eJournals Kolloquium Straßenbau in der Praxis 2/1

Kolloquium Straßenbau in der Praxis
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expert Verlag Tübingen
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2021
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Mobile Mapping im Verkehrswegebau

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2021
Philipp Mielke
Mobile Mapping ermöglicht die schnelle Aufnahme umfangreicher und hochdetaillierter Vermessungs- und Bestandsdaten von Verkehrswegen mittels Laserscanner und Messkameras. Die realitätsgetreue Datenaufnahme erfolgt vom fahrenden Fahrzeug und im fließenden Verkehr, wodurch eine sehr effiziente, sichere und kostengünstige Erfassung des gesamten Verkehrswegs ermöglicht wird. Diese Daten bilden die Grundlage für eine Vielzahl von Anwendungen in der Planung, Kalkulation, Bauausführung und Bewirtschaftung von Verkehrswegen. Das breite Nutzungsspektrum reicht von der Vermessung über die Modellierung und BIM bis hin zur Inspektion und Dokumentation. Der Einsatz modernster Software und Künstlicher Intelligenz ermöglicht hierbei eine immer schnellere Verarbeitung, Bereitstellung und Nutzung der Daten.
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2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 539 Mobile Mapping im Verkehrswegebau Philipp Mielke STRABAG 3D Mapping Services, Regensburg, Deutschland Zusammenfassung Mobile Mapping ermöglicht die schnelle Aufnahme umfangreicher und hochdetaillierter Vermessungs- und Bestandsdaten von Verkehrswegen mittels Laserscanner und Messkameras. Die realitätsgetreue Datenaufnahme erfolgt vom fahrenden Fahrzeug und im fließenden Verkehr, wodurch eine sehr effiziente, sichere und kostengünstige Erfassung des gesamten Verkehrswegs ermöglicht wird. Diese Daten bilden die Grundlage für eine Vielzahl von Anwendungen in der Planung, Kalkulation, Bauausführung und Bewirtschaftung von Verkehrswegen. Das breite Nutzungsspektrum reicht von der Vermessung über die Modellierung und BIM bis hin zur Inspektion und Dokumentation. Der Einsatz modernster Software und Künstlicher Intelligenz ermöglicht hierbei eine immer schnellere Verarbeitung, Bereitstellung und Nutzung der Daten. 1. Einführung Innovative Technologie für effiziente Datenerfassung - mit Mobile Mapping setzt STRABAG seit 2018 modernste Vermessungsmethoden für die Digitalisierung im Verkehrswegebau (VWB) ein. Fortschreitende Digitalisierung und die konsequente Einführung von Building Information Modelling (BIM) erfordern umfassende Informationen für Planung, Bauausführung und Betrieb von Verkehrswegen. Die neuen digitalen Arbeitsweisen benötigen jedoch immer mehr und detailliertere Bestands- und Vermessungsdaten, sei es für das initiale Planungsmodell, die Steuerung von automatisch arbeitenden Fräsen, Baggern und anderen Baumaschinen oder als Grundlage für modellbasierte Abrechnungen. Dieser hohe und häufig zeitnahe Bedarf an Daten steht dabei zunehmend in Konflikt mit bestehenden Normen und Regelwerken, aber auch mit entsprechenden Prozessen für die Datenerfassung und -verarbeitung. Konventionelle, zum Teil über Jahrzehnte entwickelte Technologien und Methoden stoßen zunehmend an ihre Grenzen. Abbildung 1: Die realitätsgetreuen Punktwolken einer STRABAG Mobile Mapping Befahrung (im Hintergrund) und das daraus abgeleitete hochdetaillierte DGM (im Vordergrund). 540 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Mobile Mapping im Verkehrswegebau Etablierte Vermessungsverfahren im VWB sind hochgenau, aber methodisch aufwendig und zeitintensiv. Messverfahren, wie beispielsweise das Tachymeter oder Nivelliergerät, erfordern ein ständiges Umsetzen und Neustationieren des Messgeräts, was vor allem bei größeren Strecken mit einem erheblichen Zeitaufwand verbunden ist. Die Datenaufnahme wird daher für gewöhnlich auf die Vermessung von Querprofilen alle 10-20 m entlang des Straßenkörpers reduziert, die dazwischenliegenden Bereiche werden anschließend aus den Querprofilen interpoliert. Der Detailgrad der aus diesen Daten abgeleiteten digitalen Geländemodelle (DGM) und Bestandspläne ist entsprechend reduziert. Für die Arbeiten muss der Verkehrsweg betreten und somit gesperrt werden, was wiederum mit hohen Kosten verbunden ist und die Unfallgefahr für Verkehrsteilnehmende erhöht. Die so erzeugten Plandaten entsprechen zwar den aktuell gültigen Regelwerken für Vermessung [1], der Zeit- und Kostenaufwand ist jedoch enorm und der Detailgrad für BIM und andere digitale Methoden häufig nicht ausreichend. Weiterentwicklungen, wie das stationäre Laserscanning, ermöglichen eine deutlich detailliertere Vermessung durch die Aufnahme von Punktwolken aus Millionen von Messpunkten. Aber auch diese Geräte müssen häufiger umgestellt werden und erfordern eine zumindest teilweise für den Verkehr gesperrte Arbeitsbereiche [2]. Mit Mobile Mapping lassen sich viele der genannten Herausforderungen bewältigen. Laserscanner für die Vermessung und Kameras für die Dokumentation werden hierfür auf ein Fahrzeug montiert; die Datenaufnahme findet anschließend während der Fahrt statt. Aus den realitätsgetreuen Vermessungsdaten werden unter anderem DGMs und Bestandspläne für den VWB extrahiert (Abbildung 1). Die hieraus resultierenden Vorteile sind: • Schnelle und effiziente Datenaufnahme Selbst kilometerlange Strecken lassen sich innerhalb kurzer Zeit vollständig vermessen und dokumentieren. Das mühsame Aufnehmen von Einzelpunkten entfällt, vielmehr wird das gesamte Areal entlang des Fahrweges erfasst. • Aufnahme von hochdetaillierten und realitätsgetreuen 3D-Vermessungsdaten Mit (mobilem) Laserscanning aufgenommene Vermessungsdaten sind hochdetailliert (bei gleichzeitig hoher Genauigkeit). Anstelle von Einzelpunkten wird das gesamte Umfeld erfasst und in Punktwolken überführt, die als Grundlage für Modellierung, Planung und Visualisierung dienen. • Aufnahme von Fotos für virtuelle Inspektion und Dokumentation Integrierte Kameras erfassen jedes Detail entlang der Messstrecke. Die aufgenommenen Fotos können automatisch analysiert und für Inspektion, Dokumentation und Planung bereitgestellt werden. Der Verkehrsweg kann aus dem Büro betrachtet und Maßnahmen virtuell geplant werden. • Erhöhung der Sicherheit für Personal und Verkehrsteilnehmende Die Datenaufnahme erfolgt aus dem Fahrzeug heraus. Die Fahrbahn muss nicht betreten werden; Personal und Verkehrsteilnehmende werden durch die Arbeiten nicht gefährdet. • Keine Verkehrssperrung notwendig Die Datenaufnahme erfolgt im fließenden Verkehr. Verkehrssperrungen wie bei den konventionellen Messmethoden sind nicht erforderlich. 2. Grundlagen Mobile Mapping Der Sammelbegriff „Mobile Mapping” vereint Methoden zur Erfassung raumbezogener Daten mit Hilfe von mobilen Trägerplattformen. Die Datenaufnahme findet aus der Bewegung statt (kinematische Vermessung). Der Umfang der verwendeten Messausstattung variiert dabei je nach System und Anwendung. In der Regel verfügen Mobile Mapping Systeme (MMS) über eine oder mehrere Kameras für die Fotodokumentation sowie Laserscanner oder Stereokameras für die 3D-Vermessung. Spezialisierte Systeme können mit weiteren Sensoren, wie Wärmebild- und Multispektralkameras oder Gas-Detektoren, ausgestattet werden. Für die Untersuchung des Untergrunds kommen Geomagnet- oder Radarsensoren zum Einsatz. Als Trägerplattform dienen Straßen-, Schienen-, Wasser- und Luftfahrzeuge, aber auch handgeführte oder auf dem Rücken tragbare Geräte. Die Grenzen zwischen stationären und kinematischen Messsystemen verwischen jedoch zunehmend. So unterstützen vormals rein statische Systeme wie das Tachymeter inzwischen auch zunehmend kinematische Vermessungen. Im VWB werden MMS meist auf Straßen- oder Schienenfahrzeuge montiert und für die Vermessung und Fotodokumentation verwendet. Im einfachsten Fall besteht ein MMS aus einer Kamera und einem Sensor zur Positionsbestimmung, welches auf einem Fahrzeug montiert und entlang der aufzunehmenden Strecke bewegt wird. Mobile Mapping ist in dieser Form keine neue Erfindung: Erste mit Kameras ausgestattete Fahrzeuge wurden bereits in den 1970er Jahren für die Fotodokumentation von Autobahnen eingesetzt [3]. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Mobile Mapping 2007 mit dem Start von Google Streetview bekannt, das sich nach wie vor großer Beliebtheit erfreut. Mit zunehmender technologischer Entwicklung wurden die Systeme komplexer und umfangreicher. Erste (wenn auch noch ungenaue) Vermessungen wurde zunächst durch die Integration von Stereokameras ermöglicht, später folgten Laserscanner mit Genauigkeiten im Millimeterbereich. In den vergangenen Jahren sorgte die fortschreitende Miniaturisierung für immer kompaktere Bauweisen, die den unkomplizierten Einsatz auf einer Vielzahl von Trägerplattformen ermöglichen. Neben Anwendungen im VWB wird Mobile Mapping bereits seit einigen Jahren zur Erfassung von 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 541 Mobile Mapping im Verkehrswegebau Panoramafotos für Städte und Kommunen sowie für die genormte Straßenzustandserfassung [4] genutzt. Größte Herausforderung beim Mobile Mapping ist die Georeferenzierung der Vermessungsdaten. Je höher die Anforderungen an die Genauigkeit, desto exakter müssen Position und Lage des Messsystems zu jedem Zeitpunkt bekannt sein. Zu diesem Zweck muss das MMS über ein System zur Positions- und Lagebestimmung verfügen. Im einfachsten Fall, beispielsweise für die Fotodokumentation einer Fahrstrecke ohne höhere Anforderungen an die Genauigkeit, wäre die Nutzung einer GNSS-Antenne ausreichend. Werden dagegen präzise Messdaten per Laserscanner benötigt, ist eine Kombination verschiedenster Positions-, Lage- und Beschleunigungssensoren notwendig. Eine für diesen Zweck typische Ausstattung umfasst GNSS-Empfänger für die Positionserfassung, ein Inertiales Navigationssystem (INS) mit Beschleunigungs- und Lagesensoren sowie ein Hodometer für die Streckenmessung (engl. Distance Measuring Instrument, DMI). Kurzzeitige Ausfälle des GNSS (beispielsweise unter Brücken) können durch INS und DMI überbrückt werden. Zunehmend finden auch Sensoren für die simultane Positionsbestimmung und Kartenerstellung (engl. Simultaneous Localization and Mapping, SLAM) Einzug in die Positionsbestimmung. Je nach Anwendungsfall wird die Positionsgenauigkeit zusätzlich durch den Einsatz von Passpunkten erhöht. Aus den Informationen von GNSS, INS, DMI und Passpunkten wird nach Abschluss der Datenaufnahme ein möglichst präziser Verlauf der abgefahrenen Messstrecke (Trajektorie) berechnet. Die Trajektorie wird anschließend mit den Messdaten der Kameras und Laserscanner synchronisiert und ermöglicht so die zeitliche und räumliche Verortung der Messdaten. 2.1 Mobile Mapping bei STRABAG STRABAG nutzt im VWB ein MMS vom Typ MX9 der Firma Trimble Navigation Ltd [5]. Das System umfasst zwei Impuls-Laserscanner vom Typ Riegl VUX 1HA [6], eine 360-Grad-Panoramakamera, eine Fahrwegkamera sowie zwei Frontalkameras. Mit einem Gesamtgewicht von 37 kg ist es eines der leichtesten Komplettsysteme auf dem Markt und kann auf beliebigen Trägerfahrzeugen montiert werden - von Kraftfahrzeugen über Schienenfahrzeuge bis hin zu Klein- und Spezialfahrzeugen. Das System ist bis zu einer Fahrgeschwindigkeit von 110 km/ h einsetzbar (Abbildung 2). Hauptvorteil des Systems ist die Integration von zwei Laserscannern zur Aufnahme von Punktwolken für die Vermessung. Beide Scanner arbeiten mit einer effektiven Messrate von jeweils 1 GHz und 250 Scanprofilen pro Sekunde. Die Genauigkeit liegt bei 5 mm, die maximale seitliche Reichweite beträgt 235 m. Die Vermessung erfolgt durch schnelle Rotation der Scanner und der daraus entstehenden Scanprofile. Durch die Vorwärtsbewegung des Fahrzeuges während des Scanvorgangs entwickelt sich aus den Profilen eine flächige Aufnahme. Der Abstand zwischen den einzelnen Profilen steigt mit der Fahrgeschwindigkeit, wodurch der Detailgrad der Messdaten sinkt. MMS mit nur einem Laserscanner haben somit das Problem, dass die Profilabstände bei höheren Geschwindigkeiten zu groß für eine detaillierte Vermessung werden. So ergibt sich bei einer typischen Scanrate von 250 Profilen pro Sekunde und einer Geschwindigkeit von 80 km/ h ein Profilabstand von rund 8,9 cm. Durch die Verwendung von zwei horizontal und vertikal verstellbaren Laserscannern beim MX9 kann diesem Problem entgegengewirkt werden. Beide Scanner werden angewinkelt zueinander montiert, wodurch sich die Scanprofile kreuzen und ein engmaschiges Messraster erzeugt wird, welches auch bei höheren Geschwindigkeiten ein detailliertes Abbild der Realität liefert (Abbildung 3). Abbildung 2, links: Das Trimble MX9 Mobile Mapping System mit zwei Laserscannern (a), Fahrwegkamera (b), 360 Grad Panoramakamera (c), Frontalkameras (d) und GNSS-Empfänger (e). Rechts: Mobile Mapping Befahrung auf einer Autobahn bei 80 km/ h. 542 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Mobile Mapping im Verkehrswegebau Abbildung 3, links: Punktwolke des Trimble MX9 bei ca. 50 km/ h. Rechts: Darstellung der sich kreuzenden Scanprofile und des daraus gebildeten, engmaschigen Punktrasters. Die Verwendung von zwei Scannern reduziert zudem die Problematik von Abschattungen durch andere Fahrzeuge. Wird beispielsweise das Scanprofil eines Scanners durch ein überholendes Auto gestört, kann der zweite Scanner dies häufig ausgleichen und die Datenaufnahme vervollständigen. Ferner können vertikale Objekte und Fassaden unterschiedlichster Ausrichtung zuverlässiger erfasst werden (Abbildung 4). Die Scanner arbeiten unabhängig von externen Lichtquellen und können somit auch nachts betrieben werden. Zur Sicherstellung qualitativ hochwertiger Messdaten findet die Datenaufnahme bei trockenen Bedingungen statt, da die Reflexionen der nassen Oberflächen die Messergebnisse verfälschen können. Für die visuelle Datenerfassung verfügt der MX9 über ein Kamerasystem bestehend aus einer 30 MP Panoramakamera, zwei 5 MP Frontalkameras und einer 5 MP Fahrwegkamera. Die Abstände der Fotoaufnahmen entlang der Messstrecke sind ab einem Minimalabstand von 1 m frei wählbar. Die Fotos der Panoramakamera können zur Kolorierung der Laserscan-Punktwolken genutzt werden. Die 5 MP Fahrwegkamera an der Rückseite des MX9 dient der Erfassung und Inspektion des Fahrwegs; die beiden nach vorne gerichteten Kameras werden für planare Fotos der Umgebung aus der Frontperspektive des Fahrzeuges genutzt. Die Positions- und Lageerfassung des MX9 erfolgt über ein eingebettetes INS mit GNSS vom Typ Trimble Applanix AP60 sowie optische und mechanische Hodometer. Die unter guten GNSS-Bedingungen (d.h. freier Himmel und Verwendung von mindestens einer GNSS- Referenzstation im Umkreis von 20 km) im praktischen Einsatz erreichbare absolute Positionsgenauigkeit liegt bei unter 10 cm. Unter Einbeziehung von Passpunkten kann die absolute Genauigkeit auf unter 1 cm verbessert werden. Ausschlaggebend ist hier die Lage- und Höhengenauigkeit der Passpunkte. Abbildung 4, links: Funktionsprinzip der dualen Laserscanner des Trimble MX9. Die Scanprofile der beiden Laserscanner (in grün) überschneiden sich und erzeugen auch bei höheren Geschwindigkeiten ein engmaschiges Netz an Messpunkten. Die Abstände zwischen den einzelnen Scanprofilen variieren mit der Fahrgeschwindigkeit. Rechts: Durch die geneigte Montage der Scanner können vertikale Objekte zuverlässig erfasst und in der Punktwolke abgebildet werden. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 543 Mobile Mapping im Verkehrswegebau Abbildung 5, links: Ein Schachtdeckels in der Punktwolke. Rechts: Ein mit Markierfarbe auf die Fahrbahn aufgemalter Passpunkt. 2.2 Passpunkte und Genauigkeit Passpunkte sind Objekte mit bekannten Koordinaten entlang der Messtrecke, welche für die Georeferenzierung der Trajektorie und der Vermessungsdaten dienen. Je präziser Lage und Höhe der Passpunkte bekannt sind, desto höher liegt die absolute Genauigkeit der Vermessungsdaten des MMS. Bei Verwendung von per GNSS eingemessenen Passpunkten liegt die absolute Genauigkeit des MMS üblicherweise im Bereich von 2-3 cm in Lage und Höhe, bei Verwendung von tachymetrisch eingemessenen und nivellierten Passpunkten sind Werte <1 cm erreichbar. Im praktischen Einsatz hat sich aber die Verwendung von per GNSS eingemessenen Passpunkten für den Großteil der Projekte als ausreichend erwiesen. Als Passpunkte können vorhandene Objekte mit klar definierbaren Mittel- oder Eckpunkten, wie beispielsweise Schachtdeckel (Abbildung 5, links), Gebäudekanten oder Fahrbahnmarkierungen verwendet werden. Dies ist insbesondere im innerstädtischen Bereich von Vorteil, da hier häufig eine ausreichende Anzahl an ortsfesten Objekten vorhanden ist und eigene Passpunkte wegen der beengten Verhältnisse und hohen Verkehrsauslastung nur mit hohem Aufwand gesetzt werden können. Existieren keine geeigneten Objekte, können Passpunktnetze durch Farb- oder Sprühmarkierungen oder spezielle Passpunktplatten angelegt und vermessen werden (Abbildung 5, rechts). Die Anzahl und Verteilung der Passpunkte ist abhängig von der Genauigkeitsanforderung, den GNSS-Empfangsbedingungen und dem Streckenverlauf (Abbildung 6). Je höher die benötigte Genauigkeit und je schlechter der GNSS-Empfang, desto engmaschiger muss das Passpunktnetz aufgebaut sein. An Kreuzungspunkten zweier oder mehrerer Messstrecken werden zusätzliche Passpunkte benötigt. Sofern möglich, werden die Passpunkte beidseitig der Messstrecke platziert, im praktischen Einsatz ist dies aber ohne umfangreiche Straßensperrungen häufig nicht möglich und daher unerwünscht. In diesen Fällen kann mit einseitig gesetzten Passpunkten gearbeitet werden. Aufgrund der vielfältigen Einflüsse variieren die Passpunktabstände von über 500 m (z.B. auf Autobahnen mit sehr gutem GNSS-Empfang und mittleren Genauigkeitsanforderung <5 cm) bis hin zu 30 m (z.B. in längeren Tunneln). Abbildung 6: Die Verteilung der Passpunkte (grüne Punkte) entlang der Messstrecken (farbige Linien) richtet sich nach dem Streckenverlauf und GNSS-Qualität. Zusammengefasst wird die erzielbare Messgenauigkeit des MMS durch eine Kombination folgender Faktoren kontrolliert: 544 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Mobile Mapping im Verkehrswegebau - die Empfangsqualität des GNSS - die Anzahl und Entfernung der GNSS-Referenzstationen - die Anzahl und Verteilung der Passpunkte - die Positionsgenauigkeit der Passpunkte Die Genauigkeit jeder Messfahrt wird durch unabhängige Kontrollpunkte entlang der Messtrecke überprüft. 2.3 Datenaufnahme Die Datenaufnahme erfolgt üblicherweise bei Tag und günstigen Lichtbedingungen, um neben der Vermessung per Laserscanner auch die Aufnahme von scharfen und gut belichteten Fotos zu ermöglichen. Werden ausschließlich Punktwolken benötigt, kann die Befahrung auch nachts erfolgen. Die örtlichen Geschwindigkeitseinschränkungen bestimmen das Tagesmaximum an aufnehmbarer Strecke. Zur Erzeugung von detaillierter Vermessungsdaten wird eine Geschwindigkeit von 80 km/ h möglichst nicht überschritten. Die benötigte Anzahl der Befahrungen pro Fahrtrichtung richtet sich nach der Breite der Fahrbahn. Bei zweispurigen Straßen, wie Gemeinde-, Kreis- und Landstraßen, erfolgt die Datenaufnahme meistens in nur einer Fahrtrichtung; die Gegenfahrbahn wird ausreichend durch die seitliche Abstrahlung von Kamera und Laserscanner abgedeckt. Bei vierspurigen Straßen findet die Datenaufnahme auf der jeweils ersten (rechten) Richtungsfahrbahn statt. Bei sechsspurigen oder achtspurigen Straßen wird in beide Richtungen jeweils die erste und dritte Fahrbahn befahren. Die Scanprofile der Laserscanner verlaufen je nach Montage der Scanner etwa 1-2 m hinter dem Messfahrzeug; sie sind für andere Verkehrsteilnehmer ungefährlich und unsichtbar. Nach Abschluss der Datenaufnahme werden die Trajektorie berechnet sowie die georeferenzierten Messdaten und Fotos generiert. Personenbezogene Daten, wie Kennzeichen und Gesichter, werden gemäß Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) automatisch auf allen Fotos identifiziert und unwiderruflich durch Verpixelung unkenntlich gemacht. Bei Bedarf werden die Punktwolken zusätzlich durch die Farbinformationen der Fotos mit RGB-Farben eingefärbt und für die Datenverarbeitung bereitgestellt. 2.4 Datenverarbeitung Art und Umfang der Datenverarbeitung variieren stark in Abhängigkeit von Streckentyp und -länge sowie den benötigten Vermessungsdaten. Punktwolken aus Laserscannern enthalten sämtliche während der Vermessung sichtbaren Objekte, darunter auch Störpunkte, wie Vegetation, Fahrzeuge und andere Objekte (Abbildung 7, oben). Die tatsächlich benötigten Vermessungsdaten der Bodenpunkte, Bruchkanten und Objekte, wie Schächte und Gebäudekanten, müssen aus diesem Gesamtdatensatz zunächst extrahiert werden (Abbildung 7, unten), bevor sie anschließend in DGM, Bestandspläne und Modelle überführt oder weitere Analysen durchgeführt werden können. Diese Datenextraktion findet durch intern entwickelte Prozesse zunehmend automatisiert statt. Bruchkanten, Bodenpunkte und andere Objekte werden automatisch erkannt und Störpunkte entfernt. Die extrahierten Daten werden anschließend durch CAD-Experten geprüft und falls nötig nachkorrigiert. Basierend auf diesen gefilterten, von Störobjekten befreiten Daten können anschließend DGM und Bestandspläne erzeugt oder unterschiedliche Analysen des Verkehrswegs durchgeführt werden. Die Bandbreite möglicher automatisierter Analysen reicht von Ebenheits- und Neigungsanalysen über Lichtraumprofile und Schleppkurven bis hin zu Abgleichen von verschiedenen Befahrungen zur Deformationsmessung. Ferner können die Daten für die automatische Extraktion unterschiedlicher Elemente, wie Oberleitungen, Verkehrszeichen und Bäume, oder zur Modellierung von Gebäuden, Tunneln und Brücken genutzt werden. Der Aufwand von der Datenaufnahme bis zum fertigen DGM beispielsweise einer 10 km langen Autobahn liegt bei unter sieben Arbeitstagen. Viele der Arbeitsschritte sind zudem nahezu frei skalierbar. Die Auswertung der Fotoaufnahmen erfolgt ebenfalls zunehmend automatisiert. Hier wird künstliche Intelligenz in Form neuraler Netze (Convolutional Neural Networks, CNN) für die Erkennung von Rissen und Schäden auf der Fahrbahn oder zur Erkennung und Katalogisierung von Verkehrsschildern eingesetzt. Die Zuverlässigkeit der CNN verbessert sich dabei kontinuierlich durch die wachsende Menge an Trainingsdaten. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 545 Mobile Mapping im Verkehrswegebau Abbildung 7, oben: Die Punktwolke aus einer Mobile Mapping Befahrung. Unten: Die aus der Punktwolke abgeleiteten Vermessungsdaten bestehend aus Bruchkanten, Straßen- und Bodenpunkten, Schachtdeckeln, Fahrbahnmarkierung und Verkehrsschildern. 2.5 Praktische Anwendungen im STRABAG Verkehrswegebau STRABAG nutzt Mobile Mapping in verschiedensten Phasen im VWB. Das Einsatzspektrum umfasst Anwendungen für die Vermessung, Bestandserfassung und Inspektion. Mobile Mapping wird für alle fünf BIM- Lebenszyklen (Entwurf, Planung, Ausführung, Bewirtschaftung, Umbau) von Infrastrukturbauwerken genutzt. In der Entwurfs- und Planungsphase fokussieren sich die Anwendungen auf die Bestandserfassung vorhandener Infrastruktur für die detaillierte Planung und Kalkulation der Projekte. Zur Kalkulation von öffentlich ausgeschriebenen Projekten müssen Bestandsdaten häufig innerhalb weniger Wochen aufgenommen und bereitgestellt werden. Je genauer und detaillierter diese Bestandsdaten sind, desto besser kann das Projekt kalkuliert werden. Aufgrund zunehmend wachsender Anforderungen an die Digitalisierung, aber auch bedingt durch den Fachkräftemangel und immer komplexere Sicherheitsbestimmungen ist eine detaillierte Datenaufnahme auf konventionelle Weise bei größeren Projekten jedoch kaum durchführbar. Mit Mobile Mapping können Vermessungs- und Bestandsdaten dagegen schnell aufgenommen und bei Bedarf mit anderen Vermessungsdaten kombiniert werden. Gängige Praxis ist inzwischen die kombinierte Bestandsvermessung aus MMS, Drohne, terrestrischem Laserscan und konventionellen Methoden. Innerhalb weniger Tage 546 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Mobile Mapping im Verkehrswegebau können so umfangreiche Plandaten (Abbildung 8) für die Kalkulation bereitgestellt und dank komfortabler Webviewer einem weiten Nutzerkreis zugänglich gemacht werden (Abbildung 9). In der Ausführungsphase können die vorhandenen Befahrungsdaten weiter genutzt werden. Im Straßenbau ist es gängige Praxis, die hochdetaillierten DGM der Fahrbahnoberfläche zu verwenden für die präzise Steuerung automatischer Fräsen per digitalem Deckenbuch. Im Gegensatz zu den stark oftmals über mehrere Meter interpolierten DGM aus der konventionellen Vermessung spiegeln die Geländemodelle aus dem Mobile Mapping die Unebenheiten der abzufräsenden Fahrbahnoberfläche detailliert wider. Die Fräse kann so bereits beim ersten Abfräsen auf die erfassten Unebenheiten reagieren und diese durch Anpassung der Frästiefe ausgleichen. Das Ergebnis ist eine ebene Fräsoberfläche, die in der Folge durch optimierten Materialverbrauch kostengünstig neu asphaltiert werden kann. Zusätzliche Materialkosten für den Ausgleich von Unebenheiten entfallen. Abbildung 8: Ein durch Mobile Mapping entstandenes, hochdetailliertes DGM mit Zusatzinformationen wie Fahrbahnmarkierungen, Beschilderung und Fahrzeugrückhaltesystemen. Abbildung 9: Webviewer mit Vermessungs- und Kommentarfunktion für den komfortablen Zugriff auf die Befahrungsdaten. Die Ansicht ist frei konfigurierbar, in diesem Beispiel sind oben zwei Panoramafotos abgebildet, unten links eine Aufnahme der Bodenkamera und unten rechts die Punktwolke der Laserscanner. 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 547 Mobile Mapping im Verkehrswegebau Zwischen dem Abfräsen und Neueinbau der Deckschicht kann eine weitere Befahrung zur Dokumentation vorhandener Risse und Schäden in der freigelegten Tragschicht erfolgen. Nach dem Ende der Asphaltierungsarbeiten können die Bestandsdaten aus der ersten Befahrung zudem genutzt werden, um die abgebauten Verkehrszeichen, Schutzeinrichtungen und andere Objekte am ursprünglichen Standort wiederaufzubauen. Die abschließende letzte Befahrung dient der Überprüfung und Analyse der Deckschicht sowie der Dokumentation des Endzustands. Bei Neubau- oder Erweiterungsprojekten können die Befahrungsdaten in Absprache mit dem Auftraggeber zusätzlich als Grundlage für die Erstellung eines Bestandsplans herangezogen werden. In der Betriebsphase wird Mobile Mapping hauptsächlich für die wiederkehrende Inspektion der Verkehrswege eingesetzt. Die Vielzahl der aufgenommenen Daten macht dabei eine (teil-)automatisierte Analyse mit Hilfe Künstlicher Intelligenz unumgänglich. Anhand der Befahrungsdaten können Problemstellen erkannt und Maßnahmen effizient geplant werden. Weitere Anwendungen sind die Katalogisierung unterschiedlicher Elemente entlang der Strecke und die Erstellung von Bestandsplänen für eine Vielzahl möglicher Nutzungen. Typische Anwendungsbeispiele für Mobile Mapping in der Betriebsphase sind: • Bestandspläne (Abbildung 7 und 8) Erstellung detaillierter Bestandspläne von älteren Verkehrswegen zur Planung zukünftiger Bauvorhaben und anderer Maßnahmen. • Detektion von Rissen und anderen Schäden (Abbildung 10, oben) Risse und andere Schäden auf der Fahrbahn oder an Bauwerken entlang des Verkehrswegs werden erfasst und automatisch analysiert, klassifiziert und katalogisiert. Durch frühzeitiges Erkennen der Schäden können präventive Maßnahmen eingeleitet und Kosten reduziert werden. • Katalogisierung und Inspektion von Schachtdeckeln, Verkehrszeichen und Fahrbahnmarkierungen (Abbildung 10, Mitte links) Schachtdeckel, Verkehrszeichen und Fahrbahnmarkierungen können katalogisiert und der Zustand klassifiziert werden. Ortsbegehungen können gezielt geplant werden. • Grundlagendaten für autonome Fahrzeuge (Abbildung 10, Mitte rechts) Autonome Fahrzeuge benötigen für sicheres und effizientes Fahren hochdetaillierte Bestandspläne der Straßennetze. Neben geometrischen Informationen, wie Fahrbahnbreite und Straßenverlauf, enthalten diese auch semantische Informationen, wie Flächennutzung (z.B. Fahrbahn, Parkfläche, Gehweg, Grünfläche), Spurenmodelle, Ampeln, Verkehrszeichen, Vorfahrtsregeln und Geschwindigkeitsvorschriften. • Vegetationskontrolle von Bäumen und Büschen (Abbildung 10, unten links) Erfassung des Zustands und des Lichtraumprofils von Bäumen und anderer Vegetation entlang der Verkehrswege für ein effizientes Vegetationsmanagement. Weitere Analysen umfassen die automatische Ermittlung von Stamm- und Kronendurchmessern sowie die Berechnung der CO 2 -Speicherung und Feinstaubfilterung. • Katalogisierung und Inspektion von Masten, Oberleitungen und Signalanlagen (Abbildung 10, unten rechts) An Schienenverkehrswegen kann der Zustand verschiedener Objekte entlang der Trasse geprüft und Lichträume berechnet werden. Künstliche Intelligenz ermöglicht die automatische Erkennung und Verortung von Defekten. • Tunnelinspektion Die Inspektion von Tunneln auf Risse und andere Schäden ist aufgrund der beschränkten Platz- und Lichtverhältnisse umständlich und kostspielig. Durch die Integration von Wärmebildkameras am MMS können wasserführende Risse in den Wänden und Decken detektiert und sichtbar gemacht werden. Sperrungen für die Inspektion können reduziert werden. • Deformationsmessungen Deformationen an Bauwerken, wie Lärmschutzwänden und Stützmauern, können durch regelmäßige Befahrungen erfasst und überwacht werden. Sperrungen am Bauwerk können reduziert werden oder entfallen vollständig. 548 2. Kolloquium Straßenbau - September 2021 Mobile Mapping im Verkehrswegebau Abbildung 10, oben: Ebenheitsanalyse der Fahrbahnoberfläche zur Detektion von Schäden. Mitte, links: Analyse von Straßenmarkierungen. Mitte, rechts: Extraktion von Fahrbahnmarkierungen als Navigationsgrundlage für autonom fahrende Fahrzeuge. Unten, links: Vegetationsmanagement und automatische Ermittlung von Lichtraumprofilen. Unten, rechts: Extraktion von Oberleitung und Schieneninnenkanten zur Ermittlung von Lichtraumprofilen.