eJournals Kolloquium Straßenbau in der Praxis 3/1

Kolloquium Straßenbau in der Praxis
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expert Verlag Tübingen
21
2023
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Die Möglichkeiten von makroskopischen Verkehrsmodellen zum Erhaltungsmanagement von Straßenverkehrsinfrastruktur

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2023
Vincent Müller
Andreas Köglmaier
In dem Vortrag sollen die Möglichkeiten von makroskopischen Verkehrsmodellen für ein nachhaltiges Erhaltungsmanagement von Straßenverkehrsinfrastruktur vorgestellt werden. Aufbauend auf einer kurzen Beschreibung von der Funktionsweise von makroskopischen Verkehrsmodellen wird an konkreten Beispielen erläutert, wie Verkehrsprognosedaten sinnvoll in ein Erhaltungsmanagement eingebunden werden können. Hierbei stehen folgende Aspekte im Vordergrund: • Prognose des zukünftigen Straßenzustands • Ressourcenoptimierung • Resiliente Straßennetzplanung • Erschließungswirkung • Verkehrssicherheit Im Vortrag werden die vorhandenen Datenquellen wie Landesverkehrsmodelle und das deutschlandweite Verkehrsmodell PTV Validate vorgestellt, die als Datengrundlage für ein modellbasiertes Erhaltungsmanagement dienen können. Abschließend werden Ansätze aufgezeigt, wie diese Daten zukünftig ins BIM eingebunden werden können.
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3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 149 Die Möglichkeiten von makroskopischen Verkehrsmodellen zum Erhaltungsmanagement von Straßenverkehrsinfrastruktur Eine ressourcenoptimierte Instandhaltungsplanung unter Berücksichtigung von zukünftigen Verkehrsmengen, Erschließungswirkung und Aspekten der Verkehrssicherheit Vincent Müller, M. Sc. PTV Planung Transport Verkehr GmbH, Karlsruhe Dipl.-Ing. Dipl.-Wirt.-Ing Andreas Köglmaier PTV Planung Transport Verkehr GmbH, Karlsruhe Zusammenfassung In dem Vortrag sollen die Möglichkeiten von makroskopischen Verkehrsmodellen für ein nachhaltiges Erhaltungsmanagement von Straßenverkehrsinfrastruktur vorgestellt werden. Auf bauend auf einer kurzen Beschreibung von der Funktionsweise von makroskopischen Verkehrsmodellen wird an konkreten Beispielen erläutert, wie Verkehrsprognosedaten sinnvoll in ein Erhaltungsmanagement eingebunden werden können. Hierbei stehen folgende Aspekte im Vordergrund: • Prognose des zukünftigen Straßenzustands • Ressourcenoptimierung • Resiliente Straßennetzplanung • Erschließungswirkung • Verkehrssicherheit Im Vortrag werden die vorhandenen Datenquellen wie Landesverkehrsmodelle und das deutschlandweite Verkehrsmodell PTV Validate vorgestellt, die als Datengrundlage für ein modellbasiertes Erhaltungsmanagement dienen können. Abschließend werden Ansätze aufgezeigt, wie diese Daten zukünftig ins BIM eingebunden werden können. 1. Einführung Eine wesentliche Aufgabe der Verkehrsplanung liegt in der Untersuchung bestehender Zustände und der Abschätzung von Auswirkungen künftiger Entwicklungen und potenzieller Maßnahmen wie beispielsweise der Errichtung einer neuen Straße. So ist beispielsweise der Personenverkehr im Verkehrsnetz das Ergebnis vielfältiger individueller Entscheidungsprozesse von Privatpersonen, während sich der Wirtschaftsverkehr aus Entscheidungsprozessen von wirtschaftlichen Akteuren in Unternehmen erklärt. [1] Ein makroskopisches Verkehrsmodell ist ein Instrument der rechnergestützten Verkehrsplanung, das der Analyse und der Planung des Systems Verkehr dient. Das System Verkehr umfasst dabei das Verkehrsangebot des Individualverkehrs und des öffentlichen Verkehrs und die Verkehrsnachfrage. Durch ein Modell können die Wirkungen eines vorhandenen oder geplanten Verkehrsangebots, das sowohl das IV-Straßennetz als auch das ÖV- Liniennetz mit den Fahrplänen umfassen kann, ermittelt werden. [2] Das Verkehrsmodell besteht üblicherweise aus einem Verkehrsnachfragemodell, einem Netzmodell und verschiedenen Wirkungsmodellen (Abbildung 1): • Das Verkehrsnachfragemodell enthält die Daten der Verkehrsnachfrage. Die Kenntnis der Verkehrsnachfrage eines Planungsgebietes ist eine unverzichtbare Planungsgrundlage für die Bewertung von Verkehrsnetzen. Verkehrsnachfragematrizen können nur teilweise durch Erhebungen bestimmt werden. Deshalb benutzt man zur Nachbildung der realen Nachfrageverhältnisse mathematische Modelle, die die Verkehrsströme zwischen den Bezirken des Planungsgebietes auf der Basis der Struktur- und Verhaltensdaten der Bevölkerung, der räumlichen Nutzungsstrukturen und des Verkehrsangebotes berechnen. • Das Netzmodell enthält die Daten des Verkehrsangebotes. Das Netzmodell besteht aus Verkehrszellen, Knoten, Haltestellen, den Strecken des Straßen- und Schienennetzes und aus den ÖV-Linien mit ihren Fahrplänen für klassische Verkehrssysteme. Darüber hinaus sind Sharing-Stationen bzw. Abhol- und Absetzknoten für die Abbildung neuer Mobilitätsformen erforderlich. • Die Daten des Netzmodells und des Nachfragemodells sind die Eingangsdaten für die Wirkungsmodelle. Das Benutzermodell bildet das Verkehrsverhalten der Fahrgäste und Kfz-Verkehrsteilnehmer nach und ermittelt so Belastungszahlen und benutzerbezogene 150 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Die Möglichkeiten von makroskopischen Verkehrsmodellen zum Erhaltungsmanagement von Straßenverkehrsinfrastruktur Kenngrößen (wie etwa Reisezeit oder Umsteigehäufigkeit). Das Betreibermodell berechnet betriebliche Kennzahlen des ÖV, zum Beispiel Servicekilometer, Fahrzeugzahl, Einsatzstunden oder Betriebskosten. Aus den Nachfragedaten abgeleitete Fahrkartenerlöse ermöglichen die Abschätzung linienbezogener Einnahmen für eine Linienerfolgsrechnung. Abbildung 1: Auf bau und Verknüpfung von Verkehrsmodellen [2] Ein Verkehrsmodell stellt, wie alle Modelle, eine Abstraktion der realen Welt dar. Ziel der Modellierung ist die Systemanalyse, die Wirkungsprognose und die modellgestützte Vorbereitung von Entscheidungen, die in der realen Welt getroffen werden. Abbildung 2 zeigt das Zusammenspiel der einzelnen Modellkomponenten noch einmal auf. Wie in Abbildung 2 gezeigt sind die typischen Ergebnisse von Verkehrsmodellen unter anderem Belastungszahlen (pro Strecke, Zeitintervall und Fahrzeugtyp) und aktuelle Reisezeiten. Diese Daten können dann für eine Vielzahl von Anwendungsfällen verwendet werden [1, 2]: • Kommunale Verkehrsentwicklungspläne • Variantenvergleiche für geplante Straßen/ ÖV-Projekte • Kommunale Lärm- und Luftreinhaltepläne • Knotenpunktuntersuchungen HBS • Entwicklung eines ÖV-Konzepts für einen Landkreis (NVP) • Baustellenuntersuchungen • Verkehrssicherheitsstudien • Erhaltungsmanagement der Straßeninfrastruktur Im folgenden Kapitel werden verschiedene Anwendungsfälle von Verkehrsmodellen im Bereich Erhaltungsmanagement aufgezeigt. Die in diesem Kapitel beschriebenen Grundzüge von makroskopischen Verkehrsmodellen stellen hierbei die Grundlage dar. 2. Möglichkeiten der Einbindung von Verkehrsprognosemodellen 2.1 Prognose des zukünftigen Straßenzustands Der demografische Wandel hat Auswirkungen auf alle Lebensbereiche. Auch das Straßennetz muss an die geänderten Bedingungen angepasst werden. Hierfür ist es erforderlich, das Straßennetz entsprechend seiner Netzfunktion und Verkehrsbedeutung gezielt zu entwickeln. Nur so ist es möglich, einen effektiven Einsatz der zur Verfügung stehenden Mittel und damit eine funktionsgerechte und wirtschaftliche bauliche Straßenerhaltung zu gewährleisten. Hierfür ist es nötig, den zukünftigen Straßenzustand korrekt zu prognostizieren und dessen Einflussgrößen (siehe Abbildung 3) zu verstehen. Abbildung 2: Eingangs- und Ausgangsdaten eines Verkehrsmodells und deren Zusammenspiel 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 151 Die Möglichkeiten von makroskopischen Verkehrsmodellen zum Erhaltungsmanagement von Straßenverkehrsinfrastruktur Abbildung 3: Einflussgrößen auf den Straßenzustand [3] Der Prognosezeitraum beschreibt den zeitlichen Verlauf der Alterung der Straßeninfrastruktur. Das jährlich zur Verfügung stehende Budget hat Einfluss auf die Anzahl und Nachhaltigkeit der realisierbaren Ausbau- und Erhaltungsmaßnahmen. Diese beiden Einflussgrößen auf den Straßenzustand sind regional nur begrenzt beeinflussbar. Hier ergab sich in der Vergangenheit das Problem, dass hochgesteckten qualitativen Zielvorgaben oftmals unzureichende Budgets gegenüberstanden, so dass die zur Erreichung der (vielfach politisch motivierten) Ziele notwendigen Bausummen nicht zur Verfügung standen. Direkt beeinflusst werden kann hingegen die Netzlänge, die durch die Lage der Zentralen Orte, die Bevölkerungsverteilung und -entwicklung im Landkreis, durch Gesetze und Richtlinien sowie die Fachplanungen für über- und nachgeordnete Netzebenen mitbestimmt wird. Die Netzlänge ist abhängig von der Verkehrs- und Verbindungsbedeutung einzelner Streckenabschnitte und es ist somit im Rahmen des Erhaltungsmanagements erforderlich, sowohl die aktuelle als auch die zukünftige Verkehrssituation zu verstehen. Hierfür dienen die in Kapitel 1 beschriebenen Ergebnisse von Verkehrsmodellen [3]. Durch genaue Prognosewerte für die verschiedenen Fahrzeugklassen (inklusive Schwerlastverkehr) lassen sich die einzelnen Streckenabschnitte bezüglich Ihrer Verkehrsbedeutung klassifizieren und vergleichen. Zudem können so die Auswirkungen zukünftiger Bauvorhaben (z.B. neues Gewerbegebiet oder neue Umgehungsstraße) quantifiziert und somit auch die Auswirkungen möglicher Verkehrsverlagerungen auf den Straßenzustand berechnet werden. Des Weiteren ist es möglich, die Ergebnisse von Verkehrsmodellen zu nutzen, um die Verbindungsbedeutung von Straßen zu ermitteln. So kann für jede einzelne Strecke beispielsweise der Anteil von Durchgangsverkehr am Gesamtverkehr oder auch der Quell- und Zielverkehr für jeden einzelnen Streckenabschnitt bestimmt werden. 2.2 Ressourcenoptimierung Ziel der Ressourcenoptimierung sind Prioritätenlisten mit nachvollziehbaren Investitionsentscheidungen, die einen nachhaltigen Einsatz der zur Verfügung stehenden Finanzmittel gewährleisten. Hierzu werden Konzepte benötigt, die das vorhandene Straßennetz funktional bewerten und ein Kernnetz definieren. Darauf auf bauend kann in Verbindung mit einer Zustandserfassung und -bewertung ein Ausbau- und Erhaltungsmanagement erarbeitet werden, welches die Fragen beantwortet, wann, wo, welche Maßnahmen erforderlich werden und wie groß das dafür benötigte Budget ist. Abbildung 4 fasst diesen Prozess noch einmal zusammen. Abbildung 4: Ressourcenoptimierungsprozess Die in Abbildung 4 aufgezeigten Prozessschritte beinhalten unter anderem jeweils die folgenden Aufgaben, die teilweise wiederum auf den Ergebnissen aus makroskopischen Verkehrsmodellen auf bauen. Verkehrsanalyse und -prognose • Analyse und Prognose der Raumstruktur • Ermittlung der heutigen und künftigen Verkehrsbedeutung der Straßen (u. a. durch Verkehrsmodell) • Untersuchung der Straßenkapazitäten und der Verkehrssicherheit (u. a. durch Verkehrsmodell) Netzkonzeption • Untersuchung des Straßennetzes entsprechend der Richtlinien für die integrierte Netzgestaltung • Ermittlung der heutigen und künftigen Verbindungsbedeutung (u. a. durch Verkehrsmodell) • Funktionale Gliederung des Straßennetzes Zustandserfassung und -bewertung • Erfassung der vorhandenen Schadensmerkmale • Ableitung der normierten Zustandswerte und des Gesamtwertes • Ermittlung des Handlungsbedarfs 152 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Die Möglichkeiten von makroskopischen Verkehrsmodellen zum Erhaltungsmanagement von Straßenverkehrsinfrastruktur • Ausbau- und Erhaltungsmanagement • Prognose der Zustandswerte • Ermittlung der bauwürdigen Streckenabschnitte • Ermittlung und Optimierung des Budgets Im folgenden Beispiel werden die Ergebnisse eines solchen Ressourcenoptimierungsprozesses für die Kreisstraßen im Vogtlandkreis aus dem Jahr 2016 aufgezeigt. Dem Szenario Nullfall wurden drei Szenarien gegenübergestellt, die unter dem Gesichtspunkt des Substanzerhaltes bzw. der nachhaltigen Substanzverbesserung ausgewählt wurden. Die Entwicklung des Gesamtwertes wurde dabei in Abhängigkeit vom Erhaltungsbudget untersucht. Hierbei erfolgte die Berechnung für ein Minimal-Budget von 0,5 Mio. EUR und für ein Maximal-Budget von 14,0 Mio. EUR mit einer Schrittweite von 0,5 Mio. EUR. Die Grafik in Abbildung 5 dient dazu als Anhaltspunkt. In dieser ist die Entwicklung des Gesamtwertes bis zum Jahr 2026 in Abhängigkeit vom jährlichen Erhaltungsbudget der nächsten Jahre dargestellt. Auf der Abszisse ist das Budget in 0,5 Mio. EUR Schritten angegeben, die Ordinate stellt den prognostizierten Gesamtwert im Jahr 2026 dar. Die fallenden farbigen Linienverläufe kennzeichnen die Verbesserung des Zustandswertes bei steigendem Budget. Als horizontale Linien sind der Warnwert GW=3,5 und der Schwellwert GW=4,5 eingetragen [3]. Abbildung 5: Entwicklung des Gesamtwertes in Abhängigkeit vom Erhaltungsbudget zum Jahr 2026 [3] Es ist ersichtlich, dass bei einem jährlichen Erhaltungsbudget von 1 Mio. EUR bis zum Jahr 2026 alle Netzklassen im Mittel den Warnwert von 3,5 übersteigen, was somit auch bedeutet, dass einzelne Straßenabschnitte deutlich über dem Warnwert bzw. Schwellwert liegen. Mit einem konstanten Mitteleinsatz von ca. 2 Mio. EUR treten nur geringe Verbesserungen im Zustand der Kreisstraßenabschnitte auf. Im Jahr 2026 würden ca. 50 % der betrachteten Abschnitte den Warnwert und ca. 40 % den Schwellenwert überschreiten. Eine nachhaltige Substanzverbesserung gegenüber den Befahrungsdaten wird bei einem konstanten Mitteleinsatz von über 2 Mio. EUR pro Jahr erreicht. Sowohl für den konstanten Mitteleinsatz von ca. 6,5 Mio. EUR pro Jahr als auch für den konstanten Mitteleinsatz von ca. 9. Mio. EUR pro Jahr zeigen sich deutliche Verbesserungen in den Zuständen der Kreisstraßenabschnitte. 2.3 Resiliente Straßennetzplanung Die plötzlichen und unerwarteten Sperrungen der Salzbachtalbrücke (A66) und der Rahmedetalbrücke (A45) haben erneut deutlich gemacht, wie abhängig unser gesellschaftliches Leben von einer funktionierenden Infrastruktur ist. Laut einem „Zeit“-Artikel erreichen rund 14.000 Autobahnbrücken in den nächsten Jahren das Ende ihres Lebenszyklus. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass es im Laufe der nächsten Jahre immer wieder Vollsperrungen von Hauptverkehrsadern geben wird. Neben den Betroffenheiten für den Individual- und Wirtschaftsverkehr sind erhebliche Auswirkungen auf die Lebensräume längs der Ausweichstrecken zu erwarten. Eine smarte Verkehrslenkung und multi-modale Verkehrsverlagerungen sind wesentliche Schlüssel zur Minderung von unzumutbaren Belastungen. Um die Wirksamkeit einzelner Umlenkungsszenarien zu überprüfen, ist eine Simulation anhand eines Verkehrsmodells oft die erste Wahl. Entscheidungsträger in Verwaltung und der Wirtschaft können so schnell klären, welche Maßnahmen die negativen Einflüsse auf Menschen und Umwelt am besten reduzieren oder wie Warentransporte von A nach B multi-modal viel effektiver gewährleistet werden können. Einen solchen Anwendungsfall stellt die Sperrung einer Brücke über den Rhein dar. Wie in Abbildung 6 gezeigt, können die dadurch entstehenden Verlagerungseffekt mit Hilfe eines Verkehrsmodells identifiziert werden. Somit lassen sich Vorhersagen zum zusätzlichen Verkehrsaufkommen auf den Umleitungsstrecken und eventuell nötigen Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz dieser treffen. Mögliche Ansatzpunkte sind in diesem Zusammenhang u. a. kurzfristige Änderungen der Ampelschaltungen, Änderungen der Verkehrsführungen oder lokale Verstärkungen der Asphaltdecke. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 153 Die Möglichkeiten von makroskopischen Verkehrsmodellen zum Erhaltungsmanagement von Straßenverkehrsinfrastruktur Abbildung 6: Verlagerung des Verkehrs bei Brückensperrungen Des Weiteren kann ein auf Modelldaten basierendes Verfahren zur Vorselektion von Bauwerken unter baulichen und gesamtwirtschaftlichen Aspekten den Baulastträgern dazu dienen, frühzeitig besonders kritische Bauwerke zu identifizieren, um diese in ein Verfahren zur Maßnahmenplanung auf Teilnetzebene einbeziehen zu können. Eng verknüpft mit der baulichen Vorselektion ist die Bestimmung des baulichen Maßnahmenbedarfs. Art der Maßnahme und Eingreifzeitraum werden auf Basis der Vorselektionsstufe und dem Zustand des Bauwerks ermittelt. Im Fokus stehen schließlich die gesamtwirtschaftlichen Wirkungen von verkehrlichen Einschränkungen aufgrund der Ertüchtigungs- und Erneuerungsmaßnahmen an den Bauwerken. Hierbei finden neben den maßnahmenbedingten Baulastträgerkosten und den veränderten Restwerten der Bauwerke, die Veränderung von Reisezeiten, Emissionen und Unfällen im von Verkehrseinschränkungen direkt oder indirekt betroffenen Teilnetz Berücksichtigung. Für die Erarbeitung optimierter Ertüchtigungsprogramme ist eine Betrachtung von gleichzeitigen (Teil-) Sperrungen von Brücken und den entstehenden Wechselwirkungen im Verkehrsmodell von besonderer Bedeutung. Und zwar insbesondere vor dem Hintergrund der Vielzahl an zu ertüchtigenden Bauwerken im Bundesfernstraßennetz bei gleichzeitig vergleichsweise guter Finanzausstattung des Programms zur Brückenmodernisierung. [4]-- 2.4 Erschließungswirkung Verkehrsmodelle können ebenfalls verwendet werden, um die Erschließungswirkung von Straßen zu analysieren. Hierbei ist in der Regel nicht das Straßennetz selbst, sondern die Erreichbarkeit von einzelnen Orten ausschlaggebend. Wenn man diese betrachtet, lassen sich Annahmen über die Notwendigkeit bestimmter Verbindungsstraßen oder auch über die Priorisierung von Instandhaltungsmaßnahmen treffen. Verkehrsmodelle liefern Reisezeiten zwischen jedem beliebigen Punkt (z. B. Ortsmitte, Kreuzung) innerhalb des Modellbereichs, welche dann zu Isochronen zusammengefasst werden können. Somit lassen sich unterschiedliche Szenarien und deren Auswirkungen auf die Erreichbarkeit bestimmter Punkte vergleichen. Ein Beispiel für eine solche Studie über die Erschließungswirkung ist das im Rahmen der Digitalisierungsstrategie des Landes Baden-Württemberg durch das Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz durchgeführte Projekt „Erreichbarkeitssicherung im Ländlichen Raum“. Dabei wird ein für den Landkreis Calw modellhaft entwickeltes digitales Werkzeug zur Bewertung der Erreichbarkeit von Standorten der Daseinsvorsorge (z. B. Arztpraxen, Schulen, Läden) auf seine Praxistauglichkeit in einer größeren zusammenhängenden Gebietskulisse in den Landkreisen Sigmaringen, Tuttlingen und dem Zollernalbkreis erprobt und weiterentwickelt. Eine verantwortungsvolle und vorausschauende Strukturpolitik muss dafür Sorge tragen, dass die Erreichbarkeitsverhältnisse in den ländlichen Kommunen auf einem akzeptablen Niveau bleiben. Oft fehlen jedoch verlässliche und objektive Daten, um beurteilen zu können, wie sich Entscheidungen über eine Veränderung von Standorten der Daseinsvorsorge oder von öffentlichen Verkehrsangeboten letztendlich auf die Erreichbarkeitssituation der betroffenen Bevölkerungsgruppen auswirken. Mit dem digitalen Planungswerkzeug sollen Akteure der Raum-, Fach- und Verkehrsplanung sowie der Kommunalpolitik durch thematische Karten oder durch Simulieren unterschiedlicher Szenarien bei Standortentscheidungen besser unterstützt werden. [5] 2.5 Verkehrssicherheit Verkehrsmodelle und deren Ergebnisse können ebenfalls für Untersuchungen zum Thema Verkehrssicherheit verwendet werden. So können beispielsweise Aufgaben zum Erkennen, Bearbeiten und Analysieren von Unfallclustern durchgeführt und Black Spots mit Heatmaps und Algorithmen identifiziert werden. Je nach Modellierungssoftware geschieht dies entweder direkt im Modell oder parallel in einem GIS-Programm. Die Ergebnisse erlauben dann Rückschlüsse auf die Unfallraten pro Strecke und mögliche Verlagerungen von Verkehrsmengen auf „sicherere“ Korridore. Abbildung 7 zeigt die Ergebnisse einer solchen Unfall Heatmap innerhalb eines Verkehrsmodells am Beispiel Halle an der Saale. [6] 154 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Die Möglichkeiten von makroskopischen Verkehrsmodellen zum Erhaltungsmanagement von Straßenverkehrsinfrastruktur Abbildung 7: Unfall Heatmap Halle an der Saale [6] 3. Grundlagendaten (bestehende Verkehrsmodelle) 3.1 (Landes-)Verkehrsmodelle Bestehende Verkehrsmodelle stellen eine wertvolle Datengrundlage für verkehrsplanerische Untersuchungen und somit auch für die in Kapitel 2 vorgestellten Use Cases dar. In Deutschland und der Schweiz existieren eine Vielzahl an Modellen, die bei Bedarf verwendet werden können. Diese sind entweder als Open Data frei zugänglich, oder werden von Städten und Kommunen verwaltet und bei Bedarf herausgegeben. Einerseits lässt sich hier als Beispiel das Nationale Personenverkehrsmodel (NPVM) der Schweiz anführen, das vom Bundesamt für Raumentwicklung ARE verwaltet wird. Es dient dazu, das Mobilitätsverhalten von Menschen zu analysieren und zu prognostizieren. Das NPVM steht mit einem Basiszustand 2017 des durchschnittlichen Werktagsverkehrs (DWV), des durchschnittlichen Tagesverkehrs (DTV) und der Morgen- und Abendspitzenstunden (MSP, ASP) zur Verfügung. Der schwere Straßengüterverkehr (Lastwagen sowie Lastzüge/ Sattelschlepper) und der Lieferwagenverkehr werden in den verschiedenen Zuständen jeweils in Form von Matrizen berücksichtigt. Der Bezug von Daten und Modellzuständen des NPVM steht allen Interessierten und Nutzern von Verkehrsdaten zur Verfügung. [7] Andererseits gibt es auch in Deutschland eine Vielzahl von Verkehrsmodellen, wie zum Beispiel die Landesverkehrsmodelle. Diese decken jeweils ein ganzes Bundesland ab und sind derzeit größtenteils in der Auf bauphase. Solche bundeslandweiten Modelle sind unter anderem für Bayern [8], Nordrhein-Westfalen [9] und Baden-Württemberg [10] geplant. Zudem haben die meisten größeren deutschen Städte ebenfalls eigene Modelle, die jeweils aktuell fortgeschrieben werden. Auch diese können bei Bedarf für Verkehrsuntersuchungen verwendet werden. 3.2 Kommerzielle Datengrundlagen Zusätzlich zu den in Kapitel 3.1 genannten öffentlichen Modellgrundlagen existieren auch kommerzielle Modelle, die als Grundlage für Studien ohne bestehendes Verkehrsmodell verwendet werden können. Dazu zählt unter anderem das deutschlandweite Verkehrsmodell Validate der PTV Group, das oft als Basis für die Entwicklung eines neuen Modells dient. Validate enthält die Pkw- und Lkw-Belastungen für das gesamte deutsche Hauptstraßennetz und ist damit eines der größten zusammenhängenden Verkehrsmodelle der Welt. [11] Außerdem gibt es inzwischen die Möglichkeit, die Erstellung von Verkehrsmodellen weitgehend zu automatisieren und innerhalb weniger Tage für beliebige Orte ein einsatzfähiges Modell zu erstellen. Das Model2Go der PTV Group bietet diese Möglichkeit. Hierbei wird ein neues Cloud-basiertes Verfahren angewendet, das eine smarte Automatisierungstechnologie mit verschiedenen Datenquelle kombiniert. So kommen beispielweise Karten der Anbieter Here oder TomTom zum Einsatz genauso wie öffentliche GTFS -Fahrplandaten zu Liniennetzen im öffentlichen Nahverkehr und OpenStreetMap Daten. Die automatisierte Modellerstellung ist dabei nicht nur schneller und weniger kosten- und ressourcenintensiv, sondern auch deutlich weniger fehleranfällig. [12] 4. Ausblick Durch die kürzliche Veröffentlichung der FGSV Empfehlungen zum Einsatz von Verkehrsnachfragemodellen für den Personenverkehr wurde erstmals ein deutschlandweiter Standard für die Erstellung von Verkehrsmodellen geschaffen [1]. Es ist davon auszugehen, dass diese Empfehlungen in allen zukünftig erstellten und fortge- 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 155 Die Möglichkeiten von makroskopischen Verkehrsmodellen zum Erhaltungsmanagement von Straßenverkehrsinfrastruktur schriebenen Verkehrsmodellen berücksichtigt werden und es somit zu einer noch besseren Vergleichbarkeit von Modellen und Modellregionen kommt. Auch die in Kapitel 3.1 erwähnten Landesverkehrsmodelle werden auf diesen Standards basieren und nach Fertigstellung regelmäßig fortgeschrieben werden. Dieser Prozess der Vereinheitlichung wird auch zu einer stärkeren Automatisierung von Prozessen und Analysen führen. Hierbei werden Web-Anwendungen, wie sie für den Daseinsvorsorgeplaner in Baden-Württemberg bereits existieren, noch stärker genutzt werden [5]. Somit wird es zukünftig für alle Stakeholder noch einfacher werden, auf Modellergebnisse zuzugreifen und diese für Verkehrsplanerische Analysen zu nutzen. Auch eine Einbindung von Verkehrsmodellen und deren Ergebnisse in BIM ist in diesem Zusammenhang denkbar und würde Planern und Ingenieuren eine weitere wertvolle Datenquelle liefern. Hierzu gibt es verschiedene Ansatzpunkte und Überlegungen, die bei der PTV Group derzeit diskutiert werden. Literatur [1] Empfehlungen zum Einsatz von Verkehrsnachfragemodellen für den Personenverkehr, Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, 2022 [2] PTV Visum 2023 Handbuch, PTV GmbH, 2022 [3] Aufbau eines rechnergestützten Erhaltungsmanagement-Systems für die Kreisstraßen im Vogtlandkreis, PTV Transport Consult GmbH, 2016 [4] https: / / www.bast.de/ DE/ Publikationen/ Berichte/ unterreihe-b/ 2022-2021/ b-184.html [5] https: / / mlr.baden-wuerttemberg.de/ de/ unsere-themen/ laendlicher-raum/ modellprojekte-und-studien/ digitalbw/ [6] https: / / company.ptvgroup.com/ de/ nachhaltige-sichere-und-belastbare-mobilitaet-fuer-alle/ anwendungsfaelle/ sichere-Mobilitaet [7] https: / / www.are.admin.ch/ are/ de/ home/ mobilitaet/ grundlagen-und-daten/ verkehrsmodellierung/ npvm.html [8] https: / / www.stmi.bayern.de/ assets/ stmi/ med/ veroeffentlichungen/ 17_07_08_bau_intern_ohne_personalien.pdf [9] https: / / company.ptvgroup.com/ fileadmin/ Featured/ AWS/ Praesentationen/ Verkehrsmodelle/ 04-AWS- LVM-NRW-Plueck-Schiller.pdf [10] https: / / vm.baden-wuerttemberg.de/ f ileadmin/ redaktion/ m-mvi/ intern/ Dateien/ PDF/ Ziel-und_ M a % C 3 % 9 F n a h m e n e m p f e h l u n g e n _ d e r _ %C3%96PNV-Zukunftskommission.pdf [11] https: / / www.myptv.com/ de/ ptv-data/ mobilitaetsdaten [12] https: / / blog.ptvgroup.com/ de/ verkehrssimulationverkehrsmodellierung/ model2go-neue-generationverkehrsmodelle/