Kolloquium Straßenbau in der Praxis
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expert Verlag Tübingen
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Auf dem Weg zu einem intelligenten Assetmanagementsystem
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Marcel Gierse
Niklas Luka Krause
In dem folgenden Beitrag wird über die verschiedenen Handlungsstränge der Entwicklung eines intelligenten Assetmanagementsystems für die Hamburger Infrastruktur im LSBG und im speziellen über die Herausforderungen und Lösungsansätze für die Integration des Straßennetzes eines Stadtstaates berichtet. Nach einem Überblick über die verschiedenen Stakeholder und Projekte wird ein Einblick in die gefundene Lösung auf Basis der neuesten Version des ERP-System SAP S/4 HANA geben. Die Abbildung der Straßeninfrastruktur als Realflächenmodell und die Umstellung auf ein objektbasiertes Projektmanagement zur Erreichung der Ziele der Drucksache „Grundsätze des Erhaltungsmanagements“ [1] werden erläutert. Zum Abschluss wird ein Ausblick auf die weitere Entwicklung gegeben.
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3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 179 Auf dem Weg zu einem intelligenten Assetmanagementsystem Für das Straßennetz eines Stadtstaates Marcel Gierse, M. Sc. Freie und Hansestadt Hamburg, Landesbetrieb Straßen Brücken und Gewässer Niklas Luka Krause, M. Sc. Freie und Hansestadt Hamburg, Landesbetrieb Straßen Brücken und Gewässer Zusammenfassung In dem folgenden Beitrag wird über die verschiedenen Handlungsstränge der Entwicklung eines intelligenten Assetmanagementsystems für die Hamburger Infrastruktur im LSBG und im speziellen über die Herausforderungen und Lösungsansätze für die Integration des Straßennetzes eines Stadtstaates berichtet. Nach einem Überblick über die verschiedenen Stakeholder und Projekte wird ein Einblick in die gefundene Lösung auf Basis der neuesten Version des ERP-System SAP S/ 4 HANA geben. Die Abbildung der Straßeninfrastruktur als Realflächenmodell und die Umstellung auf ein objektbasiertes Projektmanagement zur Erreichung der Ziele der Drucksache „Grundsätze des Erhaltungsmanagements“ [1] werden erläutert. Zum Abschluss wird ein Ausblick auf die weitere Entwicklung gegeben. 1. Einführung Die Freie und Hansestadt Hamburg hat zur Erneuerung der verschiedenen Enterprise Resource Planning Systeme (EPS-Systeme) der Kernverwaltung und weiterer Landesbetriebe ein Projekt namens ERP 4.0 aufgelegt. Geleitet wird dieses Projekt durch den Landesbetrieb Kasse.Hamburg, welcher auch die Betriebsverantwortung für die meisten ERP Systeme inne hat. In einem Teilprojekt sollen alle Landesbetriebe, unter anderem der Landesbetrieb Straßen Brücken und Gewässer in einem Mastertemplate Ansatz auf ein neues ERP System umziehen. Hier soll die aktuelle Version SAP S/ 4HANA die bisherigen Systeme ablösen. Einer der Landesbetriebe ist der Landesbetrieb Straßen Brücken und Gewässer (LSBG). Er plant, baut und betreibt im Auftrage verschiedener Ämter unterschiedliche städtische Infrastruktureinrichtungen. Hierzu zählen ca. 495 km Hauptverkehrsstraßen, ca. 1.200 Brücken und weitere Ingenieurbauwerke sowie die öffentlichen Hochwasserschutzanlagen der 1. Deichlinie und wasserwirtschaftliche Einrichtungen entlang der Alster und Bille. Besonders in den Fokus sind der Betrieb und Erhalt der städtischen Infrastruktur durch die Drucksache „Grundsätze des Erhaltungsmanagements der Freien und Hansestadt Hamburg“ [1] gerückt. In der Drucksache werden einheitliche Anforderungen für die Einführung von Systemen und Methoden des Assetmanagements für die unterschiedlichen Assetklassen und Verantwortlichen definiert. Weiterhin wird ein Berichtssystem „Zentrales Erhaltungsmonitoring“ skizziert, an welches alle Assetklassen einheitlich sowohl technische als auch kaufmännische Daten zu den technischen Objekten übermitteln sollen. Im Laufe der Ausgestaltung der Vorgaben der Drucksache ist im LSBG immer mehr die Erkenntnis gereift, dass eine wesentliche Grundlage für ein gesamtheitliches Assetmanagement System die lückenlose technische Verknüpfung von technischen und kaufmännischen Daten zu den jeweiligen Objekten ist. Daher wurde auch auf Basis der Ergebnisse des Projektes „Bridge“ zur Einführung eines digitalen Endes zu Ende Prozesses für die Bauwerksunterhaltung entschieden, dass die Lösungsideen für den gesamten LSBG angepasst und ausgerollt werden sollen. So ist das Projekt der Kasse.Hamburg zur Umstellung auf die neue SAP-Version um die Abbildung eines Objektverzeichnisses und die kombinierte Einführung der beiden SAP Module Enterprise Portfolio and Project Management (SAP EPPM) für die Abwicklung von Projekten und Bauprojekten und SAP Enterprise Assetmanagement (SAP EAM) für die Abwicklung von Unterhaltungs- und kleineren Instandsetzungstätigkeiten erweitert worden. Hinzu kam die Aufgabe der Kasse.Hamburg in einem Proof of Concept (PoC) die Machbarkeit für die Integration der Straßeninfrastruktur sowie weitere Assetklassen aufzuzeigen und die nötigen Grundlagen innerhalb des regulären Projektes zu schaffen und einen weiteren Ausbau zu ermöglichen. 180 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Auf dem Weg zu einem intelligenten Assetmanagementsystem Abb. 1: Überblick über die Lösungsbausteine für das neue Assetmanagementsystem (LSBG Vezer) 2. Überblick über die Umsetzung der Anforderungen im SAP System Die Entwicklung der fachlichen und technischen Assetmanagement-Lösung ist - wie bei klassischen ERP-Projekten üblich - einerseits stark prozessgetrieben, andererseits aber wegen der komplexen Anforderungen an das Datenmanagement gleichzeitig auch sehr datengetrieben. Während auch für ERP-Projekte zunehmend agile Projektmethoden genutzt werden, ist es für datenintensive Projekte unabdingbar, agil-iterative Vorgehensmodelle zu verwenden. Es hat sich bewährt, für solche agil-iterativen Projekte mit mehreren Lösungsversionen die fachlichen und technischen Konzepte nicht nur kurzfristige Lösungen zu entwerfen, sondern zunächst ein Set von Leitlinien zu definieren, die auch für die längerfristige Lösung Gültigkeit besitzen und folgende Charakteristiken haben: • „Leitlinien“ geben einen allgemeinen Rahmen für die fachliche und technische Konzeption und geben Orientierung für die einzelnen Projektteams und über die Teams hinweg. • Sie reduzieren den Abstimmungsbedarf, führen zu einer besseren Integration der Lösung und sichern eine langfristige Ausrichtung über den konkreten Scope des aktuellen Iterationsschrittes (Release, Version) hinaus. • Anpassungen an den Leitlinien erfordern eine sorgfältige Überprüfung der Auswirkungen auf die fachlichen Konzepte und Anwendungen. Fachliche Konzepte, die gegen Leitlinien verstoßen, sind (nur) als Ausnahmen zulässig. • Im Unterschied zu den Leitlinien konkretisieren und detaillieren die „fachlichen und technischen Konzepte“ die Lösung in einer definierten Lösungsversion: Sie sind versioniert und entsprechen inhaltlich den Anwendungsversionen. • Fachliche und technische Konzepte werden iterativ weiterentwickelt. • Die fachlichen Konzepte werden im Projektverlauf um die technischen Lösungskonzepte (Abbildung in den SAP- und ggfs. weiteren Fachverfahren) ergänzt und zusammen beschrieben. Innerhalb des Projektumfeldes wurden durch den LSBG mehrere zentrale Lösungskomponenten unter Beachtung der Leitlinien aufgebaut. Nachfolgend sind diese und deren Zusammenhänge erläutert. Eine Datenmanagementkomponente („Data Hub“), in dem die Daten für die relevanten Assetklassen aus verschiedenen vorgelagerten Informationsquellen eingelesen, auf Konsistenz geprüft und die technischen Objekte für das Objektverzeichnis - soweit möglich - regelbasiert und unter Einsatz verschiedener fortgeschrittener Algorithmen automatisch generiert werden. Der Data Hub verteilt die Daten in die relevanten Zielsysteme, d. h. in der ersten Ausbaustufe insbesondere in das S/ 4HANA System, und führt manuelle Änderungen an diesen Daten z. B. im S/ 4HANA im zentralen Data Hub Datenbestand nach. Ein zentrales Objektverzeichnis: Es enthält für alle Assetklassen und den Zuständigkeitsbereich des LSBG alle technischen Objekte mit ihren strukturellen Verbindungen (Hierarchien, netzartige Verknüpfungen) und für das Erhaltungsmanagement relevanten Informationen, insbesondere auch die Verortungs- und Geometriedaten der technischen Objekte. Das Objektverzeichnis definiert auch die Verbindung zu den kaufmännischen Anlagen in der Anlagenbuchhaltung der Kasse. Standardisierte Prozesse für das Projektmanagement sowie für die Daueraufgaben mit durchgängigem Objektbezug: D. h. alle relevanten Prozesse für das Erhaltungsmanagement wie z. B. die Mittel- und Langfristplanung für Straßen oder Brücken, die kurzfristige Bedarfs- und Aufgabenplanung, Zustandsermittlungen oder die Planung und Durchführung von Daueraufgaben und Projekten erfolgen mit Bezug zu technischen Objekten auf Basis des Objektverzeichnisses. Dabei werden insbesondere auch Lösungen bereitgestellt, um Kosten für den LSBG und die FHH von Maßnahmen in adäquater Weise objektgenau zuordnen und auswerten zu können. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 181 Auf dem Weg zu einem intelligenten Assetmanagementsystem Die letzte Komponente ist ein umfassende Berichtssystem für das objektbasierte Erhaltungs- und Projektmanagement. Es umfasst sowohl Reports für die Durchführung des operativen Geschäftes als auch analytische Anwendungen für übergreifende Analysen und die Berichterstattung an die Auftraggeber. Ergänzend werden auch Reports und Analysen für das Assetmanagement bereitgestellt. 3. Leitlinien für den Aufbau und Struktur des zentralen Objektverzeichnis Das Objektverzeichnis liefert ein anlageklassen-übergreifendes, gesamthaftes Verzeichnis der Anlageobjekte aus fachlicher und wertmäßiger Sicht. Es beschreibt einzelne Anlageobjekte und Beziehungen zwischen den Objekten in Form von hierarchischen Strukturen, im jeweiligen Netz und sonstige Verknüpfungen zwischen Objekten auch über Anlageklassen hinweg. Das zentrale Objektverzeichnis beschreibt Assets und ihre Beziehungen in Raum und Zeit und - wenn zweckmäßig - mit ihren modellhaften Repräsentationen (BIM, FE-Modelle etc.). Die grundsätzliche Konzeption des Objektverzeichnisses soll durch Abstraktion ein hohes Maß an Flexibilität für zukünftige Erweiterungen und die Skalierbarkeit auf weitere Anwendungen/ Assetklassen und größere räumliche und organisatorische Umfänge ermöglichen. Für die Abbildung gilt das Motto: „so einfach wie möglich, aber nicht einfacher“. Die konkrete Ausprägung des zentralen Objektverzeichnis erfolgt nach Bedarf, d. h. mit Blick auf definierte Anwendungsfälle. Dabei werden bei der Konzeption auch zukünftige, absehbare Anwendungsfälle berücksichtigt. Für die Abbildung verschiedener Assetklassen und damit sehr unterschiedlicher technischer Objekte ist es sehr wichtig, für alle diese Assetklassen gleiche Grundanforderungen an die Abbildung im Objektverzeichnis zu definieren. Zu jedem Asset existiert ein Minimalset an Informationen, das u. a. enthält: • Einen Schlüssel/ ID in der „Zentralen Objektverzeichnis“-Anwendung (SAP EAM). • Einen global eindeutigen Identifier (GUID) als Basis für die Interoperabilität mit anderen Fachverfahren. • Den Pflegestatus, der den Pflegezustand des Datensatzes beschreibt. • Den Freigabestatus, der die allgemeine Nutzbarkeit des Objektes / Assets beschreibt (mit Gültigkeitsperiode bzw. Versionierung). • Informationen zu „Asset-Partnerrollen“ wie z. B. Eigentümer des Assets, Betreiber des Assets, Eigentümer der Daten, Verantwortlicher für die Datenpflege etc. • Eine eindeutige Zuordnung zu einer Assetklasse. Das Objektverzeichnis ist konzeptionell so auszulegen, dass Assetklassen-spezifisch Objekte sowohl als punktuelle, linienförmige, flächige (2D, Polygone) als auch räumliche Objekte (z. B. Punktwolken aus Befliegungen, 3D-Modelle, 2.5D Modelle wie z. B. Oberflächen mit Auf bauinformationen aus Bohrkernen, Georadar etc.) mit ihren jeweiligen Eigenschaften abbildbar sind; auch Kombinationen dieser Sichten sollen möglich sein. Objekte werden, wenn immer es möglich und zweckmäßig ist, räumlich verortet. Bei allen verwendeten Nummerierungen ist eine „Codierung“ von Informationen („sprechende Schlüssel“) zu unterlassen. Nummern für Objekte sind zweckmäßig einfach aufzuzählen und Informationen wie z. B. Zuständigkeiten, Objektarten oder ähnliches in entsprechenden auswertbaren Feldern am abzulegen. Assets werden typischerweise in Hierarchien detailliert. Übliche Dimensionen für die Hierarchiebildung sind räumliche, technische oder funktionale Aspekte. Spezifische Leitlinien und Fachkonzepte hierzu werden pro Assetklasse definiert. Allgemein ist pro Assetklasse nur eine Asset-Hierarchie vorzusehen, also nicht parallel z. B. funktionale und räumliche Hierarchien. Allgemein soll die Granularität der Objekthierarchien so granular wie nötig (für die vorgesehenen Anwendungsfälle) und so allgemein (grob) wie möglich definiert werden. Die konkrete Datenpflege auf den unteren Ebenen muss flexibel auch für ausgewählte Gruppen von Assets möglich sein, um für erforderliche Anwendungen / Auswertungen die notwendigen Details verfügbar zu haben, ohne die feinteilige Datenpflege für einen großen Asset-Bestand zwingend notwendig zu machen. Für die meisten Assetklassen werden Auswertungen nicht nur auf Einzelobjektebene benötigt, sondern Auswertungen erstrecken sich auf Gruppen von Assets oder den Gesamtbestand der Assets einer Assetklasse. Für die Auswertungen werden dann häufig spezielle Kennzahlen gebildet, die Kenngrößen einzelner Assets/ Gruppen von Assets in Bezug zu dem Gesamtbestand oder Teilbeständen der Assets setzen; Bsp.: Anzahl oder Flächen aller Brücken in Gebiet xy oder Gesamt-Straßenfläche der Hauptverkehrsstraßen in FHH. Die Berechnung solcher übergreifenden Kennzahlen (Gesamtkenngrößen) setzt voraus, dass die entsprechenden Asset-Ebenen konzeptionell vollständig und nicht überlappend sind und außerdem der Datenpflegestand so vollständig und qualitativ belastbar ist, dass die berechneten aggregierten Bezugsgrößen belastbar sind. In der Konsequenz ist pro Assetklasse/ Asset-Hierarchie (1: 1 gemäß o.g. Richtlinie) bereits beim Design die Hierarchieebene zu definieren, auf denen solche Bezugsgrößen berechnet werden sollen. Diese Ebene wird im nachfolgenden „Referenzebene“ genannt. Pro Hierarchie ist eine Referenzebene zu definieren und der Entscheidungsprozess im Data Governance Konzept für das Objektverzeichnis zu dokumentieren. Die Objekte auf dieser Referenzebene müssen besondere Bedingungen erfüllen, die auf unteren Ebenen nicht notwendigerweise alle erfüllt werden müssen: • Vollständigkeit, konzeptionell und bzgl. Datenpflege (unvollständige Datenpflege führt zu Ungenauigkeiten in der Kennzahlenbildung) • Eindeutigkeit/ Überlappungsfreiheit (Abweichungen führen zu Ungenauigkeiten in der Kennzahlenbildung) • Auf der Referenzebene findet auch die Zuordnung zu den kaufmännischen Anlagen der Anlagenbuchhaltung der Kernverwaltung der FHH statt. 182 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Auf dem Weg zu einem intelligenten Assetmanagementsystem 4. Abbildung der Straßeninfrastruktur als Realflächenmodell Im Jahr 2013 hat der Hamburger Senat mit dem Aufbau eines Erhaltungsmanagementsystems für Hamburgs Straßen (EMS-HH) begonnen [2]. Zur Anlagenklasse Straßen gehören nicht nur die Fahrbahnen, sondern auch die Nebenflächen (Gehwege, Radwege, Straßenbegleitgrün, Verkehrsinseln), die Öffentliche Beleuchtung (ÖB), die Lichtsignalanlagen (LSA) sowie die Straßenentwässerung. I m Rahmen des EMS-HH legte der Senat im Jahr 2022 bereits den 4. Straßenzustandsbericht vor [3]. In den Straßenzustandsberichten wird regelmäßig nicht nur über den Zustand von Hamburgs Straßennetz, sondern auch über die Aktivitäten zur Umsetzung des operativen und strategischen Erhaltungsmanagements berichtet. Einführung und Umsetzung eines systematischen Erhaltungsmanagements haben bereits dazu geführt, dass eine weitere Verschlechterung des Zustands des Straßennetzes gestoppt und eine sichtbare Verbesserung des Gesamtzustands der Straßen erreicht werden konnte. Aufgrund des massiven Erhaltungsstaus war es dabei zunächst notwendig, eine hohe Priorität auf das operative Erhaltungsmanagement und die Umsetzung von Erhaltungsmaßnahmen zu legen. Gleichzeitig wurden Strukturen für ein strategisches Erhaltungsmanagement geschaffen und die Datengrundlagen wurden sukzessive verbessert. Mit der Drucksache „Grundsätze des Erhaltungsmanagements der Freien und Hansestadt Hamburg“ [1] erfolgte eine Aktualisierung und Präzisierung der für die Anlagenklasse Straßen bereits vorhandenen Vorgaben. Bereits aufgebaute Strukturen können weiter genutzt werden. Für das Erhaltungsmanagement der Straßeninfrastruktur ist eine Bewertung einzelner Straßenabschnitte essenziell. Nur so können Kennzahlen z. B. bezüglich der aktuellen Anlagenwert oder Restnutzungsdauer ermittelt werden. Zudem ist es für das Erhaltungsmanagement der Straßeninfrastruktur notwendig, dass die Anlagenbuchhaltung und die technische Datenhaltung für die Straßenabschnitte eine Kongruenz aufweisen. Dies bedeutet, dass die Abgrenzung der Objekte in beiden Fällen identisch sein muss. Hierzu erfolgt die Anwendung eines Realflächenmodells. Dieses wird in einem Pilotgebiet umgesetzt, um dieses auf seine Praxistauglichkeit und Anwendbarkeit zu prüfen. Das Pilotgebiet befindet sich im Bezirk Hamburg-Mitte (siehe Abb. 2). Die Fläche entspricht etwa 1 % der von Hamburgs Straßen. Abb. 2: Pilotgebiet der Assetklasse Straßen (LSBG B 12) 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 183 Auf dem Weg zu einem intelligenten Assetmanagementsystem Die Anwendung eines Realflächenmodells wird notwendig, da das bisherige Knoten-Kanten-Modell insbesondere im Knotenpunktbereich, durch den Bezug auf die jeweilige Achse, Doppelungen oder fehlende Flächen aufweist. Anders als beim Knoten-Kanten-Modell sind beim Realflächenmodell keine Doppelungen oder fehlenden Bereiche vorhanden. Die Flächen können, z. B. bei Änderungen der Querschnittsgestaltung, schnell und einfach angepasst werden oder, z. B. die Nebenflächen, generalisiert werden. Grundlage für das Realflächenmodell ist eine aus den Aufgaben der Wegeaufsicht und der Pflege des Straßenbegleitgrüns heraus entwickelte Feinkartierung. Der Objektschlüsselkatalog wurde jedoch hierüber hinaus für weitere Anwendungsgebiete mit der damaligen Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU), heute Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (BUKEA), dem Landesbetrieb Geoinformation und Vermessung (LGV) und der damaligen Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation (BWVI), heute Behörde für Verkehr und Mobilitätswende (BVM) abgestimmt. Die Grundlage bilden hochauflösende Luftbilder (Bestimmung der Materialien und Nutzung) und das Verwaltungsvermögen Tief bau (Begrenzung der Flächen bzw. Abgrenzung zu Flächen sonstiger Verwaltungsvermögen oder sonstigen Eigentümern). Hierdurch kann der gesamte Straßenraum durch flächenhafte Objekte (Polygone) nach Material und Nutzung differenziert werden. Die Feinkartierung stellt somit ein zentrales Element der Bestandsdatenerfassung dar. Durch die vollständig georeferenzierte flächenhafte Abbildung sind doppelt belegte Flächen ausgeschlossen. Dies bedeutet, dass eine saubere Flächenbilanz möglich ist. Die Summe der Flächen aller Objekte der Feinkartierung entspricht somit z. B. immer der Summe des zugewiesenen Objektes. Darüber hinaus ist eine räumliche Verschneidung mit weiteren Datensätzen wie Leitungsdaten, Zustandsdaten, Baumkataster etc. möglich. Anders als beim Knoten-Kanten-Modell sind im Realflächenmodell die Informationen nicht einer Straße bzw. Straßenachse (Kante) zugeordnet. Da aber sowohl für die Anlagenbuchhaltung als auch für die technische Datenhaltung eine eindeutige Zuordnung der Informationen zu den jeweiligen Straßen notwendig ist, werden Technische Objekte gebildet. Für die Assetklasse Straßen werden die in Tab. 1 dargestellten Technische Objekte genutzt. Die Objekte sind in der angeführten Reihenfolge von oben nach unten in eine TP-Hierarchie eingebunden. Tab. 1: Abbildung der Assetklasse Straßen Anlage Ref/ optional Ebene Objekt im SAP Straße obligatorisch +3 Technischer Platz Straßenabschnitt obligatorisch +2 Technischer Platz Flächenebene obligatorisch +1 Technischer Platz Flächenobjekt/ Teilanlage Referenzebene 0 Technischer Platz Flächensonderfunktion Optional -1 Technischer Platz Auf baudaten Optional -2 Equipment 5. Proof of Concept für eine Prognoseanwendung im kommunalen Bereich Eine wesentliche Funktion zum Erfüllen der Anforderungen der Drucksache Erhaltungsmanagement ist eine langfristige Planung von einzelnen Erhaltungsmaßnahmen aber auch Neu- und Ersatzneubauten. Nur so lässt sich für die jeweilige Assetklasse eine valide Prognose des Zustandes aber auch der notwendigen investiven und konsumtiven Haushaltsmittel aufstellen. Auf Basis dieser Erkenntnisse lassen sich auch wichtige Rückschlüsse für die Unternehmenssteuerung des LSBG ziehen. Gemäß der Drucksache „Grundsätze des Erhaltungsmanagements der Freien und Hansestadt Hamburg“, soll sich „die Infrastruktur […] zu jedem Zeitpunkt in einem guten Zustand befinden. […] Definitionen der einschlägigen Regelwerke für die jeweilige Asset Klasse geben dabei Anhaltswerte für einen jeweiligen Zustandskorridor“ [1]. Hierzu ist eine langfristige Planung der Erhaltungsabschnitte sowie der entsprechenden Maßnahmen notwendig. Zur Aufstellung der hierzu benötigten personellen und finanziellen Ressourcen ist eine Prognose der Zustandsentwicklung notwendig. Im Rahmen des Proof of Concept wurde hierzu eine entsprechende Prognose- App entwickelt. Sofern die Zeitpunkte vergangener Maßnahmen bekannt sind, können anhand der Zustandsnoten Prognosen zu dem zukünftigen Verlauf und daraus folgend den Eingriffszeitpunkten gegeben werden. Hierdurch ist eine Planungssicherheit der jährlich benötigten investiven und konsumtiven Mittel für die nächsten Jahre möglich. Die hierzu benötigten Bestandsdaten werden derzeit in einer georeferenzierten Datenbank zusammengetragen. Bis zum Vorliegen vollständiger Bestandsdaten sind wissenschaftlich ermittelte Verhaltenskurven zur Ermittlung der Zustandsentwicklung nicht zielführend. Daher wird in einem ersten Schritt eine lineare technische Abnutzung über die zu erwartende Lebensdauer angewandt. Die einzelnen Schritte der Prognose-App erfolgen in Anlehnung an das im Fernstraßenbereich angewandte Pavement-Management-System (PMS). Die verschiedenen 184 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Auf dem Weg zu einem intelligenten Assetmanagementsystem Informationen wie Zustands- und Auf baudaten werden in der Anwendung zusammengeführt und Bedarfe objektscharf prognostiziert. Diese dienen als Grundlage für die Planung konkreter Erhaltungsmaßnahmen im SAP- System. In zukünftigen Prognosen werden diese bereits geplanten aber noch nicht umgesetzten Maßnahmen berücksichtigt (siehe Kapitel 6). Der aktuelle Zustand sowie die Prognose der Zustandsentwicklung für die Fahrbahn und Nebenflächen soll hierbei zukünftig separat erfolgen. Dies ist notwendig, da sich diese in ihrer voraussichtlichen Nutzungsdauer als auch im Instandhaltungsintervall voneinander unterscheiden. So werden die Fahrbahnen etwa alle 10-15 Jahre mit einer neuen Asphaltdeckschicht instandgesetzt und zusätzlich etwa alle 20-25 Jahre die Asphaltbinderschicht erneuert. Diese Instandsetzungsarbeiten sind notwendig, um die angestrebte Nutzungsdauer von 40 Jahren zu erreichen. Im Gegensatz hierzu sind Instandsetzungsarbeiten bei den oftmals in Pflasterbauweise hergestellten Nebenflächen innerhalb der Nutzungsdauer nicht so häufig notwendig. Die Bewertung des Zustandes der Fahrbahnen erfolgt anhand einer messtechnischen Zustandserfassung und -bewertung (ZEB). Diese wird in Hamburg auf den HVS bereits seit 2003 regelmäßig durchgeführt. Hamburg war somit eine der ersten deutschen Kommunen, die die Straßenverkehrsinfrastruktur überprüfen ließ. Die Systematik und Vorgehensweise einer ZEB sind in Drucksache EMS-HH [2] beschrieben. Grundlage dieser Verfahren sind die in dem Regelwerk „Empfehlungen für das Erhaltungsmanagement von Innerortsstraßen“ (E EMI 2012) bei der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen [4] festgehaltenen Hinweise. Damit bewegt sich die ZEB in Hamburg auf methodisch sicherem Fundament. Für die Bewertung der Nebenflächen gibt es keine vergleichbaren Regelwerke zur ZEB der Fahrbahnen. Diese müssen erst noch entwickelt werden. So wird zur Erfassung und Bewertung des baulichen Zustands von Radverkehrsanlagen in der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen unter aktiver Beteiligung des LSBG an bundesweit einheitlichen Standards gearbeitet. 6. Integrierte Bedarfsplanung Insgesamt gilt es zukünftig aus verschiedenen Blickwinkeln ein Gesamtportfolio an Projekten und Daueraufgaben bzw. Infrastrukturassets zu steuern. Insgesamt ist es die Aufgabe des Assetmanagements den für die FHH bestmögliche Lösung aus allen Anforderungen zu finden. Hierfür ist eine gemeinsame Datengrundlage aller Beteiligten und die Möglichkeiten zur Auswertung und Aufbereitung in den SAP-Modulen aber auch der SAP Analytics Cloud (SAC) wichtig. Abb. 3: Vision eines kollaborativen und integriertem Assetmanagement (LSBG Vezer) 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 185 Auf dem Weg zu einem intelligenten Assetmanagementsystem Für das SAP-System des LSBG kommen die operativen Daten zu Maßnahmen aus den Modulen EPPM und EAM. Für die langfristige Prognose des Zustandes von technischen Objekten und davon abgeleiteten Maßnahmen werden heute verschiedene Anwendungen benutzt. Im Rahmen des Proof of Concept wurde eine eigene Prognose App (EMS App) entwickelt (siehe Kapitel 5). Alle Informationen aus diesen Anwendungen laufen auf dem DataHub zusammen und aus diesem heraus werden für die freigegebenen Prognosen Bedarfe im EAM angelegt. Hierfür wird die Meldungsart „Bedarfsmeldung“ für alle Assetklassen verwendet. Der operative Assetmanager findet nun im EAM sowohl aktuelle Schadensmeldungen aus der Zustandserfassung als auch die prognostizierten Bedarfe. Auf dieser Basis kann nun die technische objektscharfe Bedarfsplanung durchgeführt werden. Dabei stehen auch alle Informationen zu nicht zustandsinduzierten Maßnahmen bereit. Diese können bei der Entscheidung ebenfalls berücksichtig werden. Der konkrete technische Bedarf kann dann mit einem entsprechend passenden SAP Businessobjekt an den jeweiligen Realisierungsverantwortlichen weitergegeben werden. Zustands- und Bedarfsprognosen sollen nach der Drucksache Erhaltungsmanagement jährlich aktualisiert werden. Daher sind einige Festlegungen für den Umgang mit den Bedarfsmeldungen im SAP-System notwendig. Unbearbeitete Bedarfsmeldungen werden mit der Veröffentlichung der aktualisierten Prognose abgeschossen. Die bereits bearbeitete Bedarfsmeldungen, die bereits in Erhaltungsmaßnahmen weiter beplant wurden, können wiederum in der Prognoseprozess mitberücksichtigt werde. Durch die Nutzung des SAP-Standard Lebenszyklus der Bedarfsmeldung sind Analysen über die Veränderung der jeweiligen Prognosen und eine Historisierung möglich. Alle Funktionen der Bedarfsplanung sind in den jeweiligen SAP-Modulen im Standard grundsätzlich technisch möglich. Es hat sich aber im PoC gezeigt, dass dieser Prozess nicht besonders benutzerfreundlich ist. Daher wurde beschlossen, dass für diese, für das Erhaltungsmanagement besonders herausragende Tätigkeit, eine eigene App mit einem besonderen Augenmerk auf die Benutzerfreundlichkeit bei der Anzeige von vielen Meldungen und Informationen zu den Technischen Objekten aber auch durch Unterstützung bei der Anlage von IH-Aufträgen bzw. EPPM-Projekten und der Verknüpfung zu den Technischen Objekten mit Objektverknüpfungen im SAP zu unterstützen. Ziel ist es, dass der Operative Assetmanager sich auf die fachliche Arbeit und nicht auf die Bedienung des SAP-System fokussieren muss. 7. Weitere Entwicklungsmöglichkeiten Im Jahr 2023 liegt der Fokus auf der Einführung des neuen SAP-Systems und dem damit verbundenen Change in vielen Arbeitsprozessen. Für die Weiterentwicklung der Prognoseanwendung werden noch viele unterschiedliche weitere Daten mit konkretem Objektbezug benötigt. Das Objektverzeichnis für die Straßen mit weiteren Informationen, im Besonderen zu den Nebenflächen anzureichern wird eine wichtige Aufgabe für die Folgeprojekte sein. Herausfordernd wir hier sein, dass z. B. für die Zustandsbeurteilung für die Nebenflächen auch eher subjektive Faktoren wie das Sicherheitsgefühl und die Attraktivität für den Radverkehr mit aufgenommen werden sollen. Diese zu standardisieren, vergleichbar zu machen und um großen Umfang für die Stadt Hamburg zu erfassen wird eine große Aufgabe werden. Aber auch fehlende Daten zu dem Auf bau und Alter der Straßenobjekte gilt es aus Bestandsdaten zu ermitteln oder sich Annahmen zu treffen. Auf Basis der objekthaften Projektdaten lassen sich auch neue Möglichkeiten für die Prognose von Maßnahmekosten entwickeln. Insgesamt ist mit der Einführung des neuen SAP-Systems in der jetzigen Form ein solides Fundament für die zukünftige Entwicklung des Assetmanagements der Hamburger Infrastruktur gelegt worden. Literatur [1] Grundsätze des Erhaltungsmanagements der Freien und Hansestadt Hamburg. 21/ 13592. 26.06.2018. 1561.indd (buergerschaft-hh.de) [2] Stellungnahme des Senats zum Ersuchen der Bürgerschaft vom 27. März 2013 „Hamburg braucht einen Masterplan zur Sanierung von Gehwegen, Radwegen und Straßen (Drucksache 20/ 6988) Haushaltsplan 2013/ 2014 Einzelplan 7 Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation Nachforderung von Haushaltsmitteln in Höhe von 2 Mio. Euro im Jahr 2014 bei dem neu einzurichtenden Titel 7200.741.87 „Erhaltungsmanagement und Instandsetzung Hamburger Straßen, Zweckzuweisung an die Bezirke“ Erhaltungsmanagementsystem für Hamburgs Straßen (EMS-HH). 20/ 10333. 17.12.2013. 3052.qxd (buergerschaft-hh.de) [3] Straßenzustandsbericht 2022. 22/ 9898. 08.11.2022. 2173.indd (buergerschaft-hh.de) [4] Empfehlungen für das Erhaltungsmanagement von Innerortsstraßen (E EMI 2012). Ausgabe 2012. Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen (FGSV).