eJournals Kolloquium Straßenbau in der Praxis 2/1

Kolloquium Straßenbau in der Praxis
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expert Verlag Tübingen
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2021
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Bitumenmodifikation - Eine Optimierungsaufgabe mit Zielkonflikten?

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Markus Oeser
Nicolás Carreño
Aktuell ist die Straßenbauindustrie mit verschiedenen Hausforderungen konfrontiert. Neue Vorschriften zur Reduktion von Bitumendämpfen und Aerosolen während der Einbauphase und der Wunsch nach einem geringeren Energieeinsatz bei der Asphaltherstellung erfordern einen Paradigmenwechsel hin zu temperaturabgesenkten Asphalten. Mit der Temperaturabsenkung steigen jedoch die Prozessrisiken, da das Zeitfenster für eine ausreichende Verdichtung kleiner wird oder plötzliche Phasenübergänge – wie bei wachsmodifizierten Asphalten – den ohnehin bereits hohen Komplexitätsgrad des Asphalteinbaus weiter steigern. Trotzdem sollen gut verdichtete und langlebige Straßenbaustoffe zur Verfügung gestellt werden, die auch unter extremen klimatischen und verkehrlichen Beanspruchungen dauerhaft funktionieren. Eine Optimierungsaufgabe mit Zielkonflikten? Das neuartige chemisch reaktive Bitumenadditiv B2Last® kann hierbei eine Lösung sein. B2Last®-modifizierte Asphalte können durch eine zeitlich begrenzte Viskositätsabsenkung bei verminderten Temperaturen produziert und eingebaut werden. Für die Verdichtung verbleibt ein komfortables Zeitfenster. Nach Abschluss der Modifikationsreaktion existiert im Bitumen ein Netzwerk, das zu verbesserten Verformungsstabilitäten und gesteigerten Ermüdungsresistenzen beiträgt, ohne dass dabei die Tieftemperatureigenschaften beeinflusst werden. In der vorliegenden Studie werden im Labor durchgeführten Steifigkeits- und Ermüdungsversuchen präsentiert. Die Performanceeigenschaften eines Tragschichtasphaltes mit und ohne B2Last® werden eingehend analysiert und Lebensdauerbetrachtungen auf Basis der RDO Asphalt 09 angestellt.
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2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 67 Bitumenmodifikation - Eine Optimierungsaufgabe mit Zielkonflikten? Markus Oeser RWTH Aachen, Aachen, Deutschland Nicolás Carreño RWTH Aachen, Aachen, Deutschland Zusammenfassung Aktuell ist die Straßenbauindustrie mit verschiedenen Hausforderungen konfrontiert. Neue Vorschriften zur Reduktion von Bitumendämpfen und Aerosolen während der Einbauphase und der Wunsch nach einem geringeren Energieeinsatz bei der Asphaltherstellung erfordern einen Paradigmenwechsel hin zu temperaturabgesenkten Asphalten. Mit der Temperaturabsenkung steigen jedoch die Prozessrisiken, da das Zeitfenster für eine ausreichende Verdichtung kleiner wird oder plötzliche Phasenübergänge - wie bei wachsmodifizierten Asphalten - den ohnehin bereits hohen Komplexitätsgrad des Asphalteinbaus weiter steigern. Trotzdem sollen gut verdichtete und langlebige Straßenbaustoffe zur Verfügung gestellt werden, die auch unter extremen klimatischen und verkehrlichen Beanspruchungen dauerhaft funktionieren. Eine Optimierungsaufgabe mit Zielkonflikten? Das neuartige chemisch reaktive Bitumenadditiv B2Last® kann hierbei eine Lösung sein. B2Last®-modifizierte Asphalte können durch eine zeitlich begrenzte Viskositätsabsenkung bei verminderten Temperaturen produziert und eingebaut werden. Für die Verdichtung verbleibt ein komfortables Zeitfenster. Nach Abschluss der Modifikations-reaktion existiert im Bitumen ein Netzwerk, das zu verbesserten Verformungsstabilitäten und gesteigerten Ermüdungsresistenzen beiträgt, ohne dass da-bei die Tieftemperatureigenschaften beeinflusst werden. In der vorliegenden Studie werden im Labor durchgeführten Steifigkeits- und Ermüdungsversuchen präsentiert. Die Performanceeigenschaften eines Tragschichtasphaltes mit und ohne B2Last® werden eingehend analysiert und Lebensdauerbetrachtungen auf Basis der RDO Asphalt 09 angestellt. 1. Einleitung Die übergeordnete Fragestellung, die der Veröffentlichung zugrunde liegt, besteht in der Lösung des Zielkonfliktes zwischen Temperaturabsenkung, Verdichtung und Performancesteigerung von Asphalten. Es wird nachgewiesen, dass ein neuartiger Bitumenmodifikator (B2Last®) die Asphaltperformancecharakteristiken steigert und gleichzeitig eine sehr gute Verarbeitbarkeit auch bei abgesenkten Temperaturen gewährleistet. Abbildung 1: Bitumenmodifikation mit B2Last® Das Additiv stellt eine dauerhafte chemische Bindung zwischen inhärenten Bitumenkomponenten (hauptsächlich Harzen und Asphaltenen) her, siehe Abbildung 1. Da es sich bei B2Last® um ein chemisch reaktives Additiv handelt und dem Bitumen - anders als bei einer physikalischen Modifikation - keine zweite unabhängig existierende Phase beigemischt wird, besteht keine Entmischungsgefahr. Das Additiv reagiert mit den funktio- Bitumenmodifikation - Eine Optimierungsaufgabe mit Zielkonflikten? 68 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 nellen Gruppen innerhalb des Bitumens. Je mehr funktionelle Gruppen vorhanden sind, desto besser ist das Ergebnis der Modifikation. Infolge von Oxidationsprozessen steig die Anzahl der verfügbaren funktionellen Gruppen, siehe Abbildung 2. Aus diesem Grund ist ein besonders positiver Reaktionsverlauf bei Mischungen mit Asphaltgranulat zu beobachten. Die chemische Bindung zwischen den vernetzten Bitumenkomponenten steigert die verbleibende Steifigkeit des modifizierten Bitumens bei hohen Temperaturen, was die Verformungsstabilität erhöht und der Spurrinnenbildung entgegenwirkt. Die chemischen Bindungen wirken auf molekularer Ebene wie kleine Bewehrungselemente zwischen den vernetzten Bitumenkomponenten. Dieser Effekt führt zu einer verbesserten Ermüdungsstabilität. Abbildung 2: Interaktion von B2Last® mit Asphaltgranulat Wie bereits erwähnt, kann mit dem Additiv die Asphaltherstellung und der Einbau bei abgesenkten Temperaturen durchgeführt werden kann. Dies ist durch die reduzierte Viskosität während des zweistufigen Reaktionsprozesses möglich. Das Additiv wird über einen in-line Prozess als niedrigviskose Flüssigkeit im Mischwerk dosiert zugegeben. Zunächst erfolgt die erste Stufe der Modifikation, das Additiv reagiert in das Bitumen ein. Diese erste Stufe läuft innerhalb kürzester Zeit ab und verhindert ein Ausdiffundieren des Additivs aus dem heißen Bitumen. Bedingt durch die niedrige Viskosität des Additivs fällt die Viskosität des Bitumen-Additiv-Gemisches ab, sodass die Verarbeitung und der Einbau bei geringeren Temperaturen möglich werden. Während der zweiten Stufe der Modifikation erfolgt die Vernetzung. Als Folge der Vernetzung steigt die Viskosität an. Diese Stufe benötigt jedoch einen längeren Zeitraum (bis hin zu mehreren Stunden). Für den Einbau und die anschließende Verdichtung verbleibt deshalb in jedem Falle ein ausreichend großes Zeitfenster. Nach Abschluss der Vernetzungsreaktion liegen die verbesserten Performancecharakteristiken des Asphaltes vor. Diese manifestieren sich - wie bereits erwähnt - in einer höheren Verformungsstabilität und geringeren Ermüdungs-anfälligkeit. Um das Potential der Temperaturreduktion weiter auszuschöpfen, kann außerdem ein weicheres Bitumen (z.B. PEN 70/ 100 statt 50/ 70) eingesetzt werden. Mit dem Additiv können dann trotzdem die Anforderungen an eine hohe Verformungsstabilität bei hohen Temperaturen sichergestellt werden. 2. Lebensdauer Prognose Um die Nachhaltigkeit des Modifizierungsansatzes beurteilen zu können, müssen neben den Ergebnissen zur Energieeinsparung bei der Asphaltproduktion auch Aussagen zur Dauerhaftigkeit des modifizierten Asphaltes und zur erwartenden Lebensdauer der - mit diesem Asphalt hergestellten - Straßenaufbauten vorliegen. Zu diesem Zweck wurde das rechnerische Dimensionierungsverfahren für Asphalt-befestigungen (RDO Asphalt 09) herangezogen. Dieses Verfahren wurde für die Dimensionierung von Asphaltbefestigungen unter Berücksichtigung der verkehrlichen und klimatischen Einflüsse sowie der Materialeigenschaften entwickelt. Dabei werden für definierte Kombinationen aus klimatischen und verkehrlichen Einwirkungen die Biegezugdehnungen an der Unterseite der Asphalttragschichten berechnet. Jeder Kombination aus verkehrlichen und klimatischen Einflüssen kann eine Auftretenshäufigkeit zugeordnet werden, sodass über die angestrebte Nutzungsdauer für jede berechnete Biegezugdehnung eine vorhandene Lastwechselzahl vorliegt. Diese Lastwechselzahl wird einer aufnehmbaren Lastwechselzahl gegenübergestellt, die sich experimentell nach dem Verfahren (TP Asphalt-StB Teil 24) ermitteln lässt. Der Quotient aus vorhandener und aufnehmbarer Lastwechselzahl liefert das Schädigungsinkrement der zugehörenden Kombination aus klimatischen und verkehrlichen Einwirkungen. Werden die Schädigungsinkremente aller Einwirkungskombinationen addiert, kann mit der Schädigungshypothese nach Miner der Ermüdungsstatus berechnet werden. Liegt der Ermüdungsstatus über der Zahl eins, bedeutet dies, dass die Befestigung unterdimensioniert ist und voraussichtlich vor dem Erreichen der geplanten Lebensdauer versagen wird. Ein Ermüdungsstatus unter der Zahl eins bedeutet hingegen, dass die Befestigung überdimensioniert ist, voraussichtlich eine höhere Lebensdauer aufweist als geplant und ggf. unwirtschaftlich ist. Deshalb wird im Dimensionierungsprozess ein Ermüdungsstatus von eins angestrebt, was durch eine geeignete Wahl des Befestigungsaufbaus, der Schichtdicken und der verwendeten Materialien erreicht werden kann. Das Verfahren lässt sich aber auch einsetzen, um Befestigungsaufbauten und die darin verwendeten Materialien miteinander zu vergleichen. Hierzu werden nun zwei Szenarien skizziert: Bei gleichbleibendem Befestigungsaufbau (d.h., gleichbleiben-der Schichtdicke und Schichtfolge) kann der Einfluss unterschiedlicher Mate- Bitumenmodifikation - Eine Optimierungsaufgabe mit Zielkonflikten? 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 69 rialperformance auf die Lebendsauer abgebildet werden. Andererseits kann bei gleich-bleibender Lebensdauer der Einfluss der unterschiedlichen Materialperformance auf die erforderliche Schichtdicke bestimmt werden. Weitere Szenarien sind denk-bar. Da B2Last® modifizierte Asphalte eine geringere Ermüdungsneigung aufweisen als nicht modifizierte Asphalte, lassen sich im ersten Szenario ein Zugewinn an Lebensdauer und im zweiten Szenario das Materialeinsparpotential ermitteln. Diese Größen sind neben dem Energieeinsparpotential Grundlagen für die Nachhaltigkeitsbewertung. 2.1 Charakterisierung des Tragschichtmaterials Für die Untersuchung wurde ein AC 22 T S ausgewählt. Zuerst musste das Mischungsverhältnis überprüft werden, da sowohl die Referenz als auch die B2Last® modifizierten Mischungen mit 50 % Ausbauasphalt produziert werden sollten. Für beide Asphaltgemische wurde das Bitumen PEN 50/ 70 eingesetzt; die modifizierte Variante wurde mit 2.5 % B2Last® (bezogen auf das Bitumengewicht) modifiziert. Um im Labor die in der Realität vorliegenden Bedingungen nachzubilden, wurden für die modifizierte Variante bei 115 °C Asphaltplatten mit dem Walz-Segment-Verdichter hergestellt, während die Platten der Referenzvariante bei der Normtemperatur von 135 °C verdichtet wurden. Um die Lebensdauer vorauszusagen, wurden die Steifigkeit (Masterkurve) und das Ermüdungsverhalten des nicht modifizierten und modifizierten Tragschichtmaterials gemäß TP Asphalt-StB Teil 24 und Teil 26 experimentell ermittelt. Beide Normen schreiben den Spaltzugschwellversuch (SZSV) vor, welcher bei verschiedenen Temperaturen und Frequenzen durchzuführen ist. Das Ermüdungsverhalten wurde durch SZS-Versuche bei 20 °C, bei einer Frequenz von 10 Hz und bei drei unterschiedlichen Belastungszuständen ermittelt, während die Steifigkeitsmasterkurve durch SZS-Versuche bei -10 °C, 5 °C und 20 °C, und bei Frequenzen zwischen 0.1 Hz bis 10 Hz, sowie unterschiedlichen Belastungszuständen (Spannungen) erlangt wurde. Die Ergebnisse sind in Abb. 3 und Abb. 4 dargestellt. Die B2Last® modifizierte Asphalt Tragschicht zeigt eine höhere liegende Ermüdungskurve (Abb. 3), dies bedeutet, dass das modifizierte Material unter gleicher Beanspruchung (hier Dehnung) eine größere Anzahl an Lastzyklen erträgt und damit ermüdungsresistenter ist als die nicht modifizierte Variante. Weiterhin zeigt die Masterkurve (Abb. 4) der modifizierten Variante eine höhere Steifigkeit bei geringen Frequenzen bzw. hohen Temperaturen und eine geringere Steifigkeit bei höheren Frequenzen bzw. niedrigeren Temperaturen verglichen mit der Referenzvariante. Diese Wirkung ist wünschenswert und führt zu einer besseren Asphaltperformance sowohl im hohen als auch im niedrigen Temperaturbereich. Abbildung 3: Ermüdungsfunktion der modifizierten und nicht modifizierten (Referenz) Varianten Der Grund für die Steifigkeitsunterschiede im Bereich niedriger Frequenzen bzw. hoher Temperaturen ist im chemisch erzeugten Netzwerk zu suchen, das dem modifizierten Material eine höhere Stabilität verleiht, während das nicht modifizierte Material quasi unbegrenzt erweicht. Wieso am anderen Ende des Frequenz-Temperatur-Spektrum der Masterkurve beim modifizierten Material eine geringfügig niedrigere Steifigkeit oder besser gesagt ein späteres Erreichen des Glasmoduls vorliegt, als beim nicht modifizierten Material, ist derzeit noch nicht abschließend geklärt. Wie oben bereits erwähnt, ist dieser Effekt zwar ebenfalls wünschenswert, weil er geringere kryogene Spannungen im Tieftemperaturbereich und ein duktileres Verhalten erwarten lässt, jedoch wird derzeit noch an einer plausiblen und physikalisch begründeten Interpretation dieses Effektes gearbeitet. b) Abbildung 4: Ermüdungsfunktion (a) und Masterkurve (b) der modifizierten und nicht modifizierten Varianten 2.2 Verkehr- und Temperaturlasten Neben den Materialeigenschaften müssen - wie oben bereits erwähnt - Verkehrs- und klimatologische Daten berücksichtigt werden. Für die Berechnung sind diese Werte für beide Varianten (modifiziert und nicht modifiziert) identisch. Die gewählte Verkehrsbelastung entspricht einem DTV von 42.500 Fahrzeugen pro Tag mit einem SV-Anteil von 21 % (jährliche Zunahme 3%). Der Bemessungszeitraum wurde auf 30 Jahre festgesetzt und die