Kolloquium Straßenbau in der Praxis
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expert Verlag Tübingen
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Wassersensible Stadtentwicklung und die Umsetzung im Strassenentwurf
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Jens Klähnhammer
Wasser bringt infolge des Klimawandels wachsende Überflutungsgefahren für den urbanen Raum mit sich, ist aber gleichzeitig auch ein zentrales Element, um die Folgen des Klimawandels abzumildern. Daher sind integrierte Lösungen zum Umgang mit Wasser im Stadtraum erforderlich. Um eine klimawandelgerechte Stadtentwicklung zu ermöglichen und gleichzeitig die Lebensqualität im Zuge des Klimawandels zu erhalten, bedarf es einer wassersensiblen Stadt- und Freiraumgestaltung. Ziel ist es, dem natürlichen hydrologischen Kreislauf möglichst nahe zu kommen. Dafür sollte die Versiegelung von Oberflächen, die einen erhöhten Abfluss mit sich bringt, soweit es möglich ist, vermieden werden. Hierzu bedarf es an Ansätzen, die das Ziel verfolgen, zunächst nach ortsnahen Lösungen zur Versickerung, Verdunstung, Nutzung sowie zur Speicherung und gedrosselten Ableitung von Niederschlagswasser zu suchen. Durch den verringerten Oberflächenabfluss entlastet eine dezentrale Regenwasserbewirtschaftung das Entwässerungssystem. Dies kommt sowohl dem Gewässerschutz als auch der Grundwasserneubildung zugute. Nicht zuletzt eröffnet der Lösungsansatz vielseitige Optionen, das Ortsbild und die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum zu verbessern.
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3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 99 Wassersensible Stadtentwicklung und die Umsetzung im Strassenentwurf Dipl.-Ing. Jens Klähnhammer FISCHER TEAMPLAN Ingenieurbüro GmbH, Erftstadt Zusammenfassung Wasser bringt infolge des Klimawandels wachsende Überflutungsgefahren für den urbanen Raum mit sich, ist aber gleichzeitig auch ein zentrales Element, um die Folgen des Klimawandels abzumildern. Daher sind integrierte Lösungen zum Umgang mit Wasser im Stadtraum erforderlich. Um eine klimawandelgerechte Stadtentwicklung zu ermöglichen und gleichzeitig die Lebensqualität im Zuge des Klimawandels zu erhalten, bedarf es einer wassersensiblen Stadt- und Freiraumgestaltung. Ziel ist es, dem natürlichen hydrologischen Kreislauf möglichst nahe zu kommen. Dafür sollte die Versiegelung von Oberflächen, die einen erhöhten Abfluss mit sich bringt, soweit es möglich ist, vermieden werden. Hierzu bedarf es an Ansätzen, die das Ziel verfolgen, zunächst nach ortsnahen Lösungen zur Versickerung, Verdunstung, Nutzung sowie zur Speicherung und gedrosselten Ableitung von Niederschlagswasser zu suchen. Durch den verringerten Oberflächenabfluss entlastet eine dezentrale Regenwasserbewirtschaftung das Entwässerungssystem. Dies kommt sowohl dem Gewässerschutz als auch der Grundwasserneubildung zugute. Nicht zuletzt eröffnet der Lösungsansatz vielseitige Optionen, das Ortsbild und die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum zu verbessern. 1. Einführung Eine wassersensible Gestaltung von Frei- und Verkehrsflächen bietet vielzählige Synergien zur Verbesserung des Lokalklimas. Um diese Potenziale auszuschöpfen, gilt es, die Oberfläche nach dem Prinzip der „Schwammstadt“ umzugestalten. Dabei wird das anfallende Niederschlagswasser durch die Reduzierung versiegelter Flächen und eine Erhöhung des Grünanteils wie in einem Schwamm gespeichert und in Hitzeperioden wieder abgegeben. Durch die Verdunstungskühlung von Bäumen, Wasserflächen, Vegetation und Böden, die durch das gespeicherte Wasser ausreichend bewässert werden, kann so eine deutliche Reduzierung der Temperaturen erreicht werden. Vor dem Hintergrund der erwarteten Zunahme von seltenen und außergewöhnlichen Starkregen im Zuge des Klimawandels ist es auch notwendig, bei der Umsetzung des Schwammstadtprinzips effiziente Anpassungsmaßnahmen zur Starkregenvorsorge zu entwickeln. Ein Ausbau bzw. die Dimensionierung der Kanalisation für einen vollständigen Rückhalt auch außergewöhnlicher Starkregen ist weder aus betrieblicher noch aus wirtschaftlicher Sicht zielführend und ausreichend. Es müssen ergänzend an der Oberfläche Lösungen für den Umgang mit seltenen und außergewöhnlichen Ereignissen entwickelt und umgesetzt werden. Um einen weitestgehenden Überflutungsschutz zu gewährleisten, bedarf es zeitweise der gezielten Einbeziehung von Verkehrs- und Freiflächen zur Zwischenspeicherung des Wassers und eines Objektschutzes zur Schadensbegrenzung im Starkregenfall. Die Siedlungswasserwirtschaft ist gefordert, gemeinsam mit der Verkehrsflächen- und Freiraumplanung übergreifende Lösungen für ein ganzheitliches resilientes Regenwassermanagement und für eine langfristige Schadensminimierung zu entwickeln. Die entsprechenden Maßnahmen sollten dabei sowohl die zusätzliche Flächenversiegelung durch Neuerschließungen und Nachverdichtung berücksichtigen als auch mögliche Veränderungen des Niederschlagsgeschehens infolge des erwarteten Klimawandels. Technische Möglichkeiten im Straßenraum Eine wassersensible Straßenraumgestaltung erfordert in vielen Fällen die Kombination unterschiedlicher Bausteine. Nur selten lässt sich das Schwammstadtprinzip umsetzen mit nur einer einzigen Art und Weise das Regenwasser zu versickern bzw. zurückzuhalten. Abb. 1: Elemente der Schwammstadt [Quelle: MUST Städtebau GmbH BDA] Folgende Faktoren sind für die Auswahl einzelner Elemente der Schwammstadt entscheidend: • Niederschlags- und Zuflussmengen vor Ort • Überflutungsgefahr und den Schadensrisiken 100 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Wassersensible Stadtentwicklung und die Umsetzung im Strassenentwurf • topografischen Verhältnissen (Gefälle der Straße) • Versickerungsfähigkeit der Böden • Abstand zu Oberflächengewässern • Zustand und der Sicherheit der Gewässer • Anforderungen des Gewässerschutzes • Platzverhältnissen vor Ort und • Verkehrsbelastung/ -fluss (Schadstoffmenge). Eine wassersensible Straßenraumgestaltung sollte immer folgende Funktionen erfüllen: Zum einen muss das Wasser oberirdisch abgeleitet werden, um es an geeigneter Stelle zurückzuhalten oder zu versickern und benötigt ggf. in Abhängigkeit von der Schadstoffmenge eine Behandlung belasteter Abflüsse. Die Elemente der oberirdischen Ableitung bestehen aus den vielfach im Straßenbau verwendeten Elementen, wie Straßenmulde, Straßengraben, Bordrinne, Muldenrinne, Schlitz- oder Kastenrinne (offen oder geschlossen). Außerdem wird die Ableitung ermöglicht, durch die entsprechende Einplanung von Neigungen oder speziellen Ausformungen der Oberflächen. Die Querneigung zum Straßenrand oder die Herstellung von Dachprofilen mit Einfassung mit Hochborden sind häufig verwandte Formen zur Wasserableitung. Auch kann die Straße selbst als Gerinne durch die Ausbildung eines umgekehrten Dachprofils genutzt werden. Zusätzlich können auch in Querrichtung zur Straße Vertiefungen eingeplant werden, die im Versagens- oder Starkregenfall als Notwasserwege genutzt werden können. Entscheidend unter Klimaaspekten ist die Herstellung der Funktionalitäten zur Retention und/ oder Versickerung. Hierfür bestehen folgende Möglichkeiten und Einsatzkriterien: • Flächenversickerung durch bewachsenen Boden ohne Aufstau und Speicherung • bei hoher Wasserdurchlässigkeit (kf = 1*10-3 bis 1*10-4 m/ s) • • auch bei geringen Grundwasserflurabständen möglich (Der Mindestabstand beträgt 1 Meter) • • erhöhter Flächenbedarf • • gleichmäßige Zufuhr über offene Rinnen oder Quergefälle • Versickerung über Mulden oder Gräben • z.B. in Mittel und Seitenstreifen (maximale Muldentiefe b/ 5) • • Wasserdurchlässigkeit: kf = 5*10-3 bis 5*10-6 m/ s • • Kombination mit Rückhalt möglich (Einstau maximal 24h) • • Bedarf an Querriegeln (Kaskaden) bei starkem Gefälle • Rigolenversickerung oder Kombination aus Rohr-Rigolenversickerung nach erfolgter Vorbehandlung • flächige oberirdische Beschickung oder punktuelle Rohreinleitung • z.B. unter Parkplätzen, Straßen , Grünflächen bei beengten Platzverhältnissen und schlecht durchlässigem Oberboden • Kombination mit Rückhaltung möglich • nur mit Vorreinigung oder für nicht befahrene Straßenbegleitflächen, z.B. Gehwege (außerhalb Spritzfahnenreichweite) zugelassen • Mulden-Rigolenversickerung • bei weniger durchlässigem Oberboden kf = 1*10- 5 bis 1*10-6 m/ s • bei beengten Platzverhältnissen (Vorteil gegenüber Mulde: höheres Retentionsvolumen) • Nur mit ausreichender Vorreinigung über Bodenpassage zulässig • Versickerung und Retention in Tief beeten • Tief beete oder Baumscheiben mit Rückhaltevermögen • im Bereich der Fahrbahnflächen (Verkehrsberuhigung) oder im Seitenraum der Straße zum Ausgleich von Zuflussspitzen • Vorschaltung eines Absetzraumes zum Grobstoffrückhalt. • dichte, einstau- und trockenresitente Bepflanzung der Beete • Wasserdurchlässige Straßenbeläge • Bei unzureichenden Flächen für Versickerung im Seitenraum • Besonders geeignet für Belastungsklasse ≤ Bk 0,3 nach den ER 1 sowie für sonstige Verkehrsflächen (ansonsten Einzelfallprüfung) • eingeschränkte Anwendung in Wasserschutz- und Altlastgebieten • Schub- und Torsionsbeanspruchungen vermeiden (z.B. durch schräge Anordnung von Stellplätzen • Bepflanzung im Umfeld abwägen (Durchwurzelung, Laubfall) • Durchlässigkeit des verdichteten Baugrundes kf ≥ 3x10-5m/ s bzw. ki ≥ 5x10-5(Mindestabstand zum Grundwasser ≥ 1m) • Sickerschächte nach erfolgter Vorbehandlung • nur bei hohem Grundwasserflurabstand (min. > 1,50m von Sohle) • Einsatz nur bei zwingenden Gründen (z.B. Platzmangel) • Kf (unterhalb Schacht) ≥ 1x10-3 m/ s • Erhöhung des Speichervermögens durch Verbindung mehrerer • Schächte zu Sickergalerie oder Kombination mit Mulde und Rigole • Wurzelabstand beachten • nur mit Vorreinigung oder für nicht befahrene Straßenbegleitflächen (außerhalb der Reichweite von Spritzfahnen) zugelassen Aus der Darstellung der technischen Möglichkeiten und der dabei jeweils zu beachtenden Einsatzkriterien wird deutlich, dass in Abhängigkeit der von den Verkehrsbelastungen ausgehenden Verunreinigungen in einigen Anwendungsfällen vor der Versickerung eine Behandlung des Oberflächenwassers notwendig wird. Durch eine Behandlung bzw. durch eine Vorreinigung des belasteten Wassers sollen die Abflüsse im Sinne des Gewässerschutzes grundsätzlich eine ähnliche Qualität erreichen, wie Wasser, das eine Passage durch den bewachsenen Ober- 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 101 Wassersensible Stadtentwicklung und die Umsetzung im Strassenentwurf boden durchlaufen hat. Die Behandlung von Straßenabflüssen kann dabei einerseits dezentral unmittelbar am Ort der Abflussentstehung erfolgen. Alternativ ist eine zentrale Reinigung am Sielauslass eines Einzugsgebietes in ein Gewässer denkbar. Auch kombinierte Verfahren sind möglich. Im Zusammenhang mit der Erstellung von Konzepten zur Regenwasserbehandlung ist jeweils unter ökonomischen und ökologischen Randbedingungen sowie je nach örtlichen Verhältnissen zu prüfen, ob die Behandlung des Straßenabflusses dezentral am Entstehungsort oder in zentralen Anlagen erfolgen sollen. Folgende Möglichkeiten zur Behandlung von Oberflächenabflüssen bestehen z.B.: • Behandlung über belebte Bodenzone (Versickerung) • Einsatz von Sedimentationsrohren • Reinigungseinsätze in Straßeneinläufen • Behandlung in Schächten Leistungsfähigkeiten der Entwässerungseinrichtungen Für die klassischen bislang verwendeten Straßenentwässerungseinrichtungen existieren im Regelwerk umfassende Planungshilfen und -grundsätze für die Sicherstellung einer ausreichenden Entwässerungsleistung. Deshalb ist es bei der Planung klimaresilienter Straßenräume wichtig, Orientierungen für die Bemessung einer leistungsfähigen Straßenentwässerung zu erhalten. Unabhängig davon wird zusätzlich immer zum Nachweis des geplanten Systems eine Überprüfung mit einer 2dimensionalen Kontinuum Simulation des gesamten Entwässerungssystems incl. einer Starkregenuntersuchung empfohlen. Damit soll die Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems angefangen bei Gründächern über die Verkehrsanlagen und Plätze sowie den dort jeweils geschaffenen Retentionsmöglichkeiten bis hin zu einer möglichen Einleit- oder Versicherungsstelle mit den im Einzelfall vereinbarten Einleitmengen, zu jeder Zeit und unter allen denkbaren Bedingungen überprüft werden. Als erste Dimensionierungsgrundlagen können jedoch die folgenden Werte zugrunde gelegt werden: Projektbeispiele Duisburger Dünen - Erschließung eines neuen Wohngebiets In direkter Nachbarschaft zur Altstadt von Duisburg befindet sich das Areal der „Duisburger Dünen“. Auf der ehemaligen Güterbahnhofsfläche im Süden des Hauptbahnhofes entwickelt die GEBAG Flächenentwicklungsgesellschaft mbH (100 % Tochtergesellschaft der GEBAG -Duisburger Baugesellschaft mbH) eine neue Visitenkarte für die Stadt Duisburg. Für die ca. 30 ha große Fläche soll ein Bebauungsplan aufgestellt und der Flächennutzungsplan geändert werden, um die planungsrechtlichen Voraussetzungen für die Genehmigung eines urbanen Stadtquartiers im Sinne einer nachhaltigen und wassersensiblen Stadtgestaltung zu schaffen. Die Durchführung des Bauleitverfahrens erfolgt parallel und in enger Abstimmung mit der technischen Planung. Abb. 2: Städtebaulicher Entwurf Duisburger Dünen [Quelle: CKSA Berlin] Die Planung der Entwässerung bezieht sich auf die Erarbeitung einer gesicherten, genehmigungsfähigen und den Regeln der Technik entsprechenden Entwässerungskonzeption im Sinne einer wassersensiblen Stadtgestaltung unter Berücksichtigung des Schwammstadtprinzips. Hierfür sind die gegebenen Randbedingungen und die Grundlagen der städtebaulichen Planung besonders zu beachten. Es werden dabei die zwei Vorzugsvarianten „Regenwasserbewirtschaftung durch zentrale Anlagen“ sowie „Regenwasserbewirtschaftung durch dezentrale Anlagen“ ohne Anschluss an das öffentliche Kanalnetz favorisiert und im Detail untersucht. Arbeitsschwerpunkte der Entwässerungskonzeption • Versickerung möglich? • Bodenbelastung/ Altlastenstandort • Grundwasserstände • Versickerungsfähigkeit des Bodens • Einschränkungen / Wasserschutzzone/ Grundwasserverunreinigung • Bergbaugebiet / Bergsenkungsgebiet 102 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Wassersensible Stadtentwicklung und die Umsetzung im Strassenentwurf • Ableitung/ Einleitung in ein Gewässer möglich? • Sondierung von möglichen Einleitungspunkten • Abstimmung der Einleitungsmengen • Überflutungsprüfung der Unterlieger • Überprüfung der Hochwassergefährdung • Regenwasserbewirtschaftung • Quantitative Ermittlung und Bewertung der Niederschlagswasserabflüsse für das Niederschlagswasserkonzept • Betrachtung der Wasserbilanz des Erschließungsgebietes • Kategorisierung der Abflussflächen gemäß Trennerlass IV-9 031 001 2104 - vom 26.5.2004) bzw. DWA A102, DWA A138 • Wahl und Vordimensionierung von Elementen der Regenwasserbehandlung • Hydraulische Vorbemessung der erforderlichen Ableitungs-/ Versickerungs-/ Rückhalteelemente gemäß den gültigen Normen und Regeln (Böschungsneigung/ Einstauhöhen/ Bankette/ Verkehrssicherung, usw.) • u.v.m. Die frühere Nutzung des Gebiets als Güterbahnhof und entsprechender technischer Nebenanlagen erfordert eine intensive Prüfung der Bodenverhältnisse im Hinblick auf das Zusammenspiel von Versickerung und Kontaminationsflächen. Dies erlangt vor dem Hintergrund einer geforderten klimafreundlichen und nachhaltigen Regenwasserbewirtschaftung eine besondere Bedeutung. Außerdem ziehen die prognostizierten Verkehrsbelastungen u.a. Konsequenzen für den Umgang mit Regenwasser nach sich. Der Anspruch, Regenwasser nahezu vollständig über den aufgebauten „Schwamm“ an geeigneten Stellen zur Versickerung zu bringen, erfordert auf dieser ca. 30 ha großen Fläche, die oberhalb der kontaminierten ehemaligen Güterbahnhofsfläche aufzubringenden Abdichtungsschicht so zu formen, dass das Regenwasser, den an geeigneten Stellen anzuordnenden Sickereinrichtungen tatsächlich zugeleitet wird. Dies führt in der Konsequenz zur Anpassung der Dünenlandschaft. Gleichzeitig sind Straßenräume im Querschnitt und in der Höhenplanung so zu gestalten, dass Oberflächenwasser, dem „Schwamm“ und damit den Versickerungseinrichtungen zu geleitet werden kann. Das gesamte System der Regenwasserbewirtschaftung muss für den Normalfall aber auch für den Starkregenfall funktionieren und deshalb angefangen von Retentionsmöglichkeiten im künftigen Privatbereich bis zu den endgültigen Versickerungseinrichtungen in verschiedenen Szenarien simuliert werden. Dabei sind den Simulationen zugrunde gelegte technische Einzellösungen auf ihre baurechtlichen Möglichkeiten zur Verankerung im Bebauungsplan zu prüfen. Sollte dies in Einzelsituationen nicht möglich sein, ist eine Abstraktion auf zulässige Ableitungsmengen in l/ (s+ha) für jeden einzelnen Baukörper vorzunehmen. Umbau bestehender Stadtstraßen am Beispiel Stadt Hilden Das Projekt zum Umbau bestehender Stadtstraßen in Hilden ist als Pilotprojekt zu verstehen, in dem zum einen Möglichkeiten zur Umgestaltung eng bebauter Straßenzüge hin zu wassersensibel geplanten und damit klimaresilienteren Stadtstraßen untersucht und darauf auf bauend Grundsätze für die künftigen Straßenraumgestaltungen in Hilden abgeleitet werden. Seitens der Politik ist für die Stadt Hilden entschieden worden, entsprechende Maßnahmen für den Klimaschutz umzusetzen. Um dem Auf heizen der Innenstädte entgegenzuwirken, soll eine klimasensible Straßenraumgestaltung anhand von drei exemplarisch ausgewählten Straßen aus dem Stadtgebiet Hildens untersucht werden. Auf den befestigten Flächen wird anfallendes Niederschlagswasser vor Ort versickert oder über das städtische Kanalnetz den Gewässern zugeleitet. Um hitzedämpfend Wasser in bebauten Gebieten zu behalten, soll nun ein alternativer Ansatz im Hinblick auf die Umgestaltung der Straße gefunden werden. Starkregenereignisse müssen bei der Erstellung des Gesamtkonzepts beachtet werden. Anfangs stand die Frage im Raum welche Prioritäten für die Straßenraumgestaltung zu setzen sind: Priorität A: Umbau des Straßenraumes nach dem Schwammstadtprinzip und darauf auf bauend Einarbeitung und Berücksichtigung aller weiteren Funktionen der Straße. oder Priorität B: Planung einer stadtgestalterisch optimalen Straße, in der alle notwendigen Funktionalitäten aufeinander abgestimmt und berücksichtigt sind. Abschließend wird die Straßenentwässerung geplant und dabei ein Fokus auf den weitestgehend möglichen Einsatz von wassersensiblen Elementen gerichtet. Wir haben uns für Priorität B entschieden. Im Mittelpunkt der Planung standen deshalb zunächst die folgenden Aspekte: • Förderung der Nahmobilität • Berücksichtigung der Belange der Barrierefreiheit • Beseitigung trennender Barrieren • Straßenraumgestaltung durch Berücksichtigung folgender Anforderungen • Funktionale Nutzungsansprüche (verkehrlich, versorgungstechnisch, wirtschaftlich und ökologisch) • Immaterielle Ansprüche (soziale Brauchbarkeit, Orientierung, Identität, Anregung, Identifikation und Schönheit) • Beachtung der Gestaltungsgrundsätze Die Entwässerungsplanung steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit möglichen/ erforderlichen Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung. Mit der umfassenden Neugestaltung des Projektraumes besteht dann auch die Möglichkeit nachhaltige, wasserwirtschaftliche Maßnahmen umzusetzen. Eine oberflächennahe Ableitung von Niederschlagswasser und die 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 103 Wassersensible Stadtentwicklung und die Umsetzung im Strassenentwurf Ausbildung von multifunktionalen Geländestrukturen bieten die Möglichkeiten der Retention, der Verdunstung und ggf. der Versickerung - sie tragen damit mehrfach dem Klimaschutz bei. Oberflächennahe Systeme in Kombination mit unterirdischen Rückhalteanlagen führen dabei zu deutlich höherem Überflutungsschutz. Wassersensible Straßenraumgestaltung im Bestandsnetz nutzt die Möglichkeiten, die sich mit einer grundlegenden baulichen Veränderung des Straßenraumes eröffnen, um Maßnahmen nach dem „Schwammstadtprinzip“ umzusetzen. Dabei werden wie bei jeder anderen Straßenumgestaltungsmaßnahme auch, die Anforderungen aus der Straßennutzersicht erfasst und planerisch umgesetzt. In einer vertiefenden Phase der Planung, in der immer mehr Details in Lage und Höhe berücksichtigt werden, stellt sich die Frage nach Lösungsmöglichkeiten der Straßenentwässerung, die auch untereinander kombinierbar sind. Die Auswahl und Kombination der Entwässerungselemente sind von mehreren Faktoren abhängig. Hierzu zählen unter anderem die Niederschlagsverhältnisse vor Ort, die Nähe zu oberirdischen Gewässern und deren Überflutungssicherheit, die topographischen Verhältnisse (Gefälle der Straße) sowie die Versickerungsfähigkeit des Bodens. Für die Prüfung bestehender Möglichkeiten einer wassersensiblen Umgestaltung sind in wasserwirtschaftlicher Hinsicht die folgenden Schritte notwendig: 1. Wie hoch ist die Schadstoffbelastung des Wassers? Für den Fall, dass eine geringe Belastung vorliegt, wäre zu prüfen, ob eine Vorbehandlung des Wassers durch flächenhafte Versickerung oder über Filter- oder Sedimentationsanlagen möglich ist. 2. Ist eine Regenwassernutzung möglich oder auch gewünscht? Dies kann sowohl die private Nutzung von Regenwasser aber auch die gewerbliche oder kommunale Nutzung von Regenwasser umfassen. Für diesen Fall wäre eine Sammlung/ Rückhaltung in Zisternen erforderlich. 3. Die Frage der Möglichkeit für die Versickerung sind im 3. Schritt zu untersuchen. Aufbauend auf Erkenntnissen zum Baugrund und zu den darin ermittelten Versickerungswerten ist zu entscheiden, ob eine direkte Versickerung ohne Speicherung möglich ist oder ob mit ober- oder unterirdischer Speicherung geplant werden muss. Ersteres spricht für eine Flächenversickerung. Ansonsten sind Mulden- oder Beckenversickerung bzw. die Rigolenversickerung Methoden zur Zwischenspeicherung des Wassers. 4. Falls eine Versickerung nicht möglich ist, wäre zu prüfen, ob eine Speicherung oder Abflussverzögerung vor Ort oder zentral an anderer Stelle möglich ist. Jedoch sind die Möglichkeiten einer Umsetzung all dieser Maßnahmen im angebauten Bestandsstraßennetz begrenzt. Einerseits sind zur Bebauung Abstände einzuhalten. Weiterhin ist der unterirdische Bauraum (Leitungen etc.) nur bedingt für die Umsetzung von Maßnahmen geeignet. Schließlich bestehen in eng bebauten Quartiersstraßen zahlreiche Zwangspunkte in Lage und Höhe, die einer Maßnahmenumsetzung entgegenstehen können. Letztlich sind die konkret vorhandenen Versickerungsbedingungen zu prüfen. Auch die Verkehrsbelastung und damit einhergehende Anforderung an die Vorbehandlungsbedürftigkeit können einschränkend wirken. An geeigneten Stellen kamen folgende Maßnahmen zur Anwendung: • Tief beete • Baumrigolen • Mulden-Rigolen-System • Drainfugenpflaster im Bereich von Stellplätzen Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass es nicht gelungen ist, das anfallende Oberflächenwasser vollständig zu versickern. Auf jeden Fall konnte mit diesen Umgestaltungen ein wesentlicher Beitrag zur Entlastung des Kanalnetzes geleistet werden. In der Konsequenz reduzierte sich das Stellplatzangebot im öffentlichen straßenraum um bis zu 50%. Stadtumbau südlich der Bahn in Düren In der folgenden Kurzdarstellung soll ein innovativer Entwässerungsansatz aus Düren vorgestellt werden: Die Entwässerung erfolgt in Düren vorwiegend über ein Trennsystem. Im Rahmen der Erschließung werden für das neu entstehende Innovationsquartier südliche der Bahn somit eine neue Regenwasserkanalisation und eine Schmutzwasserkanalisation notwendig. Das anfallende Schmutzwasser des neuen Plangebiets kann ungedrosselt an die bestehende Kanalisation übergeben werden. Aufgrund sehr begrenzter Aufnahmekapazitäten des öffentlichen Regenwasserkanals kann das Gebiet jedoch nicht an das bestehende Regenwasserkanalnetz angeschlossen werden. Das Niederschlagswasser des ca. 6,0 ha großen Gebiets muss stattdessen über eine Rückhaltung gedrosselt in den nahegelegenen Mühlenteich eingeleitet werden. Als Retentionsmöglichkeit ist ein unterirdisches Regenrückhaltebecken unter dem westlich gelegenen Langemarckpark vorgesehen. Die Hauptachse der Kanalisation wird über die Promenade des neuen Plangebiets verlaufen. Einen wesentlichen Bestandteil des Entwässerungskonzeptes soll eine innovative und dezentrale Regenwasserbewirtschaftung bilden. Das Konzept sieht daher vor, die Ableitung von Niederschlägen aus dem Quartier in das Kanalnetz so weit wie möglich zu reduzieren und das Wasser im Sinne der Schwammstadt vor Ort zu versickern, zu verdunsten oder zu speichern. Darüber hinaus sollen Lösungen gesucht werden, wie das überschüssige Regenwasser im Starkregenfall schadlos an der Oberfläche abgeführt und/ oder temporär zurückgehalten werden kann. Um dies zu gewährleisten, sind die Geländehöhen entsprechend anzupassen, so dass ein durchgängiges Gefälle vom Innovationsquartier bis zum Tiefpunkt des Plangebietes im Langemarckpark entsteht. Für den südlichen Bahnhofsvorplatz hingegen ist ange- 104 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Wassersensible Stadtentwicklung und die Umsetzung im Strassenentwurf sichts des Höhenversprungs zum Fußgängertunnel eine alternative Lösung zu suchen. Abb. 3: Höhensituation Bei normalem Regen unterhalb der üblichen Bemessungsgrenzen von Entwässerungssystemen soll das im Gebiet anfallende Niederschlagswasser möglichst im Quartier versickert, gespeichert und verdunstet werden. Auf den Grundstücken erfolgt dies vor allem über begrünte Dachflächen sowie über vereinzelte Versickerungsmulden hinter den Gebäuden. Die öffentlichen Plätze und Straßenräume werden zum Teil mit wasserdurchlässigen Belägen und zum Teil mit Baumrigolen ausgestattet, die das Regenwasser der angeschlossenen Verkehrsflächen aufnehmen können. Sobald die Kapazitäten der Entwässerungssysteme (Regenwasserkanal, Rigolen, Retentionsdächer, unterirdische Rückhaltebecken) überschritten werden, kommt es zu einem Austritt des Regenwassers an der Oberfläche (Überstau/ Überflutung). Um Schäden an Gebäuden zu vermeiden, wird das Regenwasser in diesem Fall an der Oberfläche über das Gefälle der Straße zum Tiefpunkt am Langemarckplatz geleitet. Dieser Platz dient als temporäre Rückhaltefläche. Nach dem Regenereignis wird das (unterirdisch im Becken und oberirdisch auf der Platzfläche) gespeicherte Wasser gedrosselt in den Mühlenteich abgeleitet. Für diese beiden Situationen wurde das Planungskonzept erarbeitet. Abb. 4: Dezentrale Regewasserbewirtschaftung (normaler Regen) Abb. 5: Dezentrale Regewasserbewirtschaftung (Starkregen) Im Schnitt stellt sich die Situation in der Promenade wie folgt dar: Abb. 6: Promenade (normaler Regen) 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 105 Wassersensible Stadtentwicklung und die Umsetzung im Strassenentwurf Abb. 7: Promenade (Starkregen) Der Langemarckplatz nimmt eine zentrale Funktion im Entwässerungssystem für das Plangebiet ein. Dies gilt insbesondere für den Überflutungsschutz bei außergewöhnlichen Starkregen. Der Lösungsvorschlag sieht zunächst vor, dass unterhalb des Platzes ein Rückhaltebecken errichtet wird. Dieses Bauwerk kann Abflussspitzen aus dem Regenwasserkanal unterhalb der Promenade aufnehmen und eine Drosselung der Einleitung in den Mühlenteich gewährleisten. Die Platzoberfläche soll als „multifunktionale Retentionsfläche“ angelegt werden. Dieses Prinzip sieht vor, dass Freiflächen mit einer ursprünglich anderen Nutzung (z.B. öffentliche Plätze, Sportanlagen, Grünflächen etc.) im seltenen Ausnahmefall eines Starkregenereignisses für kurze Zeit gezielt geflutet werden. Durch die temporäre Nutzung der Freiflächen zum Wasserrückhalt im Falle eines Starkregens sollen Schäden in stärker gefährdeten Bereichen mit hohen Schadenspotenzialen (beispielsweise Gebäude mit Kellern oder sensiblen Erdgeschossnutzungen, unterirdische Infrastrukturen etc.) vermieden werden. Für den Langemarckplatz wird entsprechend vorgeschlagen, einen Teilbereich des Platzes zu einem tiefer liegenden Notrückhalteraum für Starkregen umzugestalten. Der abgetreppte Platz bleibt die meiste Zeit des Jahres trocken und die Fläche kann zum Verweilen oder für sonstige Zwecke genutzt werden. Sobald das unterirdische Rückhaltebecken im Fall eines seltenen Starkregen seine Kapazitätsgrenzen erreicht, wird das überschüssige Regenwasser über Quelltöpfe langsam auf die tiefliegende Platzfläche (max. 50 cm) geleitet und dort temporär zurückgehalten. Zusätzlich ist eine weitere naturnahe Rückhaltefläche südlich der Unterführung zum „Haus der Stadt“ vorgesehen. Dadurch wird an der Oberfläche ein zusätzliches Rückhaltevolumen von 900 Kubikmetern geschaffen. Nach dem Ereignis wird das gesammelte Wasser dem Kanalsystem bzw. dem Mühlenteich zugeführt. In Abhängigkeit von den potenziellen Nutzungskonflikten auf der Platzfläche sollten dabei möglichst kurze Entleerungszeiten angestrebt werden. Bei der Planung der Platzfläche bedarf es einer intensiven Abstimmung zwischen allen Verantwortlichen, da sich bisher getrennte Zuständigkeiten (z.B. Stadtentwässerung, Freiraumplanung, Katastrophenschutz) auf einer Fläche überlagern. Grundsätzlich sind bei der Gestaltung der multifunktionalen Platzfläche die Anforderungen an die Verkehrssicherheit und an die Barrierefreiheit zu berücksichtigen. Auch eine Beschilderung der besonderen Zweckbestimmung wird empfohlen. - Abb. 8: Langemarkplatz Abb. 9: Langemarkplatz (Starkregen) Fazit Die klimaresiliente Anpassung unserer Stadträume ist eine notwendige und gewissermaßen bereits überfällige Aufgabe für alle planenden Behörden und Ingenieurbüros. Die Berufsbilder des Stadtplaners, Architekten, Verkehrsanlagenplaners und Experten für Siedlungswasserwirtschaft vermischen sich bzw. fordern im hohen Maße eine interdisziplinäre Zusammenarbeit. Multifunktionalität erfordert Interdisziplinarität und Kooperation in allen Planungs-, Realisierungs- und Betriebsphasen. Für die Zukunft wird es deshalb immer wichtiger, sektorale Denkweisen aufzugeben und die Bereitschaft, sich neuen Planungsmethoden und - -abläufen zu stellen, und diese allumfassend zu kultivieren. Nur so wird es möglich, die Zuständigkeiten aller Beteiligten an Planung, Finanzierung, Unterhaltung und Betrieb ausgewogen zu regeln und für eine breite Akzeptanz zu sorgen.
