eJournals Kolloquium Straßenbau in der Praxis 2/1

Kolloquium Straßenbau in der Praxis
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expert Verlag Tübingen
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2021
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Erhalt der Straßeninfrastruktur Baden-Württemberg

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Markus Kübler
Baden-Württemberg ist als dynamisches Land, profilierter Wirtschaftsstandort und Transitland auf eine gut ausgebaute und vor allem intakte Straßeninfrastruktur angewiesen. Die große Herausforderung in Bezug auf die Sicherstellung der Mobilität in Baden-Württemberg ist und wird der Erhalt der existierenden Infrastruktur sein. Der Vortrag gibt – insbesondere am Beispiel aktueller Baumaßnahmen der Brückenerhaltung und Tunnelnachrüstung an verkehrlich hoch belasteten Streckenabschnitten – einen Überblick über die verschiedenen Anforderungen, Strategien und Innovationen im Rahmen der Erhaltung des Straßennetzes. Auf die Straßenbestandteile Brücken, Tunnel und Fahrbahn wird hierbei spezifisch eingegangen.
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2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 285 Erhalt der Straßeninfrastruktur Baden-Württemberg Anforderungen, Strategien und Innovationen am Beispiel aktueller Erhaltungsmaßnahmen Dipl.-Ing. Markus Kübler Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg Zusammenfassung Baden-Württemberg ist als dynamisches Land, profilierter Wirtschaftsstandort und Transitland auf eine gut ausgebaute und vor allem intakte Straßeninfrastruktur angewiesen. Die große Herausforderung in Bezug auf die Sicherstellung der Mobilität in Baden-Württemberg ist und wird der Erhalt der existierenden Infrastruktur sein. Der Vortrag gibt - insbesondere am Beispiel aktueller Baumaßnahmen der Brückenerhaltung und Tunnelnachrüstung an verkehrlich hoch belasteten Streckenabschnitten - einen Überblick über die verschiedenen Anforderungen, Strategien und Innovationen im Rahmen der Erhaltung des Straßennetzes. Auf die Straßenbestandteile Brücken, Tunnel und Fahrbahn wird hierbei spezifisch eingegangen. 1. Straßennetz Baden-Württemberg 1.1 Zuständigkeiten und Umfang Infolge der Reform der Bundesfernstraßenverwaltung ist seit 1. Januar 2021 die Autobahn GmbH des Bundes zuständig für die Planung, den Bau, den Betrieb und die Erhaltung der Autobahnen. Dies beinhaltet auch das Autobahnnetz in Baden-Württemberg. Die Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg ist aktuell zuständig für rund 4.840 Kilometer Bundesstraßen sowie rund 9.650 Kilometer Landesstraßen mit insgesamt mehr als 17.000 Bauwerken. Die Zuständigkeit der Straßenbauverwaltung umfasst insbesondere die Erhaltung des Bundes- und Landesstraßennetzes. 1.2 Investitionen und Zustandsentwicklung Im Zeitraum von 2011 bis 2020 wurden insgesamt rund 4,6 Milliarden Euro in die Erhaltung des Straßennetzes in Baden-Württemberg - also in die Erhaltung der Autobahnen, Bundes- und Landesstraßen - investiert. Auf dieser Grundlage konnte in den letzten zehn Jahren bei den Autobahnen eine Verbesserung des Straßen- und Brückenzustands erreicht werden. Auch bei den Bundes- und Landesstraßen hat sich in den letzten rund zehn Jahren der Straßenzustand (Fahrbahnen) verbessert. Der Zustand der Bundes- und Landesstraßenbrücken hat sich in diesem Zeitraum leicht verschlechtert. Die Erhaltung des Bundes- und Landesstraßennetzes stellt auch weiterhin eine große Herausforderung dar und bedarf großer Anstrengungen. 2. Brückenerhaltung 2.1 Brückenprüfungen Bauwerke nach der DIN 1076 werden regelmäßigen Prüfungen unterzogen. Diese Bauwerksprüfungen sind nicht nur gesetzliche Pflicht, sondern ein wesentlicher Bestandteil des Erhaltungsmanagements der Straßenbauverwaltung des Landes. Dabei werden die Brücken im Abstand von sechs Jahren einer Hauptprüfung unterzogen. Jeweils drei Jahre nach der Hauptprüfung erfolgt eine Einfache Prüfung. Zudem kontrollieren die zuständigen Straßenmeistereien im Zuge von jährlich durchzuführenden Besichtigungen die Brücken. Hierbei erfolgen zweimal jährlich Beobachtungen im Hinblick auf augenscheinliche Schäden. Im Zuge der Brückenprüfungen werden Schäden aufgenommen und der Zustand unter Berücksichtigung der Standsicherheit, der Verkehrssicherheit sowie der Dauerhaftigkeit beurteilt. Die Ergebnisse werden zu einer Zustandsnote zusammengefasst. Es werden hierbei sechs Zustandsnotenbereiche zugeordnet: 286 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Erhalt der Straßeninfrastruktur Baden-Württemberg Notenbereich Beschreibung 1,0 - 1,4 1,5 - 1,9 2,0 - 2,4 2,5 - 2,9 sehr guter Zustand guter Zustand befriedigender Zustand ausreichender Zustand 3,0 - 3,4 3,5 - 4,0 nicht ausreichender Zustand ungenügender Zustand Bauwerksbzw. Brückenprüfungen werden von besonders qualifizierten und erfahrenen Bauwerksprüfingenieuren der Straßenbauverwaltung des Landes oder von ausgewählten externen Ingenieurbüros vorgenommen. 2.2 Zustandsentwicklung der Brücken Die auf Grundlage der Brückenfläche gemittelte Zustandsnote aller Bundesstraßenbrücken in Baden-Württemberg hat sich von 2,28 im Jahr 2010 auf 2,38 im Jahr 2020 leicht verschlechtert. Der Anteil der Bundesstraßenbrücken mit ungenügendem Bauwerkszustand (Zustandsnote 3,5 und schlechter) ist dabei von 0,4 Prozent auf 0,9 Prozent angestiegen. Die auf Grundlage der Brückenfläche gemittelte Zustandsnote aller Landesstraßenbrücken in Baden-Württemberg hat sich in den letzten zehn Jahren von 2,27 auf 2,36 leicht verschlechtert. Der Anteil der Landesstraßenbrücken mit ungenügendem Bauwerkszustand (Zustandsnote 3,5 und schlechter) ist dabei von 0,8 Prozent auf 0,6 Prozent zurückgegangen. 2.3 Zunahme des Schwerverkehrs Die Notwendigkeit der Brückenerhaltung wird auch durch die gestiegene Belastung der Brücken infolge der Zunahme des Schwerverkehrs verstärkt. Die Regelungen der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung und der Straßenverkehrs-Ordnung sehen hierbei grundsätzlich ein zulässiges Gesamtgewicht von 40 Tonnen vor, für welches eine Überfahrt der Brücken erlaubt ist. Die Zunahme des Schwerverkehrs führt dazu, dass viele Brücken Tragfähigkeitsdefizite aufweisen und auf die künftigen Nutzungsanforderungen hin ertüchtigt werden müssen. 2.4 Baurechtliche Voraussetzungen Bei der Planung umfangreicher Erhaltungsmaßnahmen an Brücken - insbesondere bei Ersatzneubauten - sind neben den rein objektbezogenen Planungen auch die Belange des Umwelt- und Naturschutzes, des Wasserhaushalts, des Immissionsschutzes (Lärm) sowie die Rechter Dritter (Grunderwerb oder vorübergehende Inanspruchnahme von Flächen zur Durchführung der Baumaßnahmen) zu erheben und entsprechend rechtlich zu würdigen. Dies führt oftmals dazu, dass im Vorfeld solcher Erhaltungsmaßnahmen ein Baurechtsverfahren durchzuführen ist, welches einen Zeitrahmen von drei bis fünf Jahren in Anspruch nehmen kann. 2.5 Erhaltungsplanung der Brücken Grundsätzlich umfasst die Erhaltungsplanung der Bundes- und Landesstraßenbrücken die Instandsetzung, die Ertüchtigung und den Ersatzneubau der Bauwerke. Im Rahmen der Erhaltungsplanung sind dabei verschiedene Komponenten zu berücksichtigen. Diese sind insbesondere • Zustandsnote im Allgemeinen • Brücken mit Zustandsnote 3,5 und schlechter • Brückenmodernisierungsprogramm des Bundes • Brücken mit spannungsrisskorrosionsgefährdetem Spannstahl • Brücken mit Verdrängungskörpern (Hohlkörperplatten) • Brücken mit sprödbruchgefährdeten Edelstahlrollenlagern • Brücken mit Koppelfugen • Mindertragfähige Brücken im Zuge der ausgewiesenen Großraum-und Schwertransportstrecken • Brücken im Zuge wichtiger Strecken für den Schadholzabtransport aus den Wäldern. 3. Beispiel Ersatzneubau der Gumpenbachbrücke im Zuge der B 27 in Kornwestheim 3.1 Ausgangslage und Vorgeschichte Die Gumpenbachbrücke liegt im Zuge der B 27 auf der Gemarkung Kornwestheim (Landkreis Ludwigsburg) zwischen den Anschlussstellen Kornwestheim-Mitte und Kornwestheim-Nord. Die B 27 verläuft in Süd-Nord- Richtung von Stuttgart nach Ludwigsburg und verbindet dabei das Oberzentrum Stuttgart mit dem Mittelzentrum Ludwigsburg/ Kornwestheim. Die durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke beträgt mehr als 50.000 Kfz/ 24 Std, der Schwerverkehrsanteil rund 7 Prozent. Die B 27 weist in diesem Abschnitt einen zweibahnigen, vierstreifigen Straßenquerschnitt auf. Abbildung 1: B 27 im Bereich der Gumpenbachbrücke, Situation vor der Baumaßnahme Die Gumpenbachbrücke wurde im Jahr 1954 als vierfeldriger Durchlaufträger mit einer Gesamtlänge von rund 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 287 Erhalt der Straßeninfrastruktur Baden-Württemberg 100 Meter gebaut. Sie besteht aus zwei Teilbauwerken, jeweils einem pro Richtungsfahrbahn. Die Teilbauwerke haben separate Über- und Unterbauten und sind über eine Mittelkappe miteinander verbunden. Im Mai 2009 fanden an beiden Teilbauwerken Hauptprüfungen nach DIN 1076 statt. Dabei wurden Tausalzschäden und angerostete Querspannglieder an den Kragarmen festgestellt. Aufgrund des weiteren Fortschreitens dieser Bauwerksschäden sowie zahlreicher Betonabbrüche im darauffolgenden Winter, erfolgte im Mai 2010 eine Sonderprüfung. Beide Teilbauwerke wurden hierbei mit der Zustandsnote 3,7 bewertet. Insbesondere aus wirtschaftlichen Gründen wurde entschieden, im Zuge einer Erhaltungsmaßnahme die Gumpenbachbrücke durch einen Neubau zu ersetzen. Mit den Planungen für den Ersatzneubau der Brücke wurde im Jahr 2010 begonnen. Die Erteilung des Gesehen-Vermerks für den RE-Vorentwurf durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur ist am 25. November 2014 erfolgt. Der Planfeststellungsbeschluss nebst wasserrechtlicher Erlaubnis liegt seit 25. Oktober 2016 vor. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur hat am 16. Januar 2019 den Gesehen-Vermerk für den RAB-ING-Entwurf erteilt. Der Baubeginn der Hauptmaßnahme war im Januar 2020, das Bauende ist derzeit für August 2022 geplant. 3.2 Ersatzneubau - innovativer Querverschub der Brücke einschließlich Stützen und Fundamente Der Ersatzneubau der Gumpenbachbrücke erfolgt auf Grundlage zweier Teilbauwerke, welche jeweils drei Felder aufweisen. Diese Teilbauwerke bestehen aus gevouteten Spannbetonplattenbalken. Die Plattenbalken sind monolithisch mit den Stützen verbunden. Der innovative Bauablauf des Ersatzneubaus sieht die Herstellung eines Teilbauwerks der Gumpenbachbrücke in Seitenlage zur B 27 sowie den anschließenden Querverschub des Teilbauwerks einschließlich der Mittelstützen und Fundamente als semi-integralen Brücke vor. Auf dieser Grundlage können die mit einem Ersatzneubau verbundenen Eingriffe in den Verkehr der hochbelasteten B 27 deutlich minimiert sowie die vorhandenen vier Fahrstreifen der B 27 während der knapp dreijährigen Bauzeit weitestgehend aufrechterhalten werden. Eine Behelfsbrücke ist nicht erforderlich. Der Ersatzneubau der Gumpenbachbrücke stellt somit eine nachhaltige Erhaltungsmaßnahme auf Grundlage einer ressourcensparenden Bauweise dar. Nach Information des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur wird im Rahmen des Ersatzneubaus der Gumpenbachbrücke der erste Querverschub einer semi-integralen Talbrücke in Deutschland durchgeführt. Im Einzelnen stellt sich der Bauablauf wie folgt dar: • Das neue östliche Teilbauwerk der Gumpenbachbrücke wird zunächst einschließlich der Stützen und Fundamente in Seitenlage zur B 27 gebaut. Der Verkehr auf der B 27 kann hierbei weiterhin über die zwei bestehenden Teilbauwerke mit vier Fahrstreifen geführt werden. • Nach der Herstellung des neuen Teilbauwerks in östlicher Seitenlage wird der Verkehr in Fahrrichtung Ludwigsburg auf dieses neue östliche Teilbauwerk umgelegt. Diese Verkehrsführung umfasst die zwei Fahrsteifen der Verbindung Stuttgart - Ludwigsburg. Anschließend wird der Verkehr in Richtung Stuttgart vom alten westlichen Teilbauwerk nun über das alte östliche Teilbauwerk geführt. Diese Verkehrsführung umfasst die zwei Fahrsteifen der Verbindung Ludwigsburg - Stuttgart. Es stehen somit weiterhin weitestgehend vier Fahrsteifen zur Verfügung. • Nach dieser Verkehrsumlegung ist das alte westliche Teilbauwerk der Gumpenbachbrücke nicht mehr unter Verkehr und kann abgebrochen werden. Anstelle des alten westlichen Teilbauwerks wird in endgültiger Lage das neue westliche Teilbauwerk gebaut. • Nach der Fertigstellung des neuen westlichen Teilbauwerks sowie einer weiteren Umlegung des Verkehrs in Richtung Stuttgart vom alten östlichen Teilbauwerk auf dieses neue westliche Teilbauwerk wird das östliche Teilbauwerk als sogenannte „Inselbaustelle“ abgebrochen. Der Verkehr in Richtung Ludwigsburg verbleibt hierbei auf dem neuen östlichen Teilbauwerk in Seitenlage. • In der letzten Bauphase wird das in Seitenlage hergestellte, semi-integrale Teilbauwerk einschließlich der Stützen und Fundamente verschoben. Hierzu bringen hydraulische Hub- und Verschubsysteme die Brücke in seine endgültige Lage. Für die Bauphase des Querverschubs wird von einer Dauer von zwei Wochen ausgegangen. Für den Zeitraum des Querverschubs wird der Verkehr der B 27 über das neue westliche Teilbauwerk geführt. Dabei wird ein Fahrsteifen je Fahrtrichtung eingezogen. Die Gesamtkosten der Baumaßnahe betragen rund 27 Millionen Euro (Stand November 2020) und beinhalten auch Um-/ Ausbaumaßnahmen an der Anschlussstelle Kornwestheim-Nord. 4. Tunnelnachrüstung 4.1 Straßentunnel in Baden-Württemberg In Baden-Württemberg sind derzeit 116 Straßentunnel im Zuge von Autobahnen, Bundes- und Landesstraßen mit einer Gesamtröhrenlänge von rund 82 Kilometern unter Verkehr. 288 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Erhalt der Straßeninfrastruktur Baden-Württemberg 4.2 Sicherheitsstandards der Straßentunnel Die Sicherheitsstandards der Straßentunnel werden regelmäßig überprüft und den neuesten Erkenntnissen angepasst. Neue Straßentunnel werden nach dem aktuellen Stand der Technik gebaut sowie betriebstechnisch ausgestattet. Bestehende Straßentunnel werden betriebstechnisch sowie ggf. baulich nachgerüstet. In Deutschland gelten die „Richtlinien für die Ausstattung und den Betrieb von Straßentunneln“ (RABT) sowie die „Empfehlungen für die Ausstattung und den Betrieb von Straßentunneln mit einer Planungsgeschwindigkeit von 80 km/ h oder 100 km/ h“ (EABT). Sie bilden die Grundlage für das hohe Sicherheitsniveau in deutschen Straßentunneln. Um ein weitestgehend einheitliches Sicherheitsniveau in allen europäischen Straßentunneln zu erreichen, regelt seit 2004 eine europäische Richtlinie den grundlegenden Sicherheitsstandard im transeuropäischen Netz. 4.3 Nachrüstung Bundes- und Landesstraßentunnel Die betriebstechnische Ausstattung eines Straßentunnels hat in der Regel einen Lebenszyklus von rund 20 Jahren. Vor dem Hintergrund einer theoretischen Nutzungsdauer der Tunnel von 90 bis 130 Jahren - je nach Bauweise - hat dies zur Folge, dass die Betriebstechnik eines Straßentunnels rund vierbis sechsmal erneuert werden muss. Dies erfolgt jeweils nach dem aktuellen Stand der Technik. In Baden-Württemberg lag in den letzten Jahren der Fokus der Tunnelnachrüstungen auf den Autobahnen, wie beispielsweise der Nachrüstung des Virngrundtunnels im Zuge der A 7 sowie der Nachrüstung des Schönbuchtunnels im Zuge der A 81. Ergänzend hierzu wurden aber auch entsprechend der Dringlichkeit im Zuge der Bundes- und Landesstraßen Tunnel baulich und betriebstechnisch nachgerüstet. Bei nachfolgenden Tunneln im Zuge der Bundes- und Landesstraßen stehen in den nächsten Jahren größere Nachrüstungen an: • B 10 Tunnel Göppingen • B 14 Kappelbergtunnel Fellbach • B 14 Johannesgrabentunnel Stuttgart-Vaihingen • B 29 Rombachtunnel Aalen • B 31 Schützenallee- und Kapplertunnel Freiburg • B 31 Tunnel Döggingen • B 33 Sommerbergtunnel Hausach • B 294 Kirchbergtunnel Schiltach • B 294 Schlossbergtunnel Schiltach • B 463 Tunnel Albstadt-Laufen • L 148 Grabenwaldtunnel Wehr-Todtmoos • L 175 Schlossbergtunnel Schramberg 5. Beispiel: Bauliche und betriebstechnische Ertüchtigung des Engelbergbasistunnels im Zuge der A 81 bei Leonberg unter Aufrechterhaltung des Verkehrs 5.1 Ausgangslage Der rund 2.500 Meter lange Engelbergbasistunnel liegt westlich von Stuttgart im Zuge der A 81. Der Tunnel hat aufgrund seiner Lage im Autobahnnetz - im Verknüpfungsbereich der A 81 mit der A 8 (Autobahndreieck Leonberg) - sowie aufgrund der durchschnittlichen täglichen Verkehrsstärke von rund 120.000 Kfz/ 24 h eine sehr hohe verkehrliche Bedeutung für die Region Stuttgart sowie darüber hinaus für den gesamten Südwesten von Deutschland. Der Engelbergbasistunnel besteht aus zwei Röhren mit jeweils drei Fahrstreifen und einen Seitenstreifen. Der Tunnel wurde im Jahr 1999 dem Verkehr übergeben. 5.2 Schadensbild Die geologische Situation ist gekennzeichnet durch unterschiedliche Abfolgen innerhalb des im südwestdeutschen Raum anstehenden Gipskeupers. Im Ausgangszustand stehen die im unausgelaugten Gipskeuper vorhandenen Sulfatanteile überwiegend als Anhydrit an. Mit der Aufnahme von Wasser wandelt sich Anhydrit jedoch in Gips um. Bei einer vollständigen Umwandlung nimmt das Feststoffvolumen des Anhydrits um rund 60 Prozent zu. Wird diese Volumenzunahme behindert - beispielsweise durch den Einbau einer Tunnelauskleidung - so entstehen in Abhängigkeit von der Wasseraufnahme des Gebirges sehr hohe Quelldrücke. Infolge der vorliegenden geologischen Verhältnissen sowie den dadurch entstandenen Quelldrücken kam es in den Jahren nach der Fertigstellung des Engelberg-basistunnels auf einer Länge von rund 180 Metern zu Deformationen und Schädigungen der Innenschale. Das zunehmende Schadensausmaß machte eine grundlegende Betrachtung der Anhydritproblemstellung mittels eines international besetzten Expertenkreises erforderlich. Nach der Klärung der Schadensursache sowie der Erarbeitung eines zugehörigen Lastmodells galt es, ein Bauverfahren zu entwickeln, welches die Vorgabe - in den Hauptverkehrszeiten die vorhandene Anzahl an Fahrstreifen aufrechtzuerhalten - gewährleistet. 5.3 Bauliche und betriebstechnische Ertüchtigung Daraufhin wurde für den rund 180 Meter langen Ertüchtigungsbereich ein Bauwerksentwurf erstellt. Im Zuge der Ertüchtigung wird über dem Abluft- und dem Medienkanal die Fahrbahnplatte verstärkt. Im Bereich der Notgehwege werden die Leitungen in die Kanäle nach unten verlegt und ein Stahlbetonsockel als Rahmenecke zwischen Fahrbahnplatte und neuer Vorsatzschale erstellt. Die neue 40 Zentimeter starke Vorsatzschale wird mit geschweißten 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 289 Erhalt der Straßeninfrastruktur Baden-Württemberg Doppel-T-förmigen Trägern bewehrt. Zur Aufnahme der späteren Zwischendecke werden oberhalb des Lichtraumprofils Konsolen als Widerlager ausgebildet. Die Zwischendecke wird nach der Herstellung der Vorsatzschale aus 2,50 Meter breiten Fertigteilen erstellt. Die Fertigteile sind zweiteilig und in der Mitte mittels Stahlbauteilen gelenkig verbunden. Anschließend werden Druckstützen zwischen der Firste und den Mittelgelenken eingebaut. Somit kann die Zwischendecke als horizontale Aussteifung wirken. Abbildung 2: Prinzipskizze der baulichen Ertüchtigung Zusätzlich zur baulichen Ertüchtigung des Tunnels ist auch die Erneuerung der Betriebstechnik erforderlich. Die Schwierigkeit ist hierbei nicht nur die Erneuerung unter Aufrechterhaltung des Verkehrs, sondern auch die abschnittsweise Herstellung der Vorsatzschale im Zuge der baulichen Ertüchtigung. Grundsätzlich stellen bei der Ertüchtigung des Engelbergbasistunnels die komplexen Bauabläufe in Verbindung mit den sehr beengten Platzverhältnissen eine große Herausforderung dar. Die Ertüchtigungsmaßnahme wird auf Grundlage einer großen Anzahl an Zwischenzuständen und Provisorien umgesetzt. Es werden hohe Aufwendungen für die Verkehrsteilnehmer und das Baustellenpersonal getätigt. Zur Beibehaltung des bestehenden Sicherheitsniveaus während der Bauzeit werden zudem die alten und die neuen Anlagenteile der Betriebstechnik parallel betrieben. 5.4 Bauzeitliche Verkehrsführung Die Ertüchtigung umfasst beide Tunnelröhren. Die Arbeiten zur Umsetzung der Ertüchtigungsmaßnahmen erfolgen jedoch immer nur in einer Tunnelröhre, der sogenannten „Bauröhre“. In der „Bauröhre“ müssen für die bauzeitliche Verkehrsführung zudem zwei der drei vorhandenen Fahrsteifen herangezogen werden. In der zweiten Tunnelröhre, der sogenannten „Verkehrsröhre“, werden vier Fahrsteifen geführt. In der „Verkehrsröhre“ wird eine 3+1-Verkehrsrichtung eingerichtet. Die Herstellung der Vorsatzschale erfolgt in drei Bauphasen. Der Einbau der Fertigteile findet nachts unter Vollsperrung der „Bauröhre“ und somit auf Grundlage einer Reduzierung der vorhandenen Anzahl an Fahrstreifen außerhalb der Hauptverkehrszeiten statt. 5.5 Tunnelsimulator Im Zuge der Ertüchtigungsmaßnahme wird auch das Pilotprojekt Tunnelsimulator umgesetzt. Der Tunnelsimulator wird über die gesamte Bauzeit eingesetzt, um die einzelnen Bauphasen zu simulieren. Derzeit beinhaltet der Tunnelsimulator ein Strömungsmodell, eine Visualisierung, eine Verkehrssimulation und eine Beleuchtungssimulation. Das Grundkonzept des Pilotprojekts Tunnelsimulator sieht vor, neben dem vorhandenen „Produktivsystem“ ein „Spiegelsystem“ für die Software auf Basis simulierter Außenanlagen einzurichten, um dort die Software des Produktivsystems zu testen und simulierte Schaltungen durchführen zu können. Durch die Simulation im Spiegelsystem kann neu zu installierende Software vor der Installation im Produktivsystem getestet werden. Dadurch lässt sich die Dauer der Inbetriebnahme vor Ort um 80 Prozent reduzieren. 5.6 Bauzeit und Kosten Die Vorabmaßnahmen wurden im Zeitraum von Mitte 2016 bis Ende 2019 durchgeführt. Die Kosten der Vorabmaßnahmen betragen rund 25 Millionen Euro. Die Hauptmaßnahme ist aktuell im Bau. Das Bauende ist derzeit für Mitte 2024 geplant. Die Kosten der Hauptbaumaßnahme betragen rund 130 Millionen Euro (Stand November 2020). 6. Erhaltungsmanagement für Straßen (Fahrbahnen) 6.1 Zustandserfassung und-bewertung (ZEB) Die Bundes- und Landesstraßen in Baden-Württemberg werden turnusmäßig nach vier Jahren einer neuen Zustandserfassung und -bewertung (ZEB) unterzogen. Dabei erfolgt die Zustandserfassung der Straßen mit Messfahrzeugen. Zum Einsatz kommen hierbei schnell fahrenden Messfahrzeuge, die im Verkehrsstrom mitfahren und mit Hilfe von Lasertechnik und Kameras die Straßenoberfläche aufnehmen. Sie erfassen einerseits den so genannten Gebrauchswert. Dieser umfasst die relevanten Aspekte aus Sicht des Verkehrsteilnehmers: • Allgemeine Unebenheit • Fiktive Wassertiefe • Griffigkeit