwie eingeschränkt sind, ohne dass es gleich erkennbar ist.“ Bewusstsein schaffen! Das Thema ist letztendlich allgegenwärtig, leider noch nicht im Sinne der Abhilfe. 1.3 gesetzliche Grundlagen Barrierefreiheit bzw. Inklusion basiert auf einer umfangreichen gesetzlichen Grundlage. Eine Auswahl hiervon: Grundgesetz: Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. BGG Behindertengleichstellungsgesetz: § 8 Herstellung von Barrierefreiheit in den Bereichen Bau und Verkehr AGG Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz UN-Konvention BRK Behindertenrechtskonvention LGG-BW Behindertengleichstellungsgesetz LBO Landesbauordnung DIN 18040 - 1-3, DIN 32984, ... konkreteste Festlegung aktuell § 8 Abs. 3 PBefG (Personenbeförderungsgesetz / Nahverkehrsplan) Ziel: „…, für die Nutzung des ÖPNV bis zum 01.01.2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen. …“ Dies betrifft „in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkte“ Menschen. Der 1. Januar 2022 ist kein Jahr mehr entfernt, was haben wir, was haben Sie dazu bereits geschaffen? Dieses konkrete Datum lag immer „weit in der Zukunft“, nun kommt es erschreckend schnell näher. Ich kenne keine Kommune, die das Ziel vollumfänglich zeitgerecht erreichen wird - lasse mich aber gerne eines Besseren belehren. Nichts desto trotz gilt es aber den Umbau - nicht nur von Bushaltestellen - voranzutreiben und zu intensivieren. Schaffung von Barrierefreiheit ist gesellschaftlicher Konsens, nicht nur gesetzliche Vorgabe. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 173 Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehrsraum: Planung, Ausführung, Fehlervermeidung 2. Details 2.1 Blindenleitsysteme 2.1.1 Aufgaben von Blindenleitsystemen (BLS) - Auffinden / Beachten - Leiten - Sperren - Orientierung Fühlen, nicht Sehen Auffinden / Beachten (Richtungswechsel) Aufmerksamkeitsfeld („Achtung, es ändert sich was“) Ausführung als Noppenfelder nicht mehr zeitgemäß - Kugelsegmente, orthogonal Bild 3 nur noch verwenden - Kegelstümpfe diagonal angeordnet taktil wesentlich besser erkennbar Bild 4 einheitliches Noppenbild beachten Bild 5 genügend große Felder anordnen (DIN) Bild 6 Leitsysteme können auch gefräst werden Noppen sind dann eben rechteckig Bild 7 174 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehrsraum: Planung, Ausführung, Fehlervermeidung Leiten (Längsführung) Richtungsfeld („hier entlang“) Ausführung als Rippenfelder Rippenplatten, Rippen in Gehrichtung Rippenabstand 50 mm Bild 8 Ebenfalls in gefräster Form möglich, z.B. in denkmalgeschützten Belägen, in denen keine Leitplatten eingelegt werden dürfen. Bild 9 Bei Richtungsänderungen mit einem Winkel größer 45° Aufmerksamkeitsfeld notwendig, kleinere Richtungsänderungen auch in Bogenform möglich (nur bei Fräsungen). Bild 10 Bild 11 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 175 Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehrsraum: Planung, Ausführung, Fehlervermeidung Sperren (Längsführung) Sperrfeld („hier geht`s nicht weiter“) Ausführung als Rippenfelder Rippenplatten, Rippen quer zur Gehrichtung Rippenabstand 38 mm Bild 12 Bild 13 Bild 14 2.1.2 Maßvorgaben bei Blindenleitsystemen (BLS) maßgeblich ist ausschließlich DIN 32984 möglichst Querungsstelle mit differenzierter Bordhöhe „höhengetrennt“ notfalls Querungsstelle mit einheitlicher Bordhöhe „höhengleich“ Detail Querungsstelle Quelle: DIN 32984 Bild 15 Standards Stadt Pforzheim höhengetrennt 0 cm Rollstuhl / Kinderwagen 6 cm Blinde 176 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehrsraum: Planung, Ausführung, Fehlervermeidung Bild 16 Bild 17 diese Lösung nur im Ausnahmefall: falls höhengetrennte Querung technisch nicht möglich 3 cm Anschlag Bild 18 Vielfältige Detailausbildungen denkbar, aber immer auf Basis der DIN 32984 Bild 19 Bild 20 Bild 21 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 177 Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehrsraum: Planung, Ausführung, Fehlervermeidung Bild 22 Spezialfall „ungesicherte Querungsstelle“ (keine Ampel o.ä.) Bild 23 Auffindefeld an Gehweghinterkante kein durchgehender Leitstreifen zum Bordstein Bild 24 2.1.3 Ausführungsdetails bei Blindenleitsystemen (BLS) wichtig: maßhaltig - kantenfrei - ebenflächig maßhaltig Bild 25 Rollstuhlabsenkung Blindenkante = 0 cm EXAKT ! ! = 6 cm kantenfrei Bild 26 keine Kanten und Stolperecken SO NICHT ! ! ebenflächig 178 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehrsraum: Planung, Ausführung, Fehlervermeidung Bild 27 keine Fasen und Absätze extra so in Ausschreibung angeben ABSOLUT EBEN ! ! DIN 18318 = 2 mm Fugen richtig positionieren / Schnitte richtig setzen: Bild 28 Bild 29 Der zusätzliche Schnitt ist auszuschreiben und zu vergüten. 2.2 barrierefreie Bushaltestellen 2.2.1 Aufgaben von barrierefreien Bushaltestellen Ein- und Aussteigen ohne unüberwindbare Hindernisse → Selbständigkeit Fahrerhilfe nur im Notfall - aber immer vorhanden 2.2.2 Maßvorgaben bei barrierefreien Bushaltestellen Bild 30 Bild 31 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 179 Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehrsraum: Planung, Ausführung, Fehlervermeidung Bild 32 2.2.3 Ausführungsdetails bei barrierefreien Bushaltestellen Bild 33 OHNE Fase absolut planeben Hinweis: Betonplatten ohne Fase sind keine Lagerware Lieferzeiten beachten, evtl. Mindestmengen i.d.R. Angebot mit „Mikrofase“ nein explizit „OHNE Fase“ ausschreiben Bild 34 Kontrast durch Farben basalt / weiß Rippen PARALLEL zur Busbordkante idealerweise: überdacht = „taleben“ im Freien = „bergeben“ (sonst Schäden durch maschinelle Schneeräumung) Bild 35 2.2.4 kein Standard, aber manchmal nötig: Bild 36 Basteln, um überhaupt etwas zu erreichen Bodenindikatoren kann man auch kleben, allerdings gibt es die nicht immer in normgerechten Maßen Bild 37 180 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehrsraum: Planung, Ausführung, Fehlervermeidung Bild 38 Anwendungsfall: Leitsysteme auf Brückenkonstruktionen = kein Pflastereinbau möglich → Notlösung! 3. Beispiele 3.1 Bereich des ÖPNV ZOB Pforzheim vollständig barrierefreie Verkehrsanlage Einstiegsfeld Bild 39 Querung der Busfahrbahnen / Leitstreifen Bild 40 Blindenleitstreifen in Nutzung Bild 41 Fahrbahnrandhaltestellen im Stadtgebiet hier in Kombination mit Busspur Bild 42 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 181 Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehrsraum: Planung, Ausführung, Fehlervermeidung Bild 43 Bild 44 Ausnahmefall Busbucht möglichst vermeiden Bild 45 Busbuchten haben eine große Entwicklungslänge … Faktor Buslänge : Haltestellenlänge = 1 : 4,8 (bei Fahrbahnrandhaltestelle / Buskap = 1 : 1,4) Bild 46 … oder sind schlecht anfahrbar und erfordern Einfädeln in den fließenden Verkehr. (Stichwort Busbeschleunigung) Busbuchten sind in dicht bebauten Innerortslagen nahezu nirgends normgerecht zu realisieren. Anwendung nur dann, wenn Haltestelle unmittelbar hinter einer signalisierten Kreuzung / Einmündung angeordnet werden muss (Vermeidung von Rückstau in den Knoten). 182 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehrsraum: Planung, Ausführung, Fehlervermeidung Bild 50 3.2 Bereich Straßenquerungen an signalisierten Fußgängerüberwegen „gesicherte Querung“ mit differenzierter Bordhöhe + 0 cm für Rollstuhl, Rollator etc. + 6 cm für Blinde Beispiel für „Fahrer hat‘s drauf” = Idealzustand Bild 47 kleiner Spalt - geringe Stufe (Kneeling) Bild 48 perfekt angedockt (Anfahren bis Bordberührung, dann Lenkrad loslassen und in Idealposition ziehen lassen) Bild 49 Übung macht den Meister - attraktiver ÖPNV 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 183 Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehrsraum: Planung, Ausführung, Fehlervermeidung Bild 51 Bild 52 Bild 53 an Querungshilfen „ungesicherte Querung“ Bild 54 Bild 55 Bild 56 3.3 2-Sinne-Prinzip Blindenakustik an Fußgängerüberwegen Tock, tock, … 184 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehrsraum: Planung, Ausführung, Fehlervermeidung Bild 57 Vorlesetaster an Dynamischen Fahrgastinfoanlagen TTS „text-to-speech“ Sehen oder/ und Hören Bild 58 Bild 59 3.4 auch das ist Barrierefreiheit Barrierefreie Baustellen 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 185 Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehrsraum: Planung, Ausführung, Fehlervermeidung Bild 60 Bild 61 „kleiner Keil, große Hilfe! “ Bild 62 … und dann noch die Baustelle aufräumen. 186 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehrsraum: Planung, Ausführung, Fehlervermeidung 4. Such den Fehler! Beispiele was alles schief gehen kann … ! Bild 63 „Wer einen Meterstab hat sollte ihn benutzen! “ 4,5 cm sind eben nicht 6,0 cm → rausreißen - nochmal machen Bild 64 da fehlt die Fortsetzung bis zur Gehweghinterkante Bild 65 Stolperkante wegen fehlendem Schnitt Bild 66 keine 6 cm … 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 187 Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehrsraum: Planung, Ausführung, Fehlervermeidung Bild 67 … da passt Garnichts! Flucht der Rippenplatten stimmt nicht … Bild 68 … Schnur spannen hilft! Bild 69 Schnur spannen kann jeder! was soll der Pflasterstreifen hier? Bild 70 Bushaltestellen immer als Gerade 188 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehrsraum: Planung, Ausführung, Fehlervermeidung Bild 71 Anschluss des Leitstreifens an die Treppe fehlt Bild 72 und 73 Beispiel, wie es sein sollte. Besser noch wären Kegelst ümpfe in Diagonalanordnung, hier leider noch eine veraltete Version mit Kugelsegmenten in Orthogon alanordnung. Busbuchten zu Fahrbahnrandhaltestellen zurückbauen oder richtlinienkonform deutlich verlängern → gestreckt anfahrbar 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 189 Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehrsraum: Planung, Ausführung, Fehlervermeidung Bild 74 Bild 75 ohne Worte ! ? BUGA 2019 in Heilbronn Bild 76 Alles gut - oder … ! Bild 77 Planung, Ausführung, Fehlervermeidung Hinweise aus der Praxis Fragen - fast jederzeit unter 7231 - 392743 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 191 Temporäre Rückhaltung und Notableitung von Starkniederschlägen auf städtischen Straßen - Rahmenbedingungen hinsichtlich der Verkehrssicherheit Jonas Fesser Hochschule Karlsruhe - Technik und Wirtschaft Prof. Dr. Jochen Eckart Hochschule Karlsruhe - Technik und Wirtschaft Zusammenfassung Eine Folge des Klimawandels ist die Zunahme von Starkregenereignissen. Diese sind mit der Gefahr von Überflutungen und damit einhergehenden Schäden bei sensiblen Nutzungen sowie sensibler Infrastruktur verbunden. Die Dimensionierung der kommunalen Entwässerungssysteme für den Fall seltener Starkregenereignisse ist ökonomisch und ökologisch nicht praktikabel. Die gezielte Mitbenutzung von Verkehrsflächen für eine kontrollierte temporäre Notableitung und Rückhaltung von Starkniederschlägen kann zur Reduzierung der Schäden beitragen. Eine Mitbenutzung eignet sich besonders für städtische Räume, in welchen freie Flächen zur Retention von Niederschlagswasser knapp sind und die versiegelten Verkehrsflächen einen großen Anteil an der Gesamtfläche einnehmen. Die Ergebnisse aus Literaturanalyse, Unfallanalyse, videobasierter Verkehrskonfliktanalyse und der Analyse der rechtlichen Rahmenbedingungen deuten darauf hin, dass die temporäre Rückhaltung und Notableitung von Starkniederschlägen auf Straßen bei entsprechenden Rahmenbedingungen keine negativen Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit erwarten lassen. 1. Einleitung Im Zuge des Klimawandels ist in Mitteleuropa, bedingt durch Konvektion, mit vermehrt auftretenden Starkregenereignissen zu rechnen ist (Deutschländer & Mächel 2017, IPCC 2013). Für Kommunen stellt dies ein Problem dar. Ihre Entwässerungssysteme sind nicht für seltene Starkregenereignisse bemessen, wodurch im Falle deren Auftretens die Gefahr von Überflutungen mit den daraus resultierenden Schäden besteht. Vor allem in dicht besiedelten städtischen Gebieten ist das Schadenspotenzial im Falle eines Starkregenereignisses enorm, da durch deren hohen Versiegelungsgrad große Mengen an Wasser zum Abfluss gebracht werden und sensible Nutzungen und Infrastrukturen oftmals nicht ausreichend vor Überflutungen geschützt sind. Die Erweiterung der Kapazität der konventionellen Entwässerungsinfrastruktur stellt für viele Kommunen aus ökologischer und ökonomischer Perspektive keine realistische Lösung dar. Ein Lösungsansatz bildet die dezentrale Regenwasserbewirtschaftung, bei der das Niederschlagswasser lokal zurückgehalten, verdunstet, versickert und nur verzögert abgeleitet wird. Diese dezentrale Regenwasserbewirtschaftung entlastet die Kanalisation und kann vor Ort z.B. der Bewässerung von Grünflächen oder dem lokalen Mikroklima durch Verdunstung dienen. Von Benden (2014), Valée & Benden (2010), Waldhoff et al. (2012), Günthert & Faltermaier (2016), Riegel et al. (2013) und TU Kaiserslautern & Pecher (2011) wird zudem eine geplante Mitbenutzung von Verkehrsflächen für eine kontrollierte temporäre Notableitung und Rückhaltung von Starkniederschlägen vorgeschlagen. Die temporäre Mitbenutzung von Verkehrsflächen kann ein kostengünstiges und bisher ungenutztes Konzept zur Adaptation an Starkniederschläge und damit die Folgen des Klimawandels darstellen. Sie bildet dabei einen Baustein neben anderen für die dezentrale Kleinrückhaltung von Starkniederschlägen in urbanen Gebieten. Eine Definition dieses Konzeptes für die Mitbenutzung von (Verkehrs-)Flächen für die Bewirtschaftung von Starkregenereignissen bietet das (KompetenzNetzwerk Hamburg Wasser 2010): „Mitbenutzte Flächen, wie beispielsweise Verkehrsflächen, […] unterliegen einer Hauptnutzung und werden im Starkregenfall zur temporären Zwischenspeicherung und/ oder zum Transport von Abflussspitzen für den Überflutungsschutz […] genutzt. Bei den hier genannten extremen Regen handelt es sich um Ereignisse, die 192 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Temporäre Rückhaltung und Notableitung von Starkniederschlägen auf städtischen Straßen - Rahmenbedingungen hinsichtlich der Verkehrssicherheit […] für Straßen in der Regel seltener als alle 10 Jahre auftreten. Die Mitbenutzung von Flächen ist daher nicht der Normalfall, sondern die Ausnahme. Zudem ist die Entleerungszeit auf etwa 12 bis maximal 24 Stunden angesetzt, so dass innerhalb kürzester Zeit die Hauptnutzung wieder erfolgen kann.“ Erste praktische Konzepte für die schadensarme und kontrollierte oberirdische Notableitung sowie Rückhaltung von Starkniederschlägen auf Straßen werden bereits im Hochschulstadtteil Lübeck oder dem Klima-Boulevard in Bremen-Findorf angewandt (BBSR 2015). Im Ergebnis kann die Rückhaltung und Notableitung von Starkniederschlägen auf Verkehrsflächen helfen, Schäden durch unkontrollierte Überflutungen zu reduzieren und Kosten für die Erweiterung des bisherigen Entwässerungssystems zu vermeiden. Die erforderlichen siedlungswasserwirtschaftlichen Rahmenbedingungen für eine solche Mitbenutzung von Verkehrsflächen wurden von Benden (2014), Valée & Benden (2010), Waldhoff et al. (2012), Günthert & Faltermaier (2016) und Riegel et al. (2013) in den letzten Jahren entwickelt. So eigenen sich Straßenräume mit großzügigen Platzverhältnissen sowie angrenzende Freiflächen oder Vorfluter zur Ableitung des Wassers. Um den Straßenraum als Fließweg sowie zur Rückhaltung zu nutzen reichen meist einfache bautechnische Anpassungen wie großzügig dimensionierte Rinnensysteme, Hochborde oder Schwellen aus. Mit deren Hilfe wird das oberflächige Niederschlagswasser gelenkt und von schutzwürdigen Nutzungen ferngehalten. Das planmäßige Ableiten und Rückhalten von Starkniederschlägen im Straßenraum ist jedoch auf Bedenken im Hinblick auf die Verkehrssicherheit und Verkehrssicherungspflicht zu überprüfen. 2. Analyse der Auswirkungen von Starkregenereignissen auf die Verkehrssicherheit Um die Auswirkungen von Starkregenereignissen auf den städtischen Straßenverkehr und damit die Verkehrssicherheit zu untersuchen werden drei Analyseschritte genutzt. Zunächst wird die Literatur zu den Auswirkungen von (Stark-)Regenereignissen auf die Verkehrssicherheit ausgewertet. Anschließend wird das Unfallgeschehen der Stadt Karlsruhe hinsichtlich des Einflusses von Starkregenereignissen untersucht. Abschließend werden mittels einer videobasierten Verkehrskonfliktanalyse von Starkregenereignissen ausgehende Gefahren für den städtischen Straßenverkehr sowie das Verhalten der Verkehrsteilnehmer im Falle einer Überflutung des Straßenraumes analysiert. 2.1 Literaturanalyse zur Auswirkung von (Stark-) Regenereignissen auf die Verkehrssicherheit Die Fachliteratur ist sich weitgehend einig, dass Regen und nasse Fahrbahn die Unfallrate sowie die Anzahl der Unfälle erhöht. Der Anstieg der Unfallrate wird auf die Kombination geringer Reibungsbeiwerte durch die nassen Straßenverhältnisse und die beeinträchtigte Sicht durch Regen, Spritzwasser oder Nebel zurückgeführt (Theofilatos & Yannis 2014; Smith 1982; Scott 1986; Andrey & Yagar 1993; Fridstrøm et al. 1995; Caliendo et al. 2007; Levine et al. 1995; Edwards 1996; Chang & Chen 2005; Koetse & Rietveld 2009; Brodsky & Hakkert 1988; Chung et al. 2005; Eisenberg 2004; Jones et al. 1991; Satterthwaite 1976; Shankar et al. 1995; Bergel- Hayata et al. 2013; Fridstrom & Ingebrigtsen 1991; Keay & Simmonds 2006; Hermans et al. 2006). Es existieren jedoch auch vereinzelt Studien, die zu einem anderen Ergebnis kommen. So stellen Haghighi-Talab (1973) keinen Unterschied bei der Unfallrate während moderaten und schweren Regenfällen fest. George & Theofilatos (2014) sowie Karlaftis & Yannis (2010) kommen bei einer Langezeituntersuchung in Athen sogar zu dem Ergebnis, dass sich mit zunehmender Regenintensität die Anzahl an Unfällen reduziert. Für die Unfallschwere bei Regen und nasser Fahrbahn sind die Aussagen der Fachliteratur nicht eindeutig. Theofilatos & Yannis (2014), Caliendo et al. (2007) und El-Basyouny & Kwon (2012) weisen nach, dass bei Niederschlägen und nasser Fahrbahn die Anzahl der schweren Unfälle stärker zunimmt als die Anzahl leichter Unfälle. Andere Studien wie die von Koetse & Rietveld (2009), Khattak et al. (1998) und Edwards (1998) gehen hingegen von einer Abnahme der Schwere der Unfälle bei Niederschlägen und nasser Fahrbahn aus. In der Fachliteratur besteht Einigkeit darüber, dass es bei Starkregenereignissen im Vergleich zu normalen Regenereignissen zu einer größeren Reduktion der durchschnittlichen Geschwindigkeit kommt. So lässt sich bei leichten Niederschlägen eine Reduktion der durchschnittlichen Geschwindigkeit zwischen 8km/ h und 19,5 km/ h feststellen, während bei stärkeren Niederschlägen die Reduktion zwischen 8 km/ h und 31 km/ h beträgt (Unrau & Andrey 2006; Brilon & Ponzlet 1996; Akin et al. 2011; Kyte et al. 2000). Edwards (1999), Chung et al. (2006) und Lam et al. (2013) gehen jedoch davon aus, dass die Fahrer die verlängerte Bremsweite bei Nässe unterschätzen und ihre Geschwindigkeit nicht ausreichend reduzieren. Die meisten Untersuchungen zur mangelnden Kompensation beziehen sich allerdings auf Außerortsstraßen mit einem hohen Geschwindigkeitsniveau. Aus diesem Grund ist unklar, ob die Erfahrungen auf innerstädtische Straßen übertragen werden können. Dies gilt insbesondere deshalb, da auf Außerortsstraßen aufgrund des hohen Geschwindigkeitsniveaus die Gefahr von Aquaplaning, also dem Kontrollverlust über das Fahrzeug durch dessen Aufschwimmen, besteht. Da Aquaplaning erst bei Geschwindigkeiten über 60 km/ h auftreten kann (Gallaway et al. 1979) spielt dies für städtische Straßen keine bzw. maximal eine untergeordnete Rolle. Die bisher genannten Auswirkungen von Niederschlagsereignissen auf die Verkehrssicherheit beziehen sich auf 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 193 Temporäre Rückhaltung und Notableitung von Starkniederschlägen auf städtischen Straßen - Rahmenbedingungen hinsichtlich der Verkehrssicherheit Wasserfilmdicken auf der Fahrbahn von maximal 1 cm. Für die im Rahmen von temporärer Notableitung und Rückhaltung von Starkniederschlägen auf Straßen diskutierten Wassertiefen von 5 bis 20 cm liegen in der Fachliteratur hingegen keine Aussagen zum Gefährdungspotential vor. Untersuchungen zu den Todesursachen bei Hochwasserereignissen zeigen, dass in Europa bei Hochwasserereignissen 27 % aller ertrunkenen Personen auf Ertrinkungsopfer in Fahrzeugen entfallen. In den USA liegt deren Anteil bei 63 % (Jonkman & Kelman 2005; Kellar & Schmidlin 2012; Yale et al. 2003). Bereits bei Wassertiefen ab 40 cm und einer Strömung von 1,5 m/ s können Fahrzeuge weggeschwemmt werden (Shu et al. 2011). In diesem Fall besteht die Gefahr, dass die Fahrzeuge in tieferes Wasser geschwemmt werden und sich die Fahrzeugführenden nicht mehr befreien können. Bei zu Fuß Gehenden, insbesondere wenn es sich dabei um Kinder oder ältere Personen handelt, besteht bereits ab einem Wasserstand von 20 cm und einer Strömungsgeschwindigkeit von 1,5 m/ s eine erhöhte Sturzgefahr (Shu et al. 2011). 2.2 Unfallanalyse für Starkregenereignissen in der Stadt Karlsruhe Für die Stadt Karlsruhe werden die durch Starkregenereignisse verursachten Unfälle auf städtischen Straßen für den Zeitraum Januar 2012 bis September 2016 identifiziert und ausgewertet (Dormann et al. 2017). Insgesamt wurden in dem betrachteten Zeitraum 21.210 Unfälle erfasst. Von diesen Unfällen ereigneten sich 3.395 Unfälle auf nassen Fahrbahnen. Um herauszufinden ob diese Unfälle auf nassen Fahrbahnen durch Starkregenereignisses verursacht wurden, werden die Daten von drei Karlsruher Wetterstationen herangezogen. Im Untersuchungszeitraum wurden an den Wetterstationen 13 Starkregenereignisse an 11 Tagen erfasst. An den Tagen mit Starkregenereignissen fanden 118 Unfälle statt, was einen Durchschnitt von 10,7 Unfälle pro Tag ergibt. Dieser Durchschnitt entspricht dem 5-Jahresdurchschnitt von 11,5 Unfällen pro Tag in Karlsruhe. Zur Klärung der Frage, ob die Unfälle in Zusammenhang mit einem der Starkregenereignisse stehen wird geschaut, welche Unfälle in einem Zeitraum zwischen 15 Minuten vor und 15 Minuten nach einem Starkregenereignis aufgetreten sind. Darüber hinaus wird analysiert ob die Unfälle auch tatsächlich dort stattgefunden haben, wo das Starkregenereignis von den Wetterstationen aufgezeichnet wurde. Am Ende des Ausschlussverfahrens bleibt ein Unfall übrig, welcher zeitgleich mit einem lokalen Starkregenereignis stattgefunden hat. Eine Durchsicht dieses Unfallberichtes ergibt, dass es sich um einen Unfall handelt, bei dem ein ausparkendes Fahrzeug ein anderes parkendes Fahrzeug leicht beschädigt hat. Die Beschreibung des Unfallgeschehens legt nahe, dass der Unfallvorgang nicht in Zusammenhang mit dem Starkregenereignis steht. Für konvektive Starkregenereignisse lassen sich für den betrachteten Zeitraum in Karlsruhe damit keine negativen Auswirkungen auf das Unfallgeschehen belegen. 2.3 Videobasierte Verkehrskonfliktanalyse von überfluteten städtischen Straßen Starkregenereignisse treten selten auf und lassen sich zeitlich und räumlich nur schwer vorhersagen. Aus diesem Grund ist eine systematische Analyse des Verkehrsablaufs auf durch Starkregenereignisse überfluteten Straßen nur schwer möglich. Jedoch sind im Internet zahlreiche Videos von Medien oder Passanten verfügbar, welche das Verkehrsgeschehen auf überfluteten städtischen Straßen während und nach Starkregenereignissen zeigen. In drei verschiedenen Studien (Mettmann et al. 2016; Hölsch 2018; Fesser 2019) wurde nach solchen Videos im Internet gesucht und diese im Hinblick auf die Auswirkungen von Überflutung des städtischen Straßenraums auf die Verkehrssicherheit ausgewertet. Hierzu wird der Ansatz der Verkehrskonfliktanalyse genutzt. Die Videos werden nach Konflikten untersucht, in denen sich Verkehrsteilnehmende räumlich und zeitlich so annähern, dass Kollisionen nur durch eine entsprechende Reaktion der verwickelten Verkehrsteilnehmenden bzw. durch kritische Fahrmanöver derer vermieden werden können (Schnabel & Lohse 2011). Da bei temporär überfluteten Straßen nur kurze Beobachtungszeiträume zur Verfügung stehen, bieten sich die vergleichsweise häufig auftretenden Konflikte als Indikator zur Beurteilung der Verkehrssicherheit mehr an, als die alleinige Betrachtung von Unfällen, welche sehr selten auftreten. Ein gehäuftes Auftreten von Konflikten deutet auf mangelnde Verkehrssicherheit hin, auch wenn in dem betrachteten Zeitraum selbst keine Unfälle verzeichnet wurden. Somit können im Gegensatz zur klassischen Unfallanalyse mit der Verkehrskonfliktanalyse auch für die selten auftretenden Überflutungsereignisse im Straßenraum Aussagen zur Verkehrssicherheit getätigt werden. Das Verhalten der Verkehrsteilnehmenden, die auftretenden Konflikte sowie die Randbedingungen werden anhand eines strukturierten Kriterienkatalogs ausgewertet. Um die auftretenden Konflikte hinsichtlich eines Zusammenhangs mit der Überflutungssituation zu analysieren wird zwischen Standardkonflikten, welche unabhängig von der Überflutungssituation auftreten, und Konflikten aufgrund von Wasser auf der Fahrbahn unterschieden. Die Basis für die Kategorisierung der Konflikte bilden die Konflikttypen des FGSV Merkblattes zur örtlichen Unfalluntersuchung in Unfallkommissionen (M Uko) (FGSV 2012). Von diesen werden als Standardkonflikttypen kategorisiert: Konflikte durch Einbiegen/ Kreuzen (z.B. bevorrechtigtes Fahrzeug von links), Konflikte durch ruhenden Verkehr (z.B. Ausweichen in den Gegenverkehr), Konflikte im Längsverkehr (z.B. Auffahren, Spurwechsel nach rechts, Begegnende) und sonstige Konflikte (z.B. Rückwärtsfahren, Wenden). Neben den 194 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Temporäre Rückhaltung und Notableitung von Starkniederschlägen auf städtischen Straßen - Rahmenbedingungen hinsichtlich der Verkehrssicherheit diesen Standardkonflikttypen aus dem M Uko werden weitere für Überflutungen typische Konflikttypen definiert, wie z.B. das Liegenbleiben (Fahrzeuge durch Wasserschlag liegengeblieben), Wenden (wegen Wasser auf der Fahrbahn) oder Ausweichen (vor überfluteten Stellen). Die schwere der Konflikte wird in Anlehnung an den Standard der Verkehrskonflikttechnik erfasst, welcher auf der Konflikttheorie nach Hyden (1977) basiert. Als Interaktion werden demnach Konflikte eingeordnet, bei denen Verkehrsteilnehmende untereinander agieren und sich abstimmen, besondere Fahrmanöver aber noch nicht notwendig sind. Bei leichten Konflikten handelt es sich um Konflikte, bei denen die zeitlichen und räumlichen Abstände zwischen den beteiligten Verkehrsteilnehmenden noch groß genug für eine kontrollierte Reaktion sind, die jedoch bereits über ein normales Fahrmanöver hinausgeht. Bei schweren Konflikten werden Unfälle hingegen nur noch dadurch vermieden, dass die beteiligten Verkehrsteilnehmenden starke, nur noch bedingt kontrollierbare Fahrmanöver durchführen. Im Falle eines Unfalls liegt letztlich eine Kollision von Verkehrsteilnehmenden untereinander oder ein Alleinunfall vor. Abbildung 1: Konflikttypen und Konfliktschweren bei Überflutungen (eigene Darstellung) Von den 48 in den Videos identifizierten Konflikten sind 39 spezifische für Überflutungssituationen (Abbildung 1). Am häufigsten sind Alleinunfälle durch liegengebliebene Fahrzeuge infolge eines Wasserschlages. Dies steht im Widerspruch zu der von Hyden (1977) aufgestellten Konflikttheorie, wonach Unfälle die am seltensten auftretende Konfliktschwere darstellen. Die hohe Anzahl an Fahrzeugen, welche in einen überfluteten Bereich einfahren und mit einem Wasserschlag liegen bleiben zeigt, dass die Verkehrsteilnehmenden teilweise nicht einschätzen können, wann das Durchfahren eines überfluteten Fahrbahnbereiches gefahrlos möglich ist. Lediglich zwei Unfälle sind nicht auf einen Wasserschlag an einem Kfz zurückzuführen. Dabei handelt es sich um Unfälle mit geringem Sachschaden. So fährt z.B. ein wendendes Fahrzeug rückwärts gegen eine Laterne. Abbildung 2: Zusammenhang zwischen Konflikttyp und der Wassertiefe (eigene Darstellung) Die beobachteten Unfälle und Konflikte durch Wasser auf der Fahrbahn treten vor allem bei Wasserständen über 20 cm auf (Abbildung 2). Die Wattiefe von Personenkraftwagen liegt im Regelfall zwischen 30 und 50 cm (Kramer et al. 2016) wodurch mit zunehmender Wassertiefe vermehrt Alleinunfälle aufgrund von Wasserschlägen zu verzeichnen sind. Abbildung 3: Prozentuale Konflikthäufigkeit in Abhängigkeit von der Wassertiefe (Fesser 2019) Auch die prozentuale Konflikthäufigkeit steigt mit zunehmender Wassertiefe der Überflutung und reicht von 4 % bei Wassertiefen zwischen 10 cm und 20 cm über 35 % bei Wassertiefen zwischen 30 cm und 40 cm bis zu 100 % für Wassertiefen über 50 cm (Abbildung 3). Erklären lässt sich das durch die zunehmende Anzahl von Alleinunfällen mit steigender Wassertiefe. Wellenbildung erhöht dabei die Gefahr für einen Wasserschlag auch unterhalb der Wattiefe eines Kfz. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 195 Temporäre Rückhaltung und Notableitung von Starkniederschlägen auf städtischen Straßen - Rahmenbedingungen hinsichtlich der Verkehrssicherheit Abbildung 4: Aufteilung nach Verkehrsmitteln (eigene Darstellung) 80 % der betrachteten Konflikte und Unfälle entfallen auf Pkw, 6 % auf Fahrräder und 4 % auf Lkw (Abbildung 4). Während sämtliche Konflikte mit den Konfliktschweren leichter Konflikt, schwerer Konflikt und Unfall auf Pkw und Lkw entfallen, sind besonders vulnerable Verkehrsteilnehmende wie Radfahrende in den betrachteten Videos lediglich in Interaktionen verwickelt. Abbildung 5: gefahrene Geschwindigkeiten bei Überflutungssituationen (eigene Darstellung) 90 % der Verkehrsteilnehmenden sind in den analysierten Videos mit einer Geschwindigkeit von maximal 40 km/ h unterwegs (Abbildung 5). Nach (Gallaway et al. 1979, Reed et al. 1984) tritt Aquaplaning selbst bei hohen Wasserfilmdicken erst ab einer Geschwindigkeit von über 60 km/ h auf, so dass Aquaplaning bei den betrachteten innerstädtischen Situationen nicht beobachtet wurde. Das niedrige Geschwindigkeitsniveau hat zur Folge, dass abgesehen von den Alleinunfällen liegenbleibender Fahrzeuge, überwiegend nur leichte Interaktionen beobachtet wurden. 93 % der Verkehrsteilnehmenden sind mit einer angepassten Geschwindigkeit unterwegs. Die Geschwindigkeit wird als angepasst bewertet, wenn durch diese keine Gefährdung des Verkehrsteilnehmenden selbst (z. B. durch einen Kontrollverlust über das Fahrzeug) oder für andere Verkehrsteilnehmende (z. B. Beeinträchtigung der Sicht entgegenkommender Verkehrsteilnehmender durch Spritzwasser) besteht. Bei den analysierten Situationen lässt sich beobachten, dass unsichere und besonders vorsichtige Verkehrsteilnehmende oftmals durch nachfolgende Fahrzeuge zum Weiterfahren gedrängt werden. Zudem sind Verkehrsteilnehmende zu beobachten, die ihr Kraftfahrzeug auf die Gegenfahrbahn oder über baulich von der Fahrbahn getrennte Geh- und Radwege lenken, um so überflutete Fahrbahnbereiche zu umfahren. Bei einem solchen Ausweichen bzw. beim Umfahren einer Überflutungsstelle ist ein Schwarmverhalten festzustellen. Führt ein Verkehrsteilnehmender ein solches Ausweichmanöver durch, folgen häufig weitere Verkehrsteilnehmende dem Beispiel. Ausweichmanöver sind insbesondere bei Wasserständen über 20 cm Wasserhöhe zu beobachten. Bei Wasserständen unter 20 cm fahren die Verkehrsteilnehmenden hingegen meist direkt durch den überfluteten Fahrbahnbereich. 3. Rechtliche Rahmenbedingungen für eine temporäre Rückhaltung und Notableitung von Starkregenereignissen auf Straßen Eine wesentliche rechtliche Anforderung für eine temporäre Rückhaltung und Notableitung von Starkregenereignissen auf Straßen bildet die Verkehrssicherungspflicht (Benden 2014). Diese besagt, dass Verkehrsteilnehmende vor den Gefahren zu schützen sind, welche ihnen bei zweckentsprechender Benutzung öffentlicher Verkehrsflächen aus deren Zustand entstehen (König et al. 2011). Die Verkehrssicherungspflicht trifft dabei denjenigen, der die Gefahr geschaffen hat oder für sie verantwortlich ist (Rotermund & Krafft 2008). Bei öffentlichen Verkehrsflächen liegt die Verkehrssicherungspflicht somit in der Regel beim Baulastträger (Staab 2003). Die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht hat Schadensersatzansprüche gegenüber dem Straßenbaulastträger zur Folge. Der genaue Umfang der Verkehrssicherungspflicht ist nicht gesetzlich geregelt, sondern ergibt sich vielmehr aus einer umfangreichen Rechtsprechung wie dem BGH 1970, BGH 1994, OLG Bamberg 1970, OLG Bamberg 1990, OLG Düsseldorf 1995, OLG Hamm 1999, OLG Mannheim 1966 (Staab 2003). Im Grundsatz richtet sich die Verkehrssicherungspflicht nach dem Verkehrsbedürfnis und ist daher für Hauptverkehrsstraßen höher als für gering befahrene Wohnwege (Heß 2008). Aus Sicht der Verkehrssicherheit sind Sicherungsmaßnahmen erforderlich, die ein verständiger und umsichtiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren (BGH 1994). Die Verkehrsteilnehmer haben sich auf die gegebenen erkennbaren Straßenverhältnisse einzustellen ( Rotermund & Krafft 2008). Einen Anspruch auf völlig gefahrlose und gute Verkehrs- 196 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Temporäre Rückhaltung und Notableitung von Starkniederschlägen auf städtischen Straßen - Rahmenbedingungen hinsichtlich der Verkehrssicherheit wege gibt es nicht (Staab 2003). Bei planerische bewusst geschaffenen möglichen Gefahrenlagen, wie dies bei der Mitbenutzung von Verkehrsflächen für die Rückhaltung und Notableitung von Starkniederschlägen der Fall ist, werden jedoch besonders strenge Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht gelegt (König 2011). Dabei sind die Anforderungen der Verkehrssicherungspflicht für die Rückhaltung und Notableitung von Starkniederschlägen auf Verkehrsflächen mit denen für verkehrsberuhigende Einbauten im Straßenraum vergleichbar. So sind nach der Rechtsprechung des BGH 1991 geschwindigkeitsdämpfende Maßnahmen und auch Hindernisse mit der Verkehrssicherungspflicht vereinbar, so lange diese nicht selbst zur Quelle einer Verkehrsgefährdung werden indem sie trotz verkehrsgerechten Verhaltens des Fahrenden dessen Fahrzeug beschädigen (Götker NZV 1995; Berz & Burmann 2017). Ein besonderes Augenmerk wurde dabei auf tiefergelegte Fahrzeuge gelegt. So verlangen das OLG München sowie das OLG Hamm, dass von Maßnahmen wie z.B. Aufpflasterungen keine Gefahren für tiefergelegte Fahrzeuge bei Einhaltung der vorgeschriebenen Schrittgeschwindigkeit ausgeht (Götker NZV 1995). Zudem ist bei Beschädigung tiefergelegter Fahrzeuge eine Mithaftung des Fahrenden zu prüfen (OLG Köln 1992). So sollte der Fahrende eines tiefergelegten Fahrzeuges um die besondere Gefährdung des Fahrzeuges durch Bodenschwellen und ähnliche Hindernisse wissen und es kann von ihm verlangt werden, dass er diese besonders vorsichtig (auch langsamer als die zulässige Höchstgeschwindigkeit) überfährt (OLG Düsseldorf 1996). Der Fahrende muss sich vergewissern, ob das Hindernis gefahrlos überfahren werden kann und muss ggf. umkehren (OLG Celle MDR 2000). Erst wenn das Überfahren des Hindernisses auch bei Schrittgeschwindigkeit für den Fahrenden nicht erkennbar zu Schäden führt wird von einer Unabwendbarkeit ausgegangen (OLG Hamm NJW 1993). Bei der Mitbenutzung von Verkehrsflächen für die Rückhaltung und Notableitung von Starkniederschlägen sind ausreichende Vorsorgemaßnahmen vorzusehen und die Verkehrsteilnehmenden vor den eventuellen Beeinträchtigungen zu warnen (Werner 2012). Vorsorgemaßnahmen in für die Mitbenutzung vorgesehenen Straßen können die Gewährleistung darstellen, dass bestimmte Wasserstände nicht überschritten werden, keine verdeckten Hindernisse bestehen oder die zulässige Höchstgeschwindigkeit reduziert wird. Durch diese Vorsorgemaßnahmen versucht der Straßenbaulastträger aktiv die Gefahr zu reduzieren und im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes möglichst lange die, wenn auch eingeschränkte, Nutzbarkeit der Straße zu gewährleisten. Strengere Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht gelten dabei vor allem für Kinder. Allerdings darf in angemessenem Maß auf die Aufsichtspflichten und die soziale Kontrolle durch die Nutzenden vertraut werden (Scheid et al. 2018). Zudem ist mit Gefahrenzeichen auf die Mitbenutzung der Straße für die Rückhaltung und Notableitung von Starkniederschlägen hinzuweisen. So können mit dem Verkehrszeichen 101 „Achtung Gefahrenstelle“ die Verkehrsteilnehmenden gewarnt und zur Vorsicht aufgefordert werden. Vor Überflutungen, die nicht sicher passiert werden können, sollte durch das Verkehrszeichen 2014 „Fahrbahn überflutet“ hingewiesen und die Straße gesperrt werden (Rotermund / Krafft 2008; OLG Hamm 1999). Zudem sollte der Straßenzustand regelmäßig überwacht werden (BGH 1970). So ist nach Überflutungen die Fahrbahn von eventuellen schmierigen Rückständen zu reinigen. 4. Anforderungen an die Gestaltung städtischer Straßen für eine gezielte temporäre Rückhaltung und Ableitung von Starkniederschlägen Auf Grundlage der Ergebnisse aus der Literaturanalyse, der Unfallanalyse, der videobasierten Verkehrskonfliktanalyse und der Analyse der rechtlichen Rahmenbedingungen lässt sich eine erste Einschätzung zu den Auswirkungen einer gezielten temporären Rückhaltung und Ableitung von Starkniederschlägen auf städtischen Straßen treffen. Nach den bisherigen Erkenntnissen ist bei der Einhaltung nachfolgender Rahmenbedingungen von einer geringen Gefährdung der Verkehrsteilnehmenden auszugehen: - Wasserstandshöhe: Die Wasserstandshöhe auf der Fahrbahn ist auf maximal 15 bis 20 cm zu begrenzen, um der Gefahr eines Wasserschlags für Kraftfahrzeuge vorzubeugen. Bei Wasserständen über 20 cm steigt für Kraftfahrzeuge die Gefahr eines Wasserschlags deutlich, weshalb der überflutete Fahrbahnabschnitt in diesem Fall für den Kfz-Verkehr gesperrt werden sollte. Es ist außerdem darauf zu achten, dass Wasserstände über 40 cm vermieden werden, da vor allem in Verbindung mit strömendem Wasser die Gefahr des Ertrinkens in weggeschwemmten Fahrzeugen besteht. Zudem wird durch Wasserstände von maximal 15 bis 20 cm die Sturzgefahr von zu Fuß Gehenden reduziert. Wenn möglich ist ein Notüberlauf von der Fahrbahn in schadensarme Freiräume vorzusehen, um den maximalen Wasserstand zu begrenzen. - Fließgeschwindigkeiten: Hohe Fließgeschwindigkeiten des Regenwassers sind zu vermeiden, da durch sie die Sturzgefahr von zu Fuß Gehenden und Radfahrenden steigt und die Gefahr eines Wasserschlages für Kraftfahrzeuge durch Auftürmen des Wassers vor diesen zunimmt. - Geschwindigkeit: Es sollten Straßen mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von maximal 50 km/ h, besser sogar nur 30 km/ h, für die gezielte temporäre Rückhaltung und Ableitung von Niederschlagswasser gewählt werden. Durch zulässige Höchstgeschwindigkeiten unter 50 km/ h wird die Gefahr von Unfällen durch Aquaplaning ausgeschlossen. Zudem ist bei geringen Geschwindigkeiten die Konfliktschwere meist deutlich geringer. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 197 Temporäre Rückhaltung und Notableitung von Starkniederschlägen auf städtischen Straßen - Rahmenbedingungen hinsichtlich der Verkehrssicherheit - Verkehrsstärke: Bei hohen Verkehrsstärken werden unsichere Verkehrsteilnehmende durch nachfolgende Fahrzeuge häufig unter Druck gesetzt, was die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Konflikten erhöht. Straßen mit einer geringen Verkehrsstärke bieten sich somit eher für eine gezielte temporäre Rückhaltung an als Straßen mit einer hohen Verkehrsbelastung. - Information der Verkehrsteilnehmenden über die Überflutungssituation: Die Verkehrsteilnehmenden müssen rechtzeitig auf die Überflutungssituation hingewiesen werden. Zudem sind Information über den Wasserstand und zur Frage hilfreich, ob dieser ohne Fahrzeugschaden durchfahren werden kann. - Sichtbarkeit/ Erkennbarkeit: Der überflutete Fahrbahnbereich muss für die Verkehrsteilnehmenden gut einsehbar sein, damit diese rechtzeitig reagieren können. - Hindernisse: Der für einen gezielten temporären Einstau vorgesehene Straßenabschnitt muss frei von Hindernissen sein, welche durch das Wasser verdeckt werden können und somit eine Gefahr für die Verkehrsteilnehmenden darstellen. Der Gefahr weggeschwemmter Gullideckel ist vorzubeugen. - Platzverhältnisse: Für eine gezielte Rückhaltung und Ableitung muss ein Straßenraum ausreichend Platz aufweisen, damit Verkehrsteilnehmende problemlos halten und auf die Situation reagieren können. Straßenabschnitte mit einem geringen Platzangebot, wie etwa Unterführungen, eigenen sich nicht für eine gezielte Rückhaltung und Ableitung. Der für die temporäre Rückhaltung vorgesehene Straßenabschnitt sollte übersichtlich sein, um Interaktionen und leichte Konflikte durch Wenden, Rangieren oder Ausweichen von Fahrzeugen zu vermeiden. - Umfahrungsmöglichkeit: Für den für eine gezielte temporäre Rückhaltung und Notableitung vorgesehenen Straßenabschnitt sollte eine Umfahrungsmöglichkeit für vorsichtige Verkehrsteilnehmende besitzen. Darüber hinaus ermöglicht dies die Sperrung des überfluteten Straßenabschnittes und die Umleitung des Verkehrs im Falle von Wasserständen auf der Fahrbahn von über 20 cm. - Rettungswesen: Bei Hauptrouten für Feuerwehr und Rettungsdienst ist deren Durchfahrbarkeit für diese Dienste des Rettungswesens jederzeit sicherzustellen und im Zweifelsfall auf eine Gestaltung des Straßenraums für eine temporäre Rückhaltung und Notabtleitung zu verzichten. - Barrierefreiheit: Auch bei für die gezielte temporäre Rückhaltung vorgesehenen Straßenräumen sind die Anforderungen der Barrierefreiheit zu berücksichtigen. Konflikte mit der Barrierefreiheit können sich bei hohen Bordsteinen für ein großes Rückhaltevolumen ergeben. Es sind aber auch Synergien vorstellbar z.B. durch Fahrbahnschwellen, die eine barrierefreie Querung ermöglichen und als Kaskade für die Rückhaltung des Starkregens dienen können. Die Anforderungen sind im Einzelfall zu lösen. - Schutz des Fuß- und Radverkehrs: Eine Gefährdung des Fuß- und Radverkehrs durch vor überfluteten Straßenabschnitten ausweichende Kraftfahrzeuge ist zu vermeiden. - Umfeldnutzungen: Schutzwürdige Nutzungen wie Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser oder Altenheime in der Nähe eines Standorts für eine gezielte temporäre Rückhaltung von Starkregen erhöhen die Gefahr, dass sich Kinder und weitere schutzwürdige Personen im Straßenraum aufhalten. Deren erhöhte Vulnerabilität bei Überflutungssituationen sollte berücksichtigt und entsprechende Vorsichtsmaßnahmen umgesetzt werden. 5. Methode zur Bewertung eines potenziellen Standorts Um die Eignung eines aus wasserwirtschaftlicher Sicht für eine temporäre Rückhaltung und Notableitung geeigneten Straßenabschnitts aus Sicht der Verkehrssicherheit zu analysieren wird eine sechsstufige Bewertungsmethodik vorgeschlagen. Im ersten Schritt wird die Verkehrssicherheit an den potenziellen Standorten bei normalen Witterungsverhältnissen und in ihrer jetzigen Gestaltung bewertet. Dazu werden die Unfallsituation an diesem analysiert und eine Verkehrskonfliktanalyse durchgeführt. Im zweiten Schritt wird die Verkehrssicherheit an den potenziellen Standorten in ihrer jetzigen Gestaltung bei Auftreten eines Starkregenereignisses bewertet. Die Bewertung kann dabei mithilfe eines an den Empfehlungen für das Sicherheitsaudit von Straßen (ESAS) orientierten Anforderungskataloges erfolgen, welcher die für die Gestaltung des Straßenraums für eine gezielte temporäre Rückhaltung und Ableitung von Starkniederschlägen aus Sicht der Verkehrssicherheit identifizierten Anforderungen abfragt (Fesser 2019). Dabei wird geprüft, ob die in Schritt 1 durchgeführte Analyse der Unfallsituation oder die Verkehrskonfliktanalyse Defizite aufgedeckt haben, welche bei einem Starkregenereignis eine Gefahr für die Verkehrssicherheit darstellen können. In Schritt 3 werden, aufbauend auf den Ergebnissen aus den ersten beiden Verfahrensschritten, für die potenziellen Standorte möglichst verkehrssichere Varianten für eine Rückhaltung von Regenwasser bei Starkregenereignissen entwickelt. Vorhandene Defizite in Bezug auf die Verkehrssicherheit sollen dabei sowohl für die Normalsituation als auch für die Situation eines Starkregenereignisses möglichst beseitigt werden. In Schritt 4 wird die an den potenziellen Standorten nach deren Umgestaltung entsprechend der Entwürfe aus Schritt 3 zu erwartende Verkehrssicherheit unter normalen Witterungsverhältnissen bewertet. Dazu werden die im ersten Verfahrensschritt ermittelten Mängel herangezogen und überprüft, ob diese nach der Umgestaltung der potenziellen Standorte für eine temporäre 198 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Temporäre Rückhaltung und Notableitung von Starkniederschlägen auf städtischen Straßen - Rahmenbedingungen hinsichtlich der Verkehrssicherheit Rückhaltung immer noch bestehen würden. Außerdem wird untersucht, ob durch die Umgestaltung der Standorte neue Sicherheitsdefizite entstehen. In Schritt 5 erfolgt die Untersuchung der Verkehrssicherheit für die umgestalteten potenziellen Standorte mithilfe deren Entwürfe im Falle eines Starkregenereignisses. Die Basis für die Bewertung bildet wiederrum die bereits in Schritt 2 dargestellte Methodik. Abbildung 6: Ablauf der Bewertungsmethode zur Untersuchung der Eignung eines potenziellen Standorts für eine gezielte temporäre Rückhaltung von Starkregenereignissen aus Sicht der Verkehrssicherheit (Fesser 2019) Im abschließenden Schritt 6 wird anhand eines Vergleiches der Vorher-Nachher-Situation bewertet, wie sich die Verkehrssicherheit durch die Umgestaltung der potenziellen Standorte entwickelt. Die Ergebnisse ermöglich letztlich eine Abschätzung darüber, ob sich ein potenzieller Standort aus Sicht der Verkehrssicherheit für eine gezielte temporäre Rückhaltung und Ableitung von Niederschlagswasser bei Starkregenereignissen eignet. 6. Fazit und Ausblick Werden die vorgestellten Anforderungen bei der Auswahl und Gestaltung eines Straßenraums für eine gezielte temporäre Rückhaltung und Ableitung von Niederschlagswasser im Falle eines Starkregenereignisses berücksichtigt, ist nach den bisherigen Erkenntnissen keine Verschlechterung der Verkehrssicherheit zu erwarten. Basierend auf den dargestellten Rahmenbedingungen werden im F+E-Vorhaben BlueGreenStreets geeignete Standorte für Pilotvorhaben für die Mitbenutzung von Straßen für die Rückhaltung und Ableitung von Starkniederschlägen identifiziert. In diesen Pilotvorhaben wird untersucht, ob sich die bisherigen Erkenntnisse geringer Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit bestätigt lassen. Quellen [1] Akin, D.; Sisiopiku, V.P.; Skabardonis, A., 2011, Impacts of Weather on Traffic Flow Characteristics of Urban Freeways in Istanbul, Procedia - Social and Behavioral Sciences, Volume 16, S. 89-99 [2] Andrey, J.; Yagar, S., 1993, Accident Analysis & Prevention, Volume 25, Issue 4, S. 465-472 [3] Andrey, J.; Mills, B.; Vandermolen, J., 2001, Weather Information and Road Safety. 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Kolloquium Straßenbau - September 2021 203 Die neuen ZTV Pflaster-StB Prof. Dr.-Ing. Holger Lorenzl Labor für Verkehrswegebau Technische Hochschule Lübeck Prof. Dr.-Ing. Carsten Koch Institut für Baustoffe, Geotechnik, Verkehr und Wasser (IBGVW) Technische Hochschule Köln Prof. Dr.-Ing. Martin Köhler Lehrgebiet Straßenwesen, Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe Zusammenfassung Die Ausgabe 2019 der Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien zur Herstellung von Verkehrsflächen mit Pflasterdecken, Plattenbelägen sowie von Einfassungen (ZTV Pflaster-StB 19) ersetzt die bisherige Ausgabe aus dem Jahr 2006. Sie ergänzt und konkretisiert die Inhalte der in der VOB-Ausgabe September 2019 in einer Neufassung erschienenen ATV DIN 18318 Pflasterdecken und Plattenbeläge, Einfassungen. Da die DIN 18318 stärker auf die Anwendung von Pflasterdecken und Plattenbelägen für private, nicht von Kraftfahrzeugen befahrene Flächen ausgerichtet wurde, mussten speziell die Anforderungen für befahrene Pflasterdecken in den ZTV Pflaster-StB konkreter gefasst werden, um das bisherige Qualitätsniveau im Technischen Regelwerk der FGSV zu erhalten. 1. Anlass für die Überarbeitung der ZTV Pflaster-StB Aus Anlass der Neufassung der ATV DIN 18318 wurde vom Arbeitsausschuss 6.6 „Pflasterdecken und Plattenbeläge“ der Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen (FGSV), maßgeblich im Arbeitskreis 6.6.3, eine neue Ausgabe der Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien zur Herstellung von Verkehrsflächen mit Pflasterdecken, Plattenbelägen sowie von Einfassungen (ZTV Pflaster-StB) erarbeitet. Daneben wurden neuere Erkenntnisse und neue Inhalte des tangierenden Regelwerks berücksichtigt. Die ATV DIN 18318 trug in der Vergangenheit den Titel „Verkehrswegebauarbeiten - Pflasterdecken und Plattenbeläge in ungebundener Ausführung, Einfassungen“. Die im September 2019 veröffentlichte Neufassung besitzt den Titel „Pflasterdecken und Plattenbeläge, Einfassungen“. Damit wird bereits deutlich, dass die Neufassung stärker auch auf die Anwendung für private, von Kraftfahrzeugen nicht befahrene Flächen ausgerichtet wurde. Daneben wurde die gebundene Ausführung von Pflasterdecken und Plattenbelägen in die ATV DIN 18318 aufgenommen. Parallel hierzu wurde im FGSV-Arbeitskreis 6.6.5 das Merkblatt für Flächenbefestigungen mit Pflasterdecken und Plattenbelägen in gebundener Ausführung (M FPgeb) erarbeitet und als Ausgabe 2018 veröffentlicht. Es wird hinsichtlich der notwendigen Prüfverfahren durch die Arbeitsanleitung zur Durchführung von Prüfungen für Pflasterdecken und Plattenbelägen in gebundener Ausführung (AL Pgeb), Ausgabe 2018, ergänzt. Über deren Inhalte wurde in dieser Zeitschrift von (BURGETSMEIER und KOCH 2018) bereits berichtet. Wesentliche Verwendungsbereiche von Pflasterdecken, Plattenbelägen oder Einfassungen sind: - Befestigungen von Fahrbahnen, Geh - und Radwegen und Flächen des ruhenden Verkehrs im privaten und öffentlichen Bereich, - Gestaltung von städtebaulich hervorgehobenen Flächen und Fußgängerzonen, - Flächen für Gewerbe oder Industrie. Die ZTV Pflaster-StB sollen in Verbindung mit den TL Pflaster-StB herangezogen werden bei der Vorbereitung, der Ausschreibung und der Ausführung von Maßnahmen des Neubaus, des Um - oder Ausbaus, der Instandsetzung sowie der Erneuerung von öffentlichen Verkehrsflächen mit Pflasterdecken und Plattenbelägen in ungebundener Ausführung. Nicht Bestandteile der ZTV Pflaster-StB sind begrünbare Flächenbefestigungen, Pflasterdecken und Plattenbeläge in gebundener Ausführung (siehe 204 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Die neuen ZTV Pflaster-StB Merkblatt M FPgeb 2018), Flächenbefestigungen mit Großformaten (siehe M FG 2013) und Versickerungsfähige Verkehrsflächenbefestigungen (siehe M VV 2013) sowie Pflasterdecken und Plattenbeläge, die auf Bauwerken gebettet sind. 2. Inhalte der Ausgabe 2019 der ZTV Pflaster-StB 2.1 Begriffsbestimmungen Zur Beschreibung der Lage und Begrenzung sowie der Bezeichnungen der einzelnen Schichten einer Verkehrsflächenbefestigung mit Pflasterdecke enthalten die ZTV Pflaster-StB die Darstellung eines typischen Fahrbahnquerschnitts. Die europäischen Normen definieren Pflastersteine und Platten aus den verschiedenen Baustoffen auf der Basis ihrer Abmessungen unterschiedlich. Als Oberbegriff für Pflastersteine und Platten wurde daher der Begriff „Belagselemente“ neu eingeführt. Anders als in den DIN EN 1338: 2003-08 für Pflastersteine aus Beton, den DIN EN 1342: 2013-03 für Pflastersteine aus Naturstein und den DIN EN 1344: 2015-10 für Pflasterziegel enthalten die ZTV Pflaster-StB eine einheitliche Abgrenzung zwischen Pflastersteinen und Platten bei einem Verhältnis von Gesamtlänge zu Dicke von 4. Die Befestigungselemente für Pflasterdecken im Sinne der ZTV Pflaster-StB weisen ein Verhältnis von Gesamtlänge zu Dicke von ≤ 4 auf. Bei nicht rechteckigen Befestigungselementen gilt als Gesamtlänge die Länge des umhüllenden Rechtecks mit kleinstem Flächeninhalt. Die Gesamtlänge darf 400 mm nicht überschreiten. Neu ist auch, dass das Produkt aus Gesamtlänge und Gesamtbreite 1.024 cm² nicht überschreiten darf. Damit wird die Gesamtlänge von Pflastersteinen von bisher 320 mm auf 400 mm erhöht, sodass die bisherige Definitionslücke zu den Großformaten entfällt. Dennoch bleibt aber die zulässige Fläche der Grundfläche (bislang maximal 320 x 320 mm) dadurch erhalten, dass die Grundfläche auf 1.024 cm² beschränkt bleibt. Die Befestigungselemente für Plattenbeläge im Sinne der ZTV Pflaster-StB weisen ein Verhältnis von Gesamtlänge zu Dicke von > 4 auf. Die maximale Gesamtlänge ist weiterhin auf 600 mm begrenzt. Bei nicht rechteckigen Befestigungselementen gilt auch hier als Gesamtlänge die Länge des umhüllenden Rechtecks mit kleinstem Flächeninhalt. 2.2 Baugrundsätze 2.2.1 Wahl der Befestigungselemente Mit Pflasterdecken können alle Verkehrsflächen nach Maßgabe der RStO versehen werden. Plattenbeläge sollten nur bei der Befestigung von Geh - und Radwegen sowie bei Verkehrsflächen, die nicht für den Kfz-Verkehr vorgesehen sind, Anwendung finden. Überfahrten oder ähnliche Verkehrsflächen sind gesondert zu betrachten. Plattenbeläge müssen allerdings so dimensioniert sein, dass ein gelegentliches Befahren durch Fahrzeuge, z. B. des Unterhaltungs - und Reinigungsdienstes, möglich ist. Die Wahl der Befestigungselemente hat so zu erfolgen, dass deren Griffigkeit bzw. deren Rutschwiderstand ausreichend und unter Berücksichtigung der üblichen Unterhaltungsmaßnahmen dauerhaft ist. Hierauf ist in besonderem Maße in Bereichen mit größerer Neigung zu achten. 2.2.2 Neigung der Oberfläche Zur Festlegung der Quer- und Längsneigungen von Fahrbahnen sind die einschlägigen Regelwerke zum Straßenentwurf zu beachten. Wegen der besonderen Bedeutung der Oberflächenentwässerung von Verkehrsflächen ist die Erstellung eines Entwässerungsplanes unerlässlich. Die abflusswirksame Neigung sollte in der Regel mindestens 2,5 % betragen. Eine planmäßige, abflusswirksame Neigung von 2,0 % sollte nicht unterschritten werden. Lassen die örtlichen Verhältnisse die Einhaltung der Regelneigung oder der empfohlenen Neigung nicht zu, sind zwingend besondere Maßnahmen vorzusehen. Eine Möglichkeit ist es, erhöhte Anforderung an die Ebenheit der Pflasterdecke/ des Belages vertraglich zu vereinbaren. Im Kapitel „Ausführung, Lage, zulässige Abweichungen“ der ZTV Pflaster-StB werden nun umfangreiche Anforderungen hierzu gestellt. In jedem Fall dürfen jedoch nach der Bauausführung die Abweichungen von der geforderten Neigung nicht mehr als ± 0,4 % (absolut) betragen! 2.2.3 Dicke der Befestigungselemente, Bettungsdicke und Fugenbreite Die Dicke der Pflastersteine und Platten sowie der Bettung sind im Rahmen der Planung festzulegen. Pflastersteine, welche aus allseits gesägten und weiterbearbeiteten (z. B. geflammt, gestrahlt) Natursteinen hergestellt wurden, werden wie Pflastersteine aus Beton, Ziegel oder Klinker behandelt. Pflastersteine mit Nenndicken bis zu 60 mm sind für Verkehrsflächen, die mit Kraftfahrzeugen befahren werden, ungeeignet. Sofern Verkehrsflächen mit Fahrzeugen des Reinigungs - und Wartungsdienstes befahren werden, sollten Pflastersteine mit Nenndicken über 60 mm verwendet werden. Für Pflastersteine aus Naturstein mit gespaltenen Seitenflächen und gespaltener Unterseite wurden Empfehlungen für die Festlegung der Nenndicke in Abhängigkeit von der Belastungsklasse formuliert. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 205 Die neuen ZTV Pflaster-StB Tab. 1: Empfehlungen für die Wahl der Nenndicke für Pflastersteine aus Naturstein mit gespaltenen Seitenflächen und gespaltener Unterseite Verkehrsflächen der Belastungsklasse Nenndicke der Pflastersteine aus Naturstein mit gespaltenen Seitenflächen und gespaltener Unterseite Bk0,3 ab 80 mm Bk1,0 ab 100 mm Bk1,8 ab 120 mm Bk3,2 ab 150 mm Die planmäßige Dicke der Bettung soll unabhängig von der Dicke des Befestigungselementes im verdichteten Zustand 4 cm betragen, in begründeten Fällen auch 1 cm geringer. Hinsichtlich der planmäßigen Fugenbreite wurden die Festlegungen in Abhängigkeit der Nenndicke der Befestigungselemente anders als in der Neufassung der ATV DIN 18318 getroffen. So beträgt die planmäßige Fugenbreite bei Verwendung von Befestigungselementen aus Beton, Ziegel und Klinker sowie Natursteinen mit gesägten oder strukturierten Seitenflächen bei Nenndicken unter 120 mm: 4 mm Nenndicken ab 120 mm: 6 mm. An den Pflastersteinen angeformte Abstandshilfen oder sonstige angeformte Profile geben nicht das Maß der Fugenbreite vor. Sie können die Mindestfugenbreite und die Kraftübertragung durch die gefüllte Fuge nicht ersetzen. Zudem muss ausreichend Raum für das Verfüllen mit einem geeigneten Fugenmaterial zur Verfügung stehen. Die in der Praxis häufig zu findende Verlegung mit unmittelbarem Kontakt zwischen benachbarten Befestigungselementen (sogenannte Knirschverlegung) kann z. B. unter Temperatureinfluss zu erheblichen Schäden führen. 2.2.4 Verlegemuster, Randeinfassung Bei der Wahl des Verbandes oder Verlegemusters ist zu beachten, dass Verbände, die nur über einen geringen Verschiebungswiderstand verfügen, z. B. Kreuzfugen-, Parkett - oder Blockverband, für befahrene Verkehrsflächen grundsätzlich nicht geeignet sind. Durchgehende Längsfugen in der Fahrtrichtung sind zu vermeiden. Für Verkehrsflächen der Belastungsklassen Bk1,0, Bk1,8 oder Bk3,2 und für solche mit besonderen Beanspruchungen sind Verbände vorzusehen, welche eine möglichst großflächige Lastverteilung und einen hohen Widerstand gegen Verdrehung sowie Verkippung erwarten lassen, z. B. Fischgrätverband oder Diagonalverband. Pflastersteine oder Platten sind zwischen Einfassungen oder sonstigen festen Begrenzungen zu versetzen bzw. zu verlegen. Für die Herstellung von Einfassungen sind in der Leistungsbeschreibung gesonderte Leistungspositionen vorzusehen. Die Breite von Rückenstützen sollte zu unbefestigten Flächen hin mindestens 15 cm betragen. Während in der Neufassung der ATV DIN 18318 Festigkeitsklassen für den Fundament - und Rückenstützenbeton vorgegeben sind, aber für die tatsächlich erreichte Druckfestigkeit keine Anforderungen formuliert sind, empfiehlt die ZTV Pflaster-StB die Druckfestigkeit des Fundamentes und der Rückenstütze in der Leistungsbeschreibung anzugeben. Sie sollte am zylindrischen Prüfkörper, für jeden Einzelwert gemessen, mindestens 12 MPa aufweisen. Für Rückenstützen, die häufig höheren mechanischen Belastungen ausgesetzt sein könnten, können auch größere Breiten und höhere Druckfestigkeiten oder andere Stützkonstruktionen erforderlich sein. Die Mengen des für die Herstellung der Fundamente und Rückenstützen verwendeten Frischbetons sind auf die Einbauleistung derart abzustimmen, dass die jeweiligen Verarbeitungszeiten des Frischbetons unter Berücksichtigung der gerade vorherrschenden Witterungsverhältnisse eingehalten werden. Zudem ist eine auf die gerade vorherrschenden Witterungsbedingungen abgestimmte Nachbehandlung des eingebauten Betons durchzuführen. Bei Einfassungen von Verkehrsflächen ab Bk1,8 sowie regelmäßig von Schwerverkehr überfahrenen Einfassungen und bei Entwässerungsrinnen sind die Bauteile in den frischen, d. h. noch verarbeitbaren Fundamentbeton unter Verwendung eines Haftvermittlers an der Unterseite der Bauteile zu versetzen. 2.2.5 Unterlage Die Eignung der Unterlage in Hinblick auf • die Wasserdurchlässigkeit, • die profilgerechte Lage und Ebenheit sowie • die Tragfähigkeit bei Tragschichten ohne Bindemittel ist vor der Erstellung der Decke auf der Oberfläche der Tragschicht festzustellen. Es ist zu betonen, dass dies gemäß ZTV Pflaster-StB eine geschuldete Leistung des Auftragnehmers ist. Eine ausreichende Wasserdurchlässigkeit der Tragschichten muss gegeben sein. Nach bisherigem Kenntnisstand kann dies angenommen werden, wenn die Unterlage einen Infiltrationsbeiwert von ki ≥ 1 ∙ 10 -5 m/ s aufweist. Die Bestimmung des Infiltrationsbeiwertes kann mit den Verfahren nach TP Gestein-StB Teil 8.3.2, 8.3.3 oder 8.3.4 erfolgen. Zur qualitativen Abschätzung der Wasserdurchlässigkeit kann der Schnelltest nach dem Merkblatt für Versickerungsfähige Verkehrsflächen (M VV) durchgeführt werden. Unter dem Aspekt der Wasserdurchlässigkeit einer Tragschicht ohne Bindemittel kann es von Vorteil sein, Baustoffgemische der Kategorie UF3 nach den TL SoB-StB zu verwenden. 206 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Die neuen ZTV Pflaster-StB Forschungsergebnisse aus Untersuchungen an Tragschichten ohne Bindemittel aus RC-Baustoffen in langjährig unter Verkehr befindlichen Fahrbahnbefestigungen haben gezeigt, dass die Infiltrationsleistung dieser Tragschichten eingeschränkt sein kann. Eine für Verkehrsflächen mit Pflasterdecke oder Plattenbelag ausreichende Versickerungsleistung ist dann nicht mehr gewährleistet. Deshalb sollten Tragschichten aus RC-Baustoffen nur dann verwendet werden, wenn hierfür positive Erfahrungen vorliegen und der Infiltrationsbeiwert der Schicht überprüft wird. 2.3 Bauprodukte Bauprodukte zur Herstellung von Pflasterdecken, Plattenbelägen und Einfassungen müssen die Anforderungen der TL Pflaster-StB und der ZTV Pflaster-StB erfüllen. 2.3.1 Bettungsmaterialien Während die ATV DIN 18318 sowohl feinkornhaltige, kornabgestufte als auch feinkornarme, zum Teil nur gering kornabgestufte Bettungsmaterialien zulassen, empfehlen die ZTV Pflaster-StB aus Gründen der Filterstabilität die vorzugsweise Verwendung feinkornhaltiger, kornabgestufter Bettungsmaterialien der Körnungen 0/ 4, 0/ 5 und 0/ 8. Tab. 2: Anforderungen und Empfehlungen der ZTV Pflaster-StB an Bettungsmaterialien Belastungsklasse nach den RStO Anforderungen und Empfehlungen der ZTV Pflaster-StB Bk 0,3 Rad - und Gehwege vorzugsweise 0/ 4, 0/ 5 oder 0/ 8 nach TL Pflaster-StB Bk 1,0 Bk 1,8 vorzugsweise 0/ 4, 0/ 5 oder 0/ 8 nach TL Pflaster-StB erhöhte Anforderungen an Kornzusammensetzung SZ 22 , E CS 35, mind. C 90/ 3 Bk 3,2 und bei Verwendung einer oberen gebundenen Tragschicht vorzugsweise 0/ 4, 0/ 5 oder 0/ 8 nach TL Pflaster-StB erhöhte Anforderungen an Kornzusammensetzung SZ 18 , E CS 35, mind. C 90/ 3 HMVA nicht zulässig. 2.3.2 Fugenmaterialien Während die ATV DIN 18318 sowohl feinkornhaltige, kornabgestufte als auch feinkornarme, zum Teil nur gering kornabgestufte Fugenmaterialien zulassen, empfehlen die ZTV Pflaster-StB aus Gründen der Filterstabilität die vorzugsweise Verwendung feinkornhaltiger, kornabgestufter Fugenmaterialien der Körnungen 0/ 4 und 0/ 5, ggf. auch 0/ 8. Tab. 3: Anforderungen und Empfehlungen der ZTV Pflaster-StB an Fugenmaterialien Belastungsklasse nach den RStO Anforderungen und Empfehlungen ZTV Pflaster-StB Bk 0,3 Rad - und Gehwege vorzugsweise 0/ 4, 0/ 5 oder 0/ 8 nach TL Pflaster-StB erhöhte Anforderungen an Kornzusammensetzung Bk 1,0 Bk 1,8 vorzugsweise 0/ 4, 0/ 5 oder 0/ 8 nach TL Pflaster-StB erhöhte Anforderungen an Kornzusammensetzung SZ 22 , E CS 35, mind. C 90/ 3 Bk 3,2 und bei Verwendung einer oberen gebundenen Tragschicht vorzugsweise 0/ 4, 0/ 5 oder 0/ 8 nach TL Pflaster-StB erhöhte Anforderungen an Kornzusammensetzung SZ 18 , E CS 35, mind. C 90/ 3 Nenngrößtkorn des Fugenmaterials ≥ 2/ 3 der Sollfugenbreite.Ungewollte Verfärbungen der Befestigungselemente sind zu vermeiden. HMVA nicht zulässig. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 207 Die neuen ZTV Pflaster-StB In besonderen Fällen kann ein Baustoffgemisch 0/ 2 oder 0/ 3 als Fugenmaterial verwendet werden, das aus natürlichen Gesteinskörnungen hergestellt sein sollte. Der Durchgang durch das Sieb mit der Öffnungsweite 1 mm muss 40 M.-% bis 70 M.-% (bei 0/ 2) bzw. 30 M.-% bis 55 M.-% (bei 0/ 3) betragen. Es sind die Anforderungen der TL Pflaster-StB, Tabellen 8, 9 und 10, erfüllen. Durch das abschließende Einarbeiten eines Fugenschlussmaterials kann die im Verlauf der Nutzungsdauer eintretende Anreicherung des Fugenmaterials mit Feinanteilen und damit die Stabilisierung einer Pflasterdecke vorweggenommen werden. Der Fugenschluss ist dann in der Leistungsbeschreibung zu vereinbaren. Gemäß ZTV Pflaster-StB eignen sich hierfür Gesteinskörnungen mit einem Größtkorn von höchstens 3 mm und einem hohem Feinanteil (< 0,063 mm) von 15 bis 30 M.-%. Sie müssen nicht die Anforderungen der TL Pflaster-StB erfüllen und dürfen keine ungewollten Verfärbungen auf den Befestigungselementen verursachen. Bettungs - und Fugenmaterialien sollten immer einen ausreichenden Widerstand gegen mechanische Beanspruchung (Festigkeit) aufweisen. Neben dem bekannten Schlagzertrümmerungswert oder dem Los-Angeles-Koeffizienten an groben Gesteinskörnungen besteht für feine Gesteinskörnungen auch die Möglichkeit, den Modifizierten Micro-Deval-Koeffizienten nach TP Gestein-StB, Teil 5.5.3 zu bestimmen, welcher speziell für diese Baustoffe entwickelt wurde. 2.3.3 Filterstabilität Pflasterdecken sind - zumindest zeitweilig - während ihrer Nutzungsdauer wasserdurchlässig, d. h. Oberflächenwasser kann über die Fugen in den Oberbau einsickern. Sofern die Kornverteilungslinien von zwei aneinandergrenzenden Schichten voneinander abweichen, kann es infolge Durchsickerung bei zu hoher Fließgeschwindigkeit des Wassers an den Schichtgrenzen zu hydraulisch bedingten Kornumlagerungen kommen. Deformationen des Korngerüstes sowie die Verringerung der Wasserdurchlässigkeit durch Umlagerung, insbesondere von Feinanteilen, sind dann nicht auszuschließen. Dies betrifft alle Schichtgrenzen, also zwischen Fugen - und Bettungsmaterial, zwischen Bettungsmaterial und oberer Tragschicht, zwischen Tragschichten untereinander und zwischen unterer Tragschicht (Frostschutzschicht) und Untergrund/ Unterbau. Die Nichtbeachtung dieser Vorgänge kann, wie leider häufig in der Praxis zu beobachten, zu schwerwiegenden Schäden an der Befestigung führen. Deshalb und aufgrund auftretender Vibrationen müssen die Gesteinskörnungsgemische aneinandergrenzender Schichten filterstabil aufeinander abgestimmt werden. Zur Beurteilung der Filterstabilität werden Filterregeln verwendet. Als Eingangsgröße dienen dabei die Kornverteilungslinien der betreffenden Gesteinskörnungsgemische. Die Struktur des Korn - bzw. Porensystems der Schichten wird somit vereinfachend aus den Kornverteilungslinien abgeleitet. Die Filterstabilität zwischen Fugen - und Bettungsmaterial und zwischen Bettungsmaterial und der obersten Tragschicht (falls es sich um eine Tragschicht ohne Bindemittel handelt) ist daher zwingend anhand der in den ZTV Pflaster-StB angegebenen Filterregeln nachzuweisen. Der Auftraggeber sollte sich diesen Nachweis vom Auftragnehmer vorlegen lassen. 2.4 Bauausführung 2.4.1 Verlegen der Pflasterdecke bzw. des Plattenbelags Hinsichtlich der Bauausführung sind in der Neufassung der ZTV Pflaster-StB eine Reihe von veränderten oder neuen Anforderungen zu beachten. Die Arbeitsschritte für das Verfugen und Abrütteln bzw. Abrammen einer Pflasterdecke oder eines Plattenbelags sind nunmehr - auch in ihrer Reihenfolge - vorgegeben, um eine möglichst vollständige und dauerhafte Fugenfüllung zu erhalten: 1. Fugenmaterial kontinuierlich aufbringen und einarbeiten. 2. Belag vollständig abfegen, im Anschluss abrütteln oder abrammen. 3. Erneut Fugenmaterial aufbringen, einarbeiten und unter begrenzter Wasserzugabe einschlämmen. 4. Im Anschluss den vollständig abgefegten und abgetrockneten Belag bis zur Standfestigkeit abrütteln oder abrammen. Der untere Teil der Fugenfüllung kann mit dem Bettungsmaterial hergestellt werden, sofern die Fugenbreite dies zulässt. 5. Es kann zweckmäßig sein, anschließend einen Fugenschluss durch Einfegen und Einschlämmen auszuführen. Dabei darf es nicht zu dauerhaft ungewollten Verfärbungen der Befestigungselemente durch ein ungeeignetes Fugenschlussmaterial kommen. 6. Abschließend ist die Fläche zu reinigen. Dabei darf kein Fugenmaterial ausgetragen werden. Beim Verfugen und Reinigen ist auf den Schutz vor Verunreinigungen, insbesondere von Straßenabläufen, zu achten. Pflasterdecken oder Plattenbeläge sind erst dann für den Verkehr freizugeben, wenn ihre Bettung und deren Unterlage nach dem Einschlämmen ausreichend abgetrocknet sind. Um das Zuarbeiten von Befestigungselementen zu vermeiden, kann es zweckmäßig sein, den genauen Abstand der Randeinfassungen - unter Beachtung der geforderten Verlegebreite - durch Auslegen einzelner Zeilen aus Befestigungselementen vorher zu ermitteln. Der Aufwand für ein Zuarbeiten von Befestigungselementen sollte dadurch gemindert werden, dass immer dort vorgefertigte Formsteine verwendet werden, wo das möglich ist. Das gleiche gilt z. B. für Bereiche mit beson- 208 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Die neuen ZTV Pflaster-StB derer Geometrie, z. B. in Kurven oder bei Kreisverkehren. In der Leistungsbeschreibung sind gegebenenfalls entsprechende Festlegungen zu treffen. Zugearbeitete Befestigungselemente dürfen nur verwendet werden, wenn die verbleibende kürzeste Seite • mindestens einem Drittel der größten Kantenlänge des unbearbeiteten Befestigungselementes und • mindestens der halben Dicke des unbearbeiteten Befestigungselementes und • mindestens aber 5 cm entspricht. Das Zuarbeiten hat durch Nassschnitt zu erfolgen. 2.4.2 Anforderungen an die Qualität der Bauausführung In den ZTV Pflaster-StB sind nun Anforderungen an die Höhenlage bei Anschlüssen enthalten, um die bewährten Anforderungen der bisherigen ATV DIN 18318 zu erhalten. So müssen neben Randeinfassungen und Entwässerungsrinnen die Anschlüsse mindestens 5 mm und höchstens 10 mm über deren Oberfläche liegen. Neben Einbauten müssen die Anschlüsse mindestens 3 mm und höchstens 5 mm über deren Oberfläche liegen. Abweichungen von der profilgerechten Lage und unzulässige Abweichungen von der Ebenheit der Tragschicht dürfen nicht durch die Bettung ausgeglichen werden. Pflasterdecken und Plattenbeläge sind an den Fugen höhengleich herzustellen. Der zulässige Versatz bei höhengleichen Anschlüssen darf • bei Befestigungselementen mit ebener Oberfläche 2 mm und • bei Befestigungselementen aus Natursteinen mit unbearbeiteter, spaltrauer Oberfläche 5 mm nicht überschreiten. Zur Kontrolle der Ebenheit sind nunmehr 2 m und 4 m lange Richtlatten zu verwenden. Die neu eingeführte 2-m-Richtlatte wurde erforderlich, um gegenüber der letzten Fassung der ZTV Pflaster-StB geringere resultierende Neigungen zu realisieren. Diese werden aufgrund von Kriterien der Barrierefreiheit immer häufiger gefordert. Die gemäß ATV DIN 18318 zusätzlich mögliche 1-m-Richtlatte kann gemäß ZTV Pflaster-StB nicht herangezogen werden, da die in den DIN 18318 hierfür enthaltenen zulässigen Unebenheiten bereits einen Wasserrückhalt auf der Oberfläche bewirken. Die zulässigen maximalen Abweichungen von der Ebenheit sind in Abhängigkeit von der resultierenden Neigung der vorhandenen Fläche an der jeweiligen Messstelle definiert. Die Anforderungen gemäß Tabelle 4 sind einzuhalten. Tab. 4: Zulässige Abweichungen von der Ebenheit von Pflasterdecken und Plattenbelägen Nutzung Pflasterdecken, Plattenbeläge aus Neigung 1) [%] Ebenheitsanforderungen 2) Stichmaß [mm] unter der: 2-m-Latte 4-m-Latte Geh- und Radwege Pflastersteinen, Platten aus Beton, Klinkern, Ziegeln, bearbeitetem Naturstein ≥ 1,6 < 2,0 ≤ 5 ≤ 8 ≥ 2,0 < 2,5 ≤ 6 ≤ 10 ≥ 2,5 ≤ 8 ≤ 12 unbearbeitetem und spaltrauemNaturstein ≥ 2,0 < 2,5 ≤ 7 ≤ 10 ≥ 2,5 ≤ 12 ≤ 20 Fahrbahnen Pflastersteinen, Platten aus Beton, Klinkern, Ziegeln, bearbeitetem Naturstein ≥ 2,0 < 2,5 ≤ 5 ≤ 8 ≥ 2,5 ≤ 6 ≤ 10 unbearbeitetem und spaltrauem Naturstein ≥ 3,0 ≤ 10 ≤ 15 1) an der Messstelle vorhandene abflusswirksame Neigung 2) Abweichungen von der Ebenheit werden nach den „Technischen Prüfvorschriften für Ebenheitsmessungen auf Fahrbahnoberflächen in Längs - und Querrichtung, Teil: Berührende Messungen (TP Eben - Berührende Messungen)“ mit der Richtlatte und einem 30 cm-Messkeil gemessen. Die Messungen mit der 2-m-Latte erfolgen in Anlehnung an die TP Eben - Berührende Messungen. Interpolationen sind nicht zulässig. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 209 Die neuen ZTV Pflaster-StB Abweichungen von der in Längs-, Quer - oder der abflusswirksamen Richtung geforderten Neigung dürfen nicht mehr als ± 0,4 % (absolut) betragen. Die Dicke der Bettung darf unabhängig von der Dicke des Befestigungselementes im fertigen Zustand um nicht mehr als ± 1 cm von der vereinbarten Dicke abweichen. Sie muss im verdichteten Zustand an jeder Stelle mindestens 2,0 cm und maximal 5,0 cm betragen. Bei Natursteinpflaster und Natursteinplatten mit einer Nenndicke ≥ 120 mm und spaltrauer Unterseite darf die Bettung im fertigen Zustand gegenüber der vereinbarten Dicke um nicht mehr als 1,5 cm unterschritten und um nicht mehr als 1,0 cm überschritten werden. Bei Natursteinpflaster und Natursteinplatten mit einer Nenndicke ≥ 120 mm und spaltrauer Unterseite muss die Bettung im verdichteten Zustand an jeder Stelle mindestens 3,0 cm und maximal 6,0 cm betragen. Bei Pflasterdecken und Plattenbeläge mit Befestigungselementen kleiner 120 mm Nenndicke aus Beton, Ziegel und Klinker sowie Natursteinen mit gesägten oder strukturierten Seitenflächen darf die Fugenbreite gegenüber der in Abs. 2.2.3 genannten Fugenbreite um ± 1mm, bei Nenndicken ab 120 mm um ± 2 mm, abweichen. Bei Pflasterdecken und Plattenbelägen mit Befestigungselementen aus Natursteinen mit gespaltenen Seitenflächen dürfen die vereinbarten Fugenbreiten nicht überschritten werden. Sofern bei Anschlüssen zugearbeitete Befestigungselemente verwendet werden, dürfen die hier entstehenden Fugen an der breitesten Stelle die vereinbarten Fugenbreiten um nicht mehr als 5 mm überschreiten, jedoch darf eine maximale Fugenbreite von 20 mm nicht überschritten werden. 2.5 Qualitätssicherung Neben den bekannten Anforderungen an Eigenüberwachungsprüfungen und Kontrollprüfungen ist insbesondere der vom Auftragnehmer vorzulegende Eignungsnachweis ein wichtiger Baustein der Qualitätssicherung und Bestandteil des Bauvertrages. Mit dem Eignungsnachweis dokumentiert der Auftragnehmer gegenüber dem Auftraggeber die Eignung der Bauprodukte für den vorgesehenen Verwendungszweck entsprechend den Anforderungen des Bauvertrages rechtzeitig vor der Bauausführung. Der Eignungsnachweis erfolgt durch: a. Bei Baustoffgemischen: Nachweis der Güteüberwachung der Baustoffgemische nach Anhang B der TL Pflaster-StB durch Vorlage von Prüfzeugnissen einer nach RAP Stra für die Fachgebiete I1 und I2 anerkannten Prüfstelle. Bei Befestigungselementen und Bordsteinen, Einfassungssteinen, Rinnensteinen, Bordrinnensteinen und Muldensteinen, die einer harmonisierten Norm unterliegen: Der Nachweis durch Vorlage der Leistungserklärung des Herstellers oder seines Bevollmächtigten und ergänzenden Prüfzeugnissen einer fachlich geeigneten Prüfstelle. b. Erklärung über die Eignung der für die Lieferung vorgesehenen Bauprodukte für den vorgesehenen Verwendungszweck c. Angaben zu sonstigen vertraglich geforderten Eigenschaften sowie gegebenenfalls zusätzliche Angaben (z.B. zur Filterstabilität) Zusätzlich sind ggf. Rückstellproben oder Muster dem Auftraggeber zu übergeben 3. Zusammenfassung Die ZTV Pflaster-StB enthalten in Verbindung mit den TL Pflaster-StB weiterhin Anforderungen und Richtlinien an die Planung, die Bauprodukte und an die Herstellung der Pflasterdecken und Plattenbeläge sowie an Einfassungen und Entwässerungsrinnen. Mit der Neufassung der ZTV Pflaster-StB wurden die bisherigen Regelungen aktualisiert und an die im September 2019 herausgegebene Neufassung der ATV DIN 18318 angepasst. Die ATV DIN 18318 bleibt dabei Bestandteil des Bauvertrages. Das mit dieser neuen ATV teilweise verringerte Qualitätsniveau wurde durch die Änderungen der ZTV Pflaster-StB für öffentliche Verkehrsflächen jedoch relativiert, so dass auch weiterhin die Herstellung von Pflasterdecken und Plattenbeläge mit einer hohen Dauerhaftigkeit und Verkehrssicherheit möglich ist. Literatur [1] ALP Pgeb 2018: Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (Hrsg.): Arbeitsanleitung zur Durchführung von Prüfungen für Pflasterdecken und Plattenbelägen in gebundener Ausführung, Ausgabe 2018; FGSV Verlag, Köln. [2] Burgetsmeier, Bernd; Koch, Carsten (2018): Die gebundene Pflasterbauweise - Neuerungen und Empfehlungen; Straße und Autobahn 69, S. 551- 555 [3] DIN 18318: 2019-09 Deutsches Institut für Normung e.V. - DIN (Hrsg.): VOB Vergabe - und Vertragsordnung für Bauleistungen - Teil C: Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ATV) - Pflasterdecken und Plattenbeläge, Einfassungen, Ausgabe September 2019; Beuth Verlag, Berlin. [4] M FG 2013: Forschungsgesellschaft für Straßen - und Verkehrswesen (Hrsg.): Merkblatt für Flächenbefestigungen mit Großformaten, Ausgabe 2013; FGSV Verlag, Köln. [4] M FPgeb 2018: Forschungsgesellschaft für Straßen - und Verkehrswesen (Hrsg.): Merkblatt für Flächenbefes- 210 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Die neuen ZTV Pflaster-StB tigungen mit Pflasterdecken und Plattenbelägen in gebundener Ausführung, Ausgabe 2018; FGSV Verlag, Köln. [5] M VV 2013: Forschungsgesellschaft für Straßen - und Verkehrswesen (Hrsg.): Merkblatt für Versickerungsfähige Verkehrsflächen, Ausgabe 2013; FGSV Verlag, Köln. [6] ZTV Pflaster-StB 19 Forschungsgesellschaft für Straßen - und Verkehrswesen (Hrsg.): Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien zur Herstellung von Verkehrsflächen mit Pflasterdecken, Plattenbelägen sowie von Einfassungen, Ausgabe 2019; FGSV Verlag, Köln. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 211 Pflasterhandwerk - Zunft mit Zukunft Wie erhalten wir die Qualität im Natursteinpflaster-Gewerk - von der Planung bis zur Abnahme Dipl.-Ing. Rüdiger Singbeil Singbeil Bau GmbH, 31226 Peine, Berkumer Weg 2 Kurator Netzwerk Pflasterbau; Wanderausstellung: „Pflasterhandwerk - Zunft mit Zukunft“ IG Deutscher Pflasterer und Steinsetzer e.V. Zusammenfassung Das Pflasterhandwerk zählt zu den ältesten Handwerkszünften Europas. Der handwerklich-künstlerische Prozess der Pflastergestaltung beginnt mit der Auswahl der Pflastersteine, ob gespaltene oder gesägte Steine zum Einsatz kommen und ob die Oberfläche rau oder glatt sein soll. Für die Einbettung in das Gesamtbild ist ebenso entscheidend, welche Pflasterausführung gewählt wird: Reihen-, Diagonalverbände, Segmentbögen oder Pflasterornamente. Ein sorgfältig detaillierter Entwurf mit genauem Absteckplan gehen dem handwerklichen Schaffen voraus und erleichtern die Massenermittlung und die Arbeiten vor Ort: Vorbereitung des Untergrundes, Aufbau Tragschicht, Versetzen der Borde und Rinnen, Aufbringen des Pflastersandes und schließlich Pflastern der Fahrbahn und Gehwege einschließlich Abrammen und Fugenschluss. Dieser Prozess setzt großes Können und lange praktische Erfahrung voraus und erfreut die Nutzer viele Jahre lang. Die handwerklichen Techniken und Methoden des Pflasterns haben sich seit der Antike über lange Zeit herausgebildet. Dieser Erfahrungsschatz und die konstante Umsetzung der traditionellen Verlegeregeln bilden bis heute die Grundlage für eine handwerksgerechte Herstellung dauerhafter Pflasterflächen. [1] Abb. 1: Naturstein-Reihenpflaster mit unterschiedlichen Steinbreiten im Kurvenbereich mit Aufweitung in Keilform (Foto Straßenbau Beißner) 212 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Pflasterhandwerk - Zunft mit Zukunft 1. Planung Die Planung bildet die Grundlage für eine fachgerechte Herstellung von Natursteinpflasterflächen. Mit Beginn der Planung wird die Verkehrsbelastung ermittelt. Von hochbelasteten Belägen der Belastungsklasse 3,2 nach RStO 12 reichen die Anwendungsfälle bis zu wenig belasteten Terrassen. In der RStO 12 ist die Einteilung in Belastungsklassen nach der Beanspruchung vorgenommen worden. Man rechnet mit „Äquivalenten 10-t- Achsübergängen“, die im Nutzungszeitraum (30 Jahre) anzunehmen sind. [2] In der ZTV Wegebau sind 3 Nutzungskategorien definiert worden. [3] Nutzungskategorie N1 Begehbare, nicht mit Kfz befahrbare Flächenbefestigungen außerhalb von Flächen des Straßenverkehrs (z.B. Terrassen, Gartenwege, Wege im Hausgartenbereich, Sitzplätze in Parkanlagen). Nutzungskategorie N2 Befahrbare Flächenbefestigungen für Fahrzeuge bis 3,5 t zulässiges Gesamtgewicht außerhalb von Flächen des Straßenverkehrs (z.B. Garagenzufahrten, PKW Stellplätze). Nutzungskategorie N3 befahrbare Flächenbefestigungen wie Belastung 2, jedoch mit gelegentlichen Befahrungen mit Fahrzeugen bis 20 t zul. Gesamtgewicht mit Radlasten < 5 t außerhalb von Flächen des Straßenverkehrs (z.B. Pflege-, Instandhaltungs- und Rettungswege sowie Feuerwehr-, Garagen- und Gebäudezufahrten) 1.1 Pflasterbauweisen [2 / 4 / 13] Zu Beginn der Planung sind die Anforderungen an die Pflasterfläche, die sich aus der Beanspruchung, den örtlichen Gegebenheiten und der vorgesehenen Nutzungsdauer ergeben, zu definieren. Die Einhaltung der einschlägigen und aktuellen Technischen Regeln ist eine zwingende Voraussetzung, Schäden zu vermeiden. Für die Bemessung von Pflasterbauweisen sind die Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen (RStO) maßgebend. Hierin werden in Abhängigkeit der Bemessungskriterien technisch sinnvolle und wirtschaftliche Bauweisen beschrieben. Den standardisierten Bauweisen liegen Anforderungen an die Frostsicherheit und an die Tragfähigkeit der Verkehrsflächenbefestigung zugrunde. Abb. 2: Aufbau von Pflasterflächen und zugehörige Regelwerke [5] Eine dementsprechende Planung umfasst den Untergrund, den Unterbau sowie den kompletten Oberbau aus Tragschicht, Bettungsschicht und Pflaster, definiert Anforderungen an die Tragfähigkeit, Wasserdurchlässigkeit, Anforderungen an die Baustoffe usw. Für die Ausführung von Pflaster und Plattenbelägen sind insbesondere ATV DIN 18318 sowie TL- und ZTV-Pflaster-StB zu berücksichtigen. Außerhalb von Flächen des Straßenverkehrs können die „ ZTV-Wegebau - Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen für den Bau von Wegen und Plätzen außerhalb von Flächen des Straßenverkehrs“ (2013) angewendet werden. Die aktuelle DIN 18318 - 2019 wurde im Oktober 2019 veröffentlicht. Die bisherige (DIN 18318 - 2016) Norm war nur anwendbar für ungebundene Pflasterdecken und Plattenbeläge beim Verkehrswegebau; die neue DIN 18318 - 2019 gilt generell für das Befestigen von Flächen mit Pflastersteinen und Platten sowie Entwässerungsrinnen und ersetzt somit anteilig die ZTV-Wegebau. Das neue Regelwerk DIN 18318 - 2019 enthält eine Vielzahl von Änderungen und Neuerungen, die zwingend bereits bei der Planung sowie Ausschreibung, dem Angebot und der Ausführung beachtet werden müssen und zwangsweise zur Änderung bisheriger Planungsgrundsätze sowie Änderung bisheriger Ausschreibungs- und Angebotstexte führen müssen. • Die aktuelle DIN 18318 - 2019 gilt generell für das Befestigen von Flächen sowie Entwässerungsrinnen mit Pflastersteinen und Platten auf wasserdurchlässiger Unterlage sowie das Herstellen von Einfassungen • in der aktuellen DIN 18318 - 2019 werden auch teilgebundene und gebundene Pflaster- und Plattenbauweisen behandelt 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 213 Pflasterhandwerk - Zunft mit Zukunft Abb. 3: Klassische Oberbaukonstruktionen im Straßenbau mit ungebundener und gebundener Ausführung der Pflasterdecke [5] • Belagsausgleichsschichten / Pflaster- und Plattenbettungen werden in neuer Einbaustärke festgelegt • die zulässigen Körnungen für die Pflaster- und Plattenbettungsmaterialien werden erweitert • belastungsabhängig ändern / reduzieren sich die notwendigen Mindestneigungen der Pflaster- und Plattenoberflächen • die zulässigen Abweichungen von der vorgegebenen Oberflächenneigung werden neu definiert • es werden neue, anteilig höhere Ebenheitsanforderungen an die Belagsoberflächen der Pflaster- und Plattenoberflächen gestellt • die Ausführung der Fundamente und Rückenstützen wird belastungsabhängig neu geregelt • Belagsanschlusshöhen wurden neu festgelegt • es werden besondere Anforderungen an den Oberbau bei überdachten und teilüberdachten Flächen zur Verminderung kapillar aufsteigender Feuchtigkeit gestellt 1.2 Bearbeitung und Bauweise [2] Nach welchen Regeln die Flächenbefestigung aufgebaut und das Pflaster verlegt / versetzt wird, hängt von der gewählten Bearbeitung des Materials und der gewählten Bauweise ab. Die ungebundene Bauweise ist die älteste Pflasterbautechnik. Für Bettung und Fugenmaterial wird ein Mineralgemisch eingesetzt, das auf die Größe der Pflastersteine abgestimmt ist. Die Stabilität der Konstruktion entsteht allein durch den gepflasterten Verbund und eine ggf. angelegte Wölbung der Pflasterdecke. Temperaturspannungen und statische wie dynamische Belastungen können durch ungehinderte Verformung ausgeglichen werden. Die Pflasterdecke bleibt wasserdurchlässig. Bei der gebundenen Bauweise wird der gesamte Aufbau der Flächenbefestigung ausschließlich aus gebundenen Schichten hergestellt. Bereits die Tragschicht ist zementär oder bituminös gebunden. Pflastersteine oder Platten werden in einem Bettungsmörtel mit einem rückseitig aufgetragenen Haftvermittler versetzt. Auch die Fugen werden nach Erhärtung der Bettung mit einem Fugenmörtel verfüllt. Die verwendeten Mörtelsysteme sind dabei auf die Eigenschaften des Pflastersteins und die erwarteten Verkehrsbelastungen abgestimmt. Um Schäden beispielsweise durch thermische Prozesse zu vermeiden, müssen Bewegungsfugen angelegt werden. Eine Mischbauweise, in deren Aufbau gebundene und ungebundene Schichten vorkommen, ist grundsätzlich möglich. Über die Anwendung muss im Einzelfall entschieden werden. Befahrbare Flächen in Mischbauweise sollten vermieden werden. Abb. 4: Oberbaukonstruktionen in s. g. Mischbauweise nach ZTV-Wegebau (Zeichnung SLG) [5] Spaltpflaster wird aus gebrochenen Natursteinen hergestellt. Hier wird Stein an Stein gesetzt, sodass sich die Steine an einzelnen Punkten berühren. Bei der ungebundenen Bauweise werden allein über diese Berührungspunkte Spannungen und Belastungen übertragen. Abb. 5: Versetzen von Spaltpflaster Stein an Stein (Darstellung Netzwerk Pflasterbau) [11] Im Unterschied zu den gebrochenen Natursteinen gibt es gesägte Natursteine mit entsprechend glatteren Kanten. Gesägte Natursteine werden mit Fuge verlegt. Um einen optimalen Kraftschluss mit dem Fugenmaterial zu erreichen, sollten die Nebenseiten grob bearbeitet ausgeführt werden (z. B. kugelgestrahlt, nicht diamantgesägt), bei gebundener Verlegung auch die Unterseite. So werden Kantenausbrüche vermieden. Um eine dauerhaft rutschfeste Oberfläche zu erhalten, können die Sichtflächen der Natursteinmaterialien kugelgestrahlt ausgeführt werden. Betonsteine und Klinker sind künstlich hergestellte Pflastersteine und im Vergleich zu Natursteinen eher weiche Materialien. Fuge und Bettung müssen darauf abgestimmt sein. 214 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Pflasterhandwerk - Zunft mit Zukunft 2. Lernen von den alten Meistern Grundlagen des Pflasterhandwerks nach Siegfried Vogel, Sachverständiger für Natursteinpflasterbau, Freudenstadt. Als Sachverständiger für Natursteinpflasterbau und Autor des Buches „Die Kunst des Pflasterns mit Natursteinen“ hat er sich zur Aufgabe gemacht, sein Wissen für die aktuelle Praxis fruchtbar zu machen. [6] 2.1 Empfehlungen zur ungebundenen Bauweise Das ungebundene Natursteinpflaster ist eine jahrtausendealte Kulturtechnik. Die hohen Erstellungskosten, im Vergleich zu anderen Materialien, lassen sich durch eine mitunter sehr viel längere Nutzungsdauer ausgleichen, wenn das Pflaster handwerklich korrekt ausgeführt wird. Vogel empfiehlt daher, bei der Auftragsvergabe nicht nur auf den günstigsten Preis, sondern vor allem auf die fachlich einwandfreie Arbeit Wert zu legen. Abb. 6: unregelmäßiges Fugenbild Natursteinpflaster in Splitt gesetzt. Herausgesaugte und herausgespülte Fugenfüllung durch Reinigungsprozess und Regenwasser (Foto Sopro) [7] Die häufigste Ursache für Pflasterschäden sieht Vogel bei der ungebundenen Bauweise in zu breiten Fugen. Um Drehung oder Verschiebung der Steine zu vermeiden, müssen diese eng aneinandergesetzt werden. Abb. 7: Natursteinpflaster in Natursand gesetzt und obere Fugenfüllung mit Steinmehl Diabas (Foto Steinkunst Schnitzler) [11] Eine alte Pflasterweisheit besagt: „Ein Stein schützt den anderen Stein.“ Dabei bestimmt die „Unebenheit der Bruch- und Spaltfläche die Fugenbreite“, schreibt Vogel. Die Kontaktpunkte sind „Gelenke, um welche sich der Stein minimal drehen kann“. „Schubkräfte, wie auch Druckkräfte aus der thermischen Ausdehnung“ werden direkt von einem Stein zum nächsten geleitet und die Fuge selbst bleibt druckfrei. Ein weiterer wichtiger Punkt, den Vogel bei der Planung von Pflasterflächen als bedenkenswert darstellt, ist das Gefälle. Liegen die Pflasterbeläge unter dem Minimum- Gefälle, spült das Wasser die Fugen leer, Steine kippen und der Pflasterbelag wird geschädigt. Bei einseitigem Gefälle sollte daher eine Neigung von mindestens 3 % und bei Diagonalgefälle von mindestens 1,5 % vorliegen. „Ferner ist darauf zu achten, dass bei Wannen kein Querneigungswechsel angelegt wird.“, schreibt er. „Selbst ein einseitiges Gefälle sollte mit einem leichten Überbogen angelegt werden, da diese kaum sichtbare Krümmung eine außerordentlich stabilisierende Wirkung auf die Pflasterdecke hat.“ 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 215 Pflasterhandwerk - Zunft mit Zukunft Abb. 8: Beispielhafter Aufbau einer Pflasterbefestigung in geschlossener Ortslage mit Entwässerungseinrichtungen (Zeichnung SLG für ZTV Pflaster StB-2019) [5] 2.2 Empfehlungen zu gesägten Natursteinen Während Siegfried Vogel empfiehlt, bei gebrochenem Natursteinpflaster buchstäblich Stein an Stein zu setzen, weist er bei Materialien mit geraden Kanten (gesägte Natursteine, Beton und Klinker) auf die Notwendigkeit einer Fuge hin. Abb. 9: Verschobener gesägter Natursteinbelag als Folge von fehlender Fugenfüllung und entsprechend hohen Verkehrslasten (Foto Sopro) [7] Durch die planen Flanken berühren sich die Steine ganzflächig und nicht, wie bei gebrochenen Natursteinen, nur an einzelnen Punkten. Die minimalen Bewegungen der Steine durch Verkehr und thermische Dehnung können dabei nicht ausgeglichen werden und verursachen Kantenabbrüche. Trotz der Notwendigkeit einer Fuge sollte diese laut Vogel auch bei Formsteinen nicht zu groß bemessen sein, da sonst durch Verkehrsbelastung Verschiebungen auftreten. Auch im Sinne der Barrierefreiheit kritisiert er die maximal zulässige Fugenbreite nach geltenden Normen als „unfallgefährdend“. Nicht nur bezüglich der Fugenbreite empfiehlt Vogel, einen möglichst detaillierten Ausschreibungstext für das geplante Bauvorhaben zu erstellen, der die angestrebten Qualitäten der Pflasterfläche konkretisiert. 2.3 Hinweise zum Aufbau Zur Bemessung der Tragschichten sind die Verkehrsbelastung und das Verkehrsaufkommen zu berücksichtigen. Eine Nutzung als Einbahnstraße mit spurfahrendem Verkehr bringt beispielsweise spezielle Belastungen mit sich, die bereits bei der Planung berücksichtigt werden müssen. Die Konstruktion des Oberbaues kann nur mangelfrei auf einem tragfähigen und ausreichend wasserdurchlässigen Bodenmaterial ausgeführt werden. Gegebenenfalls sind ein Bodenaustausch zur Stabilisierung des Untergrundes und Maßnahmen zur Wasserabführung notwendig. Die Fugenbreiten, Fugenmaterial, Steingrößen und die Steinbearbeitung sind untereinander abzustimmen. Dabei sind die Verkehrsbelastung und das Verkehrsaufkommen zu berücksichtigen. Um eine filterstabile Konstruktion zu erreichen, müssen Körnung von Unterbau, Tragschicht und Bettung zueinander passen. Die Hohlräume der unteren, durchlässigeren Schicht mit größerer Körnung müssen stets geringer dimensioniert sein als die kleinste Korngröße der darüber liegenden Schicht. Auch hier werden laut Siegfried Vogel immer wieder Fehler gemacht. 3. Natursteinpflaster erhalten Empfehlungen für Sanierungskonzepte nach Claus Peter Spuhn, Sachverständiger für Natursteinpflasterbau, Prenzlau [8] 216 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Pflasterhandwerk - Zunft mit Zukunft Bestehende Pflasterflächen erfüllen nicht immer alle Anforderungen, die eine diverse Stadtgesellschaft an sie stellt. Die Lösung muss nicht unbedingt in einer kompletten Neuplanung liegen. Gerade wenn das Gesamtbild eines historischen Bereiches erhalten werden soll, kann die Sanierung einer Pflasterfläche oder ein Teilumbau sinnvoll sein. Die Untersuchung und Einschätzung des Bestandes durch qualifizierte Fachleute wie Claus Peter Spuhn ist in jedem Fall ein guter Ausgangspunkt für weitere Planungen. Die Sanierung von Natursteinpflasterstraßen ist nur von ausreichend erfahrenen Pflasterern fachgerecht ausführbar. Dennoch heißt sanieren nicht, dass in jedem Fall die Qualität einer neu gebauten Straße erreicht wird. Das bedeutet, dass verantwortbare Kompromisse eingegangen und Prioritäten gesetzt werden: Welche Anforderungen soll die sanierte Fläche erfüllen? Wie lange soll sie halten? Wie viel Geld ist uns eine Sanierung wert? 3.1 Das Sanierungskonzept Das Sanierungskonzept klärt die Ursachen der Schäden oder Mängel und zeigt auf, wie diese beseitigt werden können. Unterschiedliche Schadensursachen legen unterschiedliche Sanierungsmethoden nahe. Grundsätzlich ist die Sanierung von Pflasterstraßen in zwei Kategorien eingeteilt: Grundhafte Sanierung und Sanierung im Bestand. Bei einer Sanierung im Bestand werden zunächst die vorhandenen Schadstellen dokumentiert und die Ursachen der Schäden ermittelt. Dann sind die Schadstellen hinsichtlich des Umfanges, der Form und der Lage in der Pflasterfläche zu beurteilen, um sie später reparieren zu können. Sowohl im Bereich der Schadstellen und im Bereich der nicht schadhaften Flächen werden Untersuchungen vorgenommen, um die Ergebnisse vergleichen zu können. In den Testbereichen wird jeweils Pflaster aufgenommen. Das herausgenommene Pflaster ist bezüglich der Bearbeitung und Größe zu bewerten. Die Schadensbilder können auch einen Hinweis auf mögliche Schadensursachen geben. Nachdem das Pflaster aufgenommen wurde, sollten Baugrunduntersuchungen sowie eine Wasserdurchlässigkeitsprüfung im Feldversuch durchgeführt werden. Danach sind Proben vom Fugen- und Bettungsmaterial zu entnehmen und im Labor die Kornzusammensetzung zu prüfen. Eine grundhafte Sanierung bedeutet, dass das bestehende Pflaster komplett aufgenommen wird und ein neuer konstruktiver Aufbau erfolgt. Zunächst ist eine Baugrunduntersuchung erforderlich. Die Beanspruchung und Belastung der Pflasterfläche ist zu prüfen und zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang ist auch die Wiederverwendung des vorhandenen Pflasters mit einzubeziehen. Wenn das vorhandene Pflaster wieder verwendet werden soll, ist zu prüfen, ob alle Pflastersteine wieder verwendet werden können. Das bedeutet, dass ein Zusammenhang zwischen den Steinformen und den aufgetretenen Schäden geprüft wird. Sollte sich ergeben, dass einige Steine auszuwechseln sind, müssen sich die neu verwendeten Steine optisch anpassen. Die grundhafte Sanierung einer Pflasterstraße entspricht, fachlich gesehen, dem Neubau einer Pflasterstraße. Dabei sollte grundsätzlich beachtet werden, dass durch den Neubau mit dem vorhandenen Pflaster oder mit einemneuen Pflaster das Gesamtbild des Stadtraumes nicht beeinträchtigt wird. Das bedeutet auch, dass ein neues Pflaster sich dem vorhandenen Pflaster und den örtlichen Gegebenheiten optisch anpassen sollte. Die Untersuchungsergebnisse für eine Sanierung im Bestand bilden die Grundlage für die Entscheidung, in welchem Umfang diese Sanierung ausgeführt wird. Dabei sind auch die ermittelten Kosten in die Entscheidung einzubeziehen. Nach vorliegenden Erkenntnissen wird überschlägig davon ausgegangen, dass bei einem Schadensumfang von mehr als 40 % der zu betrachtenden Gesamtfläche aus Kostengründen ein Neubau in Frage kommen kann. Eine dauerhafte Nutzungsfähigkeit kann nur gewährleistet werden, wenn Instandhaltungsmaßnahmen zur Schadensbeseitigung regelmäßig vorgenommen werden. Man sollte nicht warten, bis der Schadensumfang so groß wird, dass die Nutzungsfähigkeit eingeschränkt ist. Dann werden entweder durch die Schadensbeseitigung oder durch einen Neubau die entsprechenden Kosten erheblich größer. 3.2 Planungs- und Beteiligungsprozess Eine Ermittlung der Schadensursachen durch Sachverständige gibt Aufschluss, ob eine Sanierung im Bestand möglich oder eine grundhafte Sanierung bzw. ein Neubau erforderlich ist. So kann auf technischer Basis eine nachvollziehbare Grundlage für die Gespräche im Rahmen des Beteiligungsprozesses geschaffen werden. Bei einem Neubau von Pflasterflächen sollten die historischen Gegebenheiten berücksichtigt werden. Pflastermaterial, Farbe und Verband sollten so ausgewählt werden, dass das Gesamtbild des Stadtraums sinnvoll ergänzt und nicht beeinträchtigt wird. Eine Gestaltungssatzung oder Leitlinie zur Oberflächengestaltung kann Grundlage für die Gestaltung von Pflasterflächen sein. Solche Werkzeuge helfen, alle Anforderungen an die Oberflächen des öffentlichen Raumes in einer Stadt oder einem Bereich langfristig zu definieren. Vorgaben der Städtebauförderung sind ggf. zu beachten (Pflaster, Asphalt nur nach Absprache). Die Besichtigung von Referenzobjekten kann die Entscheidungsfindung erleichtern. Hier können Planer 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 217 Pflasterhandwerk - Zunft mit Zukunft (Architekt mit Ingenieurbüro), Politische Gremien, eingebundene Anwohner/ Eigentümer und Interessenverbände für Barrierefreiheit bereits einbezogen werden. Folgende Themen sollten bei der Besichtigung beachtet werden: Material (Ästhetik, Farbe, Körnung, Oberflächen- und Kantenbearbeitung), Verlegung (Gebundene oder ungebundene Bauweise, Fugenbreite), Bauablauf (Lieferengpässe, Zufriedenheit der Anlieger und des Bauherrn). Im Rahmen der Planung sind Verkehrsbelastung und das Verkehrsaufkommen zu berücksichtigen. Dementsprechend muss die Konstruktion konzipiert und der tragende Oberbau bemessen werden. Bei Gestaltung und Planung von Pflasterflächen muss ein ausreichendes Gefälle angelegt werden. Nur so kann eine Pfützenbildung vermieden werden, die Schäden im Belag verursachen kann. 3 % im Quergefälle und 1,5 % im Diagonalgefälle sollten nicht unterschritten werden. Ein leichter Überbogen hat auch bei einseitigem Gefälle eine stabilisierende Wirkung auf die Pflasterdecke. Der Begriff Barrierefreiheit steht nicht nur für gute Begeh- und Berollbarkeit, sondern auch für visuelle und taktile Leitsysteme. Auch diese Aspekte sollten bei der Planung mitgedacht werden. Betroffene Anwohner/ Eigentümer und Bürger am Planungsprozess beteiligen: 1. Vereine und Verbände von Interessengruppen wie Senioren, körperlich Beeinträchtigte vorab befragen (welche Probleme sehen sie, welche Lösungsmöglichkeiten ggf.? ) 2. Bauvorhaben rechtzeitig und verständlich gegenüber allen Bürgern kommunizieren, den Eigentümern/ Anliegern einen möglichst genauen Ablaufplan vorlegen und diesen einhalten, um Beeinträchtigungen voraussehbar und gering zu halten 3. Zusätzliche Informationsformate und Aufwertungsmaßnahmen während der Bauphase anbieten (z. B. Baustellenzeitung, kostenlose Fußmatten gegen Verschmutzung, Veranstaltungsprogramm, um trotz Baustelle Besucher anzulocken) Die Einhaltung des Zeitplans ist für alle Beteiligten und Betroffenen wichtig, daher auf sorgfältige Planung, aber auch auf ausreichende Zeitfenster für die einzelnen Leistungen achten. Auch die Firmen müssen planen und eine Verzögerung zieht leicht weitere nach sich. In der Planungsphase sollte eine Musterfläche in Auftrag gegeben werden (gegen Bezahlung), um folgende Merkmale der Baumaßnahme zu definieren und zu überprüfen: Farbe (Variationen) und Mineralstruktur, Oberflächenbearbeitung und Kantenbearbeitung, Fugenbreite, Farbe und Rutschfestigkeit bei Trockenheit und Nässe. 4. Ausschreibung und Vergabe Ausschreibungstexte für die Erstellung von Pflasterungen sollten die Leistungen umfangreich und erschöpfend darstellen, Jede Teilleistung ist zu beschreiben. Je ausführlicher die Beschreibung der Leistung im Leistungsverzeichnis, je genauer müssen die Anbieter kalkulieren und eine gute Basis für die Bauüberwachung durch die Bauleitung ist gelegt. Möglicherweise bietet es sich an, Ausschreibungsunterlagen von externen Sachverständigen prüfen zu lassen, um optimale Auslegungen der Richtlinien und Normen zu gewährleisten. Abb. 10: Ausschreibungstexte der Stadt Bielefeld zu Straßenbau, kleinteilige Arbeiten an Pflasterflächen aus Naturstein: Großpflaster „Bielefelder Altstadt“ [9] Abb. 11: Ausschreibungstexte der Stadt Bielefeld zu Straßenbau, kleinteilige Arbeiten an Pflasterflächen aus Naturstein: Kleinpflaster in Sandbettung [9] Im Interesse der Langlebigkeit sollte in hochwertigen Untergrund, hochwertiges Material und hochwertige Handwerksleistungen investiert werden. Neben den Erkenntnissen aus der vorangegangenen Bestandsuntersuchung sollten auch Erfahrungswerte aus vergleichbaren Bauvorhaben einbezogen werden. Die fachliche Eignung der Firmen birgt erfahrungsgemäß eine der größten Schwierigkeiten, daher ist diese sorgfältig zu prüfen (evtl. durch Praxistest) und nicht allein nach dem Preis zu entscheiden. Bei Bauvorhaben, die den Bereich des Spaltpflasters betreffen, sowie bei historischen Belägen, entscheidet über 218 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Pflasterhandwerk - Zunft mit Zukunft die Qualität grundsätzlich der ausführende Pflasterer/ Steinsetzer. Jede Planung, Idee oder Gestaltung diesbezüglich kann nur von entsprechenden Fachleuten zufriedenstellend umgesetzt werden. Ihre Qualifikation sollte mindestens folgendes gewährleisten: 4.1 Segmentbogenpflasterung (alle Facetten nach F. W. Noll) [7]: Abb. 12: Beispiel Segmentbogengrößen nach Steingrößen und Bogenbreite und Bogenhöhe (Foto ABZ Mellendorf) [10] Abb. 13: Anfang und Ende beim Versetzen von Kleinpflaster im Segmentbogen (Foto ABZ Mellendorf) [10] Ende des 19. Bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte der damalige bayrische Hofpflasterer Meister Friedrich Wilhelm Noll, Buchautor und Dozent an der Pflasterer-Schule München, eine revolutionäre Versetztechnik: den Segmentbogen. Das Segmentbogenpflaster ist eine sehr attraktive und stabile Pflasterung. Durch die Verzahnung der Bögen können auch große Lasten gut verteilt werden. [7] Abb. 14: Beispiele Segmentbogen Tiefenwechsel mit 2-reihiger Gosse und Einlauf (bessere Lösung ist eine umlaufende Saumreihe um die Einlaufroste) und Höhenwechsel - hier mit Raute Abb. 15: Segmentbogen - Seitenanschluß - Abzweigung mit Halbkreisbogen [10] 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 219 Pflasterhandwerk - Zunft mit Zukunft Abb. 16: Segmentbogen - Seitenanschluß - Abzweigung mit sogenanntem Kirchenfensterbogen (Foto Steinkunst Schnitzler) [11] 4.2 Reihenpflasterung: Abb. 17: Reihenpflaster mit Bindersteinen, hier ½- Versatz, 1/ 3-Versatz sollte bei ungleichen Steinlängen erreicht werden [10] Abb. 18: Reihenpflaster mit ca. Würfelsteinen, hier ½- Versatz, 1/ 3-Versatz sollte bei ungleichen Steinlängen erreicht werden [10] Abb. 19: Diagonal-Reihenpflaster mit Bindersteinen, Großpflaster aus Sandstein (Foto Straßenbau Beißner) Abb. 20: Diagonal-Reihenpflaster mit Großpflaster und Anschluss mit Fünfecksteinen (Bischofsmütze) [10} Abb. 21: Diagonal-(Gräten-)Reihenpflaster mit Großpflaster, Anschluss mit Trapezsteinen [10] 220 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Pflasterhandwerk - Zunft mit Zukunft 4.3 Schuppe/ Halbschuppe Abb. 22: Schmaler Weg mit Mosaikpflaster - Halb- Schuppe - [10] Als schlechtes Beispiel für eine Natursteinpflasterung mit Schuppe hier das Werbefoto eines Naturstein-Fachhandels. Dem Kunden wird ein Schuppenpflaster gezeigt (natürlich wie man es nicht machen soll). Aber versteht das auch Jeder? Denn hier wird es ja als perfekt verkauft. Abb. 23: Werbefoto über Granit Mosaik-Schuppenpflaster mit Basalt-Mosaikstein als Kontrast [11] 4.4 Wildpflasterung, Feldsteinpflaster, Lesepflaster Zu den natürlichen Pflastersteinen gehören auch unbehauene Findlinge und Lesesteine, die häufig bei der sogenannten Katzenkopfpflasterung oder Rundsteinpflasterung angewendet werden. Lesesteine werden als „Wilder Verband“ oder Passe-Verband (Steine müssen in die Lücke zwischen zwei Nachbarn) versetzt. Abb. 24: Wildpflasterung mit Polygonalpflaster z.B. im Wasserbau als Böschungs- und Uferbefestigung oder im ländlichen Wegebau [11] Die Ausschreibung der Pflasterarbeiten erfolgt nach Material, Farbe, Bearbeitung und Verlegung gemäß Bemusterung (Musterfläche). Ein Foto der Bemusterung kann beifügt werden. Vor der Angebotsabgabe sollten sich die entsprechenden Anbieter die örtlichen Gegebenheiten und die Musterfläche ansehen. Folgende Unterlagen sollten in der Ausschreibung gefordert und nach Eingang überprüft werden: Leistungsverzeichnis, Leistungserklärungen in deutscher Sprache (zu CE-Kennzeichnung), Prüfzeugnisse gemäß einschlägiger E-Norm. Mit dem Angebot, oder nach Aufforderung, sind zwei Mustersteine je Farbwahl abzugeben, die die Bearbeitung aller Seiten sowie die Eigenheiten in Farbstreuung und Körnung des angebotenen Materials und die Qualität des angebotenen Materials wiedergeben. Gemäß VOB ist eine Nachfrist für fehlende Unterlagen zu gewähren. 5. Material Bereits gebrauchte Pflastersteine können aufgenommen und wiederverwendet werden. Gebrauchte Steine sind qualitativ in der Regel hochwertig, da sie oft noch mit der Hand bearbeitet wurden und beispielsweise ihre Frostbeständigkeit bereits bewährt haben. Mit der Materialität kann auch die Ästhetik einer bestehenden Pflasterung erhalten werden, auch wenn beispielsweise die Oberflächen im Sinne der Barrierefreiheit überarbeitet werden. Als Bettung sollte bei Natursteinbelägen jedoch kein Recyclingmaterial verwendet werden. Durch abweichende Materialzusammensetzungen kann die Standfestigkeit hier nicht garantiert werden. Für das Versetzen von Spaltpflaster, sowie für gebrauchte Steine, Lesepflaster usw. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 221 Pflasterhandwerk - Zunft mit Zukunft haben sich erdfeuchte, gewaschene Natursande bzw. Kiessandgemische (Rundkorn) 0/ 2 mm, 0/ 4 mm bis 0/ 8 mm in der Praxis seit Jahrhunderten bewährt. Regional gewonnene oder produzierte Baumaterialien sind nicht unbedingt teurer als importierte, bringen aber verschiedene Vorteile mit sich. Besonders Naturstein kann mit geringem Energieverbrauch gewonnen werden, ein langer Transportweg wirkt sich jedoch negativ auf die CO2-Bilanz aus. Die Verwendung regionaler Materialien ist also ein Beitrag zum Klimaschutz, das gleiche Material ist für nachfolgende Bauabschnitte oder Reparaturen jederzeit lieferbar, Umplanungen und Sonderformate können schnell berücksichtigt werden. Zudem werden Arbeits- und Ausbildungsplätze sowie die Kaufkraft in der Region gefördert. Bei der Benennung des Materials darf kein regionaler Bezug, keine Bezugsquelle, kein Hersteller oder Lieferant und kein Handelsname genannt werden. Es ist jedoch möglich, im Ausschreibungstext den maximalen CO2-Ausstoß festzulegen. 5.1 Bearbeitung und Verlegung Die Fugenbreiten, Fugenmaterial, Steingrößen und die Steinbearbeitung sind untereinander abzustimmen. Zudem ist die Stabilität durch entsprechendes Material für die Bettung und die Tragschicht zu gewährleisten. Von der gewählten Bearbeitung (geschnittene Natursteine/ Formsteine/ Klinker oder Spaltpflaster) und Bauweise (gebundene, Mischbauweise oderungebundene Bauweise) hängt ab, was bei der Verlegung oder Setzung im Einzelnen zu beachten ist und in der Ausschreibung festgelegt werden sollte, um eine fachgerechte Ausführung sicherzustellen. Detaillierte Informationen enthalten beispielsweise die Veröffentlichungen des Vereins Qualitätssicherung Pflasterarbeiten, mit Titeln wie „Zehn Qualitätsmerkmale für ungebundene Pflasterflächen aus Naturstein“ auf www. qspflaster.de. Grundsätzlich sind alle Pflasterflächen mit einem Saumstein einzufassen, d.h. überall dort, wo Pflasterflächen enden, also an Begrenzungen, Mauern, Bordsteinen, Einbauten, sowie an Anschlüssen zu anderen Verkehrsflächen sind Ein- und Zweizeiler als Bund zu versetzen. Die Kosten dafür sind in den Pflasterverlegepreis einzurechnen. Neben Angaben zu Material und Bearbeitung ist bei Pflasterungen auch zu beachten, welche Werkzeuge entsprechend der Steingrößen bei der Verlegung einzusetzen sind, d. h. welcher Pflasterhammer verwendet wird und ob beispielsweise Handrammen, Explosivrammen oder Rüttelplatten verwendet werden sollen. Außerdem werden im Ausschreibungstext technische Daten der Pflasterfläche beschrieben: die maximale Wasseraufnahme, Mindestdruckfestigkeit und Biegefestigkeit. Es sollte auch darauf hingewiesen werden, dass im Rahmen der Bauausführung Wasserdurchlässigkeitsprüfungen als Feldversuch zur Ermittlung der Wasserdurchlässigkeit durch die Bauüberwachung durchgeführt werden. Abb. 25: zum Handwerkszeug eines Steinsetzers gehören: diverse Pflasterhämmer, Pflasterhocker, Rammen sowie: Spalthammer, Fäustel, Meißel, Schnurnagel, Schnur, Wasserwaage, Messband, Zollstock, Pflasterheber - Steinzieher, Besen, Schubkarre und Rüttelplatte (Foto Netzwerk Pflasterbau) [11] 5.2 Baudurchführung und Baubegleitung Vor Baubeginn sollte ein Vorortgespräch mit allen Beteiligten, d. h. Auftraggeber, Planer, Bauüberwacher, beauftragte Baufirma, erfolgen. Die Bauüberwachung ist sehr ausführlich auszuführen und zu dokumentieren. Die Baudurchführung sollte in allen Phasen begleitet und die Qualität überwacht werden, um eine mängelfreie Abnahme sicherzustellen. Bei den Pflasterarbeiten ist darauf zu achten, dass die Vorgaben der Ausschreibung bezüglich Material, Bearbeitung und Verlegung eingehalten werden. Jeder Nachunternehmer sollte vom vorleistenden Unternehmer die Standfestigkeit des Unterbzw. Oberbaus prüfen lassen, Asphalttragschichten sind zusätzlich auf Hohlraumgehalt zu prüfen. 222 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Pflasterhandwerk - Zunft mit Zukunft Sollten die Baugrundverhältnisse differenziert sein, so sind zusätzlich Tragfähigkeitsprüfungen und Wasserdurchlässigkeitsprüfungen auf dem Planum durchzuführen. Nach dem Einbau der Tragschichten sollten Wasserdurchlässigkeitsprüfungen als Feldversuch vor Ort durchgeführt werden. Gebunden hergestellte Pflasterflächen sollen zur Vermeidung von Schäden mindestens 12 Tage nicht belastet werden. Die Fugenverfüllung muss schrittweise über einen längeren Zeitraum fortgeführt werden, überrollende Reifen tragen zur Verdichtung bei. 5.3 Laufende Instandhaltung Instandhaltungsmaßnahmen sind erforderlich um die dauerhafte Nutzungsfähigkeit zu gewährleisten. Schon bei der Planung sollte bedacht werden, dass diese von Fachpersonal oder einem Fachbetrieb betreut werden müssen. Es sind regelmäßige Begehungen vor Ort und Dokumentationen durchzuführen. Dabei sollte dokumentiert werden, ob Mängel oder Schäden aufgetreten sind. Rechtlich gesehen, gilt als Mangel, was die Nutzungsfähigkeit nicht oder nur geringfügig beeinträchtigt. Dabei kann es sich zum Beispiel um Spurrinnenbildung handeln. Schäden können die Nutzbarkeit beeinträchtigen. Grundsätzlich sind die Mängel- und Schadensursachen zu ermitteln. Damit schafft man die Grundlage für eine fachgerechte Sanierung, die einen langfristigen Erhalt der Pflasterflächen ermöglicht. Nachträgliche Eingriffe in die Pflasterdecke sollten nach Möglichkeit vermieden werden, da reparierte Stellen oft Schwachstellen sind. Dies gilt besonders bei Flächen in gebundener Bauweise. Häufig ist es schwer, qualifizierte Handwerker für solche Kleinaufträge zu gewinnen und die Qualität der Ausführung leidet darunter. Auch für Reparaturarbeiten unbedingt fachgerechte Qualität von Material und Handwerksleistung verlangen, da sonst das gesamte Pflaster im Bereich leidet. Sollten bei bestimmten Schäden Steine ausgetauscht werden, so sind die neuen Steine dem Bestand anzupassen. So wird das Gesamtbild der Fläche nicht beeinträchtigt. Bei einer maschinellen Reinigung mit Kehrsaugmaschinen, Hochdruckreinigern und/ oder Spülfahrzeugen ist bei Pflasterflächen in ungebundener Bauweise eine Ausspülung des Fugenmaterials kaum zu verhindern. Das Nachfüllen ist eine notwendige Instandhaltungsmaßnahme. Besonders bei ungebundener Bauweise mit gesägten Natursteinen oder Formsteinen treten bei ausgewaschenen Fugen schnell Schäden auf. 6. Herstellung von Pflasterflächen [12] Vor dem Beginn der Arbeit ist die Unterlage zu prüfen. Die Tragschicht muss eine der Nutzung der Straße angemessene Tragfähigkeit, eine ausreichende Wasserdurchlässigkeit sowie die richtige Höhenlage aufweisen. Der erste Arbeitsschritt ist stets das Herstellen der Einfassungen, der Borde und der Rinnen. Diese Randeinfassungen geben die Randhöhen für die Fläche vor. Abb. 26: Setzen Naturbordstein und Verfugen der Randeinfassung mit 1-zeiliger Rinne (Foto Schnitzler) [11] Das Verlegen oder Versetzen der Pflastersteine beginnt in der Regel vom Tiefpunkt, also dem Wasserlauf oder der Rinne, und endet am höchsten Punkt. Da die Arbeitstechniken des Versetzens von bruchrauem Natursteinpflaster einerseits sowie des Verlegens von Beton- und Klinkerpflaster sowie von formatierten Natursteinprodukten mit ebenen Lager- und Seitenflanken andererseits grundsätzlich unterschiedlich sind, werden diese gesondert betrachtet. 6.1 Versetzen von spaltrauem, bruchrauem Natursteinpflaster Bruchraues oder spaltraues Natursteinpflaster wird aus dem Pflasterbett versetzt. Der Pflasterer arbeitet rückwärts im Bett, er hat das fertige Pflaster stets im Blick. Die sachgerechte Auswahl und Einbettung des Steines erfordern eine entsprechende Erfahrung und ein geübtes Augenmaß. Der nächste Arbeitsschritt besteht in der Verteilung eines geeigneten Bettungsmaterials auf die anforderungsgerechte, Tragschicht. Das Bettungsmaterial sollte erdfeucht sein und einen Wassergehalt von 5 bis 8 Masse-% haben. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 223 Pflasterhandwerk - Zunft mit Zukunft Abb. 27: Setzen Randeinfassung aus Natursteinpflaster in Beton und Platz- und Weggestaltung mit Kleinpflaster im Segmentbogen mit Rosette in Natursand gesetzt. (Foto Netzwerk Pflasterbau) [11] Die Lage und die Höhe der Pflasterfläche werden durch Schnüre vorgegeben, wobei die Rammvorgabe von 1,5 bis 3 cm zu berücksichtigen ist. Dazu kann es erforderlich sein, zunächst einige Lehrensteine höhengerecht anzuordnen. In Längsrichtung an jeder Querneigungsänderung sowie für jede Reihe wird eine Schnur angeschlagen. Die Pflastersteine liegen im Haufen hinter dem Pflasterer. Das eigentliche Pflastern beginnt damit, dass der Pflasterer mit der Finne (Kelle) des Pflasterhammers ein entsprechendes Bett formt. Danach greift er einen passenden Pflasterstein, setzt diesen mit der kleineren Fußfläche in das vorbereitete Bett hinter die Schnur und klopft ihn mit dem Pflasterhammer fest (3 Hammerschläge). Der Rechtshänder arbeitet von links, nimmt mit der linken Hand den Stein und hat in der rechten Hand den Pflasterhammer. Der Pflasterstein soll danach mit enger Fuge in richtiger Neigung zu etwa mind. 1/ 3 seiner Höhe im Pflasterbett stehen. Bei erheblichen Unterwinklungen wird Bettungsstoff mit der Finne angefuttert. Die Güte des Versetzens des bruchrauen Natursteinpflasters wird maßgeblich von der Fugenbreite bestimmt. Generell ist festzuhalten, dass die Verlegequalität und die Nutzungsdauer steigen, wenn die Fugen eine gleichmäßige, geringe Breite aufweisen. Bei der Verlegung in Reihen müssen in jeder Reihe Steine mit annähernd gleicher Breite versetzt werden, wobei die Steinlänge durchaus unterschiedlich sein kann. Die üblichen Toleranzen der Steine selbst sind so groß, dass keinesfalls die noch anforderungsgerechten schmalsten und breitesten Steine nebeneinanderliegen dürfen. Die Auswahl der Breite erfolgt durch das Augenmaß eines erfahrenen Pflasterers oder besser mit einem Maßstab auf 1/ 2 cm Genauigkeit. Abb. 28: Setzen Großpflaster in Reihe mit sortierten Steinbreiten (Foto Straßenbauer-Innung Braunschweig) Abb. 29: Kleinpflaster bis zu 2/ 3 seiner Höhe in Natursand versetzt (Foto Steinkunst Niesen) [11] Je dünner die Steine, desto schmaler sollten die Fugen sein. Als Faustregel kann gelten, dass die Fugenbreite maximal 1/ 14 bis 1/ 20 der Steindicke betragen darf. Größere Fugenbreiten und Unterwinkligkeiten lassen sich allenfalls bei Flächen, die nicht durch Kraftfahrzeuge befahren werden, akzeptieren. Für Flächen mit Fahrzeugverkehr sollte bei 14 cm hohen Steinen die Fugenbreite in Kopfhöhe der Steine das Maß von 10 mm nicht über- 224 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Pflasterhandwerk - Zunft mit Zukunft schreiten. Diese Aussage beinhaltet, dass schmalere Fugen von unter 5 mm besser wären. Enge Fugen erfordern einigermaßen passgenaue Steine. Kleinpflaster mit 8 bis 10 cm Höhe sollte Fugen von 5 mm oder weniger aufweisen. Grundsätzlich verbessern geringe Fugenbreiten die Nutzungsfreundlichkeit der Pflasterfläche. Pressfugen mit Stein-zu-Stein-Kontakt werden wegen möglicher Zerstörungen der Pflastersteine als nicht fachgerecht angesehen. Bei bruchrauen Pflastersteinen, bei denen dieser Kontakt allenfalls punktweise auftreten kann, erhöhen enge Fugen und einzelne Kontaktpunkte die Widerstandsfähigkeit der Pflasterfläche und haben im Gegensatz von zu breiten Fugen nie zu Problemen geführt. Enge Fugen haben zusätzlich den Vorteil einer geringeren Wassereindringung sowie des geringeren Fugenaustrages bei der Reinigung. In der ZTV Pflaster StB-20 steht unter 3 Ausführung, 3.3 Fugen: „Pflasterdecken und Plattenbeläge mit Befestigungselementen aus Natursteinen mit gespaltenen Seitenflächen müssen mit nachstehenden Fugenbreiten hergestellt werden: Pflastersteine bis 60 mm Nennweite < 6 mm Pflastersteine 60 bis 120 mm Nenndicke < 10 mm Pflastersteine über 120 mm Nenndicke < 15 mm …Spaltraue Natursteine sind möglichst engfugig zu versetzen. Vereinzelt dürfen Steine in der Fläche punktuell Kontaktstellen zum Nachbarstein aufweisen.“ [13] Abb. 30: Setzen von Großpflaster in Reihe mit sortierten Steinbreiten mit Zuarbeitung - Verhau und Reihenverziehung, da schräger Anschluss an Bestandsfläche. (Foto Straßenbau Beißner, Bielefeld) [11] Wichtig sind auch annähernd senkrechte Steinflanken. Deshalb muss für Verkehrsflächen die Unterwinkligkeit der Steine begrenzt sein. Sie sollte je Flanke 10 mm, an beiden Flanken zusammen 15 mm nicht überschreiten. Bei hohen Beanspruchungen sind bei 160 mm dicken Steinen die Maße noch weiter auf eine maximale Fugenbreite von 8 mm oben und 20 mm unten einzuschränken. Dieses erfordert grob bearbeitete und sortierte Reihenpflastersteine. Der nächste Arbeitsschritt beinhaltet das Einfegen oder Einschlämmen des Fugenmaterials auf gesamter Höhe. Danach werden traditionell die Pflastersteine mit der Pflasterramme von 15 kg (Kleinpflaster) bis 25 kg (Großpflaster) Gewicht gerammt. Zuerst erfolgt ein schwacher Schlag (Fühlschlag) aus geringer Höhe. Es folgen mindestens 2 weitere Schläge, die dann jeden einzelnen Pflasterstein auf Höhe bringen. Falls nach dem ersten Rammschlag der Stein seitlich ausweicht, ist der folgende Rammschlag genau auf der entgegengesetzten Seite des Steines bzw. leicht schräg anzusetzen. Das sehr arbeitsaufwändige Rammen ist das traditionelle und beste Verfahren. Abb. 31: Abrammung Mittelmosaikpflaster im Segmentbogen versetzt (Foto Netzwerk Pflasterbau) [11] Die Alternative besteht im Rütteln mit einer schweren Rüttelplatte bei Großpflaster. Zu tief eingerammte Steine sind mit der Zange zu ziehen, zu unterfüttern und erneut auf Höhe zu rammen. Mosaikpflaster wird nur 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 225 Pflasterhandwerk - Zunft mit Zukunft hammerfest versetzt und mit einer leichten Rüttelplatte abgerüttelt. Nur moderne Rüttelplatten mit veränderbarer Rüttelkraft und Amplitude erreichen eine gleichmäßige Verdichtung. Am besten ist es, beide Verfahren nacheinander durchzuführen, um eine tragfähige Pflasterfläche zu erhalten Rammen und Rütteln bringen eine Verdichtung der Bettung von 1,5 bis 3,0 cm. Durch das Rammen oder Rütteln hat sich auch das Fugenmaterial verdichtet, die Fuge ist wieder offen. Der letzte Arbeitsschritt besteht im Einschlämmen von Fugenmaterial mit erheblichem Wassereinsatz. Ziel ist eine feste Lagerung der Pflastersteine und eine hohe Lagerungsdichte des Pflastersandes, und zwar sowohl der Bettung als auch der Fuge. Das Einschlämmen erfordert wie alle Arbeitsgänge beim Pflastern eine hohe Sorgfalt. Ein Sprichwort lautet: „Gut geschlämmt ist halb gerammt.“ 7. Abnahme von Bauleistungen Mit einer Abnahme-Checkliste für das Gewerk: Pflasterdecken und Plattenbeläge, Einfassungen - DIN 18318 sollten die Profilgerechte Lage, die Abmessungen, Beschädigungen, Verband, Fugen, Bettung, Einfassungen, Rinnen und Pflasterflächen in gebundener Bauweise überprüft und dokumentiert werden. Literaturangaben [1] „Altstadtpflaster ganzheitlich gestalten“, Arbeitshilfe, 2018 Arbeitsgemeinschaft Historische Stadt- und Ortskerne in NRW, www.hso-nrw.de [2] „RStO 12“, Richtlinien für Standardisierung des Oberbaues von Verkehrsflächen, FGSV-Verlag, Köln [2] “Pflaster Atlas“ 5. Auflage, Dr. Ing. Horst Mentlein, Verlagsgesellschaft Rudolf Müller GmbH & Co. KG [3] „ZTV-Wegebau“, 2013, Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen für den Bau von Wegen und Plätzen außerhalb von Flächen des Straßenverkehrs, FLL e.V. [4] Verein Qualitätssicherung Pflasterbauarbeiten e.V. Geschäftsstelle: Grosswallstädter Straße 7a, 63843 Niedernberg [5] Zeichnungen SLG, aus Vortrag: „Regelgerechte Herstellung von Betonpflasterbauweisen“ (FCN- Academy 2019, Betonverband Straße, Landschaft, Garten e.V. (SLG) Ditmar Ulonska, Schloßallee 10, 53179 Bonn [6] „Die Kunst des Pflasterns mit Natursteinen“, Siegfried Vogel, TUSA Natursteine GmbH, Freudenstadt 2003 [7] „Flächenbefestigung im privaten und öffentlichen Bereich“, Sopro Planer 9.0, Kapitel 13; www.sopro.com [7] „Kleinpflaster Verlegen und Gestalten“, Friedrich Wilhelm Noll, Originalausgabe von 1911, Reprint- Verlag Leipzig [8] Forum Natursteinpflasterarbeiten e.V., Claus-Peter Spuhn, 17291 Prenzlau, Neubrandenburger Str. 11 [9] Stadt Bielefeld, Amt für Verkehr August-Bebel-Str. 92, 33602 Bielefeld [10] „Weißer Ordner“ Lernbuch Handlungsorientierte Bau-Ausbildung, Bau-ABC Rostrup [11] Netzwerk Pflasterbau, IG Deutscher Pflasterer und Steinsetzer e.V., Berkumer Weg 2, 31226 Peine [12] „ZTV Pflaster-StB 20“, FGSV, Köln [13] „ATV DIN 18318“, VOB Teil C, Ausgabe 2019 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Januar 2021 227 29.10.2020 1 Randeinfassungen aus Bordsteinen Dipl.-Ing. (FH), Auditor, Franz Knobling Leiter QSP-Arbeitsgruppe Präsentation des Vereins in Verbänden, Ausschüssen, Vereinen, Normenausschuss, Techn. Ausschuss QSP - Pflasterpraxisseminar 07/ 24/ 2020 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Aus der Praxis für die Praxis Randeinfassungen aus Bordsteinen Ein vergessener Bauteil ? 07/ 24/ 2020 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor • Rinnen und Einfassungen sind Bauteile, die mit einem vergleichsweise hohen Anteil an handwerklichen Leistungen erstellt werden....... • Das Merkblatt Randeinfassungen und Rinnen ist insbesondere auf der Grundlage baupraktischer Erfahrungen Maßstab für fachgerechtes Verhalten bei der Planung und Ausführung. ( Entwurf 7-2020 ) Die Planungsphase ist sehr wichtig, genaue Beschreibung, Forderungen….. 07/ 24/ 2020 3 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Randeinfassungen, es tut sich was ‚M RR‘ • 3 Fotos zur Einstimmung Randeinfassungen aus Bordsteinen 07/ 24/ 2020 4 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Randeinfassungen aus Bordsteinen Dipl.-Ing. (FH), Franz Knobling Randeinfassungen aus Bordsteinen 228 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Randeinfassungen aus Bordsteinen 29.10.2020 2 Mängelbeispiele zur Einstimmung 07/ 24/ 2020 5 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor 07/ 24/ 2020 6 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Mängelbeispiele zur Einstimmung 07/ 24/ 2020 7 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Mängelbeispiele zur Einstimmung • Was bedeutet dies für eine Baufirma, insbesondere innerhalb der Gewährleistung? Auswirkungen von Mängel 07/ 24/ 2020 8 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor 29.10.2020 3 • Ortstermine • Schriftverkehr • Imageschaden • Kosten • Zusätzliche Zeit • Jetzt muss auch der Chef mit ran • Was hält uns davon ab, gleich …. Auswirkungen von Mängeln 07/ 24/ 2020 9 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor • …. sind auf mindestens 20 cm dickes Fundament mit Rückenstütze aus Beton zu versetzen. • Die Druckfestigkeit des Betons von Fundament und Rückenstütze am fertigen Bauteil muss mindestens 8,0 N/ mm 2 betragen, bei Bord- oder Einfassungssteinen, die überfahren werden, 15 N/ mm 2 . • Neue ZTV-Pflaster: 12 MPa (Prüfalter 28 Tg. ) • Was kommt in der neuen DIN 18318 hierzu ? • Beton C 20/ 25 gefordert, ohne Festigkeit am fertigen Bauteil. • Der Beton ist zu verdichten. • Die Rückenstütze ist …in Schalung herzustellen. Randeinfassungen aus Bordsteinen 07/ 24/ 2020 10 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor • Die DIN 18318 reine Theorie? • Viele Praktiker meinen es gäbe eh keine Schäden am Bettungs- und Rückenstützenbeton; daher Forderung nach bestimmten Festigkeiten nicht notwendig. • Verschiedene AG‘s schreiben inzwischen keine bestimmte Betonqualität vor, aber Festigkeiten für alle Bereiche mit 15 N/ mm2 Randeinfassungen aus Bordsteinen 07/ 24/ 2020 11 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor •sehr guter Ausschreibungstext ! ? Leistungsverzeichnis 07/ 24/ 2020 12 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Randeinfassungen aus Bordsteinen 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 229 29.10.2020 4 • Hochbord (HB) 120/ 150/ 250 Randeinfassungen aus Betonhochbordsteinen120/ 150/ 250 mm, liefern und versetzen. Die Bordsteine müssen DIN-EN 1340 und DIN 483 entsprechen.Dehnungsfuge nach Positionsbeschreibung Dehnungsfugen liefern und einbauen, Rückenstütze aus Beton nach DIN EN 206-1, C 20/ 25, Konsistenz C1, Körnung 0/ 16, bis 10 cm unter OK Bordstein 15 cm breit herstellen. Rückenstütze senkrecht abschalen. Radienschalung einkalkulieren. Unterbeton C 20/ 25, Konsistenz C1, Körnung 0/ 16, in verdichtetem Zustand mind. 20 cm dick, herstellen. Beton während Transport und Lagerung vor Verdunstung schützen, z.B. mit dicht anliegender Folie. Nachbehandlung nach DIN 1045-3. Feuchteverlust, Frosteinwirkung, Erschütterungen. Randeinfassungen aus Bordsteinen 07/ 24/ 2020 13 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor 07/ 24/ 2020 14 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Bauausführung 07/ 24/ 2020 15 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor • Neue ZTV-Pflaster 3.6 ( Abs. 3 ): • Ab BK 1,8 gem. RSTO und regelmäßig Schwerverkehr: Haftvermittler auf der Unterseite der Bauteile herstellen. Bauausführung 07/ 24/ 2020 16 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor 29.10.2020 5 Überstand Pflaster-Bordstein ? ? 07/ 24/ 2020 17 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Randeinfassungen aus Bordsteinen 07/ 24/ 2020 18 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Randeinfassungen aus Bordsteinen 07/ 24/ 2020 19 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor 07/ 24/ 2020 20 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Bauausführung Randeinfassungen aus Bordsteinen 230 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 29.10.2020 6 07/ 24/ 2020 21 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Bauausführung Verdichtung Schuhgröße 42 ? 07/ 24/ 2020 22 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Verdichtung Schippe ? ? ? 07/ 24/ 2020 23 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor 07/ 24/ 2020 24 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Bauausführung 29.10.2020 7 • Die Breite von Rückenstützen sollte zu unbefestigten Flächen hin mindestens 15 cm betragen. • Für Rückenstützen, die häufig höheren mechanischen Belastungen ausgesetzt sein können, z. B. in Kreisverkehren oder Ein- und Ausfahrten mit engen Radien, können auch größere Breiten und höhere Druckfestigkeiten erforderlich sein. ZTV-Pflasterbauarbeiten, DIN 18318 07/ 24/ 2020 25 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor 07/ 24/ 2020 26 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Bauausführung Randeinfassungen aus Bordsteinen 07/ 24/ 2020 27 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Bauausführung 07/ 24/ 2020 28 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Randeinfassungen aus Bordsteinen 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 231 29.10.2020 8 07/ 24/ 2020 29 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Bauausführung Bauausführung 07/ 24/ 2020 30 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Bauausführung 07/ 24/ 2020 31 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor 07/ 24/ 2020 32 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Bauausführung 29.10.2020 9 Bauausführung 07/ 24/ 2020 33 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Bauausführung 07/ 24/ 2020 34 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Bauausführung 07/ 24/ 2020 35 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Bauausführung 07/ 24/ 2020 36 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Randeinfassungen aus Bordsteinen 232 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 29.10.2020 10 Bauausführung 07/ 24/ 2020 37 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Bauausführung 07/ 24/ 2020 38 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Bauausführung 07/ 24/ 2020 39 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Bauausführung 07/ 24/ 2020 40 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor 29.10.2020 11 07/ 24/ 2020 41 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Bauausführung 07/ 24/ 2020 42 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Bauausführung 07/ 24/ 2020 43 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Bauausführung 07/ 24/ 2020 44 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Bauausführung Randeinfassungen aus Bordsteinen 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 233 29.10.2020 12 07/ 24/ 2020 45 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Bauausführung 07/ 24/ 2020 46 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Bauausführung Bedenken angebracht , angemeldet ? 07/ 24/ 2020 47 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Randeinfassung fehlt 07/ 24/ 2020 48 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor 29.10.2020 13 Fehlende Randeinfassung ? 07/ 24/ 2020 49 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor • Wie viele Meter Bordsteine sollten heute nach Bauzeitenplan* gesetzt werden? • Wann sollte der Sub mit wie vielen Mitarbeitern auf der Baustelle sein? Wann kam er? • Wann kommt der Beton, welche Menge, Sorte • Betonhaufen abdecken, Schutz gegen Sonne und Wind siehe ZTV-Pflaster 2020, Pkt. 3.6, Abs. 1+2 mit Randstrich I 07/ 24/ 2020 50 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Bauausführung • Thema: Beton-Verzögerer - Verlängert die Verarbeitungszeit des Betons - Das zum Abbinden ( Hydration ) erforderliche Wasser wird erst später gebunden, d. h. das Wasser verdunstet in der Zwischenzeit . - Damit steigt die Gefahr des Verdurstens des Betons erheblich. 07/ 24/ 2020 51 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Bauausführung 07/ 24/ 2020 52 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Bauausführung Randeinfassungen aus Bordsteinen 234 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 29.10.2020 14 • Bewegungsfugen ( Raumfugen ) bei Randeinfassungen und Entwässerungsrinnen • Herstellung durch Fugenfüllstreifen, Dehnscheiben aus recyceltem Gummigranulat, Neukautschuk • Frage nach der Stauchfähigkeit ? • Wie sind die Fugen zu schliessen und abzudichten? Regelungsbedarf ? 07/ 24/ 2020 53 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor • Aktueller Stand: • Die Breite der Bewegungsfuge sollte mind. 8 bis 15 mm betragen. Bewegungsfugen sind vollständig mit einem beständigen, frostsicherem stauch- und vollständig rückstellfähigem Unterfüllmaterial abzustellen. Das Material der Fugenfüllung sollte eine Verformung von min. 5 mm bzw. mind. 50 % der Fugenbreite ohne schädliche Spannung im Bauteil ermöglichen. Regelungsbedarf 07/ 24/ 2020 54 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor • …Im Hinblick auf die Tatsache, dass die Werte sehr deutlich den geforderten Druckfestigkeitswerten von 15 N/ mm2 unterschreiten ( 4,8 - 8,6 N/ mm2 ), fordern wir Sie auf, die Bordsteinanlage auszubauen und durch eine ordnungsgemäß hergestellte Bordsteinanlage entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen und den DIN-Normen zu ersetzen….>> und nun ? ? ? ? ? Bittere Konsequenzen 07/ 24/ 2020 55 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Randeinfassungen 07/ 24/ 2020 56 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor 29.10.2020 15 •Qualität ist nicht alles, aber alles ist nichts ohne Qualität 07/ 24/ 2020 57 Dipl.-Ing. (FH) Franz Knobling, Auditor Bauausführung 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 235 Geotextilien im Pflasterstraßenbau unter den Gesichtspunkten der Oberbaumechanik Alexander Eichler Lithonplus GmbH & Co. KG, Elchingen, Deutschland Zusammenfassung Im Vortrag wird auf die praktische Umsetzung und Grundfunktionen von Geokunststoffen im Pflasterstraßenbau eingegangen. Geokunststoffe werden in der Pflasterbauweise in unterschiedlichsten Funktionen mit der Hauptaufgabe - trennen und filtern eingesetzt. Als neue Produktgruppe werden Aquatextilen vorgestellt. Die Aquatextilien erfüllen die Grundeigenschaften von Geotextilien trennen, filtern, sichern - und bauen zusätzlich vom Straßenverkehr über das Niederschlagswasser eingetragene Kohlenwasserstoffe ab. Sorgen also zusätzlich für eine Reinigungsfunktion. Die Inhalte des Vortrages basieren auf anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen und aktuellen Begutachtungen langjährig verbauter Flächenbefestigungen mit Pflasterdecken. 1. Oberbaumechanik - Scherfuge durch Geokunststoffe? Die häufigste Anwendung von Geokunststoffen dürfte in der Überdeckung offenporiger Strukturen von Dränbeton bzw. Drainasphalttragschichten liegen. In dieser Lage könnte aufgrund einwirkender Horizontalspannungen eine Scherfuge entstehen. Überlegungen zur Oberbaumechanik untermauern die Annahme einer Scherfuge durch eine mögliche Reduktion der Reibung zwischen den Schichten. Diese Modellrechnungen basieren auf klassischen und validen Ansätzen aus dem Erd- und Grundbau, sowie der Halbraumtheorie. Als Zwischenschicht (Geokunststoff - zwischen Bettung und Tragschicht) bestünde so die theoretische Gefahr, dass sich eine Scherfuge ausbilden könnte. Allerdings wurde nach den Untersuchungen der Ruhr Universität Bochum festgestellt, dass bei allen Versuchsaufbauten mit Geotextilien keine zusätzliche kritische Scherfuge entstand. In der Materialprüfungs- und Versuchsanstalt, MPVA Neuwied, wurden 2019 Untersuchungen zum Verschiebewiderstand durchgeführt. Neben unterschiedlichen Fugen- und Bettungsmaterialien, wurden Steindicken und Verbände variiert sowie Geokunststoffe in diversen Schichten - unter Pflaster bzw. unter der Bettung angeordnet. Geokunststoffe hatten immer einen sichtund/ oder messbaren Einfluss auf die Aufnahme von Horizontalkräften, wobei die Reibungsbeiwerte der untersuchten Aufbauten mit Geokunststoffen in jeder Konstellation auch als Schichttrennung zwischen Stein und Bettung in der versuchsüblichen Schwankungsbreite von Pflasterdecken ohne Geokunststoffe lagen. Insofern bestätigen auch diese Untersuchungen die Ergebnisse der Ruhr Universität Bochum. Die Annahme einer zusätzlichen Scherfuge ist auch nach praktischen Beobachtungen zu vernachlässigen. 2. Geokunststoffe 2.1 Geotextilien Geotextilen sind wasserdurchlässige, textile Baustoffe mit flächenhafter Ausprägung, deren normative Zuordnung mit einer Anwendung gekoppelt ist. Die DIN EN 13249 „Geotextilien und geotextilverwandte Produkte - Geforderte Eigenschaften für die Anwendung beim Bau von Straßen und sonstigen Verkehrsflächen (mit Ausnahme von Eisenbahnbau und Asphaltoberbau)“ behandelt den Einsatzbereich „filtern, trennen und bewehren“. Die Anforderungen dieser Norm beziehen sich jedoch meist auf die Funktion „bewehren“. In Pflasterdecken sind die maßgeblichen Parameter „filtern und trennen“. Aufgrund einer allgemeinen und diffusen Normenlage für den Einsatzbereich in Pflasterkonstruktionen, ist es empfehlenswert, die technischen Anforderungen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse und Erfahrungswerte festzulegen. 2.2 Aquatextilen Aquatextilen sind eine eigene Produktgattung, die als technische Modifikation und Weiterentwicklung von Geotextilien betrachtet werden kann. Diese, den Verbundstoffen zuzurechnenden Textilien, reinigen in ihrer Geotextilien im Pflasterstraßenbau unter den Gesichtspunkten der Oberbaumechanik 236 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 primeren Funktion das Niederschlagswasser und werden so zum gezielten Abbau von Kohlenwasserstoffen eingesetzt. Die Mineralölkohlenwasserstoffe (MKW) werden über den Straßenverkehr eingebracht und das belastete Niederschlagswasser wird in den Oberbau infiltriert. Die MKW´s werden von den in den Oberbauschichten vorhandenen Bakterien abgebaut. Diese Reinigungsfunktion wird über zwei polymere Schichten gesteuert. Eine Lage hat oleophile Eigenschaften sowie ein hohes Retentions- und Speichervermögen für in den Oberbau eingedrungene Öle. Eine hydrophile Schicht bietet aufgrund der offenen Struktur des Filaments den Bakterien dauerhaften Lebensraum. In dieser Schicht werden Nährstoffe und Feuchtigkeit gespeichert. 2.3 Ausführungsarten der Geokunststoffe Vliesstoff Vliesstoffe sind einschichtige Textile und entstehen durch die Verfestigung von Matten aus regellos angeordneten Filamenten (endlose Fasern). Die Verfestigung kann mechanisch (Vernadelung), adhäsiv (Verkleben) oder kohäsiv (Verschmelzen) erfolgen. Vliesstoffe werden meist als Trennschicht und Filter eingesetzt. Gewebe Ein Gewebe besteht aus sich rechtwinklig kreuzenden Fadensystemen und unterscheidet sich durch die Art der Garne und deren Verwebung. Gewebe werden meist in Bereichen eingesetzt, in denen eine bewehrende Wirkung gefordert wird. Verbundstoffe Verbundstoffe sind mehrschichtige Textile und bestehen aus miteinander flächenhaft zusammengesetzten Vliesstoffen, Geweben oder anderen Flächengebilden. Die Verbundstoffe unterscheiden sich in ihrer Struktur und ihrer technischen Nutzung. Verbundstoffe werden überwiegend bei sich überlagernden Anforderungen, wie Filtern von Bettungsmaterial und Ableitung von Wasser in der Ebene, eingesetzt. 3. Grundfunktionen Geotextilien im Pflasterstraßenbau sind klassischen Aufgabenbereichen zuzuordnen. Die Funktionen trennen, sichern und filtern sind strenggenommen sehr eng verwandt und bedingen einander. • Trennen • Filtern • Reinigen 3.1 Trennfunktion Geokunststoffe werden im Pflasterstraßen- und Wegebau vorrangig zur Trennung von Schichten mit ausgeprägten Hohlraumgehalten (z.B. offenporige Tragschichten) eingesetzt, um das Eindringen von Feinkornanteilen in hohlraumreichere Strukturen signifikant zu verringern. Dabei sollten Geo- und Aquatextilien mit einer Überlappung von etwa 50 cm verlegt werden. Ein Vernähen oder Verschweißen ist im Pflasterstraßenbau unüblich. 3.2 Filterfunktion Geokunststoffe halten als Filter abhängig von ihrer Lage Bettungs- oder Fugenmaterialien zurück. In der Pflasterdecke wirkenden dynamischen Kräfte und eindringendes Wasser bewirken Umlagerungen von Kornfraktionen und den Transport von Feinteilen. Fließt Wasser aus einer Schicht in eine andere mit höherer Durchlässigkeit, kann der Strömungsdruck des fließenden Wassers Feinanteile oder Stützkorn aus dem einen Baustoffgemisch in die Porenräume des wasserdurchlässigeren Baustoffs transportieren. In Pflasterkonstruktionen ist jedoch von geringen hydraulischen Kräften auszugehen. Als Filter reduzieren Geokunststoffe die Erosion. Kolmationsneigungen werden nach Begutachtungen langjährig verbauter Pflasterflächen, insbesondere wenn sich ein Sekundärfilter aufbaut, auf ein unschädliches Maß begrenzt. Kornumlagerungseffekte können wie folgt umschrieben werden. Suffosion Hierunter sind die Umlagerung und der Transport feiner Fraktionen eines Mineralstoffes durch den vorhandenen Porenraum auch unter Einfluss von Wasser zu verstehen. Erosion Erosionsvorgänge sind durch die Umlagerung und den Transport nahezu aller Fraktionen an der freien Oberfläche oder im Inneren des Baustoffgemisches infolge frei fließenden Wassers oder durch Sickerwasser gekennzeichnet. Kolmation Kolmation beschreibt die Ablagerung von feinen Partikeln aus dem Sickerwasser an der Oberfläche eines porösen Mediums oder in den Poren bzw. Hohlräumen desselben. Voraussetzung für das Auftreten einer Kolmation in der Pflasterdecke ist immer die Suffosion bzw. die Erosion des Bettungs- oder Fugenstoffs. Geotextilien im Pflasterstraßenbau unter den Gesichtspunkten der Oberbaumechanik 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 237 3.3 Reinigende Funktion Aquatextilien verbinden die Grundeigenschaften von Geotextilien mit einer Reinigungsfunktion. Kohlenwasserstoffe des in den Oberbau infiltrierten Niederschlagwassers werden zurückgehalten und abgebaut. Die zweilagigen Textileinlagen sind aufgrund ihrer unterschiedlichen Basisfunktionen den mechanisch verfestigten Verbundstoffen zuzurechnen. Eine oleophile Schicht nimmt die Kohlenwasserstoffe auf, während eine weitere Schicht Feuchtigkeit speichert. In diesem auch mit Nährstoffen angereicherten Lebensraum werden im Erdreich vorhandene anaerobe Bakterien zum Abbau der Kohlenwasserstoffe aktiviert. Als Abfallprodukte entstehen mit H2O und CO2 ungiftige Produkte. Die Abbauraten und das Rückhaltevermögen, sind als sehr hoch einzuschätzen. So übertreffen Systeme mit Aquatextilien nach Untersuchungen der KIWA - eine europäische Institution für Prüfung, Inspektion und Zertifizierung die Anforderungen an Klasse 1 Abscheideranlagen für Leichtflüssigkeiten nach DIN EN 858-1 [9] mit einem zulässigen Restölgehalt im Wasser von < 5 mg/ l. In Versuchsständen mit Pflasteraufbauten konnten bei Verwendung von einem Aquatextil unter dem Pflaster ein Restölgehalt von < 2 mg/ l nachgewiesen werden. In einer weiteren Konstruktion wurden ein Aquatextil unter der Pflasterdecke und ein weiteres unter der Tragschicht zum Einsatz gebracht. In diesem leistungsfähigen Aufbau konnte nur noch ein Restölgehalt von < 1 mg/ l nachgewiesen werden. Bild 1: Prüfeinrichtung zur Messung der Ölbindekapazität (Quelle Kiwa) 4. Geotextilrobustheitsklasse Die wichtigsten Auswahlparameter im Pflasterstraßenbau sind die Filterbedingungen, die Wahl der Geotextilrobustheitsklasse (GRK) und die Wasserdurchlässigkeit. Die Bemessung der Vliese ist im Wesentlichen abhängig von der Korngrößenverteilung, der zu entwässernden Schicht sowie der hydraulischen und der mechanischen Belastung. Zur Sicherung der dauerhaften Durchlässigkeit sollte in Pflasterdecken auf eine Begrenzung der abschlämmbaren Bestandteile insbesondere in der Bettungsschicht geachtet werden, da davon auszugehen ist, dass sich unter mechanischer Beanspruchung Sekundärfilter nicht immer stabil und flächendeckend ausprägen können. Die Wahl der Geotextilrobustheitsklasse (1 = niedrigste; 5 = höchste GRK) hängt von unterschiedlichen Anwendungsfällen ab. Die Geotextilrobustheitsklassen werden anhand der Beanspruchung durch das Schüttmaterial (in diesem Falle Bettungsmaterial) unterschieden und abhängig vom Einfluss der Beanspruchung durch Einbau und Baubetrieb eingeteilt. Im Erdbau des Straßenbaus werden mindestens Geotextilien ab GRK 3 eingesetzt. Im Pflasterstraßenbau können Geotextilrobustheitsklassen nicht eindeutig zugeordnet werden, da es sich um einen Sonderfall handelt. Nach den Beanspruchungsklassen des M GeoK steht einer Einordnung der Geokunststoffe in Pflasterdecken mit GRK 3 nichts entgegen. Weder das Schüttmaterial noch die Einbaubedingungen stellen eine besondere Beanspruchung dar. In Untersuchungen der Ruhr Universität Bochum wurden Geotextilien der GRK 4 und GRK 5 ausgewählt, da neben einer mutmaßlich hohen Beanspruchung unter der Pflasterdecke, dickere Geokunststoffe aufgrund besserer Durchlässigkeitsbedingungen vorteilhaft sein könnten. Nach den Untersuchungen sollte auch die Durchlässigkeit des Filters über die gesamte Betriebsdauer größer sein als die Durchlässigkeit der zu entwässernden Tragschicht. Es dürfe zu keinem Zeitpunkt zu einem Wasserrückstau kommen, auch wenn die Filterwirksamkeit mit der Zeit durch Einlagerungen von Feinkorn im Filter oder Anlagerungen an der Oberfläche sinkt. Bei dieser Annahme bleibt jedoch das real in den Oberbau eingeleitete - Fugenwasser unberücksichtigt. Wenn man den „ungünstigen“ Einsatzbereich von versickerungsfähigen Verkehrsflächen mit bestimmungsgemäß zugeführten Niederschlagswasser betrachtet, liegen die Durchflussraten von Geokunststoffen bzw. der offenporigen Tragschichten deutlich höher als die bemessungsrelevante Durchlässigkeit mit > 5 x 10-5 m/ s. In der konventionellen Bauweise ist bei fachgerechter Ausführung und Unterhaltung mit deutlich geringeren Wassermengen zu rechnen. Daher können Durchlässigkeitsbeiwerte > 1 x 10-3 m/ s für fachgerecht eingesetzte Geo- und Aquatextilien unabhängig von der Tragschicht als ausreichend angenommen werden. Grundsätzlich gibt es zwei Filtermodelle: Das eindimensionale Modell, welches von einer Siebwirkung des Filters ausgeht, und das dreidimensionale, bei dem Tiefenfiltration vorausgesetzt wird. Im eindimensionalen Geotextilien im Pflasterstraßenbau unter den Gesichtspunkten der Oberbaumechanik 238 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Modell wird ein Sekundärfilter ausbildet. Modelle mit Sekundärfilter, welches eher mit Geotextilien bis zu GRK 3 zu erwarten ist, sind nach Einschätzungen der Ruhr Universität Bochum nicht für den Einbau bei Wechselbeanspruchungen geeignet. Die wechselnden Belastungen können ein Zusammenbrechen der Sekundärfilterstruktur bewirken, sodass es zu instabilen Filterverhältnissen kommt. Das dreidimensionale Modell, welches eher für dickere Geotextilien der GRK 4 und GRK 5 zutrifft, lässt die Durchwaschung oder Anlagerung feiner Gesteinskörnungen in den Filterporen zu. Das Wasser kann, durch die mehrschichtige Struktur des Geotextils um die „verstopften“ Poren herum fließen, so lange noch ausreichend offene Poren zum Wasserabfluss zur Verfügung stehen. Praktische Erfahrungen hingegen zeigen, dass auch dünnere Geotextilien zuverlässig eingesetzt werden können. Im Innenstadtgebiet von Ulm wurden vom Verfasser Flächenbefestigungen begutachtet. Die mit großformatigen Steinen gepflasterten Verkehrsflächen können aufgrund von Belastungsspitzen der Belastungsklasse Bk 1,0 zugerechnet werden. Verlegt wurden die Pflastersteine in Bettungsmaterial der Korngruppe 0/ 5 auf einer Drainbetontragschicht. Als Schichttrennung wurden Vliese, der Geotextilrobustheitsklasse GRK 3, aus Polypropylen mit 2,5 mm Dicke und einem Flächengewicht von > 175 g/ m² eingesetzt. An zahlreichen Stellen wurden Steine entnommen und die verbauten Geotextilen augenscheinlich auf Beschädigungen überprüft und die Wasserdurchlässigkeit qualitativ nachgewiesen. Beschädigungen des Geotextils waren an keiner Stelle sichtbar und die Wasserdurchlässigkeit war immer nachweisbar. Das eingebrachte Wasser versickerte in Sekundenschnelle. Eine Ausnahme war ein temporär hoch belasteter Kreuzungsbereich. Dort konnten augenscheinlich sichtbare Kolmationseffekte beobachtet werden. Eine Infiltration war vorhanden, jedoch auffällig langsamer als in den weiteren untersuchten Bereichen. Diese augenscheinlichen Effekte würden die Theorie einer mangelnden Ausprägung eines Sekundärfilters unter starker Belastung unterstützen. Nach Sicht des Verfassers können bei abgestimmten Bettungsmaterialien Geokunststoffe GRK 3 verwendet werden. Quellennachweis auf Anfrage 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 239 Sonderbauweise: Versickerungsfähige Pflasterflächen als Chance zur Beeinflussung des Mikroklimas in den Städten Siegfried Bolz Sachverständiger Bolz, Meßkirch, Deutschland Zusammenfassung Der Klimawandel ist da. Die Sommer werden heißer und die Winter werden milder. Die Niederschläge verlagern sich. Die Städte heizen sich im Sommer immer mehr auf. Um dem zunehmenden Erhitzen in Innenstädten entgegen zu wirken werden immer neue Konzepte aufgestellt. Dies fängt an bei der Ausrichtung der Straßen. Beinhaltet die Begrünung der Städte und geht weiter über die Ableitung des Oberflächenwassers. Welche Rolle kann bei diesen Punkten nun das Versickerungsfähige Pflaster oder Versickerungsfähige Pflastersysteme übernehmen? Fakt ist, dass in Städten die meisten Flächen als Verkehrsflächen genutzt werden. Diese gilt es so umzugestalten, dass sie dem Verkehrsaufkommen noch Stand halten können. Das heißt, diese müssen genauestens auf ihre Verkehrslast untersucht werden und dann in die Städtebauliche Planung aufgenommen werden. Die Herausforderung ist, diese Flächen Verkehrsgerecht zu gestalten. 1. „Sonderbauweise: Versickerungsfähige Pflasterflächen als Chance zur Beeinflussung des Mikroklimas in den Städten“ In Deutschland werden stetig neue Flächen für Arbeiten, Wohnen und Mobilität belegt. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts hat sich die Siedlungs- und Verkehrsfläche von 1992 bis 2018 von 40.305 auf 49.819 Quadratkilometer (km²) ausgedehnt. Damit ist die Siedlungs- und Verkehrsfläche in den letzten 26 Jahren um 9.514 km² bzw. 23,6 % angestiegen (siehe Abb. „Siedlungs- und Verkehrsfläche nach Art der tatsächlichen Nutzung“). Rechnerisch entspricht dies einem Zuwachs von durchschnittlich 104 ha oder etwas mehr als 1 km² pro Tag. Mit Blick auf die Teilflächen dehnte sich die Siedlungsfläche um 33,1 % und die Verkehrsfläche um 9,8 % aus. [3] Sonderbauweise: Versickerungsfähige Pflasterflächen als Chance zur Beeinflussung des Mikroklimas in den Städten 240 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Tabelle 1 Die Sommer werden heißer und die Winter werden milder. Die Niederschläge verlagern sich, die Niederschlagsmenge im Winter erhöht sich, im Sommer wird es immer weniger. Die Städte heizen sich im Sommer immer mehr auf. Um dem zunehmendem Erhitzen in Innenstädten entgegen zu wirken werden immer neue Konzepte aufgestellt. Dies fängt bei der Ausrichtung der Straßen an. Beinhaltet die Begrünung der Städte und geht weiter über die Ableitung des Oberflächenwassers. [1] Aber die Städte sind nun mal schon da, sind über Jahrhunderte entstanden und haben sich nach und nach mit immer mehr Menschen und Gebäuden gefüllt. Welche Rolle kann bei diesen Punkten nun das Versickerungsfähige Pflaster oder Versickerungsfähige Pflastersysteme übernehmen? 1.1 Einfluss der Farbe Wie wohl bekannt ist nehmen dunkle Farben mehr Wärmestrahlung auf als helle. Die Farbe der Pflastersteine spielt aus diesem Grund eine sehr wichtige Rolle bei der Auswahl der Flächengestaltung. Zum Beispiel wurden die Gleise in Würzburg mit weißer Farbe gestrichen. Das hat einen Temperaturunterschied von bis zu acht Grad Celsius zu den normalen Gleisen ausgemacht. [4] Gerade in windgeschützten Bereichen ist es wichtig sich besonders intensiv damit zu beschäftigen. Hier kommt es zu geringem Wärmeaustausch, somit staut sich die Wärme erhitzter Pflastersteine besonders lange. Bei dunklen Steinen wird bis zu 20 % mehr Wärme absorbiert als bei hellen Steinen. Im Umkehrschluss heißt das, wenn wir helle Pflastersteine benutzen, erhitzt sich die Fläche nicht so stark. Dies wiederum verringert die Temperatur oberhalb der Pflasterfläche. Einen kleinen Einfluss kann also schon die Farbwahl des Pflastersteins haben, um das Mikroklima zu beeinflussen. 1.2 Einfluss des Wassers und der Bepflanzung Der zweite Einfluss ist sehr viel weitreichender. Versickerungsfähiges Pflaster und Pflastersysteme sind in erster Linie dazu da, Oberflächenwasser in den Untergrund abzuleiten, um die Kanalisation zu entlasten. Es dürfen aber nur Flächenbeläge mit der Zulassung des Deutschen Instituts für Bautechnik (DIBt), die in der Lage sind, in sehr hohem Maße Stoffe zurückzuhalten, verwendet werden, sobald das Verkehrsaufkommen zu hoch wird.[2] In der Vergangenheit wurde aber auch noch ein zweiter Aspekt bei diesen Systemen festgestellt. Die Verdunstung von Wasser über diesen Flächen ist höher als bei andern Verkehrsflächen. Dies führt auch zu einer niedrigeren Temperatur. Die Verdunstung ist Abhängig von der Beschaffenheit der Steine, der Speicherfähigkeit des Untergrundes, der Fugengröße und dem Fugenmaterial. Das bedeutet um das Mikroklima zu beeinflussen müssen wir uns diese Faktoren genau anschauen. Die Speicherfähigkeit des Untergrundes muss sich mit der Tragfähigkeit dessen gut vertragen. Dies setzt jedoch voraus, dass die Verkehrsflächen nicht zu hoch belastet werden dürfen. Oder es müssen neue Wege beschritten werden. Die Tragfähigkeit und die Versickerungsrate müssen besser angepasst werden. Meine persönlichen Beobachtungen bei stark frequentierten Pflasterflächen mit Versickerungssystem sind dahin- Sonderbauweise: Versickerungsfähige Pflasterflächen als Chance zur Beeinflussung des Mikroklimas in den Städten 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 241 gehend meist negativ. (Parkflächen vor Einkaufzentren) Oft kann man hier beobachten, dass die Bettung und der Untergrund zu geschlämmt sind und kein Wasser mehr versickern kann. Verstärkt tritt diese Erscheinung auf, an Stellen, die mit geringem Gefälle ausgebildet worden sind. Oder an Flächen die auch bei Niederschlag stark beansprucht werden und die Versickerungsrate zu gering ist. Hier haben die Feinanteile Zeit sich abzusetzen und die bestehenden Hohlräume zuzusetzen. Bild 1 Bild 1 Somit ist das Versickerungsfähige System in sich gescheitert. Die Pflasterfläche löst sich auf. In den meisten Fällen lässt sich die Versickerungsrate, auf dem Untergrund, mit einfachen Mitteln nicht wieder herstellen. Daher gilt es erst einmal zu testen, in wie weit es Möglich ist den Untergrund tragfähig und gleichzeitig speicherfähig zu machen. Ich denke bis zur Bauklasse 3,2 haben wir schon Möglichkeiten Versickerungsfähige Pflasterflächen herzustellen, die den geringeren Belastungen Stand halten können. Bild 2 Bild 2 Die Ziele des Bundes sind jedoch ehrgeizig. Die Bundesregierung will den Flächenverbrauch bis 2020 auf 30 ha pro Tag und bis 2030 auf weniger als 30 ha pro Tag senken. Das integrierte Umweltprogramm des BMU formuliert für 2030 ein Ziel von 20 ha pro Tag. [3] Um dieses Ziel zu erreichen sind auch in der Pflasterbauweise neue Wege nicht verzichtbar. Es müssen tragfähige Systeme erforscht werden die auch über die BK 3,2 hinaus funktionieren und versickerungsfähig sind. Diese Systeme müssen jedoch auch noch reinigend sein um das Grundwasser nicht zu verunreinigen. Immer mehr Sachverständige sind inzwischen der Meinung, dass unter Pflasterflächen der Nullanteil an Feinteilen sehr gering oder sogar ausgeschlossen werden soll. Dies würde ein zu schlämmen der Hohlräume hinauszögern oder vielleicht sogar verhindern. Somit wäre die Wasserdurchlässigkeit vom Untergrund gesichert. Nun muss nur noch der Eintrag und das Absetzen von Feinanteilen verringert oder verhindert werden. Dies könnte mit Hilfe eines Filterflies geschehen. Diese können auch durch ihre reinigende Wirkung zum Schutz von Fremdstoffen in das Grundwasser beitragen. Dazu müssten Aquafliese verwendet werden. Im Straßenbau sprechen wir hier von Geotextilrobustheitsklasse GRK 3 oder höher. Diese Vliese werden zum Zeitpunkt in verschiedenen Bauprojekten beobachtet. (Bsp.: Ulm Münsterplatz) [5] Es existieren auch schon Pflastersysteme mit haufwerksporigem Kern, mit Zulassung des DIBt die versickerungsfähig und reinigend sind. Ich könnte mir aber auch vorstellen Pflasterflächen aus Naturstein auf Drainasphalt oder Drainbeton, mit einem versickerungsfähigen Fugenmaterial herzustellen. Mit Verwendung von Aquafließen könnte die notwendige Reinigung gewährleistet werden. Auch Ausweichflächen können dazu beitragen Wasser vor Ort versickern zu lassen. Wenn es aufgrund der Belastung nicht direkt auf der befahrenen Fläche möglich ist, das Wasser versickern zu lassen, muss dies in unmittelbarer Nähe geschehen. Dies kann auf angrenzenden Parkflächen geschehen. Diese sollten dann mit Rasenfugenpflaster angelegt werden. Sie haben eine erhöhte Versickerungsrate und können aufgrund der bewachsenen Substrate mehr Wasser speichern als ein Versickerungssystem ohne Begrünung. Die Reinigung durch das Substrat ist sehr gut. Auch sollte der Planer mehr Grün für die Stadtgestaltung mit einbeziehen. Hierbei sollte man beachten, dass Pflanzen verwendet werden die den Stress mit der Hitze und Trockenheit gut vertragen. Um sich den geänderten Niederschlägen anzupassen müssen aber auch andere Maßnahmen ergriffen werden. Hier sind Retentionsrinnen die das aufgefangene Wasser langsam in den Untergrund versickern lassen. eine weitere Möglichkeit. Sonderbauweise: Versickerungsfähige Pflasterflächen als Chance zur Beeinflussung des Mikroklimas in den Städten 242 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Die Herausforderung, Umweltbewusster und Nachhaltiger mit unserer Welt um zu gehen ist nicht gering. Doch sollten wir allen Möglichkeiten die wir haben ausnutzen diese Herausforderung zu meistern. Literaturangaben [1] https: / / www.bi-medien.de/ artikel-15782-gb-extremwetter-herausforderung-wassermanagement.bi [2] https: / / www.bi-medien.de/ artikel-17762-gb-belaege-wasserdurchlaessigkeit-verdunstung.bi [3] https: / / www.umweltbundesamt.de/ daten/ flaechebod e n-la nd-o eko sys teme/ fla e ch e/ sie dlung sverkehrsflaeche#anhaltender-flachenverbrauchfur-siedlungs-und-verkehrszwecke- [4] https: / / www.br.de/ nachrichten/ wissen/ hitze-inder-stadt-mit-mehr-weiss-gruen-und-blau-verringern,RXKYznH [5] Geokunststoffe im Straßenbau Fachaufsatz Alexander Eichler 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 243 LTR-Verlegung - Pflaster-Terrazzo Bernd Burgetsmeier Keltenstr.24, 86316 Friedberg www.pflaster-terrazzo.de Patent angemeldet: LTR-Verlegung - Pflaster-Terrazzo kugelgestrahlt Mit einem neuartigen Ablauf beim Einbau von gebundenen Pflastersystemen wird die Ausführungsqualität verbessert und zusätzlich lärmmindernde Effekte (LTR ) erzielt. Die Tausalzbeständigkeit der Fuge wird signifikant erhöht (LTR ). Zudem kann die Rutschhemmung (LTR) individuell auf die Oberfläche und Nutzung eingestellt werden. Hervorzuheben sind noch andere positive Effekte auf die Beständigkeit der Fugen wie Schmutzempfindlichkeit, Reinigungsfähigkeit etc. sowie größere und neue Gestaltungsvarianten. Verfahrensbeschreibung: Die aktuell in den technischen Regeln beschriebene gebundene Bauweise (kurz: gebBw) legt den Focus auf eine hohe Funktionalität, stellt aber einen Kompromiß von weiteren, aber auch begründbaren Ansprüchen dar. Zu nennen sind da in erster Linie optische Eigenschaften, Geräuschemission, Tausalzbeständigkeit sowie die Rutschfestigkeit. Bisher wurden nach den aktuellen Regelwerken Pflastersteine aus Naturstein, Klinker oder Beton mittels Haftschlämme auf einen Drainagemörtel versetzt und mit abgestimmtem Fugenmörtel ausgefugt. Nach Beginn der Ansteiffase wurde abschließend die Oberfläche manuell oder mittels Schwammputzmaschine abgewaschen. Aufgrund der erforderlichen Reinigungswirkung entstanden oftmals ungewollte Fugenvertiefungen. Zudem wurde oft beobachtet, dass sich durch das Abwaschen der Wasserzementwert in der Fugenoberfläche verschlechterte. Dies führte bereits in den ersten Betriebsjahren durch 244 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 LTR-Verlegung - Pflaster-Terrazzo Witterungseffekte und mechanische Beanspruchungen zu einem verstärkten Verschleiß der Fugenfüllung. Bei der gebBw haben die verschiedenen Mantelflächen des Pflastersteins (Quader: Oberseite, 4 Seitenflächen, Unterseite) unterschiedliche Anforderungen zu erfüllen. Während die Oberseite gestaltungs-/ nutzungsabhängig ist, müssen die Seitenflächen eine gute Haftzugfestigkeit zum Fugenmörtel eingehen und die Unterseite in Verbindung mit der Haftschlämme eine gute Haftzugfestigkeit mit der Bettung. Pflaster Terrazzo Das neuartige Verfahren verzichtet nach dem Anstarren auf den Abwaschvorgang. Es wird lediglich der Fugenmörtel im frischen Zustand mittels Gummibzw. Schaumstoffschaber abgezogen. Nach Aushärtung des Fugenmörtels wird die Oberfläche durch Kugel- oder Sandstrahlen, Flammstrahlen, Stocken und/ oder Schleifen gereinigt und zugleich veredelt. Es wird also die restliche Zementschlämme abgetragen und gleichzeitig die gewünschte Oberflächenqualität durchgängig an Stein und Fuge hergestellt. Die Pflastersteinoberflächen können daher unabhängig von den Produktionstätten einfacher und günstiger produziert werden (z.B. Naturstein mit gesägter Oberfläche, Beton mit Vorsatz als Rohling). Alle veredelnden Oberflächenverfahren können so im Nachgang zielgerichteter auf Stein und Fuge gleichzeitig realisiert werden - Pflaster-Terrazzo. Dadurch können aber auch die Seitenflächen und die Unterseite individueller an das System angepasst werden. Es kann bei Betonstein die Fertigung mit reduziertem w/ z-Wert erfolgen, wodurch die angeformten Abstandshalter qualitativ leiden, also nicht mehr sauber ausgebildet werden können. Diese Abstandshalter sind aber für die gebundene Bauweise ohne Bedeutung, da die Fugenbreite sowieso vergrößert werden muß. Der Vorteil liegt an der rauheren Seitenfläche der Betonsteine, die zu einer höheren Haftzugfestigkeit in der gebBw führt. Bei Naturstein können entsprechende Profilierungen ebenso die Haftzugfestigkeit signifikant erhöhen. Auch bei den Steinunterseiten können entsprechende Vorgänge leistungssteigernd auf das Gesamtsystem eingesetzt werden, z.B. Profilierungen, z.B. LP 5, 5f oder VS 5. Vorteile: - Höhere Ebenheit, da glatte/ gesägte Steine genauer versetzt werden können. - Beseitigen von ganz leichten Überständen benachbarter Pflastersteine, sog. Überzähne durch das nachträgliche Bearbeiten der Oberfläche. - Höhere Fugenfestigkeit, da die Fuge bei unbearbeiteter Steinoberfläche, also ungefasten Steinkanten oben senkrecht zur spitzen Steinkante endet. Bei bearbeiteten Steinen ergibt sich zwangsläufig eine Kantenabrundung (Steinfase), wodurch die Fuge am oberen Ende eine Aufweitung bewirkt, deren Stabilität gemindert ist. Kerbspannungen werden also verringert. Die klassische gebundene Bauweise mit Abwaschvorgang erreicht üblicherweise eine Fugentiefe von 3-5mm und neigt zum Abwittern in der Folgezeit. - Verwendung spezieller Fugenmörtelrezepturen mit optimierter Druckfestigkeit und E-Modul. - Erhöhung der Frost-/ Tausalzbeständigkeit, weil die oberflächennahe Zone der Fuge nicht durch den Abwaschvorgang verwässert/ verdünnt wird. - Bessere Anpassungsmöglichkeiten hinsichtlich Rutschfestigkeit (alles möglich nach Kundenwunsch und Anforderung). - Bessere Anpassungsmöglichkeiten hinsichtlich Rautiefe, die sich auf die Lärmreduktion auswirkt (sh. Merkblatt für Lärmarme Pflasterbauweisen in ungebundener Ausführung, M LP FGSV 621). Es ist eine Unterschreitung der Werte des M LP anzustreben und erreichbar (noch leiser als dort beschrieben, weil die Fugenvertiefung wegfällt oder reduziert wird). - Zudem höhere Lärmreduktion wegen der Ebenheit zwischen Stein und Fuge. - Identische Rautiefe von Steinoberfläche und Fugenoberfläche. - Bessere Anpassungsmöglichkeiten hinsichtlich Schmutzempfindlichkeit von Stein und Fuge - es bleibt kein Schmutz in der Fugenvertiefung. - Hohe Tausalzbeständigkeit (es werden in der Praxis die Laborwerte der Produkthersteller nahezu erreicht). Durch die fehlende Fugenvertiefung kann kein Salzwasser in der Fuge stehen bleiben und schädigend einwirken. Hoher Abwascheffekt bei Regen und Befahrung. - Minderkosten - günstiger als die klassische gebBw, da die Oberflächenveredelung der Steine und der Abwaschvorgang des Verlegers wegfallen. Beides wird in einem Vorgang am Ende erledigt. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 245 LTR-Verlegung - Pflaster-Terrazzo Vorgehensweise: Die Planung, Bestellung und Verlegung als Regelbauweise erfolgt prinzipiell genauso wie in der klassischen gebundenen Pflasterbauweise gemäß ATV DIN 18318 Sep. 2019, TL Pflaster StB ´06/ 15, M FPgeb 2018. Es bedarf einer detaillierten Fachplanung und Abstimmung aller Komponenten. Zur regelgerechten Realisierung von höheren Belastungsklassen (Bk 1,8; Bk 3,2; Bk 10 bis hin zu Bk 32) können sowohl bei Betonpflaster als auch bei Naturstein und Klinker spezielle Verfahren produktionsseitig ergänzt werden, will man erhöhte Qualitäten/ Risseminimierung bzw. höhere Haftzugfestigkeiten erreichen. Entsprechende Eignungsprüfungen für die LTR-Verlegung liegen dem Unterzeicher für Beton und Naturstein vor. Ausführung: Versetzen von 5-seitig kugelgestrahlten Granitsteinen, Oberseite gesägt. Verfugen/ Einschlämmen mit Zementmörtel Abbinde-/ Aushärtungszeit > 28 Tage, Nachbehandlung LTR-Verlegung, Oberfläche kugelgestrahlt Vor Strahlvorgang Strahlvorgang Fugenvertiefung minimal < 1mm sh. Profilabtaster 246 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 LTR-Verlegung - Pflaster-Terrazzo Fugenvertiefung minimal < 2mm sh. Profilabtaster Pflaster-Terrazzo kugelgestrahlt : Flächenfertige Rauhigkeit nach Bedarf auf Stein und Fuge Prognostisch sind mit Betonpflastersteinen voraussichtlich noch ebenere Flächen zu erzielen, da der Festigkeitsunterschied zwischen Stein und Fuge besser egalisiert werden kann. Ausführungsbedingungen für den Strahlvorgang: • Ausgehärtete Fläche muß trocken sein. • Ausführungstemperaturen: -20°C bis +40°C Vergleich herkömmliche Bauweise zu LTR-Verlegung - Pflaster-Terrazzo Vergleich herkömmliche Bauweise zu LTR-Verlegung - Pflaster-Terrazzo 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 247 LTR-Verlegung - Pflaster-Terrazzo Fugenvertiefung herkömmliche gebBw 5-7mm, nach einigen Jahren auf > 10mm abgewittert wegen Tausalzbelastung, die im Fugenraum stehen bleibt und nicht abläuft. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an mich. Dipl.Ing. (FH) Bernd Burgetsmeier BIM in der Planung 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 251 Implizite 5D-Volumenmodelle für die modellbasierte Leistungsmeldung beim Bau der A7 (PPP) Dr. rer. nat. Klaus Tilger A+S Consult GmbH, Schaufußstraße 19, 01277 Dresden Zusammenfassung Es wird ein Ausschnitt eines praktischen Workflows dargestellt, mit dem aktuell das PPP-Projekt A7 der VIA-IMC durchgeführt wird. Die VIA-IMC ist einer der Innovationsführer beim Einsatz neuer Planungs-, Bau-, Abrechnungs- und Vermessungsmethoden. Gemeinsam mit A+S wurde und wird ein passgenauer Workflow für das ausführungsbereite Planen und Bauen mit BIM entwickelt. Die Workflows und Lösungen werden sofort in der Praxis sowie am Projekt eingesetzt, validiert, entsprechend reguliert und schließlich standardisiert. Im Vortrag wird der Schwerpunkt auf den technischen Aufbau des SOLL- und IST-Modells mit dynamischen Mengen gelegt. Dazu wird das Infrastructure Information Modelling eingeführt. Das Nachnutzen sowie Zusammenspiel zwischen Planer und Baustelle ist nicht Vortragsbestandteil. 1. Theorie: IIM BIM im Hochbau unterscheidet sich von BIM in der Infrastruktur. Konzepte des Hochbaus sind Teil der Konzepte in der Infrastruktur. Der Fokus verlagert sich auf verteilte heterogene linienhafte Planung mit essenziellem Daten- und Informationsbezug. Projekte werden mit BIM ganzheitlich und vernetzt im Team geplant, gebaut und betrieben. Alle Leistungen werden auf Grundlage fachmodellbasierten Arbeitens sowie auf Grundlage eines gemeinsamen Datenmodells erbracht. Was bedeutet fachmodellbasiertes Arbeiten? Wann, wie und in welcher Tiefe werden Fachmodelle zum Planungsinstrument? Die möglichen Antworten darauf liefern zwei unterschiedliche Ausrichtungen und somit Sichtweisen auf die Aufgabe und spätere Anwendung von Fachmodellen: Abbildung 1: Zwei unterschiedliche BIM-Strategien im Umgang mit Modellen, [1] 252 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Implizite 5D-Volumenmodelle für die modellbasierte Leistungsmeldung beim Bau der A7 (PPP) Die Workflows zur Fachplanung, Produktion - also der Übergang der Fachplanung zum Fachmodell -, zum Lifecycle 1 der Fachobjekte und Einsatz des Gesamtmodells unterscheiden sich zwischen BIM-3D-CAD und BIM-3D-Planen. Beim BIM-3D-CAD werden Koordinationsmodelle gebildet und verwendet, während beim BIM-3D-Planen keine Koordinationsmodelle erstellt werden und stattdessen immer das zentrale Gesamtmodell zur Anwendung kommt. Abhängig von der jeweiligen Fachplanung, Zielsetzung des Projekts und den verfügbaren Werkzeugen schließen sich beide Ansätze nicht wechselseitig aus und können mit den damit verbundenen Vor- und Nachteilen parallel eingesetzt und ineinander integriert werden. Umsetzungsstrategie (Idee) Abbildung 2: Umsetzungsstrategie des Workflows, [1] • Die Fachdaten werden weiterhin von der jeweilige Fachplanung erstellt, verändert und gepflegt. Somit bleiben die Fachobjekte im jeweiligen Werkzeug des Fachs und beim jeweiligen Fachplaner. Dabei können Fachobjekte in Teilen bei verschiedenen Fachplanern (durch verschiedene Fachdatengegenstände) vorliegen. • Fachdaten werden mit den jeweils geeigneten Datenformaten und Übertragungstechnologien ausgetauscht. • Die Übertragungstechnologie „wächst“ mit der Zeit und umfasst ggf. verschiedene Schnittstellen. IFC stellt hierbei nur eine mögliche Realisierung für ausgewählte Anwendungsfälle dar. Das Gesamtmodell liegt in der Cloud, wird vollständig versioniert und ist somit für alle Beteiligten zentral und gleichermaßen verfügbar. Als Übertragungstechnologie werden werkzeugneutrale Datenaustauschszenarien im Sinne von Open-BIM eingesetzt: 1 Lifecycle beschreibt die Beibehaltung einer weltweit eindeutigen Identifizierung eines Fachobjekts oder einer Information bei Änderung oder Anpassung. Fachobjekte und Information werden somit unabhängig vom konkreten Inhalt zu anderen Fachobjekten und Informationen über diese eindeutige Identifizierung vernetzt 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 253 Implizite 5D-Volumenmodelle für die modellbasierte Leistungsmeldung beim Bau der A7 (PPP) Abbildung 3: Beidseitige praktisch eingesetzte Schnittstellen A7, [2] 1.1 Aufbau impliziter 5D-Planungsmodelle Linienhafte Fachobjekte erstecken sich über einen langen Bereich der Infrastruktur. Diese bilden trotz ihrer Ausmaße genau einen Fachplanungsgegenstand. Später beim Planen der Realisierung oder beim Bauen müssen diese in Segmenten (also kleine Scheiben) betrachtet werden. Diese Segmente existieren nicht in der Fachplanung. Zum Lösen dieses Dilemmas wird die Volumensegmentierung eingeführt. Explizite Volumensegmentierung Die explizite Volumensegmentierung generiert feste und in der Planungsphase fixierte Segmente. Das geschieht in vielen Fällen extern, in dem jedem Segment ein Fachobjekt zugewiesen wird. Das führt zur fachlichen Zerlegung eines Fachplanungsgegenstands innerhalb eines Fachobjekts (Damm, Forstschutz, etc.). Damit ist die segmentierte Ansprache möglich, jedoch die Planungsvernetzung zerstört. In der hier beschriebenen Anwendung wird die Volumensegmentierung vom Verhalten des Fachobjekts intern durchgeführt. Die 1-zu-1-Relation zwischen Fachplanungsgegenstand und Fachobjekt bleibt erhalten. Die Segmente bleiben durch Fachintelligenz ebenfalls ansprechbar. Abbildung 4: Explizite Volumensegmentierung, [1] 254 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Implizite 5D-Volumenmodelle für die modellbasierte Leistungsmeldung beim Bau der A7 (PPP) Implizite Volumensegmentierung Im weiteren Planungsverlauf entstehen Segmente, die der Planer nicht vorhersehen kann. Diese Segmente existieren daher nicht bei der ursprünglichen expliziten Volumensegmentierung. Um die unbekannten Segmente ebenfalls im Modell und damit in Workflows zu integrieren, wird das Konzept der impliziten Volumensegmentierung eingeführt. Die nachträgliche Interpolation von Querprofilstellen und damit das nachträgliche Teilen von Volumen ist für die 4D-Planung oder den späteren Bauprozess notwendig. Diese nachträgliche Volumensegmentierung geschieht nach fachlicher Parametrik in der 4D-Ebene oder in einer Phase, in der die Planung abgeschlossen ist. In beiden Fällen darf die Planung der 3D-Ebene nicht verändert werden. Die Teilung muss mit der gegebenen fachlichen Parametrik also so erfolgen, dass sie das Endergebnis des Fachobjekts (Gesamtvolumen) nicht beeinflusst. Die implizite Volumensegmentierung benötigt eine interne Segmentierung und ist Voraussetzung für die Definition einer individuellen und dynamischen, erst später beim Baufortschritt bekannten Segmentierung des Fachobjekts. Abbildung 5: Implizite Volumensegmentierung, [1] Fachobjekte linienhafter Volumina sollte also durch ihr fachliches Verhalten (Fachintelligenz) in der Lage sein, dynamische Teilungen so vorzunehmen, dass ihre interne Segmentierung die Schnittbereiche der 4D-Planung oder der Ausführung individuell bedient. Dabei bleibt die Einheit des Fachobjekts bestehen und zerfällt nicht in weitere Fachobjekte. Vernetzung zwischen Fachobjekten und Informationen Die Vernetzung von Fachobjekten und Informationen sind essenzielle Merkmale von intelligenten Modellen für den Einsatz im Informationsmanagement und damit essenzielle Merkmale von BIM. Ohne Vernetzung verbleiben lediglich geometrische Repräsentationen von Fachplanungsgegenständen mit ausgewählten alphanumerischen Eigenschaften ohne Bezug zur originären Fachplanung und zu Abhängigkeiten sowie ohne fachliches Verhalten; im schlechtesten Fall entstehen Datenredundanzen. Um das intelligente sowie fachlich spezialisierte Verhalten von Fachobjekten abbilden zu können, ist die Vernetzung essenziell. Sie wird demnach auch bei der impliziter Volumensegmentierung benötigt. 1.2 Integration expliziter Fachmodelle Die Arbeitsweisen von BIM haben sich etabliert. Auch wenn die Fachlichkeit durch fehlende Vernetzung, Parametrik oder durch Zersplitterung verloren geht, müssen die Ergebnisse im 3D-Planen verwendbar und integrierbar sein. Demnach wird im Folgenden die Migration in das 3D-Planen beschrieben. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 255 Implizite 5D-Volumenmodelle für die modellbasierte Leistungsmeldung beim Bau der A7 (PPP) Von Fachplanungen abgeleitete Fachmodelle werden zunächst als unspezifische Fachobjekte mit unspezifischen Eigenschaften interpretiert. Diese unspezifische Fachobjekte müssen dann Anforderung Nutzen über einen Lifecycle eindeutig identifiziert sein, Möglichkeit zur externen Anreicherung und Vernetzung im Gesamtmodell. eine eindeutige Typisierung tragen und Zuweisung zu einem eindeutigen fachlichen Planungsinhalt. alle Eigenschaften in ein datentechnisch widerspruchsfreies normalisiertes Datenmodell übertragen. Möglichkeit der normalisierten Auswertung und zukünftigen KI-Anwendungen. Es ist darauf zu achten, dass auch die Qualitätssicherung der Geometrien erfolgt. Mit diesem Workflow lassen sich Fachmodelle aus nicht BIM-fähigen Werkzeugen (konventionelle Planung) oder abgeleitete Fachmodelle direkt nutzen. Den bearbeiteten Fachobjekten wird so rückwirkend die fachliche Intelligenz wieder hinzugefügt (Workflow des reverse Engineerings). Ergebnis einer Übertragung von Bauwerken und Baugruben im Projekt A7: Abbildung 6: Reintegriertes Bauwerk aus BIM-3D-CAD, [3], [4] 2. Praxis: Dynamisches Gesamtmodell A7 Das SOLL-Modell für die Bauabrechnung entsteht aus fester Bestandsvermessung, Luftbilder des Bestands sowie aus impliziten Volumina des Ober- und Erdbaus wie ungebundene und gebundene Deckschichten, Tragschicht sowie Auf- und Abtrag des Oberbodens. Alle Volumina sind vollständig über der Planung parametrisiert und keine statischen Planungsvolumen. Durch Vernetzung zu einem Terminplan entsteht das 4D-SOLL-Modell. Melden von gebauten Teilen der dynamischen Volumina oder ganzer Fachobjekte (wie Entwässerungsschächte) führen zum digitalen Erfassen des Baufortschritts und damit zum IST-Modell. 256 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Implizite 5D-Volumenmodelle für die modellbasierte Leistungsmeldung beim Bau der A7 (PPP) Abbildung 7: 5D-SOLL-Modell A7, [3], [4] Darstellung der Features mit Open-BIM-Schnittstellen: Feature Beschreibung Open-BIM-Schnittstellen Trassierung Vollständige Integration und Vernetzung der Trassierung als parametrische Grundlage davon abhängiger Fachobjekte (Achse, Gradiente, Querneigungen). 040, S21, LandXML, TRA/ GRA, OKSTRA, … interne sowie implizite Segmentierung Rekonstruktion der Volumina auf Basis der Fachplanung durch Modellierung an beliebigen diskreten Stationen und somit Realisierung der internen sowie impliziten Segmentierung D66, CARD/ 1-PRO, VES- TRA-QPEX, LandXML, OKSTRA Lifecycle Vollständiger Lifecycle aller Fachobjekte - auch von Importen oder aufgesetzter Fachmodellierung. ISYBAU, CSV, XML, IFC, … Vernetzung Vernetzung für Bildung von fachlichem Verhalten spezieller Fachobjekte (parametrische Vernetzung), innerhalb von Eigenschaften und für die fachliche automatisierte Qualitätssicherung. (offene normalisierte relationale Datenbank) Pläne Integration und Georeferenzierung von Plänen. PDF, ECW, JPG, … Leistungsmeldung Bildung und Umsetzung des Workflows zur Leistungsmeldung und damit qualitätssicherer Aufbau des IST-Modells. Ableiten von abrechenbaren IST-Mengen. (CSV) SOLL/ IST Automatisierte Gegenüberstellung von SOLL und IST sowie Berechnung der jeweiligen Differenzen in Bezug auf Fachobjekte, (Teil-)Mengen und Zeitpunkten. Export IFC 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 257 Implizite 5D-Volumenmodelle für die modellbasierte Leistungsmeldung beim Bau der A7 (PPP) Grundlegende Vermessung und DGM Zur Erstellung des DGM wurde eine Befliegung per Drohne der Gesamtstrecke durchgeführt. Diese Aufnahmen galten der großflächigen Bestandserfassung mit Berechnung des vermaschten DGM für notwendige Auf- und Abträge. Die Aufnahmen und Auswertungen erfolgten durch die Plattform AVUS.DIGITAL der VIA IMC. KorFin erstellt aus dem DGM ein dichtes Höhennetz, welches die Vermessung in Echtzeit auswertet. Die Luftbilder dienen als Dokumentation und fließen als hochaufgelöste texturierte Oberfläche in das Gesamtmodell ebenso ein. 2.1 3D-Modellierung Per Vernetzung zu externen Achsen, Gradienten und deren Querprofilen werden alle Volumina der Planung und Abrechnung parametrisch - somit implizit - definiert. Das bedeutet, dass bei externer Änderung einer Abhängigkeit die Planungsvolumina automatisch nachgeführt werden. Ausgangspunkt sind Querprofilflächen oder Querprofillinien mit oder ohne Punktsemantik, die einzeln oder kombiniert Querprofilflächen ergeben. Damit wird zwischen zwei Querprofilflächen innerhalb eines Segments genau ein gültiger Volumenkörper gebildet, der stets einen positiven Volumenwer t besitzt. Der gesamte Prozess der Volumenberechnung ist mathematisch validiert und garantiert die Belastbarkeit der Volumenwerte. Die Segmente werden innerhalb genau eines Fachobjekts mit eindeutiger fachlicher Klassifikation gehalten. Ergebnis der schichtweisen vollständig baufähigen geplanten Volumina: In dieser Phase können die Ergebnisse mit Volumenberechnung und Klassifizierung als IFC, CPIXML oder in einer Datenbankstruktur ausgegeben werden. Ein direktes Fortfahren in externen Workflowpipelines ist garantiert. Abbildung 8: Fachobjekte des Erd- und Oberbaus (Straße) mit interner impliziter Segmentierung, [3], [4] 258 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Implizite 5D-Volumenmodelle für die modellbasierte Leistungsmeldung beim Bau der A7 (PPP) 2.2 Querprofile und freie Modellschnitte Querschnitte müssen an jeder beliebigen Stelle einer Trassierung berechenbar sein. Innerhalb dieser Querschnitte müssen die Querprofile der Planung sowie die Schnitte aller Fachobjekte an diesem Querschnitt vorhanden sein. Durch Überlagerung der Fachplanung (Trassierung und Querprofile) mit der Ableitung der Planung (Volumenkörper der Segmente) wird die Qualitätssicherung im Querschnitt durchgeführt: Damit sind auch algorithmische Entscheidungen zur Vermaschung und Einteilung von positiven und negativen Volumenkörpern sowie die Überlagerung von externen Fachmodellen wie Baugruben und KIBs ersichtlich. Abbildung 9: Querprofil innerhalb des Gesamtmodells mit Fachplanung und Modellschnitt, [3], [4] Abbildung 10: Kombination von externen Fachmodellen im Querschnitt, [3], [4] 2.3 4D-SOLL-Modell Werden die Fachobjekt mit stabilem Lifecycle mit 4D- Vorgängen des Terminplans vernetzt, entsteht das 4D- SOLL-Modell. Die Vernetzung geschieht über virtuelle Teilmodelle des Gesamtmodells: 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 259 Implizite 5D-Volumenmodelle für die modellbasierte Leistungsmeldung beim Bau der A7 (PPP) Abbildung 11: Prinzip der Vernetzung von 3D-Ebene mit 4D-Ebene, [1], [4] 2.4 Vernetzte 3D-, 4D- und 5D-Auswertung Straße Modellbasierte Mengen sind Maße, die direkt aus den Fachobjekten mit ihren modellierten Geometrien abgeleitet werden. Sie entsprechend damit stets der in Fachmodelle umgesetzten Fachplanung. Geschieht die Umsetzung dynamisch, sind damit auch die modellbasierten Mengen konsistent zur Fachplanung und in ihrer Berechnung qualitätsgesichert. Das 5D-Gesamtmodell hat durch die integrierte Vernetzung Zugriff auf alle Teilaspekte der gesamten Planung. Die Informationen sind jeweils eindeutig und konsistent. Es können nun zeitbasierte Auswertungen erfolgen: Damit geschieht die Berechnung der Volumen- und Volumenteilwerte on-the-Fly. Der Volumenteil wird aus dem 4D-Zeitverhalten der vernetzten 4D-Vorgänge und unter Berücksichtigung impliziter Segmente durch den aktuellen Zeit- und Ausführungsstand sowie ausschließlich auf der Planungsparametrik bestimmt. Damit ergeben sich modellhafte Mengen zu Volumenteilen sowie Stationsbereiche, die zu bestimmten Zeitbereichen gebaut sein sollten (SOLL). Figure 13: Details eines 4D-Modellteils, [3] Abbildung 12: 5D-Auswertung über gegebenes Zeitintervall A7, [3], [4] 260 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Implizite 5D-Volumenmodelle für die modellbasierte Leistungsmeldung beim Bau der A7 (PPP) 2.5 4D-IST-Modell (mit Mengen) Eine Leistungsmeldung ist erforderlich, um den angefallenen geplanten Mengen und Kosten (SOLL) die tatsächlichen Leistungen (IST) gegenüberstellen, eine belastbare kurzfristige Ergebnisrechnung erstellen sowie damit das operativen Baustellenergebnis ausweisen zu können. Neben dem SOLL (aktuell bekannt) und IST (tatsächlich festgestellt) kann das Budget kontrolliert und ggf. eine Prognose (Forecast) abgegeben werden. Die VIA IMC meldet modellbasiert den IST-Zustand über das Gesamtmodell. Damit wird die IST-Information von der Baustelle im Gesamtmodell erfasst. Neben Fachobjekten und Teilmengen werden auch Vorgänge fertiggemeldet. Wird kein Vorgang angegeben, ergibt sich der SOLL-Zeitpunkt der Bauleistung aus dem vernetzten Vorgang zum jeweiligen Fachobjekt. Abbildung 14: Prinzip: IST-Gebaut-Meldung (Leistungsmeldung), [1] 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 261 Implizite 5D-Volumenmodelle für die modellbasierte Leistungsmeldung beim Bau der A7 (PPP) IST-Gebaut-Meldung: Praxisbeispiel Abbildung 15: Praktische IST-Gebaut-Meldung (Leistungsmeldung), [1], [4] Der „Melder“ wählt die entsprechenden Segmente der entsprechenden Fachobjekte (Plus/ Minus in der Abbildung) direkt im SOLL-Gesamtmodell. Die Auswahl einer Gesamtmeldung ist gelb, bereits gemeldete Teile sind grün, doppelt gemeldete Teile sind rot. 2.6 SOLL-/ IST-Vergleich Der Benefit eines technisch korrekten SOLL-Modells zusammen mit der Erfassung eines regelmäßigen IST- Zustands ergibt sich nun sofort aus der maschinellen Gegenüberstellung von SOLL und IST. Im Ergebnis werden SOLL-Modell, IST-Modell (grün), Modell der Bauverzüge (rot) und Modell der zukünftig schon erbrachten Leistungen (gelb) zu einem beliebigen vergangenen, aktuellen oder zukünftigen Datum in Echtzeit visualisiert. Nur IST-Auswertung: Beispiel Die Fertigstellung wird für jedes Planungsvolumen an einem vergangenen oder zukünftigen Datum ausgewertet. Diese Fertigstellung wird aus den Mengen bezüglich gebauter Längen, Flächen oder Volumen berechnet oder aus der Einschätzung des Bauleiters ermittelt. Da der IST-Bereich der Fertigstellung nicht dem SOLL- Bereich der Planung entsprechen und trotzdem eine belastbare Aussage zu Teilvolumina ermittelt werden muss, muss zwangsläufig eine implizite Segmentierung verwendet werden. 262 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Implizite 5D-Volumenmodelle für die modellbasierte Leistungsmeldung beim Bau der A7 (PPP) Abbildung 16: Auswertung IST-Modell, [3], [4] Anwendungsfall SOLL/ IST-Vergleich Es werden geplante Aktivitäten, geplante Teilmengen und geplante Teilkosten den tatsächlich durchgeführten Aktivitäten, verbauten Teilmengen und darauf beruhenden tatsächlich anfallenden Kosten gegenübergestellt. Eine Analyse je Fachobjekt stellt die vernetzten Informationen zur Planung (SOLL-Gesamtvolumen), mittels Terminplan und Zeitverhalten (SOLL-Teilvolumen) sowie tatsächlichem IST (IST-Teilvolumen) gegenüber. Das Ergebnis ist eine Aussage zum möglichen Rückstand. Abbildung 17: Beispiel SOLL/ IST Auswertung eines Auftrags, [3], [4] 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 263 Implizite 5D-Volumenmodelle für die modellbasierte Leistungsmeldung beim Bau der A7 (PPP) 3. Zusammenfassung Das Gesamtmodell resultiert aus der Zusammenführung verschieden konstruierter Teilplanungen. Die Fachobjekte der Planungsvolumina (Frostschutzschicht, Entwässerung, etc.) basieren direkt auf der Fachplanung und realisieren die neue innovative implizite Segmentierung. Damit ist es auch nach der Planung möglich, auf zu realisierende Teilvolumen beim Bauen reagieren zu können. Diese Innovation stellt die direkte Weiterentwicklung implizit definierter, intelligenter Fachobjekte in der Infrastruktur dar. Durch zeitliche Vernetzung der Fachobjekte kennt jedes Planungsvolumen seinen geplanten Herstellungszeitraum. Dabei verfügt jeder Herstellungszeitraum über ein eigenes separates Zeitverhalten und somit über den genauen Ablauf der Bauarbeiten für das gesamte Planungsvolumen. Die Technologie des internen Zeitverhaltens stellt ebenso einen wichtigen Meilenstein dar. Das SOLL-Gesamtmodell wird unmittelbar für komplexe 5D-Auswertung im Echtzeitumfeld oder für Exporte zu einem geplanten Zeitpunkt genutzt. Der Export vollzieht sich mit IFC und normierten Attributen. Die VIA IMC meldet modellbasiert den IST-Zustand über das Gesamtmodell. Damit wird das Gesamtmodell durch die IST-Informationen von der Baustelle erweitert. Es entstehen ein kontinuierliches SOLL- und IST-Modell zu beliebigen vergangenen, aktuellen oder zukünftigen Zeitpunkten. Die IST-Auswertung listet den aktuellen Stand der gemeldeten Fertigstellungen oder aus den gemeldeten Einschätzungen des Bauleiters auf. Für jedes Fachobjekt ist somit der Fertigstellungsgrad bezüglich gebauter Längen, Flächen oder Volumina an beliebigen Zeitpunkten auswertbar. Diese Auswertung stellt somit den modellhaften abrechenbaren Leistungsstand des Projekts dar. Der SOLL/ IST-Vergleich setzt abschließend den gemeldeten Fertigstellungsgrad mit dem SOLL-Modell in Verbindung und berechnet die Differenzen zwischen Planung und aktuellem Stand. Der SOLL/ IST-Vergleich über monatliche Leistungsmeldungen unterstützt die Budget- und Risikoplanung des Bauprojekts. In Zukunft sollen weitere Auswertungen automatisiert und mit dem vernetzten Gesamtmodell erfolgen. Dazu soll die Meldung via Befliegung mit Drohnen ausgebaut werden und Rückschlüsse zur Bildung und Anpassung von Bauprozessen erfolgen. Literatur: [1] Appelt, Veit; Bartnitzek, Jens; Tilger, Klaus: BIM in der Verkehrsinfrastruktur IIM - Infrastructure Information Modelling, Vorlesungsskripte, Dresden, 2020 [2] A+S Consult GmbH, VIA IMC GmbH: buildingS- MART International 2020 Awards Finalist: Construction: PPP infrastructure project management using BIM, Dresden/ Berlin, 2020 [3] KorFin 4.5: A+S Consult GmbH, Dresden, 2020 [4] VIA IMC GmbH: PPP Projekt A7, Berlin, 2020 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 265 Digitalisierung: Wie digital sind und können Prozesse im Straßenbau werden? Andreas Dieterle RIB Deutschland GmbH Zusammenfassung Die vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) forcierte Digitalisierung im Bauwesen schreitet voran. Es ist zu erwarten, dass auf Grund der aktuellen Pandemie-Situation dieser Prozess durch unterschiedliche Einflüsse verstärkt an Fahrt gewinnen wird. Für das Bauwesen bedeutet es die Digitalisierung in die Strukturen der eigenen Firma und in Bauprozesse Schritt für Schritt zu integrieren. Im Vortrag wird aufgezeigt, welche digitalen Daten im Straßenbau entstehen und wie diese genutzt werden können, zum Beispiel Punktwolken oder die fachübergreifende Nutzung von Modelldaten. 1. Veränderungen durch Digitalisierung Daten beinhalten Informationen und diese werden über Kommunikationswege ausgetauscht. Neben dem persönlichen Austausch war vor 100 Jahren die Zeitung, Bücher, Papierdokumente und eingeschränkt das Radio ein wesentliches Medium zur Informationsbeschaffung und Austausch von Wissen. Durch Computertechnologie und das daraus hervorgegangene World Wide Web entstanden ganz neue Möglichkeiten zum Austausch von Informationen und Daten. Heutzutage erfolgt häufig die Bereitstellung von Daten über einen Clouddienst und der Abruf der Informationen von unterschiedlichen Endgeräten. In nahezu allen Wirtschaftszweigen hat diese Technologie Einzug erhalten. Die Komplexität der Datenstrukturen steigt, Technologien ändern sich stetig. Das schnelle Suchen und Finden von Informationen wird immer wichtiger. In 2020 werden nach einer Statistik von VisualCapitalist in jeder Minute 500h Videomaterial weltweit hochgeladen. Die Digitalisierung ist längst auch auf den Baustellen in Deutschland angekommen. Unternehmen arbeiten mit BIM-Modellen (Building Information Modelling), die 3D-Geometrie sowie Zeit- und Kosteninformationen durchgängig verbinden. Bauleiter und Poliere nutzen für die Kommunikation vor Ort und mit dem Büro Smartphone und Tablet und erfassen Personal- und Geräteinformationen mit modernen Apps. Mehrwerte durch Vernetzung Damit ein dezentrales Arbeiten ermöglicht werden kann, sind intelligente Vernetzungen und Cloud-Technologien erforderlich. 2. Punktwolken im Straßenbau Das Scannen von Fassaden und Innenbereichen bei Gebäuden aller Kategorien oder auch für Erdbauwerke sind schon lange in der Praxis im Einsatz. Für langgestreckte Objekte, wie beispielsweise im Straßenbau, sind Scanner auf einem Stativ nur begrenzt tauglich. Durch Drohnentechnologie, die sich rasant entwickelt, hat sich das geändert. Es entstehen hochwertige Daten, die in allen Prozessschritten der Bauausführung genutzt werden können. Jeder Vorteil hat auch seine Tücken. Es entstehen gigantische Datenmengen, die genutzt werden können und sollen. Diese Datenmengen können nicht auf die Schnelle als Anhang verschickt werden und können schnell eine Festplatte an die Speicherkapazitätsgrenze bringen. Digitalisierung: Wie digital sind und können Prozesse im Straßenbau werden? 266 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 RIB iTWO civil: Projektarbeit auf Basis einer Punktwolke Daher sind zum Beispiel Lösungen, die Befliegungen von langen Straßenbaukörpern in einer Cloud gekachelt zum Abruf bereitstellen, zielführend. So werden nur die Daten aus den Befliegungen als Punktwolke in ein CAD- System übernommen, die tatsächlich gebraucht werden. 3. BIM-Datenmodelle fachübergreifend nutzen BIM-Modelle (Building Information Modelling) gelten heutzutage in vielen Disziplinen als Grundlage. In Architektur und Tragwerksplanung gewinnen BIM-Prozesse verstärkt an Relevanz, weshalb die Informationen von Gebäuden, Brückenbauwerken oder auch Entwässerungsanlagen aktuell bereits oft im IFC-Format (Industry Foundation Classes) vorliegen. Dennoch werden Architekten- und Ingenieurpläne durchaus auch heute noch als 2D-CAD-Plan, PDF-Dokument oder gar nur in ausgedruckter Form an Projektpartner weitergereicht, die diese Informationen zu weiteren, ergänzenden Berechnungen von zum Beispiel Baugruben oder zur Erschließung eines neuen Baugebiets als Referenz weiterverwenden wollen. Dabei wäre es in Zeiten des digitalen Planens und Bauens einfacher und ginge auch deutlich schneller, die digitalen Modelldaten direkt als Referenz weiterzuverwenden. RIB iTWO civil: IFC-Gebäudemodell in Tiefbau-CAD Nur ein Bruchteil der Informationen aus einem Hoch-, Brücken- oder Grundbauplan sind zum Beispiel für die Berechnung einer Baugrube wirklich von Relevanz. So sind Gebäudemodelle mit kompletten Innenausstattungen versehen - von Türen über Treppen bis hin zu sanitären Anlagen - die für anstehende Prozesse im Straßen- und Tiefbau keine Rolle spielen. Dazu kommt, das Datenvolumen ist riesig und erfordert zur weiteren Bearbeitung sowohl enorme Rechenpower als auch Speicherplatz. Hierfür bedarf es spezifischer Werkzeuge, die dabei helfen, den für Infrastrukturprojekte überflüssigen Ballast schnell und leicht abzuwerfen. Mit einer intelligenten Softwarelösung sollte der Ingenieur zunächst eine Vorqualifizierung vornehmen können, bei der Treppenhäuser und andere irrelevante Elemente entfernt werden, damit er das Modell anschließend optional oberhalb des Erdgeschosses abschneiden kann. Übrig bleiben dabei nur diejenigen Informationen, die als Grundlage für eine zu erstellende Baugrube dienlich sind. 4. Daten für die Bauausführung Ausführungsdaten von Erdbauwerken und Straßenkörpern können auf die Baustelle, die mit GNSS-gesteuerten Baumaschinen, wie zum Beispiel Bagger, Raupen oder Gradern ausgerüstet ist, übertragen werden. Neben den Modellen auf den Baumaschinen sollten auf der Baustelle Ereignisse, die für den Bauprozess relevant sind, erfasst werden können. Werden beispielsweise von einem Mitarbeiter per Smartphone Mängel am Bau fotografiert, so sollten diese für alle Verantwortlichen klar im Plan bzw. Modell ersichtlich sein. Sieht der Bauleiter den Fehler auf seinem mobilen Endgerät, braucht er gleichzeitig die Info, welcher Partner diesen verantwortet und er muss wissen, welche Art von Fehler vorliegt und wie dieser zu beheben ist. RIB iTWO site: mobile Erfassung Ganz wichtig ist auch die Aufgabenverteilung: Wer muss was tun, um einen Mangel zu beseitigen? Optimalerweise stehen ihm dabei die Kontaktdaten der Partnerunternehmen, am besten mit allen Verantwortlichen, zur Verfügung. Nur so kann er schnellstmöglich Kontakt aufnehmen und die Behebung umgehend in die Wege leiten. Für ein dezentrales Arbeiten an immer aktuellen Daten werden Clouddienste und Web-Applikationen alternativlos. Ein weiterer Schritt in die Digitalisierung ist es, AsBuilt Daten von der Baustelle für weitere Prozesse direkt zu nutzen. Alle beteiligten gesteuerten Maschinen über- Digitalisierung: Wie digital sind und können Prozesse im Straßenbau werden? 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 267 mitteln automatisch alle relevanten Daten der Bauausführung in ihr Cloudsystem. Die Resultate werden intelligent innerhalb des definierten Auftrags zusammengeführt. Daraus ergibt sich ein Gesamtergebnis mit detaillierten Fertigungsständen zu jeder Zeit, das gezielt abgefragt werden kann RIB iTWO civil: As-Built-Daten 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 269 Erfolgreiche Projekte mit EPLASS BIM-Collaboration Benjamin König Dipl.-Wirtschaftsingenieur (FH) EPLASS project collaboration GmbH 97080 Würzburg Deutschland Zusammenfassung Eine qualifizierte CDE, von versierten Mitarbeitern gesteuert, ist für den erfolgreichen Einsatz von BIM Collaboration bei Bau-Projekten unerlässlich. „Wer immer tut, was er schon kann, bleibt immer das, was er schon ist.“ Henry Ford Holen Sie alle Projektbeteiligte ins Boot, um effizient arbeiten zu können und gemeinsam den digitalen Wandel voranzubringen. Mit EPLASS BIM Collaboration. 1. Vorwort Digitalisierung, BIM, Ressourcenmanagement, Home- Office und Video-Konferenzen sind so wichtig wie nie zuvor. Planbesprechungen finden meist nicht mehr an einem zentralen Ort statt. Viele Projektbeteiligte befinden sich an unterschiedlichen Orten oder bei internationalen Projekten in verschiedenen Zeitzonen. Neue Technologien, die vor zehn Jahren noch graue Theorie waren, sind heute unsere bevorzugten Werkzeuge, welche das berufliche Leben wesentlich erleichtern. Dies setzt jedoch auch entsprechend qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern voraus! Neben den beruflichen Herausforderungen stehen wir im Jahr 2021 auch gesellschaftlichen Herausforderungen gegenüber, die Einfluss auf unsere Berufstätigkeit nehmen. Nach Möglichkeit nutzten viele Arbeitnehmer das Home-Office. Infolgedessen werden Planbesprechungen oder wöchentliche Jour-Fixe in digitaler Form abgehalten. Die Planbzw. Modellprüfung findet in den meisten Fällen ebenfalls digital statt. Damit überhaupt digital geprüft werden kann, müssen verschiedene Voraussetzungen geschaffen werden. Allen voran, die Einrichtung eines sogenannten Common Data Environment (CDE). Wie eine CDE aussehen kann und welche Funktionalitäten benötigt werden, möchte ich Ihnen an praktischen Beispielen gerne erläutern. 2. Unternehmensvorstellung Alles begann 1996 mit einem Ideenwettbewerb der Deutschen Bahn für die Neubaustrecke Nürnberg-Ingolstadt. Dieser hatte das Ziel, den gesamten Prüf- und Genehmigungsprozess des Projektes digital abzubilden. Mit dem Gewinn war die Idee auf einem Stück Papier geboren und so entstand 1999 als SEIB Informations Technologie Consult GmbH (SEIB ITC) unser Unternehmen. Im Laufe der letzten 20 Jahre entwickelten wir uns zu einem international tätigen Unternehmen und es kamen zum ursprünglichen Planmanagementsystem weitere Produkte, wie beispielsweise BIM-Collaboration, Einwendungs- und Auflagenmanagement sowie Dokumenten-, Mängel- und Protokollmanagement u.v.m. im Bereich der internetbasierten Zusammenarbeit hinzu. Um einheitlich auf dem Markt auftreten zu können, wurde die Firma im Jahre 2012 in das bereits bekannte Produkt EPLASS (Elektronisches PlanmanagementSystem SEIB) umbenannt. Mit mehr als 20 Jahren Erfahrung im digitalen Planmanagement stellt EPLASS das professionelle Know-how zur Steuerung von Bauprojekten und Infrastrukturmaßnahmen jeder Größe unter Beweis. Ob Klein- oder Großprojekt, Infrastruktur, Public Private Partnership oder öffentliche Bauherren - je komplexer die Prozesse, desto größer der Nutzen von EPLASS. Zu unseren Großpro- Erfolgreiche Projekte mit EPLASS BIM-Collaboration 270 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 jekten der Deutschen Bahn dürfen wir u.a. VDE8, S21, Hamburg/ Bremen-Hannover, Tunnel Rastatt, Rhein- Ruhr-Express, ABS 48, ABS 38, ABS Hanau-Gelnhausen u.v.m. zählen. Für alle Kunden stellen wir unsere Expertise im Bereich Consulting und Digitalisierung des Prüf- und Genehmigungsprozesses in der Baubranche zur Verfügung. 3. Cloudbasierte Common Data Environment (CDE) Damit eine CDE ihr volles Potenzial entfalten kann, müssen verschiedene Rahmenbedingungen geschaffen werden. Im folgenden Abschnitt greifen wir verschiedene Themen auf, die wir in unserer zwanzigjährigen Projekterfahrung gesammelt haben. Im Vordergrund steht der digitale Prüf- und Genehmigungsprozess, sowohl im Planmanagement (2D), als auch im BIM-Bereich (3D, 4D und 5D). 3.1 Digitale Verarbeitung Alle Pläne/ Dokumente/ Modelle müssen digital vorhanden sein. Die Verwaltung und Bearbeitung der Pläne/ Dokumente/ Modelle findet ausschließlich in der CDE- Umgebung (Cloud) statt. Es stellt sich die Frage, warum sollte die Verwaltung und Bearbeitung ausschließlich auf der CDE stattfinden? Dafür sprechen mehrere Gründe, u.a. wird so der Manipulation der Pläne/ Dokumente/ Modell vorgebeugt. Wobei hier auch noch weitere Mechanismen zum Einsatz kommen müssen, wie bspw. ein integriertes Versionsmanagement oder ein Ausschluss der Bearbeitung von Daten auf der CDE, i.S.v. Änderung am Plan/ Dokument/ Modell selbst. Ein weiterer Grund wäre das Thema Revisionssicherheit. Gerade als Auftraggeber (AG) hat man das vorwiegende Interesse eine lückenlose Dokumentation der Schritte, die ein Plan/ Dokument/ Modell erfahren hat, zu erhalten. 3.2 Integrierter Viewer Ein integrierter Viewer dient als gemeinsame Kommunikationsgrundlage sowohl im 2D-, als auch im 3D Bereich für alle Projektbeteiligten. Der Viewer muss Bestandteil des Produktes/ CDE sein und sollte bspw. im BIM- Bereich die offenen Formate IFC, CPIXML und BCF unterstützen. Das Zusammenführen von mehreren Teilmodellen zu einem Koordinationsmodell muss ebenfalls zum Standardrepertoire des Viewers gehören. Attribute sollten ebenfalls im Viewer angezeigt werden. Außerdem muss eine 3D-Redlining-Funktion zur Kommentierung vorhanden sein. 3.3 Planbzw. Modellläufe Workflows und Prozesse, insbesondere die Standardprozesse nach ISO 19650/ PAS 1192-2, sowie die Gestaltung eigener Workflows (mit dem Ziel eines vollständigen digitalen Prüf- und Genehmigungsprozesses) müssen nach unserer Erfahrung vollständig individuell auf den Kundenwunsch / das Projekt zugeschnitten werden. Der möglichst automatisierte Prüf- und Genehmigungsprozess steht dabei immer im Vordergrund. Die Dokumente sollten in Abhängigkeit von Plancodierung oder anderen Metadaten automatisiert an bestimmte Workflowrollen weitergeleitet werden bzw. diese nach Bedarf überspringen. Eine Weiterleitung an bestimmte Prüfer in Abhängigkeit von der Plancodierung oder anderer Metadaten sollte dabei zum Standardrepertoire gehören. Manchmal wünscht der AG auch eine manuelle Auswahl des/ der nächsten Prüfbeteiligten. Egal, ob die Auswahl manuell oder von der CDE über Filter getroffen wurde, sollte sich die CDE um alles weitere kümmern: die Pläne/ Modelle werden den nächsten Prüfstellen als Aufgabe zugewiesen und müssen innerhalb der vorgegebenen Termineinstellungen erledigt werden. Eine manuelle Nachverfolgung sollte nicht erforderlich sein. 3.4 Redlining Die Redlining-Funktion ist integraler Bestandteil bei EPLASS. Wir haben einen eigenen Viewer, der umfangreiche Redliningfunktionen mitbringt. Neben den Standards wie Freitexteingabe, Linien, Pfeile, Kreise, Wolken und Rechtecke kann der Nutzer sich auch eigene Stempel erstellen und wiederverwenden. Im 3D-Viewer können sogenannte Viewpoints erstellt werden, die mit Kommentaren versehen werden können (3D-Redlinings). Diese Daten können später als BCF exportiert werden. Der Workflow spielt, wie weiter oben beschrieben, eine zentrale Rolle in EPLASS. Die Nachverfolgung (in welcher Aufgabe/ Status) der aktuellen Viewpoints, findet workflowbasiert statt. Dabei bleibt in EPLASS die Originaldatei stets unverändert. Es wird ein sogenannter „Layer“ über den Plan/ Dokument gelegt und gespeichert. 3.5 Freigabe per „elektronischer Unterschrift“ Die Freigabe erfolgt über die elektronische Signatur. Die CDE muss neben der einfachen Signatur (z.B. mit Passwort) auch die fortgeschrittene Signatur (z.B. mit Signpad) und die qualifizierte Signatur (mit Signaturkarte und PIN) nach dem Vertrauensdienstegesetz (vormals Signaturgesetz) erfüllen. Im Workflow/ Prozess können die verschiedenen Signaturarten auch gemischt eingesetzt werden. 3.6 Verlinkung der 2D-Welt in die 3D-Welt Beim Thema Verknüpfung von Bauteilen in Modellen zu anderen Dateien in der EPLASS-Datenbank (z.B. Pläne, Fotos, Prüfberichte, etc.) arbeitet EPLASS mit intelligenten Suchen auf Attribut-Ebene, sodass bei einer neuen Version des (Teil-) Modells nicht alle Verlinkungen neu Erfolgreiche Projekte mit EPLASS BIM-Collaboration 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 271 gesetzt werden müssen. In den bisherigen BIM-Projekten von EPLASS hat sich diese Art und Weise der Verlinkung als die bessere Variante herausgestellt und wird vielfach genutzt. Der große Vorteil ist auch, dass Dokumentenersteller (Nutzer, die bspw. Fotos oder Dokumente hochladen) nicht auch einen Link ins Modell erstellen müssen, sondern EPLASS automatisch anhand von Dateinamen, Ordnerstruktur, Metadaten, etc. die Verlinkung über die intelligente Suche herstellt. 3.7 Schnittstellen zu anderen Systemen Die CDE muss als Bindeglied zwischen den einzelnen Autorensystemen dienen. Das hat zur Folge, dass die CDE leicht mit anderen Systemen kommunizieren sollte z.B. über automatisierten Datenimport bzw. -export. per REST-API. 4. EPLASS CDE in der Praxis Die im vorherigen Abschnitt genannten Voraussetzung für den digitalen Prüf- und Genehmigungsprozess setzt EPLASS seit über 20 Jahren in diversen Projekten der DB Netz AG, DB PSU GmbH, DEGES, Autobahndirektion Nord- & Südbayern, sowie vielen weiteren Landesbehörden für Straßenbau und Verkehr um. 4.1 VDE 8 Übersicht VDE 8; Foto: DB Netz AG Die VDE 8 (Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr.8) ist eines der Großprojekte der Deutschen Bahn. Es wurden über 230 Kilometer Schiene neugebaut, darunter 27 Tunnelbauwerke und 37 Talbrücken. Die EPLASS CDE kam 2003 zum Einsatz und befindet sich bis heute bei einigen Streckenabschnitten nach wie vor im Einsatz. Es wurden in dieser Zeit über 770.000 einzelne Pläne und Dokumente geprüft und über 2.000 User hatten Zugriff auf unsere CDE. Meilensteine der VDE 8 waren u.a.: • Entwicklung der Schnittstelle DOWEBA <-> EPLASS ans Eisenbahn Bundesamt (EBA) • Entwicklung des EPLASS Nachtragsmanagements • Entwicklung des EPLASS Einwendungsmanagements • Verkürzung der Prüfzeiten im Vergleich zur konventionellen Prüfung (Papier) um ca. 5-10 Tage • Drastische Senkung der Fehlerquote in der Abwicklung (Prüflauf), in Richtung Null-Fehler-Quote • Datenzugriff/ -bearbeitung ist von jedem Ort, zu jeder Zeit und mit jedem Endgerät möglich 4.2 Stuttgart 21 mit NBS Wendlingen-Ulm Visualisierung Stuttgarter Hbf. (Visualisierung: Aldinger & Wolf) Die DB Projekt Stuttgart - Ulm GmbH hat zum Jahreswechsel 2014/ 2015 das gesamte Planlaufmanagement auf EPLASS Professional umgestellt. EPLASS löste dabei ein anderes System ab. Die Umstellung im laufenden Planungsbetrieb wurde von einem Team aus DB PSU Mitarbeitern, sowie von Experten der DB International, THOST Projektmanagement und der EPLASS GmbH über mehrere Monate vorbereitet. Alle Planfeststellungsabschnitte (PFA) des Projekts haben eigene, maßgeschneiderte Workflows für ihre Prüfungsprozesse definiert, die anschließend in EPLASS umgesetzt wurden. Ab sofort steuern diese Workflows die hochkomplexen Prüfprozesse vollautomatisch. Über die in EPLASS enthaltene DOWEBA Schnittstelle zum Eisenbahnbundesamt werden Planungsdokumente ab sofort qualifiziert digital signiert an das EBA übergeben. Über die in EPLASS integrierten Prüfmöglichkeiten per sog. Redlining und den Wegfall des Postweges konnten Erfolgreiche Projekte mit EPLASS BIM-Collaboration 272 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 die Prüfzeiten signifikant reduziert werden. Die Möglichkeiten des EPLASS Terminmanagements nach einzelnen Prüffristen und Meilensteinen, gewährleisten den Planlaufmanagern und den Terminsteuerern verlässliche Informationen über den Planungsstand sowie spezielle Berichte für das Management. „Was uns am System EPLASS in der Bedienung sehr gut gefällt, ist die logische und verständliche Oberfläche sowie die Möglichkeit, über eigene Filter jede abgelegte Information individuell abzurufen und damit auch steuern zu können. Die Beratung und Mitwirkung der Firma EPLASS war stets professionell, motiviert und hoch fokussiert.“ Dr. Florian Bitzer, Leiter Technische Fachdienste (I.GT(T)) „EPLASS hat uns geholfen, die Planungskoordination zu optimieren und die Freigaben zu beschleunigen. Es war definitiv ein Schlüssel, um die komplexen Herausforderungen eines innerstädtischen Mega-Projektes zu meistern.“ Michael Ditandy (Großprojekt Stuttgart-Ulm, Teamleiter Los 2b - HP Feuerbach) 4.3 Havellandautobahn A10/ A24 (ÖPP) Luftaufnahme Havellandautobahn (Bild: Ingo Pahl) BIM-Pilotprojekt Das Projekt Verfügbarkeitsmodell A10/ A24 wurde als erstes nationales ÖPP-Pilotprojekt zur Integration des BIM-Ansatzes von der Planung über die Ausführung, bis hin zur Erhaltung ausgewählt. Die Anwendung der BIM- Methode im Projekt „Verfügbarkeitsmodell A10/ A24″ erfolgt für die BIM-Vertragsstrecke. Die BIM-Vertragsstrecke umfasst den Bauabschnitt 4 der A24 und damit den Streckenabschnitt von km 222+675 bis km 228+175. Der Leistungsumfang auf dem 5,5 km langen Bauabschnitt umfasst neben dem Streckenbau zwei Ingenieurbauwerke, sowie eine Tank- und Rastanlage. Der BIM Planungsprozess startete im August 2018 mit der Mock-Up-Phase (Prototypische Testumgebung zur Verifizierung der projektspezifischen BIM-Arbeitsweise) und dauert bis Ende 2021. Vorab wird ein Grundlagenmodell mit einem Modelldetaillierungsgrad LOG 100 (engl. Level of Geometry) erstellt, welches den Bestand des Geländes, ein auf Basis von Erkundungen und bestehenden Baugrundinformationen abgeleitetes Baugrundmodell, die Abbildung des Streckenbaus, den Bestand der Tank- und Rastanlage und den Bestand der Ingenieurbauwerke darstellt. Das Grundlagenmodell wird in das Entwurfsmodell, Ausführungsmodell sowie in das Übergabemodell integriert. Die Entwurfsplanung ist im Entwurfsmodell (LOG 200) abgebildet. Aus diesem Modell werden z. B. die RAB- Ing-Entwürfe der Ingenieurbauwerke abgeleitet. Für die Ausführung wird ein Ausführungsmodell (LOG 400) erstellt, welches der Ausführungsplanung der Strecke und der Ingenieurbauwerke entspricht. Das Übergabemodell wird in der Erhaltungsphase für verschiedene Anwendungen genutzt. 4.4 BIM Pilotprojekt A99 A99 BW 27/ 1; Foto: ABDS Ersatzneubau einer Brücke der A99 Das Pilotprojekt beinhaltet den Abbruch und den Ersatzneubau des Unterführungsbauwerks 27/ 1, welches im Zuge des 8-streifigen Ausbaus der A99 zwischen dem AK München-Nord und der AS Aschheim / Ismaning in den Jahren 2018 / 2019 gebaut wird. Im Zuge des 8-streifigen Ausbaus der A99 nordöstlich von München sind mehrere Brückenbauwerke zu erneuern. Dazu gehört das Bauwerk 27/ 1, das die S-Bahnlinie S 8 der Deutschen Bahn überbrückt. Das Bauvorhaben soll als Pilotvorhaben zur Umsetzung der Methodik des Building Information Modeling dienen. Sowohl die Entwurfsals auch die Ausführungsplanung werden BIM-gestützt ausgeführt. Anwendung von BIM Die Planung soll von Beginn an über alle Planungsphasen ausschließlich mit der BIM-Methode erfolgen. Auch die Betriebs- und Erhaltungsphase werden in das Projekt miteinbezogen. Die 2D-Planableitung soll ausschließlich Erfolgreiche Projekte mit EPLASS BIM-Collaboration 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 273 aus den Modellen erfolgen. Besonderes Augenmerk wird auf den Datenaustausch und die Verwendung von Schnittstellen gelegt. Deren aktuelle Funktionstüchtigkeit für den Ingenieurbau wird dabei getestet. Die Modelle werden sowohl visuell als auch teilautomatisiert überprüft. Für die Leistungsphasen Entwurfsplanung, Ausführungsplanung und Baudurchführung wurden Auftraggeber-Informations-Anforderungen (AIA) erstellt, die wiederum als Grundlage für die Erstellung der BIM-Ablaufpläne (BAP) dienen. Eine Verknüpfung des 3D-Modells mit dem Bauablauf und den Baukosten ist angedacht. „Bei der Projektabwicklung von Ingenieurbauwerken der Autobahndirektion Südbayern wird seit Jahren Standardmäßig das Planmanagement EPLASS eingesetzt. Im Rahmen dieses Projektes wird EPLASS für BIM-Projekte erweitert und EPLASS-Archiv für den digitalen Bauwerksakt eingesetzt. Dabei stellt EPLASS seine individuelle Flexibilität wieder einmal eindrucksvoll unter Beweis.“ Prof. Dr. Willberg (Abteilungsleiter Brücken-, Ingenieurbau; Autobahndirektion Südbayern) 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 275 Mechanismen und Methoden zur Integration von BIM und GIS im Straßenbau Andreas Hesterkamp HOCHTIEF Infrastruktur GmbH, Essen, Deutschland Dr. Andreas Carstens ESRI Deutschland GmbH, Hannover, Deutschland Zusammenfassung Die Integration von Software Tools schreitet voran und bietet eine gute Basis für die Zusammenarbeit von Fachdisziplinen für den Bereich des Straßenbaus. Fachbezogene Themen werden durch ein definiertes einheitliches manifestiertes Projektkoordinatensystem in ein übergreifendes Gesamtmodell zusammengefasst. Durch die Verbindung zu einer Ganzheit werden, für die zu durchlaufenden Projektphasen (Konzeption - Planung - Umsetzungsplanung unter zeitlich wirtschaftlichen Gesichtspunkten - anschließender Realisation und der über einen längeren Zeitraum durchzuführenden Bewirtschaftung) eines Infrastrukturprojektes, Mehrwerte geschaffen, welche zur Reduktion von Kommunikationsverlusten sowie zur Beschleunigung von Prozessen dienen. Die Gewerke werden durch definierte Workflows auf einem Common Data Environment abgelegt und mit weiteren Informationen / Attributen angereichert. Nach Fertigstellung des Designs werden Ansätze zur Realisierung des Vorhabens erörtert. Diese Vorgehensweise generiert eine Anzahl von Realisierungsvarianten aus denen die Zeit- und kostenoptimierten gewählt werden. Die abschließende erfolgreiche Variante wird nun in räumlichen und zeitlichen Abschnitte aufgegliedert, mit Codierungen versehen (WBS, PBS) um die fortschreitende Realisierung zu tackten und damit die Beschaffung die nötigen Materialien einstellen kann. Nach der Realisierung werden die Elemente aus dem Datenbestand an die Bewirtschaftung übergeben. Durch eine Betrachtung der gebauten / erstellten Gewerke (mit Dokumentation) aus Sicht der Bewirtschaftung ergeben sich neue Aspekte für das Modell, welchen mit zusätzlichen Attributen und Analysefunktionen Rechnung getragen wird. Die BIM- und GIS Software-Integration wird von Autodesk und Esri seit 2017 intensiv vorangebracht. Für Nutzer dieser Systeme ergeben sich dadurch sowohl mit der Übernahme von Revit-Modellen in GIS als auch für die web-basierte bzw. plattformgestützte Zusammenarbeit wesentliche Erleichterungen für die praktische Arbeit. Beide Anwendungen werden kurz vorgestellt. Ergänzend werden die zukünftigen Entwicklungen der BIM-GIS-Integration für Workflows und Prozesse betrachtet. 1. Datenbeschaffung für Infrastrukturprojekte Infrastrukturprojekte erstrecken sich über große geographische Räume und haben damit einen eigenen Charakter. Um die Dimensionen eines Infrastrukturprojektes zu fassen, bedarf es moderner Softwaretools und einer integrierten IT-Landschaft, welche den Nutzern beim Beschaffen und Verarbeiten der Daten des Projektes umfangreiche Unterstützung bietet und Problemlösungsvorschläge unterbreitet und diese durch genormte Workflows abbildet. 276 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Mechanismen und Methoden zur Integration von BIM und GIS im Straßenbau 1.1 Geo-Daten Infrastrukturprojekte haben einen direkten Bezug zur Real-Welt. Zur Planung von Infrastrukturprojekten ist zunächst die geographische Lage und Ausdehnung von Bedeutung. Durch die Definition eines einheitlichen Raumbezugssystems (z. B.: Lagesystem 489, ETRS 89/ UTM_32 und Höhensystem 160, DHHN / Höhen ü. NN) (WKID: 25832 Authority: EPSG, WKID: 102329 Authority: Esri (8 Stellen)) für die Projektausdehnung können existierenden Geo-Daten auf den von den Behörden zur Verfügung gestellten Portalen abgefragt werden und projektbezogen kostenfrei oder gegen Gebühren geladen/ erworben werden. ArcGIS - Online Service Suche (allgemein) Der Sachverhalt der definierten Raumbezugsbasis impliziert diverse Möglichkeiten zum Sammeln von existierenden Geo-Daten. Es können Luftbilder, Katasterinformationen, Natur und Landschaftsschutzgebiete, Geländeformationen und für Infrastruktur-Projekte wichtige geologische Sachverhalte zusammengestellt werden. (z. B. https: / / www.bohrungen.nrw.de/ bohrungen.html? lang=de) ArcGIS - Online Service Suche (Geologie) Aus der Kenntnis der vorhandenen Informationen können Strategien für die noch zu ermittelnden Verdichtungsforderungen der auf dem Projekt vertretenen Fachdisziplinen erstellt werden. Die Strategie zur Verdichtung von Sachinformationen wird durch projektbezogenen Untersuchungen, Proben und Messungen erzielt, welche ebenfalls auf Basis des einheitlichen Raumbezugssystems erstellt und dokumentiert werden. Somit sind die Untersuchungen und die hieraus abgeleiteten Erkenntnisse direkt verortet und können in ein Projektkoordinierungssystem eingebracht werden. GIS (Geographische Information Systeme) beinhalten Technologien und Routinen welche ein direktes georeferenzieren der Analyseresultate ermöglichen. Aufgabenstellung: Art und Menge der Geologischen Materialien in den Tunnelsegmenten (GIS-BIM) Real Welt Neu zu ermittelnden Informationen werden in Geo- Datenbanken abgelegt und sind somit für alle Projektbeteiligte lesbar und zur weiteren Nutzung für die Weiterverarbeitung offen. Übergreifende Projektanalysen und Analysen zwischen den Fachdisziplinen sind hierdurch leicht möglich. Rückschlüsse aus den gesammelten Daten werden für die Baumaßnahme und die zu erstellenden Elemente getroffen und somit haben diese einen direkten Einfluss auf die Erstellung der BIM Modelle. Durch die Vereinbarung des Raumbezugsystems können standardisiert Geoprozesse erstellt werden, die für ähnlich gelagerte Projekte in der Zukunft herangezogen werden können. Schema für georeferenzierte Analysen (BIM-GIS) 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 277 Mechanismen und Methoden zur Integration von BIM und GIS im Straßenbau Geo-Portale (Luftbild Stadt Duisburg, Bohrung NRW) Verdichten durch projektbezogene Messungen/ Erhebungen 1.2 Planungsdaten für Bauwerke In vielen Infrastrukturprojekten hält zurzeit die Umsetzung des Stufenplanes Digitales Planen und Bauen Einzug. Hier ist BIM als anzuwendendes Planungsinstrument die Voraussetzung. Das Bestreben der Gesamtheit der Bauindustrie ist die Schaffung von Modellen und Methoden um den Prozess des Planen - Bauen und späteren Betreibens von Infrastruktureinrichtungen zu straffen. Eine Forderung ist die Erstellung von 3D Abbildern des Bauvorhabens (Digitaler Zwilling) mit steigender Granularität je nach Planungsphase (LOD 100 - LOD 500). Eine Vielzahl von Softwareprodukten steht für die Herstellung der 3D Modelle mit der entsprechenden Detailtiefe bereit. Je nach Produkt sind weitere beschreibende Attribute an den einzelnen Modellelementen gespeichert (Material, Beschaffenheit, Wärmebeständigkeit, etc.). Die Organisation dieser 3D Modelle bei der Herstellung und die anschließende Integration in ein Gesamtmodell Fachmodelle -> Koordinierungsmodell) Volumen der geologischen Schichten (Tunnelsegment) 278 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Mechanismen und Methoden zur Integration von BIM und GIS im Straßenbau stellt eine Aufgabe für sich dar. Zunächst sind Vereinbarungen über den Inhalt der Modelle und der Zeitpunkt der Lieferung durch das Erstellen einer Auftraggeber-Informations-Anforderungen (AIA) festzulegen. Weiterhin ist ein BIM Abwicklungsplan (BAP) zu erstellen indem die Verantwortlichkeiten geregelt sowie die Intervalle an denen die Fachmodelle zusammengeführt werden, angegeben sind. Der BAP sollte grob folgenden Inhalt haben: - Lages des Projektes - Modellierungsrichtlinien (Templates) - Software und Versionsstand - Inhalt der Modelle (Festlegung der - Einheiten, Material, Mengen, …) - Genauigkeitsanforderung - Terminplan für die Lieferung der Teilmodelle - Definition der Intervalle für Updates - Interner Aufbau der Modelle - Parameter getrieben - Austauschformat (Native Modelle oder IFC) BIM Update der Fachmodelle (14 tägig) Sind diese Vorgaben definiert und sollen die Daten ausgetauscht werden, so hat sich international für die Weitergabe von Modelldaten der Teil-Bauwerke das IFC etabliert - Softwarehersteller bieten Schnittstellen hierzu an. Das Zusammenführen der Fachmodelle und die Integration in projektübergreifende Organisations- und Verwaltungssysteme kann ebenfalls mit Hilfe von IFC durchgeführt werden. Der Vorteil des Formats ist die Unabhängigkeit vom Autorensystems des Modells. Georeferenzierte Ausführungspläne Für die Lieferung von Modellen für Infrastrukturprojekte kann das IFC (neben nativen Daten) für die Bauwerke wie Brücken, Tunnel und sonstigen Anlagen gut herangezogen werden. Übernahme der Modelldaten ins GIS (ETL Funktion) Für den Linienbau / Streckenbau sind die IFC Versionen 4 und 5, in der Vorbereitung (IFC Road, IFC Tunnel; IFC Railway). Zurzeit läuft der Austausch für diese Modelle über verschiedene vorgeschriebene Schnittstellen (REB, OKSTRA oder auch LandXML, CPIXML, etc.) 2. Bauausführung des Infrastrukturprojektes In der Baubeschreibung sind die zu errichtenden Bauwerke genannt und beschrieben. Hier ist ebenfalls eine Angabe/ Verweis über die Art der Herstellung und die anzuwendenden Richtlinien und Normen zu finden. Anhand der Baubeschreibung und des vom Kunden gelieferten groben Zeitablaufes wird ein Terminplan für die Ausführung der einzelnen Bauwerke erstellt. Für Streckenbauwerke hat sich neben den üblichen Ausgaben eines Terminplanprogramms (Gant-Diagramm) die schematische Darstellung in einem Zeit-Wege Diagramm etabliert. In diesem Zeit-Wege Diagramm können die wesentlichen Aktivitäten für die Baumaßnahme abgelesen werden. Alle wesentlichen Termindaten werden nach Lage und Aktivität codiert. Wichtig ist hier die genaue Identifizierung der Bauteile und Abschnitte, sowie die zeitliche Einordnung. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 279 Mechanismen und Methoden zur Integration von BIM und GIS im Straßenbau Ausschnitt Zeit-Wege Diagramm + Codes Durch die Kombination von Räumlicher (PBS=Projekt Breakdown Structure) und Zeitlicher (WBS=Work Breakdown Structure) Codierung ergibt sich eine gemeinsame Orientierung nach Raum und Zeit, welche der Vorgabe in der Baubeschreibung und dem darin verankerten groben Zeitrahmen folgt. Codierung PBS - WBS (stark vereinfachtes Beispiel) Durch diese Codierung erhält man eine eindeutige Ansprache der herzustellenden Objekte und der damit verbundenen Tätigkeiten, welche hier nur als vereinfachtes Beispiel dargestellt sind (siehe Bild unten Codierung PBS - WBS). 280 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Mechanismen und Methoden zur Integration von BIM und GIS im Straßenbau Wird ein Bauvorhaben von Beginn an mit diesen Codierungen versehen und einigen sich die am Projekt Beteiligten auf diese Codierung, so kann auch eine Verfolgung der Tätigkeiten (Progress Status, Reports) und die Fertigstellung mit der entsprechenden Abnahme dokumentiert und auf die Objekte (Teilbauwerke) projiziert werden. Auch hier stehen eine Menge Softwareprodukte zur Verfügung. Eine Möglichkeit ist die Verortung der Abnahmeprotokolle - speziell bei Infrastrukturprojekten - mit Hilfe von sogenannten Location Based Services (LBS) durch Smartphones oder Tablets mit entsprechender vorbereiteter installierter Applikation für die Erfassung des Baufortschritts, welche PBS - WBS bezogen ermittelt und dokumentiert wird. Zeitlich verortete Bilder bekunden zusätzlich den erfassten Fortschritt nachweislich. Das Auffinden von Abnahmeprotokollen wird durch die Codierungen und das Verbinden mit den Modellelementen vereinfacht und unterstützt die Plausibilitätsprüfung. Gerade bei der Betrachtung von Analysen der Mengen für „Erdkörper“ ist dieses Vorgehen hilfreich - zumindest unterstützt es bei der Eigenkontrolle der geplanten und ausgeführten Mengenbewegungen. Die Verortung der Daten und Objekte wird über sogenannte Webserver für die Projektbeteiligten zur Verfügung gestellt. Damit ergibt sich eine gute Transparenz der einzelnen erbrachten Leistungen auf dem Projekt und das Fortschreiten des Projektes ist sichtbar. Die einzelnen Objekte sind trackbar. Verortung der Mengen (PBS) Lageplan Verortung der Mengen Zuordnung zur PBS (3D) 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 281 Mechanismen und Methoden zur Integration von BIM und GIS im Straßenbau 3. Verwaltung eines Infrastrukturprojektes mit Geodatenbanken (Vorteile) Geodatenbanken bzw. GIS haben sich in vielen Bereichen als technische Projektmanagementsysteme und Decision Support Systems als hilfreich erwiesen. In den letzten Jahren wurde an der Interaktion zwischen BIM/ CAD und GI Systemen gearbeitet. Durch die in den letzten Jahren geschaffenen Möglichkeiten lassen sich Informationen aus dem GIS und dem BIM austauschen oder gar als natives Format in die Systeme laden (Revit in ArcGIS, GIS-DB in Autocad Civil 3D). Aus diesem Sachverhalt ergeben sich weitere Ansätze für eine gemeinschaftliche Projektbearbeitung von Infrastruktureinrichtungen mit dem Ziel Zeit zu sparen, welche sonst durch Transferaufgaben verloren ginge. Darüber hinaus können durch das Anwenden von sogenannten ETL Tools die Projektinformationen (BIM/ CAD) automatisiert ausgelesen, mit projektrelevanten Informationen / Daten angereichert und einem breiten Publikum ohne spezielle Softwareinstallation zur Verfügung gestellt werden - Online Services. Denkbar ist auch eine Online Erfassung von Merkmalen oder Ereignissen auf dem Projekt, welche für die Kommunikation nach außen (Öffentlichkeit) wichtig ist. Die Web-Services können für die in unmittelbarer Nähe zum Projekt wohnenden Personen freigeschaltet werden, um die Transparenz zu erhöhen und eine Beteiligung sowie Akzeptanz zu erreichen. ETL - Extract Transform Load (vom 3D Modell zum Projekt WebBIMGIS Portal) 4. Übernahme der Modelldaten für den Betrieb Nach Abschluss der Arbeiten am dem Infrastrukturprojekt erfolgt die Übergabe der Daten an die Kunden. Diese erfolgt üblicherweise in Form von Zeichnungen, Listen und ergänzenden Dokumentationen. Neuerdings werden auch die BIM-Modelle in den Bauvertrag verankert sodass eine weitere Nutzung für den Betrieb der Infrastruktureinrichtung gegeben ist. Je nach Vertragsform kann auch schon bei der Erstellung der Modelle eine Mitwirkung des Kunden wünschenswert sein. Ist ein sogenanntes AIM (Asset Information System) beim Kunden vorhanden kann unter der Voraussetzung, dass die erzeugten Projektdaten in dieses System überführt werden sollen, bei der Modellierung auf die einheitliche Kennzeichnung der Elemente / Objekte gemäß einer Anlagenschlüsselliste des Kunden (vergleichbar mit OKSTRA) eingegangen werden und diese als zusätzliche Attribute an die BIM- Objekte ergänzt werden. Diese Art der Vorgehensweise bedarf einer engen Zusammenarbeit des Kunden und der beauftragten Firma bei der Ausführungsplanung / -modellierung. 5. Fazit Durch die voranschreitende Integration von BIM und GIS werden Synergien geschaffen, welche die Bearbeitung von Infrastrukturprojekten nachhaltig beeinflusst. Eine gemeinsame Datenbasis in Form einer integrierten Projektdatenbank oder eines Modellservers generiert Vorteile in der Zusammenarbeit und verringert die Schnittstellen. Projekte können im Ganzen betrachtet und analysiert werden. Räumliche und Zeitliche Abhängigkeiten lassen sich einfacher erkennen und gemeinsame Lösungsvorschläge können etabliert werden. Schon in der Angebotsphase sollten die wesentlichen Teil-Bauwerke eines Infrastrukturprojektes codiert und geostrukturiert an die Wettbewerber übergeben werden, sodass eine einheitliche Projektnomenklatur (PBS - WBS) entsteht. Eine einfache Möglichkeit hierzu sind georeferenzierte beschreibende Objekte/ Features aus der Realen Welt (Abbruch) und die neu geplanten Objekte als LOD 2-3 (GIS). 282 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Mechanismen und Methoden zur Integration von BIM und GIS im Straßenbau Integration von Projektdaten in der Angebotsphase Durch die Schaffung einer integrierten Plattform zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer lassen sich rein technisch viele Fragen effizienter zu einer einvernehmlichen Lösung bringen. Dem Statement „Single Source of Truth - SSOT“ kann damit Rechnung getragen werden, wenn Einträge in die gemeinsame Datenbasis nur über kontrollierte Regeln - Validierungen vollzogen werden können. Geoprozesse und Topologie-Prüfungen können diese Aufgabe (Goalkeeper) automatisiert übernehmen. Der Aufbau einer zentralen georeferenzierten Datenbasis für das Projektgeschehen liefert weitreichende Analyse- und Variationsmöglichkeiten bei der ersten Projektplanung (Entwurf) - bei der Detailplanung und Ausführungsplanung sowie der Umsetzung. Projekte werden transparenter und im Team bearbeitet. Während der Umsetzung entsteht ein As-Built Modell zur Übergabe an den Kunden zur Integration in dessen Verwaltungssystem. Erhaltungsmanagement 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 285 Erhalt der Straßeninfrastruktur Baden-Württemberg Anforderungen, Strategien und Innovationen am Beispiel aktueller Erhaltungsmaßnahmen Dipl.-Ing. Markus Kübler Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg Zusammenfassung Baden-Württemberg ist als dynamisches Land, profilierter Wirtschaftsstandort und Transitland auf eine gut ausgebaute und vor allem intakte Straßeninfrastruktur angewiesen. Die große Herausforderung in Bezug auf die Sicherstellung der Mobilität in Baden-Württemberg ist und wird der Erhalt der existierenden Infrastruktur sein. Der Vortrag gibt - insbesondere am Beispiel aktueller Baumaßnahmen der Brückenerhaltung und Tunnelnachrüstung an verkehrlich hoch belasteten Streckenabschnitten - einen Überblick über die verschiedenen Anforderungen, Strategien und Innovationen im Rahmen der Erhaltung des Straßennetzes. Auf die Straßenbestandteile Brücken, Tunnel und Fahrbahn wird hierbei spezifisch eingegangen. 1. Straßennetz Baden-Württemberg 1.1 Zuständigkeiten und Umfang Infolge der Reform der Bundesfernstraßenverwaltung ist seit 1. Januar 2021 die Autobahn GmbH des Bundes zuständig für die Planung, den Bau, den Betrieb und die Erhaltung der Autobahnen. Dies beinhaltet auch das Autobahnnetz in Baden-Württemberg. Die Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg ist aktuell zuständig für rund 4.840 Kilometer Bundesstraßen sowie rund 9.650 Kilometer Landesstraßen mit insgesamt mehr als 17.000 Bauwerken. Die Zuständigkeit der Straßenbauverwaltung umfasst insbesondere die Erhaltung des Bundes- und Landesstraßennetzes. 1.2 Investitionen und Zustandsentwicklung Im Zeitraum von 2011 bis 2020 wurden insgesamt rund 4,6 Milliarden Euro in die Erhaltung des Straßennetzes in Baden-Württemberg - also in die Erhaltung der Autobahnen, Bundes- und Landesstraßen - investiert. Auf dieser Grundlage konnte in den letzten zehn Jahren bei den Autobahnen eine Verbesserung des Straßen- und Brückenzustands erreicht werden. Auch bei den Bundes- und Landesstraßen hat sich in den letzten rund zehn Jahren der Straßenzustand (Fahrbahnen) verbessert. Der Zustand der Bundes- und Landesstraßenbrücken hat sich in diesem Zeitraum leicht verschlechtert. Die Erhaltung des Bundes- und Landesstraßennetzes stellt auch weiterhin eine große Herausforderung dar und bedarf großer Anstrengungen. 2. Brückenerhaltung 2.1 Brückenprüfungen Bauwerke nach der DIN 1076 werden regelmäßigen Prüfungen unterzogen. Diese Bauwerksprüfungen sind nicht nur gesetzliche Pflicht, sondern ein wesentlicher Bestandteil des Erhaltungsmanagements der Straßenbauverwaltung des Landes. Dabei werden die Brücken im Abstand von sechs Jahren einer Hauptprüfung unterzogen. Jeweils drei Jahre nach der Hauptprüfung erfolgt eine Einfache Prüfung. Zudem kontrollieren die zuständigen Straßenmeistereien im Zuge von jährlich durchzuführenden Besichtigungen die Brücken. Hierbei erfolgen zweimal jährlich Beobachtungen im Hinblick auf augenscheinliche Schäden. Im Zuge der Brückenprüfungen werden Schäden aufgenommen und der Zustand unter Berücksichtigung der Standsicherheit, der Verkehrssicherheit sowie der Dauerhaftigkeit beurteilt. Die Ergebnisse werden zu einer Zustandsnote zusammengefasst. Es werden hierbei sechs Zustandsnotenbereiche zugeordnet: 286 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Erhalt der Straßeninfrastruktur Baden-Württemberg Notenbereich Beschreibung 1,0 - 1,4 1,5 - 1,9 2,0 - 2,4 2,5 - 2,9 sehr guter Zustand guter Zustand befriedigender Zustand ausreichender Zustand 3,0 - 3,4 3,5 - 4,0 nicht ausreichender Zustand ungenügender Zustand Bauwerksbzw. Brückenprüfungen werden von besonders qualifizierten und erfahrenen Bauwerksprüfingenieuren der Straßenbauverwaltung des Landes oder von ausgewählten externen Ingenieurbüros vorgenommen. 2.2 Zustandsentwicklung der Brücken Die auf Grundlage der Brückenfläche gemittelte Zustandsnote aller Bundesstraßenbrücken in Baden-Württemberg hat sich von 2,28 im Jahr 2010 auf 2,38 im Jahr 2020 leicht verschlechtert. Der Anteil der Bundesstraßenbrücken mit ungenügendem Bauwerkszustand (Zustandsnote 3,5 und schlechter) ist dabei von 0,4 Prozent auf 0,9 Prozent angestiegen. Die auf Grundlage der Brückenfläche gemittelte Zustandsnote aller Landesstraßenbrücken in Baden-Württemberg hat sich in den letzten zehn Jahren von 2,27 auf 2,36 leicht verschlechtert. Der Anteil der Landesstraßenbrücken mit ungenügendem Bauwerkszustand (Zustandsnote 3,5 und schlechter) ist dabei von 0,8 Prozent auf 0,6 Prozent zurückgegangen. 2.3 Zunahme des Schwerverkehrs Die Notwendigkeit der Brückenerhaltung wird auch durch die gestiegene Belastung der Brücken infolge der Zunahme des Schwerverkehrs verstärkt. Die Regelungen der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung und der Straßenverkehrs-Ordnung sehen hierbei grundsätzlich ein zulässiges Gesamtgewicht von 40 Tonnen vor, für welches eine Überfahrt der Brücken erlaubt ist. Die Zunahme des Schwerverkehrs führt dazu, dass viele Brücken Tragfähigkeitsdefizite aufweisen und auf die künftigen Nutzungsanforderungen hin ertüchtigt werden müssen. 2.4 Baurechtliche Voraussetzungen Bei der Planung umfangreicher Erhaltungsmaßnahmen an Brücken - insbesondere bei Ersatzneubauten - sind neben den rein objektbezogenen Planungen auch die Belange des Umwelt- und Naturschutzes, des Wasserhaushalts, des Immissionsschutzes (Lärm) sowie die Rechter Dritter (Grunderwerb oder vorübergehende Inanspruchnahme von Flächen zur Durchführung der Baumaßnahmen) zu erheben und entsprechend rechtlich zu würdigen. Dies führt oftmals dazu, dass im Vorfeld solcher Erhaltungsmaßnahmen ein Baurechtsverfahren durchzuführen ist, welches einen Zeitrahmen von drei bis fünf Jahren in Anspruch nehmen kann. 2.5 Erhaltungsplanung der Brücken Grundsätzlich umfasst die Erhaltungsplanung der Bundes- und Landesstraßenbrücken die Instandsetzung, die Ertüchtigung und den Ersatzneubau der Bauwerke. Im Rahmen der Erhaltungsplanung sind dabei verschiedene Komponenten zu berücksichtigen. Diese sind insbesondere • Zustandsnote im Allgemeinen • Brücken mit Zustandsnote 3,5 und schlechter • Brückenmodernisierungsprogramm des Bundes • Brücken mit spannungsrisskorrosionsgefährdetem Spannstahl • Brücken mit Verdrängungskörpern (Hohlkörperplatten) • Brücken mit sprödbruchgefährdeten Edelstahlrollenlagern • Brücken mit Koppelfugen • Mindertragfähige Brücken im Zuge der ausgewiesenen Großraum-und Schwertransportstrecken • Brücken im Zuge wichtiger Strecken für den Schadholzabtransport aus den Wäldern. 3. Beispiel Ersatzneubau der Gumpenbachbrücke im Zuge der B 27 in Kornwestheim 3.1 Ausgangslage und Vorgeschichte Die Gumpenbachbrücke liegt im Zuge der B 27 auf der Gemarkung Kornwestheim (Landkreis Ludwigsburg) zwischen den Anschlussstellen Kornwestheim-Mitte und Kornwestheim-Nord. Die B 27 verläuft in Süd-Nord- Richtung von Stuttgart nach Ludwigsburg und verbindet dabei das Oberzentrum Stuttgart mit dem Mittelzentrum Ludwigsburg/ Kornwestheim. Die durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke beträgt mehr als 50.000 Kfz/ 24 Std, der Schwerverkehrsanteil rund 7 Prozent. Die B 27 weist in diesem Abschnitt einen zweibahnigen, vierstreifigen Straßenquerschnitt auf. Abbildung 1: B 27 im Bereich der Gumpenbachbrücke, Situation vor der Baumaßnahme Die Gumpenbachbrücke wurde im Jahr 1954 als vierfeldriger Durchlaufträger mit einer Gesamtlänge von rund 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 287 Erhalt der Straßeninfrastruktur Baden-Württemberg 100 Meter gebaut. Sie besteht aus zwei Teilbauwerken, jeweils einem pro Richtungsfahrbahn. Die Teilbauwerke haben separate Über- und Unterbauten und sind über eine Mittelkappe miteinander verbunden. Im Mai 2009 fanden an beiden Teilbauwerken Hauptprüfungen nach DIN 1076 statt. Dabei wurden Tausalzschäden und angerostete Querspannglieder an den Kragarmen festgestellt. Aufgrund des weiteren Fortschreitens dieser Bauwerksschäden sowie zahlreicher Betonabbrüche im darauffolgenden Winter, erfolgte im Mai 2010 eine Sonderprüfung. Beide Teilbauwerke wurden hierbei mit der Zustandsnote 3,7 bewertet. Insbesondere aus wirtschaftlichen Gründen wurde entschieden, im Zuge einer Erhaltungsmaßnahme die Gumpenbachbrücke durch einen Neubau zu ersetzen. Mit den Planungen für den Ersatzneubau der Brücke wurde im Jahr 2010 begonnen. Die Erteilung des Gesehen-Vermerks für den RE-Vorentwurf durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur ist am 25. November 2014 erfolgt. Der Planfeststellungsbeschluss nebst wasserrechtlicher Erlaubnis liegt seit 25. Oktober 2016 vor. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur hat am 16. Januar 2019 den Gesehen-Vermerk für den RAB-ING-Entwurf erteilt. Der Baubeginn der Hauptmaßnahme war im Januar 2020, das Bauende ist derzeit für August 2022 geplant. 3.2 Ersatzneubau - innovativer Querverschub der Brücke einschließlich Stützen und Fundamente Der Ersatzneubau der Gumpenbachbrücke erfolgt auf Grundlage zweier Teilbauwerke, welche jeweils drei Felder aufweisen. Diese Teilbauwerke bestehen aus gevouteten Spannbetonplattenbalken. Die Plattenbalken sind monolithisch mit den Stützen verbunden. Der innovative Bauablauf des Ersatzneubaus sieht die Herstellung eines Teilbauwerks der Gumpenbachbrücke in Seitenlage zur B 27 sowie den anschließenden Querverschub des Teilbauwerks einschließlich der Mittelstützen und Fundamente als semi-integralen Brücke vor. Auf dieser Grundlage können die mit einem Ersatzneubau verbundenen Eingriffe in den Verkehr der hochbelasteten B 27 deutlich minimiert sowie die vorhandenen vier Fahrstreifen der B 27 während der knapp dreijährigen Bauzeit weitestgehend aufrechterhalten werden. Eine Behelfsbrücke ist nicht erforderlich. Der Ersatzneubau der Gumpenbachbrücke stellt somit eine nachhaltige Erhaltungsmaßnahme auf Grundlage einer ressourcensparenden Bauweise dar. Nach Information des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur wird im Rahmen des Ersatzneubaus der Gumpenbachbrücke der erste Querverschub einer semi-integralen Talbrücke in Deutschland durchgeführt. Im Einzelnen stellt sich der Bauablauf wie folgt dar: • Das neue östliche Teilbauwerk der Gumpenbachbrücke wird zunächst einschließlich der Stützen und Fundamente in Seitenlage zur B 27 gebaut. Der Verkehr auf der B 27 kann hierbei weiterhin über die zwei bestehenden Teilbauwerke mit vier Fahrstreifen geführt werden. • Nach der Herstellung des neuen Teilbauwerks in östlicher Seitenlage wird der Verkehr in Fahrrichtung Ludwigsburg auf dieses neue östliche Teilbauwerk umgelegt. Diese Verkehrsführung umfasst die zwei Fahrsteifen der Verbindung Stuttgart - Ludwigsburg. Anschließend wird der Verkehr in Richtung Stuttgart vom alten westlichen Teilbauwerk nun über das alte östliche Teilbauwerk geführt. Diese Verkehrsführung umfasst die zwei Fahrsteifen der Verbindung Ludwigsburg - Stuttgart. Es stehen somit weiterhin weitestgehend vier Fahrsteifen zur Verfügung. • Nach dieser Verkehrsumlegung ist das alte westliche Teilbauwerk der Gumpenbachbrücke nicht mehr unter Verkehr und kann abgebrochen werden. Anstelle des alten westlichen Teilbauwerks wird in endgültiger Lage das neue westliche Teilbauwerk gebaut. • Nach der Fertigstellung des neuen westlichen Teilbauwerks sowie einer weiteren Umlegung des Verkehrs in Richtung Stuttgart vom alten östlichen Teilbauwerk auf dieses neue westliche Teilbauwerk wird das östliche Teilbauwerk als sogenannte „Inselbaustelle“ abgebrochen. Der Verkehr in Richtung Ludwigsburg verbleibt hierbei auf dem neuen östlichen Teilbauwerk in Seitenlage. • In der letzten Bauphase wird das in Seitenlage hergestellte, semi-integrale Teilbauwerk einschließlich der Stützen und Fundamente verschoben. Hierzu bringen hydraulische Hub- und Verschubsysteme die Brücke in seine endgültige Lage. Für die Bauphase des Querverschubs wird von einer Dauer von zwei Wochen ausgegangen. Für den Zeitraum des Querverschubs wird der Verkehr der B 27 über das neue westliche Teilbauwerk geführt. Dabei wird ein Fahrsteifen je Fahrtrichtung eingezogen. Die Gesamtkosten der Baumaßnahe betragen rund 27 Millionen Euro (Stand November 2020) und beinhalten auch Um-/ Ausbaumaßnahmen an der Anschlussstelle Kornwestheim-Nord. 4. Tunnelnachrüstung 4.1 Straßentunnel in Baden-Württemberg In Baden-Württemberg sind derzeit 116 Straßentunnel im Zuge von Autobahnen, Bundes- und Landesstraßen mit einer Gesamtröhrenlänge von rund 82 Kilometern unter Verkehr. 288 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Erhalt der Straßeninfrastruktur Baden-Württemberg 4.2 Sicherheitsstandards der Straßentunnel Die Sicherheitsstandards der Straßentunnel werden regelmäßig überprüft und den neuesten Erkenntnissen angepasst. Neue Straßentunnel werden nach dem aktuellen Stand der Technik gebaut sowie betriebstechnisch ausgestattet. Bestehende Straßentunnel werden betriebstechnisch sowie ggf. baulich nachgerüstet. In Deutschland gelten die „Richtlinien für die Ausstattung und den Betrieb von Straßentunneln“ (RABT) sowie die „Empfehlungen für die Ausstattung und den Betrieb von Straßentunneln mit einer Planungsgeschwindigkeit von 80 km/ h oder 100 km/ h“ (EABT). Sie bilden die Grundlage für das hohe Sicherheitsniveau in deutschen Straßentunneln. Um ein weitestgehend einheitliches Sicherheitsniveau in allen europäischen Straßentunneln zu erreichen, regelt seit 2004 eine europäische Richtlinie den grundlegenden Sicherheitsstandard im transeuropäischen Netz. 4.3 Nachrüstung Bundes- und Landesstraßentunnel Die betriebstechnische Ausstattung eines Straßentunnels hat in der Regel einen Lebenszyklus von rund 20 Jahren. Vor dem Hintergrund einer theoretischen Nutzungsdauer der Tunnel von 90 bis 130 Jahren - je nach Bauweise - hat dies zur Folge, dass die Betriebstechnik eines Straßentunnels rund vierbis sechsmal erneuert werden muss. Dies erfolgt jeweils nach dem aktuellen Stand der Technik. In Baden-Württemberg lag in den letzten Jahren der Fokus der Tunnelnachrüstungen auf den Autobahnen, wie beispielsweise der Nachrüstung des Virngrundtunnels im Zuge der A 7 sowie der Nachrüstung des Schönbuchtunnels im Zuge der A 81. Ergänzend hierzu wurden aber auch entsprechend der Dringlichkeit im Zuge der Bundes- und Landesstraßen Tunnel baulich und betriebstechnisch nachgerüstet. Bei nachfolgenden Tunneln im Zuge der Bundes- und Landesstraßen stehen in den nächsten Jahren größere Nachrüstungen an: • B 10 Tunnel Göppingen • B 14 Kappelbergtunnel Fellbach • B 14 Johannesgrabentunnel Stuttgart-Vaihingen • B 29 Rombachtunnel Aalen • B 31 Schützenallee- und Kapplertunnel Freiburg • B 31 Tunnel Döggingen • B 33 Sommerbergtunnel Hausach • B 294 Kirchbergtunnel Schiltach • B 294 Schlossbergtunnel Schiltach • B 463 Tunnel Albstadt-Laufen • L 148 Grabenwaldtunnel Wehr-Todtmoos • L 175 Schlossbergtunnel Schramberg 5. Beispiel: Bauliche und betriebstechnische Ertüchtigung des Engelbergbasistunnels im Zuge der A 81 bei Leonberg unter Aufrechterhaltung des Verkehrs 5.1 Ausgangslage Der rund 2.500 Meter lange Engelbergbasistunnel liegt westlich von Stuttgart im Zuge der A 81. Der Tunnel hat aufgrund seiner Lage im Autobahnnetz - im Verknüpfungsbereich der A 81 mit der A 8 (Autobahndreieck Leonberg) - sowie aufgrund der durchschnittlichen täglichen Verkehrsstärke von rund 120.000 Kfz/ 24 h eine sehr hohe verkehrliche Bedeutung für die Region Stuttgart sowie darüber hinaus für den gesamten Südwesten von Deutschland. Der Engelbergbasistunnel besteht aus zwei Röhren mit jeweils drei Fahrstreifen und einen Seitenstreifen. Der Tunnel wurde im Jahr 1999 dem Verkehr übergeben. 5.2 Schadensbild Die geologische Situation ist gekennzeichnet durch unterschiedliche Abfolgen innerhalb des im südwestdeutschen Raum anstehenden Gipskeupers. Im Ausgangszustand stehen die im unausgelaugten Gipskeuper vorhandenen Sulfatanteile überwiegend als Anhydrit an. Mit der Aufnahme von Wasser wandelt sich Anhydrit jedoch in Gips um. Bei einer vollständigen Umwandlung nimmt das Feststoffvolumen des Anhydrits um rund 60 Prozent zu. Wird diese Volumenzunahme behindert - beispielsweise durch den Einbau einer Tunnelauskleidung - so entstehen in Abhängigkeit von der Wasseraufnahme des Gebirges sehr hohe Quelldrücke. Infolge der vorliegenden geologischen Verhältnissen sowie den dadurch entstandenen Quelldrücken kam es in den Jahren nach der Fertigstellung des Engelberg-basistunnels auf einer Länge von rund 180 Metern zu Deformationen und Schädigungen der Innenschale. Das zunehmende Schadensausmaß machte eine grundlegende Betrachtung der Anhydritproblemstellung mittels eines international besetzten Expertenkreises erforderlich. Nach der Klärung der Schadensursache sowie der Erarbeitung eines zugehörigen Lastmodells galt es, ein Bauverfahren zu entwickeln, welches die Vorgabe - in den Hauptverkehrszeiten die vorhandene Anzahl an Fahrstreifen aufrechtzuerhalten - gewährleistet. 5.3 Bauliche und betriebstechnische Ertüchtigung Daraufhin wurde für den rund 180 Meter langen Ertüchtigungsbereich ein Bauwerksentwurf erstellt. Im Zuge der Ertüchtigung wird über dem Abluft- und dem Medienkanal die Fahrbahnplatte verstärkt. Im Bereich der Notgehwege werden die Leitungen in die Kanäle nach unten verlegt und ein Stahlbetonsockel als Rahmenecke zwischen Fahrbahnplatte und neuer Vorsatzschale erstellt. Die neue 40 Zentimeter starke Vorsatzschale wird mit geschweißten 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 289 Erhalt der Straßeninfrastruktur Baden-Württemberg Doppel-T-förmigen Trägern bewehrt. Zur Aufnahme der späteren Zwischendecke werden oberhalb des Lichtraumprofils Konsolen als Widerlager ausgebildet. Die Zwischendecke wird nach der Herstellung der Vorsatzschale aus 2,50 Meter breiten Fertigteilen erstellt. Die Fertigteile sind zweiteilig und in der Mitte mittels Stahlbauteilen gelenkig verbunden. Anschließend werden Druckstützen zwischen der Firste und den Mittelgelenken eingebaut. Somit kann die Zwischendecke als horizontale Aussteifung wirken. Abbildung 2: Prinzipskizze der baulichen Ertüchtigung Zusätzlich zur baulichen Ertüchtigung des Tunnels ist auch die Erneuerung der Betriebstechnik erforderlich. Die Schwierigkeit ist hierbei nicht nur die Erneuerung unter Aufrechterhaltung des Verkehrs, sondern auch die abschnittsweise Herstellung der Vorsatzschale im Zuge der baulichen Ertüchtigung. Grundsätzlich stellen bei der Ertüchtigung des Engelbergbasistunnels die komplexen Bauabläufe in Verbindung mit den sehr beengten Platzverhältnissen eine große Herausforderung dar. Die Ertüchtigungsmaßnahme wird auf Grundlage einer großen Anzahl an Zwischenzuständen und Provisorien umgesetzt. Es werden hohe Aufwendungen für die Verkehrsteilnehmer und das Baustellenpersonal getätigt. Zur Beibehaltung des bestehenden Sicherheitsniveaus während der Bauzeit werden zudem die alten und die neuen Anlagenteile der Betriebstechnik parallel betrieben. 5.4 Bauzeitliche Verkehrsführung Die Ertüchtigung umfasst beide Tunnelröhren. Die Arbeiten zur Umsetzung der Ertüchtigungsmaßnahmen erfolgen jedoch immer nur in einer Tunnelröhre, der sogenannten „Bauröhre“. In der „Bauröhre“ müssen für die bauzeitliche Verkehrsführung zudem zwei der drei vorhandenen Fahrsteifen herangezogen werden. In der zweiten Tunnelröhre, der sogenannten „Verkehrsröhre“, werden vier Fahrsteifen geführt. In der „Verkehrsröhre“ wird eine 3+1-Verkehrsrichtung eingerichtet. Die Herstellung der Vorsatzschale erfolgt in drei Bauphasen. Der Einbau der Fertigteile findet nachts unter Vollsperrung der „Bauröhre“ und somit auf Grundlage einer Reduzierung der vorhandenen Anzahl an Fahrstreifen außerhalb der Hauptverkehrszeiten statt. 5.5 Tunnelsimulator Im Zuge der Ertüchtigungsmaßnahme wird auch das Pilotprojekt Tunnelsimulator umgesetzt. Der Tunnelsimulator wird über die gesamte Bauzeit eingesetzt, um die einzelnen Bauphasen zu simulieren. Derzeit beinhaltet der Tunnelsimulator ein Strömungsmodell, eine Visualisierung, eine Verkehrssimulation und eine Beleuchtungssimulation. Das Grundkonzept des Pilotprojekts Tunnelsimulator sieht vor, neben dem vorhandenen „Produktivsystem“ ein „Spiegelsystem“ für die Software auf Basis simulierter Außenanlagen einzurichten, um dort die Software des Produktivsystems zu testen und simulierte Schaltungen durchführen zu können. Durch die Simulation im Spiegelsystem kann neu zu installierende Software vor der Installation im Produktivsystem getestet werden. Dadurch lässt sich die Dauer der Inbetriebnahme vor Ort um 80 Prozent reduzieren. 5.6 Bauzeit und Kosten Die Vorabmaßnahmen wurden im Zeitraum von Mitte 2016 bis Ende 2019 durchgeführt. Die Kosten der Vorabmaßnahmen betragen rund 25 Millionen Euro. Die Hauptmaßnahme ist aktuell im Bau. Das Bauende ist derzeit für Mitte 2024 geplant. Die Kosten der Hauptbaumaßnahme betragen rund 130 Millionen Euro (Stand November 2020). 6. Erhaltungsmanagement für Straßen (Fahrbahnen) 6.1 Zustandserfassung und-bewertung (ZEB) Die Bundes- und Landesstraßen in Baden-Württemberg werden turnusmäßig nach vier Jahren einer neuen Zustandserfassung und -bewertung (ZEB) unterzogen. Dabei erfolgt die Zustandserfassung der Straßen mit Messfahrzeugen. Zum Einsatz kommen hierbei schnell fahrenden Messfahrzeuge, die im Verkehrsstrom mitfahren und mit Hilfe von Lasertechnik und Kameras die Straßenoberfläche aufnehmen. Sie erfassen einerseits den so genannten Gebrauchswert. Dieser umfasst die relevanten Aspekte aus Sicht des Verkehrsteilnehmers: • Allgemeine Unebenheit • Fiktive Wassertiefe • Griffigkeit 290 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Erhalt der Straßeninfrastruktur Baden-Württemberg Andererseits misst die ZEB den so genannten Substanzwert. Dieser gibt an, wie stark die Substanz einer Straße angegriffen ist und damit auch, wie sehr sie an Wert verliert. Hierbei werden folgende Aspekte betrachtet: • Spurrinnentiefe • Risse • Restschadensfläche Die ZEB-Daten erlauben einen guten Überblick über die Zustandsverteilung und Zustandsausprägung der Straßenabschnitte. Hierbei wird für jeden 100 Meter- Abschnitt außerorts und jeden 20 Meter-Abschnitt in Ortsdurchfahrten eines Straßenzuges anhand der beiden Teilwerte Substanz- und Gebrauchswert der Zustand ermittelt. Die Notenskala reicht hierbei von 1 (bester Wert) bis 5 (schlechtester Wert), wobei ab einer Note von 4,5 jeweils der so genannte Schwellenwert erreicht ist. Die ermittelten Zustandsgrößen wurden nach festgelegten Regularien zu einem Gesamtwert verknüpft. 6.2 Zustandsentwicklung der Straßen (Fahrbahnen) Die Entwicklung des Straßenzustands kann insbesondere über den Gesamtwert beurteilt werden. Der Gesamtwert der Bundesstraßen hat sich von 3,2 im Jahr 2011 auf 3,0 im Jahr 2015 verbessert. Die letzte ZEB der Bundesstraßen hat im Jahr 2019 stattgefunden. Die ZEB 2019 hat einen Gesamtwert von 3,0 ergeben. Bei den Landesstraßen hat sich der im Jahr 2016 erhobene Gesamtwert gegenüber der Erfassung im Jahr 2012 von 3,5 auf 3,4 verbessert. Die letzte ZEB der Landesstraßen erfolgte im Jahr 2020. Die Ergebnisse der ZEB 2020 liegen voraussichtlich im Frühjahr 2021 vor. 6.3 Erhaltungsmanagement des Landes Auf Grundlage der Informationen zum Substanz- und Gebrauchswert der Straßenabschnitte sowie unter Berücksichtigung der voraussichtlich zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel sowie einem Erfahrungswert für durchschnittliche Kosten von Erhaltungsmaßnahmen hat das Land ein Erhaltungsmanagement für die Bundes- und Landesstraßen in Baden-Württemberg erstellt. Das Erhaltungsmanagement umfasst dabei insbesondere eine Priorisierung der sanierungsbedürftigsten Streckenabschnitte im Bundessowie Landesstraßennetz und stellt somit die Grundlage für die Umsetzung von Maßnahmen zur Erneuerung der Fahrbahndecken durch die Straßenbauverwaltung dar. 7. Schlussbemerkung Grundsätzlich werden bei der Planung und Umsetzung von Erhaltungsmaßnahmen die einzelnen Bestandteile des Straßennetzes immer zusammen betrachtet und - in Abhängigkeit vom jeweiligen Zustand der einzelnen Straßenbestandteile - gemeinsam als Erhaltungsmaßnahme umgesetzt. Bei Erhaltungsprojekten ist - im Vergleich zu Neubauprojekten - dabei in besonderem Maße der mit der Baumaßnahme verbundene Eingriff in den Verkehr zu berücksichtigen. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 291 Entwicklungen im Straßenbau - Wie Maximalrecycling und Qualitäts-Straßenbau Baden-Württemberg 4.0 (QSBW 4.0) den Straßenbau effizienter und ökologischer gestalten können Dr. Steffen Klumbach Landesstelle für Straßentechnik (LST), Abt. 9 des Regierungspräsidiums Tübingen Vera Schmidt Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg (VM), Abt. 2 Straßenverkehr, Straßeninfrastruktur Zusammenfassung Das Land Baden-Württemberg ist Wegbereiter bei der Entwicklung und Anwendung zukunftweisender Technologien im Straßenbau. So wurden im Zeitraum von 2011 bis 2015 bei Erhaltungsmaßnahmen auf Landesstraßen 38 Pilotstrecken mit erhöhter Zugabemenge an Asphaltgranulat erfolgreich eingebaut bekannt als Maximalrecycling. Mit Einführung der ETV-StB-BW, Ausgabe 2015 wurde Maximalrecycling als Regelbauweise für Binder- und Tragschichten aus Asphaltbeton zugelassen. Hinsichtlich einer Fortschreibung der ETV-StB-BW wurde nun die Dauerhaftigkeit der bis 2015 gebauten Pilotstrecken mit Maximalrecycling untersucht und bestätigt. In den Jahren 2017 und 2018 hat die Straßenbauverwaltung zudem mehrere Erhaltungsmaßnahmen in der Sonderbauweise Qualitäts-Straßenbau Baden-Württemberg 4.0 (QSBW 4.0) erfolgreich umgesetzt. QSBW 4.0 nutzt die Digitalisierung im Bauwesen um zahlreiche qualitätssteigernde Aspekte bei der Herstellung von Asphaltstraßen zu vereinen. In der Folge wurde 2018 das QSBW 4.0 Handbuch eingeführt. Die Zusammenführung beider Bauweisen kann den Straßenbau effizienter und ökologischer zugleich gestalten. 1. Einführung Die Zahl an geplanten Straßenbauvorhaben in Baden- Württemberg ist groß, insbesondere im Bereich der Straßenerhaltung. Demgegenüber stehen begrenzte finanzielle und materielle Ressourcen. Die Straßenbauverwaltung ist deshalb bemüht ihre Bauvorhaben möglichst wirtschaftlich umzusetzen, eine längere Nutzungsdauer der Straßenbefestigung zu erzielen und nicht zuletzt die Umwelt zu schonen. Dies kann mit Hilfe innovativer Bauweisen wie dem hier vorgestellten Maximalrecycling und Qualitäts-Straßenbau Baden-Württemberg 4.0 (QSBW 4.0) erreicht werden. 2. Maximalrecycling Recycling statt Entsorgung. Schonung von Ressourcen. Auf diesen Schlagworten fußt die Entwicklung von Maximalrecycling. Sie beginnt in Baden-Württemberg im Jahr 2011 mit der Erneuerung der Strecke L 1221 von Steinenkirch nach Böhmenkirch. Als Pilotmaßnahme wurde hier eine Asphaltdeckschicht mit einer Zugabemenge von 85 Gew.-% Asphaltgranulat eingebaut [1]. Bis 2015 folgte die Ausführung 37 weiterer Pilotstrecken mit Maximalrecycling auf insgesamt knapp 80 km Landesstraßen in Baden-Württemberg (Abb. 1). Hierbei wurden in sämtlichen bitumengebundenen Schichten des Straßenoberbaus verschiedene Asphaltbauweisen erprobt. Während der Pilotphase kamen die beiden Bauweisen „Maximalrecycling 90“ und „Maximalrecycling 50/ 75“ zur Anwendung. Entsprechende bauvertraglichen Regelungen hierfür wurden mit den ETV-StB-BW Maximalrecycling, Fassung 2013 eingeführt [2]. „Maximalrecycling 90“ ist, unabhängig von der einzubauenden Asphaltbetonschicht, durch eine Zugabe von 75 bis 90 Gew.-% Asphaltgranulat sowie eines geeigneten Rejuvenators definiert. Es gilt die durch das Fräsen veränderte Sieblinie durch Zugabe grober Gesteinskörnungen zu korrigieren sowie einen Bindemittelüberschuss zu vermeiden. „Maximalrecycling 50/ 75“ legt eine Zugabemenge von 60 bis 75 Gew.-% Asphaltgranulat in Trag- und Binderschichten aus Asphaltbeton sowie einer Zugabemenge zwischen 40 und 50 Gew.-% an Asphaltgranulat in Deckschichten aus Asphaltbeton fest. Die Herstellung des neuen Asphaltmischgutes beinhaltet zudem die Zugabe von weichem Straßenbaubitumen (50/ 70 oder 70/ 100) oder Polymermodifiziertem Bitumen. In der Folge stellte sich heraus, dass Asphaltmischgüter mit Maximalrecycling bezüglich ihrer Herstellung und des Einbaus als technisch gleichwertig zu konventionell 292 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Entwicklungen im Straßenbau - Maximalrecycling und Qualitäts-Straßenbau Baden-Württemberg Abb. 1: Pilotstrecken mit Maximalrecycling auf Landesstraßen in Baden-Württemberg, ausgeführt von 2011 bis 2015, mit Differenzierung der in 2020 untersuchten Strecken (rot). gebauten Strecken eingestuft werden können [2]. Von grundlegender Bedeutung für die erfolgreiche Anwendung von Maximalrecycling sind insbesondere das schichtenweise Fräsen des auszubauenden Altbestandes, ein konsequentes und sortenreines Haldenmanagement sowie eine Asphaltmischanlage mit Paralleltrommel. Mit der Einführung der ETV-StB-BW, Ausgabe 2015 wurde Maximalrecycling als Regelbauweise zur Herstellung von Binder- und Tragschichten aus Asphaltbeton zugelassen. Parallel dazu wurden die bereits in den Jahren 2011 und 2012 gebauten Strecken labortechnisch überwacht [3]. Nach einer Liegedauer von etwa 5 bis 10 Jahren wurden nun 23 ausgewählte Strecken der gesamten Pilotphase untersucht. Die Untersuchungen wurden in Kooperation mit dem Aalener Baustoffprüfinstitut (ABPI), dem Institut für Baustoffprüfung und Umwelttechnik (IBE) sowie dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) durchgeführt und bestätigen eine gute Dauerhaftigkeit der Strecken. 3. Qualitäts-Straßenbau Baden-Württemberg 4.0 (QSBW4.0) Die Entwicklung von QSBW 4.0 geht zurück auf das von 2013 bis 2016 durchgeführte Projekt „Smart Site“ [4]. In diesem wurde die digitale Vernetzung von Straßenbaumaschinen in Verbindung mit einer intelligenten Steuerung erprobt. Ziel war die Optimierung des Bauprozeses, was eine größtmögliche Einbauqualität verspricht. Über längere Erhaltungszyklen können die Kosten einzelner Erhaltungsmaßnahmen in Summe reduziert werden. Ziel von QSBW 4.0 ist eine Verstetigung des Einbauprozesses [5]. Das einzubauende Asphaltmischgut soll ausreichend heiß, in konstanter Schichtdicke und mit homogener Verdichtung verarbeitet werden. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 293 Entwicklungen im Straßenbau - Maximalrecycling und Qualitäts-Straßenbau Baden-Württemberg Abb. 2: Von 2017 bis 2020 auf Landesstraßen in Baden-Württemberg ausgeführte Erhaltungsstrecken mit QSBW 4.0 (schwarz), geplante Erhaltungsmaßnahmen mit QSBW 4.0 für 2021 (rot) sowie das Projekt „Smart Site“ (blau). Seit 2017 sind bereits 16 Erhaltungsmaßnahmen auf Landesstraßen in Baden-Württemberg mit QSBW 4.0 ausgeführt worden (Abb. 2). In Summe entspricht dies ungefähr 41 km Streckenlänge. Bereits 2018 wurde das QSBW 4.0 Handbuch eingeführt. Zur Fortschreibung des QSBW 4.0 Handbuches fand Ende 2019 an der Landesstelle für Straßentechnik (LST) ein Erfahrungsaustausch innerhalb der Straßenbauverwaltung statt. Anfang 2020 fand zudem am Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg (VM) ein Erfahrungsaustausch mit den ausführenden Firmen statt. Für das Jahr 2021 sind fünf weitere Maßnahmen mit einer Gesamtlänge von etwa 11 km geplant. Ferner wird QSBW 4.0 künftig bei allen geeigneten Erhaltungsmaßnahmen auf Landesstraßen als Regelbauweise zur Anwendung kommen. Vor Baubeginn steht bei Projekten mit QSBW 4.0 die Bestandserfassung mit Hilfe eines Straßenscans, der zur Erfassung der vorhandenen Oberfläche dient, sowie eine Georadarerkundung in Verbindung mit der Entnahme von Bohrkernen zur Erfassung des bestehenden Oberbaus. In der Folge wird zur Festlegung des Erhaltungsumfangs der zukünftige Aufbauhorizont definiert. Dieser wird über schichtenweises Fräsen sowie durch Fräsen in variabler Tiefe erreicht. Der daran anschließende Wiederaufbau einer Asphaltstraße umfasst vier wesentliche Schritte: 1.) die Herstellung des Mischgutes in der Mischanlage, 2.) den Transport des heißen Mischgutes zur Baustelle, 3.) der Einbau auf der Baustelle sowie 4.) die Verdichtung. Bei der Herstellung des Asphaltmischgutes adressiert QSBW 4.0 vor allem die Verladetemperatur. Diese orientiert sich an der voraussichtlichen Temperatur bei der Anlieferung auf der Baustelle. Ziel ist es das Mischgut gleichmäßig heiß für die Verarbeitung auf der Baustelle anzuliefern, bei der Herstellung in der Mischanlage jedoch möglichst wenig thermisch zu belasten. Zudem liefert die digitale Anbindung des Wiegesystems Informationen über die momentane Auslastung der Mischanlage. 294 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Entwicklungen im Straßenbau - Maximalrecycling und Qualitäts-Straßenbau Baden-Württemberg Ferner wird der Verladezeitpunkt erfasst und die aktuelle Position der Fahrzeuge kontinuierlich bestimmt. In der Folge können der Zeitpunkt und die Temperatur für die Anlieferung des Mischgutes auf der Baustelle prognostiziert werden. Hierbei werden auch Umwelteinflüsse wie beispielsweise ein erhöhtes Verkehrsaufkommen berücksichtigt. Schlüsselparameter des Einbauprozesses sind die Einbautemperatur, Fertigergeschwindigkeit und Schichtdicke. Diese Werte werden baubegleitend dokumentiert und sollen konstant gehalten werden. Letzter entscheidender Faktor ist die Verdichtung des heißen Asphaltmischgutes. Diese soll angemessen und homogen sein und wird deshalb ebenfalls baubegleitend dokumentiert. 4. Zusammenführung Durch die Wiederverwendung großer Mengen an Asphaltgranulat und die Schonung materieller Ressourcen stehen bei Maximalrecycling ökologische Aspekte klar im Vordergrund. Durch den Einsatz großer Zugabemengen an Asphaltgranulat kann zudem kostengünstigeres Mischgut hergestellt werden, sodass Maximalrecycling auch eine wirtschaftliche Komponente hat. Demgegenüber adressiert QSBW 4.0 eine Effizienzsteigerung des Asphalteinbauprozesses. Über eine längere Straßennutzungsdauer kann QSBW 4.0 zu einem ökologischeren Straßenbau beitragen. Beide Bauweisen tragen auf unterschiedliche Weise zu einem effizienteren und ökologischeren Straßenbau bei. Die Zusammenführung beider Bauweisen kann darüber hinaus zu einer wechselseitigen Ergänzung der jeweils anderen Bauweisen führen. Literaturangaben [1] Hollatz, A., Zweschper, Y.: Erhaltungskonzepte für Asphaltstraßen in Baden-Württemberg - Pilotstrecken mit Maximalrecycling, asphalt 08/ 2012. [2] Hollatz A, Uhlmann, I.: Erhaltungskonzepte für Asphaltstraßen in Baden-Württemberg - Maximalrecycling in der Praxis, asphalt 08/ 2013. [3] Oberth, E., Beeh, J., Zimmermann, R., Murgul, B.: Maximalrecycling, Asphalt & Bitumen 02/ 2017. [4] Seizer, B., Groß, M., Enghardt, L.: SmartSite - Prozesssicherheit durch Vernetzung und Automatisierung, Straße und Autobahn 01/ 2016. [5] Schmidt, V., Zimmermann, R.: Qualitäts-Straßenbau Baden-Württemberg 4.0, VSVI aktuell 01/ 2019. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 295 BIM in der Straßenerhaltung Dipl.-Ing. (FH) Gerhard Seifert STRABAG GmbH Direktion Baden-Württemberg Albstadtweg 12 70567 Stuttgart Deutschland Zusammenfassung Bei BIM SE, einer kooperativen Entwicklung der STRABAG GmbH und des Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg, Referat 23, handelt es sich um ein auf BIM-Prinzipien aufbauendes Straßenerhaltungsmanagement für den Abruf von Straßenerhaltungsmaßnahmen aus einem Rahmenvertrag, der Kosten-, aber auch Zeitsicherheit bei Fahrbahndeckenerneuerungen gewährleisten soll. Die Entwicklung wurde anhand von Pilotstrecken evaluiert und getestet und somit im Zeitraum von 2018-2020 stetig weiterentwickelt. Rechtzeitige Einbindung von externem Knowhow und umfangreiche Voruntersuchungen gepaart mit Variantenuntersuchungen und klaren Baufestlegungen sollen das Miteinander während der Ausführungsphase unterstützen und erleichtern. Durch Modellbasierte Darstellung und Nutzung von neuen Erfassungsmethoden wird auch die vermeintlich kleine Baustelle digital und vorgeplant. 1. Entwicklung Um ein Pilotvorhaben über mehrere Jahre vom Startgespräch bis hin zu einer eventuellen Einführung des Verfahrens in einer Testphase zu ermöglichen sind viele gemeinsame Entwicklungsschritte und Abstimmungsgespräche sowie viele Festlegungen zu treffen. 1.1 Auftraggeber Information Anforderung AIA) Die AIA stehen am Anfang eines jeden BIM-Projektes, da dort der geforderte Input des Projektes für den Auftraggeber festgelegt wird. Somit muss sich der Auftraggeber erst einmal im Klaren sein, wann er welche Informationen in welcher Qualität und welchem Format während der Projektabwicklung. 1.2 BIM-Abwicklungs-Plan (BAP) Im weiteren Entwicklungsverlauf wurde die geforderten Informationen seitens der STRABAG auf Machbarkeit und Dokumentierbarkeit geprüft und in einem BIM-Abwicklungsplan aufgeführt. 1.3 Standard LV Im derzeitigen Entwicklungsstadium ist noch keine automatisierte Erzeugung von völlig freien LV ausschließlich über Volumenkörpermerkmalen möglich. Daher wurde gemeinsam ein BIM-geeignetes Rahmenvertrags-LV für gängige Jahresbaumaßnahmen entwickelt, die mögliche Bauweisen für ganz Baden-Württemberg ermöglichen sollen. 1.4 Attributkatalog Für dieses Rahmenvertrags-LV mussten nun die passenden Merkmalattribute für die Modellierungskörper (auch Volumenkörper genannt) definiert werden, die bei der Modellierung den Körpern mitgegeben werden müssen. Dies ist eine der wichtigsten Tätigkeiten, damit später im AVA-System (hier RIB-ITwo) die Verbindungen gefunden werden. 1.5 Ausstattungskatalog ITwo Damit wie oben erwähnt die Modellierungselemente den richtigen LV-Ordnungszahlen des Rahmenvertrags-LV automatisiert zugewiesen werden muss ein für alle Beteiligten geltender Ausstattungskatalog entwickelt werden, der kurz gesagt wie eine Suchmaschine alle importierten Volumenkörper untersucht und den zugehörigen LV- OZ´s zuweist. Wichtig dabei ist, dass alle möglichen Bieter und der Auftraggeber die gleichen Attribute sowie den gleichen Ausstattungskatalog benutzen. 296 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 BIM in der Straßenerhaltung 1.6 Entwicklung Prozessketten Um für alle Projektbeteiligten die einzelnen notwendigen Schritte als auch die zeitlichen Zusammenhänge und Handlungszeitpunkte aufzuzeigen wurde für 8 Projektphasen eine EPK (Ereignisgesteuerte Prozesskette) aufgesetzt. Bild 1: EPK-Übersicht BIM SE Dies erleichtert für neue Projekt und Techniken auch die Schulung und Fortbildung der Beteiligten. Bild 2: EPK am Beispiel Bestandsaufnahme 2. Bestandserfassung BIM SE versucht den ganzen Rahmen von Ausschreibung bis hin zum AS-Built-Modell abzudecken. Daher sind umfassende Erkenntnisse zum Bestand existentiell, um über das Bestandsmodell wichtige Info´s für die Ausführungsvariante bereit zustellen. 2.1 Oberfläche Für jede Planung ist die 3D-Information der bestehenden Fahrbahn die Grundlage. Für BIM-SE wurden jede derzeit wirtschaftliche Möglichkeit der Datenerfassung untersucht. Diese waren tachymetrische Aufnahme, Drohnenvermessung sowie Scangestütztes Mobile Mapping. Bild 3: Bestandserfassungsmethoden 2.2 Zustand und Belastung Bestandsschichten Um unliebsame Überraschungen im Untergrund und daraus resultierende Probleme im Budget und Bauzeit zu vermeiden, wird sehr viel Wert auf die Flächenhafte Untersuchung des Untergrundes in Bezug auf Aufbau und Belastung gelegt. Dafür wurde flächenhafte Georadaruntersuchungen sowie umfangreiche Kontrollbohrungen durchgeführt. Bild 4: Abdeckung des Bestandes durch die Georadarbefahrung 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 297 BIM in der Straßenerhaltung Bild 5: Flächenhaftes Georadar-Messfahrzeug 2.3 Bestandsmodell Auf Basis der ermittelten Daten wird danach das Bestandsmodell modelliert und attributiert, damit Entscheidungsträger den Bestand analysieren können. Dabei können Visualisierung behilflich sein. Bild 6: Beispiel Bestandsmodell in 3D-Ansicht 3. Ausführungsvarianten / Festlegung Für die Ausführungsmodellierung können sofort eine Variante oder evtl. auch mehrere mögliche Varianten sinnvoll und interessant sein. Manchmal kann zur Zeit-, und Kostenoptimierung auch die Modellierung mehrerer Varianten am Ende die richtige Lösung sein. Auch die Einbindung von externem Knowhow kann in dieser Phase sinnvoll sein. 3.1 Ausführungsmodell Nach den Vorgaben der Entscheidungsträger werden gemäß den gemeinsamen Merkmalkataloge (Attribute) optimierte Ausführungsplanungen (oft gepaart mit Ausgleichsplanungen mit Fahrdynamik und Entwässerungsoptimierung) aufgestellt und modelliert. Diese können dann mittels der Austattungskataloge und des Standard-LV umgehend in Bezug auf Kosten und Bauzeit in ITwo ausgewertet werden und somit verlässlich in die Planungen des Budget der ausschreibenden Behörde einfließen. 4. Abrechnungsmodell Wir das Projekt tatsächlich vergeben kann nun die Ausführungsphase gestartet werden. Sollten keine Änderungen in der Bauzeit mehr auftreten, wäre das Abrechnungsmodell und das Ausführungsmodell identisch. Ansonsten müssen die Veränderungen fortlaufend in das Abrechnungsmodell eingepflegt werden. 4.1 Erfassung Veränderungen Änderungen, die eine Aktualisierung des Modells erforderlich machen (z.B. Schadstellen, die nicht geplant werden konnten.) müssen georeferenziert eingemessen werden. Dies kann durch GNSS-Rover, Drohnen, Scanner oder auch manuelle Einmessungen mit Lageangaben, die ein referenziertes Modellieren ermöglichen, durchgeführt werden. Bild 7: Aufnahmen Schadstellen 298 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 BIM in der Straßenerhaltung 4.2 Nicht modellierbare Leistungspositionen Nicht alle Positionen Standard-LV lassen sich positionsgetreu modellieren. Dazu gehören Pauschalen, Verkehrssicherung, etc. Diese OZ machen eine nicht unerhebliche Anzahl am Gesamtprojekt aus. Um eine gesamte Abrechnung als Modellübergabe zu ermöglichen wurde mittels Dummy-Körpern, denen abrechnungsrelevante Dokumente und Informationen angeheftet wurden entwickelt und in Pilotprojekten mit Erfolg getestet. 5. AS-Built-Modell Für die Weiterverwendung des tatsächlich übergebenen Bauprojekt sind allerdings nur noch die neuen Schichten sowie Qualitäts-, und Herkunftsangaben dazu relevant. Diese werden in einem As-Built-Modell, das aus einem reduzierten Abrechnungsmodell sowie weiteren angehefteten Informationen besteht, gebündelt. Bei Bedarf stehen diese jetzt Interessierten (z.B. Straßenmeistereien) zur Verfügung. Bild 8: As-Built-Modell in der Visualisierung 6. Fazit BIM kann auch in der Strassenerhaltung für einen planbaren Rahmenvertragsumfang hilfreich sein, um begrenzte Budgets sowohl qualitativ als auch relativ sicher in der Bauzeit kurzfristig durchzuführen. Abbildungsverzeichnis Bild 1: Strabag GmbH Bild 2: Strabag GmbH Bild 3: Strabag GmbH Bild 4: Strabag GmbH Bild 5: Strabag GmbH Bild 6: Strabag GmbH Bild 7: Strabag GmbH Bild 8: Strabag GmbH 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 299 Nachhaltiger Asphaltstraßenbau und die Auswirkungen auf das Erhaltungsmanagement - Praxisbeispiel Münster Dr.-Ing. Alexander Buttgereit Stadt Münster Amt für Mobilität und Tiefbau Dipl.-Betriebswirt Stefan Gomolluch Stadt Münster Amt für Mobilität und Tiefbau Dr.-Ing. Daniel Gogolin Ingenieurgesellschaft PTM Dortmund mbH Zusammenfassung Das Thema Umweltschutz und Recycling ist in Deutschland im Asphaltstraßenbau nicht neu. Bereits seit vielen Jahrzehnten wird Ausbauasphalt beim Bau neuer bzw. der Erhaltung vorhandener Straßen erfolgreich eingesetzt. Warum dann jetzt etwas Neues? Vor dem Hintergrund stetig schwindender natürlicher Ressourcen wird die Frage der Wiederverwendung auch im Asphaltstraßenbau immer dringender. Gleichzeitig werden immer mehr bereits mit Ausbauasphalt hergestellte Asphalte recycelt, also re-recycelt. Außerdem zeichnen sich mögliche Konsequenzen des Klimawandels immer deutlicher ab, so dass auch eine Anpassung des Erhaltungsmanagements wahrscheinlicher wird. In diesem Beitrag sollen in einem ersten Teil die Bautechnik und die Ergebnisse der Versuchsstrecken dargestellt werden. Im zweiten Teil werden die hieraus resultierenden Folgen für das Erhaltungsmanagement am Beispiel Münster verdeutlicht. 1. Wiederverwendung von Asphalt (-granulat) Die Ressourcenrelevanz der Bauwirtschaft in Deutschland ist erheblich. Es werden ca. 540 Mio. Mg/ a mineralische Naturstoffe abgebaut, dies entspricht einem Landverbrauch von etwa 4 ha/ d. Zudem ist die Bauwirtschaft für 37% der CO2- und SO2-, 18% der NOx-Emissionen, 30% des Energieverbrauchs der westlichen Bundesländer verantwortlich. [1] Bisher wurde vornehmlich der Hochbau im Bereich des ressourceneffizienten Bauens betrachtet. Aber auch der Tiefbau, der zentrale Teile der Infrastruktur darstellt, hat neben einer großen ökonomischen Bedeutung (Umsatz des Baugewerbes 2018 in Deutschland ca. 86 Mrd. €, davon im Tiefbau 32 Mrd. € [2]) eine erhebliche Ressourcenrelevanz. Hier übernehmen Kommunen eine wichtige Funktion, da etwa 75% des Straßen- und Wegenetzes in Deutschland Gemeindestraßen und Wirtschaftswege sind. Eine grundlegende Erneuerung der Straßenkörper ist nach bisherigen Erfahrungen, je nach Straßenkategorie, ca. alle 30 bis 60 Jahre notwendig. Asphaltdeckschichten weisen hierbei die geringste Lebensdauer von bis zu 20 Jahren auf. Allerdings ist davon auszugehen, dass aufgrund steigender Belastung des Straßenoberbaus (z. B. vermehrtes Schwerverkehrsaufkommen, Klimaveränderung), die Erneuerungszyklen und Lebensdauern in Zukunft kürzer werden [3]. Der Baustoff Asphalt eignet sich aufgrund seiner thermoplastischen Eigenschaften ausgezeichnet für die Wiederverwendung bzw. das Recycling. Das hierfür erforderliche Technische Regelwerk liegt im Grundsatz mit entsprechenden Grenzen für die Zugabe von Asphaltgranulat (AG) vor. Mit diesen Begrenzungen geben sich die Autoren jedoch nicht zufrieden und wollen daher u.a. der Frage nachgehen: Wie viel mehr Asphaltrecycling ist in der Praxis heute und in der Zukunft möglich? Da bereits seit vielen Jahren die Wiederverwendung von Asphalt (-granulat) fester Bestandteil des Asphaltkreislaufs ist (vgl. Abbildung 1), ist es absehbar, dass Rejuvenatoren zukünftig einen wichtigen Baustein bei der Wiederverwendung von Asphalt darstellen werden, der auch langfristig möglichst hohe Wiederverwendungsraten bei gleichbleibend hoher Qualität ermöglicht [4]. 300 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Nachhaltiger Asphaltstraßenbau und die Auswirkungen auf das Erhaltungsmanagement - Praxisbeispiel Münster Abbildung 1: Kreislauf im Asphaltstraßenbau Im Rahmen der vorangegangenen Projekte und Beiträge zum Thema Rejuvenatoren [5] [6] konnten bereits eine Vielzahl an positiven Aspekten herausgearbeitet werden. Aus den bisherigen Ergebnissen der Projekte haben sich in der Folge weitere Fragestellungen ergeben: • Lässt sich die Zugabemenge von AG erhöhen ohne die Qualität negativ zu beeinflussen? • Ist es generell sinnvoll - auch schon bei geringen Anteilen AG - Rejuvenatoren zu verwenden? • Kann durch den Einsatz von Rejuvenatoren allgemein die Qualität verbessert bzw. die Nutzungsdauer verlängert werden? Diese Fragestellungen sollten in mehreren Bauprojekten praktisch beantwortet werden. 2. Planungsschritte Im Januar 2020 ist erstmals zwischen der bauausführenden Firma und der Stadt Münster die Idee besprochen worden, im Rahmen des laufenden Bauvertrags der Straßenerhaltung Teststrecken mit einer erhöhten Zugabe an Asphaltgranulat in der Asphalttragschicht und der Asphaltdeckschicht zu bauen. Schnell ist dabei Einvernehmen erzielt worden, ein solches Projekt gemeinsam umzusetzen. Hierzu ist allerdings eine enge Abstimmung aller am Projekt beteiligten Parteien (Baufirma, Asphaltmischwerk, Prüflabor, Auftraggeber) notwendig. Im Startgespräch zwischen dem Asphaltmischwerk, dem Prüflabor und dem Auftraggeber im März 2020 sind die Projektziele und die -umsetzung erörtert und fixiert worden. Hinsichtlich der Frage- und Zielstellungen wurde das Konzept entwickelt, Vergleichsuntersuchungen an einer Asphalttragschicht AC 22 TN und an einer Asphaltdeckschicht AC 11 DN mit variierenden Anteilen an Asphaltgranulat und jeweils mit und ohne Rejuvenator durchzuführen. 3. Untersuchungsmethodik und Untersuchungsprogramm Anfang April 2020 standen seitens des Asphaltmischwerks geeignete Asphaltgranulate in ausreichender Menge für das Projekt zur Verfügung. Analog zu der Erstellung der vorläufigen Erstprüfungen durch das Asphaltmischwerk wurde das Basisbitumen und das Asphaltgranulat im Labor der Ingenieurgesellschaft PTM Dortmund mbH untersucht. Im Rahmen dieser Untersuchungen sollte die Zugabemenge des Rejuvenators mit Hilfe physikalischer und rheologischer Bindemitteluntersuchungen für die unterschiedlichen Varianten der Asphaltdeckschicht AC 8 D N und der Asphalttragschicht AC 22 T N labortechnisch bestimmt und festgelegt werden: • Asphalttragschicht AC 22 T N mit 50 % Asphaltgranulat • Asphalttragschicht AC 22 T N mit 80 % Asphaltgranulat • Asphaltdeckschicht AC 11 D N mit 20 % Asphaltgranulat • Asphaltdeckschicht AC 11 D N mit 50 % Asphaltgranulat. Als Zugabebindemittel wurde für alle Varianten ein Straßenbaubitumen 70/ 100 und als Zielbindemittel ein Straßenbaubitumen 50/ 70 festgelegt. Als Rejuvenator kam das Produkt VIATOP® plus RC zum Einsatz. Für die Festlegung der einzelnen Bindemittelanteile, d.h. Zugabebindemittel 70/ 100, rückgewonnenes Bindemittel aus Asphaltgranulat und Rejuvenator, wurde auf die vorläufigen Erstprüfungen und auf die bisherigen Erkenntnisse der Wirkungsweise des Rejuvenators zurückgegriffen (Additiv 2.0 aus [7]). Für das Projekt kamen für die zwei Asphaltdeckschicht AC 8 D N und die Asphalttragschicht AC 22 T N jeweils unterschiedliche Asphaltgranulate zum Einsatz. Die Festlegung der Zugabemenge erfolgte klassisch über Erweichungspunkt Ring und Kugel und rheologisch über das BTSV-Verfahren. Auf Grundlage der durchgeführten Bitumenanalysen wurden die Zugabemengen des Rejuvenators für die einzelnen Asphaltmischgutvarianten festgelegt und in die entsprechenden Erstprüfungen eingearbeitet. Auf Grundlage der Erprobungsstrecken und der entsprechend durchgeführten labortechnischen Untersuchungen konnten entscheidende Erkenntnisse zur Beantwortung der zuvor aufgeworfenen Fragestellungen gewonnen werden. Auf Basis dieser Erkenntnisse können darüber hinaus gezielte Aussagen zur Qualität dieser Bauweise 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 301 Nachhaltiger Asphaltstraßenbau und die Auswirkungen auf das Erhaltungsmanagement - Praxisbeispiel Münster getroffen und anhand von durchgeführten Alterungs- und Belastungssimulationen weitreichende Prognose zur Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit erstellt werden. Diese Erkenntnisse haben beispielsweise einen unmittelbaren Einfluss auf Erhaltungszyklen einer Straße und können wiederrum effektiv für das Erhaltungsmanagement genutzt werden. 4. Folgen für das Erhaltungsmanagement, Erhaltungszyklen Die wesentliche Aufgabe der öffentlichen Straßenbaulastträger ist die Bereitstellung von sicheren und leistungsfähigen Straßen zu einem angemessenen Preis. Hierbei sollen u.a. die Belange des Umweltschutzes und der Barrierefreiheit beachtet werden. Diese Anforderungen aus unterschiedlichen Bereichen können leicht zu Zielkonflikten führen, die seit vielen Jahren mit Hilfe eines Asset Managementsystems transparent gelöst werden können. Asset Management unterstützt die aufgaben- und ergebnisorientierte Steuerung der Straßenerhaltung unter mehr als rein Straßenbautechnischen Aspekten auf Basis von Zielen, Messgrößen und Kennzahlen über den Lebenszyklus aller Anlagen einer Organisation. Somit wird es möglich, z.B. Umwelt- oder Klimaziele in ein Erhaltungsmanagement messbar zu integrieren und vorhandene bautechnische Lösungen umzusetzen. Dabei stellt sich die Frage, ob die vorhandenen Lösungen ausreichen bzw. ob es ein noch nicht aktiviertes Potential gibt? 4.1 Wie kann so etwas konkret aussehen? Die Stadt Münster hat verschiedene Programme ins Leben gerufen, um die Stadt und die Stadtverwaltung nachhaltiger und ans Klima angepasster zu gestalten. Das Amt für Mobilität und Tiefbau kann und will aufgrund der Verantwortung für die Infrastrukturanlagen einen großen Beitrag dazu leisten. Deshalb werden seit vielen Jahren Umweltaspekte in Entscheidungsprozesse integriert und beispielsweise ein nachhaltiges Straßenerhaltungsmanagement sukzessive aufgebaut. Dieses soll die drei Säulen der Nachhaltigkeit, Ökologie, Ökonomie und sozio-kulturelle Belange, berücksichtigen. Diese Leitziele lassen sich in strategische Ziele spezifizieren und drücken gewählte Anforderungen an die Verkehrsinfrastruktur aus. Hinter dem Ziel Nachhaltigkeit verbergen sich operative Ziele wie z. B. den Lärm zu senken, ein Ressourcen schonenderer Umgang mit Material und Energie sowie alles, was einen Menschen umgibt, auf ihn einwirkt und seine Lebensbedingungen beeinflusst. Als Messgröße wird z. B. der Einsatz von recycelten Materialien herangezogen. Um all diese Ziele bestmöglich zu erreichen, ist es wichtig, bautechnische Lösungen zu finden, die eine maximale Umweltwirkung bei gleichzeitig maximaler bautechnischer Sicherheit mit vielleicht sogar längerer Nutzungsdauer gewährleisten. Diese Randbedingungen sollen mit Hilfe „passender“ Materialeigenschaften erfüllt werden. 4.2 Welche Auswirkungen hat das auf den kurz-, mittel- und langfristigen Finanzbedarf? Während bislang beschrieben worden ist, wie bautechnisch längere Nutzungsdauern erreicht werden können, soll im zweiten Teil dargestellt werden, wie bzw. worauf sich längere Nutzungsdauern auswirken. Fest steht, dass diese einen wesentlichen Einfluss auf den Finanzbereich (vgl. Abbildung 2) hat. Aus den RPE-Stra und den ABBV ist eine Erhaltungsstrategie für das Straßennetz Münster entwickelt worden. Anhand dieser Werte lassen sich die Zeiträume für Instandsetzungsmaßnahmen abschätzen. Außerdem erhält man unter Berücksichtigung der in den ZTV BEA aufgeführten Erhaltungsarbeiten die Kosten für die Straßenerhaltung über die Nutzungsdauer des Oberbaus. Berücksichtigt man zusätzlich die Abschreibungen aus den Kosten der Erstbzw. Ersatzinvestition, so ergibt sich der Aufwand für die Bereitstellung der Straße (vgl. [8, 9]). Es sind Vergleichsrechnungen mit unterschiedlichen Eingangsparametern durchgeführt worden. In der Abbildung 2 werden exemplarisch die Auswirkungen einerseits bei einer konstanten Gesamtnutzungsdauer von 40 Jahren und andererseits bei einer Verlängerung der Gesamtnutzungsdauer entsprechend der Verlängerungen der Schichten von bis zu 80 Jahren gegenübergestellt. 302 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Nachhaltiger Asphaltstraßenbau und die Auswirkungen auf das Erhaltungsmanagement - Praxisbeispiel Münster Abbildung 2: Preisentwicklung bei konstanter und variabler Gesamtnutzungsdauer Bei konstanter Gesamtnutzungsdauer (GND) kann der Preis um bis zu 34% reduziert werden, bei variabler Gesamtnutzungsdauer sogar bis zu 54 %. Die Hintergründe sowie weitere Beispiele werden in der Präsentation erläutert. 5. Fazit und Ausblick Die Beispielberechnung verdeutlicht, dass eine Verlängerung der Lebensdauern einzelner Schichten bzw. der gesamten Anlage Straße einen wesentlichen Einfluss auf den Finanzbedarf hat. Längere Nutzungsdauern können im Bereich der Finanzen dazu führen, dass Reinvestitionen gestreckt werden, die jährlichen Mittel der Straßenerhaltung reduziert werden können und die bilanziellen Abschreibungen sich ebenfalls reduzieren. Positive Effekte aus Umweltsicht sind z.B. sinkende Kohlendioxydemissionen, weniger Verkehrsstörungen durch eine geringe Zahl an Baustellen sowie weniger Lärmemissionen durch defekte Straßen, Bauarbeiten oder baustellenbedingten Staus. Summiert man die v. g. Ausführungen und zieht ein Fazit, so kommt man zu dem Ergebnis, dass die beschriebenen Maßnahmen und Aktionsfelder zusammen genommen alle drei Säulen der Nachhaltigkeit -Ökologie, Ökonomie und sozio-kulturelle Belangebedienen. Es ist also durchaus gerechtfertigt, von einem nachhaltigen Asset Management in Münster zu sprechen. Literaturverzeichnis [1] Bundesverband Baustoffe - Steine und Erden e.V., https: / / www.baustoffindustrie.de/ fileadmin/ user_upload/ bbs/ Dateien/ Downloadarchiv/ Rohstoffe/ Rohstoffstudie_2019.pdf, letzter Zugriff 28.09.2020 und Drexler, H. et al: Minimum Impact House, Forschungsprojekt zur Entwicklung eines nachhaltigen Prototyps im Auftrag der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, 2008. [2] Ausgewählte Zahlen für die Bauwirtschaft - Dezember und Jahr 2018; Destatis Statistisches Bundesamt, 2019. [3] Knappe, F. et al: Substitution von Primärrohstoffen im Straßen- und Wegebau durch mineralische Abfälle und Bodenaushub, Heidelberg, Dezember 2015 [4] Sonderrundschreiben 07/ 2020 vom 28.08.2020 und Technisches Informationspapier des Deutschen Asphaltverbands (DAV) e.V. „Verwendung von Rejuvenatoren bei der Wiederverwendung von Asphalt“ Stand August 2020 [5] Wirksamkeit und Performance von Rejuvenatoren, Teil 1: Laboruntersuchungen, Fachzeitschrift asphalt Heft 2/ 2019 [6] Wirksamkeit und Performance von Rejuvenatoren, Teil 2: Praxiserprobung und Bedeutung für das Erhaltungsmanagement, Fachzeitschrift asphalt Heft 4/ 2019 [7] Wirksamkeit und Performance von Rejuvenatoren - Teil 3: Vergleichsstudie zur Wirkungsweise unterschiedlicher Rejuvenatoren, Fachzeitschrift asphalt, Ausgabe 06/ 2019 [8] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e. V. (2019): Merkblatt über den Finanzbedarf der Straßenerhaltung in den Kommunen, Ausgabe 2019, FGSV Verlag, Köln [9] Buttgereit, A.; Gomolluch, S. (2019): „Das neue „Merkblatt über den Finanzbedarf der Straßenerhaltung in den Kommunen“ - und wie geht es weiter? “, Straße und Autobahn, 12/ 2019, S. 1094- 1103, Kirschbaum Verlag, Bonn Mobilität und Verkehr 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 305 Consequences of connected and automated driving to physical and digital high-level road infrastructure Sandra Ulrich ARND IDC GmbH & Co KG, Vienna, Austria Risto Kulmala Traficon Ltd, Espoo, Finland Abstract The development of automated driving functions in vehicles and road network operation automation is progressing steadily. As amendments to infrastructure are costly and timely there is a strong need for research for them to be planned accordingly. The CEDR-funded project MANTRA has investigated the consequences of automated vehicles on physical and digital road infrastructures as well as their planning, construction, maintenance and operation. Concrete consequences of selected automated vehicle functions as well as requirements resulting from their operational design domain (ODD) definition to infrastructure up until the year 2040 have been assessed. The need to define and provide the required Operational Design Domain (ODD) to enable highly automated driving were identified as most pressing for the road authorities and operators. This paper summarizes the results and provides infrastructure recommendations to support highly automated driving covering the areas of traffic management, road maintenance, crisis management, traffic information services, road planning and building, road works planning, physical infrastructure, enforcement, ITS systems, digital infrastructure, road user charging and new core businesses. 1. Introduction 1.1 Objective Automation has been advancing very quickly during the past years in all domains of the society. In transport, the development started in the late 1980s but has advanced extremely rapidly during the past 7-8 years, mainly due to technology giants like Google stepping into the business earlier dominated by automobile manufacturers only. Research and technology development activities around road vehicle automation have very much focused on the basic enablers of automated driving, such as sensing, positioning, vehicle control and artificial intelligence. So far, road authorities and operators have not been heavily engaged in the development of automated driving automation until recently. CEDR provided its position paper on road vehicle automation in 2016, and has initiated a working group on CAD, while many NRAs have developed specific strategies and action plans for CAD. There are two main reasons for this. First, CAD will have a major impact on the NRAs’ policy goals related to safety, efficiency and environment as well as their core business of network operation. Second, NRAs have a major influence in determining where higher level automated driving can in fact take place. With this in mind, the Conference of European Directors of Roads CEDR launched its Automation research call in late 2017. MANTRA “Making full use of Automation for National Transport and Road Authorities - NRA Core Business” has responded to the questions posed as CEDR Call’s Topic A: How will automation change the core business of NRA’s, by answering the following questions: • What are the influences of automation on the core business in relation to road safety, traffic efficiency, the environment, customer service, maintenance and construction processes? • How will the current core business on operations & services, planning & building and information and communication technology (ICT) change in the future? 1.2 Methodology MANTRA work started with the analysis of vehicle penetrations and Operational Design Domain (ODD) coverage of NRA-relevant automation functions up to 2040 (Aigner et al. 2019). The next MANTRA deliverable (van der Tuin et al. 2020) on the impacts of connected and automated driving (CAD) studied the impacts related 306 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Consequences of connected and automated driving to physical and digital high-level road infrastructure to the role and policy targets of NRAs. In parallel the impacts and the resulting consequences and therefore necessary changes to infrastructure were assessed (Ulrich et al. 2020). The overall methodology followed the process as shown in Fig. 1. Starting with the current status quo on European highways, inputs from several sources formed the basis of the assessment. The initial starting point was a set of candidate automation functions all based on the latest definitions in ER- TRAC (2019). Through scientific analysis of deployment and the collective selection with CEDR of most significant automated functions and use cases during workshops, the following functions shown in Fig. 2 have been chosen to be further studied. Fig. 1: Overall Methodology to find required changes to infrastructure Fig. 2: Selected use cases including level according to SAE J3016 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 307 Consequences of connected and automated driving to physical and digital high-level road infrastructure Fig. 3: Assessment of the infrastructure impact from three different angles (Ulrich et al. 2020) The infrastructure consequence analysis was thereby tackled from three directions in order to structurally cover the crucial ones, referred to as impact categories, as shown in Fig. 3. The assessment of these three impact categories included literature analysis, expertise of the consortium as well as structured interviews with selected experts, workshops with CEDR CAD WG and a workshop with experts from road authorities, operators, automotive, civil design and construction companies, telecommunications industry and research/ academia stakeholders. The consequences related to infrastructures of the road operators and authorities are described below for the different activity areas of the road operators, focusing on technical rather than legal aspects. 2. Results - Impact on Infrastructure 2.1 Traffic management The concept of cooperative traffic management needs to be fully developed and implemented building on the work carried out among other e.g. in the TM2.0 (2018), SOCRATES 2.0 (2018), and C-ITS Platform (EC 2017). Traffic management will become an integral part of overall mobility management. In an ecosystem enhanced by significant decarbonisation and privacy priorities together with high degrees of digitalisation, traffic management is anticipated to most probably by 2040 become closely integrated with fleet management, at least with regard to ODD management also with e.g. minimum risk manoeuvres (Ulrich et al. 2020). Hence, we need to establish real-time two-way connectivity between traffic management and vehicles. This needs to be done directly and/ or via OEM or service provider clouds. Furthermore, the connectivity should be used to share safety and traffic management related data. The latter will also include traffic rules and regulations as well as ODD-related data such as for example geofences due to or affecting ODD, or incidents, events or conditions affecting the ODD. Specific access points to digital traffic rules and regulations (e.g. a Trusted Digital Regulations Access Point) and ODDs need likely to be set up to facilitate the cooperative traffic management in practice, with high level data security. The traffic management systems have to be digitized, and the traffic circulation and traffic management plans upgraded to include mobility management and also ODD management aspects. Tools such as geofencing need to be adapted for deployment. Quite likely, the contents of these plans need to be evolving during the whole transition period from fully human-operated to a situation, where close to 100% of the vehicles are highly automated. The digital traffic management systems will provide real-time information to HD maps and the local dynamic maps in the vehicles via the access points or also directly in specific cases such as e.g. road work zones. Traffic management for events and incidents including shortand long-term road works should be enhanced and harmonised to maximise efficiency. (Ulrich et al. 2020) Standards need to be developed for the exchange of digital traffic rules, traffic management plans, and ODD management related data as well as the related access points, including the data security solutions. Further standards or similar are needed for the harmonised traffic management and marking of road work zones and incident sites. (Ulrich et al. 2020) 2.2 Road maintenance In road operation, maintenance and traffic management, automation can certainly contribute to increase safety of operational workers as well as road users, improve traffic flow and optimize operational cost but only in combination with connectivity. Thereby, we need integrated connectivity of operational vehicles and road maintenance work zones with a traffic management centre equipped to inform vehicles in real time about such works. The recommendation is quite similar as with traffic management. 308 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Consequences of connected and automated driving to physical and digital high-level road infrastructure Road inspections, minor repairs, winter maintenance, incident management, and other traditional works will also be necessary in the future. Nowadays they are carried out by operational workers who are always at risk due to high-speed traffic right next to them. Supporting them in the most critical operational tasks, like work zone protection on fast lane and winter maintenance with automated driverless vehicles will take away main safety hazards. This requires the further development of the technological readiness of the systems and the related legal framework. The digital infrastructure enabling the positioning of the vehicles and according standardized, connected communication with the traffic management centre are key for the safe implementation. Road maintenance can also benefit from new condition data sources made possible through additional vehicle sensors and V2I communication. Vehicles providing road condition data to the TMC promise major improvements for predictive maintenance. This should cover cracks, rutting and skid resistance data from vehicle sensors. Overall the digital part of an operations management centre and the traffic management centre will need to merge and have integrated communication standards rather sooner than later. (Ulrich et al. 2020) 2.3 Crisis management This field is potentially fuelled by anticipated increases in severe weather conditions in Europe, as well as by increased expectations into adequate management and mitigation activities. Higher degrees of dependability on communication infrastructure add to the criticality. Crisis management is closely linked to traffic management. This again is important in both directions: informing road users quickly as well as using digital infrastructure of sensors, cameras and vehicles to make the traffic management centres aware of new incidents as quickly as possible for fast reaction times. The increasing eCall information needs to be provided directly to the responsible traffic management centre to accelerate the crisis management. 2.4 Traffic information services The role of traffic information is changing. From a policy relying on providing information on traffic conditions and problems to the driver with the final decision-making by the driver we are going for a policy, where the traffic managers make the overall decisions on behalf of the individual drivers and automated vehicles. This is especially true in large cities and busy peri-urban road networks prone to incidents with considerable consequences to travellers and hauliers. The role is also changing due to information’s increasing importance to the transport system, because what was only desirable for human drivers, is essential for highly automated vehicles (Sweatman 2019). Highly automated vehicles need to be aware of everything happening on the route ahead, also beyond their own sensors. Hence, the quality of traffic information needs to improve from the levels of today. Due to the fact that the automated vehicles with their advanced sensors will be part of the solution themselves, the quality of the traffic information will gradually improve with increased fleet penetration of connectivity and high-level automation. The prerequisite for the improvement is that the stakeholders involved - drivers and OEMs governing the data created by their vehicles, service providers and road operators governing the data from their customers and own monitoring stations - are willing to share their data. This could follow from the Data for Road Safety initiative of the European Data Task Force having a 12-month trial of the concept of sharing vehicle originated road safety related data among the stakeholders involving member states, OEMs and service providers (DTF 2019). To ensure the quality of traffic information, stakeholders need to use appropriate quality assurance methods and processes. While this is a standard practice for commercial stakeholders, many road authorities and operators do not have such quality assurance in place. In the future, the road users (drivers, automated vehicles, vulnerable road users) will receive information increasingly via their onboard devices. These can be devices embedded in the vehicle by the OEMs or aftermarket or nomadic devices attached to the dashboard of the vehicle. Unfortunately, today the OEMs, service providers and app developers use a large variety of pictograms and message content in presenting the information to the user of the device. Often the contents and pictogram differ considerably from that shown by the road operator (Haspel 2019). For the sake of safety, it would be good to harmonise at least the pictograms used by the different stakeholders, but preferably the whole message content (Kamalski and Rytkönen 2015). Automated driving systems would also benefit from a harmonised, consistent use of the pictograms (Ulrich et al. 2020). 2.5 Road planning and building The planning of new roads obviously needs to consider and make provisions for mixed traffic and connected automated vehicles. These new roads however will only be a very minor part of the network used by automated vehicles. Therefore, it is important to define standards for rehabilitation and extensions of existing roads considering the necessary equipment. This way the road networks will be upgraded step by step as part of the continual maintenance program. Infrastructure support levels for automated driving (ISAD) as developed in the project Inframix (Carreras et al. 2018) should be further defined to provide very clear guidelines for necessary digital and physical infrastructure a like. New road planning in the future needs to involve the assessment of the new sections and dependent on their importance and segment a categorization in ISAD levels as well as the operational 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 309 Consequences of connected and automated driving to physical and digital high-level road infrastructure Design Domain (ODD) requirements of the highly automated vehicles. The ODD requirements should be built into the design guidelines for new roads planning and for rehabilitations of existing roads. New road construction makes the integration of digital infrastructure, partly included also in ISAD levels, much easier compared to upgrades during rehabilitations of existing roads. Design guidelines considering all this will need to be developed for planning of new roads as well as for upgrades of existing ones. Some countries already started to develop such guidelines for infrastructure (e.g. U.S. DOT 2018 and Zencic 2019) but also admit that it is an ongoing approach also facing the challenges of limited, concrete exchange with automated vehicle developers in terms of ODDs. One element of new road planning and construction is the application of the BIM (building information modelling) methodology to ensure the parallel development of a so called digital twin of the new road that includes all necessary design, material and operational data for each asset. This will also provide the basis for road operators’ information exchange and provisions for HD maps. (Ulrich et al. 2020) 2.6 Road works planning Planned road works as part of routine maintenance works, rehabilitation or even new roads are not only core business of road operators but also heavily affect traffic flow and road safety requiring close cooperation with traffic management. Starting with a network analysis to avoid conflicting road work zones in close vicinity, the exact location, planned layout, duration and any other relevant technical information needs to be exchanged with the traffic management centres following a standardized process. During the planning of road work zones - in particular in safety critical areas - cooperative connected safety trailers and temporary sensors should be considered to enable continuous live communication with the TMC. Thus, any changes to the road work zone layout, position of or incidents around the road work zone are communicated directly to the TMC and further on to the road users. Road works planning of the future therefore goes beyond picking the optimal time slots and planning the local traffic management layout. The standardized information exchange with defined communication protocols has to be compulsory. Guidelines for necessary sensors in road work zones need to be developed. (Ulrich et al. 2020) 2.7 Physical infrastructure Road operators are partly able to influence whether or not specific automated driving use cases (such as e.g. truck platooning or highway autopilot) are going to be allowed on their networks and which adaptions are necessary. Physical infrastructure adaptions are very costly, need to be planned far ahead and are also heavily regulated in each country with technical standards. Amendments therefore need to be well thought through. The elements most affected are either the road guidance systems (signs, markings, etc.) which are crucial for the ODD of the use cases or the more extensive elements related to the road geometry and structural adaptations. If road operators want to enable the potentially positive effects of automated driving in terms of safety, traffic flow and such they are advised to make according provisions so their infrastructure supports the ODD. Most required infrastructure support will be on the digital part, and physical infrastructure amendments should be very carefully selected. It is necessary to try to limit the dependence on physical infrastructure because of the cost (Vreeswijk 2019). The tricky aspect for decisions is the constant evolution of the ODDs- This evolution is driven by customer demand, and enabled by the improvement of vehicle sensors - for instance, sensors being able to deal with different kinds of weather conditions - and vehicle software - for instance, AI being able to deal with safe manoeuvring of the vehicle also in interaction with vulnerable road users in complicated urban environments. The technological development in the areas of sensors and software is currently very fast, and also hard to predict with any certainty. The overarching recommendation to NRAs is however to analyse their networks and prioritize where deployment of CAD use cases is most suitable and sensible. The likely actions deals with pavement design and maintenance standards review and adaption, pavement enforcement on truck platooning routes, additional emergency bays, wide shoulders and safe harbours, passenger pick-up/ drop-off points, amendments to general road design, changes in ramps and junctions, road markings, road signs’ machine readability and digital twins, and amendments to road furniture (landmarks, gantries, gates). More details are given by Ulrich et al (2020). 2.8 Enforcement The whole area of enforcement will be heavily affected by digitization and connectivity in close relation with changes in traffic management, bringing opportunities of improved cross-border and cross-entity cooperation. The enforcement of allowed weights (and dimensions) will become more critical with the potential of automated high capacity goods vehicles and truck platoons increasing loads on pavement and bridges. The integration of weigh-in-motion (WIM) systems in the pavements and bridges with legally accurate measurements will allow for continuous measurements with less necessary infrastructural and personnel resources that are now required in designated weight control parking areas. Dimensions can be checked already now visually through toll cameras but legally those are not accurate enough as are the WIM systems. The V2I information exchange with connected traffic management enables 310 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Consequences of connected and automated driving to physical and digital high-level road infrastructure direct enforcement through the necessity of data provision from vehicles on their speed, weight, environmental category, etc. While desirable for road operators and police, the issue is very sensitive in terms of privacy, data security and also market competitiveness. (Ulrich et al. 2020) 2.9 ITS systems This means the traditional ITS systems utilised by road authorities and operators, primarily systems deployed on the roads and in traffic management centres. The information and guidance currently provided via variable or static message signs can be replaced with data provided via cooperative ITS or other messages provided to the on-board systems in the vehicles. During the transition period, which can last to 2040 or even beyond, the human-operated, unconnected vehicles are also on the roads, and their drivers have to be considered. This means that at least all regulatory signs need to be maintained, while considerable number of human-operated unconnected vehicles use the roads. (RWS 2018) The informative and route guidance signs, however, can gradually be abandoned. Likely this can be dealt with by not renewing the signs, when they had reached the end of their life cycle. In addition to variable and static message signs, the road operators have equipped their roads with roadside stations often in connection with monitoring systems (loop, radar and other traffic detectors, road weather sensors, cameras, etc.). The increasing penetration of connected vehicles will improve the possibilities of utilising the data from the connected vehicles and there-by obtaining monitoring data from the whole network instead of the cross-sections equipped with fixed monitoring systems. Despite this, the road operators should still maintain and install fixed monitoring stations. First, the fixed stations are needed for the use of forecasting and nowcasting the conditions on the road network. Second, it is not wise for the road operators to rely solely on other stakeholders to provide the data needed by road operators in their core business. The future needs here are difficult to predict, and to mitigate impacts from this uncertainty, the road stations should not be rigid single-purpose components but should be adapted flexibly to meet the changing needs of the road operators. Hence, the traditional roadside stations at the end of their lifecycle should be replaced by flexible roadside stations that respond to current as well as future needs (RWS 2018). 2.10 Digital infrastructure As parts of the digital infrastructure have also been discussed above, this part contains high-definition maps, satellite positioning, communication infrastructure, and fleet supervision centres. The consequences for HD maps have been described in detail by the DIRIZON project (Malone, et al. 2019). The road operators are expected to provide data for the HD maps to road map and service providers directly or via national access points. The profiles, formats, structures and procedures needed to handle data streams are to be specified and tested in agreement with other stakeholders, and especially the HD map providers. The road network data will need to be digitized including any landmarks supporting accurate vehicle positioning. This will be carried out by HD map providers, but also road authorities and road operators may want to have it done for themselves as HD maps of the roads and their (sub-)structures can be regarded as a key asset of the road operators with regard to their core business. By 2040, the feedback loops for maintaining data quality will be established, the digital traffic rules included, the HD maps localization quality reached, most of the physical and digital infrastructure elements digitised and available to HD maps, and HD digital map will achieve the data quality levels required for the decision-making process in an automated vehicle (Malone et al. 2019) Specific attention needs to be given to including ODD attribute related data in the HD digital maps especially for physical infrastructure attributes, which may not be provided by the road operators throughout the road network due to their high costs. Examples of such are, for instance, wide shoulders, safe harbours and game fences. The availability and location of such attributes is essential for the highly automated vehicles in order to determine the existence of their ODD. Highly automated vehicles utilise several independent positioning methods such as satellite positioning and inertial positioning, mobile phone network positioning as well as car sensors and HD map positioning (Koskinen et al. 2018). Satellite positioning is the basic positioning solution, and it has been shown to reach the desired 5 cm accuracy when supported by RTK (Real Time Kinetics) land stations. Such or similar stations should be provided especially in challenging environments such as northern latitudes and mountainous areas. Communication is developing fast and will likely do so during the next decades as well. The basic communication types will most likely still be vehicle to vehicle short range, vehicle to infrastructure short range, and vehicle to infrastructure medium/ long range. The last mentioned will likely be provided via cellular networks, but the short range V2I communications will need communication beacons beside or over the road, connected to different servers (road operators, vehicle manufacturers, service providers, fleet managers, etc.) via trunk communications such as fibre optic cabling. Road authorities and operators benefiting from the connectivity can invest in the trunk communication and road side communication station investments in cases, where such investments are not made by other stakeholders due to their customer needs. Remote operation centres to monitor and supervise fleets of automated vehicles are needed by several use cases of highly automated driving, if not all of them. As the 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 311 Consequences of connected and automated driving to physical and digital high-level road infrastructure fleets will mostly belong to other stakeholders, such centres will be the responsibility of these other stakeholders. Some national road authorities and many road operators deal with the operational maintenance and winter maintenance of their road networks. Thereby, those road authorities and operations need to set up their fleet supervision centres. 2.11 Road user charging In satellite-based systems there exist only virtual toll plazas, if any. Consequently, properly equipped automated vehicles can behave as traditional vehicles in these systems. Modern DSRC-based tolling systems are based on the “multi-lane free-flow” principle. In these systems, properly equipped automated vehicles can also behave as traditional ones. Hence, changes in the physical infrastructure are only required on roads with traditional toll plazas. At the toll plaza area approaches, gates and exits, standardised markings should be used to indicate the routes and lanes to be used by highly automated vehicles. Automatic payment lanes need to be included in the toll plaza setup. Concerning the physical infrastructure, the road charge information needs to be a part of the dynamic layer of the HD map, for instance in the rules and regulations part. 2.12 New core businesses Connected and highly automated driving has enormous change potential. Significant cornerstones in the road transport system will be blending with a broader IOT and AI ecosystems. This also means potentially new core businesses for road operators. In general, new core businesses will not so much relate to infrastructure provision but rather shift the focus to an even more service provider oriented business model for road operators. Some candidates for such services are listed below: - Elements in a broader mobility-as-a-service ecosystem, where travel time is used for productive or recreational purposes by the travellers - Integrating (and potentially mitigating) a potentially increasing number of services and non-traditional vehicle concepts and services - Mitigating issues of a highly fragmented communication network reality in Europe (e.g. mitigate end of network / end of high quality communication infra-structure impacts, including expectation management) - Validating quality of service in communication infrastructure and map infrastructure - Facilitating, in a freight automation context, entirely new forms of vehicles in terms of length and behaviour - also taken up proactively to mitigate risks of alternative service providers - More dynamic parking management 3. Conclusions This paper compiles recommendations for NRAs on the expected impact of highly automated driving and the respective necessary changes to physical and digital infrastructure that can support cooperative, connected and automated road traffic. The work was carried out as part of the CEDR project MANTRA and detailed in a separate deliverable (Ulrich et al. 2020). Introducing connected and automated mobility on public roads is expected to effectively address several traffic safety, efficiency and environmental problems. While the expected impacts to infrastructure are manifold those resulting from the need to provide the required Operational Design Domain (ODD) for highly automated vehicles were identified as most pressing. The identified impacts obviously only reflect the recommended actions in order to enlarge the automated vehicle’s ODD coverage as far as economically feasible. There are some inherent difficulties in supporting the ODDs as they depend on the capabilities of the sensors and software including AI of the automated vehicles, and these capabilities are improving quite quickly with the evolution of related technologies. The results reflect the knowledge of the likely function and ODDs of highly automated vehicles at the time of writing at the end of 2019. It is likely that technology, market and policy developments will change the importance, benefits and costs of the individual changes in the physical and digital road infrastructure considerably until 2040. References [1] Aigner, W., Kulmala, R., Ulrich, S. (2019): Vehicle fleet penetrations and ODD coverage of NRA-relevant automation functions up to 2040. MANTRA: Making full use of Automation for National Transport and Road Authorities - NRA Core Business, Deliverable 2.1 [2] Carreras, A., Daura, X., Erhart, J., Ruehrup, S. (2018): Road infrastructure support levels for automated driving. 25th ITS World Congress, Copenhagen, Denmark, 2018. [3] DTF (2019): Data for Road Safety. European Data Task Force. https: / / www.dataforroadsafety.eu/ . [4] EC (2017): C-ITS Platform Final report Phase II. Cooperative Intelligent Transport Systems Towards Cooperative, Connected and Automated Mobility. [5] Haspel, U. (2019): C2SBA und C2NBA. Aktueller Stand und Planungen. Bayerische Staatsbauverwaltung, Zentralstelle Verkehrsmanagement. [6] Kamalski, T., Rytkönen, M. (2015): iMobility Forum SafeAPP WG. Presentation at the iMobility Forum Steering Group Meeting. ERTICO, 19/ 11/ 2015. [7] Koskinen, J., Kuusniemi, H., Hyyppä, J., Thombre, S., Kirkko-Jaakkola, M. (2018): Positioning, location data and GNSS as solution for autonomous 312 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Consequences of connected and automated driving to physical and digital high-level road infrastructure driving. Presentation made at I Aurora Summit, Olos 16-17 January 2018. [8] Kulmala, R., Jääskeläinen, J., Pakarinen, S. (2019): The Impact of Automated Transport on the Role, Operations and Costs of Road Operators and Authorities in Finland. EU-EIP Activity 4.2 Facilitating automated driving. Traficom Report 6/ 2019. [9] Malone, K., Schreuder, M., Berkers, F., Helfert, K., Radics, L., Boehm, M. (2019): Digitalisation and Automation. Implications for use cases, Identification of Stakeholders and Data Needs and Requirements. DIRIZON Deliverable Nr 3.1. Draft 0.7, October 2019. [10] RWS (2018): Traffic Management Roadmap 2022. Improving the nextwork services. Renewal based on Smart Mobility. Rijkswaterstaat, Ministry of Infrastructure and Water Management, October 2018. [11] SOCRATES 2.0 (2018): Proposed cooperation framework & bottlenecks. Activity 2 deliverable. [12] Sweatman, P. (2019): Presentation at Special Interest Session 01 Highly connected and automated multimodal urban system, 26th ITS World Congress in Singapore, 21-25 October 2019. [13] TM2.0 (Ed.) (2018): Platform web site. http: / / tm20. org/ [14] van der Tuin, M., Farah, H., Correia, G., Wadud, Z., Carsten, O., Ulrich, S., Aigner, W. (2020): Impacts of automation functions on NRA policy targets. MANTRA: Making full use of Automation for National Transport and Road Authorities - NRA Core Business, Deliverable D3.2 [15] Ulrich, S., Kulmala, R., Appel, K., Aigner, W., Penttinen, M., Laitinen, J. (2020): Consequences of automation functions to infrastructure. MANTRA: Making full use of Automation for National Transport and Road Authorities - NRA Core Business, Deliverable 4.2. [16] U.S. DOT (2018): Preparing for the Future of Transportation. Automated Vehicles 3.0. [17] Vreeswijk, J. (2019): Workshop report: Constructs of the Operational Design Domain (ODD) of Automated Vehicles. ITS World Congress Singapore, 22.10.2019. [18] Zencic (2019): UK Connected and Automated Mobility Roadmap to 2030. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 313 Modellstadt Herrenberg - NOx-Reduktion im Stadtgebiet Dr.-Ing. Torsten Heine-Nims BERNARD Gruppe ZT GmbH Stuttgart, Deutschland Zusammenfassung Die täglichen Verkehrsbelastungen und Störungen im Verkehrsablauf in der Stadt Herrenberg führen zu problematischen Stickoxid-Grenzwert-Überschreitungen. Herrenberg ist daher von der Bundesregierung als Modellkommune für saubere Luft ausgewählt worden. Hauptziel ist es, die Stickoxid-Emissionen dauerhaft zu reduzieren. Hierzu wurde ein umfangreiches Maßnahmenbündel und ein GreenCityPlan erarbeitet. Hinsichtlich der Wirksamkeit einer dauerhaften NOx-Reduktion erfolgt zunächst eine verkehrstechnische Untersuchung und aufbauend auf den Untersuchungsergebnissen die verkehrstechnische Gesamtkonzeption. Schwerpunkt ist ein integrierter Steuerungsansatz mit intelligenter, geschwindigkeitsabhängiger Lichtsignalsteuerung. Zudem ist angedacht Umweltdaten in Form prognostizierter Luftschadstoffbelastungen in die zentralseitigen Strategien zur Verkehrssteuerung einzubeziehen und lokal in den Lichtsignalsteuerungen umzusetzen. Stickoxid-Grenzwert-Überschreitungen sollen somit zukünftig vermieden werden. 1. Aufgabenstellung und Zielsetzung In Herrenberg resultieren aus dem vergleichsweisen hohen täglichen Verkehrsaufkommen regelmäßige Überschreitungen der Stickoxid-Grenzwerte, welche an der Messstelle im Zuge der Hindenburgstraße erfasst werden. Diese Problematik verstärkt sich bei auftretenden Störungen im Verkehrsablauf. Bild 1: Vorzugsstraßennetz und den darin gelegenen signalisierten Knotenpunkten Vor diesem Hintergrund ist die Stadt Herrenberg von der Bundesregierung als Modellkommune für saubere Luft ausgewählt worden. Zur Verbesserung der Luftqualität wurde ein umfangreiches Maßnahmenbündel (Modellstadt-Projektskizzen) ausgearbeitet, welches speziell auf das Vorzugsstraßennetz und die darin gelegenen signalisierten Knotenpunkten (siehe Bild 1) fokussiert. Durch intelligente Verkehrssteuerung, d.h. Kombination eines innovativen geschwindigkeitsabhängigen Steuerungsansatzes mit herkömmlichen Steuerungselementen, wie Verkehrsabhängigkeit, Koordinierung oder auch Dosierung/ Pförtnerung sollen Stickoxid-Grenzwert-Überschreitungen dauerhaft vermieden werden. 2. Methodisches Vorgehen und Grundlagen In einem ersten Bearbeitungsschritt erfolgt im Rahmen einer verkehrstechnischen Untersuchung für das Vorzugsstraßennetz die Erstellung geschwindigkeitsabhängiger Lichtsignalsteuerungen mit Tempobeschränkungen zwischen 20 und 40 km/ h. Aufgrund des gesamthaften, zukunftsorientierten und integrierten Lösungsansatzes wurden parallel entwickelte, detaillierte Planungen für den Radverkehr mitberücksichtigt. Die vorgesehenen Planungen zu den Tempobeschränkungen, der Radverkehrsführung sowie der Lichtsignalsteuerungen werden hinsichtlich ihrer steuerungstechnischen und verkehrlichen Wirksamkeit sowie im Zusammenhang mit der Reduzierung der Stickoxid-Emissionen untersucht und vergleichend bewertet. Der Vorteil der dynamischen Geschwindigkeitsregelung besteht darin, dass in Abhängigkeit des abzuwickelnden Verkehrsaufkommens die optimale Fahrgeschwindigkeit angezeigt werden kann, bei der der Streckenabschnitt mit der geringsten Anzahl von Halten und einher gehend da- 314 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Modellstadt Herrenberg - NOx-Reduktion im Stadtgebiet mit mit einem entsprechend verringerter Stickoxid-Ausstoß durchfahren wird. Um die gegebenen Wechselwirkungen zwischen den Verkehrsteilnehmern und den Verkehrsanlagen sowie insbesondere die Reduzierung der Stickoxid-Emissionen geeignet abbilden und bewerten zu können, erfolgt die Verkehrsuntersuchung anhand einer mikroskopischen Verkehrsflusssimulation. Hierbei werden die vorgesehenen geometrischen Anpassungen im Zusammenhang mit der Radverkehrsführung an den Knotenpunkten sowie die einzelnen Verkehrsarten detailliert im Modell abgebildet und können differenziert und vergleichend (Bestandssituation und Maßnahmenbündel) bewertet werden. Die Bewertung der Verkehrsabläufe erfolgt auf der Grundlage der mittels des Simulationsmodells gemessenen verkehrstechnischen Kenngrößen, wie Wartezeiten und den daraus abgeleiteten Qualitätsstufen nach HBS 2015 [1] sowie maximale Rückstaulängen und mittlere Anzahl der Halte. Darüber hinaus werden die NOx-Emissionen mittels der Verkehrsflusssimulation gemessen und kann vergleichend zur Bestandssituation bewertet werden. Grundlage der mikroskopischen Verkehrsflusssimulation bildet eine realitätsnahe Abbildung der zukünftigen Gegebenheiten vor Ort, einschließlich der Radverkehrsführungen und Tempobeschränkungen. Das berücksichtigte Verkehrsaufkommen basiert auf aktuellen Verkehrsmengen aus dem Verkehrsmodell der Stadt Herrenberg mit dem Prognosehorizont 2030, so dass die vorgesehenen stadtspezifischen Entwicklungen berücksichtigt sind. Die Abbildung und Bewertung der Verkehrsabläufe sowie der Emission an Stickoxiden erfolgt für die maßgebende Spitzenstunde des Kfz-Verkehrs am Abend - 16: 30 - 17: 30 Uhr (siehe Bild 2). Bild 2: Dimensionierungsverkehrsmengen Kfz-Verkehr - abends (Beispiel Hindenburgstraße - Reinhold-Schick-Platz) Für den Streckenabschnitt Hindenburgstraße ergeben sich die in den Bildern 3 und 4 dargestellten Koordinierungen für die Tempobeschränkung 40 km/ h und 20 km/ h. Anhand der Grafiken ist erkennbar, dass bei eine Koordinierungsgeschwindigkeit von 40 km/ h eine vergleichsweise gute Koordinierung in beiden Fahrtrichtungen erreicht werden kann. Bei einer Koordinierungsgeschwindigkeit von 20 km/ h ist diese nicht mehr gegeben, da der erforderliche Abfluss aufgrund der abzuwickelnden Verkehrsmenge nicht mehr gegeben ist. Bild 3: Koordinierung (Weg-Zeit-Diagramm) [2] - Tempobeschränkung 40 km/ h (Beispiel Hindenburgstraße) Bild 4: Koordinierung (Weg-Zeit-Diagramm) [2] - Tempobeschränkung 20 km/ h (Beispiel Hindenburgstraße) Ausgehend von den Untersuchungsergebnissen erfolgt die verkehrstechnische Gesamtkonzeption zur NOx-Reduktion für das Stadtgebiet von Herrenberg. Aufgrund ihrer Verkehrsbelastung von bis zu 22.000 Kfz/ Tag soll eine erste Referenzstrecke die Hindenburgstraße sein, da hier die zu erwartenden Wirkungen und Verbesserungen als signifikant eingeschätzt und aufgrund der vorhandenen Messstelle in der Praxis nachgewiesen werden kann. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 315 Modellstadt Herrenberg - NOx-Reduktion im Stadtgebiet 3. Ergebnisse der verkehrstechnischen Untersuchung Die mittels der mikroskopischen Verkehrsflusssimulation erzielten Ergebnisse zu den mittleren Wartezeiten und Qualitätsstufen sowie maximalen Rückstaulängen verdeutlichen, dass eine gute Verkehrsabwicklung im Bestand (50 km/ h) und bei Tempobeschränkungen von 40 km/ h und 30 km/ h mit mindestens der Qualitätsstufe D auf allen Streckenabschnitten erreicht werden kann. Die maximalen Rückstaulängen treten zeitlich lediglich temporär auf, werden nach kurzer Zeit wieder abgebaut und führen zu keinen signifikanten Beeinträchtigungen, insbesondere benachbarter Knotenpunkte. Ein Vergleich der Kenngröße der mittleren Anzahl der Halte (siehe Bild 5) bestätigt die leistungsfähige Verkehrsabwicklung im Bestand und bei einer Tempobeschränkung von 40 km/ h bzw. 30 km/ h. Bild 5: Mittlere Anzahl der Halte Bild 6: NOx-Emissionen [3] Bei einer Tempobeschränkung von 20 km/ h ergibt sich keine leistungsfähige Verkehrsabwicklung auf den meisten Streckenabschnitten. Wesentlicher Grund ist, dass bei dieser Geschwindigkeit der für das abzuwickelnde Verkehrsaufkommen erforderlich Abfluss nicht mehr gegeben ist. Hinsichtlich der NOx-Emissionen zeigen die ermittelten Werte (siehe Bild 6), dass gegenüber dem Bestand mit der Tempobeschränkung von 40 km/ h bzw. 30 km/ h die stärkste Reduktion erreicht werden kann. Insbesondere durch die Koordinierungswirkung bei 40 km/ h ist tendenziell eine bis zu 10%ige Verringerung der Stickstoffdioxidemissionen der Kfz erreichbar. Bei einer Tempobeschränkung auf 20 km/ h liegen die Werte über denen des Bestandes. 316 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Modellstadt Herrenberg - NOx-Reduktion im Stadtgebiet 4. Fazit und Ausblick Die im Rahmen der verkehrstechnischen Untersuchung des Vorzugsstraßennetzes der Stadt Herrenberg ermittelten Kenngrößen verdeutlichen, dass bei einer Tempobeschränkung auf 20 km/ h die Warte- und Verlustzeiten, die Rückstaulängen sowie die NOx-Emissionen ansteigen und zum Teil schlechtere Werte als im Bestand erreichen. Daher ist diese Tempobeschränkung insbesondere in der Spitzenstunde am Abend nicht umsetzbar. Denkbar wäre, eine Tempobeschränkung auf 20 km/ h im Zusammenhang mit besonderen Situationen, bei denen ohnehin nur sehr geringe Geschwindigkeiten erreicht werden, z.B. Umleitungsverkehr von der Autobahn. Eine Tempobeschränkung auf 30 km/ h bzw. 40km/ h verfügt über das größte Potential zur Verbesserung im Verkehrsablauf - insbesondere kürzere mittlere Wartezeiten, maximale Rückstaulängen und somit weniger NOx- Emissionen. Aufbauend auf den Untersuchungsergebnissen erfolgt derzeit die Erarbeitung einer verkehrstechnischen Gesamtkonzeption. Schwerpunkt ist ein integrierter Steuerungsansatz mit geschwindigkeitsabhängiger Lichtsignalsteuerung. Zu einem späteren Zeitpunkt sollen Umweltdaten in Form prognostizierter Luftschadstoffbelastungen in die zentralseitigen Strategien zur Verkehrssteuerung integriert und lokal in den Lichtsignalsteuerungen umgesetzt werden. Eine Fertigstellung und Inbetriebnahme des Systems ist bis Ende 2021 vorgesehen. Literaturverzeichnis [1] HBS 2015, Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen: FGSV - Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, Köln 2015 [2] RiLSA 2015, Richtlinien für Lichtsignalanlagen - Lichtzeichenanlagen für den Straßenverkehr: FGSV - Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, Köln 2015 [3] Richtlinie zur Ermittlung der Luftqualität an Straßen oder mit lokaler Randbebauung: FGSV - Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, Köln 2013 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 317 Erschließung von Wohn- und Gewerbegebieten Vom B-Plan bis zur Projektübergabe Interdisziplinäre Bearbeitung Dipl.-Ing. Jens Klähnhammer Fischer Teamplan Ingenieurbüro GmbH Holzdamm 8, 50374 Erftstadt jens.klaehnhammer@fischer-teamplan.d Zusammenfassung Die Erschließung von Wohn- und Gewerbegebieten benötigt allein im Planungsprozess die Expertise von Architekten, Verwaltungen, Entwässerungsplanern, Akustikern, Verkehrsplanern, Umweltplanern, Straßenplanern, Hochbauplanern. Im Realisierungsprozess werden dann Bau-firmen und Versorgungsunternehmen weitere Akteure. Hinzu kommt noch, dass über den Planungs-, Ausschreibungs- und Realisierungsprozess folgende Interessensgruppen aufeinander-treffen: Verwaltungen, Investoren, Ingenieurbüros, private Bauherren, Baufirmen der öffentlichen und privaten Bauherren und ggf. auch die angrenzende Öffentlichkeit. Daraus entsteht eine Projektkomplexität, die nur schwer beherrschbar ist und gelegentlich zur Überforderung einzelner Akteure führen kann. Insbesondere an den vielen fachlichen, organisatorischen und rechtlichen Schnittstellen ist ein professionelles Projektmanagement zur Vermeidung unnötiger Reibungsverluste notwendig. 1. Einführung Die in der Erschließungsplanung von Wohn- und Gewerbegebieten entstehende Projektkomplexität kann durch ein professionelles Projektmanagement, in dem die richtigen Maßnahmen zur richtigen Zeit durchgeführt werden, beherrschbar gemacht werden. Idealerweise wird die Anzahl der Schnittstellen durch den Einsatz umfassend fachlich gebildeter und vielseitig erfahrener Baumeister stark reduziert. Da dies in der Praxis fast nicht umsetzbar ist, bleibt nur, in allen Gremien und Ebenen eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zu kultivieren. Dies ist überaus sinnvoll, jedoch mit Vor- und Nachteilen verbunden, oft mühsam und erfordert von jedem Einzelnen: Zielbewusstsein, Leistungsbereitschaft und Toleranz. Interdisziplinäre Teams sind heute nicht mehr wegzudenken, da sie in der Lage sind, Problemstellungen zu bearbeiten und zu lösen, an denen einzelne Disziplinen scheitern würden. Zudem muss der gesamte Planungsprozess so strukturiert werden, dass bereits im Rahmen der Schaffung des Baurechts alle technischen und umweltrechtlichen Belange hinreichend tief bearbeitet wurden, um in der Umsetzung des Bebauungsplanes den technischen Planern keine „Überraschungen“ zu bereiten. Auch dieses iterative Vorgehen erfordert in hohem Maße eine Interdisziplinarität. 2. Bauleitplanung Bauleitplanung kann als die Anleitung zum Bauen verstanden werden. Zentrale Aufgabe der Bauleitplanung ist es, die bauliche und sonstige Nutzung von Grundstücken vorzubereiten und zu steuern. Diese Aufgabe obliegt dem Grundsatz der kommunalen Selbstverwaltung folgend in erster Linie der zuständigen Gemeinde. Die Prozesse der Bauleitplanung folgen einem zweistufigem System und sind die wichtigsten Instrumente zur Lenkung und Ordnung der städtebaulichen Entwicklung einer Kommune. Der vorbereitende Bauleitplan wird formell nach Baugesetzbuch als Flächennutzungsplan bezeichnet und ist als kommunaler Entwicklungsplan zu verstehen. Aus diesem Flächennutzungsplan werden die verbindlichen Bauleitpläne, nämlich die Bebauungspläne (B-Pläne) für Teilbereiches des Gemeindegebietes aufgestellt. Diese B-Pläne setzen die beabsichtigte städtebauliche Entwicklung rechtsverbindlich fest, schaffen damit Baurecht (Grundlage für Baugenehmigungen) und besitzen eine Verbindlichkeit für jedermann. Sie sind parzellenscharf aufgestellt und werden im Regelfall als Angebotsbebauungspläne aufgestellt. 318 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Erschließung von Wohn- und Gewerbegebieten Im Regelverfahren bestehen B-Pläne aus zeichnerischen und textlichen Festsetzungen mit einer Begründung und dem Umweltbericht Die Begründung befasst sich mit den Zielen und dem Zweck der Planung sowie der städtebaulichen Begründung der Festsetzungen und der Abwägung. Der Umweltbericht beschreibt und bewertet die Ergebnisse der Umweltprüfung. Wesentliche Inhalte des B-Planes sind: • Art und Maß der baulichen Nutzung • Bauweise • Verkehrsflächen • Grünflächen • Wasserflächen • Versorgungsflächen • Geh-, Fahr- und Leitungsrechte • Ausgleichsmaßnahmen • Maßnahmen zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen • Gestaltungsmaßnahmen gemäß kommunaler Vorschriften Darüber hinaus werden Festsetzungen über die bauliche Nutzung der Grundstücke getroffen. Diese beinhalten: • Vorschriften für die jeweiligen Baugebiete (zulässige und nicht zulässige Nutzungen, Betriebe und Anlagen) • Bestimmungen und Obergrenzen für das Maß der baulichen Nutzung (GRZ, GFZ, Höhe baulicher Anlagen…) • Vorschriften zu Bauweise, überbaubare Grundstücksflächen (Baugrenze, Baulinien) Im Regelfall werden B-Pläne (aber auch Flächennutzungspläne) auf der Grundlage eines Aufstellungsbeschlusses erarbeitet, um dann in die frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit zu gehen. Die Erarbeitung des Plankonzeptes für den B-Plan stellt wichtige Weichen für den gesamten weiteren Erschließungsprozess. Sehr häufig wird der B-Plan erarbeitet, abgestimmt und final beschlossen um dann auf dem rechtskräftigen B-Plan aufbauend die nächsten Planungsschritte zu veranlassen. Diese Vorgehensweise setzt voraus, dass der/ die den B- Plan erarbeitende Stadtplaner/ Stadtplanerin allumfassend mit den Themen, Verkehr, Schall, Luftschadstoffe, Artenschutz, Hydrogeologie, Altlasten, Landschaftspflege, Erschließung und Tiefbau sowie der Wasserwirtschaft vertraut ist und diese Aspekte umfassend berücksichtigt. Da dies in der Praxis oftmals nicht gegeben ist, sollte bereits in der Phase der Erarbeitung des Plankonzepts eine umfassende interdisziplinäre Zusammenarbeit angestrebt werden. Der ideale Planungsprozess vollzieht sich - wie in der folgenden Abbildung dargestellt idealerweise so, dass alle Fachgutachten parallel zur Erarbeitung des Plankonzepts erarbeitet werden und die Erschließungsplanung in der Tiefe einer Vorplanung bearbeitet wird. Abb. 1: B-Plan Prozess Quelle: eigene Darstellung 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 319 Erschließung von Wohn- und Gewerbegebieten Im Rahmen der Bauleitplanung sind öffentliche und private Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Beispiele für private Belange sind: Privateigentum, Beeinträchtigung durch die Planung (Lärm, Verschattung …), Heranrücken von Wohnbebauung an gewerbliche/ landwirtschaftliche Betrieb und umgekehrt oder aber auch Erweiterungsabsichten gewerblicher Betriebe u.v.m. Diesen stehen beispielhaft Wohnbedürfnisse der Bevölkerung, Umweltschutzanforderungen oder wirtschaftliche und städtebauliche Entwicklungskonzepte gegenüber. Auch für diese Abwägungen werden abgestimmte Fachplanungen, basierend auf umfassenden gutachterlichen Aussagen und ggf. abgestimmte Lösungen für mögliche Einzelkonflikte benötigt. Auch hierfür ist eine frühzeitige Interdisziplinarität der Prozesse notwendig. Die dauerhafte Sicherung städtebaulicher Qualitäten kann wie folgt erreicht werden: 1. über Festsetzungen im B-Plan wie - Maß der baulichen Nutzung (Gebäudehöhen) - Bauweise/ überbaubare Grundstücksfläche (Baulinie, abweichende Bauweisen, Stellung der Gebäude) - Flächen für Garagen und Stellplätze - Grünordnerische Festsetzungen (Lage, Ausstattung, Bepflanzungen, Dachbegrünungen) - Gestalterische Festsetzungen (Fassaden, Dächer, technische Aufbauten, Nebenanlagen, Vorgärten, Werbeanlagen u.v.m. 2. Ergänzend zum B-Plan über städtebauliche Verträge 3. Sicherung und Kontrolle der Qualität im öffentlichen Raum durch die Kommune 4. nach Rechtskraft des B-Planes - bei Grundstücksverkäufen - im Baugenehmigungsverfahren - Kontrolle in der Bauphase und später 3. Umwelt Auf der Grundlage des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) ist im Rahmen der Bauleitplanung die Strategische Umweltprüfung durchzuführen. Für folgende Schutzgüter werden die unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen eines Vorhabens ermittelt, beschrieben und bewertet: Menschen, insbesondere die menschliche Gesundheit, Tiere, Pflanzen und biologische Vielfalt, Klima und Luft, Landschaft, Boden und Fläche, Wasser, kulturelles Erbe und sonstige Sachgüter sowie deren Wechselbeziehungen zueinander. Im Ergebnis wird ein Umweltbericht angefertigt. Dieser besteht aus: 1. Einleitung - Inhalt und wichtige Ziele des Bauleitplans - Ziele des Umweltschutzes 2. Beschreibung und Bewertung der erheblichen Umweltauswirkungen - Bestandsaufnahme des Umweltzustandes einschl. Nullvariante - Prognose des Umweltzustands bei Durchführung der Planung - Maßnahmen zur Vermeidung, Minderung und zum Ausgleich - Anderweitige Planungsmöglichkeiten - Umweltauswirkungen im Hinblick auf schwere Unfälle und Katastrophen 3. Zusätzliche Angaben - Merkmale der verwendeten technischen Verfahren bei der Umweltprüfung - Maßnahmen zur Überwachung - Allgemein verständliche Zusammenfassung Zu beachten sind stets, dass erhebliche Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft vom Verursacher vorrangig zu vermeiden oder zu mindern sind. Nicht vermeidbare erhebliche Beeinträchtigungen sind durch Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen oder, soweit dies nicht möglich ist, durch einen Ersatz in Geld zu kompensieren. Eingriffe in Natur und Landschaft im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes sind Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen oder Veränderungen des mit der belebten Bodenschicht in Verbindung stehenden Grundwasserspiegels, die die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder das Landschaftsbild erheblich beeinträchtigen können. Die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung ist nicht als Eingriff anzusehen, soweit dabei die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege berücksichtigt werden. Nicht als Eingriff gilt die Wiederaufnahme einer land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Bodennutzung, wenn sie zeitweise eingeschränkt oder unterbrochen war. Die Eingriffsregelungen beziehen sich nur auf Vorhaben im Außenbereich sowie für B-Pläne, die eine Planfeststellung ersetzen. Die planerische Bewältigung der Eingriffsregelung erfolgt in der Regel in einem Landschaftspflegerischen Begleitplan (LBP) bzw. Landschaftspflegerischen Fachbeitrag (LFB). 320 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Erschließung von Wohn- und Gewerbegebieten Er umfasst folgende Arbeitsschritte: 1. Klären der Aufgabenstellung und Ermitteln des Leistungsumfangs 2. Ermitteln und Bewerten der Planungsgrundlagen 3. Vorläufige Fassung 4. Abgestimmte Fassung Ein weiterer wichtiger Teil der Umweltuntersuchungen im Rahmen des B-Plan-Verfahrens umfasst die Artenschutzprüfung. Diese Prüfung basiert auf der • Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) und der • Vogelschutz-Richtlinie (V-RL) gehören zu den wichtigsten Beiträgen der Europäischen Union (EU) zum Erhalt der biologischen Vielfalt in Europa. Die Zielsetzung der Richtlinien ist es, für die FFH-Arten und europäischen Vogelarten einen günstigen Erhaltungszustand zu bewahren bzw. die Bestände der Arten langfristig zu sichern. Mit den Regelungen des Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) werden die artenschutzrechtlichen Vorgaben der EU auf deutsches Recht adaptiert. Die folgenden Grundsätze sind planungsrechtlich bedeutsam: §39 BNatSchG - Allgemeiner Schutz wild lebender Tiere und Pflanzen (Auszüge) (1) Es ist verboten - wild lebende Tiere mutwillig zu beunruhigen oder ohne vernünftigen Grund zu fangen, zu verletzen oder zu töten, - wild lebende Pflanzen ohne vernünftigen Grund von ihrem Standort zu entnehmen oder zu nutzen oder ihre Bestände niederzuschlagen oder auf sonstige Weise zu verwüsten, - Lebensstätten wild lebender Tiere und Pflanzen ohne vernünftigen Grund zu beeinträchtigen oder zu zerstören. (2) Es ist verboten (…) - Bäume, die außerhalb des Waldes, von Kurzumtriebsplantagen oder gärtnerisch genutzten Grundflächen stehen, Hecken, lebende Zäune, Gebüsche und andere Gehölze in der Zeit vom 1. März bis zum 30. September abzuschneiden, auf den Stock zu setzen oder zu beseitigen; zulässig sind schonende Form- und Pflegeschnitte zur Beseitigung des Zuwachses der Pflanzen oder zur Gesunderhaltung von Bäumen, (…) §44 (1) BNatSchG - Vorschriften für besonders geschützte und bestimmte andere Tier- und Pflanzenarten Es ist verboten - wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, - wild lebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten erheblich zu stören; eine erhebliche Störung liegt vor, wenn sich durch die Störung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert, - Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, - wild lebende Pflanzen der besonders geschützten Arten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, sie oder ihre Standorte zu beschädigen oder zu zerstören Jedoch sind im § 44(5) BNatSchG für die Bauleitplanung besondere Regelungen enthalten, die im Einzelfall entsprechend zu bewerten sind: • das Tötungs- und Verletzungsverbot nach Absatz 1 Nummer 1 [liegt] nicht vor, wenn die Beeinträchtigung durch den Eingriff oder das Vorhaben das Tötungs- und Verletzungsrisiko für Exemplare der betroffenen Arten nicht signifikant erhöht und diese Beeinträchtigung […] nicht vermieden werden kann… • das Verbot des Nachstellens und Fangens wild lebender Tiere und der Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung ihrer Entwicklungsformen nach Absatz 1 Nummer 1 [liegt] nicht vor, wenn die Tiere oder ihre Entwicklungsformen im Rahmen einer erforderlichen Maßnahme, die auf den Schutz der Tiere […] gerichtet ist, beeinträchtigt werden und diese Beeinträchtigungen unvermeidbar sind… • das Verbot nach Absatz 1 Nummer 3 [liegt] nicht vor, wenn die ökologische Funktion der von dem Eingriff oder Vorhaben betroffenen Fortpflanzungs- und Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt wird. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 321 Erschließung von Wohn- und Gewerbegebieten Abb. 2: Ablauf Artenschutzprüfung Quelle: Büro Smeets Aus den Bestimmungen gemäß § 44 (5) folgt, dass Artenschutzbelange u a. bei allen Bauleitplanverfahren und baurechtlichen Genehmigungsverfahren aber ebenso bei Zulassungsverfahren, Abrissgenehmigungen o.ä. beachtet werden müssen. Die Notwendigkeit zur Durchführung einer Artenschutzprüfung (ASP) im Rahmen von Planungsverfahren oder bei der Zulassung von Vorhaben ergibt sich aus den unmittelbar geltenden Regelungen des § 44 Abs. 1 BNatSchG i.V.m. §§ 44 Abs. 5 und 6 und 45 Abs. 7 BNatSchG. Artenschutzprüfungen sind eigenständige Maßnahmen, die nicht durch andere Prüfverfahren ersetzt werden können. Der Ablauf einer Artenschutzprüfung ist der folgenden Abbildung zu entnehmen: In schwierigen Situationen sind Vermeidungsmaßnahmen incl. Ausgleichsmaßnahmen das Mittel, um doch noch eine Planrechtfertigung zu erreichen. Sie müssen artspezifisch ausgestaltet sein, auf geeigneten Standorten durchgeführt werden und dienen der ununterbrochenen Sicherung der ökologischen Funktion von betroffenen Fortpflanzungs- und Ruhestätten für die Dauer der Vorhabenswirkungen. Vermeidungsmaßnahmen incl. Ausgleichsmaßnahmen sind dann wirksam, wenn die neu geschaffene Lebensstätte mit allen notwendigen Habitatelementen und -strukturen aufgrund der Durchführung mindestens die gleiche Ausdehnung und eine gleiche oder bessere Qualität hat und die zeitnahe Besiedlung der neu geschaffenen Lebensstätte unter Beachtung der aktuellen fachwissenschaftlichen Erkenntnisse mit einer hohen Prognosesicherheit durch Referenzbeispiele oder fachgutachterliches Votum attestiert werden kann oder wenn die betreffende Art die Lebensstätte nachweislich angenommen hat. 4. Fachgutachten 4.1 Entwässerung Die Frage der entwässerungstechnischen Erschließung eines Grundstücks ist von zentraler Bedeutung in der Erschließungsplanung. Da wichtige Rahmenbedingungen für die Entwässerungslösung per Festsetzung in den B-Plan aufgenommen werden können, sollten bereits parallel zum Aufstellen eines Planungskonzepts für den B-Plan alle Möglichkeiten der Grundstücksentwässerung mittels einer Entwässerungsstudie untersucht werden. Rechtliche Grundlagen werden mit dem Wasserhaushaltsgesetz des Bundes und den Wassergesetzen der Länder gelegt. Grundsätzlich gilt: Niederschlagswasser soll ortsnah versickert, verrieselt oder direkt oder über eine Kanalisation ohne Vermischung mit Schmutzwasser in ein Gewässer eingeleitet werden, soweit dem weder wasserrechtliche noch sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften noch wasserwirtschaftliche Belange entgegenstehen. Gemeinden haben die Möglichkeit, durch Satzung festzusetzen, dass und in welcher Weise das Niederschlagswasser zu versickern, zu verrieseln oder in ein Gewässer einzuleiten ist. Zudem können derartige Regelungen als Festsetzung in den B-Plan aufgenommen werden. Wasserwirtschaftliches Ziel ist es, keine Verschiebungen im lokalen Wasserhaushalt zuzulassen. Während bei unbebauten Flächen ein geringer Oberflächenabfluss und eine große Grundwasserneubildung bzw. Pflanzen- und Bodenverdunstung zu verzeichnen ist, kehren sich die 322 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Erschließung von Wohn- und Gewerbegebieten Bedingungen nach der Bebauung um: Es ist eine geringe Grundwasserneubildung bzw. Pflanzen- und Bodenverdunstung und stattdessen ein großer und rascher Oberflächenabfluss zu verzeichnen. Hier gilt es gegenzusteuern und Versickerungs- und Retentionsmöglichkeiten auf dem Grundstück in die Planung einzubeziehen. Wesentliche Aufgaben der Bauleitplanung bestehen in folgenden Punkten: Die Bauleitpläne sollen eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung, mit umweltschützenden Anforderungen auch in Verantwortung gegenüber künftigen Generationen miteinander in Einklang bringen, und sie sollen dazu beitragen, eine menschenwürdige Umwelt zu sichern, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln sowie den Klimaschutz und die Klimaanpassung, insbesondere auch in der Stadtentwicklung, zu fördern. Gemäß Baugesetzbuch ist es möglich, Klimaanpassungsmaßnahmen in den Bebauungsplänen rechtsverbindlich zu regeln. Festgesetzt werden können insbesondere die Gebiete, in denen bei der Errichtung baulicher Anlagen Maßnahmen zur Schadensminderung getroffen werden müssen, sobald bauliche Anlagen errichtet werden, und in denen Flächen auf einem Baugrundstück freigehalten werden müssen, damit das Niederschlagswasser natürlich versickern kann. Zudem können die Flächen für die Abfall- und Abwasserbeseitigung, einschließlich der Rückhaltung und Versickerung von Niederschlagswasser, sowie für Ablagerungen definiert werden. Ebenso können und sollten die Flächen, die auf einem Baugrundstück für die natürliche Versickerung von Wasser aus Niederschlägen freigehalten werden müssen, um insbesondere Hochwasserschäden, einschließlich Schäden durch Starkregen, vorzubeugen, festgesetzt werden. All diese Betrachtungen sind in einer sehr frühen Projektphase durchzuführen. Zusätzlich sind folgende Aspekte zu betrachten: Gewässer sind nach § 39 WHG, unter anderem zur Sicherung des Wasserabflusses, ordnungsgemäß zu unterhalten. In Bauleitplänen sollten daher an Gewässern ausreichend große Uferstreifen vorgesehen werden, die eine Zugänglichkeit sicherstellen. Nach dem Hochwasserschutzgesetz II ist insofern auch die neue wasserrechtliche Gebietskategorie „Hochwasserentstehungsgebiete“ zu berücksichtigen: Dies sind Gebiete, in denen bei Starkniederschlägen oder bei Schneeschmelze in kurzer Zeit starke oberirdische Abflüsse entstehen können, die zu einer Hochwassergefahr und damit zu einer erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung führen können (§ 78d Abs. 1 WHG); sie sind von den Ländern durch Rechtsverordnung festzusetzen (§ 78d Abs. 2 S. 3 WHG). Gemäß § 78d Abs. 6 WHG sind in festgesetzten Hochwasserentstehungsgebieten bei der Ausweisung neuer Baugebiete im Außenbereich in der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB insbesondere zu berücksichtigen: • Flächen für die Abfall- und Abwasserbeseitigung, einschließlich der Rückhaltung und Versickerung von Niederschlagswasser, sowie für Ablagerungen • Flächen, die auf einem Baugrundstück für die natürliche Versickerung von Wasser aus Niederschlägen freigehalten werden müssen, um insbesondere Hochwasserschäden, einschließlich Schäden durch Starkregen, vorzubeugen In der Erschließungsplanung sollten zudem die Auswirkungen von Starkregenereignissen stärker in den Fokus aller Planungsbeteiligten gerückt werden. Starkregenereignisse sind kleinräumig, intensiv und derzeit für Schutzmaßnahmen zu spät mit der erforderlichen Genauigkeit vorhersagbar. Für Starkregenereignisse sind 3 Szenarien voneinander zu unterscheiden: • Szenario 1: ein seltenes Ereignis, das häufiger als 100-jährliches Ereignis auftritt, aber die Bemessung des Kanalnetzes noch deutlich überschreitet. • Szenario 2: ein außergewöhnliches Ereignis, welches regional differenziert durch ein statistisches Niederschlagsereignis (Dauer 1 Stunde) mit einer Jährlichkeit von 100 Jahren generiert wird und zu einem außergewöhnlichen Oberflächenabflussereignis führt. • Szenario 3: ein extremes Ereignis, welches durch ein extremes Niederschlagsereignis (90 mm in 1 Stunde) generiert wird und zu einem extremen Oberflächenabflussereignis führt Insbesondere im Rahmen der verbindlichen Bauleitplanung ist es dabei notwendig, frühzeitig die fachlichen Fragen in enger Abstimmung zwischen Gemeinde, Wasserbehörden und Staatlichen Umweltämtern abzuklären. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Differenzierung des abfließenden Oberflächenwassers nach • Unbelastetem (besser: gering belastetes) Niederschlagswasser (Kategorie I) bedarf grundsätzlich keiner Vorbehandlung. • Schwach belastetem (besser: mäßig verschmutztes) Niederschlagswasser (Kategorie II) bedarf grundsätzlich einer Behandlung. • Stark belastetem Niederschlagswasser (Kategorie III) muss grundsätzlich gesammelt, abgeleitet und einer biologischen Abwasserbehandlung bzw. der zentralen Kläranlage zugeführt werden. Hier sollten die im Rahmen der begleitenden Verkehrsuntersuchung ermittelten zusätzlichen Verkehrsbewegungen für eine Einschätzung herangezogen werden. Maßgeblich für Dimensionierung der Entwässerungsanlagen sind folgende Regelwerke: Zunächst legt die DIN EN 752 „Entwässerungssysteme außerhalb von Gebäuden“ den Rahmen. Ergänzt werden diese Bestimmungen durch zahlreiche Merkblätter, die von der Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 323 Erschließung von Wohn- und Gewerbegebieten e.V. (DWA) zu verschiedenen Themen herausgegeben werden. Auf Grund der großen Bedeutung der Entwässerungsthemen sollten diese Überlegungen frühzeitig (Beginn des B-Plan Prozesses) eingebracht werden. Dabei ist auch bereits eine Interaktion mit dem Verkehrsanlagenplaner herzustellen (Fließwege, Höhenlage der künftigen Straßen etc.) Die zu diesem Zeitpunkt zu erarbeitende Entwässerungsstudie soll folgende Schwerpunkte behandeln: • Entwässerungsgebiet - Einzugsgebiet - Gebietsdaten - Einwohner - Gewässer - Schutzgebiete - Überschwemmungsgebiete - Bodenverhältnisse - Topografie - Niederschlag - Fremdwasseranfall - Kategorisierung der Flächen • Vorhandene Kanalisation • Geplante Kanalisation • Hydraulische Nachweise Da die Entwässerungsplanung im Rahmen der Bauleitplanung eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung im Zusammenhang mit umweltschützenden Anforderungen auch in Verantwortung gegenüber künftigen Generationen miteinander in Einklang zu bringen hat, sollte der Anspruch darin bestehen, ressourcensparende und ökologisch wertvolle Lösungen für den Umgang mit Niederschlagswasser zu entwickeln. Wichtige Stichworte in diesem Zusammenhang sind: Dach- und Fassadenbegrünung, Versickerung über Mulden-Rigolensystem oder Tiefbeete, dezentrale Rückhaltungen über Teiche, Becken, Rigolen sowie die dezentrale Behandlung und schließlich auch die Sammlung von Regenwasser in Zisternen für eine spätere Nutzung. Offene Ableitungen (Mulden, Gräben oder auch im Straßenraum) sind im Hinblick auf die oben genannten Anforderungen der Einleitung in Kanälen vorzuziehen. Gerade in dieser Hinsicht ergeben sich gestalterische Ansätze aus der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Entwässerungs- und Straßenplanern, Architekten und Landschaftsarchitekten. 4.2 Verkehr/ Lärm Die Aufgabe der Verkehrsplanung liegt in der optimalen Gestaltung von Verkehrssystemen unter Berücksichtigung von qualitativen und quantitativen Anforderungen an die Wirtschaftlichkeit, Leistungsfähigkeit und Sicherheit von Verkehrsprozessen. Die Planungen basieren auf Kenntnissen über den Verkehrsablauf, über die Verkehrstechnik und über die Verkehrsorganisation. Grundlage jeder Erschließung ist die Auseinandersetzung mit den Gesetzmäßigkeiten der räumlich zeitlichen Entstehung und Durchführung der Ortsveränderungen von Personen (zu Fuß oder mit einem Verkehrsmittel) und Gütern im gesamten öffentlichen Verkehrsraum des das Planungsgebiet umfassenden Untersuchungsraums. Dabei bedienen sich die Verkehrsplaner eigener Berechnungsverfahren, mit deren Hilfe Aussagen zur Entwicklung, Gestaltung und Bewertung des Verkehrsgeschehens und der Verkehrsinfrastruktur eines Territoriums ermittelt werden. Verkehrsplanerische Berechnungsergebnisse bilden die Grundlage für die darauf aufbauende verkehrs- und betriebstechnische Gestaltung der Verkehrsanlagen. Hierzu zählen folgende Bausteine: Abb. 3: Umgang mit Niederschlagswasser [Quelle: eigene Darstellung] 324 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Erschließung von Wohn- und Gewerbegebieten Verkehrsthemen stehen sehr im Fokus der Öffentlichkeit und werden in der Praxis immer wieder benutzt, um unliebsame Flächenentwicklungen zu verhindern. Häufig werden dabei Verkehrs- und Lärmthemen miteinander verknüpft. Umso wichtiger sind hier eine frühzeitige und vor allem sehr sorgfältige Auseinandersetzung mit der Analyse des bestehenden Verkehrsgeschehens, der Prognose über künftige Verkehrsentwicklungen und der Ermittlung der davon ausgehenden Auswirkungen auf den Verkehrsablauf und die Lärmentwicklung. Daraufhin sind Maßnahmen zur Gewährleistung einer auch künftig akzeptablen Verkehrsqualität und/ oder der Einhaltung der Grenzwerte nach DIN 18005 bzw. 16. BImSchV und der der TA Lärm zu ergreifen. Diese Maßnahmen können beispielsweise im Umbau eines Knotenpunktes oder im Anbau von Fahrstreifen oder im Bau von Lärmschutzeinrichtungen bestehen. Alle diese Maßnahmen erfordern eine Flächeninanspruchnahme und sind deshalb baurechtlich festzusetzen. Unter anderem auch deshalb ist die frühzeitige Auseinandersetzung mit künftigen Verkehrsabläufen zwingend notwendig. Im Interesse einer hohen Qualität bei der Gestaltung öffentlicher Räume sollten bereits bei der Erarbeitung der Verkehrsuntersuchungen und daraus abzuleitender Maßnahmen der interdisziplinäre Austausch mit dem Verkehrsanlagenplaner, dem Schallgutachter, dem Architekten und Landschaftsarchitekten sowie des Entwässerungsplaners kultiviert werden. Nur so lassen sich allseits abgestimmte und ausgewogene Lösungen erarbeiten. 5. Planungsablauf Die Erschließungsplanung von Wohn- und Gewerbegebieten besteht im Regelfall aus folgenden Ingenieurleistungen: • Vermessung • Baugrunduntersuchungen • Objektplanung Ingenieurbauwerke (Entwässerungseinrichtungen) • Objektplanung Verkehrsanlagen • u.U. Fachplanung Tragwerksplanung • Fachplanung Technische Ausrüstung (Beleuchtung, Maschinen- und Elektrotechnik im Zusammenhang mit Entwässerungsbauwerken) • Koordination der Versorgungsträger Wie in den vorangegangenen Ausführungen bereits mehrfach betont, wäre es sowohl für den Prozess als auch für die erreichbare städtebauliche Qualität nachteilig, wenn die Phase der Objektplanung erst nach Erlangung der Rechtskraft des B-Planes beginnt. Idealerweise erfolgt die Erarbeitung des Planungskonzepts für den B-Plan gemeinsam mit • Entwässerungsstudie/ Starkregenbetrachtung • Verkehrsuntersuchung • Lärmgutachten • Objektplanung Verkehrsanlagen bis Lph. 2 incl. Gradientenplanung/ Grundzüge der Straßenraumgestaltung • Umwelt - und Artenschutzuntersuchung • Aufstellen des städtebaulichen Konzepts Vorbereitend werden dafür benötigt: • Entwurfsvermessung • Baugrundgutachten Die Gründe für dieses iterative und interdisziplinäre Vorgehen ergeben sich aus vielfältigen Projekterfahrungen. Es ist z.B. wichtig zu wissen, welche Tiefe und damit letztendlich welche Breite Entwässerungseinrichtungen zur Versickerung bzw. offenen Ableitung von Oberflächenwasser haben werden, damit die Flächen entsprechend im B-Plan Berücksichtigung finden können. Ebenso sind die zu erwartenden Verkehrsverhältnisse und die daraus ableitbare Straßenraumgestaltung entscheidend für die Gesamtbreite des Verkehrsraumes. Straßenraumgestaltungen, bei denen Fahrbahnen von Seitenbereichen mit hohen Borden getrennt werden sollen, erfordern entsprechend Breite Gehwege, damit in Bereichen von Bordabsenkungen die Anforderungen der Barrierefreiheit eingehalten werden können. Im Übrigen ist immer zu berücksichtigen, dass die Planung von Verkehrsanlagen grundsätzlich eine Angebotsplanung darstellt und die Verkehrsmittelwahl in der Zukunft stark beeinflusst. Wohn- und Gewerbegebiete werden in der überwiegenden Zahl der Fälle zweistufig ausgebaut. Zuerst werden Entwässerungseinrichtungen und Baustraßen hergestellt. Dann verlegen die Versorgungsunternehmen Kabel und Leitungen. Nachdem der Hochbau abgeschlossen ist bzw. einen hohen Fertigstellungsgrad erreicht hat, werden die Straßen endausgebaut. Dazwischen liegen vielfach mehrere Jahre. Damit das Verkehrsverhalten der neuen Einwohner bzw. Beschäftigten der Gewerbeeinrichtungen sich in der Zwischenzeit nicht nur auf den PKW ausrichtet, sollten von Beginn an Zugangsstellen zum Nahverkehr und/ oder Fahrradinfrastruktureinrichtungen hergestellt werden. Ebenso sollten der Umgang mit dem ruhenden Verkehr von Beginn an im Blick behalten werden. Durch entsprechende Ortssatzungen und / oder Festsetzungen im B-Plan sollte die Anzahl von Stellplätzen und/ oder auch die Zuweisung an gewisse Nutzergruppen klar geregelt werden. Auf diesem Gebiet besteht im Interesse der Schaffung attraktiver Stadtquartiere ein großer Handlungsbedarf. Zu beachten ist, dass in Metropolen knapp 20 % der öffentlichen Verkehrsflächen mit Autos zugestellt, 50 % aller Autos im öffentlichen Raum abgestellt sind und nur die anderen 50 % sich in Bewegung be- 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 325 Erschließung von Wohn- und Gewerbegebieten finden und andererseits jede 5. Garage anderweitig aber nicht als Stellplatz genutzt werden. Im Interesse der Förderung des Radverkehrs sollten auch bereits frühzeitig Überlegungen zur Integration von Fahrradabstellmöglichkeiten angestellt werden. Ebenso sollte die Straßennetzkonzeption dem Fahrradverkehr die entsprechende Aufmerksamkeit entgegen bringen (Radschnellwege, Velorouten etc.). Für die Erschließung von Wohn- und Gewerbegebieten sollten deshalb folgende Punkte Berücksichtigung finden: 1. Entscheidende Weichenstellungen erfolgen im B-Plan 2. Aus dem Ausland lässt sich einiges lernen: - Keine kostenfreien Parkplätze im Innenstadtbereich - Mehreinnahmen kommen dem Ausbau von ÖPNV und Radverkehr zu Gute - P+R Ausbau - Autos müssen nicht unmittelbar vor der Haustür stehen, Quartiersgaragen 3. Gewonnener öffentlicher Raum kann Freizeit, Entspannung und sozialem Leben zu Gute kommen Zwei weitere Aspekte sind für die Planung von Wohn- und Gewerbegebieten bedeutsam: Zum einen müssen in einem interdisziplinären Ansatz von Beginn an baukulturelle Aspekte im Planungsprozess Berücksichtigung finden und letztlich im B-Plan festgesetzt werden. Es geht nicht nur um zweckmäßige Straßen und Kanäle die im Grunde das Minimum für die Sicherung der Erschließung darstellen, sondern letztlich um die Schaffung öffentlicher Räume, von denen ein angenehmes Wohlgefühl für die künftig dort lebenden Menschen ausgeht. Und das gilt nicht nur für Wohngebiete sondern auch in gewissem Maße für Gewerbegebiete. Zum anderen sind auch die Belange der Barrierefreiheit von Beginn an konzeptionell mitzudenken. Im Planungsablauf mit dem Übergang in den Bauprozess treten immer wieder Probleme mit Versorgungsunternehmen und deren plangerechter Leitungsverlegung aber auch mit der Einhaltung geplanter Höhen durch private Bauherren auf. In beiden Fällen ist eine intensive Kommunikation mit den beteiligten Unternehmen bzw. betroffenen Einzelpersonen notwendig. Es empfiehlt sich mit den Versorgungsunternehmen entsprechende Planvereinbarungen über die Verläufe der Versorgungsleitungen abzuschließen und deren Umsetzung zu überwachen. Für die privaten Bauherren bzw. deren beauftragte Architekten sollten individuelle Bauherreninformationsblätter für jedes Grundstück mit allen relevanten Lage- und Höhenangaben für Straßen und Kanäle erarbeitet werden und mit Erläuterungen zusammen mit dem Kaufvertrag übergeben werden. 6. Realisierung Entscheidend für einen reibungslosen Bauablauf sind die sorgfältig vorbereiteten Planungsunterlagen. Defizite in der Planung führen immer zu Baubehinderungen, baubegleitenden Planungen, Nachträgen und Mehrkosten. In diesem Zusammenhang ist die Kostenverfolgung über den gesamten Planungs- und Bauvorbereitungsprozess von entscheidender Bedeutung. Jedes Leistungsverzeichnis sollte deshalb immer bepreist werden, weil mit dieser letzten Kontrolle auch die letzte Möglichkeit für den ggf. notwendigen Abbruch der Ausschreibung besteht. Bereits in der Planung sollte darauf geachtet werden, dass alle Planungsbeteiligten in demselben Koordinatensystem arbeiten. Insbesondere bei komplexen unterirdischen Leitungssystemen ist eine sehr sorgfältige Kollisionsprüfung im unterirdischen Bauraum bereits in frühen Planungsphasen notwendig. Der zunehmende Übergang in die 3-dimensionale Planung ist hierbei eine gute Unterstützung. Die oft über mehrere Jahre bestehenden Zwischensituationen bis zum Erreichen des endgültigen Straßenendausbaus führen gelegentlich zu ungeklärten Entwässerungssituationen in den unbefestigten Seitenbereichen. Deshalb ist bereits bei der Planung der Baustraßen diese Situation hinreichend tiefgründig zu berücksichtigen. Generell gilt, dass auch in frühen Phasen der Planung die Baudurchführung mit allen zu beachtenden Randbedingungen (Verkehrsführung während der Bauzeit incl. ASR A5.2 - Anforderungen an Arbeitsplätze und Verkehrswege auf Baustellen im Grenzbereich zum Straßenverkehr - Straßenbaustellen) zu beachten sind. Bereits Luc de Clapiers Marquis de Vauvenargues (1715- 1747) hat festgestellt. „Die Kunst der Planung ist es, den Schwierigkeiten der Ausführung zuvor zu kommen“ 7. Fazit Die Planung der Erschließung von Wohn- und Gewerbegebieten ist ein äußerst komplexer Vorgang, der zwingend eine interdisziplinäre Zusammenarbeit erfordert. Diese Art der Planung ist im Interesse eines positiven Gesamtergebnisses außerordentlich sinnvoll. Dieser Prozess erfordert von jedem Einzelnen Zielbewusstsein, Leistungsbereitschaft und Toleranz. Interdisziplinäre Teams sind heute nicht mehr wegzudenken, da sie in der Lage sind, Problemstellungen zu bearbeiten und zu lösen, an denen einzelne Disziplinen scheitern würden. Diese Interdisziplinarität soll zum Beginn eines Planungsprozesses kultiviert werden, damit alle Fachbereiche ihre Planungsergebnisse in den Bebauungsplanprozess einbringen können und dort entsprechend Berücksichtigung finden. Oberbaudimensionierung 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 329 Zielführende Straßenerhaltung - Bewertung der strukturellen Substanz Prof. Dr.-Ing. Jörg Patzak Ingenieurgesellschaft für Dimensionierung und Analyse von Verkehrsflächen (IDAV GmbH), Dresden Dr.-Ing. Alexander Zeißler Ingenieurgesellschaft für Dimensionierung und Analyse von Verkehrsflächen (IDAV GmbH), Dresden Zusammenfassung Seit der Einführung der RDO Asphalt im Jahre 2009 [1] besteht die Möglichkeit, Straßenbefestigungen in Asphaltbauweise im Rahmen von Neubaumaßnahmen rechnerisch zu dimensionieren. Für Bestandsstrecken in Asphaltbauweise kann die strukturelle Substanz nach den RSO Asphalt, Entwurf 2016 [2] bewertet und deren Restnutzungsdauer rechnerisch prognostiziert werden. Für eine nachhaltige und wirtschaftliche Erhaltungsplanung stellt die Restnutzungsdauer der Befestigung die entscheidende Grundlage dar. Als wirtschaftlich einzustufen ist eine Maßnahmenplanung dann, wenn die Nutzungsdauer neu einzubauender Schichten an die Restnutzungsdauer in der Konstruktion verbleibender Schichten angepasst wird. Grundlage für die Anwendung des Verfahrens nach den RSO Asphalt, Entwurf 2016 [2] sind u. a. die Kenntnis der sogenannten Performance-Kennwerte der in situ vorhandenen Asphalte sowie die möglichst genauen Belastungen aus Klima und Verkehr. Am Beispiel wird gezeigt, wie beginnend von der strukturell homogenen Abschnittsbildung bis zum Ergebnis, der Restnutzungsdauer der bestehenden Befestigung, voranzugehen ist. Vergleichend wird auf die deterministische und die probabilistische Verfahrensweise eingegangen, Unterschiede erläutert und die Ergebnisse diskutiert. Für die zeitgemäße ingenieurtechnische und insbesondere praxisgerechte Anwendung wird unter Verwendung der Software ADtoPave [12] gezeigt, wie schnell und effektiv die strukturelle Substanz von Straßenbefestigungen im Vorfeld von Erhaltungsmaßnahmen bewertet werden kann. 1. Einleitung Mit den deutschen Richtlinien für die rechnerische Dimensionierung des Oberbaus von Verkehrsflächen mit Asphaltdeckschicht (RDO Asphalt [2], eingeführt mit dem Allgemeinen Rundschreiben Straßenbau (ARS) vom 26.08.2009, ist im Vergleich zur konventionellen Dimensionierungsmethodik nach den RStO [4] ein wesentlicher Schritt hin zu einer ökonomischen und nachhaltigen Dimensionierung von Verkehrsflächenbefestigungen in Asphaltbauweise erfolgt. Mit dem Bundesverkehrswegeplan 2030 unter dem Titel „Erhalt geht vor Neubau“ hat die Bundesregierung die Priorität auf den Erhalt der Verkehrswege mit 69 % der zur Verfügung gestellten Mittel gesetzt [3]. Der verbindliche Haushaltsgrundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit verpflichtet die Träger der Straßenbaulast, die für Bundesstraßen zur Verfügung gestellten Mittel möglichst effizient zur Instandsetzung der Verkehrswege ein zusetzen (Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG, § 6 HGrG, § 7 BHO). Natürlich gilt dieser Grundsatz gleichermaßen für das nachgeordnete Netz. Umso mehr ist eine Bewertung der strukturellen Substanz vorhandener Straßenbefestigungen die Grundlage für ein zielführendes und abgestimmtes Konzept der Erhaltungsplanung. Die Grundlage hierfür wurde mit den Richtlinien zur Bewertung der strukturellen Substanz des Oberbaus von Verkehrsflächen in Asphaltbauweise (RSO Asphalt, Entwurf 2016) [2] geschaffen. Im Ergebnis dieser Bewertung kann eine Maßnahmenplanung erst dann als wirtschaftlich eingestuft werden, wenn die Nutzungsdauer neu einzubauender Schichten an die Restnutzungsdauer von in der Konstruktion verbleibender Schichten angepasst wird. Bereits mit der Einführung der aktuell geltenden Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen (RStO) [4] wurde den genannten Grundsätzen Rechnung getragen und unter Pkt. 4 „Erneuerung von Fahrbahnen“ explizit darauf verwiesen, dass Art und Zustand der vorhandenen Befestigung (Pkt. 4.1.4) für die Belastungsklassen Bk10 bis Bk100 rechnerisch überprüft und bewertet werden sollten. Kon- 330 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Zielführende Straßenerhaltung - Bewertung der strukturellen Substanz kret sind in diesem Fall Materialuntersuchungen (Performanceprüfungen) an Probekörpern hergestellt aus vor Ort entnommenen Bohrkernen durchzuführen. Für Asphalte gelten hierfür die TP Asphalt-StB Teil 24 [5] und TP Asphalt Teil 26 [6] sowie für Beton die TP B-StB [7]. Insbesondere sei in diesem Zusammenhang auf Tabelle 5 der RStO 12 [4] verwiesen (Abbildung 1), in welcher für Erneuerungen in Asphaltbauweise auf vorhandener Befestigung ab Bk 10 keine standardisierten Befestigungsvarianten vorgegeben sind. Abbildung 1: Erneuerung in Asphaltbauweise auf vorhandener Befestigung [4] Deshalb ist im Einzelfall zu überprüfen und rechnerisch zu bewerten, ob und welche Erneuerungsbauweise als wirtschaftlich sinnvoll einzustufen ist. Nur auf einer derartigen, belastbaren Basis können Fehlentscheidungen vermieden werden. 2. Bewertung der Strukturellen Substanz von Befestigungen in Asphaltbauweise 2.1 Grundlagen zur Verfahrensweise Die Anwendung des Verfahrens nach den RSO Asphalt, Entwurf 2016 [2] stützt sich im Wesentlichen auf 4 nachfolgend dargestellte und einzeln erläuterte Bearbeitungsschwerpunkte. 1. Festlegung strukturell homogener Streckenabschnitte 2. Probennahme (Bohrkernentnahme) als Querschnitts-/ oder Abschnittsbeprobung innerhalb der strukturell homogenen Abschnitte 3. Ermittlung der dimensionierungsrelevanten Materialkennwerte/ -kennwertfunktionen aller Asphaltschichten 4. Bewertung der strukturellen Substanz gem. den RSO Asphalt, Entwurf 2016 nach der deterministischen oder der probabilistischen Verfahrensweise 2.2 Strukturell homogene Streckenabschnitte Die zu untersuchende Strecke ist im Hinblick auf eine erforderliche Unterteilung in Unterabschnitte zu untersuchen. Strecken oder Streckenabschnitte, welche nach bautechnischen Gesichtspunkten, hinsichtlich ihrer Belastungen aus Klima und Verkehr sowie sonstiger Randbedingungen als homogen eingestuft werden können, werden als strukturell homogene Abschnitte bezeichnet. Beispielsweise sind Netzknotenabschnitte im Hinblick auf die Belastung aus Verkehr meist als homogen einzustufen. Als strukturell homogen gelten diese aber nur dann, wenn alle weiteren relevanten Kriterien wie beispielsweise der Befestigungsaufbau, das Alter der Befestigungsschichten oder die Tragfähigkeit als homogen einzustufen sind. 2.3 Bohrkernentnahme Nach der Festlegung der strukturell homogenen Streckenabschnitte werden die Bohrkernentnahmestellen festgelegt. Mit der Art der Bohrkernentnahme (Anzahl und Entnahmepunkte) wird das Ziel verfolgt, eine repräsentative Stichprobe zu erreichen. Zu bevorzugen ist das Prinzip der Abschnittsbeprobung, bei welchem die Bohrkerne innerhalb des strukturell homogenen Abschnitts zufallsverteilt entnommen werden. Hierdurch werden die Streuungen der Materialparameter und ggf. auch der Aufbaudaten erfasst und bei der Berechnung der strukturellen Substanz explizit berücksichtigt. Die Entnahme der Proben ist vorzugsweise in der in Fahrtrichtung rechten Rollspur vorzusehen und erfolgt gemäß der TP Asphalt-StB, Teil 27 [8]. 2.4 Ermittlung der dimensionierungsrelevanten Materialkennwerte/ -kennwertfunktionen Die Ermittlung der dimensionierungsrelevanten Materialkennwerte/ -kennwertfunktionen erfolgt an Probekörpern, hergestellt aus in der Strecke entnommenen Bohrkernen. Für alle in der Konstruktion existenten Asphaltschichten ist die • Bestimmung der Steifigkeit (TP Asphalt-StB, Teil 26) [6] labortechnisch durchzuführen. Zusätzlich ist für die Asphalttragschicht (ggf. die Asphalttragschichten) die • Beständigkeit gegen Ermüdung (TP Asphalt-StB, Teil 24) [5] labortechnisch zu untersuchen. Die Weiteren ist die • Prüfung des Schichtenverbundes mittels Abscherversuch (TP Asphalt-StB, Teil 80) [9] entsprechend der vorhandenen Anzahl gebundener Befestigungsschichten durchzuführen. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 331 Zielführende Straßenerhaltung - Bewertung der strukturellen Substanz 2.5 Bewertung der strukturellen Substanz Die Bewertung der strukturellen Substanz gem. den RSO Asphalt, Entwurf 2016 [2] kann auf Grundlage zweier Verfahren erfolgen. Bei Anwendung der deterministischen Verfahrensweise wird die Restsubstanz bzw. Restnutzungsdauer auf Grundlage von Mittelwerten relevanter Eingangsparameter rechnerisch abgeschätzt. Bei Anwendung der probabilistischen Verfahrensweise wird die Variabilität der relevanten Eingangsparameter berücksichtigt. Damit ist es wahlweise möglich, die Ausfallwahrscheinlichkeit jedes strukturell homogenen Abschnitts für eine zuvor festgelegte Restsubstanz bzw. die Restsubstanz bei definierte Ausfallwahrscheinlichkeit zu berechnen. Nachfolgend werden beide Verfahrensweisen anhand eines Beispiels aufgezeigt. 3. Erläuterung der Vorgehensweise am Beispiel Im konkreten Beispiel handelt es sich um einen strukturell homogenen Abschnitt einer Bundesstraße mit einer Länge von rd. 1200 m. Für die Berechnung der Restnutzungsdauer der Befestigung sowohl auf Grundlage der deterministischen als auch der probabilistischen Verfahrensweise wurde die Softwarelösung ADtoPave [12] verwendet (Abbildung 2), mit welcher unterschiedlichste Aufgaben rund um die rechnerische Dimensionierung von Asphaltbefestigungen bearbeitet werden können. Abbildung 2: Analysing and Design Tool for Pavements (ADtoPave) [12] Die modulare Struktur der Software (Abbildung 3) gewährleistet dabei größtmögliche Flexibilität für jeden Anwendungsfall. Abbildung 3: ADtoPave-Modulübersicht [12] Im relevanten Streckenabschnitt lag folgender Befestigungsaufbau vor: • i. M. 4 cm Asphaltdeckschicht • i. M. 5 cm Asphaltbinderschicht • i. M. 13 cm Asphalttragschicht • i. M. 15 cm Verfestigung auf anstehendem frostsicheren Untergrund Die Daten zum Befestigungsaufbau wurden bereits im Vorfeld der Substanzbewertung auf Grundlage von Georadarmessungen und Bohrkernentnahmen überprüft. Durch die Untersuchungen im Labor konnte der Asphaltdeckschicht die Mischgutart SMA (obere Siebgröße 11 mm), der Asphaltbinderschicht die Mischgutart AC (obere Siebgröße 16 mm) und der Asphaltbinderschicht die Mischgutart AC (obere Siebgröße 32 mm) zugeordnet werden. 3.1 Verkehrsbelastung Auf Basis der vorliegenden Verkehrszählung (Jahr 2015) wurde eine durchschnittliche Anzahl täglicher Achsübergänge des Schwerverkehrs (DTA (SV) ) von 4856 332 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Zielführende Straßenerhaltung - Bewertung der strukturellen Substanz AÜ zu Grunde gelegt. Zum Vergleich und im Hinblick auf die Einordung der Untersuchungsstrecke gem. den RStO [4] berechnet sich hiernach die dimensionierungsrelevante Beanspruchung B mit rd. 9,5 Mio. AÜ. Damit erfolgt eine Zuordnung in die Belastungsklasse 10. Unschwer zu erkennen ist, dass die Summe der Schichtdicken aller Asphaltschichten dem Aufbau gem. RStO 12 (Tafel 1, Zeile 2.2) entsprechen (1 cm Mehrdicke) und die Schichtdicken von Asphaltdeck- und -binderschicht vom Regelwerk abweichen. 3.2 Bohrkernentnahme Die Bohrkernentnahme erfolgte nach TP Asphalt- StB, Teil 27 [8] im strukturell homogenen Abschnitt als Abschnittsbeprobung (vgl. Pkt. 2.3). Der relevante Abschnitt wurden entsprechend der Anzahl der zu entnehmenden Bohrkerne (im konkreten Beispiel 21 Bk bei rd. 1200 m Abschnittslänge) in Bereiche unterteilt, in welchen die Bohrkerne zufallsverteilt gem. den TP BF-StB E 1 [9] entnommen wurden. Die Bohrkerne sind wie folgt für die durchzuführenden Materialprüfungen zu verwenden (vgl. Pkt. 2.4): • 13 Bohrkerne für die Prüfung der Beständigkeit gegen Ermüdung (Bestimmung der Ermüdungsfunktion) • 5 Bohrkerne für die Prüfung der Steifigkeit (Bestimmung der Hauptkurven) • 3 Bohrkerne für die Prüfung des Schichtenverbundes 3.3 Ermittlung der dimensionierungsrelevanten Materialkennwerte/ -kennwertfunktionen Hauptkurve und Steifigkeitsmodul-Temperaturfunktion Entsprechend den TP Asphalt-StB, Teil 26 [6] dient als funktionaler Ansatz der Hauptkurve (Masterfunktion) nachfolgende Gleichung. (1) mit |E*| absoluter Wert des komplexen E-Moduls (Steifigkeitsmodul) [MPa] |E*|+∞ Grenzwert des Steifigkeitsmoduls bei sehr niedrigen Temperaturen und/ oder hohen Frequenzen [MPa] |E*|-∞ Grenzwert des Steifigkeitsmoduls bei sehr hohen Temperaturen und/ oder niedrigen Frequenzen [MPa] x* beliebiger Wert auf der Abszissenachse der Hauptkurve, bestimmt mit Hilfe der Temperatur-Frequenz-Äquivalenz [Hz] , Materialparameter der Hauptkurve [-] In der Tabelle 1 sind exemplarisch die Materialparameter der Hauptkurve des absoluten E-Moduls für die geprüfte Asphaltdeckschicht mit den zusätzlich benötigten Parametern, T0 Referenztemperatur [°C] Φ materialspezifischer Parameter [-] aufgeführt, welche zur eindeutigen Beschreibung der Hauptkurve erforderlich sind. Tabelle 1: Parameter der Hauptkurve der Asphaltdeckschicht E-∞ E+∞ T0 Φ [N/ mm²] [N/ mm²] [-] [-] [°C] [-] 0 23277 -0,751602 1,998533 20 22377 Abbildung 4 zeigt die Hauptkurve der Asphaltdeckschicht einschließlich der Messwerte der Materialprüfung. Abbildung 4: Hauptkurve der Asphaltdeckschicht Zur besseren Verdeutlichung zeigt Abbildung 5 vergleichend die Steifigkeitsmodul-Temperaturfunktion aller geprüften Asphaltschichten der vorhandenen Befestigung. Erkennbare Unterschiede zeigen sich zwischen Asphaltdeck- und Asphalttragschicht, mit erwartbar tendenziell größeren absoluten E-Moduln der Asphalttragschicht. Auffallend im Beispiel sind die vgl. großen absoluten E-Modul der Asphaltbinderschicht im Bereich niedriger Temperaturen. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 333 Zielführende Straßenerhaltung - Bewertung der strukturellen Substanz Abbildung 5: Steifigkeitsmodul-Temperaturfunktion aller geprüften Asphalte Ermüdungsfunktion Die Ermüdungsfunktion der Asphalttragschicht ist essentielle Grundlage von Dimensionierungs- und Prognoseberechnungen. In Gleichung (2) ist der funktionale Zusammenhang aufgeführt. (2) dabei sind: ε el,Anf… elastische Anfangsdehnung [‰] N zul… max. ertragbare Lastwechselzahl k, n… Regressionsparameter [-] In der nachfolgenden Tabelle 2 sind die Materialparameter der Ermüdungsfunktion einschließlich Einzelwerte aus der Materialprüfung für die Asphalttragschicht aufgeführt. Tabelle 2: Parameter der Ermüdungsfunktion der Asphalttragschicht k [-] n [-] 8,888921 -2,676168 Abbildung 6 zeigt den entsprechenden funktionalen Zusammenhang. Abbildung 6: Ermüdungsfunktion der Asphalttragschicht Schichtenverbundzustand Die Prüfung des Schichtenverbundes mittels Abscherversuch (TP Asphalt-StB, Teil 80) [9] wurde für alle Schichtgrenzen zwischen Asphaltschichten an drei Bohrkernen (vgl. Pkt. 2.4 durchgeführt). Bei allen Prüfungen wurden die Grenzwerte der Scherkraft gem. ZTV Asphalt-StB [11] eingehalten, weshalb von vollständig wirksamem Verbund ausgegangen wurde. 3.4 Ermittlung der strukturellen Substanz nach der deterministischen Verfahrensweise 3.4.1 Befestigungsaufbau Die Schichtdicken des vorhandenen Befestigungsaufbaus entsprechen für alle Schichten den Mittelwerten der festgestellten Schichtdicken. Hierbei basieren die Mittelwerte für Asphaltdeck- und -binderschicht auf Georadarmessungen, die der Verfestigung auf Messungen am Bohrkern. Die Schichtdicke der Asphalttragschicht wird aus Sicherheitsgründen mit dem 10 %-Quantil (p = 0,1; α = 95 %) in Ansatz gebracht. Abbildung 7 zeigt den dafür anzusetzenden Befestigungsaufbau. 334 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Zielführende Straßenerhaltung - Bewertung der strukturellen Substanz Abbildung 7: im Berechnungsmodell angesetzter Befestigungsaufbau 3.4.2 Belastung aus Verkehr und Klima Da in den seltensten Fällen detaillierte Achslastdaten bekannt sind, können diese im Vorfeld einzelfallspezifisch ermittelt werden oder es wird auf bekannte Achslastkollektive gem. den RDO Asphalt [1] zurückgegriffen. Im konkreten Fall wurde das Achslastkollektiv BAB Fernverkehr (Abbildung 8) verwendet, da die Untersuchungsstrecke als Autobahnzubringer dient und vergleichsweise hoher Schwerverkehrsanteil vorliegt. Abbildung 8: Achslastkollektiv „BAB - Fernverkehr“ [1] Für die Berücksichtigung der relevanten Temperaturbedingungen in den Asphaltschichten der Befestigung sind gem. RSO Asphalt, Entwurf 16 [2] normierte, charakteristische Temperaturprofile zu verwenden. Die Auftretenshäufigkeit dieser charakteristischen Temperaturprofile ist abhängig von der jeweiligen klimainduzierten Straßentemperaturen-Zone (KiST-Zone). Eine KiST-Zone repräsentiert eine Region, in der bei gleichen Verkehrslasten klimabedingt ähnliche Beanspruchungen in der Asphaltbefestigung auftreten. Im vorliegenden Betrachtungsfall wurde Temperaturzone 1 verwendet. Die Auftretenswahrscheinlichkeit der normierten, charakteristischen Temperaturprofile innerhalb einer KiST-Zone sind nach den RSO Asphalt, Entwurf 2016 [2] festgelegt und können Tabellenwerten entnommen werden. Alternativ kann die Festlegung der KiST-Zone in ADtoPave direkt über die Eingabe von Gauß-Krüger-Koordinaten bestimmt werden. Die Häufigkeitsverteilung der Oberflächentemperaturen für die jeweiligen KiST- Zonen sind bereits im Programm hinterlegt. 3.4.3 Materialkennwerte/ -kennwertfunktionen Die verwendeten dimensionierungsrelevanten Materialkennwerte/ -kennwertfunktionen sind unter Pkt. 3.3 dargestellt und beschrieben. 3.4.4 Berechnungsergebnis Zur Berücksichtigung von Unsicherheiten sind gem. den RSO Asphalt, Entwurf 2016 [2] Anpassungsfaktoren bei der Dimensionierung zu berücksichtigen. Der An-passungsfaktor ist einer Kombination aus Belastungsklasse und möglichem Befestigungsaufbau zugeordnet. Im konkreten Beispiel ist ein Anpassungsfaktor AF von 2169 anzusetzen. In Abbildung 9 ist das Berechnungsergebnis grafisch dargestellt. Erkennbar ist, dass für den Status quo der Befestigung ein Ermüdungsstatus der Asphalttragschicht von 100 % nach rd. 14,5 erreicht sein wird. Folglich ist die ATS unter den zugrunde gelegten Prognosebedingungen nach Ablauf des prognostizierten Nutzungszeitraumes von rd. 14,5 Jahren (Restnutzungsdauer) nicht mehr in der Lage die Beanspruchungen aus Klima und Verkehr ertragen zu können. Abbildung 9: Nutzungsdauer der ATS in Jahren bis zum Erreichen eines Ermüdungsstatus von 100 % 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 335 Zielführende Straßenerhaltung - Bewertung der strukturellen Substanz 3.5 Ermittlung der strukturellen Substanz nach der probabilistischen Verfahrensweise 3.5.1 Befestigungsaufbau Wesentlicher Unterschied bei Anwendung der probabilistischen Verfahrensweise ist die Berücksichtigung der Variabilität relevanter Eingangsgrößen. Jeder Befestigungsaufbau unterliegt Schichtdickenschwankungen. Abbildung 10 zeigt beispielhaft einen Ausschnitt der gemessen Gesamtdicke des gebundenen Oberbaus (Georadarmessung). Abbildung 10: Georadarmessung der Schichtdicke des gebundenen Oberbaus (blau - Messdaten; rot - Mittelwert der Messdaten) Bei ausschließlicher Berücksichtigung von Mittelwerten (Abbildung 10, rote Line) würde die Konsequenz aus in situ vorhandenen größeren Schichtdicken genauso vernachlässigt wie deutlich dünnere Schichtdicken. Die Diskretisierung der Verteilung der gemessenen Schichtdicken, führt zur Schichtdickenklassenbildung mit zugeordneten Klassenwahrscheinlichkeiten. Im konkreten Beispiel wurden 5 Schichtdickenklassen wie in Abbildung 11 dargestellt verwendet. Klasse 3 entspricht hierbei dem Mittelwert der Gesamtschichtdicke des gebundenen Oberbaus von 225 mm (vgl. Abbildung 12, 39 mm (ADS) + 48 mm (ABS) + 138 mm (ATS)). Die Klassen 1 und 2 repräsentieren Klassen unterhalb der mittleren Schichtdicke, die Klassen 4 und 5 oberhalb der mittleren Schichtdicke. Abbildung 11: Schichtdickenklassen mit zugeordneter Klassenwahrscheinlichkeit Abbildung 12: im Berechnungsmodell angesetzter Befestigungsaufbau 3.5.2 Belastung aus Verkehr und Klima Für die Belastungen aus Klima und Verkehr gelten für das probabilistische Verfahren die gleichen Ausführungen wie für das deterministische Verfahren (vgl. Pkt. 3.4.2). 336 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Zielführende Straßenerhaltung - Bewertung der strukturellen Substanz 3.5.3 Materialkennwerte/ -kennwertfunktionen So wie die Schichtdicken Schwankungen unterliegen, unterliegen auch die Materialkennwerte/ -kennwertfunktionen Schwankungen. In der Abbildung 4 (Pkt. 3.3) ist erkennbar, dass die Hauptkurve der Asphaltdeckschicht, als Regressionsfunktion (Mittelwertfunktion) durch die Werte der Stichprobe sowohl über als auch unterschritten wird. Zur stochastischen Erfassung der Materialstreuungen wird ebenfalls diskretisiert, um Klassen mit zugeordneten Klassenwahrscheinlichkeiten bilden zu können. Abbildung 13 zeigt die Klassenmittenfunktionen (bei 3 zugrunde gelegten Klassen) für die Hauptkurve der Asphaltdeckschicht (hier in linearisierter Form). Die rot markierte Funktion entspricht hierbei der Mittelwertfunktion. Abbildung 13: linearisierte Hauptkurve der Asphaltdeckschicht mit drei Klassenmittenfunktionen Zur besseren Nachvollziehbarkeit ist in Abbildung 14 die Steifigkeitsmodul-Temperaturfunktion der Asphaltdeckschicht dargestellt, basierend auf den drei Klassenmittenfunktionen, dargestellt. Rot markiert, wie bereits erläutert, die Mittelwertfunktion (vgl. Abbildung 4 als Hauptkurve) sowie die zwei weiteren gebildeten Klassenmittenfunktionen. In Analogie zur Berücksichtigung der Variabilität des Steifigkeitsmoduls ist die Variabilität der Ermüdung der Asphalttragschicht zu behandeln. Auf die separate Vorstellung wird an dieser Stelle verzichtet. Abbildung 14: Steifigkeitsmodul-Temperaturfunktion der Asphaltdeckschicht (Klassenmittelfunktionen) 3.5.4 Berechnungsergebnis Die Anzahl möglicher Kombinationen der Eingangs- und Vergleichskenngrößen (Anzahl der virtuellen Teilabschnitte), resultiert aus der Anzahl der gewählten Klassen im Rahmen der Diskretisierung. Im vorliegenden Beispiel wurde folgende Anzahl von Klassen gewählt: Hauptkurve: 3 Klassen (ADS, ABS, ATS) Ermüdungsfunktion: 7 Klassen (ATS) Schichtdicke: 5 Klassen (Asphaltschichten) Basierend auf dieser Annahme ergeben sich 3 x 3 x3 x 7 x 5 = 945 Kombinationen, welche ausschließlich aus den Variabilitäten des Befestigungsaufbaus bzw. des Materials resultieren (virtuelle Teilabschnitt). Für jeden diese Teilabschnitte sind die Teilschädigung infolge Belastung aus Klima und Verkehr und die Schadenssumme zu berechnen, was der deterministischen Verfahrensweise entspricht. Die Summe der Auftretenshäufigkeit aller Teilabschnitte mit einer Schadenssumme >1 entspricht der Ausfallwahrscheinlichkeit des untersuchten Streckenbereiches, sprich dem strukturell homogenen Abschnitt. Der Anpassungsfaktor AF ist im Beispiel bei Anwendung der probabilisten Verfahrensweise mit 2874 anzusetzen. Im Ergebnis wird eine Ausfallwahrscheinlichkeit von 20 % nach 9 Jahren erreicht (Abbildung 15). D. h. 1/ 5 der vorhandenen Asphalttragschicht im untersuchten Streckenbereich sind nach 9 Jahren (ab dem Bewertungszeitpunkt) nicht mehr in der Lage die vorhandenen Beanspruchungen aus Klima und Verkehr zu ertragen. Abbildung 15: Nutzungsdauer der ATS in Jahren bis zum Erreichen einer Ausfallwahrscheinlichkeit von 20% Wird für den relevanten Abschnitt eine geringere Ausfallwahrscheinlichkeit gefordert, verkürzt sich folglich die prognostizierbare Nutzungsdauer. Abbildung 16 zeigt diesen Sachverhalt bei zugrunde gelegten 10 % Ausfallwahrscheinlichkeit, mit einer dafür prognostizierbaren Nutzungsdauer von nur noch 5 Jahren. Die Festlegung der streckenbzw. abschnittsspezifisch definierten Ausfallwahrscheinlichkeit, kann der Baulastträger beispielweise im Hinblick auf Priorität der Strecke, örtliche 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 337 Zielführende Straßenerhaltung - Bewertung der strukturellen Substanz Randbedingungen oder Finanzmittel gezielt beeinflussen. Die RSO Asphalt (Entwurf 2016) empfiehlt Ausfallwahrscheinlichkeiten in Abhängigkeit von der Belastungsklasse zwischen 10 % und 20 %. Abbildung 16: Nutzungsdauer der ATS in Jahren bis zum Erreichen einer Ausfallwahrscheinlichkeit von 10% 3.6 Zusammenfassung Die Bewertung der strukturellen Substanzbewertung nach den RSO Asphalt, Entwurf 2016 dient der Bestimmung des rechnerisch prognostizierten Ausfallzeitpunktes von Asphalttragschichten. Dies ist die Grundlage für die Entscheidung, ob ein vorhandener gebundener Asphaltoberbau erhalten werden kann oder eine Erneuerung angestrebt werden sollte. Basierend auf den vorgestellten rechnerischen Verfahren der RSO Asphalt, Entwurf 16 und unter Berücksichtigung der erläuterten dimensionierungsrelevanten Randbedingungen, wurde bei Anwendung der deterministischen Verfahrensweise eine rechnerische Restnutzungsdauer von rd. 15 Jahren berechnet. Im Hinblick auf die Entscheidungsgrundlage belastbarer sind die Berechnungsergebnisse bei Anwendungen der probabilistischen Verfahrensweise. Hiermit wurde die Restnutzungsdauer des zu bewertenden Abschnittes zwischen 5 Jahren bei einer Ausfallwahrscheinlichkeit von 10 % und 9 Jahren bei einer Ausfallwahrscheinlichkeit von 20 % rechnerisch prognostiziert. Anders formuliert sind nach 5 Jahren bzw. 9 Jahren weiterer Nutzung 10 % bzw. 20 % Flächenanteil des untersuchten Abschnittes als ausgefallen zu betrachten, was eine essentielle Aussage für das Konzepte der baulichen Erhaltung darstellt. Literaturangaben [1] Richtlinien für die Dimensionierung des Oberbaus von Verkehrsflächen mit Asphaltdeckschicht (RDO Asphalt), FGSV 2009 [2] Richtlinien zur Bewertung der strukturellen Substanz des Oberbaus von Verkehrsflächen mit Asphaltdeckschicht (RSO Asphalt, Entwurf), FGSV 2016 [3] Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, 2016 [4] Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen (RStO), FGSV 2012 [5] Technische Prüfvorschriften für Asphalt, Teil 24 Spaltzug-Schwellversuch - Beständigkeit gegen Ermüdung (TP Asphalt-StB, Teil 24), FGSV 2018 [6] Technische Prüfvorschriften für Asphalt, Teil 26 Spaltzug-Schwellversuch - Bestimmung der Steifigkeit (TP Asphalt-StB, Teil 26), FGSV 2018 [7] Technische Prüfvorschriften für Verkehrsflächenbefestigungen - Betonbauweisen, Teil 3.1.05 (TP B-StB, Teil 3.1.05), FGSV 2016 [8] Technische Prüfvorschriften für Asphalt, Teil 27 Probenahme (TP Asphalt-StB, Teil 27), FGSV 2016 [9] Technische Prüfvorschriften für Asphalt, Teil 80 Abscherversuch (TP Asphalt-StB, Teil 80), FGSV 2007 [10] Technische Prüfvorschriften für Boden und Fels im Straßenbau, Teil E1 Prüfung auf statistischer Grundlage - Stichprobenprüfpläne (TP BF-StB E 1), FGSV 1993 [11] Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für den Bau von Verkehrsflächenbefestigungen aus Asphalt (ZTV Asphalt-StB), FGSV 2007 (Fassung 2013) [12] Analysing and Design Tool for Pavements (ADtoPave), IDAV GmbH, Schnorrstraße 70, 01069 Dresden 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 339 Ermittlung des dimensionierungsrelevanten Achslastkollektivs zur realitätsnahen Straßenplanung Dr.-Ing. Wolf Uhlig Uhlig & Wehling GmbH, Ingenieurgesellschaft, Mittweida, Bundesrepublik Deutschland Abstract Im nachgeordneten Netz zu Bundesautobahnen wird der Oberbau in aller Regel nach Methode 1 der RStO 12 dimensioniert. Grundlage der Eingangsgröße Verkehrsbelastung bildet dabei der DTV (SV) -Wert als quantitative Kenngröße, die als einzige einen unmittelbaren Bezug zum Planungsbereich herstellt. Alle weiteren Faktoren zur Beschreibung des qualitativen Niveaus der Verkehrsbelastung (f A , q Bm ) sind deutschlandweit gültige, straßenklassenspezifische Faktoren, deren Übereinstimmung mit den realen Bedingungen einer hohen statistischen Schwankung unterliegt. In dem Beitrag wird ein neues Verfahren zur Ermittlung des dimensionierungsrelevanten Achslastkollektivs für einen spezifischen Streckenabschnitt beschrieben. Grundlage bilden statistische Auswertungen von Achslastmessungen auf Bundesautobahnen sowie Silhouettenerfassungen in situ. Im Ergebnis eines statistischen Vergleichsverfahrens werden den lokal erfassten Fahrzeugtypen des Schwerverkehrs standardisierte Achslastverteilungen zugeordnet, aus denen das dimensionierungsrelevante Achslastkollektiv für den spezifischen Streckenabschnitt ermittelt wird. Die Berechnung der B-Zahl kann somit nach Methode 2 der RStO 12 erfolgen, wodurch ein den tatsächlichen Verkehrsbelastungen signifikant besser angepasstes Ergebnis zu erwarten ist als nach Methode 1 der RStO 12. 1. Einleitung In der planerischen Praxis wird der Oberbau von Straßenverkehrsflächen - vor allem im nachgeordneten Straßennetz zu Bundesautobahnen - vorwiegend nach den Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen (RStO) dimensioniert, die auf empirischer Grundlage entwickelt wurden. Die Eingangsgröße Verkehrsbelastung geht gemäß RStO in Form der dimensionierungsrelevanten Beanspruchung B in die Ermittlung des Befestigungsaufbaus ein. Gegenstand der nachfolgenden Betrachtungen sind die Kriterien zur Ermittlung des Einflusses der Belastung durch Fahrzeuge des Schwerverkehrs auf die Beanspruchung in den Schichten des Befestigungsaufbaus. Die aktuellen RStO 12 einschließlich der Korrektur vom Juni 2020 [RStO 2012] unterscheiden das Verfahren zur Ermittlung der B-Zahl in grundsätzlich zwei Methoden. Methode 1 kommt zur Anwendung, wenn lediglich Daten zum DTV (SV) vorliegen. Methode 2 kann angewandt werden, wenn detaillierte Achslastdaten zum betreffenden Planungsabschnitt vorhanden sind. Im Laufe der mehr als 25-jährigen Berufspraxis des Verfassers konnte Methode 2 kein einziges Mal zur Dimensionierung des Oberbaus von Verkehrsflächen außerhalb von Bundesautobahnen Anwendung finden. Entsprechende technische Voraussetzungen in Form von Achslastwaagen sind im nachgeordneten Netz nicht verfügbar und wohl auf absehbare Zeit auch nicht zu erwarten. Das heißt, dass lediglich die Anzahl der Fahrzeuge des Schwerverkehrs DTV (SV) als rein quantitative Eingangsgröße zur Ermittlung der Belastung aus Verkehr einen unmittelbaren, lokalen Bezug zum Planungsbereich aufweist. Alle weiteren Eingangsgrößen zur Bestimmung des qualitativen Niveaus der Beanspruchung aus Schwerverkehr (Achszahlfaktor f A , mittlerer Lastkollektivquotient q Bm ) werden im Rahmen der betreffenden Berechnungsmethodik (Methode 1) jeweils auf der Grundlage von lediglich drei straßenklassenspezifischen, deutschlandweit einheitlich geltenden Faktoren festgelegt. Dabei beruhen nur die Faktoren nach den RStO 12 für Bundesautobahnen auf gemessener Datenbasis, alle anderen Faktoren wurden im Zuge der Fortschreibung des Regelwerks zur RStO 12 moderat angepasst [Sieber 2013]. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die dimensionierungsrelevante Beanspruchung B nach den RStO 12 im Zuge der planerischen Dimensionierung mit entsprechenden Abweichungen zum tatsächlich auftretenden Belastungsniveau durch Schwerverkehrsfahrzeuge ermittelt wurde und weiterhin ermittelt wird. Dies äußert sich nach der Realisierung von Baumaßnahmen oftmals in unerwarteten Abweichungen zur geplanten Nutzungsdauer des betreffenden Straßenabschnittes, leider auch viel zu oft in einer deutlich kürzeren, tatsächlichen Nutzungsdauer. Der folgende Beitrag beschreibt ein Verfahren zur realitätsnäheren Beschreibung der Verkehrsbelastung, in dessen 340 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Ermittlung des dimensionierungsrelevanten Achslastkollektivs zur realitätsnahen Straßenplanung Ergebnis dimensionierungsrelevante Achslastkollektive für den betreffenden Planungsfall auch ohne Achslastwägungen in situ definiert werden können. Die Ermittlung von B kann somit nach Methode 2 der RStO 12 erfolgen, wodurch ein den tatsächlichen Verkehrsbelastungen signifikant besser angepasstes Ergebnis zu erwarten ist. 2. Methodik Die Methodik des Verfahrens beruht auf der Nutzung vorhandener Kenntnisse der Achslast-verteilung gesamter Fahrzeugkollektive und einzelner Fahrzeugtypen auf dem Bundesautobahnnetz sowie aus den untersuchten Zusammenhängen zwischen Achslastniveau und Fahrzeugtypverteilung des Gesamtkollektivs. Daraus kann eine Korrelation von äußerem Erscheinungsbild der Fahrzeuge des Schwerverkehrs (Silhouetten) und dem zu erwartenden Achslastniveau hergestellt werden (Abbildung 1). Auf der Grundlage von Achslastwägungen an verschiedenen Messquerschnitten im Netz der Bundesautobahnen wurden vom Verfasser bereits dimensionierungsrelevante Achslastkollektive ermittelt, gegenübergestellt und anhand statistischer Kenngrößen klassifiziert. Die Ergebnisse dieses Verfahrens fanden in Form der standardisierten Achslastverteilungen BAB Fernverkehr, BAB Mischverkehr und BAB Stadtnaher Verkehr Eingang in die Richtlinien für die rechnerische Dimensionierung des Oberbaus von Verkehrsflächen mit Asphaltdeckschicht [RDO Asphalt 09]. Die unterschiedlichen, typischen Achslastverteilungen resultieren aus entsprechend charakteristischen Verteilungen der Fahrzeugtypen (Silhouetten) des Schwerverkehrs. Für alle gemessenen Fahrzeugtypen des Schwerverkehrs konnten somit in Abhängigkeit der klassifizierten Achslastkollektive jeweils unterschiedliche, spezifische Achslastverteilungen ermittelt werden. Im Ergebnis wurde eine umfangreiche Datenbasis mit standardisierten Achslastverteilungen Abbildung 1: Methodik des Verfahrens zur Bestimmung des dimensionierungsrelevanten Achslastkollektivs aus Silhouettenerfassungen 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 341 Ermittlung des dimensionierungsrelevanten Achslastkollektivs zur realitätsnahen Straßenplanung für alle gemessenen Fahrzeugtypen des Schwerverkehrs nach den Technischen Lieferbedingungen für Streckenstationen, Ausgabe 2012 [TLS 2012] auf Bundesautobahnen geschaffen, die je nach Verfügbarkeit aktualisierten Datenmaterials fortlaufend modifiziert werden kann. Für eine konkrete Planungsaufgabe erfolgt zunächst die Erfassung der Struktur des Schwerverkehrs in situ mittels Silhouettenerhebung über einen statistisch relevanten Zeitbereich. Im Ergebnis der nachfolgenden Datenanalyse wird die Verteilung der Fahrzeugtypen bestimmt und drei standardisierten Fahrzeugtypverteilungen gegenübergestellt. Mittels statistischem Signifikanztest erfolgt anschließend die Zuordnung des örtlich erfassten Fahrzeugkollektivs zu einem standardisierten Fahrzeugkollektiv. Zur Berechnung des Achslastkollektivs wird die örtlich gemessene Fahrzeugtypverteilung (ermittelt anhand der Silhouettenverteilung) mit den fahrzeugtypspezifischen, standardisierten Achslastverteilungen überlagert. Im Ergebnis entsteht das für den betreffenden Straßenabschnitt dimensionierungsrelevante Achslastkollektiv. Dieses ist gekennzeichnet durch eine ortsbezogene, messtechnisch erfasste Fahrzeugtypverteilung in Kombination mit der adäquaten, standardisierten Achslastverteilung der einzelnen Fahrzeugtypen. Für Fahrzeugsilhouetten außerhalb der TLS 2012 bzw. außerhalb des gemessenen Fahrzeugkollektivs auf Bundesautobahnen (z.B. Traktoren, Gelenkbusse) werden Ersatzverfahren zur Bestimmung einer mittleren Achslastverteilung durchgeführt. Die Dimensionierung des Oberbaus kann somit auf der Grundlage einer spezifischen Achs-lastverteilung nach Methode 2 der RStO 12 oder rechnerisch nach den RDO Asphalt 09 bzw. den RDO Beton 09 [RDO Beton 09] erfolgen. 3. Datengrundlage Grundlage der Untersuchungen bilden Achslastmessdaten der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) auf Autobahnen aus den Jahren 1998 [Laffont 1999] und 2004 [Wolf 2010]. An fünf verschiedenen Messquerschnitten in Hessen sowie einem Messquerschnitt in Mecklenburg-Vorpommern wurden neben weiteren Messungen zum Gesamtverkehrsaufkommen auch Einzelfahrzeugdaten des Schwerverkehrs mittels stationärer Achslastmesssysteme erfasst. Die zur Verfügung gestellte Datengrundlage erstreckte sich auf insgesamt 407.383 Fahrzeuge des Schwerverkehrs. Nach Durchführung einer umfassenden Plausibilitätsanalyse verblieben 385.775 Datensätze (Fahrzeuge des Schwerverkehrs) als Untersuchungsgrundlage. Inhalt jedes Datensatzes sind unter anderem Achszahl, Achslasten und Achsabstände sowie der Fahrzeugtyp nach den TLS 2012. 4. Standardisierte verteilungen 4.1 Standardisierte Achslastverteilungen des Gesamtkollektivs Schwerverkehr In Auswertung der Datenbasis wurden die in Abbildung 2 dargestellten, drei typischen Verteilungen der Achslasten des Schwerverkehrs auf Bundesautobahnen klassifiziert. Sie sind in Form einer Wertetabelle der Häufigkeiten von Achslastklassen in 2-t-Intervallen als standardisierte Verteilungen zur Bestimmung des dimensionierungsrelevanten Achslastkollektives aus DTV (SV) -Werten in Anlage 1 der RDO 09 enthalten. Gemäß der jeweils vorwiegenden Verkehrsart wurden die drei Kategorien mit BAB Fernverkehr, BAB Mischverkehr und BAB Stadtnaher Verkehr bezeichnet. Abbildung 2: Standardisierte Achslastverteilungen auf Bundesautobahnen nach den RDO Asphalt 09 342 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Ermittlung des dimensionierungsrelevanten Achslastkollektivs zur realitätsnahen Straßenplanung Abbildung 3: Zuordnung der 18 häufigsten Fahrzeugtypen des Schwerverkehrs nach ihrem vorrangigen Einsatzbereich [Wolf 2010] 4.2 Standardisierte Fahrzeugtypverteilungen des Gesamtkollektivs Schwerverkehr Entsprechend der Ergebnisse nach [Wolf 2010] können die Fahrzeuge des Schwerverkehrs grundsätzlich in Fahrzeugtypen mit überwiegendem Einsatz im Fernverkehr und Fahrzeugtypen mit überwiegendem Einsatz im Nahverkehr unterschieden werden. Abbildung 3 zeigt die entsprechende Zuordnung der 18 häufigsten Fahrzeugtypen auf Bundesautobahnen, die sowohl nach [Wolf 2010] als auch nach [Uhlig 2019] einen Anteil von mehr als 99 % des gesamten Schwerverkehrskollektivs umfassten. Abbildung 4: Relative Summenhäufigkeiten der Fahrzeugtypen des Schwerverkehrs nach den TLS 2012 auf Bundesautobahnen 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 343 Ermittlung des dimensionierungsrelevanten Achslastkollektivs zur realitätsnahen Straßenplanung Die Analyse der Daten an den untersuchten Messquerschnitten zeigte, dass sich gemäß dem Verhältnis der Häufigkeit von Fahrzeugtypen des Fernverkehrs zur Häufigkeit der Fahrzeugtypen des Nahverkehrs entsprechend typische Verteilungen der Achslasten ergaben. In Abhängigkeit der geographischen Lage des Messquerschnittes (Lage im Streckennetz, Entfernung zu Ballungs- und Wirtschaftszentren) konnten charakteristische Verteilungen der Fahrzeugtypen des Schwerverkehrs festgestellt werden, die wiederum charakteristische Achslastverteilungen bewirkten. Abbildung 4 zeigt die Summenhäufigkeitsfunktionen der Fahrzeugtypverteilungen zu BAB Fernverkehr, BAB Mischverkehr und BAB Stadtnaher Verkehr. Die Analyse der Daten ergab für BAB Fernverkehr einen Anteil an Fahrzeugtypen des Fernverkehrs (Abbildung 3) von mehr als 70 % bis ca. 80 %. Bei BAB Mischverkehr beträgt dieser ca. 60 %, bei BAB Stadtnaher Verkehr lediglich 20 %. 4.3 Standardisierte Achslastverteilungen der Fahrzeugtypen des Schwerverkehrs Die Analyse der Achslastverteilungen einzelner Fahrzeugtypen in Abhängigkeit des zugeordneten BAB-Typs nach RDO Asphalt 09 ergab differenzierte Ergebnisse. Im Kollektiv des Schwerverkehrs auf Autobahnen sind sowohl Fahrzeugtypen festzustellen, deren Achslastverteilungen deutliche Unterschiede für BAB Fernverkehr, BAB Mischverkehr und BAB Stadtnaher Verkehr aufweisen (Abbildung 5), als auch Fahrzeugtypen, die nur für einen BAB-Typ eine abweichende Achslastverteilung zeigen (Abbildung 6) oder bei denen keine signifikanten Unterschiede der Achslastverteilungen nach BAB-Typen registriert werden konnten (Abbildung 7). Im Ergebnis der Untersuchungen wurden für alle Fahrzeugtypen standardisierte Achslastverteilungen erstellt und den drei definierten BAB-Typen zugeordnet. Aufgrund der differenziert zu betrachtenden Charakterisierung der Verteilungsfunktionen ergaben sich somit Fahrzeugtypen mit ein, zwei oder drei standardisierten Achslastverteilungen in Abhängigkeit des BAB-Typs. Für Fahrzeugtypen, die nicht in den TLS 2012 definiert sind, wurde jeweils eine identische Achslastverteilung für alle drei BAB-Typen ermittelt. Abbildung 5: Beispiel für einen Fahrzeugtyp mit signifikant unterschiedlichen Achslastverteilungen aller BAB-Typen 344 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Ermittlung des dimensionierungsrelevanten Achslastkollektivs zur realitätsnahen Straßenplanung Abbildung 6: Beispiel für einen Fahrzeugtyp mit signifikant unterschiedlicher Achslastverteilung eines BAB-Typs Abbildung 7: Beispiel für einen Fahrzeugtyp ohne signifikante Unterschiede der Achslastverteilungen nach BAB-Typ 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 345 Ermittlung des dimensionierungsrelevanten Achslastkollektivs zur realitätsnahen Straßenplanung 5. Erfassung des Fahrzeugtypkollektivs in situ Die Erhebung des Fahrzeugtypkollektivs im betreffenden Planungsbereich kann beispielsweise per Handerfassung mittels vorbereiteter Formulare (Strichlisten) oder per Videoerfassung und anschließender Auswertung am Bildschirm erfolgen. Besonders im nachgeordneten Netz zu Bundesautobahnen ist damit zu rechnen, dass auch Fahrzeugsilhouetten des Schwerverkehrs auftreten können, die in den TLS 2012 nicht durch spezielle Codierung definiert sind (z.B. Traktoren mit oder ohne Anhänger, Gelenkbusse). Insofern sind Formulare oder Datenbankstrukturen entsprechend offen zu halten und nach der Erhebung zu konkretisieren. Die Festlegung der Zähltage und Zählzeiten kann in Anlehnung an die Regelungen des Handbuchs für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen [HBS 2015] erfolgen. Für Kurzzeitzählungen sollten demnach mindestens zwei 4-Stunden-Zeitbereiche an einem Vormittag und Nachmittag (möglichst Dienstag, Mittwoch oder Donnerstag sowie außerhalb der Wintermonate und Ferienzeiten) gemessen werden, um die Spitzenverkehrszeiten einzuschließen. Sofern mit zufallsbedingten Schwankungen der Fahrzeugtypen des Schwerverkehrs zu rechnen ist, werden Erhebungen an mehreren Tagen erforderlich. Im Rahmen der Erfassung an ausgewählten Bundes- und Staatsstraßen in Sachsen wurden Videoaufzeichnungen an 11 verschiedenen Messstellen realisiert. Die anschließende Auswertung und Dokumentation der bis zu 56 verschiedenen Fahrzeugtypen erfolgte in 30-Minuten-Intervallen. Tendenzielle, tageszeitabhängige Änderungen der Zusammensetzung des Schwerverkehrskollektivs konnten nicht festgestellt werden. Ebenso wenig abzuleiten waren signifikante Unterschiede der Zusammensetzung des Schwerverkehrs in Abhängigkeit der Straßenklassen Bundesstraße und Staatsstraße [Hennig 2009]. 6. Ermittlung des äquivalenten Fahrzeugtypkollektivs Die an den 11 Messstellen erfassten Fahrzeugtypkollektive wurden den standardisierten Fahrzeugtypverteilungen BAB Fernverkehr, BAB Mischverkehr und BAB Stadtnaher Verkehr nach Abbildung 4 gegenübergestellt. Mittels des Chi-Quadrat-Tests wurde die empirische Verteilung gegen jede der 3 Standardverteilungen geprüft und anschließend jenem Typus Standardverteilung zugeordnet, der den geringsten Wert der Prüfgröße aufweist [Uhlig 2019]. Im Ergebnis der Berechnungen konnten den Messstellen die in Tabelle 1 ausgewiesenen, maßgebenden BAB-Typen zugeordnet werden. Tabelle 1: Messstellen und maßgebende BAB-Typen der Fahrzeuge des Schwerverkehrs 7. Dimensionierungsrelevantes Achslastkollektiv Die Ermittlung des dimensionierungsrelevanten Achslastkollektivs erfolgte durch Überlagerung des im Planungsbereich gemessenen Fahrzeugtypkollektivs nach Abschnitt 5 mit den fahrzeugtypspezifischen Achslastverteilungen des maßgebenden BAB-Typs nach Abschnitt 6. In Abbildung 8 ist das Ergebnis in Form eines Histogramms zur Achslastverteilung des dimensionierungsrelevanten Achslastkollektivs beispielhaft für eine Messstelle dargestellt. Die Differenzen zur standardisierten Achslastverteilung des zugehörigen, maßgebenden BAB-Typs (hier BAB Stadtnaher Verkehr) resultieren aus der an der betreffenden Messstelle abweichenden Verteilung der Fahrzeugtypen. 346 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Ermittlung des dimensionierungsrelevanten Achslastkollektivs zur realitätsnahen Straßenplanung Abbildung 8: Dimensionierungsrelevantes Achslastkollektiv mit Gegenüberstellung der standardisierten Verteilung des maßgebenden BAB-Typs 8. Auswirkungen des Verfahrens 8.1 Achszahlfaktor Auf der Grundlage der in situ erfassten Fahrzeugtypverteilung wurde für jede Messstelle der entsprechende Achszahlfaktor ermittelt. Aus Tabelle 2 ist ersichtlich, dass im Vergleich zu den Achszahlfaktoren nach Tabelle A 1.1 der RStO 12 teilweise signifikante Differenzen auftreten (SV-Anteil der S-Straßen ≤ 4%). Diese können sowohl deutlich höher als auch deutlich niedriger als die Werte nach den RStO 12 (einschließlich Korrektur vom Juni 2020) liegen, das Maximum beträgt 25 % Abweichung (hier: Unterschreitung). Der Achszahlfaktor geht nach Methode 1 der RStO 12 als linearer Faktor in die Berechnung der dimensionierungsrelevanten Beanspruchung B ein, womit sich entsprechende Auswirkungen im gleichen Verhältnis auf die Höhe von B niederschlagen. Tabelle 2: Vergleich der Achszahlfaktoren f A 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 347 Ermittlung des dimensionierungsrelevanten Achslastkollektivs zur realitätsnahen Straßenplanung Tabelle 3: Vergleich von B und den zuzuordnenden Belastungsklassen 8.2 Dimensionierungsrelevante Beanspruchung B Zur vergleichenden Analyse der Auswirkungen des entwickelten Verfahrens wurde B mit konstanten Faktoren nach Methode 1.2 (Grundlage sind DTV (SV) -Werte) und Methode 2.2 (Grundlage sind dimensionierungsrelevante Achslastkollektive) der RStO 12 ermittelt und gegenübergestellt. Die Ergebnisse in Tabelle 3 weisen größtenteils signifikante Unterschiede in der Höhe von B aus - mit Werten nach Methode 2.2 sowohl oberhalb als auch unterhalb der Werte nach Methode 1.2. Das Maximum ergab sich mit einem um 69 % höheren Wert an Messstelle 11. Die deutlichen Differenzen zwischen den verschiedenen berechneten Werten B führen in vier Fällen zu unterschiedlichen Belastungsklassen nach Methode 1.2 und 2.2 (rot markierte Werte). 9. Zusammenfassung und Empfehlung Für Straßenklassen unterhalb von Bundesautobahnen stehen in der Regel keine detaillierten Achslastdaten zur Verfügung. Bei der Planung von Straßenbaumaßnahmen erfolgt die Dimensionierung des Oberbaus daher zum überwiegenden Teil nach Methode 1 der RStO 12. Bezogen auf den Einflussfaktor Fahrzeug (in aller Regel Schwerverkehr) weist somit lediglich die rein quantitative Eingangsgröße DTV (SV) einen unmittelbaren, lokalen Bezug zum Planungsbereich auf. Die zur Ermittlung der Beanspruchungswirkung des Schwerverkehrs erforderlichen qualitativen Größen Achszahl und Achslast werden in den RStO 12 durch den mittleren Achszahlfaktor f A sowie den mittleren Lastkollektivquotient q Bm berücksichtigt. Für beide Einflussgrößen sind in Abhängigkeit der Straßenklasse lediglich jeweils drei unterschiedliche, deutschlandweit einheitlich geltende Werte verfügbar. Insofern ist davon auszugehen, dass die im jeweiligen Planungsbereich tatsächlich auftretenden Beanspruchungsgrößen aus Schwerverkehr mitunter deutlich von den standardisierten Ersatzwerten der RStO 12 abweichen. Die hier beschriebene Methode des neuen Verfahrens zur Ermittlung des dimensionierungsrelevanten Achslastkollektivs mit Hilfe einer Silhouettenerfassung berücksichtigt die spezifische, örtliche Zusammensetzung des Schwerverkehrs hinsichtlich der Verteilung auftretender Fahrzeugtypen. Diese wird auf der Grundlage von Stichprobenerhebungen in situ ermittelt und standardisierten Verteilungen gegenübergestellt. In Abhängigkeit der für den Planungsbereich maßgebenden Art des Schwerverkehrs wird jedem in situ gezählten Fahrzeugtyp eine standardisierte, fahrzeugtypspezifische Achslastverteilung zugeordnet. Die standardisierten, fahrzeugtypabhängigen Achslastverteilungen beruhen auf Datenanalysen von Achslastmessungen auf Bundesautobahnen. Es ist zu erwarten, dass die Fahrzeuge auf Bundesautobahnen im Mittel einen höheren Beladungsgrad haben als auf anderen Straßenklassen, weshalb die Berechnung von B bei Verwendung der fahrzeugtypabhängigen Achslastverteilungen, ermittelt aus den Messdaten von Bundesautobahnen, auf der „sicheren Seite“ liegt. Durch Überlagerung der spezifischen Achslastverteilung mit der relativen Häufigkeit jedes in situ erfassten Fahrzeugtyps ermittelt sich in Summe das dimensionierungsrelevante Achslastkollektiv für den zu betrachtenden Streckenabschnitt. Die Dimensionierung des Oberbaus kann somit unter Anwendung von Methode 2 der RStO 12 erfolgen, wodurch ein deutlich realitätsnäheres Ergebnis zu erwarten ist als unter Anwendung von Methode 1. Die praktische Anwendungsmöglichkeit des Verfahrens sowie die Auswirkungen auf die ermittelte Größe der Belastungszahl nach den RStO 12 wurden an 11 verschiedenen Streckenabschnitten auf Bundes- und Staatsstraßen in Sachsen nachgewiesen. In 9 Fällen ergaben sich signifikante Abweichungen zwischen den nach Methode 1 und Methode 2 der RStO 12 berechneten dimensionie- 348 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Ermittlung des dimensionierungsrelevanten Achslastkollektivs zur realitätsnahen Straßenplanung rungsrelevanten Beanspruchungen B, was in 4 Fällen zu unterschiedlichen Belastungsklassen führte. Es waren sowohl höhere als auch niedrigere Werte von B nach Methode 2 im Vergleich zu Methode 1 zu verzeichnen, das Maximum der Differenz betrug 69 %. Im Vergleich zu Bundesautobahnen ist im nachgeordneten Netz von einer größeren Diversität eingesetzter Fahrzeugtypen des Schwerverkehrs mit lokal unterschiedlich hohen Anteilen im Gesamtkollektiv auszugehen. Die Anwendung der in den RStO 12 ausgewiesenen, mittleren Werte für Achszahl f A und Lastkollektivquotient q Bm bergen daher eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit der signifikanten Abweichung vom örtlich auftretenden Belastungsniveau durch den Schwerverkehr in sich. Diesem Umstand kann mit dem beschriebenen, neu entwickelten Verfahren zur Ermittlung des dimensionierungsrelevanten Achslastkollektivs entgegengewirkt werden. Durch seine Anwendung ist ein deutlich realitätsnäheres, den örtlichen Bedingungen besser angepasstes Ergebnis der Ermittlung von B und damit der Dimensionierung des Schichtenaufbaus zu erwarten. Daraus abzuleiten ist ein enorm hohes, volkswirtschaftliches Potenzial durch Vermeidung von zu hoch, aber auch zu niedrig ermittelten Belastungsklassen und damit des Ausbaustandards des Oberbaus von Straßen. Das beschriebene Verfahren wird neben weiteren Verfahren [BASt 2019] Bestandteil des in Bearbeitung befindlichen Arbeitspapiers „Eingangsgrößen für die Dimensionierung und Bewertung der strukturellen Substanz“ der FGSV Köln sein. Die Veröffentlichung des Arbeitspapiers ist für 2021 geplant. Quellen [1] [BASt 2019] Forschungsprojekt FE 04.0285/ 2014/ ORB „Aktualisierung und Anpassung der Straßenbelastungsdaten für die Dimensionierung“, Bundesanstalt für Straßenwesen Bergisch Gladbach, 2019 [2] [HBS 2015] Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen (HBS), Ausgabe 2015. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, FGSV Verlag, Köln, 2015 [3] [Hennig 2009] Hennig, P.: Untersuchungen zur Ermittlung von Achslastkollektiven für das nachgeordnete Straßennetz, Diplomarbeit, Universität Leipzig, 2009 [4] [Laffont 1999] Laffont, S.; Schmidt, G.: Aufbau eines Teilnetzes zur Achslasterfassung in Hessen - Phase 2 (Probebetrieb). Forschung Straßenbau und Verkehrstechnik, Heft 775, Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, 1999 [5] [RDO Asphalt 09] Richtlinien für die rechnerische Dimensionierung des Oberbaues von Verkehrsflächen mit Asphaltdeckschicht, Ausgabe 2009 (RDO Asphalt 09). Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, FGSV Verlag, Köln, 2009 [6] [RDO Beton 09] Richtlinien für die rechnerische Dimensionierung von Betondecken im Oberbau von Verkehrsflächen, Ausgabe 2009 (RDO Beton 09). Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, FGSV Verlag, Köln, 2009 [7] [RStO 12] Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaues von Verkehrsflächen, Ausgabe 2012 (RStO 12). Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, FGSV Verlag, Köln, 2001, einschließlich Korrektur vom Juni 2020 [8] [Sieber 2013] Sieber, R.; Wellner, F.: Die neuen “Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen”, Ausgabe 2012 (RStO 12). Straße und Autobahn, Heft 8-2013, Kirsch-baumverlag Bonn, 594-600 [9] [TLS 2012] Technische Lieferbedingungen für Streckenstationen, Ausgabe 2012 (TLS 2012). Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Berlin, 2012 [10] [Uhlig 2019] Uhlig,W.: Grundlagen für Lastannahmen zur Dimensionierung von Straßenbefestigungen, Dissertation, Technische Universität Dresden, Fakultät Bauingenieurwesen, Dresden, 2019 https: / / nbn-resolving.org/ urn: nbn: de: bsz: 14-qucosa2-337040 [11] [Wolf 2010] Wolf, A.: Modell zur straßenbautechnischen Analyse der durch den Schwerverkehr induzierten Beanspruchung des BAB-Netzes. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft S 61, Bundesanstalt für Straßenwesen Bergisch Gladbach, 2010 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 349 Dimensionierung und Qualitätsüberwachung im Straßenbau zur Sicherung der geplanten Lebensdauer bei ÖPP Projekten Dipl.-Ing. Gregor Benning HOCHTIEF PPP Solutions GmbH; 45133 Essen Zusammenfassung Die Erfahrungen, die die HOCHTIEF PPPS GmbH bei der Planung und Ausführung von ÖPP Projekten im Straßenbau in Bezug auf die Qualitätsüberwachung gesammelt hat, werden dargestellt. Dabei liegt ein wesentlicher Fokus auf die Unterschiede bei einer Ausführung in Beton- oder Asphaltbauweise. Ausgehend von den unterschiedlichen Ansätzen zur Dimensionierung und deren wesentlichen Eingangsparameter wird beschrieben, wie diese bei Prüfungen zur Kontrolle der hergestellten Leistung verifiziert werden. Abschließend erfolgt eine Gegenüberstellung der damit verbundenen Kosten für diese besondere Art der Kontrollprüfung. 1. Ausgangslage Die Risikoübernahme durch den Auftragnehmer bei einem ÖPP Projekt unterscheidet sich in vielen Aspekten von der bisher üblichen Risikoverteilung in VOB Verträgen. Einer der wesentlichsten Unterschiede dabei ist die Verlängerung der Gewährleistungspflicht. Der Auftragnehmer übernimmt die Verantwortung bei einem ÖPP Auftrag bezüglich seiner Gewährleistungspflicht nicht für 5 Jahre gemäß ZTV Asphalt [26] bzw. ZTV Beton [22], sondern für die Dauer der Vertragslaufzeit von in der Regel 30 Jahren. Hierbei handelt es sich nicht um eine Gewährleistung im üblichen Sinn, sondern um Schuldung eines definierten Zustands des Straßenoberbaus über die gesamte Vertragslaufzeit. Dieser geschuldete Zustand ist über messbare Größen in Bezug auf Ebenheit, Griffigkeit und Anzahl und Ausmaß von Schadstellen definiert. Alle zur Sicherstellung dieses geschuldeten Zustands erforderlichen Maßnahmen von Instandhaltungsüber Instandsetzungsbis hin zu Erneuerungsmaßnahmen sind durch den Auftragnehmer auszuführen, und sind mit der zu Vertragsbeginn vereinbarten Vergütung pauschal abgegolten. 2. Grundlegende Strategie Da jeder Eingriff in den Straßenverkehr für erforderlich werdende Maßnahmen durch Verfügbarkeitsabzüge pönalisiert ist, hat es sich als eine optimale Strategie für den Straßenoberbau herausgestellt, dass Betonoberbauten so geplant werden, dass keine Erneuerungsmaßnahme der Betondecke während der Vertragslaufzeit erforderlich wird. Bei einem Oberbau aus Asphalt ist die Asphalttragschicht so herzustellen, dass diese keine Erneuerungsmaßnahmen benötigt. 3. Dimensionierung Oberbau Damit der Fahrbahnaufbau mit der erforderlichen Widerstandsfähigkeit hergestellt werden kann, wie sie für die zuvor beschriebene grundlegende Strategie benötigt wird, wird eine rechnerische Dimensionierung des Fahrbahnoberbaus unumgänglich. Dies insbesondere, da die erwarteten Verkehrsbelastungen in den ÖPP Strecken üblicherweise oberhalb einer B-Zahl von 100 Mio. äquivalenten 10 Tonnen Achsübergängen liegt, ab der in der RStO [21] empfohlen wird, eine rechnerische Dimensionierung durchzuführen. 3.1 Verkehrsbelastung Damit die Verkehrsbelastung über den gesamten Vertragszeitraum in der Dimensionierung möglichst zutreffend berücksichtigt werden kann, wird eine Aktualisierung der in den Planfeststellungsunterlagen enthaltenen Verkehrsstudie durchgeführt. In dieser Aktualisierung werden die Entwicklungen zwischen Zeitpunkt der Erstellung der Verkehrsstudie für die Planfeststellung des Ausbauabschnitts und der Durchführung der Dimensionierungsberechnung eingearbeitet. Auch werden aktuelle Erkenntnisse über Planungen der Erweiterungen im Netz sowie Ansiedlungen von möglichen Gewerbegebieten im unmittelbarem Umfeld des geplanten Streckenausbaus berücksichtigt. 3.2 Klimatische Belastung Beim Ansatz der klimatischen Belastungen wird auf die Vorgaben des gültigen Regelwerks zurückgegriffen. Dimensionierung und Qualitätsüberwachung im Straßenbau zur Sicherung der geplanten Lebensdauer bei ÖPP Projekten 350 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 3.3 Materialeigenschaften Neben der Verkehrsbelastung haben auf das Dimensionierungsergebnis auch die Materialeigenschaften einen wesentlichen Einfluss. Es ist zu klären, welche Rohstoffe für das Projekt zur Verfügung stehen und es ist ein Konzept für die beim Rückbau anfallenden Ausbaustoffe zu entwickeln. Dazu werden entweder Erstprüfungen mit den Baustoffen durchgeführt, die in der Ausführung Verwendung finden werden, oder es wird auf vorhandene Erfahrungswerte zurückgegriffen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit erreicht werden können. 3.4 Ergebnis der Dimensionierung Das Ergebnis dieser Untersuchungen und Berechnungen, die in der Angebotsphase eines ÖPP Projekts durchgeführt werden, sind mögliche Aufbaustärken für eine Fahrbahn aus Beton und aus Asphalt, die erforderlich sind, um der grundlegenden Strategie gerecht zu werden. 4. Lebenszykluskostenvergleich Die Entscheidung, welcher Oberbau dem Angebot zugrunde gelegt wird, erfolgt auf Basis eines Lebenszykluskostenvergleichs der möglichen Alternativen. Dabei werden - die Herstellungskosten (Abhängig im Wesentlichem von der Verfügbarkeit der Rohstoffe, Umfang der möglichen/ erforderlichen Wiederverwendung von Ausbaustoffen, den Transportkosten der Rohstoffe zur Mischanlage, den vorhandenen Mischanlagen in der Projektumgebung oder der Notwendigkeit der Verwendung mobiler Mischanlagen), - die Erhaltungskosten (für die Betonbauweise abhängig von Kosten, Umfang und Häufigkeit der Fugenerneuerungen, Kantensanierungen, Ersatz von Einzelplatten, griffigkeitsverbessernden Maßnahmen; (für die Asphaltbauweise abhängig von der Erneuerung Deckschicht (auch mehrmals während der Vertragslaufzeit), Erneuerung der Binderschicht und Sanierung von Arbeitsnähten und Flickstellen) - die Verfügbarkeitsabzüge (Abhängig von Dauer, Zeitpunkt und betroffenen Fahrspuren der erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen) ermittelt und für die untersuchten Varianten gegenübergestellt. Die Variante mit dem geringsten Nettobarwert der Kosten über den Vertragszeitraum wird der Vorzug für die Umsetzung im ÖPP Projekt gegeben. 5. Umsetzung Auf Basis der grundlegenden Oberbaustrategien für die Bauweisen werden die erforderlich werdenden Erhaltungsmaßnahmen ermittelt und im Angebotspreis berücksichtigt. Maßnahmen die nicht in dieser Erhaltungsplanung enthalten sind, müssen daher im Rahmen des ÖPP Vertragsmodells vom Auftragnehmer aus eigener Tasche finanziert werden. In der Projektumsetzung liegt daher der besondere Fokus des Auftragnehmers darauf, dass durch die Qualität der Ausführung sichergestellt wird, dass die der Kalkulation zugrunde gelegte Erhaltungsplanung realisiert werden kann. Es ist dabei aber nicht zwangsläufig erforderlich, dass der in der Angebotsphase ermittelte Aufbau umgesetzt wird. Ergeben sich zwischen Angebotsabgabe und Bauausführung äußere Einflüsse, die das Ergebnis der Lebenszykluskostenanalyse durch eine geänderte Bauweise weiter optimieren lassen, ist eine Umsetzung dieser Optimierung unter den folgenden Randbedingungen möglich. - Die gewählte geänderte Oberbaustrategie muss durch eine Dimensionierungsberechnung nachgewiesen werden. - Änderungen innerhalb einer Oberbaubauweise haben keinen Einfluss auf die Erhaltungskosten (Änderung Zeile RStO [21], Schichtdicke Asphalttragschicht / Betondecke) - Änderung der Oberbauweise führen zwangsläufig zu einer Änderung der Erhaltungs- und Verfügbarkeitskosten. Anfallende Mehrkosten müssen durch den bauausführenden Teil des Auftragnehmers dem betreibenden Teil des Auftragnehmers aus den Einsparungen aus der Änderung erstattet werden. - Der Auftraggeber muss der Optimierung zustimmen Liegt die zur Ausführung kommende Variante endgültig fest, sind vor Bauausführung alle Einflüsse auf die erforderliche Nutzungsdauer des Oberbaus zu verifizieren. Konnten in der Angebotsphase nur Annahmen bzgl. der erreichbaren Materialeigenschaften getroffen werden, oder wurde der Aufbau gegenüber der Angebotsphase modifiziert, sind weitere Erstprüfungen zur Absicherung der Dimensionierungsannahmen mit den in der Bauausführung zur Verwendung kommenden Baustoffen erforderlich. Weitere Sicherheit, welche Materialeigenschaften tatsächlich nach Fertigstellung vorgefunden werden, kann durch Ausführung von Testfelder gewonnen werden, da in diesen Testfeldern die Einbaubedingungen denen der eigentlichen Bauausführung entsprechen. 6. Oberbau aus Beton In Bezug auf den Betonoberbau hat die HOCHTIEF PPS GmbH Erfahrungen mit zwei unterschiedlichen Herangehensweisen gesammelt. Dimensionierung und Qualitätsüberwachung im Straßenbau zur Sicherung der geplanten Lebensdauer bei ÖPP Projekten 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 351 Betoneinbau © ViA VSN 7. Ansatz TU München Erfahrungen mit der Einhaltung einer Anforderung an die Spaltzugfestigkeit waren nach Einführung der RDO Beton [23] bei den ausführenden Firmen noch nicht vorhanden. Eine vertragliche Regelung, in der ein bestimmter Spaltzugfestigkeitswert festgelegt wird, konnte deshalb in einigen Projekten nicht getroffen werden. 7.1 Grundlagen und Dimensionierung Der in diesen Projekten gefundene Kompromiss zwischen dem Bedürfnis der ausführenden Firmen nach einer vertraglichen Regelung im Rahmen ihrer vorliegenden Erfahrungen und dem Bedürfnis der Betreiberseite nach einer Betonfahrbahn, die rechnerisch nachgewiesen die erwartete Verkehrsbelastung ertragen kann war ein Verfahren, das der Dissertation von Herrn Prof. W. Eger zugrunde liegt [1]. In diesem Verfahren werden die einwirkenden Beanspruchungen (Verkehr, Temperatur) und die materialseitigen Widerstände (Deckendicke, Biegezugfestigkeit, Auflagerungsbedingung) mit jeweils aus Untersuchungen an bestehenden Betonstrecken ermittelten statistischen Schwankungen der wesentlichen Einflussparameter in die Berechnung eingebracht und daraus die Versagenswahrscheinlichkeit des untersuchten Betonoberbaus unter der vorgegebenen Verkehrsbelastung ermittelt. Grundzüge dieses Verfahrens wurden durch Herrn Prof. Eger u.a. auch auf der Betonstraßentagung 2013 in Karlsruhe erläutert [2]. Der Untersuchung nach diesem Verfahren wurden von der Betreiberseite die erwartete Verkehrsbelastung, eine Plattenbreite von 4,25m im Hauptfahrstreifen, sowie die maximal akzeptable Ausfallrate der Einzelplatten von 5% vorgegeben. Eine Auflagerung auf einer HGT wurde von der ausführenden Seite zur Vorgabe gemacht, da diese unter den projektspezifischen Randbedingungen aus baupraktischer Sicht zu bevorzugen war. Basierend auf diesen Vorgaben ergab sich eine erforderliche Plattendicke von 29,0 cm und eine Biegezugfestigkeit von 6,5 N/ mmm² nach alter Prüfnorm (Einzellast). Die Angabe der erforderlichen Biegezugfestigkeit erfolgt nach alter Norm, da bei der Entwicklung dieses Verfahrens dieser Stand der Normung zugrunde gelegen hat. Nach aktueller Norm (Doppellast) ist umgerechnet daher eine Biegezugfestigkeit von 5,7 N/ mm² einzuhalten. Ergebnis Dimensionierung [3] Die Ergebnisse dieser Dimensionierungsberechnung zeigen, dass die geforderte geringe Plattenausfallrate unter den gegebenen Randbedingungen nicht mit einer Ausführung nach gültigem Regelwerk zu erreichen ist. Denn sowohl die Betondeckendicke liegt mit 29,0 cm über den Anforderungen gemäß RStO [21] von 27,0 cm, als auch die erforderliche Biegezugfestigkeit mit 5,7 N/ mm² über den Anforderungen gemäß TL Beton-StB mit 4,5 N/ mm² [25]. 7.2 Korrelation Druck- Biegezugfestigkeit Das Ausschneiden der benötigten Probekörper mit den Abmessungen 700mm x 150mm x 150mm aus einer fertigen Betondecke wäre der Dauerhaftigkeit dieser Fahrbahn nicht besonders zuträglich. Daher ist die Bestimmung der Biegezugfestigkeit, auf der dieses Verfahren beruht, sinnvoll nur in einer Erstprüfung im Labor möglich. Die von der Betreiberseite gewünschte Qualitätskontrolle der fertigen Leistung erfolgte daher über die Erstellung einer Korrelation für die zum Einsatz kommende Betonrezeptur zwischen der Biegezugfestigkeit und der Druckfestigkeit in einer Erstprüfung, bei der der w/ z-Wert und der Luftporengehalt variiert wurde. Versuchsergebnisse der Erstprüfung zur Korrelationsbestimmung [4] Aus den Wertepaaren dieser Untersuchung konnte eine Regressionsgerade errechnet werden, die einen Zusammenhang zwischen Druckfestigkeit und Biegezugfes- Dimensionierung und Qualitätsüberwachung im Straßenbau zur Sicherung der geplanten Lebensdauer bei ÖPP Projekten 352 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 tigkeit dieser Betonrezeptur beschreibt. Mithilfe dieser Regression ist es möglich für den in der Dimensionierungsberechnung ermittelten erforderlichen Biegezugfestigkeitswert eine zugehörige erforderliche Druckfestigkeit zu bestimmen. Korrelation zwischen Druck- und Biegezugfestigkeit aus Erstprüfung [4] Aus dieser Korrelation wird der geforderte Mittelwert der Biegezugfestigkeit für den Unterbeton I B bei einer Druckfestigkeit von 46,0 N/ mm² eingehalten, der einzuhaltende Mindestwert der Biegezugfestigkeit bei einer Druckfestigkeit von 40,4 N/ mm². 7.3 Kontrollprüfung Nach Fertigstellung der Betondecke wurden klassisch Bohrkerne entsprechend der ZTV Beton [22] alle 1.000m² (bei einem RQ 35,5 demnach ca. alle 70 m) entnommen sowie die vorhandene Plattendicke ermittelt. Diese in der Kontrollprüfung ermittelten Werte werden mit den aus der rechnerischen Dimensionierung vorgegebenen Sollwerten verglichen. Ergebnisse Kontrollprüfung Deckendicke [5] Ergebnisse Kontrollprüfung Druckfestigkeit [5] Da sowohl die geforderten Druckfestigkeiten, und über die Korrelation damit auch die benötigten Biegezugfestigkeiten, als auch die geforderten Schichtdicken eingehalten sind, kann der hergestellte Aufbau somit die prognostizierte Verkehrsbelastung sicher ertragen. 8. Ansatz RDO Beton Aus Betreibersicht bietet das Verfahrens nach der RDO Beton [23] den besonderen Vorteil, dass die dimensionierungsrelevanten Eigenschaften an der fertigen Betondecke direkt geprüft werden können. Ein Umweg über eine Korrelationserstellung wie bei dem zuvor dargestellten Verfahren ist nicht erforderlich. 8.1 Grundlagen und Dimensionierung Die Grundlagen des Dimensionierungsverfahrens werden in der Richtlinie beschrieben, in der die zu erbringenden Nachweise und die zugrundeliegenden Formeln erläutert werden. Es handelt sich um ein semiprobabilistisches Verfahren zur Dimensionierung nach Grenzzuständen der Tragfähigkeit und der Gebrauchstauglichkeit. Wesentlicher Parameter der Dimensionierungsberechnung ist die Spaltzugfestigkeit der zur Verwendung kommenden Betonrezeptur. Die Prüfung dieser Spaltzugfestigkeit erfolgt im Labor durch Druckaufbringung mittels zwei sich gegenüberliegender Lasteintragungsschienen, die einen zweiachsigen Spannungszustand erzeugen, wodurch sich in der Zylinderscheibe eine nahezu konstante Zugspannung einstellt. Dimensionierung und Qualitätsüberwachung im Straßenbau zur Sicherung der geplanten Lebensdauer bei ÖPP Projekten 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 353 Spaltzugschwellversuch Bohrkern Beton ©ABPI In der Angebotsphase wurden mit den zur Verwendung angedachten Baustoffen eine Erstprüfung durchgeführt, um die erreichbare Spaltzugfestigkeit in der Ausführungsphase abschätzen zu können. Ergebnis Erstprüfung Spaltzugfestigkeit [6] Aus dem Mittelwert der Spaltzugfestigkeit der Erstprüfung von 4,9 N/ mm² konnte unter Berücksichtigung des bei kürzlich ausgeführten Projekten erreichten Variationskoeffizienten von im Mittel 10% ein charakteristischer Wert für die Spaltzugfestigkeit von 4,3 N/ mm² für die Ausführungsphase ermittelt werden. Um weitere Sicherheit für die Ausführungsphase zu erhalten, wurde entschieden, für die Dimensionierungsberechnungen einen charakteristischen Spaltzugfestigkeitswert von 3,7 N/ mm² zu verwenden, was einer deutlichen Abminderung gegenüber dem möglichen Wert aus der Erstprüfung entspricht. Für die Berechnung war die erwartete Verkehrsbelastung, die wieder von der Betreiberseite auf Grundlage der durchgeführten Verkehrsstudie vorgegeben wurde, eine zu berücksichtigende Vorgabe. Des Weiteren eine Auflagerung auf einer HGT, sowie einer Plattenbreite des Hauptfahrstreifens von 4,00m, die Seitens der Ausführung zur Vorgabe gemacht wurden, da diese unter den projektspezifischen Randbedingungen aus baupraktischer Sicht zu bevorzugen waren. Bei den gegebenen Randbedingungen ergab sich rechnerisch eine erforderliche Betondeckendicke von 26,0 cm. 8.2 Kontrollprüfung Nach Fertigstellung der Betondecke wurden wie beim zuvor beschriebenen Verfahren im gleichen Umfang Bohrkerne entnommen und dabei wieder die vorhandene Plattendicke ermittelt. Im Labor wurde dann an diesen Kernen die Spaltzugfestigkeitsprüfung durchgeführt und die Ergebnisse statistisch ausgewertet. Da die Richtlinie ZTV RDO Beton [24] sich zwar seit längerem in Vorbereitung befindet, wie den Seiten der FGSV zu entnehmen ist, aber bis heute nicht veröffentlicht wurde, musste zwischen den Beteiligten der Weg der Qualitätskontrolle im Projekt abgestimmt werden. Die Auswertung der Kontrollprüfungsergebnisse erfolgte in Abstimmung mit Fachleuten exakt nach dem Ansatz, wie er auch zur Dimensionierungsberechnung vor Herstellung verwendet wurde. Demnach ist der Nachweis der geforderten Tragfähigkeit erbracht, wenn die in der Dimensionierung bestimmten Werte für die erforderliche Betondeckendicke und die benötigte Spaltzugfestigkeit eingehalten werden. Ergebnis Kontrollprüfung Deckendicke und Spaltzugfestigkeit [7] Wie der Übersicht der Kontrollprüfungsergebnisse zu entnehmen ist, erfüllt die hergestellte Deckendicke die Anforderung aus der Dimensionierung von 26,0 cm in jedem Abschnitt. Den Ergebnissen der Kontrollprüfung kann weiter entnommen werden, dass die Entscheidung, den Wert der erreichbaren Spaltzugfestigkeit gegenüber dem in der Erstprüfung ermittelten Wert von 4,3 N/ mm² auf 3,7 N/ mm² zu reduzieren, goldrichtig war. Der in der Ausführung erreichte Wert lag nur zwischen 3,4 und 4,5 N/ mm², also in Abschnitten deutlich unterhalb des Erwartungswertes aus der Erstprüfung. Der benötigte Spaltzugfestigkeitswert von 3,7 N/ mm² wird vom Unterbeton sicher eingehalten. Beim Oberbeton wird aber im homogenen Abschnitt1 nur eine charakteristische Spaltzugfestigkeit von 3,4 N/ mm² erreicht, und damit der in der Dimensionierung geforderte Mindestwert der Spaltzugfestigkeit unterschritten. Ob die geforderte Qualität geliefert wurde, erfordert weiterer Überlegungen. 8.3 Überprüfung der Dimensionierung mit den hergestellten, abweichenden Eigenschaften Für diesen kritischen homogenen Abschnitt 1 erfolgte daher eine Aktualisierung der Dimensionierungsberechnung unter Verwendung der hergestellten geringeren vorhandenen charakteristischen Spaltzugfestigkeit von 3,4 N/ mm². Die erforderliche Betondeckendicke wurde für diese vorhandene Spaltzugfestigkeit unter den sonst unveränderten Vorgaben zu 26,5 cm ermittelt. Mit die- Dimensionierung und Qualitätsüberwachung im Straßenbau zur Sicherung der geplanten Lebensdauer bei ÖPP Projekten 354 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 sen Werten konnte nachgewiesen werden, dass die in der Verkehrsprognose ermittelte Schwerverkehrsbelastung durch den Betonoberbau mit den ermittelten Eigenschaften ebenfalls sicher aufgenommen werden kann, da die vorhandene Betondeckendicke mit 26,62 cm über der erforderlichen von 26,5 cm liegt [8]. 9. Oberbau aus Asphalt Durch seine thermoplastischen Eigenschaften stellt der Asphalt im Vergleich zum Beton bezüglich der Dimensionierung einen viel komplexeren Baustoff dar. Asphalteinbau © Via6West Zur Durchführung dieser Dimensionierung steht die RDO Asphalt [27] zur Verfügung. Auch hierbei ist die Prüfung der dimensionierungsrelevanten Eigenschaften direkt an der fertigen Leistung möglich. 9.1 Grundlagen und Dimensionierung Die Grundlagen des Dimensionierungsverfahrens werden in der Richtlinie beschrieben. Die Verkehrsbelastung wird durch Aufteilung des Schwerverkehrs in 11 Achslastklassen, die Temperaturbelastung durch Aufteilung in 13 Oberflächentemperaturen und dem zugehörigen Temperaturverlauf im Untergrund berücksichtigt. Die Ermittlung der zugehörigen Spannungen und Dehnungen bei den sich hieraus ergebenden 143 Belastungskombinationen erfolgt auf Grundlage der Mehrschichtentheorie. Diese Belastungskombinationen werden dann auf Grundlage der Miner Theorie miteinander überlagert. Wesentliche Materialparameter der Dimensionierungsberechnung sind die Ermüdungsfunktion sowie die Steifigkeits- Temperaturfunktion der zur Verwendung kommenden Asphaltrezeptur. Die Prüfung dieser Eigenschaften erfolgt im Labor mittels Spaltzug-Schwellversuchen. Servohydraulische Prüfanlage zur Durchführung von Spaltzug-Schwellversuchen © KIT Dimensionierung und Qualitätsüberwachung im Straßenbau zur Sicherung der geplanten Lebensdauer bei ÖPP Projekten 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 355 Asphaltprobe nach Spaltzug-Schwellversuch zur Ermittlung der Ermüdungsfunktion © KIT Basierend auf Erstprüfungsergebnissen mit dem vor Ort vorhandenen und zum Einsatz kommenden Rohstoffen inklusive des zur Wiederverwendung vorgesehenen Asphaltgranulats wurde eine Dimensionierung des herzustellenden Asphaltoberbaus vor Beginn der Oberbauarbeiten durchgeführt. Aufgrund der örtlichen Gegebenheiten ergibt sich, dass ein vollständig gebundener Oberbau für Abschnitte mit offenporigem Asphalt die wirtschaftlichste Bauweise ist. Die Dimensionierungsberechnung führte zu einer Asphaltbefestigung von 39,5 cm Schichtdicke, die auf einer 15,0 cm mächtigen Verfestigung, die wiederum auf einer 15,0 cm starken Bodenverfestigung aufgelagert ist. Zur Absicherung der Einflüsse aus Bautoleranzen, Variationen der Eigenschaften der frisch hinzugekauften Baustoffe, aber vor allem aus den Schwankungen der Eigenschaften des Asphaltgranulats wurde in dieser Phase nur eine geringe Ausnutzung der Asphalttragschicht angesetzt. Ergebnis Dimensionierungsberechnung [9] Wie dem Auszug aus der Dimensionierung zu entnehmen ist, wurde in der Vordimensionierung das Tragfähigkeitspotential der Asphalttragschicht nur zu 33,1% ausgenutzt. 9.2 Kontrollprüfung Nach Bauausführung erfolgte die Qualitätsüberwachung durch Entnahme von Bohrkernen und Bestimmung der Performancewerte im Labor. Bohrkernentnahme © PrüfARGE ABPI/ IBE GbR Neben der Bohrkernentnahme entsprechend der ZTV Asphalt [26] zur Bestimmung der in diesem Regelwerk geforderten Kennwerte einer Kontrollprüfung, die alle 6.000 m² durchgeführt wird, erfolgt zur Bestimmung der erreichten Performanceeigenschaften die Entnahme von 20 Bohrkernen aus dem Standstreifen in 5 gleichmäßig über den homogenen Bauabschnitt aufgeteilten Bohrkerngruppen. Bohrkernentnahmeplan ViA6West [10] Der hergestellte Asphaltaufbau beinhaltet 2 unterschiedliche Asphalttragschichten. Damit die Nachweisführung an der Unterseite jeder dieser beiden Tragschichten durchgeführt werden kann, erfolgt die Bestimmung der Ermüdungsfunktion für beide Asphalttragschichten. Abgebildet ist das Laborergebnis der maßgebenden unteren Asphalttragschicht. Dimensionierung und Qualitätsüberwachung im Straßenbau zur Sicherung der geplanten Lebensdauer bei ÖPP Projekten 356 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Ermüdungsfunktion AC 32 TS [11] Die Ermittlung der Steifigkeitsmodul - Temperaturfunktion erfolgte für beide Tragschichten und die Binderschicht. Abgebildet wird wiederum nur das Laborergebnis der AC 32 TS. Steifigkeitsmodul - Temperaturfunktion [12] Auch das Kälteverhalten der eingebauten Tragschicht wurde im Labor untersucht. Mittlere Kryogene Zugspannungen [13] Weitere zur Berechnung der vorhandenen Tragfähigkeit erforderlichen Parameter wie die Schichtdicke des hergestellten Oberbaus, den vorhandenen Schichtenverbund und die Auflagerfestigkeit wurden aus den Ergebnissen der Kontrollprüfung entnommen. Kontrollprüfungsergebnisse Schichtdicke, Schichtenverbund u. Auflagerfestigkeit [14] Wie bei der Betonbauweise liegt auch bei der Asphaltbauweise bisher keine Veröffentlichung einer ZTV RDO Asphalt [28] vor, die die bauvertragliche Umsetzung der mittels RDO Asphalt [27] hergestellten Asphaltoberbauten regelt. Daher erfolgte, wie auch schon für den Umfang der Beprobung, eine Abstimmung zwischen den Projektbeteiligten, wie der Nachweis der zulässigen Überrollungen für den hergestellten Oberbau geführt werden kann. Ein wesentlicher Punkt dieser Abstimmung ist die Festlegung des anzusetzenden Sicherheitsbeiwerts bei der Beurteilung des fertigen Asphaltoberbaus. Der bei der Rückrechnung angesetzte Sicherheitsbeiwert kann gegenüber der Dimensionierungsberechnung reduziert werden, da in diesem ein Vorhaltemaß für Toleranzen beim Einbau und den Materialeigenschaften berücksichtigt ist. Daher erfolgte, nach Rücksprache mit Fachleuten, eine Reduzierung des Sicherheitsbeiwerts bei der Rückrechnung auf 70% des Sicherheitsbeiwertes der Dimensionierungsberechnung vor Bauausführung. Des Weiteren wird die geringste gemessene Asphaltschichtstärke der Berechnung zugrunde gelegt. Im Ergebnis zeigt sich, dass die Entscheidung mit einem großen Vorhaltemaß in die Dimensionierung zu gehen die Richtige war. Denn trotz einer Ausnutzung der Materialparameter der Erstprüfung von nur 36% in der Dimensionierung, und der bei der Nachrechnung berücksichtigten Reduzierung des Sicherheitsbeiwerts auf 70% gegenüber der RDO Asphalt [27], ergibt sich in dem betrachteten Abschnitt, bei Ansatz der ungünstigsten Randbedingungen, ein Ermüdungszustand von 97,5% unter der erwarteten Verkehrsbelastung. Ergebnis Dimensionierungsberechnung Kontrollprüfung Dimensionierung und Qualitätsüberwachung im Straßenbau zur Sicherung der geplanten Lebensdauer bei ÖPP Projekten 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 357 Im Ergebnis der Qualitätsüberwachung kann aber auch hier die erwartete Verkehrsbelastung durch den hergestellten Asphaltoberbau im betrachteten homogenen Abschnitt ertragen werden. 10. Kostenbetrachtung In diesem Abschnitt werden die Kosten für die Kontrollprüfungen der unterschiedlichen Oberbauweisen miteinander verglichen. Dies erfolgt auf Grundlage einer fiktiven Streckenlänge von 45 km bei einem Regelquerschnitt RQ 35,5. 10.1 Betonbauweise; Korrelation Es ergeben sich keine über die üblichen Kontrollprüfungskosten hinausgehenden Aufwendungen. 10.2 Betonbauweise; RDO Beton Entsprechend dem in der ZTV Beton-StB [22] vorgegebenen Prüfumfang in der Kontrollprüfung wird je 1.000m² Betonfahrbahn ein Bohrkern entnommen. Die Kosten für die Bohrkernentnahme und Untersuchung der Spaltzugfestigkeit ergeben sich entsprechend der folgender Aufstellung. Für die Verifikation der Tragfähigkeit im eingebauten Zustand ergeben sich demnach folgende Kosten für das Gesamtprojekt. 10.3 Asphaltbauweise; Projekt Der im Projekt vereinbarte Umfang der Bohrkernentnahme wurde im Abschnitt 9.2. dargestellt. Nimmt man weiterhin an, dass sich durch den Bauablauf und Art der Deckschicht im Gesamtprojekt 16 homogene Abschnitte ergeben, ergibt sich die Anzahl der erforderlichen Bohrkerne zu: Die Kosten für die Bohrkernentnahme und Untersuchung der benötigten Performancewerte ergeben sich entsprechend folgender Aufstellung. Hierbei ist zu beachten, dass 2 Asphalttragschichten bei den Untersuchungen der Ermüdungsfunktion berücksichtigt sind. Für die Verifikation der Tragfähigkeit im eingebauten Zustand ergeben sich demnach folgende Kosten für das Gesamtprojekt. 10.4 Asphaltbauweise; RSO Asphalt Neben dem zwischen den Projektparteien abgestimmten Umfang der Beprobung gibt es weitere, sich noch in der Diskussion befindliche Ansätze, in Bezug auf den Umfang der Beprobung. Für die sich in Entwicklung befindliche RSO Asphalt [29] ist der in der folgenden Abbildung wiedergegebene Probenumfang [15] angedacht. Die Entnahme der Bohrkerne erfolgt dabei in der Form der Abschnittsbeprobung. Dabei wird der zu untersuchende Abschnitt in so viele Bereiche unterteilt, wie Bohrkerne entnommen werden. Die Bohrkernentnahme innerhalb eines so ermittelten Bereichs erfolgt zufällig. Bohrkernentnahmeplan RSO Asphalt [15] Dimensionierung und Qualitätsüberwachung im Straßenbau zur Sicherung der geplanten Lebensdauer bei ÖPP Projekten 358 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Der Untersuchungsumfang entsprechend dem Entwurf der RSO Asphalt [29] würde die folgenden Bohrkernentnahmen erfordern. Dabei werden auf dem ersten Kilometer eines homogenen Abschnitts 16 Bohrkerne entnommen, auf jedem weiteren Kilometer dieses homogenen Abschnitts weitere 5 Bohrkerne. Bei den Performanceprüfungskosten nach dem Entwurf der RSO Asphalt [29] sind zusätzlich zu den Prüfungskosten des ersten Kilometers eines homogenen Abschnitts die Prüfungskosten der weiteren Kilometer eines homogenen Abschnitts zu ergänzen. Die Kosten für die Performanceprüfung lasse sich daher wie folgt ermitteln. 10.5 Asphaltbauweise; ZTV RDO Asphalt Für die sich ebenfalls noch in der Entwicklung befindliche ZTV RDO Asphalt [28] wird aktuell die Entnahme der erforderlichen 16 Bohrkerne zur Bestimmung der Performancewerte für jede angefangene Asphaltfläche von 18.000m² diskutiert. Das Entnahmeschema und die Bohrkernverwendung kann der folgenden Abbildung entnommen werden. Probeentnahmeschema Entwurf ZTV RDO Asphalt [16] Bei einem Vorgehen entsprechend dem aktuellen Diskussionsstand der ZTV RDO Asphalt [28] würden daher die folgende Bohrkernanzahl benötigt werden. Hierfür ergeben sich die folgenden Kosten für die gesamte Performanceprüfung. 11. Zusammenfassung Durch das engmaschige Prüfraster bei der Betonbauweise wird ein dimensionierungsrelevantes Wertepaar (Deckendicke / Festigkeit) durch einen Bohrkern je 1.000m² erzeugt. Bei der Asphaltbauweise werden dahingegen 16 Bohrkerne benötigt, um alle erforderlichen dimensionierungsrelevanten Parameter (Ermüdungsfunktion / Temperatur - Steifigkeitsfunktion / Kryogene Zugspannungen / Schichtenverbund) zu bestimmen. Im engmaschigsten Verfahren gemäß Entwurf der ZTV RDO Asphalt [28] werden je 18.000m² ein vollständiger Wertesatz ermittelt. Im Vergleich der beiden Oberbauweisen erfolgt die Qualitätskontrolle daher bei der Betonbauweise in einem viel engeren Raster. Bei den Verfahren nach RDO Beton [23] und RDO Asphalt [27] werden die dimensionierungsrelevanten Parameter direkt an den aus der fertigen Leistung entnommenen Bohrkernen ermittelt. Dies ist der wesentliche Nachteil des Verfahrens bei einem Betonoberbau nach Ansatz der TU München [1], die die Biegezugfestigkeit der fertigen Decke über den Umweg einer Korrelationsermittlung aus der Druckfestigkeit bestimmt. Nachteil aller Verfahren ist, dass zwischen Herstellung des Fahrbahnoberbaus und Zeitpunkt des Vorliegens der Kontrollprüfungsergebnisse sehr viel Zeit vergeht (Prüfung der 60 Tage Festigkeit der Betondecke, Dauer Laborversuche Asphalt mindestens 1 - 2 Wochen). Daher können die Ergebnisse der Kontrollprüfung nicht zur Steuerung der Einbauqualität genutzt werden. Der Kostenvergleich zwischen einem Oberbau aus Beton und dem im Projekt abgestimmten Prüfschema für einen Oberbau aus Asphalt zeigt vergleichbare Kosten für die Kontrollprüfung. Diese Kontrollprüfungskosten verdop- Dimensionierung und Qualitätsüberwachung im Straßenbau zur Sicherung der geplanten Lebensdauer bei ÖPP Projekten 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 359 peln sich aber fast bei Ansatz der Bohrkernentnahme entsprechend Stand RSO Asphalt [29] und vierfachen sich fast, wenn der Entwurf der ZTV RDO Asphalt [28] zugrunde gelegt wird. Literatur: [1] Prof. W. Eger; Mitteilungen des Prüfamtes für Bau von Landverkehrswegen der TU München „Langzeitverhalten von Betonstraßen - Eine Untersuchung mit statistischen und wahrscheinlichkeitstheoretischen Methoden 1995“ [2] Prof. Dr.-Ing. Walter Eger; Langzeitverhalten von Betonfahrbahnen Betonstraßentagung 2013 [3] Prof. Dr.-Ing. Walter Eger; Gutachten zur Dimensionierung und zum Langzeitverhalten der Betonfahrbahnen. Betreibermodell BAB A 8 “Ulm - Augsburg” (A-Modell) Bau km 17+540 bis Bau km 58+500 [4] Erstprüfung für den Fahrbahndeckenbeton UB I B; Ermittlung einer Korrelation zwischen Druck- und Biegezugfestigkeit; TPA [5] „Pendelliste“ Eigenüberwachungs- und Kontrollprüfungsergebnisse PANSUEVIA [6] Erstprüfung Straßenbeton StC 35/ 45-3,7 Unterbeton 0/ 22, Bietergemeinschaft A4 Hörselberge [7] Kontrollprüfungsergebnisse Via Solutions Thüringen [8] Sachverständigengutachten Kontrollprüfung Via Solutions Thüringen [9] Nachweis des Aufbaues der Asphaltbefestigung mittels rechnerischer Dimensionierung; 09.03.2018; Bauarge A6 West [10] Bohrkernentnahmeplan ViA6West [11] Ermüdungsfunktion AC 32 TS (11); Kontrollprüfungsergebnis ViA6West [12] Steifigkeitsmodul - Temperaturfunktion); Kontrollprüfungsergebnis ViA6West [13] Mittlere Kryogene Zugspannungen); Kontrollprüfungsergebnis ViA6West [14] Schichtdicke u. Auflagerfestigkeit); Kontrollprüfungsergebnis ViA6West [15] Univ.-Prof. Dr.-Ing. Ulf Zander; „Verfahrensweise bei der Bewertung der strukturellen Substanz von Asphaltbefestigungen“ ; Deutschen Straßen- und Verkehrskongress 2014 Stuttgart [16] Dr.-Ing. Sebastian Lipke; „Performance-basierte Anforderungen für Asphaltbefestigungen in Bauverträgen - Aktueller Stand“; Deutscher Straßen- und Verkehrskongress 2016 Bremen Regelwerke: [21] „Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen; RStO 12“, FGSV-Verlag GmbH [22] „Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für den Bau von Tragschichten mit hydraulischen Bindemitteln und Fahrbahndecken aus Beton; ZTV Beton-StB 07“, FGSV-Verlag GmbH [23] „Richtlinien für die rechnerische Dimensionierung von Betondecken im Oberbau von Verkehrsflächen; RDO Beton 09“, FGSV-Verlag GmbH [24] „Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für den Bau von Betondecken im Oberbau von Verkehrsflächen bei Anwendung der RDO Beton; ZTV RDO Beton - StB“, FGSV-Verlag GmbH [25] „Technische Lieferbedingungen für Baustoffe und Baustoffgemische für Tragschichten mit hydraulischen Bindemitteln und Fahrbahndecken aus Beton; TL-Beton-StB 07“, FGSV-Verlag GmbH [26] „Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für den Bau von Verkehrsflächenbefestigungen aus Asphalt; ZTV Asphalt-StB 07/ 13“, FGSV-Verlag GmbH [27] „Richtlinien für die rechnerische Dimensionierung des Oberbaus von Verkehrsflächen mit Asphaltdeckschicht; RDO Asphalt 09“, FGSV Verlag GmbH [28] „Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für den Bau von Betondecken im Oberbau von Verkehrsflächen bei Anwendung der RDO Asphalt; ZTV RDO Asphalt - StB“, FGSV-Verlag GmbH [29] „Richtlinien zur Bewertung der strukturellen Substanz des Oberbaus von Verkehrsflächen in Asphaltbauweise; RSO Asphalt“, FGSV Verlag GmbH 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 361 LKW-Platoons und ihre Auswirkungen auf den Straßenoberbau Sandra Ulrich, ARNDT IDC GmbH & Co KG, Vienna, Austria (Hauptautor) David Reisenbichler, ARNDT IDC GmbH & Co KG, Vienna, Austria (Vortragender) Überblick Automatisiertes Fahren hat bereits und wird in Zukunft großen Einfluss auf Verkehrseffizienz, Verkehrssicherheit, Umwelt und auch die Logistik-Branche haben. Hier verspricht insbesondere das s.g. LKW Platooning große Ressourceneinsparungen. Dabei sind mehrere LKWs elektronisch miteinander vernetzt um längsund/ oder Querregelung zentral für den ganzen Platoon über den führenden LKW zu steuern. So könnte in sehr geringem Abstand hintereinandergefahren werden, um Windschatteneffekte zur Treibstoffeinsparung zu nutzen. Neben vieler offener Fragen hinsichtlich der technischen Lösung als auch der Umsetzbarkeit auf bestehenden Verkehrswegen (z.B. Verkehrsfluss bei Auf- und Abfahrten) gilt es auch Auswirkungen auf den Straßenoberbau durch das spurgenaue Fahren und die geringen Abstände zu analysieren um Straßenbetreibern Sicherheit hinsichtlich des Erhaltungsmanagement und der Dimensionierung zu geben. Im Projekt „Spurvariation“ (gefördert durch ASFINAG und BMVIT im Rahmen der österreichischen VIF2018 Ausschreibung) wurde daher die folgende Fragestellung analysiert und beantwortet: „Welche Auswirkungen hat LKW-Platooning auf den Straßenoberbau der ASFINAG und inwiefern kompensiert spurversetztes Fahren im Platoon die Energieeinsparung der LKWs durch gewonnene Windschatteneffekte im Platoon? “ Dazu wurden aufbauend auf der Lastklassenberechnung gem. des österreichischen Bemessungsstandards RVS 03.08.63 auf Basis des Primärwirkungsmodells Ermüdung neue Parameter implementiert, um die Einwirkung von Platoons abzubilden. Die Ergebnisse geben eine erste Orientierung zu möglichen Implementierungsszenarien. 1. 1. Methodische Vorgehensweise 1.1 Projektüberblick Das Ziel beim LKW-Platooning lautet, dass alle LKWs im Platoon derselben Spur folgen, um den Effizienzgewinn durch den Windschatteneffekt zu maximieren. Da dies aber potentiell negative Auswirkungen auf die Lebensdauer des Straßenoberbaus - insbesondere von Asphaltstraßen - hat, werden in diesem Projekt verschiedene Varianten von Spurvariationen untersucht und die positiven Effekte auf den Oberbau, den Effizienzverlusten beim Windschatten gegenübergestellt. Die initiale Definition eines LKW Platoons für dieses Projekt ist ein Konvoi von maximal 3 LKWs, die in einem Abstand von 10-15m mit einer maximalen Geschwindigkeit von 80 km/ h fahren. Abbildung 1: Platooning Layout Das Projekt Spurvariation wurde mit folgender methodischen, stufenweisen Herangehensweise abgearbeitet. 1. Die Basis bildete eine detaillierte Sensitivitätsanalyse von lane assist Systemen (Genauigkeit beim Spurhalten, Querregelung) im Arbeitspaket 2. 2. Darauf aufbauend wurde in Arbeitspaket 3 beim Virtual Vehicle Center mittels Strömungsanalyseberechnungen jener Versatz berechnet, bei dem der Gewinn des Windschattenfahrens durch den Versatz in der Querregelung kompensiert wird. Das unterste Limit zur Berechnung der Auswirkungen auf die Fahrbahnoberfläche ergab sich aus der Sensitivitätsanalyse LKW-Platoons und ihre Auswirkungen auf den Straßenoberbau 362 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 (Varianz in der Querregelung zwischen zwei LKW). Die oberste Grenze wurde durch die Windschattensimulation festgelegt (bei welchem Versatz ergibt sich kein Energiegewinn durch den Windschatten). 3. Die Analyse der Auswirkungen auf den Straßenoberbau in Arbeitspaket 4 baut auf erprobten Lebenszyklusmodellen auf, in die zusätzliche Parameter für neue Einflussfaktoren durch LKW-Platooning festgelegt und integriert wurden. Neue Belastungsfälle innerhalb der Grenzwerte der Sensitivitätsanalyse und auf Basis der definierten LKW-Platoons wurden vorgeschlagen. 4. Die Wirkungsbetrachtung in Arbeitspaket 5 fasste die Ergebnisse der Arbeitspakete 2-4 zusammen und evaluierte die Gesamtauswirkung von LKW-Platooning auf den Straßenoberbau der ASFINAG. 5. Die Auswirkungen auf den Straßenoberbau wurden in die „dynamic risk-rated-map“ von Connecting Austria integriert, damit die Auswirkungen der Studie im gesamten Zusammenhang des Verkehrsmanagements der ASFINAG hinsichtlich LKW-Platoons dargestellt werden konnten. Der Zusammenhang zwischen den Inhalten und Arbeitspaketen ist in nachfolgender Grafik zusammengefasst dargestellt. Abbildung 2: Methodische Vorgehensweise (Ulrich et al. 2020) 1.2 Herangehensweise zur Ermittlung der Auswirkungen auf den Oberbau Der Fokus dieses Manuskripts liegt auf der Auswirkung auf den Oberbau, die im Projekt in AP4 um folgende Kernfrage behandelt wird: Ist infolge der Belastung durch LKW-Platoons mit einer signifikant erhöhten Schadensauswirkung zu rechnen und bei welchem Spurversatz ist bei größtmöglichem Effizienzgewinn durch Platooning, die Auswirkung in Form von Schadensbildern auf den Straßenoberbau möglichst gering? Für die Analyse der Auswirkungen von LKW-Platooning auf den Straßenoberbau, insbesondere von Asphaltstraßen, wurde einerseits die Relevanz für die Bemessung von Neubau und Sanierungen analysiert und andererseits die zu erwartenden Auswirkungen im Erhaltungsmanagement der Bestandsstrecken. Dazu wurden sowohl die üblichen Ansätze auf der Belastungsseite (Bemessungsnormlastwechsel) als auch auf der Widerstandsseite (Materialeigenschaften hinsichtlich Verformungsbeständigkeit) beleuchtet und Ansätze für die Berücksichtigung von LKW-Platoons vorgeschlagen. Die Bemessung und Berechnung von Zustandsentwicklungen der Zustandsgrößen des Oberbaus folgt seit langem einem einfachen Prinzip: die Einwirkung durch den Schwerverkehr muss kleiner sein als der Widerstand, den der Oberbau entgegensetzt. Die Einwirkung hängt naturgemäß von der Verkehrsbelastung ab, also der Art der auftretenden Fahrzeuge, deren Auftretenswahrscheinlichkeit und deren Achslasten. Zur Bestimmung des Widerstands wird die maßgebliche Belastung des Oberbaus bestimmt, die auf umfangreichen empirischen Daten, die zu den Oberbaudimensionierungsregeln der RVS 03.08.63 geführt haben, basiert. Für die Bemessung und Lebensdauer des Straßenoberbaus ist die Belastung, die sich aus dem Schwerverkehr ergibt, der maßgebende Faktor und der PKW-Verkehr kann vernachlässigt werden. Die maßgebende Größe für die Verkehrsbelastung sind dabei die s.g. Bemessungsnormlastwechsel (BNLW), die sich aus der Anzahl an Übergängen einer Normachse mit einer Achslast von 100 kN (entspricht 10 t) ergeben. Um die tatsächliche Verkehrsstärke zu ermitteln, werden die verschiedenen auftretenden Schwerverkehr (SV) Fahrzeugkategorien mit Äquivalenzfaktoren auf diese BNLW umgerechnet. Manuell gefahrene LKW folgen keiner exakten Spur, sondern nutzen den verfügbaren Raum einer Fahrspur und pendeln in gewissem Grad darauf hin und her. Dieser Effekt wird als „lateral wander“ bezeichnet und in der Bemessung in Form eines Faktors zur Berücksichtigung der Fahrspurverteilung innerhalb des Fahrstreifens berücksichtigt. Dieser Faktor wurde genutzt, um den Spurversatz von LKW-Platoons abzubilden. Für die Analyse der Auswirkungen von LKW-Platooning auf den Straßenoberbau wurden geeignete Äquivalenzfaktoren für diese neue Fahrzeugkategorie gesucht und Annahmen für die Fahrspurverteilung getroffen. Zusätzlich wurden Erkenntnisse aus kürzlich veröffentlichten internationalen Studien analysiert und hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit in Österreich bewertet. Mit Hilfe dieser neuen Werte für die Bemessungsparameter wurden exemplarisch Oberbaubemessungen für typische Verkehrsbelastungen bei üblichen Neubau- oder grundhaften Instandsetzungsmaßnahmen durchgeführt. Dazu wurde ein simplifiziertes Berechnungsmodell auf Basis der RVS 03.08.63 Methodik mit den neuen LKW-Platooning Werten erstellt, um für die Bemessung eine Orientierung hinsichtlich der Auswirkungen von LKW-Platoons zu bekommen. Darüber hinaus wurden die neuen Platooning Werte auch auf die Zustandsentwicklungsmodelle für Spurrinnen gem. PMS Handbuch angewendet und so auch eine Methodik angeboten, um die Auswirkungen von LKW- Platoons auf die Bestandsstrecken zu analysieren. Die Methodik ist in nachfolgender Grafik zusammengefasst. LKW-Platoons und ihre Auswirkungen auf den Straßenoberbau 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 363 Abbildung 3: Methode Oberbauauswirkungen (Ulrich et al. 2020) 2. Berücksichtigung von LKW-Platooning bei Neubau und Sanierung Als maßgebende Beanspruchungen werden bei der Dimensionierung von Asphaltstraßen in der Regel die wechselnde Zugbeanspruchung an der Unterseite der Asphaltschichte und die senkrechte Druckbeanspruchung am Unterbauplanum angesehen. Die zyklischen Zugbeanspruchungen infolge der Verkehrsbelastung führen zur Ermüdung des Baustoffes und an der Unterseite der Asphaltkonstruktion entstehen Risse, die sich nach oben hin fortpflanzen („bottom-up cracking“). In der Folge verbinden sich die Einzelrisse zu Netzrissen, wodurch es zur rasch progressiven Herabsetzung der Tragfähigkeit der gesamten Konstruktion kommt - zur Ermüdung des Oberbaus. Das Schadensmerkmal Ermüdung, bedingt in erster Linie durch die Verkehrsbelastung, wird auch im Fall von LKW-Platooning als bemessungsrelevantes Schadensmerkmal für die strukturelle Oberbaudimensionierung herangezogen. Die Auswirkungen auf die Spurrinnenbildung betreffen die Gebrauchstauglichkeit (insbesondere die Verkehrssicherheit), jedoch weniger die Tragfähigkeit und sind daher relevanter in der Lebenszyklusbetrachtung. Um LKW-Platooning in der Oberbaubemessung zu berücksichtigen, ist es daher insbesondere erforderlich, die Verkehrsbelastung, also einen entsprechenden Äquivalenzfaktor für die Bemessungsnormlastwechsel zu finden. Bei der Bemessung gemäß der großteils verwendeten RVS 03.08.63 kommt ein Bemessungskatalog zum Einsatz, der Standardoberbauten enthält und so für verschiedene Lastklassen unterschiedliche Bautypen anbietet. Die Verkehrsbelastung wird in der zugrundeliegenden Bemessungsmethodik durch die Kenngröße BNLW ausgedrückt. Diese entspricht einer Anzahl an Übergängen einer Normachse mit einer Achslast von 100 kN (entspricht 10 t), der ein Oberbau während eines definierten Bemessungszeitraums ausgesetzt ist. Diese Anzahl an Normlastwechseln ist über so genannte Äquivalenzfaktoren mit der tatsächlichen Verkehrsstärke (ausgedrückt durch den JDTVi einer Fahrzeugkategorie i bzw. den JDTLV) verknüpft. Diese Faktoren geben an, wie viele Übergänge der Normlast bei einem Übergang eines Schwerfahrzeugs in Rechnung zu stellen sind und sind sowohl von der Gesamtgewichtsverteilung der Schwerfahrzeuge als auch von deren Auftretenshäufigkeit im Straßennetz abhängig. Der BNLW wird aus der folgenden Beziehung ermittelt: BNLW = NLW tägl * R * V * S * 365 * n * z LKW-Platoons und ihre Auswirkungen auf den Straßenoberbau 364 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Anzahl der durchschnittlich täglichen Normlastwechsel für den gesamten Querschnitt zum Zeitpunkt der Verkehrsfreigabe. Ergibt sich aus NLWtägl = ∑JDTVi * Äi JDTVi Mittelwert über alle Tage des Jahres der Anzahl der einen Straßenquerschnitt in beiden Richtungen täglich passierenden Kraftfahrzeuge der Fahrzeugkategorie i Äi Mittlerer Äquivalenzwert der jeweiligen Fahrzeugkategorie i R Richtungsfaktor für die Aufteilung des Lastverkehrs auf die Fahrtrichtungen (0,5 bei gleichmäßiger Aufteilung des Lastverkehrs auf beide Fahrtrichtungen) V Faktor zu Berücksichtigung der Verteilung des Lastverkehrs auf mehrere Richtungsfahrstreifen (1,0 bei einem bzw. zwei Richtungsfahrstreifen; 0,9 bei drei oder mehr Richtungsfahrstreifen) S Faktor zur Berücksichtigung der Fahrspurverteilung innerhalb des Fahrstreifens n Bemessungsperiode [Jahre] (ursprünglich 20 Jahre für bituminöse Befestigungen und 30 Jahre für Betondecken; Seit 2016 für Bundesstraßen A und S einheitlich 30 Jahre z Zuwachsfaktor unter Berücksichtigung einer jährlichen Zuwachsrate p [%] Für eine einfache, überschlägige Berücksichtigung von LKW-Platoons kann die verwendete Bemessungsformel genützt und lediglich um neue Werte für betroffene Parameter ergänzt werden, wie dies in nachfolgender Abbildung zusammengefasst ist. Abbildung 4: Anpassung relevanter Parameter der Bemessungsformel der RVS 03.08.63 Um LKW-Platoons in der Bemessung zu berücksichtigen wird ein neuer Äquivalenzfaktor vorgeschlagen. Auf Basis einer generischen LKW Geometrie (Devesa und Indinger 2011) wird von Platoons mit einem gesetzlich geregelten Maximalgewicht von 44 Tonnen (intermodaler Transport) in Platoons aus 2 oder 3 LKW mit einem Abstand von 10-15 m ausgegangen. Für die Berechnung der Last wird dabei weiterhin jeder LKW eines Platoons als Fahrzeug gezählt und nicht der Platoon als eine einzelne Einheit. Die Begründung dafür liegt einerseits an den vorgegebenen Abständen zwischen den LKW, die mit 10-15 m als zu groß angesehen werden um eine echte Einheit zu bilden. Andererseits kann so auch die Variation der Spurgenauigkeit konsequent je LKW umgesetzt werden. Um das Schädigungspotential eines solchen Platoons mit den beschriebenen Annahmen einordnen zu können, wurden die umfangreichen Untersuchungen zu Schadenswirkungen verschiedener Fahrzeugklassen durch die Auswertung von BWiM Daten in Forschungsprojekten der letzten Jahre hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit für LKW-Platoons analysiert. Als Näherung für grobe Abschätzungen wird auf dieser Basis nur von geringfügig höherem Schädigungspotential ausgegangen, die in Form von Äquivalenzwerten in nachfolgender Tabelle für spurgenaue 2er und 3er Platoons mit 15 m Abstand dargestellt sind. Tabelle 1: Vorgeschlagene Äquivalenzwerte für LKW-Platoons Fahrzeug Ä i Erläuterung Fahrzeugklasse VC113 2,10 gem. Projekt Obesto gerundet 2er Platoon spurgenau 2,20 Geschätztes, geringfügig höheres Schädigungspotential +3% geg. Einzel VC113 gerundet 3er Platoon spurgenau 2,30 Geschätztes, geringfügig höheres Schädigungspotential +8% geg. Einzel VC113 gerundet 2er oder 3er Platoon mit Spurversatz 2,10 Schädigungspotential von VC113 Bei einem Spurversatz von > 0,5 m wird mit dem Äi der Fahrzeugklasse VC113 (Blab et al. 2014) gearbeitet, da keine erhöhte Schädigung erwartet wird. Dies gilt sowohl für einen 2er als auch einen 3er Platoon. Der zweite besonders relevante Parameter ist der sogenannte Fahrspurfaktor S, der in Abhängigkeit von der Fahrspurbreite der Verteilung von LKW Fahrspuren und Trajektorien Rechnung trägt. Die Fahrspurbreite auf störungsfreien ASFINAG-Netzabschnitten ist > 3,5 m. Baustellenbereiche sind von der Betrachtung explizit LKW-Platoons und ihre Auswirkungen auf den Straßenoberbau 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 365 ausgenommen. Um den Spurversatz von LKW-Platoons in einer Bemessung zu berücksichtigen, werden nachfolgend Vorschläge für den Fahrspurfaktor gemacht. Tabelle 2: Vorgeschlagene Fahrspurfaktoren für LKW-Platooning Spurversatz Spurversatz Faktor S neu Spurgenaues fahren 1,00 Abweichung des 2. LKW von 0,5 m 0,70 Abweichung des 2. LKW von 1,0 m 0,50 Mit den beschriebenen Werten für die Äquivalenzfaktoren und Spurversatzfaktoren wurden exemplarisch Oberbauten für verschiedene Verkehrsstärken dimensioniert und die Ergebnisse jeweils für die folgenden vier Platooning Szenarien mit Marktdurchdringungen von 0-100 % in einem Diagramm sowie tabellarisch in Abhängigkeit von der Auftretenswahrscheinlichkeit von LKW-Platoons dargestellt. • 2er Platoon spurgenau • 3er Platoon spurgenau • 2er oder 3er Platoon mit Spurversatz 0,5 m • 2er oder 3er Platoon mit Spurversatz 1,0 m Es wird davon ausgegangen, dass es bei einem Spurversatz > 0,5 m keinen Unterschied macht ob die Platoons aus 2 oder 3 LKW bestehen. Exemplarisch wurden für verschiedene Verkehrsstärken die Auswirkungen berechnet. Da davon ausgegangen wird, dass Platooning auf logistikrelevanten Streckenabschnitten zuerst eingeführt wird, wird als durchschnittlicher Bemessungsfall ein JDTLV 4000 des gesamten Schwerverkehrskollektivs angenommen. Hier wurden 2 Fahrstreifen mit einer Breite zumindest des 1. Fahrstreifens von 4,0m angenommen. Tabelle 3: Medium Case Berechnungsrahmenbedingungen Parameter Wert Verkehrsstärke JDTLV Kollektiv 4000 Verkehrsstärke je Richtungsfahrbahn getrennt ja Anzahl Fahrstreifen 2 Fahrstreifenbreite 4,00 Bemessungsperiode 30 Jahre Jährl. Zuwachsrate 1,50% Medium Case Abbildung 5: BNLW und Lastklassen in Abhängigkeit der Marktdurchdringung für die 4 Platooning Szenarien Bei dieser Verkehrsstärke wird deutlich, dass bei einer schnellen Verbreitung von LKW-Platoons Maßnahmen erforderlich werden. Bei einer Marktdurchdringung von ca. 40 % würden spurgenaue Platoons bereits die aufnehmbaren Lastwechsel der LK82 überschreiten, was zu einer vorzeitigen Ermüdung des Oberbaus führen würde. Dem kann entweder durch einen verpflichtenden Spurversatz von > 0,5 m vorgebeugt werden oder durch ein Verkehrsmanagement, dass nur einen maximalen Anteil von 40 % LKW-Platoons zulässt. Dreht man die Betrachtung um und ermittelt auf Basis der maximal aufnehmbaren Normlastwechsel die strukturelle Lebensdauer, ist auch in diesem Szenario bei den Auftretenswahrscheinlichkeiten keine Verkürzung der strukturellen Lebensdauer anzunehmen. Im Spurversatz ergibt sich auch bei 100 % LKW-Platoons noch keine Verkürzung. Bei spurgenauen Platoons besteht ab ca. 35 % (3er Platoon) bzw. 40 % (2er Platoon) Handlungsbedarf in Form von Beschränkungen, oder die strukturelle Lebensdauer beginnt auf bis zu 20 Jahre bei 100 % Marktdurchdringung zu sinken. Abbildung 6: Strukturelle Lebensdauer in Abhängigkeit der Marktdurchdringung für die 4 Platooning Szenarien Zusammenfassend zeigen diese exemplarischen Berechnungen, dass bei einem ausreichenden Puffer innerhalb der Lastklasse bei langsamer Marktdurchdringung keine Einschränkungen zu erwarten sind. Unterdimensionierungen und das Ausreizen der Toleranzbereiche sind hingegen nicht empfehlenswert. LKW-Platoons und ihre Auswirkungen auf den Straßenoberbau 366 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 3. Berücksichtigung von LKW-Platooning bei PMS und Lebenszyklusanalyse Die Prognose des Straßenzustandes für die unterschiedlichen RVS-relevanten Zustandsmerkmale - Spurrinnen, Längsebenheit, Griffigkeit, Risse und Oberflächenschäden wird auf Basis des PMS für das ganze ASFINAG Netz standardisiert durchgeführt um unter Verwendung von budgetären Grenzwerten die optimalen Erhaltungsmaßnahmen auf jedem untersuchten Streckenabschnitt abzuschätzen. Internationale Studien legen nun nahe, dass sich durch LKW-Platooning negative Effekte auf das Zustandsmerkmal Spurrinnenbildung ergeben könnten bzw. Ermüdung bereits vor dem Ende der Bemessungsdauer eintreten kann. Dies betrifft spurgenaues LKW-Platooning. (Gungor und Al-Qadi 2020a; Chen et al. 2019; Bouchihati 2020) Aktuelle Studien kommen jedoch auch zu dem Schluss, dass Platooning nicht nur eine erhöhte Belastung für den Oberbau bedeuten muss, sondern die Vernetzung der LKW auch eine Chance darstellt. Demzufolge kann durch die Möglichkeit von kontrollierter Spurvariation der kanalisierte Lastwechsel von spurgenauen Platoons aufgebrochen und gesteuert so variiert werden, dass sich kein negativer Effekt auf den Oberbau durch Platooning ergibt und des Weiteren das potentielle Problem sogar zu einer Chance für Kosteneinsparung werden kann (Gungor und Al-Qadi 2020b, 2020a). In diesen Studien werden mit FEM theoretische Berechnungen angestellt, die zu überraschend hohen Einsparungspotentialen von bis zu 50 %, in Abhängigkeit von Oberbaustärke und Gesamtverkehrsbelastung, kommen. Diese Ergebnisse sind äußerst interessant, gehen jedoch von weit in der Zukunft liegenden Rahmenbedingungen aus, bei denen der gesamte Schwerverkehr in optimal gesteuertem Spurversatz fährt. Diese Ansätze sind auch für Österreich interessant und verfolgenswert, entsprechen aber nicht dem praktischen Ansatz dieses Projektes, in dem Aussagen für die nächsten Jahre getroffen werden sollen. Gemeinsam mit der ASFINAG wurden repräsentative Streckenabschnitte ausgesucht, die hinsichtlich ihrer Eignung für Platooning bewertet bzw. hinsichtlich Auswirkungen auf ihre Lebenszyklusentwicklung abgeschätzt wurden. Zur Einschätzung des Zustands und der Eignung eines Streckenabschnitts für Platooning sind eine Reihe von Werten relevant. Neben der Verformungsbeständigkeit des Oberbaus, die sich vorrangig durch die Verformungsbeständigkeit der Deck- und Binderschicht ergibt, ist die strukturelle Widerstandsfähigkeit der Tragschichten gegen Ermüdung wichtig, um eine Aussage über die weitere Belastbarkeit treffen zu können. Dafür sind vor allem Alter und Auslastung der Bemessung (über- oder unterdimensioniert) relevant. Zusätzlich muss die bereits vorhandene Spurrinnentiefe in die Bewertung miteinbezogen werden. Dazu sollten also die folgenden Daten und Parameter für eine Einschätzung zur Platooningfähigkeit auf Basis des aktuellen Straßenzustands (Daten aus dem PMS der ASFINAG) analysiert werden: • Aufbau, Bautype und Alter • Belastung (Verkehr und Verkehrsbelastungskoeffizient) • Zustandsmerkmal Spurrinnen (Vorhandene Spurrinnentiefe) • Verformungsbeständigkeit der verbauten Deck- und Binderschicht Für die Prognose wurde auf die deterministisch-empirischen Zustandsprognosemodelle für das Zustandsmerkmal Spurrinnen zurückgegriffen, das auf den empirischen Daten, die in den Zustandserfassungen am ASFINAG- Netz erfasst und dokumentiert wurden basiert. Das Prognosemodell der Spurrinnen befindet sich derzeit gerade in Überarbeitung und konnte für das Projekt leider noch nicht zur Verfügung gestellt werden. Deswegen wurden die Berechnungen auf Basis des Prognosemodells von 2016 (Weninger-Vycudil et al. 2016) durchgeführt. Die Verhaltensfunktion Spurrinnen wird über das Alter der Decke und die kumulierten Normlastwechsel definiert. Das folgende deterministisch-empirisches Zustandsprognosemodell kommt aktuell zur Anwendung: (Weninger- Vycudil et al. 2016) Analog zur Oberbaubemessung finden kumulierte Normlastwechsel Eingang in die Verhaltensfunktionen. Um LKW-Platoons in der Verhaltensfunktion zu berücksichtigen werden daher die vorgeschlagenen Äquivalenzfaktoren für LKW-Platoons sowie die Spurvariationsfaktoren auch in der Verhaltensfunktion angewendet und so die erwarteten Normlastwechsel für unterschiedliche Platooning Szenarien berücksichtig. Wie auch in der Oberbaubemessung stellt die größte Unbekannte, die jedoch einen wesentlichen Einfluss hat, die Marktdurchdringung der LKW-Platoons dar. LKW-Platoons und ihre Auswirkungen auf den Straßenoberbau 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 367 Während in der Oberbaubemessung eine durchschnittliche Marktdurchdringung über die gesamte Bemessungsdauer zur Anwendung gekommen ist, werden für die Verhaltensfunktionen folgende unterschiedliche Marktdurchdringungsszenarien berechnet. • Base Case: Kein Platooning • Medium Case: Einführung Platooning ab dem Jahr 2022 mit einem Marktanteil von 5 % und einer folgenden weiteren jährlichen Verlagerung von 3 % hin zu Platooning. • High Case: Einführung Platooning ab dem Jahr 2022 mit einem Marktanteil von 10 % und einer folgenden weiteren jährlichen Verlagerung von 5 % hin zu Platooning In der folgenden Tabelle sind die Szenarien, die für die ausgewählten Bestandsabschnitte berechnet werden, noch einmal als Matrix dargestellt. Tabelle 4: Berechnungsszenarien Bestandsabschnitte Medium Case High Case Kein Platooning - - 2er Platoon spurgenau 3er Platoon spurgenau 2er oder 3er Platoon mit Spurversatz 0,5m 2er oder 3er Platoon mit Spurversatz 1,0m Platooning Start: 2022 Startjahr: 5% Steigerung/ Jahr: +3% (max. 80%) Platooning Start: 2022 Startjahr: 10% Steigerung/ Jahr: +5% (max. 80%) Platooning Szenario Wichtig dabei ist, dass in diesem Projekt von einer reinen Verlagerung des Gesamtschwerverkehrsaufkommens von einzelnen LKW hin zu LKW-Platoons bei gleichbleibender Gesamtverkehrsbelastung ausgegangen wird. Sollten die dadurch freiwerdenden Kapazitäten jedoch von zusätzlichem Schwerverkehr aufgefüllt werden, kann sich ein ganz anderes Bild ergeben. Gemeinsam mit der ASFINAG wurden vier Streckenabschnitte ausgewählt, die wie beschrieben hinsichtlich ihrer Eignung für Platooning analysiert werden. Abbildung 7: Ausgewählte Bestandsabschnitte Exemplarisch werden nachfolgend die Ergebnisse anhand des Abschnittes A8 Schärding - Suben dargestellt. Der Autobahnabschnitt zwischen Schärding und Suben auf der A8 stellt einen bereits recht alten Asphaltbautyp dar. In nachfolgender Tabelle sind die aktuellen Zustandsdaten zusammengefasst: LKW-Platoons und ihre Auswirkungen auf den Straßenoberbau 368 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Tabelle 5: Bestandsdaten A8 Daten A8 Ort Fahrtrichtung Suben von bis Ort - Suben von bis [km] km 69,1 km 74,9 Aufbau Gebundener Aufbau 3 cm SMA S1, 1997 6 cm AC Binder, 1997 8 cm AC Binder, 1997 14 cm AC Trag T1, 1985 Bautype PMS BT14_V (AS_V) Bautype 1-4 Verstaerkung Gesamtdicke gebundener Schichten [cm] 31 Alter Letzte Sanierung [Jahr] 1997 Rechnerisches Oberbaujahr 1992 Belastung JDTLV 2017 (max. Wert in Abschnitt) [-] 4513 Österreichische Tragfähigkeitszahl 19,52 Verkehrsbelastungskoeffizient [-] 3 Zustand Spurrinnen 1.FS Zustandsgröße (ZG) Spurrinnen max. [mm] 12,6 Zustandswert (ZW) Spurrinnen max. [-] 3,2 Zustandsgröße (ZG) Spurrinnen Æ [mm] 5,0 Zustandswert (ZW) Spurrinnen Æ [-] 1,9 Erhebungsjahr Spurrinnen 2014 Verformungsbeständigkeit Deckschicht gut Mit einem Verkehrsbelastungskoeffizienten von 3,0 ist die Strecke deutlich überdimensioniert und strukturell nach 23 Jahren noch gut belastungsfähig. Der maximale Zustandswert für Spurrinnen ist mit 3,2 zwar noch in Ordnung, liegt jedoch bereits nahe am Warnwert, was bei diesem Alter nicht überraschend ist. Dieser Wert 3,2 stellt aber eine punktuelle Schwäche in einem Abschnitt dar. Aus diesem Grund wird für die weitere Betrachtung der durchschnittliche Wert von 1,9, der noch in einem durchaus guten Bereich ist, genutzt. Für die Verhaltensfunktion des Zustandsmerkmals Spurrinnen für die verschiedenen Platooning Szenarien und Marktdurchdringung ergeben sich folgende Werte für die Berechnung: LKW-Platoons und ihre Auswirkungen auf den Straßenoberbau 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 369 Tabelle 6: Parameter für Verhaltensfunktion Spurrinnen A8 Parameter Werte JDTLV Kollektiv 4513 Erhebungsjahr 2017 Äi= abh. von Szenario Verkehrsstärke je Richtungsfahrbahn getrennt ja R= 1,00 Anzahl Fahrstreifen 2 V = 1,00 Fahrstreifenbreite 3,75 S = abh. von Szenario Jährl. Zuwachsrate 1,49 % zt = 1,49 % Kalibrierfaktor SMA KFSR= 0,30 Letzte Messung 2014 AlterDecke,Messung= 17 Modellparameter a BT14_V (AS_V) a = 0,7183 Modellparameter b BT14_V (AS_V) b = 0,0159 Unter Verwendung des errechneten Kalibrierfaktors von 0,30 und der angenommenen Äquivalenzfaktoren sowie Spurvariationsfaktoren für die verschiedenen Platooning Szenarien zeigt sich im nachfolgenden Diagramm, dass im belastungsintensivsten Fall der spurgenauen 3er Platoons mit hoher Marktdurchdringung (High Case) der Warnwert zwar 7 Jahre früher als in einem Verlauf ohne Platooning erreicht wird, dies jedoch erst nach 38 Jahren (im Jahr 2042) geschieht. Ein Spurversatz von 1,0 m ist in diesem Streckenabschnitt aufgrund der durchschnittlichen Fahrstreifenbreite von 3,75m nicht möglich und wird daher nicht dargestellt. Die Lebensdauer der Deckschichten wird jedoch bekannterweise durch alle Zustandsmerkmale gemeinsam bestimmt und variiert stark in Abhängigkeit von Belastung und Widerstandsfähigkeit. Deswegen ist es auch schwierig eine durchschnittliche Lebensdauer einer Deckschicht anzugeben. Die im Diagramm angegeben 25 Jahre stellen bereits eine sehr lange Lebensdauer für eine bituminöse Deckschicht dar. Im Falle des Streckenabschnitts auf der A8 kann zusammenfassend gesagt werden, dass eine Sanierung und der Austausch der Deckschicht nicht erst durch das Zustandsmerkmal Spurrinnen ausgelöst, sondern bereits lange vor Erreichen eines Spurrinnen-Warnwertes in wenigen Jahren erforderlich sein wird. Abbildung 8: Verhaltensfunktion Spurrinnen A8 LKW-Platoons und ihre Auswirkungen auf den Straßenoberbau 370 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Die hier betrachteten LKW-Platoons mit geplanten Fahrzeugabständen von 10 bis 15 m sind nicht sehr weit von den Abständen in LKW-Kolonnen im frei fahrenden Verkehrsablauf entfernt. Deshalb ist mit den zu erwartenden Marktdurchdringungsraten in naher Zukunft nicht davon auszugehen, dass sich die Auswirkungen bei gleichbleibenden Gesamtverkehrslasten signifikant verändern. Dies gilt allerdings nur solange, als durch die Anwendung des Platoonings nicht in der Folge die Gesamtanzahl des Schwerverkehrs auch erhöht wird, d.h. die Bemessungsverkehrsbelastung (Anzahl der Gesamtnormlastwechsel) erhöht wird. Im PMS wird daher vor allem empfohlen die Zustandsmessungsergebnisse für Spurrinnen kritisch hinsichtlich verstärkter Wirkungen zu beobachten, um auf mögliche Abweichungen zu den üblichen Zustandsentwicklungen (Abweichungen von den Verhaltensfunktionen) zu reagieren. Es ist unbestritten, dass spurgenaue LKW-Platoons die Spurrinnenbildung begünstigen. Wie die Analysen der Bestandsstreckenabschnitte jedoch gezeigt haben, ist die Spurrinnenbildung erst ab einem hohen SV Anteil ein maßgebliches Zustandsmerkmal, während ansonsten Deckschichtsanierungen eher durch andere Zustandsmerkmale, wie z. B. Griffigkeit, ausgelöst werden. Auf solchen Streckenabschnitten mit hohem SV-Anteil, sind meist aber verformungsbeständige Aufbauten aus Beton verbaut. Mit einem kontinuierlichen Monitoring, wie es durch das PMS am ASFINAG-Netz umgesetzt wird, ist bereits der wichtigste Schritt getan. Überschreitungen von Warnwerten beim Zustandsmerkmal Spurrinnen sollten unmittelbar entweder zu einer Sanierung oder zu Beschränkungen für Platoons führen. Ebenso ist es essentiell gerade auch mit der allgemeinen zunehmenden Schwerverkehrsbelastung auf dem hochrangigen Straßennetz, den Verkehrsbelastungskoeffizient zu monitoren und auf Strecken mit LKW-Platooning ein besonderes Augenmerk darauf zu legen, um bereits vor dem Erreichen des Dimensionierungswertes entweder Maßnahmen durch das Verkehrsmanagement zu setzen oder die Erhaltungsplanung entsprechend darauf vorzubereiten. Durch die Vernetzung der LKW-Platoons und den damit verbundenen Möglichkeiten eines kontrollierten Spurversatzes entsteht die Möglichkeit die Verkehrsbelastung auf den gesamten verfügbaren Querschnitt zu verteilen und so die Widerstandsseite optimal zu nutzen. Gerade aus Sicht des PMS ergeben sich daraus Möglichkeiten für effektive Einsparungen, die künftig weiter untersucht werden sollten. 4. Zusammenfassung Aus den ersten groben Berechnungen hinsichtlich der Berücksichtigung von LKW-Platoons bei Neubau und Sanierung als auch im Erhaltungsmanagement des Straßenoberbaus ist aus heutiger Sicht innerhalb der Rahmenbedingungen wie sie für dieses Projekt definiert wurden, nicht davon auszugehen, dass sich große Auswirkungen auf die Bemessung ergeben. Dennoch ergeben sich einige Empfehlungen zu Maßnahmen und neuen Prozessen rund um die Oberbaudimensionierung bei Neubau und Sanierung. Während zu Projektbeginn noch keine publizierten Forschungsergebnisse zu genau dieser Forschungsfrage vorlagen, zeigt der hier umfassend zusammengefasste Stand der Technik, dass diese Frage mittlerweile auch international betrachtet wird. Die Ergebnisse sind dabei abhängig von den gewählten Rahmenbedingungen breit gestreut. Geringe Bedenken hinsichtlich des Oberbaus bestehen bei einer kurzfristig absehbaren sehr geringen Marktdurchdringung ohne Erhöhung der Gesamtverkehrsstärke und Belastung (Jermann et al. 2017; Ulrich et al. 2020; Bouchihati 2020). Andere Studien, die ein sehr fortschrittliches Szenario abbilden, in dem das gesamte Schwerverkehrskollektiv durch autonome, vernetzte Platoons ersetzt wird gehen bei spurgenauem Fahren von deutlich früherem Erreichen der Warnwerte für Spurrinnen und deutlich früherer Ermüdung aus. (Chen et al. 2019; Gungor und Al-Qadi 2020a, 2020b) Dieselben Studien kommen jedoch auch zu dem Schluss, dass Platooning nicht nur eine erhöhte Belastung für den Oberbau bedeuten muss, sondern gerade durch die Vernetzung der LKW und der damit verbundenen Möglichkeit gezielter Spurvariation sogar eine Chance für eine ebenso deutlich höhere Lebensdauer des Oberbaus. Wichtig dabei ist, dass es sich um theoretische Betrachtungen handelt, die von 100% LKW-Platoons mit kontrolliertem Spurversatz ausgehen und nur in so einem Zukunftsszenario Einsparungen bis 50 % der Oberbauerhaltungskosten bei gezieltem Spurversatz im Vergleichszeitraum möglich sind. (Gungor und Al-Qadi 2020a, 2020b) Während ein gezielter Spurversatz möglicherweise vielversprechend sein könnte, müssten derartige Studien einem harten Praxistest für österreichische Autobahnen unterzogen werden. Vernachlässigbare Auswirkungen auf die Oberbaudimensionierung bei Sanierung, Neu- und Ausbau Um LKW-Platoons in der Bemessung des Oberbaus bei Neubau- und Sanierungsprojekten im ASFINAG Netz zu berücksichtigen wurde ein simplifiziertes Berechnungsmodell auf Basis der Methodik der RVS03.08.63 erstellt. Dafür wurden neue Äquivalenzfaktoren eingeführt um die hier behandelten LKW-Platoons (2-3 LKW im Abstand von 10-15 m mit variierendem Spurversatz) abzubilden und Parameter um den Spurversatz entsprechend zu berücksichtigen. Die exemplarischen Berechnungen zeigen, dass bei der zu erwartenden Marktdurchdringung von 10 % in den kommenden Jahren nur geringfügig, höhere Belastungen auftreten, die jedoch keine Auswirkung auf die Dimensionierung haben. Ein Spurversatz von 0,50m wäre grundsätzlich zu begrüßen und ist auch gem. der Ergebnisse in AP3 aus Treibstoffeinsparungssicht effektiv. Größere Spurversätze wären auf Grund der verfügbaren Fahrstreifenbreiten tatsächlich ohnehin nur in einem geringen Teil des ASFINAG Netzes realisierbar. Für Sanierung und LKW-Platoons und ihre Auswirkungen auf den Straßenoberbau 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 371 Ausbau von LKW-intensiven Strecken wird dennoch auch die rechnerische Dimensionierung gem. RVS 03.08.68 empfohlen, um dabei das Schwerverkehrskollektiv besser abzubilden und auch innovative, verformungsbeständige Mischgüter zum Einsatz zu bringen. Eine grundsätzliche Empfehlung für schwerverkehrsintensive Strecken, um der Spurrinnenbildung vorzubeugen, ist der Einbau von verformungsbeständigen Deck- und Binderschichten oder Betonfahrbahnen. Erhaltungsmanagement durch Monitoring und Beschränkungen mittels Verkehrsmanagements Auch in der Lebenszyklusbetrachtung sind mit den prognostizierten langsam eingeführten Szenarien von LKW-Platoons, gerade auch auf Grund des immer noch großzügigen Abstands von 10-15 m, keine signifikanten Verkürzungen der Strukturellen- oder der Gebrauchsdauer zu erwarten. Im PMS sollten Streckenabschnitte auf denen LKW-Platooning zum Einsatz kommt, sofort bei Erreichen des Warnwertes für Spurrinnen saniert und verformungsbeständige Deckschichten eingebaut werden. Ansonsten sollten Beschränkungen solcher Abschnitte durch das Verkehrsmanagement vorbereitet werden. Dasselbe gilt für Abschnitte die bereits aufgrund eines Verkehrsbelastungskoeffizients unter 1 als unterdimensioniert zu betrachten sind. Conclusio Grundsätzlich ist zu beachten, dass im vorliegenden Bericht lediglich eine modellhafte Sensitivitätsanalyse dargestellt werden kann, da die Rahmenbedingungen einer Markteinführung von LKW-Platooning noch unklar sind. Alle in dem Projekt durchgeführten Validierungsfahrten wurden auf geschlossenem Testgelände (Zalazone, Ungarn) durchgeführt. Fahrten im Platoon auf öffentlicher Straße waren nicht möglich, da die StVO einen Mindestabstand von 50 Metern zwischen LKW vorgibt. Bei einer Einführung von LKW-Platooning muss insbesondere die Entwicklung des Gesamtschwerverkehrskollektivs genau beobachtet werden. In diesem Projekt wird von einer reinen Verlagerung des Gesamtschwerverkehrsaufkommens von einzelnen LKW hin zu LKW- Platoons bei gleichbleibender Gesamtverkehrsbelastung ausgegangen. Sollten die dadurch freiwerdenden Kapazitäten jedoch von zusätzlichem Schwerverkehr gefüllt werden, kann sich ein ganz anderes Bild ergeben. Aus jetziger Sicht ist jedoch nicht davon auszugehen, dass mit signifikant erhöhten Schadensauswirkungen durch LKW-Platoons zu rechnen ist, aber der allgemeine Anstieg des Schwerverkehrs stärkere Auswirkungen haben könnte, als die bloße Einführung von Platooning. Da sich die Marktdurchdringung graduell entwickeln wird und gleichzeitig der Entwicklungsgrad von Vernetzungsmöglichkeiten (V2V als auch V2I) steigt, ergeben sich Möglichkeiten für zentralisierte (V2I durch Verkehrsmanagement), als auch dezentralisiert (V2V Spurversatzregelung zwischen Fahrzeugen) Spurversatzsteuerungen, die eine potentielle zukünftige Schonung des Straßenoberbaus möglich machen können. Eine unkontrollierte Implementierung von Platooning kann jedoch durchaus zu stärkeren Schäden führen. Eine fortlaufende Analyse von Oberbauoptimierten LKW-Platoon Layouts und der Möglichkeiten einer zentralisierten Steuerung des Spurversatzes mittels V2I Vernetzung wird empfohlen um das Potential eines positiven Einflusses auf die Lebensdauer des Straßenoberbaus auf lange Sicht zu realisieren. Literaturverzeichnis [1] Aigner, Walter; Kulmala, Risto; Ulrich, Sandra (2019): Vehicle fleet penetrations and ODD coverage of NRA-relevant automation functions up to 2040. MANTRA: Making full use of Automation for National Transport and Road Authorities - NRA Core Business, Deliverable 2.1. [2] Blab, Roland; Eberhardsteiner, Lukas; Haselbauer, Katrin; Marchart, Bettina; Hessmann, Torsten (2014): OBESTO. Implementierung des GVO und LCCA-Ansatzes in die österreichische Bemessungsmethode für Straßenoberbauten. Bericht für die ASFINAG, FFG Projektnummer 2824558, zuletzt geprüft am 18.09.2019. [3] Bouchihati, Mohamed el (2020): The impact of truck platooning on the pavement structure of Dutch Motorways. TU Delft, zuletzt geprüft am 30.06.2020. [4] Chen, Feng; Song, Mingtao; Ma, Xiaoxiang; Zhu, Xingyi (2019): Assess the impacts of different autonomous trucks’ lateral control modes on asphalt pavement performance. In: Transportation Research Part C: Emerging Technologies 103, S. 17-29. DOI: 10.1016/ j.trc.2019.04.001. [5] Devesa, Antoine; Indinger, Thomas (2011): Verbrauchsreduktion an Nutzfahrzeugkombinationen durch aerodynamische Maßnahmen. FAT-Schriftenreihe 237, zuletzt geprüft am 24.06.2020. [6] Gungor, Osman Erman; Al-Qadi, Imad L. (2020a): All for one: Centralized optimization of truck platoons to improve roadway infrastructure sustainability. In: Transportation Research Part C: Emerging Technologies 114, S. 84-98. DOI: 10.1016/ j. trc.2020.02.002. [7] Gungor, Osman Erman; Al-Qadi, Imad L. (2020b): Wander 2D: a flexible pavement design framework for autonomous and connected trucks. In: International Journal of Pavement Engineering, S. 1-16. DOI: 10.1080/ 10298436.2020.1735636. [8] Jermann, Jörg; Oehry, Bernhard; Bosch, Ralf; Schmid, Thomas; Gasser, Yves; van Driel, Cornelie; Kryeziu, Gzim (2017): Chancen und Risiken des Einsatzes von Abstandshaltesystemen sowie des Platoonings von Strassenfahrzeugen - Machbarkeitsanalyse. Basel, zuletzt geprüft am 08.03.2019. [9] PMS Consult (2019): PMS Daten für die ausgewählten Streckenabschnitte. Bautyp, Schichtenzusammensetzung, Zustand, Verkehrsstärke LKW-Platoons und ihre Auswirkungen auf den Straßenoberbau 372 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 [10] Ulrich, Sandra; Kulmala, Risto; Appel, Kristian; Aigner, Walter; Penttinen, Merja (2020): Consequences of automation functions to infrastructure. MANTRA: Making full use of Automation for National Transport and Road Authorities - NRA Core Business, Deliverable 4.2. [11] Ulrich, Sandra; Reisenbichler, David; Fürst, Carolin, Kühn, Nicolas (2020): Projekt Spurvariation, Auswirkungen von LKW Platoons auf den Oberbau, Deliverable D4.2, [12] Weninger-Vycudil, Alfred; Brozek, Barbara; Litzka, Johann; Petschacher, Martin; Maerschalk, Günther (2014): Erhaltungsziel Integraler Substanzwert im Anlagenmanagement der ASFINAG, zuletzt geprüft am 03.09.2019. [13] Weninger-Vycudil, Alfred; Brozek, Barbara; Simanek, Petra; Litzka, Johann (2016): Handbuch Pavement Management in Österreich 2016. Digitale Prozesse 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 375 Auswirkung der Digitalisierung auf Infrastrukturmaßnahmen Wo fängt die Digitalisierung an und in welchen Bereichen werden Infrastrukturmaßnahmen davon beeinflusst? Welchen Einfluss hat die Standardisierung auf die Digitalisierung? Wieviel Standardisierung benötigt die Digitalisierung? Rebecca Probst Konstruktionsgruppe Bauen AG, Kempten, Deutschland Martin Seitner Konstruktionsgruppe Bauen AG, Kempten, Deutschland Zusammenfassung Die Digitalisierung von Verkehrsinfrastrukturen und der Einsatz der BIM-Methode liefern transparente Daten für Entscheidungsgrundlagen. Um daraus auch die Prüf- und Genehmigungsprozesse beschleunigen zu können, bedarf es neben der Software, fähigem Personal und neuen Prozessen vor allem Standards. Diese sind vor allem für die Nutzung von Informationen über den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks wesentlich, denn erst standardisierte, strukturierte und maschinenlesbare Daten ermöglichen den Einsatz von maschinellem Lernen und automatisierter Datenverarbeitung. Dabei können die sogenannten digitalen Zwillinge eines Bauwerks durch die automatisierte Verarbeitung von Punktwolkendaten von Bestandsmodellen erzeugt werden, oder durch digitale Planungsmethoden und die Anreicherung von Daten in der Planungs- und Bauphase zu Bestandsmodellen generiert werden. Durch standardisierte Daten können Erhaltungsmaßnahmen bauwerksübergreifend betrachtet und neue Zusammenhänge ermittelt werden, um diese vorausschauend zu steuern, die Lebensdauern zu verlängern und ressourcen- und klimaschonende Aspekte zu beachten. Auswirkung der Digitalisierung auf Infrastrukturmaßnahmen 376 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 1. Building Information Modeling In der Baubranche wird Digitalisierung oft mit Building Information Modeling (kurz BIM) gleichgesetzt. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur definiert BIM als eine kooperative Arbeitsmethodik, mit der auf der Grundlage digitaler Modelle eines Bauwerks die für seinen Lebenszyklus relevanten Informationen und Daten konsistent erfasst, verwaltet und in einer transparenten Kommunikation zwischen den Beteiligten ausgetauscht oder für die weitere Bearbeitung übergeben werden. Im Mittelpunkt dieser Methode steht ein virtuelles 3D-Bauwerksmodell, welches neben geometrischen und topologischen auch semantische Informationen beinhaltet. Das Bauwerksmodell kann für viele Anwendungsfälle in der Planungs-, Ausführungs- und Betriebsphase verwendet werden und führt zu einer erheblichen Effizienz- und Qualitätssteigerung in allen Lebenszyklusphasen einer Infrastruktur. Die Digitalisierung von Infrastrukturmaßnahmen beginnt jedoch bereits bevor ein Modell entsteht und entwickelt vor allem in der Betriebs- und Erhaltungsphase erhebliche Potenziale. Abbildung 1: Building Information Modeling (BIM) (Quelle: Konstruktionsgruppe Bauen AG) 2. Herausforderungen in Verkehrsinfrastrukturprojekten Verkehrsinfrastrukturbauwerke sind im Gegensatz zu Hochbauten stark mit ihrer Umwelt vernetzt und müssen so auch im Gesamtkontext betrachtet werden. Infrastrukturprojekte sind entsprechend weitläufig und bestehen aus in Abhängigkeit zueinander stehenden, verschiedenartigsten Bauwerksstrukturen wie den linienförmigen Strecken, den punktförmigen Brücken und dem flächenförmigen Gelände. Während der Bauphase wandert zudem die Baustelle kontinuierlich entlang der Strecke und stellt somit hohe Anforderungen an die geographische Lage der Plandaten. Weiterhin wechseln Infrastrukturprojekte in der Lebenszyklusbetrachtung eines Bauwerkes häufig die Zuständigkeiten in der Verwaltung auch wenn diese letztendendes in einer Hand bleiben. Dennoch ist der Ablauf solcher Projekte von der Idee bis zum Abriss in zahlreichen Regelwerke, Standards, Normen und Richtlinien definiert und werden im konventionellen Planungsprozess auch entsprechend umgesetzt. 3. Digitalisierung und Standardisierung Die Digitalisierung ist der Wandel von analogen Prozessen hin zu digitalen Prozessen. Die Digitalisierung in Baubranche ist kein IT-Thema, sondern trifft alle Bereiche, in denen durch die Digitalisierung neue Produkte, neue Prozesse und neue Wege entstehen. Ein wesentlicher Mehrwert der Digitalisierung von Infrastrukturprojekten entsteht erst in der Verwendung gleicher Informationen über den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks hinweg. Um dies über alle Lebenszyklusphasen zu nutzen sind einheitliche Datenstrukturen über alle Phasen sowie alle Bauwerke einer Verwaltungseinheit, unerlässlich. Um dies gewährleisten zu können, ist es erforderlich nach einheitlichen Standards zu arbeiten und auch die Abbildung 2: Verkehrsinfrastrukturmodell (Quelle: Konstruktionsgruppe Bauen AG) Auswirkung der Digitalisierung auf Infrastrukturmaßnahmen 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 377 vorhandenen Standards in das digitale Zeitalter zu heben. Dabei ist es wesentlich auch die Prozesse aller Projektbeteiligten, vom Bauherrn über die Planer, die ausführenden Unternehmen, die Genehmigungsbehörden, die Prüfingenieure, die Projektsteuerer bis hin zum Bauleiter und den Betrieb zu betrachten. Erst die standardisierten, strukturierten und maschinenlesbare Daten ermöglichen die Anwendung von automatisierten Prozessen, Machine Learnig Verfahren, DataMining und den Einsatz von künstlicher Intelligenz. So können Zusammenhänge und Muster automatisiert erkannt werden und durch den ingenieurtechnischen Sachverstand bewertet werden. Erhaltungsmaßnahmen können vorausschauend gesteuert, Lebensdauern der Bauwerke verlängert und ressourcen- und klimaschonende Aspekte beachtet und Maßnahmen optimiert geplant werden. Im Zuge verschiedener Forschungsprojekte werden die Anforderungen an die Standardisierung von digitalen Projekten untersucht. 4. Digitalisierung im Lebenszyklus Die Digitalisierung von Bauprojekten beginnt bereits bei der ersten Projektidee. Vor allem in der Projektvorbereitung werden wesentliche Grundlagen für die Digitalisierung eines Infrastrukturprojektes gelegt. In dieser Phase werden die Datenstrukturen definiert, Koordinationsprozesse, Ablagestrukturen und Projektplattformen aufgesetzt und implementiert und die digitalen Aspekte in den Ausschreibungen berücksichtigt. Um die Informationen allen Projektbeteiligten redundanzfrei und transparent zur Verfügung zu stellen werden diese in 3D-Modellen und damit verknüpften Datenbanken auf einer Projektplattform zentral gespeichert. In einem kooperativen, modellbasierten Planungsprozess werden die relevanten Daten und Informationen konsistent erfasst, verwaltet und transparent ausgetauscht. Eine große Herausforderung stellt hier derzeit noch die Diskrepanz zwischen den geltenden Regelwerken und den Möglichkeiten digitaler Prozesse dar. So werden beispielsweise Plandarstellungen von Bauwerksentwürfen in den Richtlinien RAB-ING bzw. RE 2012 detailliert beschrieben. Die BIM-Methode bietet jedoch neue Möglichkeiten einen Bauwerksentwurf ohne Pläne darzustellen. Wichtig zu betrachten ist dennoch, dass auch modellbasierte Darstellungen vergleichbar geprüft und weiter bearbeitet werden müssen. Dafür ist es erforderlich, dass es auch die digitalen Planungsergebnisse soweit standardisiert werden, dass auch die Prüfprozesse digitalisiert, standardisiert und ggf. teilautomatisiert werden können. Für die Übergabe von Planungsdaten in die Ausführungsphase werden standardisierte Daten erforderlich, um so die Prozesse der ausführenden Firmen, der Bauoberleitung und Bauüberwachung sowie aller weiterer Projektbeteiligten über alle Projekte hinweg vereinheitlichen zu können. Bei den ausführenden Firmen hebt die Digitalisierung den Mehrwert vor allem in der Vorfertigung von Bauteilen und der optimierten Steuerung ihrer Baumaschinen. Dafür dienen die BIM-Modelle aus der Planungsphase als Grundlage. Die vernetzten Daten zwischen Baumaschinen und digitalen Modellen ermöglichen eine optimierte Ausführungsqualität und effiziente Prozesse. Über Cloud Computing wird die Vernetzung von Informationen mit beispielsweise Echtzeitinformationen von Baumaschinen genutzt, um Bauprozesse zu optimieren. Abbildung 3: Gründe für die Lebenszyklusbetrachtung von Bauwerke (Quelle: Konstruktionsgruppe Bauen AG) Auswirkung der Digitalisierung auf Infrastrukturmaßnahmen 378 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Die wandernden Baustellen stellen eine Herausforderung für die konsequente, sichere Überwachung des gesamten Baugeschehens sowie der Dokumentation dar. Mit Hilfe von Drohnen können diese Herausforderungen bewältigt und in einen digitalen Prozess integriert werden. Die Modelldaten dienen als Grundlage für die Flugruten. Die Aufnahmen können so am Modell verortet und mit den Modelldaten verknüpft werden. Durch die strukturierte und analysierbare Datenbasis der digitalen Bauwerksmodelle welche im Zuge von BIM- Projekten in der Planungs-und Bauphase entstehen ergeben sich für die Betreiber von Infrastrukturbauwerken enorme Vorteile. So bilden diese zum einen eine gute Grundlage für die Bewertung des Bauwerkszustandes mit Hilfe von probabilistischen Methoden. Voraussetzung dafür sind auch hier einheitlich strukturierte Daten. Das digitale Bauwerksmodell stelle in erster Linie die 3D-Geometrie aller Bauteile zur Verfügung, was die Verortung von Schädigungen, das Anheften von Photographien und die Visualisierung des ermittelten Zustands ermöglicht. Werden die Daten zusätzlich mit zeitlichen Informationen verknüpft, entsteht ein 4D-Modell, welches hervorragend geeignet ist, um die Schadens- und Zustandsentwicklung des Bauwerks über gewählte Zeiträume wiederzugeben. Über die semantische Klassifizierung der einzelnen Bauteile und der Verknüpfung mit weiteren Attributen könne alle für das Erhaltungsmanagement notwendigen Informationen im BIM-Modell hinterlegt werden. Im Zuge des Forschungsprojekts „Building Information Modeling (BIM) im Brückenbau“ das von der Technischen Universität München und der Konstruktionsgruppe Bauen im Auftrag der BASt durchgeführt wird, werden konkrete Anforderungen an digitale as-built Modelle zum Einsatz im BIM-gestützten Erhaltungsmanagement erarbeitet. Hier wird neben den semantischen Anforderungen auch berücksichtig, welche geometrische Genauigkeit ein as-built Modell aufweisen muss, um in verschiedenen Anwendungsfällen eingesetzt werden zu können. Dies bildet einen weiteren Baustein zu Definition von Standards digitaler Prozesse im Bauwesen. Zusätzlich zur reinen Digitalisierung bestehender Prozesse könne durch die Verwaltung und Vernetzung der Daten über das gesamte Projektportfolio neue Zusammenhänge ermittelt werden. So können beispielsweise mit Hilfe von neuronalen Netzen erwartete Schädigungen zu bestimmten Zeitpunkten sowie die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Schädigungsprozessen ermittelt und erfasst werden. Abbildung 4: Digitalisierung im Lebenszyklus von Infrastrukturprojekten (Quelle: Konstruktionsgruppe Bauen AG) 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 379 Digitalisierung im Bereich Betrieb und Erhaltung von Autobahnen - App-gestütztes Asset Management Dipl.-Ing., MBA Tobias Kupfer HOCHTIEF PPP Solutions GmbH, Essen, Deutschland Leiter Betrieb und Erhaltung bei der ViA6West GmbH & Co. KG Zusammenfassung HOCHTIEF PPP Solutions betreibt und erhält eine Vielzahl von Straßeninfrastrukturprojekten. Hierbei sind zahlreiche Anforderungen an Betrieb und Erhaltung zu erfüllen, die von der Dokumentation von Ereignissen, Kontroll-, Prüf- und Wartungstätigkeiten, der Leistungserbringung des Betriebes sowie den Erhaltungsmaßnahmen bis hin zu einem sehr umfangreichen Berichtswesen reichen. Um Betrieb und Erhaltung wirtschaftlich und organisatorisch erfolgreich zu steuern, wurden die Betriebs- und Erhaltungsprozesse der Straßeninfrastruktur digital abgebildet und werden größtenteils App-gestützt umgesetzt. Dabei werden anhand eines BIM-Modells die relevanten Informationen zur Verfügung gestellt, welche so die Grundlage für die Abbildung der digitalen Prozesse bilden. Damit verbunden ist ein ganzheitlichen Asset Management System, welches eine prozessgestützte und transparente Zusammenarbeit mit den am Projekt beteiligten Partnern in den Projektphasen Bau, Betrieb und Erhaltung sicherstellt. 1. Digitalisierung im Bereich Betrieb und Erhaltung von Autobahnen HOCHTIEF PPP Solutions betreibt und erhält eine Vielzahl von Straßeninfrastrukturprojekten. Hierbei sind zahlreiche Anforderungen an Betrieb und Erhaltung zu erfüllen, die von der Dokumentation von Ereignissen, Kontroll-, Prüf- und Wartungstätigkeiten, der Leistungserbringung des Betriebes sowie den Erhaltungsmaßnahmen bis hin zu einem sehr umfangreichen Berichtswesen reichen. Um Betrieb und Erhaltung wirtschaftlich und organisatorisch erfolgreich zu steuern, wurden die Betriebs- und Erhaltungsprozesse der Straßeninfrastruktur seit Beginn der ersten PPP-Projekte digital abgewickelt. Zu Beginn wurden Arbeitsaufträge und das Berichtswesen automatisiert, mittlerweile werden anhand eines BIM-Modells die relevanten Informationen zur Verfügung gestellt und auf Basis dieses Modells die digitalen Prozesse abgebildet. Die Digitalisierungsinitiativen erhielten mit der Einführung von Microsoft Office 365 einen neuen Horizont für Eigenentwicklungen neuer Use cases. Die Projekt- und Betreibergesellschaften haben durch die Integration von Microsoft Office 365 in den Geschäftsablauf folgende Vorteile: • Prozessoptimierung • Transparenz intern und extern • Prozesssicherheit Ein weiteres Digitalisierungsfeld ist das App-gestützte Asset Management mit Integration innerhalb des BIM- Modells. 2. P3IM - PPP Informationsmanagement Das PPP Information Modeling (P3IM) ist eine Entwicklung von HOCHTIEF PPP Solutions (Niederlassung Transport Infrastruktur Europa) unter Anwendung der Building Information Modeling (BIM) Methode. 380 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Digitalisierung im Bereich Betrieb und Erhaltung von Autobahnen - App-gestütztes Asset Management Das P3IM ist auf den Leistungsumfang von Bau- und Projektmanagement sowie Betrieb und Erhaltung von Straßeninfrastrukturprojekten adaptiert. Der besondere Vorteil besteht darin, dass durch die enthaltenen Werkzeuge zur Aufnahme, Integration, Verknüpfung und Auswertung von Daten sowie ihre Visualisierung am Modell Informationen über die gesamte Lebenszyklusphase transparent zur Verfügung gestellt werden, um durch Analysen der Informationen zu neuen Erkenntnissen zu gelangen 2.1 P3IM Management-Modell Von zentraler Bedeutung ist das P3IM Management- Modell im 3D-BIS von HOCHTIEF Vicon, an welchem Daten und Informationen visualisiert sowie Use Case übergreifend verknüpft und auch ausgewertet werden können. Die Navigation des P3IM Managementmodells erfolgt nach einer Project Breakdown Structure (PBS), die speziell für die Aufgaben einer Projektgesellschaft erarbeitet wurde. Die PBS ist das verknüpfende Element zwischen dem P3IM Managementmodell und den Informationen der verknüpften Use Cases über den Lebenszyklus des PPP-Projekts. Auch das P3IM Management-Modell ist in seinem Grad der Detaillierung (LoD) für Geometrie (LoG) und Informationen (LoI) auf die Anforderungen des Asset Managements abgestimmt. Es wird dabei kein exakter „Digitaler Zwilling“ modelliert, sondern es werden im Modell alle für das Projekt relevanten Objekte von Strecke und Ingenieurbau schematisch mit einer ausreichenden Genauigkeit abgebildet. Aufgrund des großen räumlichen Umfangs von PPP-Projekten der Verkehrsinfrastruktur kommt der Verfügbarkeit und Auswertung von Informationen unterschiedlicher Use Cases über den Lebenszyklus am Modell eine besondere Bedeutung zu. Mit diesem Ansatz hat sich das P3IM neben Transparenz und Prozesssicherheit auch zu einer wichtigen Säule im Risikomanagement etabliert. Bild 1: Darstellung P3IM Management-Modell 2.2 Asset Management im P3IM Das P3IM bestehend aus dem P3IM Management-Modell und hiermit verknüpften Informationen und Daten aus unterschiedlichen Datenquellen ist ein Asset Management System, das sich mit seinen Use Cases auf Baumanagement, Betrieb und Erhaltung sowie der prozessgestützten, transparenten Zusammenarbeit mit anderen am Projekt beteiligten wie dem Baupartner und der Bauüberwachung fokussiert. Eine wichtige Plattform für neue Use Cases ist Microsoft Office 365. Über die Microsoft Power Platform (bestehend aus Microsoft PowerApps, Flow und Power BI) lassen sich eigene Apps entwickeln, die dann über die PBS mit dem P3IM Management-Modell verknüpft werden können. Diese Apps können sowohl auf mobilen Endgeräten wie Smartphones und Tablets mit verschiedenen Betriebssystemen wie iOS oder Android als auch über den lokalen Windows Desktop-PC genutzt werden. Basierend auf dem P3IM Management-Modell und der zugrundeliegenden Project Breakdown Structure werden die Asset Management Prozesse unter Zuhilfenahme von SharePoint Online und der Power Platform (bestehend aus Power-Apps, Automation, PowerBI) digital abgebildet. Im SharePoint Online werden Daten unterschiedlichster Datentypen gespeichert. Von der einfachen Speicherung von reinen Textdatensätzen bis hin zu Fotos und PDF- Dokumenten lassen sich innerhalb dieser Umgebung alle erfassten Daten über Listen und Bibliotheken effizient speichern und verwalten. Eine standardisierte Schnittstelle vereinfacht zudem das Zusammenspiel zwischen PowerApps und SharePoint Online. Power BI ist ein Business Analytics Service innerhalb der Power Platform, über den Reports und Dashboards erstellt werden können. Mittels Microsoft Power BI werden alle in SharePoint Online verfügbaren Daten eines einzelnen Anwendungsfalls visualisiert und analysiert. Die Reports lassen sich über Webparts einfach in SharePoint Online Webseiten einbinden und bieten den Anwendern so eine einheitliche Umgebung. Um Geschäftsprozesse zu automatisieren, wird Microsoft Automation eingesetzt. Automation ist ein cloud-basiertes Tool zur automatisierten Abwicklung von Aufgaben bzw. Workflows. Als Beispiele sind u.a. das automatisierte Versenden von Emails an Geschäftspartner, die Abwicklung von Genehmigungsprozessen oder Terminverfolgungen zu nennen. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 381 Digitalisierung im Bereich Betrieb und Erhaltung von Autobahnen - App-gestütztes Asset Management Bild 2: Asset Management Prozesse Um neue Erkenntnisse zu erhalten, werden die Daten und Informationen der Use Cases innerhalb des P3IM- Management-Modells mithilfe der Project Breakdown Structure miteinander verknüpft. Über eine standardisierte Schnittstelle kann das P3IM-Management-Modell jederzeit auf alle verfügbaren Daten aus der SharePoint Online Umgebung zugreifen. So entsteht ein ganzheitliches Bild über alle Use Cases im P3IM-Management-Modell. Anwendungsfallübergreifende detaillierte Reports und Dashboards innerhalb des P3IM-Management-Modells sind das Resultat des vernetzten Datenmodells. 3. App-gestütztes Asset Management HOCHTIEF PPP Solutions verwirklicht über P3IM die Umsetzung von zahlreichen mobiler Anwendungen (Apps) als Use Cases für Bau, Betrieb und Erhaltung der Straßeninfrastrukturprojekte mit der Office 365 Technologie. Im Folgenden werden beispielhaft drei Anwendungen detaillierter dargestellt. Bild 3: Auszug umgesetzter App-Anwendungen Bild 4: Unfall-Applikation 3.1 Unfallmanagement Das P3IM-Unfallmanagementsystem der HOCHTIEF PPP Solutions der Niederlassung Transport Infrastruktur Europa wurde entwickelt, um den gesamten Prozess der Unfallabwicklung vom Unfallereignis bis zur Schadensabrechnung und Nachverfolgung zu digitalisieren und automatisieren. Entwickelt wurde das P3IM-Unfallmanagementsystem auf dem Projekt A6, bei welchem der Betriebsdienst jährlich ca. 300 Unfälle mit einer Gesamtschadenshöhe von ca. 1 Mio EUR abzuwickeln hat. Die Unfallaufnahme erfolgt über eine App. Unfalldaten inklusive Fotos werden direkt am Unfallort eingegeben und an den SharePoint Online übertragen. Dort erfolgt zugleich auch die Verwaltung der Unfalldaten. Mit Microsoft Flow werden die digitalen Prozesse abgewickelt. Nach der Erfassung eines Unfalls lässt sich 382 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Digitalisierung im Bereich Betrieb und Erhaltung von Autobahnen - App-gestütztes Asset Management direkt über die App die Unfalldokumentation und Schadensabrechnung erzeugen. Ebenfalls kann bei besonders relevanten Ereignissen auch der Projektgeber über einen Flow direkt informiert werden. Aus den Unfalldaten werden mithilfe von Power BI zudem verschiedene Reports erzeugt. Eine dynamisch aktualisierte Unfallsteckkarte visualisiert zudem alle Unfallorte. Die Vorteile des Unfallmanagement-Systems sind: KOSTENEINSPARUNG: Dokumentation und Abrechnung erfolgen direkt über die App. Dies sorgt für Entlastung, da weniger „Nacharbeit“ notwendig ist. Administrative Kosten können so bis zu 80 % pro Jahr gesenkt werden und die „Cash-Lücke“ zwischen Abrechnung und Schadensregulierung wird kleiner. DATEN-MANAGEMENT: Unfalldaten müssen nur einmal erfasst werden und können anschließend über die SharePoint Online Umgebung jederzeit abgerufen werden. AUTOMATISIERUNG: Automatisierte Prozesse steigern die Sicherheit und Qualität, minimieren die Risiken und ermöglichen die schnellere Durchführung administrativer Aufgaben. ERKENNTNISSE: Über ein intelligentes Datenmodell können mit Power BI neue Erkenntnisse gewonnen werden. Alle Unfalldaten lassen sich analysieren und visualisieren. Bild 5: Gewährleistungsmanagement 3.2 Gewährleistungsmanagement Während der Bauausführung werden die baulichen Mängel bzw. Feststellungen über die mobilen Anwendungen der Zustandsfeststellungen für Strecke und Ingenieurbau aufgenommen und am P3IM Management-Modell visualisiert. Wenn Streckenabschnitte abgenommen und somit in Betrieb genommen werden, läuft ab diesem Zeitpunkt die Gewährleistung. In der Betriebsphase können dann Gewährleistungsmängel auftreten, aber auch Schäden, die durch Dritte verursacht werden, wie z.B. durch Unfälle. Um hier sämtliche auftretenden Mängel und Schäden zu verwalten und die unterschiedlichen Beteiligten und unterschiedlichen Gewährleistungsfristen strukturiert zu managen, wurde der Prozess des Gewährleistungsmanagements digitalisiert. Die Verwaltung des Gewährleistungsmanagements erfolgt über eine SharePoint Online-Umgebung, in welcher sämtliche Mängel und Schäden mit allen Detailinformationen (Metadaten / Anlagen / Fotos / Schriftverkehr) systematisiert abgelegt werden. Mobile Anwendungen unterstützen den Prozess: • Aufmaße zur Behebung von Unfallschäden • Abnahmen vor Ort 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 383 Digitalisierung im Bereich Betrieb und Erhaltung von Autobahnen - App-gestütztes Asset Management Die Aufmaße bzw. Protokolle, die mit der App erzeugt wurden, werden automatisch als PDF-Datei per Email an die Beteiligten versendet, so dass kein Nacharbeiten mehr notwendig ist. Unterschrieben wird hierbei ebenfalls auf dem Smartphone / iPad direkt im digitalen Formular. Das Gewährleistungsmanagement verfügt des Weiteren über eine Reminder-Funktion, die rechtzeitig vor Ablauf der Gewährleistung daran erinnert, dass eine Gewährleistungsnachschau durchzuführen ist. 3.3 Einsatzkräfte-App Die ViA6West-Einsatzkräfte-App dient der „smarten“ Bereitstellung von wichtigen Informationen für Einsatzkräfte auf der Autobahn im Teilabschnitt AS Wiesloch/ Rauenberg bis AK Weinsberg und wurde von ViA6West in Zusammenarbeit mit HOCHTIEF PPP Solutions und der Hochschule Biberach entwickelt. Im Zuge von Verkehrsunfällen kommt es immer wieder zu Havariefällen, bei denen es schnell gehen muss und Informationen der Strecke für Entscheidungen der Einsatzkräfte und des Betriebsdienstes enorm wichtig sind. Bei der Entwicklung wurde großer Wert auf die einfache und intuitive Bedienbarkeit gelegt. Ziel der Software ist, den Einsatzkräften auf schnellstem Weg so viele Informationen wie möglich mit an die Hand zu geben - unabhängig von der Uhrzeit und der Erreichbarkeit von zuständigen Stellen. Und neben den Einsatzkräften sollen auch die Kraftfahrer profitieren, denn das Schadensereignis kann schneller und effizienter abgearbeitet werden, die Autobahn ist dann unter Umständen wieder früher für den Verkehr frei. Kernstück der Smartphone-App ist die Zurverfügungstellung von Informationen über die Entwässerung, die im Havariefall mit beispielsweise einem Gefahrguttransporter essenziel sind. Bei einem Verkehrsunfall können über einen QR-Code, welche in der jetzt gestarteten Pilotphase alle 500 Meter an den Kilometrierungstafeln angebracht sind, alle wichtigen Daten angezeigt werden. Der Nutzer wird zielgerichtet zu dem Rückhaltebecken geführt, in welches der beispielsweise auslaufende Kraftstoff fließt. Damit sind die Informationen zu Schließen von Schiebern o.ä. sofort verfügbar. Die Funktionen im Überblick sind: • Dokumentationen von Einsätzen, inkl. Fotos • Streckenkarte • Link zu Verkehrskameras • Wetterdaten • Informationen zur Entwässerung mit Ortung über QR-Codes an der Strecke • Informationen zu Nothaltebuchten • Informationen zu Abschnitten mit offenporigem Asphalt • Schnellwahl zum Einsatzleiter der ViA6West • Interne Bereich für Feuerwehren Die Einsatzkräfte-App wird darüber hinaus auf die individuellen Bedürfnisse der einzelnen Feuerwehren angepasst. Mittlerweile wird die Plattform als gemeinsames Tool zur Dokumentation von Einsätzen genutzt. 4. Fazit Die Digitalisierung der Prozesse über den gesamten Lebenszyklus hat große Vorteile: • Zeit- und Kostenersparnis durch Prozessoptimierung • Risikoreduktion • Transparenz • Prozesssicherheit • Durchgängige, transparente Zusammenarbeit mit den Partnern Die Entwicklungen in Bezug auf neue Technologien und digitalen Tools sind rasant. Ein App-gestütztes Asset Management spielt bei den PPP-Projekten bei HOCHTIEF bereits eine zentrale Rolle. Es unterstützt unmittelbar bei den Prozessen auf der Strecke und die Erkenntnisse fließen mittels der Anbindung an das BIM-Modell direkt in die Erhaltungsplanungen ein. Ein echter Mehrwert für den Life-Cycle-Ansatz. Literaturangaben [1] Tobias Kupfer / Stefan Rynkowski / Dr. Daniela Schäfer, 2019, „Betriebsdienst 2.0“ - Digitalisierungs-initiativen für den Autobahnbetrieb, Tagungsbeitrag HOCHTIEF Civil Colloquium 2019 [2] Dr. Daniela Schäfer, 2017, Anwendung von BIM in PPP-Projekten - Beispiel A7 Nord, Tagungsbeitrag HOCHTIEF Civil Colloquium 2017 [3] Dr. Joachim von Lukowicz, Prof. Dr.-Ing. Dipl.- Wirt. Ing. Ivan Čadež, Frank Bialas, Dr. Daniela Schäfer, 2019, Nutzung von BIM für das Asset Management von Verkehrsinfrastruktur am Beispiel des ÖPP-Projekts A7, Tunnelbautaschenbuch 2019 [4] Dr. Daniela Schäfer, 2019, Nutzung von BIM für das Asset Management von Verkehrsinfrastruktur - Projektbeispiel A6, 1. Kolloquium Straßenbau in der Praxis, Technische Akademie Esslingen 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 385 Digitale Prozesse mobil unterstützen Online Web-App zur Aufbruchsanmeldung als Baustein zum e-Government Ralf Behrens IP SYSCON GmbH, Hannover Zusammenfassung: Durch Onlineanmeldungen von Aufbrüchen des öffentlichen Verkehrsraumes sowie der zugehörigen, digitalen Kommunikation zwischen den ausführenden Baufirmen und der Kommunalverwaltung über eine responsive Web-App lassen sich klassische, kommunale Prozesse optimieren und Fehlerquellen durch ein standardisiertes Vorgehen minimieren. Die zum Einsatz kommende Web-App Aufbruchsanmeldung HQ kann dabei sowohl im Intra-, als auch im Internet über einen Browser betriebssystemunabhängig auf allen Endgeräten online genutzt werden. Beschrieben werden der Anmeldeprozess, die Dateneingabe, die räumliche Verortung, die Ergänzung von Dokumenten und der aktive Informationsaustausch im Zuge der Aufbruchsdurchführung bis zum Gewährleistungsende. Es wird aufgezeigt, wie ein standardisiertes Web- Portal die Kommunikation zwischen Antragsteller und kommunalen Mitarbeiter zum beidseitigen Vorteil digitalisiert und optimiert werden kann. 1. Einführung Aufbrüche (auch Aufgrabungen genannt) sind lokale und zeitlich meist auf wenige Tage beschränkte Baumaßnahmen im öffentlichen Straßenraum, die überwiegend durch Ver- und Entsorger veranlasst sind. In vielen Fällen gehen Aufbrüche mit Einschränkungen für die Bevölkerung einher, z. B. durch Fahrbahnverengungen, Umleitungen oder Fußwegbeschränkungen. Um Gefährdungen im öffentlichen Verkehrsraum durch diese Baumaßnahmen zu verhindern, sind entsprechende Regelungen zur Anmeldung, Absicherung, Durchführung und Abnahme der Baumaßnahmen zwingend erforderlich. Da jeder Aufbruch eine Störung des Schichtverbunds im Straßenaufbau darstellt, muss die aufgegrabene Verkehrsfläche im Anschluss an die Arbeiten wieder in einen ordnungsgemäßen, technisch gleichwertigen Zustand versetzt werden. Dies ist durch die Kommunalverwaltung entsprechend zu prüfen und zu überwachen. Jeder Aufbruch in öffentlichen Straßen, Wegen, Plätzen, Geh-und Radwegen und öffentlichen Feld- und Waldwegen bedarf im Vorfeld der Durchführung gegenüber den kommunalen Institutionen der Städte und Gemeinden (Straßenbaubehörde) per Gesetz der Zustimmung. Ein solcher Antrag zur Genehmigung eines Aufbruchs wird in der Regel zwei Wochen vor Baubeginn erwartet. Soweit durch die Aufgrabung Verkehrsbeschränkungen notwendig werden, sind vom Verursacher zudem die erforderlichen verkehrsrechtlichen Anordnungen mindestens 2 Wochen vor Baubeginn bei der Unteren Straßenverkehrsbehörde zu beantragen. Dazu bedarf es einer fachlichen Abstimmung und Kommunikation zwischen Antragssteller (Verbzw. Entsorger) und der kommunalen Verwaltung. An dieser Stelle gibt es potenzielle Unschärfen in der Durchführung des Ablaufs, da die Anfragen zur Genehmigung eines Aufbruchs zum Teil per analogem Vordruck zum Download (PDF-Datei), formlos per E-Mail, analog per Post oder gar lediglich über das Telefon eingehen. Im äußersten Fall erreicht gar keine Information die kommunale Fachabteilung. Um derartigen heterogenen und somit fehleranfälligen Kommunikationswegen entgegenzuwirken, besteht die Möglichkeit, den Prozessschritt der Aufgrabungsanmeldung komplett zu digitalisieren und bestmöglich zu strukturieren. Grundlegend sind Informationen zur ausführenden Baufirma, zum Aufgrabungsgrund, zu Zeitraum und Ansprechpartner sowie eine geeignete räumliche Information an die kommunalen Fachmitarbeiter zu übergeben. Auch für den Fall, dass sich der Ausführungszeitraum der Bauarbeiten von dem beantragten Zeitraum erheblich unterscheidet oder verschiebt, ist der tatsächliche Beginn der Bauarbeiten rechtzeitig (in der Regel mindestens drei 386 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Digitale Prozesse mobil unterstützen Tage vor Baubeginn) auf einer geeigneten Kommunikationsplattform anzuzeigen. Das gilt auch für die Fertigstellung der Baumaßnahme. Bei größeren Baumaßnahmen, z. B. bei mehreren zusammengehörigen Aufbruchsstellen, Kopflöchern oder Gräben sowie bei Arbeiten, die ganze Straßenzüge betreffen, sind der Antragstellung zugehörige und aussagekräftige Lagepläne zu den geplanten Arbeiten beizufügen. Auch dazu bedarf es einer geeigneten Technik und einheitlichen Prozessen zum Austausch der digitalen Dateien. Ist der Straßenverkehrsraum im Bereich des abgeschlossenen Aufbruchs ordnungsgemäß wiederhergestellt und abgenommen, so beginnt der Zeitraum der Gewährleistung. Dieser dauert in der Regel fünf Jahre. Erfolgt aufgrund von zu beanstandenden Mängeln bei der Wiederherstellung der Verkehrsfläche keine Abnahme, so sind Nachbesserungen auf Kosten der Baufirma einzuleiten. Eine finale Abnahme und ein Beginn des Gewährleistungszeitraumes verschieben sich dementsprechend. Auch diese Termine müssen für beide Seiten transparent und nachvollziehbar kommuniziert werden. Im Rahmen der fünfjährigen Gewährleistung inspiziert die Kommunalverwaltung in regelmäßigen Abständen die Aufbruchsstelle, um auch die Dauerhaftigkeit des wiederhergestellten Straßenaufbaus zu prüfen. Mängel, die im Rahmen des Gewährleistungszeitraumes auftreten, werden zu Lasten der Baufirma nachgebessert. Durch eine finale Abnahme des Aufbruchs nach fünf Jahren entlässt die kommunale Verwaltung das Bauunternehmen und den Antragsteller aus der Gewährleistung. Sollte es im anschließenden Zeitraum noch zu Beanstandungen kommen, trägt die Kommunalverwaltung allein die resultierenden Kosten. Aus diesem Grund unterliegt die Dokumentation sämtlicher Prozessschritte zum Aufbruch einer hohen Gewichtung auf kommunaler Ebene. Es geht darum, Steuergelder zu sparen und Kosten für Mangelbeseitigung rechtzeitig dem Verursacher zuzuschreiben. Anderenfalls hat die Kommune nach Abschluss der Gewährleistungsfrist die Kosten selbst zu tragen. 2. Übersicht zur Prozessunterstützung durch die Softwarelösungen der IP SYSCON GmbH Die IP SYSCON GmbH bietet passgenaue Softwarelösungen für die Arbeitsschritte im Gesamtprozess eines Aufbruchs. 2.1 Die drei Phasen im Gesamtprozess eines Aufbruchs Der Gesamtprozess eines Aufbruchs lässt sich grob in drei Phasen gliedern: Phase 1: Aufbruchsanmeldung Phase 2: Aufbruchsdurchführung bis zur Abnahme Phase 3: Aufbruchskontrolle bis zur Entlassung aus der Gewährleistung Dabei stellt die IP SYSCON-Lösung pit-Kommunal das zentrale Steuerungswerkzeug für den kommunalen Mitarbeiter dar. Es führt sämtliche Informationen und Prozessschritte aller drei Phasen zusammen und steuert zentral alle notwendigen Arbeitsschritte, auf die parallel auch die online Web-App Aufbruchsanmeldung HQ zugreift. In Phase 3 unterstützt die mobile offline App Straßenkontrolle MQ, die hier zur regelmäßigen und wiederkehrenden Kontrolle der Aufbrüche vor Ort im Rahmen der Gewährleistung eingesetzt wird. Etwaige Schäden und Beanstandungen in Form von Sachinformationen und Fotos können mithilfe dieser App vor Ort dokumentiert werden. 2.2 Aufbruchsanmeldung mit Hilfe der Web-App Aufbruchsanmeldung HQ Phase 1 beinhaltet den zentralen Arbeitsschritt der Aufbruchsanmeldung, bei der die IP SYSCON Web-App Aufbruchsanmeldung HQ zum Einsatz kommt. Das Frontend ist als responsive Web-App realisiert, die online sowohl im Intra-, als auch im Internet über einen Browser betriebssystemunabhängig auf allen Endgeräten aufgerufen werden kann. Die Web-App stellt dabei eine Ergänzung zum zentralen pit-Kommunal Arbeitsplatz dar. Das Frontend wird vom Backend mit Daten versorgt und kann wahlweise in der eigenen IT-Infrastruktur betrieben oder bei IP SYSCON gehostet werden. Durch ein Hosting bei IP SYSCON werden Wartung und Instandhaltung des Systems an IP SYSCON abgeben. Die Datenhoheit bleibt jedoch stets im eigenen Haus. Die zentrale Datenbank, in der sämtliche Sachdaten zusammengeführt und verwaltet werden, wird über das pit-Kommunal realisiert, welches der Fachmitarbeiter der kommunalen Verwaltung einsetzt. In einem ersten Schritt loggt sich der Antragsteller über einen gängigen Browser in die Anwendung ein. Die Zugangsdaten erhält er im Vorfeld als dauerhafte Parameter von der zuständigen Kommunalverwaltung. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass der Antragsteller und die zugehörige Baufirma auch nur die jeweils eigenen Prozessabläufe einsehen können. Nach der Anmeldung kann der Anwender wahlweise in die Übersicht der aktuell laufenden Anträge, in bereits aktive Aufbrüche oder die in Gewährleistung befindlichen Vorgänge Einsicht nehmen, um sich über den jeweiligen Stand zu informieren oder weitere Informationen auszutauschen. Als weitere Option ist es möglich, einen neuen Antrag zu stellen. Wird die Funktion des Antrags ausgeführt, gelangt der Anwender in eine Eingabemaske, die ihn durch die verschiedenen Fragestellungen leitet. Dabei sind Pflichtfelder auszufüllen, Einträge aus Nachschlagelisten auszuwählen, Datumsangaben zu tätigen, eine Lage in einer Karte zu bestimmen aber auch einzelne, freie Angaben zu tätigen. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 387 Digitale Prozesse mobil unterstützen Begonnen wird mit den Kontaktdaten des Antragsstellers, der Bauüberwachung und der ausführenden Baufirma. Die Informationen können dabei einfach und schnell als komplette Datensätze aus einer eigenen, individuell geführten Adress- und Kontaktdatenbank abgerufen werden. Dies beschleunigt die Eingabe. Anschließend sind Ort, Straße, Hausnummer und Lagebeschreibungen zum Aufbruch einzugeben. Ergänzt werden kann diese Information durch eine geometrische Verortung eines Punktes (Pin) in einer vom System bereitgestellten Kartenansicht. Es folgen detaillierte Angaben zum Aufbruch selbst, wie Grund, Art, Bereich, Oberfläche und Sparte(n). Alle Angaben stammen dabei aus zentral geführten Nachschlagelisten, um individuellen Ausprägungen und Schreibweisen entgegenzuwirken, die anderenfalls strukturierte Bearbeitungen und Auswertungen durch die Kommunalverwaltung unmöglich machen würden. Sollten Eingabewerte in den Nachschlagelisten fehlen, so kann der kommunale Mitarbeiter diese im Bedarfsfall für den Antragsteller ergänzen und bereitstellen. Die grafische Verortung des Aufbruchs in der HQ-Karte mündet final als Esri-Geometrie im Esri ArcMap am Arbeitsplatz des kommunalen Mitarbeiters. Ergänzend kann der Antragsteller die zu erwartenden Flächengröße des Aufbruchs in Länge, Breite und Fläche angeben. Der online Antrag schließt mit den Von-Bis-Datumsangaben zum Ausführungszeitraum und der Möglichkeit, ergänzende Dokumente, wie z. B. Lagepläne, hochzuladen. Final muss der Antragsteller noch die von kommunaler Seite bereitgestellten Bedingungen und Auflagen, sowie die Hinweise zum Datenschutz bestätigen, die er sich auch zur Ansicht herunterladen kann. Durch das Betätigen des Button „Speichern und Hochladen“ wird der Antrag an die Kommunalverwaltung übermittelt. Damit wechselt der aktuell aufgegebene Antrag in den HQ-Bereich der „offenen Anträge“, wo er vom Antragsteller noch eingesehen und bearbeitet werden kann, solange keine Genehmigung des Antrags von kommunaler Seite erfolgt ist. Ist der Antrag genehmigt, können einzelne Informationen im Antrag nicht mehr vom Antragsteller verändert werden. Sämtliche weitere Kommunikation zum Antrag des Aufbruchs erfolgt nun über eine Chat-Funktion mit dem kommunalen Sachbearbeiter, der seinerseits nun den Vorgang im zentralen pit-Kommunal einsehen und nur hier bei Bedarf auch modifizieren kann. Der Antragsteller kann dann die vorgenommenen Änderungen in der HQ-Übersicht einsehen. Der so von kommunaler Seite angenommene und genehmigte Aufbruch wechselt dann in den Status der „aktiven“ Anträge und ist in der Web-App separiert einzusehen. Die Kommunikation erfolgt weiter über die integrierte Chatfunktion bis zur Fertigstellung des Aufbruchs. Die Information zur Fertigstellung sendet die ausführende Baufirma bzw. der Antragsteller über eine spezielle Bestätigungsfunktion innerhalb der Web- App. Sollte bis dahin der anvisierte Zeitraum bis zur geplanten Fertigstellung bereits überschritten sein, so wird dies durch eine Symbolik dargestellt. Bei Bedarf kann auch mit einer automatisiert versendeten Mail an den Sachbearbeiter und den Antragsteller darüber informiert werden. Bild 1: Antrag auf Aufgrabungsgenehmigung 388 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Digitale Prozesse mobil unterstützen Nach Bekanntgabe der Fertigstellung an den kommunalen Mitarbeiter kann dieser seinerseits die Abnahme des Aufbruchs durch eine Vor-Ort-Begehung initiieren. Ist eine mangelfreie Abnahme erfolgt und wird diese vom Sachbearbeiter in der zentralen Datenbank vermerkt, wird der Datensatz des Aufbruchs in der zentralen Datenbank und somit auch in der Web-App in den nächsten Status überführt und befindet sich in der Kategorie „in Gewährleistung“ und kann ebenso separiert vom Antragsteller eingesehen werden. Nach Abschluss der fünf Jahre zur Gewährleistung wird der Datensatz zum Aufbruch in der zentralen Datenbank in eine Historie überführt und aus der Auflistung der Web-App entfernt. Eine rückblickende Einsicht und Auswertung z. B. zu statistischen Zwecken ist dann nur noch über die zentrale Datenhaltung in pit-Kommunal selbst möglich. Der Vorgang ist an dieser Stelle für den Antragsteller somit abgeschlossen. 3. Intention, Mehrwert und Fazit Die Intention zur Entwicklung der Web-App Aufbruchsanmeldung HQ entstand aus den praktischen Erfahrungen mit unseren Kunden, die immer wieder mit unstrukturierten Anträgen zur Aufbruchsgenehmigung zu kämpfen haben, die zusätzlich über verschiedenste Wege an sie herangetragen werden. Oft entstehen so potentielle Fehlerquellen, die im schlimmsten Fall dazu führen, dass Aufbrüche nicht korrekt überwacht werden und die Kommunalverwaltung auf den Kosten für Mangelbeseitigungen sitzen bleiben, wenn die Gewährleistungszeiträume unbemerkt verstrichen sind. Natürlich verhindert die Web-App Aufbruchsanmeldung HQ nicht die fehlende Intention des Antragstellers, der ggf. eine Genehmigung gar nicht erst einholt; es kanalisiert und strukturiert aber die Vorgehensweise, so dass beide Seiten davon profitieren können. Der Mehrwert der Web-App Aufbruchsanmeldung HQ liegt in der einfachen Bedienung der App, in der Flexibilität der Nutzung aus jedem Browser heraus und in dem direkten Weg in die zentrale Datenbank pit-Kommunal der Kommunalverwaltung. Die Anwendung minimiert Fehler und vereinfacht den zugrundeliegenden Prozess hin zu einem komplett digitalen Ablauf und bildet somit einen weiteren Baustein eines anzustrebenden e-Government innerhalb der Kommune. Die Web-App Aufbruchsanmeldung HQ ist kein Muss, und sicherlich wird es immer auch Antragsteller geben, die den hier aufgezeigten Weg der Datenübermittlung nicht mitgehen wollen oder können. Doch jeder Antragsteller, der diese Lösung nutzt, ist ein Antragsteller weniger über althergebrachte Wege und minimiert somit den Aufwand auf kommunaler Seite. Bild 2: Aufbruchsanmeldung HQ Bildnachweis: Bild 1 © Rainer Fuhrmann - stock.adobe.com, IP SYSCON GmbH Bild 2 © IP SYSCON GmbH Optimierte Asphaltoberflächen 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 391 CleanAir (ClAir®) Asphalt - Innovativer Straßenbelag baut Luftschadstoffe ab Dipl.-Ing. Martin Muschalla TPA GmbH, Bad Hersfeld, Deutschland Zusammenfassung Clean Air (ClAir®) Asphalt ist das Ergebnis von dreieinhalb Jahren Forschung der TPA GmbH und ihrer neun Projektpartner in Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projektes „Nachhaltiger HighTech Asphalt: Schadstoff- und lärmmindernd mit neuer Verarbeitung und Überwachung“ (NaHiTAs). Das übergeordnete Ziel im Projekt war die Konzeption einer multifunktionalen Asphalt-Fahrbahnoberfläche, die lärmmindernde und Stickoxid reduzierende Eigenschaften aufweist. Die schadstoffmindernde Funktion von ClAir® Asphalt wird durch den Einsatz von titandioxidhaltigem Streumaterial (TiO2) aus gebrochenem, ultrahochfestem Beton (UHPC) erzeugt. Durch die Kombination aus innovativem Abstreumaterial und eigenentwickelten Asphalteinbauverfahren konnten die angestrebten Ziele zur Schadstoff- und Lärmreduktion erreicht werden. Mit dem ClAir® Asphalt-System konnte ein vielversprechender Ansatz vorgelegt werden, um der zunehmenden Problematik einer steigenden Luft- und Lärmbelastung in den deutschen Städten entgegenwirken zu können. 1. Einführung Die Straße soll neue zusätzliche Funktionen zur Luftreinigung und Lärmreduzierung erhalten. Genau diesen Lösungsansatz strebt Clean Air (ClAir®) Asphalt an. ClAir® Asphalt ist das Ergebnis von dreieinhalb Jahren Forschung (2015-2018) der TPA GmbH und ihrer neun Projektpartner in Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projektes „Nachhaltiger HighTech Asphalt: Schadstoff- und lärmmindernd mit neuer Verarbeitung und Überwachung“ (NaHiTAs). Das Ziel des ClAir® Asphalts ist eine „Veredelung“ der Straßenoberfläche, die zur angestrebten Reduzierung der Schadstoff- und Luftbelastungen direkt am Entstehungsort führt. Damit kann ClAir® Asphalt die Aufrechterhaltung der Verkehrsinfrastruktur unterstützen, die Lebensqualität in Bereichen mit stark befahrenen Verkehrswegen nachhaltig verbessern und die Qualität der Bauausführung optimieren. 2. Lösungsansatz durch innovatives Material und neuartige Einbautechnik 2.1 Innovatives Abstreumaterial Die Grundlage des ClAir® Asphalts bildet eine synthetisch hergestellte Gesteinskörnung aus ultrahochfestem Beton (UHPC), in dem gleichmäßig über das gesamte Volumen photokatalytisch aktives Titandioxid (TiO 2 ) verteilt ist. So befinden sich TiO 2 -Partikel auch direkt an der Kornoberfläche. TiO 2 kann unter Einwirkung von UV-Strahlung die Stickoxide in der Luft abbauen. Durch die dabei ausgelösten intermolekularen Prozesse in Gegenwart von Sauerstoff und Wasser werden Radikale gebildet. Die Radikale reagieren wiederum mit den Stickoxiden (Stickstoffmonoxid NO, Stickstoffdioxid NO 2 ) in der Luft und wandeln diese in unschädliche Nitrate um. Durch die natürliche Witterung (z. B. Regen) werden die Nitrate anschließend von der Fahrbahn gewaschen. Die Menge des gebildeten Nitrats liegt deutlich unterhalb der geltenden Grenzwerte, sodass keine Umweltbeeinträchtigungen auftreten. Abbildung 1: Innovatives Abstreumaterial Quelle: STRABAG AG / Foto: Timo Lutz CleanAir (ClAir®) Asphalt - Innovativer Straßenbelag baut Luftschadstoffe ab 392 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 2.2 Neuartige Einbautechnik Die Titandioxidschicht des Abstreumaterials ist nur in Kontakt mit UV-Strahlung aktiv. Daher muss das neu konzipierte Granulat auf der Fahrbahnoberfläche und somit direkt an der Emissionsquelle vorliegen. Für diese Anforderung hat STRABAG den fertigerintegrierten Streuer entwickelt, der eine frühzeitige und dauerhafte Einbindung des Abstreumaterials in die noch heiße Fahrbahnoberfläche ermöglicht. Durch die mengengerechte, gleichmäßige und dauerhafte Abstreuung über den fertigerintegrierten Streuer wird bei sparsamem Einsatz des kostenintensiven Granulats die größtmögliche Reaktionsfläche für die photokatalytische Wirkung erzeugt. Abbildung 2: Fertigerintegrierter Streuer Quelle: STRABAG AG / Foto: Timo Lutz Um einen unterbrechungsfreien Asphalteinbau zu gewährleisten, hat STRABAG den Innovationsbunker mit getrennten Materialkammern für Asphalt und Abstreumaterial entwickelt. Er stellt sicher, dass der fertigerintegrierte Streuer an der Rückseite des Fertigers kontinuierlich mit dem photokatalytischen Granulat befüllt wird. Der Innovationsbunker ist mit Förderschnecke und Förderband sowie mit Temperatur- und Füllstandsensoren ausgestattet. Abbildung 3: Innovationsbunker Quelle: STRABAG AG / Foto: Daniel Gerstlauer Das Zusammenspiel dieser technischen Einrichtungen ermöglichte den gleichmäßigen und kontinuierlichen Einbau der Asphalt-Deckschicht auf den Untersuchungsstrecken. Abbildung 4: ClAir® Asphalt Gesamtsystem Quelle: STRABAG AG / Foto: Christian Ahrens 3. Umsetzung in der Praxis Die erste Pilotstrecke wurde im April 2019 am Stuttgarter Neckartor umgesetzt. Seitdem wurden zehn weitere ClAir® Asphalt Projekte in verschiedenen Kommunen erfolgreich realisiert. • Stuttgart, April 2019 • Geltow, Juli 2019 • Stockach, September 2019 • Passau, September 2019 • Aachen, Oktober 2019 • Erlangen, Juli 2020 • Oberhausen, August 2020 • Dinslaken, August 2020 • Erlangen, Oktober 2020 • Köln, Oktober 2020 • Erlangen, November 2020 Abbildung 5: ClAir® Asphalt Untersuchungsstrecke Quelle: STRABAG AG / Foto: Timo Lutz CleanAir (ClAir®) Asphalt - Innovativer Straßenbelag baut Luftschadstoffe ab 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 393 4. Fazit CleanAir (ClAir®) Asphalt - … ist das Resultat ist das Resultat von dreieinhalb Jahren Forschungsarbeit im Verbundprojekt NaHi- TAs - … veredelt die Straße; die Funktionen der Straße bleiben dabei erhalten - … ist sofort und ohne großen Aufwand umsetzbar - … senkt die Belastung der Luft mit giftigen Stickoxiden - … ist lärmreduzierend - … ist mit seinem innovativen Einbauverfahren dauerhaft und nachhaltig 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 395 Lärmarme Oberflächen auf freien Strecken und Brücken Jean-Marc Waeber Bundesamt für Strassen ASTRA, 3063 Ittigen, Schweiz Fabian Traber Bundesamt für Strassen ASTRA, 3063 Ittigen, Schweiz Zusammenfassung In der Schweiz werden erhebliche Anstrengungen unternommen, um den Verkehrslärm zu reduzieren. Dazu werden auf der freien Strecke und Brücken bevorzugt offenporige Asphalt-Deckschichten (PA) eingebaut oder Semidichte Asphalte (SDA) mit geringerer Porosität. Hohlraumreiche Asphalt-Deckschichten sind ein Kompromiss zwischen Lärmreduktion und Nutzungsdauer. Um Letzteres zu vermeiden wurde eine Gussasphalt-Deckschicht entwickelt, deren Oberfläche so konstruiert ist (Splitteinstreuung, Bearbeitung mit speziellen Walzen usw.), dass eine möglichst deutliche Reduzierung des Verkehrslärms erreicht wird. 1. Lärmarme Oberflächen bei Gussasphalt- Deckschichten auf Brücken (Forschungsprojekt ASTRA 2009/ 007) Die Lärmschutz-Verordnung (LSV) führt vermehrt dazu das anstelle von Gussasphalt, Semidichte Asphalte (SDA) oder Offenporige Asphalte (PA) als Deckschicht auf unseren Kunstbauten eingesetzt werden. Beide Belagsarten haben den Nachteil, dass sie ungehindert Wasser durchlassen, welches auf Brücken unerwünscht ist wegen möglichen Schädigungen der Abdichtung und des Brückenbauwerks. Um letzteres zu vermeiden, werden auf Brücken meist wasserdichte Gussasphaltbeläge eingebaut, die wegen der nicht vorhandenen Porosität, keinen Beitrag zur Lärmreduzierung leisten können. Ziel des Forschungsvorhabens war es daher, eine Gussasphalt-Deckschicht zu entwickeln, deren Oberfläche so konstruiert ist (Splitteinstreuung, Bearbeitung mit speziellen Walzen usw.), dass eine möglichst deutliche Reduzierung des Verkehrslärms erreicht wird. In Meilenstein 1 wurden insgesamt 50 verschiedene Variationen von Gussasphalten (Kalksteinmehle, Bindemittelarten, Kornzusammensetzung) nach entsprechenden Voruntersuchungen hergestellt und geprüft. Das Ziel war, einen wärmestandfesten Gussasphalt (MA 8) zu entwickeln, der in der Lage ist, den vorumhüllten Abstreusplitt dauerhaft einzubinden. In Meilenstein 2 wurden insgesamt 12 verschiedene Abstreusplitte und 6 verschiedene Kleber überprüft zur Umhüllung der Abstreusplitte. Mit den aus Meilenstein 1 gewonnenen Ergebnissen wurde eine spezielle Zusammensetzung des Gussasphalts ausgewählt und Gussasphaltplatten hergestellt, auf deren heissen Oberflächen 10 ausgewählte vorumhüllte Abstreusplitte mit Hilfe einer Abstreuvorrichtung gleichmässig aufgestreut und mit einer Walze leicht eingedrückt wurden. Die Oberflächen der Platten wurden durch die BASt, D-Bensberg und Fa. IWS, D-Celle optisch vermessen. In Meilenstein 3 wurden 2015 nach Festlegung in der Betreuungskommission 4 Abstreusplitte ausgewählt, mit Bitumen 35/ 50 von der Fa. Weibel AG umhüllt und in die MA 8-Deckschicht auf dem Viadukt Kerzers eingestreut, in 2 Feldern noch eingewalzt, so dass insgesamt 6 Felder zur Prüfung der Lärmminderung auf der Versuchsstrecke zur Verfügung standen. Um den Belag akustisch zu begleiten wurden in den Jahren 2015 - 2019 verschiedene akustische Be-lagsuntersuchungen durch die Fa. Grolimund + Partner AG durchgeführt, welche eine Aussage zur akustischen Qualität und der Dauerhaftigkeit der Beläge zulassen. 2. Lärmarme Oberflächen auf freien Strecken Auf unseren Nationalstrassen werden heute auf der freien Strecke als Standard, Walzasphalt- und auf den Kunstbauten und in Tunneln Gussasphaltschichten verbaut. Der Hauptunterschied besteht darin, dass Walzasphalte poröser und hohlraumreicher als Gussasphalte sind. Ein Gussasphalt enthält mehr Feinanteile und deutlich mehr Bitumen als ein Walzasphalt und leitet das anfallende Wasser an seiner Oberfläche ab. Diese Eigenschaften Lärmarme Oberflächen auf freien Strecken und Brücken 396 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 machen ihn dicht, druckfest und im hohen Masse alterungsbeständig. Bedingt durch die Lärmschutz-Verordnung (LSV) kommen heute Semidichte Asphalte (SDA) oder offenporige Asphalte (PA) als Deckschicht zum Einsatz. Die Oberflächenstruktur und die vorhandenen Hohlräume führen zu einer Lärmreduktion gegenüber dichten Asphalten (AC, SMA) und dem Gussasphalt (MA). Die Lärmreduktion geht auf Kosten der Lebensdauer, diese liegt bei einem Porenasphalt (PA) bei 8 - 12 und bei einem Semidichten Asphalt (SDA) bei 12 - 15 Jahren. Die vorhandenen Hohlräume beschleunigen die Versprödung des Bitumens durch die vermehrte Sauerstoff- und Wasserzufuhr. Dies führt zu einer frühzeitigen mechanischen Alterung und schlussendlich zum Ersatz der Asphaltschicht. Die Versuche mit lärmmindernden Gussasphalt-Deckschichten aus Kerzers haben aufgezeigt, dass eine konstante Lärmminderung von -2 bis -4 dB nach 5 Jahren erreicht wird. Basierend auf diesen Resultaten wurde keine massgebende Abnahme der Lärmabsorption nach 5 Jahren bemessen. Was im Vergleich zu unseren traditionellen akustischen Walzasphalten (SDA) die -1 dB nach 10 Jahren kaum erreichen, ein massgebender Vorteil sein könnte. Die Langzeitwirkung der Lärmminderung von Gussasphalt wurde jedoch (noch) nicht erforscht. Diese Erkenntnisse aus Kerzers führten zu der Idee, den langlebigen Gussasphalt nicht nur auf den Kunstbauten und in Tunneln einzubauen, sondern auf der offenen Strecke. Ein Gelingen unseres Vorhabens hätte einen enormen Einfluss auf unsere Erhaltungsstrategie. Um die geforderten Ebenheiten zu erreichen, werden die heutigen Gussasphaltfertiger in der Schweiz auf Schienen geführt. Dies ist auf der offenen Strecke kaum möglich und wenn, dann zu umständlich und teuer. Mit dem Initialprojekt soll eine Grundlage erarbeitet werden, Gussasphalt ohne Schienen, digital gesteuert, in einer Ebenheit von +/ - 2 mm einzubauen. Drei Marktteilnehmer in der Schweiz reagierten auf unser Vorhaben und investieren in die Entwicklung einer neuen Fertiger-Generation. Der Abschluss dieses Initialprojektes soll dazu dienen, einen Forschungsantrag auszuarbeiten. In der heutigen Normierung in der Schweiz, wird der Gussasphalt auf dem Trassee nicht abgebildet. Neue Aufbauten, Sanierungsvarianten und Anforderungen an das Mischgut sind zu definieren. Auch bei der Gestaltung von lärmarmen Oberflächen und ihrer Langlebigkeit liegt einiges an Potential drin. Auswirkungen auf die Lebenszyklus- und Staukosten wie auch unsere Erhaltungsstrategie sollen aufgezeigt werden. Dies sind nur einige Punkte die der Forschungsantrag abbilden soll. 2.1 Probeeinbau auf der N3 bei Frick Zwei Jahre nach Projektbeginn konnten wir über ein Septemberwochenende der erste digitalgesteuerte Einbau von Gussasphalt auf einer Schweizer Nationalstrasse ausführen. Auf einem Streckenabschnitt von 150 m Länge wurde der Walzasphalt durch eine neue Binder- und Deckschicht aus Gussasphalt auf beiden Spuren in Richtung Zürich ersetzt. Um sämtliche Bauarbeiten digital gesteuert durchführen zu können, wurde vorgängig die bestehende Fahrbahnoberfläche aufgenommen und ein Deckenbuch erstellt. Die Arbeiten konnten wie geplant ausgeführt werden. Die geforderte Höhengenauigkeit auf der Fräsfläche, wie auch auf der Binderschicht wurde erreicht. Im Oktober wird die Deckschicht auf ihre Höhengenauigkeit geprüft. Erste Überfahrten mit dem PW bestätigen aber unser Ziel, einen ebenen Gussasphalt, ohne Verlegen von Schienen auf dem Trassee erstellen zu können. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 397 Oberflächenbehandlung mit Reaktionsharzen (OB-RH) - technische und gestalterische Möglichkeiten Peter Austin-Böhm KUTTER Spezialstraßenbau GmbH & Co. KG, Hanau Markus Leischner KUTTER Spezialstraßenbau GmbH & Co. KG, Hanau Oberflächenbehandlungen mit Reaktionsharzen (OB-RH) Oberflächenbehandlungen mit Reaktionsharzen (OB-RH) finden zunehmend Anwendung zur Lösung spezieller Problemstellungen auf Asphalt- und Betonfahrbahnen. Sie werden eingesetzt auf Verkehrsflächenbefestigungen aller Belastungsklassen. Besonders geeignet sind sie im Rahmen griffigkeitsverbessernder Maßnahmen, zur Entschärfung von Unfallschwerpunkten, zur optischen Aufhellung in Tunnelbauwerken oder zur Reduzierung der Geräuschemission (Reifen-Fahrbahnoberfläche). Durch den Einsatz pigmentierter Harzsysteme und zielgerichteter Auswahl der Abstreusplitte können ebenso Belange der Stadt- und Landschaftsplanung umgesetzt werden. Beim Begehen und Betrachten der naturnah gestalteten Fahrbahnoberflächen entsteht ein entspannendes Raumgefühl. So werden in befahrenen innerstädtischen Zonen oder in Parkanlagen die beschichteten Fahrbahnoberflächen als natürlich abgestimmter und harmonischer Bestandteil der gesamten Umgebung wahrgenommen Der Einbau erfolgt mit einer speziellen Maschinentechnik in großflächigen Projekten oder auch händisch in Bereichen, die mit Maschinen nicht erreichbar sind bzw. wo ein Maschineneinsatz nicht wirtschaftlich wäre. 1. Definition und Grundlage OB-RH Beläge sind Oberflächenbehandlungen aus Reaktionsharz (OB-RH) auf der Bindemittelbasis von geprüften 2-komponentigen Reaktionsharzen für Asphalt- und Betonflächen nach ZTV BEB-StB 15 [FGSV-Nr.898] sowie der TL BEB-StB 15 [FGSV-Nr.895], TP BEB-StB bzw. des Merkblattes für griffigkeitsverbessernde Maßnahmen an Verkehrsflächen aus Asphalt [FGSV-Nr.763]. Hierbei wird eine definierte Menge Epoxidharz auf eine durch Wasserhochdruckstrahlen oder Kugelstrahlen vorbereitete Fahrbahnoberfläche (Asphalt oder Beton) aufgetragen. Im Anschluss wird je nach Anforderungsprofil entstaubtes und feuergetrocknetes Gestein im Überschuss auf die Fläche eingestreut. Nach der Aushärtung des Reaktionsharzes wird das überschüssige Gestein abgekehrt und die Belagsfläche ist sofort nutzbar. 2. Anwendungsbereiche 2.1 Übergeordnetes Straßennetz OB-RH Beläge als griffigkeitsverbessernder Maßnahmen, zur Entschärfung von Unfallschwerpunkten, zur optischen Aufhellung in Tunnelbauwerken oder zur Reduzierung der Geräuschemission (Reifen-Fahrbahnoberfläche). 2.1.1 Griffigkeitsverbesserung Mit OB-RH Belägen werden zu glatte Verkehrsoberflächen wieder griffig und sicher. Dank der Verwendung von sehr polierresistenten Gesteinskörnungen werden Griffigkeitswerte von weit über 70 SRT-Einheiten erzielt. Messungen mit dem Seitenkraftmessverfahren (SKM-Verfahren) ergeben Kraftschlussbeiwerte von µ ≥ 0,70 bei Messgeschwindigkeiten von 80 km/ h auf freien Strecken (wie auf BAB und Landstraßen) und von 40 km/ h (wie in BAB-Anschlussstellen und BAB- Kreuzen). Durch die Verwendung von OB-RH Belägen wird präventiv bei Nässe oder bei Reifbildung eine wesentliche höhere Griffigkeit sowie eine durch die Rauheit bedingte hervorragende Drainwirkung an der Fahrbahnoberfläche erzielt. Das bedeutet, die Aquaplaning- und Sprühfahnenbildung wird verhindert. Damit werden generell und speziell bei extremen Witterungsperioden die Bremswege aller Fahrzeuge verkürzt und deren Seitenführung insbesondere der größeren Fahrzeuge auf Bauwerken und Oberflächenbehandlung mit Reaktionsharzen (OB-RH) - technische und gestalterische Möglichkeiten 398 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 in exponierten Lagen wie Hochbrücken oder sonstigen ungeschützten Freistrecken erheblich erhöht. Ebenso ist aufgrund der hohen Griffigkeit die bei Frostperioden aufzubringende Streugutmenge, um einiges geringer zu bemessen. 2.1.2 Optische Aufhellung Durch die Applikation von OB-RH Belägen mit besonders hellen und polierresistenten Abstreukörnungen wird eine enorme Aufhellung der Fahrbahnoberfläche erreicht. Bei der Verwendung von gelb-beigen Bauxiten liegt der mittlere Leuchtdichtekoeffizient bei q0 = 0,131 cd/ (m² x lx). Dieser erfüllt die Anforderung gemäß der neuen EABT - 80/ 100 hinsichtlich der Fahrbahnleuchtdichte für die Fahrbahnoberflächen für Straßentunnel. Die sehr positive Eigenschaft der Aufhellung der Fahrbahnoberfläche führt nachweisbar zu einer deutlich erhöhten Verkehrssicherheit und kann ebenso auf dunklen Streckenabschnitten, wie z.B. in Trogbauwerken, Lärmschutzeinhausungen, Straßen in Schattenlagen etc. genutzt werden. Weiter erzielbare Vorteile der Aufhellung der Fahrbahnoberfläche, sind eine wesentliche Einsparung der Energiekosten für die Beleuchtung im Tunnel oder vergleichbaren Bauwerken. Bild 1: optische Aufhellung Trogbauwerke Besonders unter dem Gesichtspunkt der immer häufiger vorkommenden extremen Heißwetterlagen / Hitzeperioden wirkt die Aufhellung reduzierend auf das Temperaturaufnahmeverhalten an der Fahrbahnoberfläche. Die starke Retroreflektion der verwendeten hellen Abstreukörnungen wirkt hier einer kontinuierlichen Aufheizung der Fahrbahn aus Asphalt und Beton wirkungsvoll entgegen. 2.1.3 Lärmreduzierung Unruhige, laute Verkehrsoberflächen erhalten durch die Applikation von OB-RH Belägen, direkt an der Oberfläche bzw. der Kontaktfläche zum Reifen eine Textur, die sich optimal auf eine deutliche Lärmminderung auf die Reifen-Fahrbahn-Geräusche auswirkt, da die Abrollgeräusche der Reifen auf den zahlreichen Kornspitzen durch die im OB-RH-Belag vorhandene wesentlich größere spezifische Oberfläche absorbiert, reduziert und damit erheblich verringert werden. Das laute, sogenannte „Airpumping“ wird gänzlich verhindert, da die Luft zwischen Reifen und Fahrbahnoberfläche durch die Rauheit des OB-RH Belages seitlich entweichen kann. Minderung der Reifen-Fahrbahn- Geräusche von bis zu 6 dB(A) (100 km/ h) sind möglich. Bild 2: Lärmreduzierung auf BAB 2.2 Stadt- und Landschaftsplanung 2.2.1 Gestaltung Durch den Einsatz pigmentierter Harzsysteme und zielgerichteter Auswahl der Abstreusplitte werden graue und dunkle Verkehrsoberflächen wieder naturnah und landschaftlich ansprechend gestaltet. So können passend und entsprechend der Stadt- und Landschaftsplanung die unterschiedlichsten Vorgaben zur Gestaltung dank der großen Auswahl an möglichen Abstreu- und Gesteinskörnungen zielgerichtet für fast jeden Bedarf umgesetzt werden. Beim Begehen und Betrachten der naturnah gestalteten Fahrbahnoberflächen entsteht ein entspannendes Raumgefühl. So werden in befahrenen innerstädtischen Zonen oder in Parkanlagen die beschichteten Fahrbahnoberflächen als natürlich abgestimmter harmonischer Bestandteil der gesamten Umgebung wahrgenommen, was sich im Gegensatz zu dem vorherigen Charakter einer Asphalt- oder Betonoberfläche vollkommen unterscheidet. Dieses wirkt sich wesentlich angenehmer, sogar beruhigender auf die Fußgänger wie auch auf die sonstigen Verkehrsteilnehmer und Anlieger aus. Oberflächenbehandlung mit Reaktionsharzen (OB-RH) - technische und gestalterische Möglichkeiten 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 399 Klare Vorteile der Bauweise sind hierbei: • Eine beliebige Gestaltungsmöglichkeit und Anpassung an die Restgestaltung durch diverse Wahlmöglichkeiten an pigmentierten Harzen und Abstreumaterialien. • Fast jede Gestaltungsform kann appliziert werden (auch Kleinstflächen). • Homogener Gesamteindruck der Fläche. • Beschichtungsflächen können jederzeit ergänzt, geändert oder erneuert werden, auch in Kleinstflächen. Bild 3: naturnahe Gestaltung Parkanlage Bild 4: naturnahe Gestaltung Parkanlage Bild 5: naturnahe Gestaltung Parkanlage Ebenso kann durch die Verwendung von hellen OB-RH Belägen die Aufheizung von innerstädtischen Verkehrsflächen, wie zum Beispiel von dunklen Asphalt- oder Betonoberflächen und damit auch der gesamten angrenzenden Umgebung, erheblich reduziert werden. 3. Applikation Der Einbau erfolgt mit einer speziellen Maschinentechnik in großflächigen Projekten oder auch händisch in Bereichen, die mit Maschinen nicht erreichbar sind bzw. wo ein Maschineneinsatz nicht wirtschaftlich wäre. 3.1 maschinelle Applikation Bild 6: maschineller Harzauftrag Oberflächenbehandlung mit Reaktionsharzen (OB-RH) - technische und gestalterische Möglichkeiten 400 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Bild 7: maschinelles Abstreuen 3.2 händische Applikation Bild 8: händischer Harzauftrag Bild 9: händisches Abstreuen 4. Abstreumaterialien Bei der Verwendung von OB-RH Belägen lässt sich eine breite Palette an Gesteinsabstreuung und Farbgestaltung realisieren. Hierbei lässt sich prinzipiell jede RAL-Farbe als pigmentiertes Trägerharz formulieren, dieses gilt auch bei der Abstreuung mit Colorsanden. Bild 10: Abstreumaterialien Vorteile von Colorsanden ist die große Auswahl an intensiven und RAL-nahen Farben sowie die absolute Homogenität des Materials. Nachteile sind die geringeren Kennwerte oder fehlenden Prüfungen (PSV-Werte / SZ-Werte), die Farbänderungen durch mechanischen Abrieb und Alterung sowie der höhere Preis im Vergleich zum Naturprodukt. Bei der Abstreuung mit natürlichen Gesteinen kann nach entsprechender Aufbereitung nahezu jedes Gestein genutzt werden. Einschränkungen ergeben sich hierbei lediglich durch die geplante Nutzung der späteren Flächen (PSV-Werte / SZ-Wert). Vorteile von natürlichen Gesteinen sind die natürliche Optik, die Oberflächen- und Farbstabilität auch bei starkem Abrieb (bei entsprechenden PSV-Werte / SZ-Wert) sowie der geringere Preis bei Standardkörnungen im Vergleich zu Colorsanden. Nachteile sind die geringere Farbauswahl, auch in der Abhängigkeit der geplanten Nutzung sowie höhere Materialkosten bei der Aufbereitung von Sonderkörnungen. 5. Reparaturfähigkeit OB-RH Beläge eignen sich besonders gut für Maßnahmen in kommunalen Bereichen oder Parkanlagen, in denen es durch Versorgungsträger und sonstige Tiefbaumaßnahmen immer wieder zu Aufgrabungen und Punktaufbrüchen kommt. Gleiches gilt auch für evtl. Reparaturen durch mechanische Beschädigungen. Im Gegensatz zu farbigen Asphalten ist hier auch eine Reparatur bis hin zu Kleinstflächen möglich (bei farbigen Oberflächenbehandlung mit Reaktionsharzen (OB-RH) - technische und gestalterische Möglichkeiten 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 401 Asphalten oft Probleme, Kleinmengen an Mischgut zu bekommen). Weiterhin bedarf es keiner störenden Nahtausbildung mit bituminösen Vergussmassen, die Farbunterschiede im Reparaturbereich sind nur von temporärer Dauer und verschwinden bereits nach kurzer Zeit. Dieses kann durch eine eventuelle Umfeldreinigung des Altbelages noch beschleunigt werden. Um den gewünschten Reparaturerfolg zu erzielen sind folgende Punkte zu berücksichtigen: • geradliniger Trennschnitt im Bereich des Belagsaufbruches • Durchführung und Wiederverfüllung der Aufgrabung • Wiederherstellung des bituminösen / zementösen Deckschichtbelags bis auf ehemalige Bestandshöhe und ohne Fugenausbildung • Geradliniges Abkleben der Anarbeitskanten • Neuaufbringung des OB-RH Belags im Aufbruchbereich • evtl. HDW-Reinigung der angrenzenden Altbeschichtung, um die Anfangsfarbunterschiede komplett zu minimieren (Reinigung des Altbelags von Alltagsverschmutzungen) Bild 11: Reparatustellen / Anschlussnähte 6. Nutzungsdauer Richtige Pflege und regelmäßige Reinigung von beschichteten Flächen sind nicht nur wichtig für Optik und Sauberkeit, sondern auch entscheidend für deren Lebensdauer und Haltbarkeit. Als Anhaltspunkt für die Nutzungsdauer von OB-RH Belägen kann eine Zeitspanne von 5 bis 15 Jahren angesetzt werden. Entscheidende Einflussfaktoren sind hierbei: • Instandhaltung, Pflege und regelmäßige Reinigung • Intensität der Nutzung / Verkehrsbelastung (Schwerverkehr, Kommunal, Landschaftsbau) • Abstreugesteine • Zustand des Asphaltuntergrundes (Neubau / Bestand) Zusammenfassung • Oberflächenbehandlungen mit Reaktionsharz