Kolloquium Straßenbau in der Praxis
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expert Verlag Tübingen
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Oberflächenbehandlung mit Reaktionsharzen (OB-RH) - technische und gestalterische Möglichkeiten
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Peter Austin-Böhm
Markus Leischner
Oberflächenbehandlungen mit Reaktionsharzen (OB-RH) finden zunehmend Anwendung zur Lösung spezieller Problemstellungen auf Asphalt- und Betonfahrbahnen. Sie werden eingesetzt auf Verkehrsflächenbefestigungen aller Belastungsklassen. Besonders geeignet sind sie im Rahmen griffigkeitsverbessernder Maßnahmen, zur Entschärfung von Unfallschwerpunkten, zur optischen Aufhellung in Tunnelbauwerken oder zur Reduzierung der Geräuschemission (Reifen-Fahrbahnoberfläche).
Durch den Einsatz pigmentierter Harzsysteme und zielgerichteter Auswahl der Abstreusplitte können ebenso Belange der Stadt- und Landschaftsplanung umgesetzt werden. Beim Begehen und Betrachten der naturnah gestalteten Fahrbahnoberflächen entsteht ein entspannendes Raumgefühl. So werden in befahrenen innerstädtischen Zonen oder in Parkanlagen die beschichteten Fahrbahnoberflächen als natürlich abgestimmter und harmonischer Bestandteil der gesamten Umgebung wahrgenommen.
Der Einbau erfolgt mit einer speziellen Maschinentechnik in großflächigen Projekten oder auch händisch in Bereichen, die mit Maschinen nicht erreichbar sind bzw. wo ein Maschineneinsatz nicht wirtschaftlich wäre.
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Lärmarme Oberflächen auf freien Strecken und Brücken 396 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 machen ihn dicht, druckfest und im hohen Masse alterungsbeständig. Bedingt durch die Lärmschutz-Verordnung (LSV) kommen heute Semidichte Asphalte (SDA) oder offenporige Asphalte (PA) als Deckschicht zum Einsatz. Die Oberflächenstruktur und die vorhandenen Hohlräume führen zu einer Lärmreduktion gegenüber dichten Asphalten (AC, SMA) und dem Gussasphalt (MA). Die Lärmreduktion geht auf Kosten der Lebensdauer, diese liegt bei einem Porenasphalt (PA) bei 8 - 12 und bei einem Semidichten Asphalt (SDA) bei 12 - 15 Jahren. Die vorhandenen Hohlräume beschleunigen die Versprödung des Bitumens durch die vermehrte Sauerstoff- und Wasserzufuhr. Dies führt zu einer frühzeitigen mechanischen Alterung und schlussendlich zum Ersatz der Asphaltschicht. Die Versuche mit lärmmindernden Gussasphalt-Deckschichten aus Kerzers haben aufgezeigt, dass eine konstante Lärmminderung von -2 bis -4 dB nach 5 Jahren erreicht wird. Basierend auf diesen Resultaten wurde keine massgebende Abnahme der Lärmabsorption nach 5 Jahren bemessen. Was im Vergleich zu unseren traditionellen akustischen Walzasphalten (SDA) die -1 dB nach 10 Jahren kaum erreichen, ein massgebender Vorteil sein könnte. Die Langzeitwirkung der Lärmminderung von Gussasphalt wurde jedoch (noch) nicht erforscht. Diese Erkenntnisse aus Kerzers führten zu der Idee, den langlebigen Gussasphalt nicht nur auf den Kunstbauten und in Tunneln einzubauen, sondern auf der offenen Strecke. Ein Gelingen unseres Vorhabens hätte einen enormen Einfluss auf unsere Erhaltungsstrategie. Um die geforderten Ebenheiten zu erreichen, werden die heutigen Gussasphaltfertiger in der Schweiz auf Schienen geführt. Dies ist auf der offenen Strecke kaum möglich und wenn, dann zu umständlich und teuer. Mit dem Initialprojekt soll eine Grundlage erarbeitet werden, Gussasphalt ohne Schienen, digital gesteuert, in einer Ebenheit von +/ - 2 mm einzubauen. Drei Marktteilnehmer in der Schweiz reagierten auf unser Vorhaben und investieren in die Entwicklung einer neuen Fertiger-Generation. Der Abschluss dieses Initialprojektes soll dazu dienen, einen Forschungsantrag auszuarbeiten. In der heutigen Normierung in der Schweiz, wird der Gussasphalt auf dem Trassee nicht abgebildet. Neue Aufbauten, Sanierungsvarianten und Anforderungen an das Mischgut sind zu definieren. Auch bei der Gestaltung von lärmarmen Oberflächen und ihrer Langlebigkeit liegt einiges an Potential drin. Auswirkungen auf die Lebenszyklus- und Staukosten wie auch unsere Erhaltungsstrategie sollen aufgezeigt werden. Dies sind nur einige Punkte die der Forschungsantrag abbilden soll. 2.1 Probeeinbau auf der N3 bei Frick Zwei Jahre nach Projektbeginn konnten wir über ein Septemberwochenende der erste digitalgesteuerte Einbau von Gussasphalt auf einer Schweizer Nationalstrasse ausführen. Auf einem Streckenabschnitt von 150 m Länge wurde der Walzasphalt durch eine neue Binder- und Deckschicht aus Gussasphalt auf beiden Spuren in Richtung Zürich ersetzt. Um sämtliche Bauarbeiten digital gesteuert durchführen zu können, wurde vorgängig die bestehende Fahrbahnoberfläche aufgenommen und ein Deckenbuch erstellt. Die Arbeiten konnten wie geplant ausgeführt werden. Die geforderte Höhengenauigkeit auf der Fräsfläche, wie auch auf der Binderschicht wurde erreicht. Im Oktober wird die Deckschicht auf ihre Höhengenauigkeit geprüft. Erste Überfahrten mit dem PW bestätigen aber unser Ziel, einen ebenen Gussasphalt, ohne Verlegen von Schienen auf dem Trassee erstellen zu können. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 397 Oberflächenbehandlung mit Reaktionsharzen (OB-RH) - technische und gestalterische Möglichkeiten Peter Austin-Böhm KUTTER Spezialstraßenbau GmbH & Co. KG, Hanau Markus Leischner KUTTER Spezialstraßenbau GmbH & Co. KG, Hanau Oberflächenbehandlungen mit Reaktionsharzen (OB-RH) Oberflächenbehandlungen mit Reaktionsharzen (OB-RH) finden zunehmend Anwendung zur Lösung spezieller Problemstellungen auf Asphalt- und Betonfahrbahnen. Sie werden eingesetzt auf Verkehrsflächenbefestigungen aller Belastungsklassen. Besonders geeignet sind sie im Rahmen griffigkeitsverbessernder Maßnahmen, zur Entschärfung von Unfallschwerpunkten, zur optischen Aufhellung in Tunnelbauwerken oder zur Reduzierung der Geräuschemission (Reifen-Fahrbahnoberfläche). Durch den Einsatz pigmentierter Harzsysteme und zielgerichteter Auswahl der Abstreusplitte können ebenso Belange der Stadt- und Landschaftsplanung umgesetzt werden. Beim Begehen und Betrachten der naturnah gestalteten Fahrbahnoberflächen entsteht ein entspannendes Raumgefühl. So werden in befahrenen innerstädtischen Zonen oder in Parkanlagen die beschichteten Fahrbahnoberflächen als natürlich abgestimmter und harmonischer Bestandteil der gesamten Umgebung wahrgenommen Der Einbau erfolgt mit einer speziellen Maschinentechnik in großflächigen Projekten oder auch händisch in Bereichen, die mit Maschinen nicht erreichbar sind bzw. wo ein Maschineneinsatz nicht wirtschaftlich wäre. 1. Definition und Grundlage OB-RH Beläge sind Oberflächenbehandlungen aus Reaktionsharz (OB-RH) auf der Bindemittelbasis von geprüften 2-komponentigen Reaktionsharzen für Asphalt- und Betonflächen nach ZTV BEB-StB 15 [FGSV-Nr.898] sowie der TL BEB-StB 15 [FGSV-Nr.895], TP BEB-StB bzw. des Merkblattes für griffigkeitsverbessernde Maßnahmen an Verkehrsflächen aus Asphalt [FGSV-Nr.763]. Hierbei wird eine definierte Menge Epoxidharz auf eine durch Wasserhochdruckstrahlen oder Kugelstrahlen vorbereitete Fahrbahnoberfläche (Asphalt oder Beton) aufgetragen. Im Anschluss wird je nach Anforderungsprofil entstaubtes und feuergetrocknetes Gestein im Überschuss auf die Fläche eingestreut. Nach der Aushärtung des Reaktionsharzes wird das überschüssige Gestein abgekehrt und die Belagsfläche ist sofort nutzbar. 2. Anwendungsbereiche 2.1 Übergeordnetes Straßennetz OB-RH Beläge als griffigkeitsverbessernder Maßnahmen, zur Entschärfung von Unfallschwerpunkten, zur optischen Aufhellung in Tunnelbauwerken oder zur Reduzierung der Geräuschemission (Reifen-Fahrbahnoberfläche). 2.1.1 Griffigkeitsverbesserung Mit OB-RH Belägen werden zu glatte Verkehrsoberflächen wieder griffig und sicher. Dank der Verwendung von sehr polierresistenten Gesteinskörnungen werden Griffigkeitswerte von weit über 70 SRT-Einheiten erzielt. Messungen mit dem Seitenkraftmessverfahren (SKM-Verfahren) ergeben Kraftschlussbeiwerte von µ ≥ 0,70 bei Messgeschwindigkeiten von 80 km/ h auf freien Strecken (wie auf BAB und Landstraßen) und von 40 km/ h (wie in BAB-Anschlussstellen und BAB- Kreuzen). Durch die Verwendung von OB-RH Belägen wird präventiv bei Nässe oder bei Reifbildung eine wesentliche höhere Griffigkeit sowie eine durch die Rauheit bedingte hervorragende Drainwirkung an der Fahrbahnoberfläche erzielt. Das bedeutet, die Aquaplaning- und Sprühfahnenbildung wird verhindert. Damit werden generell und speziell bei extremen Witterungsperioden die Bremswege aller Fahrzeuge verkürzt und deren Seitenführung insbesondere der größeren Fahrzeuge auf Bauwerken und Oberflächenbehandlung mit Reaktionsharzen (OB-RH) - technische und gestalterische Möglichkeiten 398 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 in exponierten Lagen wie Hochbrücken oder sonstigen ungeschützten Freistrecken erheblich erhöht. Ebenso ist aufgrund der hohen Griffigkeit die bei Frostperioden aufzubringende Streugutmenge, um einiges geringer zu bemessen. 2.1.2 Optische Aufhellung Durch die Applikation von OB-RH Belägen mit besonders hellen und polierresistenten Abstreukörnungen wird eine enorme Aufhellung der Fahrbahnoberfläche erreicht. Bei der Verwendung von gelb-beigen Bauxiten liegt der mittlere Leuchtdichtekoeffizient bei q0 = 0,131 cd/ (m² x lx). Dieser erfüllt die Anforderung gemäß der neuen EABT - 80/ 100 hinsichtlich der Fahrbahnleuchtdichte für die Fahrbahnoberflächen für Straßentunnel. Die sehr positive Eigenschaft der Aufhellung der Fahrbahnoberfläche führt nachweisbar zu einer deutlich erhöhten Verkehrssicherheit und kann ebenso auf dunklen Streckenabschnitten, wie z.B. in Trogbauwerken, Lärmschutzeinhausungen, Straßen in Schattenlagen etc. genutzt werden. Weiter erzielbare Vorteile der Aufhellung der Fahrbahnoberfläche, sind eine wesentliche Einsparung der Energiekosten für die Beleuchtung im Tunnel oder vergleichbaren Bauwerken. Bild 1: optische Aufhellung Trogbauwerke Besonders unter dem Gesichtspunkt der immer häufiger vorkommenden extremen Heißwetterlagen / Hitzeperioden wirkt die Aufhellung reduzierend auf das Temperaturaufnahmeverhalten an der Fahrbahnoberfläche. Die starke Retroreflektion der verwendeten hellen Abstreukörnungen wirkt hier einer kontinuierlichen Aufheizung der Fahrbahn aus Asphalt und Beton wirkungsvoll entgegen. 2.1.3 Lärmreduzierung Unruhige, laute Verkehrsoberflächen erhalten durch die Applikation von OB-RH Belägen, direkt an der Oberfläche bzw. der Kontaktfläche zum Reifen eine Textur, die sich optimal auf eine deutliche Lärmminderung auf die Reifen-Fahrbahn-Geräusche auswirkt, da die Abrollgeräusche der Reifen auf den zahlreichen Kornspitzen durch die im OB-RH-Belag vorhandene wesentlich größere spezifische Oberfläche absorbiert, reduziert und damit erheblich verringert werden. Das laute, sogenannte „Airpumping“ wird gänzlich verhindert, da die Luft zwischen Reifen und Fahrbahnoberfläche durch die Rauheit des OB-RH Belages seitlich entweichen kann. Minderung der Reifen-Fahrbahn- Geräusche von bis zu 6 dB(A) (100 km/ h) sind möglich. Bild 2: Lärmreduzierung auf BAB 2.2 Stadt- und Landschaftsplanung 2.2.1 Gestaltung Durch den Einsatz pigmentierter Harzsysteme und zielgerichteter Auswahl der Abstreusplitte werden graue und dunkle Verkehrsoberflächen wieder naturnah und landschaftlich ansprechend gestaltet. So können passend und entsprechend der Stadt- und Landschaftsplanung die unterschiedlichsten Vorgaben zur Gestaltung dank der großen Auswahl an möglichen Abstreu- und Gesteinskörnungen zielgerichtet für fast jeden Bedarf umgesetzt werden. Beim Begehen und Betrachten der naturnah gestalteten Fahrbahnoberflächen entsteht ein entspannendes Raumgefühl. So werden in befahrenen innerstädtischen Zonen oder in Parkanlagen die beschichteten Fahrbahnoberflächen als natürlich abgestimmter harmonischer Bestandteil der gesamten Umgebung wahrgenommen, was sich im Gegensatz zu dem vorherigen Charakter einer Asphalt- oder Betonoberfläche vollkommen unterscheidet. Dieses wirkt sich wesentlich angenehmer, sogar beruhigender auf die Fußgänger wie auch auf die sonstigen Verkehrsteilnehmer und Anlieger aus. Oberflächenbehandlung mit Reaktionsharzen (OB-RH) - technische und gestalterische Möglichkeiten 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 399 Klare Vorteile der Bauweise sind hierbei: • Eine beliebige Gestaltungsmöglichkeit und Anpassung an die Restgestaltung durch diverse Wahlmöglichkeiten an pigmentierten Harzen und Abstreumaterialien. • Fast jede Gestaltungsform kann appliziert werden (auch Kleinstflächen). • Homogener Gesamteindruck der Fläche. • Beschichtungsflächen können jederzeit ergänzt, geändert oder erneuert werden, auch in Kleinstflächen. Bild 3: naturnahe Gestaltung Parkanlage Bild 4: naturnahe Gestaltung Parkanlage Bild 5: naturnahe Gestaltung Parkanlage Ebenso kann durch die Verwendung von hellen OB-RH Belägen die Aufheizung von innerstädtischen Verkehrsflächen, wie zum Beispiel von dunklen Asphalt- oder Betonoberflächen und damit auch der gesamten angrenzenden Umgebung, erheblich reduziert werden. 3. Applikation Der Einbau erfolgt mit einer speziellen Maschinentechnik in großflächigen Projekten oder auch händisch in Bereichen, die mit Maschinen nicht erreichbar sind bzw. wo ein Maschineneinsatz nicht wirtschaftlich wäre. 3.1 maschinelle Applikation Bild 6: maschineller Harzauftrag Oberflächenbehandlung mit Reaktionsharzen (OB-RH) - technische und gestalterische Möglichkeiten 400 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Bild 7: maschinelles Abstreuen 3.2 händische Applikation Bild 8: händischer Harzauftrag Bild 9: händisches Abstreuen 4. Abstreumaterialien Bei der Verwendung von OB-RH Belägen lässt sich eine breite Palette an Gesteinsabstreuung und Farbgestaltung realisieren. Hierbei lässt sich prinzipiell jede RAL-Farbe als pigmentiertes Trägerharz formulieren, dieses gilt auch bei der Abstreuung mit Colorsanden. Bild 10: Abstreumaterialien Vorteile von Colorsanden ist die große Auswahl an intensiven und RAL-nahen Farben sowie die absolute Homogenität des Materials. Nachteile sind die geringeren Kennwerte oder fehlenden Prüfungen (PSV-Werte / SZ-Werte), die Farbänderungen durch mechanischen Abrieb und Alterung sowie der höhere Preis im Vergleich zum Naturprodukt. Bei der Abstreuung mit natürlichen Gesteinen kann nach entsprechender Aufbereitung nahezu jedes Gestein genutzt werden. Einschränkungen ergeben sich hierbei lediglich durch die geplante Nutzung der späteren Flächen (PSV-Werte / SZ-Wert). Vorteile von natürlichen Gesteinen sind die natürliche Optik, die Oberflächen- und Farbstabilität auch bei starkem Abrieb (bei entsprechenden PSV-Werte / SZ-Wert) sowie der geringere Preis bei Standardkörnungen im Vergleich zu Colorsanden. Nachteile sind die geringere Farbauswahl, auch in der Abhängigkeit der geplanten Nutzung sowie höhere Materialkosten bei der Aufbereitung von Sonderkörnungen. 5. Reparaturfähigkeit OB-RH Beläge eignen sich besonders gut für Maßnahmen in kommunalen Bereichen oder Parkanlagen, in denen es durch Versorgungsträger und sonstige Tiefbaumaßnahmen immer wieder zu Aufgrabungen und Punktaufbrüchen kommt. Gleiches gilt auch für evtl. Reparaturen durch mechanische Beschädigungen. Im Gegensatz zu farbigen Asphalten ist hier auch eine Reparatur bis hin zu Kleinstflächen möglich (bei farbigen