eJournals Kolloquium Straßenbau in der Praxis 2/1

Kolloquium Straßenbau in der Praxis
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expert Verlag Tübingen
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2021
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Technische Aspekte einer Kaltrecyclingbauweise von Asphalt ohne Zusatz von Bindemittel

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Hartmut Herb
Markus Stöckner
Im Rahmen des europäischen Forschungsverbundprojekts ORRAP (Optimales Recycling von Ausbauasphalt auf verkehrsschwachen Straßen) wurde in der Region Oberrhein das Ziel verfolgt, Ausbauasphalt bei Umgebungstemperatur und ohne Zusatz von bituminösem Bindemittel zu 100 % wiederzuverwenden. Konzipiert wurde diese Kaltrecyclingbauweise in den Ländern Frankreich, Schweiz und Deutschland für Fahrbahnen mit geringer Verkehrsbelastung. Im experimentellen Teil des Projekts wurden zunächst Ausbauasphaltgranulate asphalt- und bitumentechnologischen Prüfungen unterzogen, d.h. mechanisch-physikalisch und chemisch charakterisiert. Anhand der Verdichtung und Prüfung von Laborprüfkörpern konnte die Durchführbarkeit des ORRAP-Verfahrens demonstriert werden, was somit zum erfolgreichen Bau zweier Teststrecken führte. Zur Qualitätskontrolle wurden mechanische Prüfungen nach dem Einbau anhand von Plattendruckversuchen durchgeführt. Kontrollmessungen auf den Teststrecken erfolgen weiterhin, um das Langzeitverhalten der Bauweise zu beurteilen.
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2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 85 Technische Aspekte einer Kaltrecyclingbauweise von Asphalt ohne Zusatz von Bindemittel Dr.-Ing. Hartmut Herb Hochschule Karlsruhe -Technik und Wirtschaft Prof. Dr.-Ing. Markus Stöckner Hochschule Karlsruhe -Technik und Wirtschaft Zusammenfassung Im Rahmen des europäischen Forschungsverbundprojekts ORRAP (Optimales Recycling von Ausbauasphalt auf verkehrsschwachen Straßen) wurde in der Region Oberrhein das Ziel verfolgt, Ausbauasphalt bei Umgebungstemperatur und ohne Zusatz von bituminösem Bindemittel zu 100 % wiederzuverwenden. Konzipiert wurde diese Kaltrecyclingbauweise in den Ländern Frankreich, Schweiz und Deutschland für Fahrbahnen mit geringer Verkehrsbelastung. Im experimentellen Teil des Projekts wurden zunächst Ausbauasphaltgranulate asphalt- und bitumentechnologischen Prüfungen unterzogen, d.h. mechanisch-physikalisch und chemisch charakterisiert. Anhand der Verdichtung und Prüfung von Laborprüfkörpern konnte die Durchführbarkeit des ORRAP-Verfahrens demonstriert werden, was somit zum erfolgreichen Bau zweier Teststrecken führte. Zur Qualitätskontrolle wurden mechanische Prüfungen nach dem Einbau anhand von Plattendruckversuchen durchgeführt. Kontrollmessungen auf den Teststrecken erfolgen weiterhin, um das Langzeitverhalten der Bauweise zu beurteilen. 1. Einleitung Für den Bau, die Sanierung und die Instandhaltung von Straßen werden erhebliche Mengen natürlicher, qualitativ hoher Ressourcen in Form von Gesteinskörnung und Bitumen verwendet. Heutzutage wird es daher immer wichtiger, die Ausbeutung natürlicher Ressourcen zu begrenzen, indem die Wiederverwendung von Ausbauasphalt gefördert wird. Darüber hinaus begründen zunehmend begrenzte Haushaltsmittel und steigende Umweltschutzziele den Einsatz ökonomischer und weniger energieintensiver Materialien. Daher wurde in der Region Oberrhein das trinationale Forschungsverbundprojekt ORRAP - Optimales Recycling von Ausbauasphalt auf verkehrsschwachen Straßen - mit dem Ziel initiiert, Ausbauasphalt in einer Kaltrecyclingbauweise und ohne Zusatz von bituminösem Bindemittel vollständig wiederzuverwenden. Dieses Material sollte dabei auf Straßen für geringen oder mäßigen Verkehr eingesetzt werden. Aufbauend auf schwedischen Erfahrungen [1] wurde das Konzept verfolgt, nach Laborversuchen Ausbauasphaltgranulat mit einem bestimmten Wassergehalt einzubauen und zu verdichten. 2. Charakterisierung der verwendeten Materialien Aus allen drei Ländern (F, CH, D) wurde Ausbauasphaltgranulat von Halden verschiedener, regionaler Mischwerke bezogen und asphalttechnologischen Prüfungen unterzogen. Ebenso wurden die rückgewonnenen Bitumen sowohl physikalisch-mechanisch als auch chemisch charakterisiert. 2.1 Ausbauasphaltgranulat Vorwiegend wurden Ausbauasphaltgranulate der Kornklasse 0/ 16 untersucht. Zur Ermittlung der modifizierten Proctordichte des Ausbauasphaltgranulats bei entsprechendem optimalen Wassergehalt wurde der Proctorversuch mit modifizierter Verdichtungsarbeit eingesetzt [2]. Mit dem CBR (California Bearing Ratio) -Test erfolgten Untersuchungen zur Tragfähigkeit [3]. Der CBR-Wert wird dabei als Verhältnis der für eine bestimmte Eindringtiefe gemessenen Kraft zu einer Bezugskraft in Prozent (%) berechnet. 100 % entsprechen dabei einem genormten kalifornischen Kalkstein. Der zu messende Probekörper wird durch modifizierte Verdichtungsarbeit im Proctortopf hergestellt. Die Ergebnisse in Tabelle 1 zeigen für die Proctorversuche, dass die optimalen Was- 86 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Technische Aspekte einer Kaltrecyclingbauweise von Asphalt ohne Zusatz von Bindemittel sergehalte bei ca. 5% liegen. Abhängig von den Feuchtegehalten auf der Halde sind die AA daher für den Einbau auf der Baustelle entsprechend mit Wasser einzustellen. Die gemessenen CBR-Werte betragen ca. 14 %. Tabelle 1: Ergebnisse aus modifiziertem Proctor- und CBR-Versuchen AA (D) AA (F) AA (CH) mod. Proctordichte in g/ cm³ 1,92 1,79 1,81 opt. H2O-Gehalt in % 5,6 5,5 4,3 CBR-Wert in % 14 12 14 Um eine Abschätzung der aus den ermittelten CBR-Werten zu erwartenden EV2-Werten auf der realen Straße vorzunehmen, wurde anhand einer in der Literatur [4] beschriebenen Relation eine Kalkulation der EV2-Werte vorgenommen. Ein CBR-Wert von 14 % sollte damit einem EV2-Wert von ca. 75 MN/ m² entsprechen. In diesem trinationalen Projekt wurden die verschiedenen Ausbauasphaltgranulate hinsichtlich ihres mechanischen Verhaltens eingehend mit Triaxialversuchen auf Verdichtungseigenschaften [5] mit dem Verkehrslastsimulator (MMLS3) hinsichtlich Spurrinnenbildung [6] untersucht. Probekörper unterschiedlicher Geometrie wurden dafür hergestellt. 2.2 Charakterisierung der rückgewonnenen Bitumen Nach Heißextraktion der Ausbauasphaltgranulate mit Trichlorethen wurden die Bitumen im Rotationsverdampfer zurückgewonnen und charakterisiert. Als mechanischphysikalische Testmethoden wurden neben der Ermittlung des Bitumengehalts die Bestimmung des Erweichungspunkts (Ring und Kugel), der Nadelpenetration (bei 25°C), der elastischen Rückstellung, des komplexen Schermoduls und des Phasenwinkels mit dem Dynamischen Scherrheometer (T-Sweep) und das Tieftemperaturverhalten mit dem Biegebalkenrheometer eingesetzt. Chemisch wurden die Bitumen durch Bestimmung der Carbonyl- und Sulfoxid-Indices mit Fourier Transformierter-Infrarot-Spektroskopie (FT-IR), der mittleren Molmasse mit Gelpermeationschromatographie (GPC) und der SARA (Saturates, Aromatics, Resins, Asphaltenes) -Analyse charakterisiert. In Tabelle 2 sind die Ergebnisse zur Bestimmung der Nadelpenetration [7] der zurückgewonnenen Bitumen der Ausbauasphaltgranulate (AA) aufgetragen. Vergleichend hierzu wurde zusätzlich das Ergebnis für ein Bitumen der Sorte 50/ 70 dargestellt, sowohl im Zustand frisch aus der Raffinerie als auch nach einem künstlichen Alterungsprozess im Labor (PAV-Verfahren - Pressure Ageing Vessel [8]). Die zurückgewonnenen Bitumen weisen geringere Eindringtiefen auf als das gealterte Vergleichsbitumen. Sie sind somit durch erfolgte Alterungsprozesse in ihrem Gebrauchsverhalten entsprechend härter. Tabelle 2: Ergebnisse der Bestimmung der Nadelpenetration der Bitumen Komplementär zu diesen Ergebnissen zeigt die FT-IR- Bestimmung [9] der Oxidationsindices, welche eine Quantifizierung für den Oxidationsgrad von Kohlenstoff- und Schwefelverbindungen im Bitumen darstellen [10], in Tabelle 3, dass die zurückgewonnenen Bitumen der AA höhere Indices aufweisen als das künstlich gealterte Bitumen der Sorte 50/ 70. Durch Oxidation mit Sauerstoff während der Bau- und Nutzungsphase waren die Bitumen entsprechend gealtert. Alle aus den untersuchten Ausbauasphaltgranulaten zurückgewonnenen Bitumen zeigen somit hinsichtlich mechanisch-physikalischer und chemischer Charakterisierung, wie beispielhaft an den zwei erläuterten Testmethoden dargestellt, einen fortgeschrittenen Alterungsgrad, was beim Recycling zu berücksichtigen ist. Tabelle 3: Ergebnisse der Bestimmung der Carbonyl (C=O)- und der Sulfoxid (S=O)-Indices der Bitumen 3. Einbau auf den Teststrecken Vor dem Einbau wurde der vorhandene Asphaltbelag durch Fräsen bzw. Aufrauen bearbeitet, um dessen Dicke zu verringern und die nötige Oberflächenrauhigkeit zur Sicherstellung eines guten Haftverbunds zu erreichen. Zusätzlich wurde ein Haftkleber aufgebracht. Das Aufbringen des ORRAP-Materialien erfolgte durch einen Grader bzw. Straßenfertiger mit einer Schichtdicke (je nach Teststreckenabschnitt) von 10 cm (Teststrecke Schweiz) bzw. 12 und 15 cm (Teststrecke Frankreich). Während des Einbaus sowie während dem Verdichten wurde das Material bewässert z.T. mit am Straßenfertiger 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 87 Technische Aspekte einer Kaltrecyclingbauweise von Asphalt ohne Zusatz von Bindemittel (Bohle, Schnecke) montierten Bewässerungsvorrichtungen bzw. mit fahrbarem Wassertank mit Exaktverteiler, um die Verdichtung zu optimieren. Abbildung 1: Einbau des ORRAP-Materials mit einem Straßenfertiger Die Verdichtung erfolgte mit Gummiradwalzen und Stahlglattradwalzen, wobei letztere für eine glatte und gleichmäßige Oberfläche sorgten. Bei Verwendung der Vibrationsvorrichtung an Stahlglattradwalzen wurde darauf geachtet, dass eine Rissbildung vermieden wurde. Schwere Stahlradwalzen wurden nicht eingesetzt. Die Verdichtung der Bankette erwies sich schwieriger als beim Einbau von Heißasphalt. Daher wurde die ORRAP- Schicht mit einer zusätzlichen Breite von ca. 30 - 50 cm, um so ein Befahren der Randbereiche zu vermeiden. Der Verdichtungsaufwand (Anzahl der Walzendurchgänge) entsprach ungefähr dem doppelten Aufwand, der für die Heißasphaltbauweise erforderlich ist. Die ORRAP-Bauweise kann generell nicht für eine Deckschicht verwendet werden, da das Asphaltgranulat nicht den Kriterien für Deckschichten (Qualität der Gesteinskörnung, Mikrotextur, Makrotextur) entspricht, und somit das Risiko von Kornausbrüchen besteht. Daher wurde auf den Teststrecken am Tag nach dem Einbau des ORRAP-Materials eine Asphaltbetondeckschicht von 4 cm bzw. eine bituminöse Versiegelung aufgetragen. 4. Qualitätskontrolle der Bauweise Während des Einbaus wurden Verdichtungsprüfungen durchgeführt, um eine ordnungsgemäße Verdichtung des verwendeten Materials sicherzustellen. Aufgrund des feuchten Materials wurde ein Dual-Source-Gamma- Densimeter (Isotopensonde) eingesetzt. Die Dicke der Schicht wurde während des Einbaus mit einem Tiefenmesser überprüft. Nach dem Einbau wurden am folgenden Tag Plattendruck- und Deflektionstests durchgeführt. Zudem wurden die Streckenabschnitte nach 3 Monaten bezüglich einer Nachverdichtung des Materials und auf eventuell auftretende Spurrinnenbildung überwacht. Die Ergebnisse der statischen Plattendruckversuche auf den zwei Abschnitten der französischen Teststrecke mit einer Schichtdicke von 12 bzw. 15 cm sind in Abbildung 2 dargestellt. Abbildung 2: Ermittelte E V 1- und E V 2-Werte auf der französischen Teststrecke 1 bzw. 96 Tage nach dem Einbau Die realen EV2-Werte des AA unterscheiden sich von den aus Ergebnissen der CBR-Versuche korrelierten Werten. In situ sind für 1 d nach dem Einbau 109 bzw. 131 MPa erreicht worden. Der CBR-Wert für das französische Teststreckenmaterial betrug 20 %. Die entsprechende Korrelation hat ca. 95 MPa als Resultat. Die realen EV2- Werte sind somit ca. 15 bis 25% höher. Nach 3 Monaten Liegezeit unter Befahrung betrugen die EV2-Wertes des AA bei ca. 190 MPa. 5. Ausblick Die bisherigen Ergebnisse der entwickelten Kaltrecyclingbauweise zeigen die erfolgreiche Durchführbarkeit in der Praxis. Es ist geplant, die Teststrecken in den nächsten drei Jahren über das Ende des Projektzeitraums hinaus weiterhin zu beobachteten und Kontrollmessungen durchzuführen, um das Langzeitverhalten der Bauweise zu beurteilen. Insbesondere wird hier die Entwicklung der Spurrinnenbildung untersucht. Neben den dargestellten technischen Aspekten berücksichtigt die ORRAP-Bauweise verschiedene wirtschaftliche, ökologische und gesundheitliche Aspekte, da sie natürliche Ressourcen schont und die Verwendung von Materialien geringerer Qualität ermöglicht [11]. Darüber hinaus reduziert diese 100%-ige Recyclingtechnologie nicht nur die Menge der AA-Lagerbestände, sondern stellt auch eine umweltfreundliche Bauweise dar, die zur CO 2 -Einsparung und Reduzierung anderer Emissionen führt.