Kolloquium Straßenbau in der Praxis
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expert Verlag Tübingen
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Entwicklungen im Straßenbau - Wie Maximalrecycling und Qualitäts-Straßenbau Baden-Württemberg 4.0 (QSBW 4.0) den Straßenbau effizienter und ökologischer gestalten können
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Steffen Klumbach
Vera Schmidt
Das Land Baden-Württemberg ist Wegbereiter bei der Entwicklung und Anwendung zukunftweisender Technologien im Straßenbau. So wurden im Zeitraum von 2011 bis 2015 bei Erhaltungsmaßnahmen auf Landesstraßen 38 Pilotstrecken mit erhöhter Zugabemenge an Asphaltgranulat erfolgreich eingebaut - bekannt als Maximalrecycling. Mit Einführung der ETV-StB-BW, Ausgabe 2015 wurde Maximalrecycling als Regelbauweise für Binder- und Tragschichten aus Asphaltbeton zugelassen. Hinsichtlich einer Fortschreibung der ETV-StB-BW wurde nun die Dauerhaftigkeit der bis 2015 gebauten Pilotstrecken mit Maximalrecycling untersucht und bestätigt. In den Jahren 2017 und 2018 hat die Straßenbauverwaltung zudem mehrere Erhaltungsmaßnahmen in der Sonderbauweise Qualitäts-Straßenbau Baden-Württemberg 4.0 (QSBW 4.0) erfolgreich umgesetzt. QSBW 4.0 nutzt die Digitalisierung im Bauwesen um zahlreiche qualitätssteigernde Aspekte bei der Herstellung von Asphaltstraßen zu vereinen. In der Folge wurde 2018 das QSBW 4.0 Handbuch eingeführt. Die
Zusammenführung beider Bauweisen kann den Straßenbau effizienter und ökologischer zugleich gestalten.
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290 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Erhalt der Straßeninfrastruktur Baden-Württemberg Andererseits misst die ZEB den so genannten Substanzwert. Dieser gibt an, wie stark die Substanz einer Straße angegriffen ist und damit auch, wie sehr sie an Wert verliert. Hierbei werden folgende Aspekte betrachtet: • Spurrinnentiefe • Risse • Restschadensfläche Die ZEB-Daten erlauben einen guten Überblick über die Zustandsverteilung und Zustandsausprägung der Straßenabschnitte. Hierbei wird für jeden 100 Meter- Abschnitt außerorts und jeden 20 Meter-Abschnitt in Ortsdurchfahrten eines Straßenzuges anhand der beiden Teilwerte Substanz- und Gebrauchswert der Zustand ermittelt. Die Notenskala reicht hierbei von 1 (bester Wert) bis 5 (schlechtester Wert), wobei ab einer Note von 4,5 jeweils der so genannte Schwellenwert erreicht ist. Die ermittelten Zustandsgrößen wurden nach festgelegten Regularien zu einem Gesamtwert verknüpft. 6.2 Zustandsentwicklung der Straßen (Fahrbahnen) Die Entwicklung des Straßenzustands kann insbesondere über den Gesamtwert beurteilt werden. Der Gesamtwert der Bundesstraßen hat sich von 3,2 im Jahr 2011 auf 3,0 im Jahr 2015 verbessert. Die letzte ZEB der Bundesstraßen hat im Jahr 2019 stattgefunden. Die ZEB 2019 hat einen Gesamtwert von 3,0 ergeben. Bei den Landesstraßen hat sich der im Jahr 2016 erhobene Gesamtwert gegenüber der Erfassung im Jahr 2012 von 3,5 auf 3,4 verbessert. Die letzte ZEB der Landesstraßen erfolgte im Jahr 2020. Die Ergebnisse der ZEB 2020 liegen voraussichtlich im Frühjahr 2021 vor. 6.3 Erhaltungsmanagement des Landes Auf Grundlage der Informationen zum Substanz- und Gebrauchswert der Straßenabschnitte sowie unter Berücksichtigung der voraussichtlich zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel sowie einem Erfahrungswert für durchschnittliche Kosten von Erhaltungsmaßnahmen hat das Land ein Erhaltungsmanagement für die Bundes- und Landesstraßen in Baden-Württemberg erstellt. Das Erhaltungsmanagement umfasst dabei insbesondere eine Priorisierung der sanierungsbedürftigsten Streckenabschnitte im Bundessowie Landesstraßennetz und stellt somit die Grundlage für die Umsetzung von Maßnahmen zur Erneuerung der Fahrbahndecken durch die Straßenbauverwaltung dar. 7. Schlussbemerkung Grundsätzlich werden bei der Planung und Umsetzung von Erhaltungsmaßnahmen die einzelnen Bestandteile des Straßennetzes immer zusammen betrachtet und - in Abhängigkeit vom jeweiligen Zustand der einzelnen Straßenbestandteile - gemeinsam als Erhaltungsmaßnahme umgesetzt. Bei Erhaltungsprojekten ist - im Vergleich zu Neubauprojekten - dabei in besonderem Maße der mit der Baumaßnahme verbundene Eingriff in den Verkehr zu berücksichtigen. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 291 Entwicklungen im Straßenbau - Wie Maximalrecycling und Qualitäts-Straßenbau Baden-Württemberg 4.0 (QSBW 4.0) den Straßenbau effizienter und ökologischer gestalten können Dr. Steffen Klumbach Landesstelle für Straßentechnik (LST), Abt. 9 des Regierungspräsidiums Tübingen Vera Schmidt Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg (VM), Abt. 2 Straßenverkehr, Straßeninfrastruktur Zusammenfassung Das Land Baden-Württemberg ist Wegbereiter bei der Entwicklung und Anwendung zukunftweisender Technologien im Straßenbau. So wurden im Zeitraum von 2011 bis 2015 bei Erhaltungsmaßnahmen auf Landesstraßen 38 Pilotstrecken mit erhöhter Zugabemenge an Asphaltgranulat erfolgreich eingebaut bekannt als Maximalrecycling. Mit Einführung der ETV-StB-BW, Ausgabe 2015 wurde Maximalrecycling als Regelbauweise für Binder- und Tragschichten aus Asphaltbeton zugelassen. Hinsichtlich einer Fortschreibung der ETV-StB-BW wurde nun die Dauerhaftigkeit der bis 2015 gebauten Pilotstrecken mit Maximalrecycling untersucht und bestätigt. In den Jahren 2017 und 2018 hat die Straßenbauverwaltung zudem mehrere Erhaltungsmaßnahmen in der Sonderbauweise Qualitäts-Straßenbau Baden-Württemberg 4.0 (QSBW 4.0) erfolgreich umgesetzt. QSBW 4.0 nutzt die Digitalisierung im Bauwesen um zahlreiche qualitätssteigernde Aspekte bei der Herstellung von Asphaltstraßen zu vereinen. In der Folge wurde 2018 das QSBW 4.0 Handbuch eingeführt. Die Zusammenführung beider Bauweisen kann den Straßenbau effizienter und ökologischer zugleich gestalten. 1. Einführung Die Zahl an geplanten Straßenbauvorhaben in Baden- Württemberg ist groß, insbesondere im Bereich der Straßenerhaltung. Demgegenüber stehen begrenzte finanzielle und materielle Ressourcen. Die Straßenbauverwaltung ist deshalb bemüht ihre Bauvorhaben möglichst wirtschaftlich umzusetzen, eine längere Nutzungsdauer der Straßenbefestigung zu erzielen und nicht zuletzt die Umwelt zu schonen. Dies kann mit Hilfe innovativer Bauweisen wie dem hier vorgestellten Maximalrecycling und Qualitäts-Straßenbau Baden-Württemberg 4.0 (QSBW 4.0) erreicht werden. 2. Maximalrecycling Recycling statt Entsorgung. Schonung von Ressourcen. Auf diesen Schlagworten fußt die Entwicklung von Maximalrecycling. Sie beginnt in Baden-Württemberg im Jahr 2011 mit der Erneuerung der Strecke L 1221 von Steinenkirch nach Böhmenkirch. Als Pilotmaßnahme wurde hier eine Asphaltdeckschicht mit einer Zugabemenge von 85 Gew.-% Asphaltgranulat eingebaut [1]. Bis 2015 folgte die Ausführung 37 weiterer Pilotstrecken mit Maximalrecycling auf insgesamt knapp 80 km Landesstraßen in Baden-Württemberg (Abb. 1). Hierbei wurden in sämtlichen bitumengebundenen Schichten des Straßenoberbaus verschiedene Asphaltbauweisen erprobt. Während der Pilotphase kamen die beiden Bauweisen „Maximalrecycling 90“ und „Maximalrecycling 50/ 75“ zur Anwendung. Entsprechende bauvertraglichen Regelungen hierfür wurden mit den ETV-StB-BW Maximalrecycling, Fassung 2013 eingeführt [2]. „Maximalrecycling 90“ ist, unabhängig von der einzubauenden Asphaltbetonschicht, durch eine Zugabe von 75 bis 90 Gew.-% Asphaltgranulat sowie eines geeigneten Rejuvenators definiert. Es gilt die durch das Fräsen veränderte Sieblinie durch Zugabe grober Gesteinskörnungen zu korrigieren sowie einen Bindemittelüberschuss zu vermeiden. „Maximalrecycling 50/ 75“ legt eine Zugabemenge von 60 bis 75 Gew.-% Asphaltgranulat in Trag- und Binderschichten aus Asphaltbeton sowie einer Zugabemenge zwischen 40 und 50 Gew.-% an Asphaltgranulat in Deckschichten aus Asphaltbeton fest. Die Herstellung des neuen Asphaltmischgutes beinhaltet zudem die Zugabe von weichem Straßenbaubitumen (50/ 70 oder 70/ 100) oder Polymermodifiziertem Bitumen. In der Folge stellte sich heraus, dass Asphaltmischgüter mit Maximalrecycling bezüglich ihrer Herstellung und des Einbaus als technisch gleichwertig zu konventionell 292 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Entwicklungen im Straßenbau - Maximalrecycling und Qualitäts-Straßenbau Baden-Württemberg Abb. 1: Pilotstrecken mit Maximalrecycling auf Landesstraßen in Baden-Württemberg, ausgeführt von 2011 bis 2015, mit Differenzierung der in 2020 untersuchten Strecken (rot). gebauten Strecken eingestuft werden können [2]. Von grundlegender Bedeutung für die erfolgreiche Anwendung von Maximalrecycling sind insbesondere das schichtenweise Fräsen des auszubauenden Altbestandes, ein konsequentes und sortenreines Haldenmanagement sowie eine Asphaltmischanlage mit Paralleltrommel. Mit der Einführung der ETV-StB-BW, Ausgabe 2015 wurde Maximalrecycling als Regelbauweise zur Herstellung von Binder- und Tragschichten aus Asphaltbeton zugelassen. Parallel dazu wurden die bereits in den Jahren 2011 und 2012 gebauten Strecken labortechnisch überwacht [3]. Nach einer Liegedauer von etwa 5 bis 10 Jahren wurden nun 23 ausgewählte Strecken der gesamten Pilotphase untersucht. Die Untersuchungen wurden in Kooperation mit dem Aalener Baustoffprüfinstitut (ABPI), dem Institut für Baustoffprüfung und Umwelttechnik (IBE) sowie dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) durchgeführt und bestätigen eine gute Dauerhaftigkeit der Strecken. 3. Qualitäts-Straßenbau Baden-Württemberg 4.0 (QSBW4.0) Die Entwicklung von QSBW 4.0 geht zurück auf das von 2013 bis 2016 durchgeführte Projekt „Smart Site“ [4]. In diesem wurde die digitale Vernetzung von Straßenbaumaschinen in Verbindung mit einer intelligenten Steuerung erprobt. Ziel war die Optimierung des Bauprozeses, was eine größtmögliche Einbauqualität verspricht. Über längere Erhaltungszyklen können die Kosten einzelner Erhaltungsmaßnahmen in Summe reduziert werden. Ziel von QSBW 4.0 ist eine Verstetigung des Einbauprozesses [5]. Das einzubauende Asphaltmischgut soll ausreichend heiß, in konstanter Schichtdicke und mit homogener Verdichtung verarbeitet werden. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 293 Entwicklungen im Straßenbau - Maximalrecycling und Qualitäts-Straßenbau Baden-Württemberg Abb. 2: Von 2017 bis 2020 auf Landesstraßen in Baden-Württemberg ausgeführte Erhaltungsstrecken mit QSBW 4.0 (schwarz), geplante Erhaltungsmaßnahmen mit QSBW 4.0 für 2021 (rot) sowie das Projekt „Smart Site“ (blau). Seit 2017 sind bereits 16 Erhaltungsmaßnahmen auf Landesstraßen in Baden-Württemberg mit QSBW 4.0 ausgeführt worden (Abb. 2). In Summe entspricht dies ungefähr 41 km Streckenlänge. Bereits 2018 wurde das QSBW 4.0 Handbuch eingeführt. Zur Fortschreibung des QSBW 4.0 Handbuches fand Ende 2019 an der Landesstelle für Straßentechnik (LST) ein Erfahrungsaustausch innerhalb der Straßenbauverwaltung statt. Anfang 2020 fand zudem am Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg (VM) ein Erfahrungsaustausch mit den ausführenden Firmen statt. Für das Jahr 2021 sind fünf weitere Maßnahmen mit einer Gesamtlänge von etwa 11 km geplant. Ferner wird QSBW 4.0 künftig bei allen geeigneten Erhaltungsmaßnahmen auf Landesstraßen als Regelbauweise zur Anwendung kommen. Vor Baubeginn steht bei Projekten mit QSBW 4.0 die Bestandserfassung mit Hilfe eines Straßenscans, der zur Erfassung der vorhandenen Oberfläche dient, sowie eine Georadarerkundung in Verbindung mit der Entnahme von Bohrkernen zur Erfassung des bestehenden Oberbaus. In der Folge wird zur Festlegung des Erhaltungsumfangs der zukünftige Aufbauhorizont definiert. Dieser wird über schichtenweises Fräsen sowie durch Fräsen in variabler Tiefe erreicht. Der daran anschließende Wiederaufbau einer Asphaltstraße umfasst vier wesentliche Schritte: 1.) die Herstellung des Mischgutes in der Mischanlage, 2.) den Transport des heißen Mischgutes zur Baustelle, 3.) der Einbau auf der Baustelle sowie 4.) die Verdichtung. Bei der Herstellung des Asphaltmischgutes adressiert QSBW 4.0 vor allem die Verladetemperatur. Diese orientiert sich an der voraussichtlichen Temperatur bei der Anlieferung auf der Baustelle. Ziel ist es das Mischgut gleichmäßig heiß für die Verarbeitung auf der Baustelle anzuliefern, bei der Herstellung in der Mischanlage jedoch möglichst wenig thermisch zu belasten. Zudem liefert die digitale Anbindung des Wiegesystems Informationen über die momentane Auslastung der Mischanlage.