Kolloquium Straßenbau in der Praxis
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expert Verlag Tübingen
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2023
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Förderung des Radverkehrs im Winter durch optimierten Winterdienst
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2023
Thorsten Cypra
Christian Holldorb
Jan Riel
Tim Wiesler
Niklas März
Die Bereitstellung von durchgehenden sowie sicher und komfortabel befahrbaren Radverkehrsanlagen ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für eine breite Akzeptanz des Fahrrades als alltägliches Verkehrsmittel. Zahlreiche Kommunen haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten eine dahingehende Transformation des Verkehrsnetzes begonnen und konnten innerhalb überschaubarer Zeiträume beachtliche Veränderungen des Modal Split erreichen. Radfahrende sind Witterungseinflüssen deutlich mehr ausgesetzt als die Nutzer von ÖV und Kfz. Dies schlägt sich auch in Verkehrszählungen nieder: So führt bereits in den Morgenstunden einsetzender Regen – unabhängig von der Jahreszeit – zu einem deutlichen Rückgang des Radverkehrsaufkommens. Dies zeigt, dass gerade in den Wintermonaten die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Radverkehrsinfrastruktur eine hohe Bedeutung hat und ein zuverlässiger Winterdienst neben Planung und Bau der Infrastruktur hierfür einen maßgeblichen Beitrag leisten kann. Im Rahmen eines Forschungsprojektes wurden das Institut für Verkehr und Infrastruktur der Hochschule Karlsruhe (HKA) und das Fachgebiet Straßen- und Verkehrswesen der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (htw saar) beauftragt, Empfehlungen zu erarbeiten, wie der Radverkehr im Winter durch einen optimierten Winterdienst gefördert werden kann. Grundlagen der zu erarbeitenden Maßnahmen waren umfassende Erhebungen und Untersuchungen zum Winterdienst und zum Radverkehr bei winterlicher Witterung in den drei ausgewählten Kommunen Karlsruhe, Köln und München. Mit Hilfe von Befahrungen bei winterlichen Bedingungen wurden Probleme sowohl aus Sicht der Radfahrenden als auch aus Sicht des Winterdienstes erkannt. Weiterhin wurde mit Hilfe einer durchgeführten Umfrage bei Radfahrenden das Entscheidungs- und Fahrverhalten bei winterlichen Bedingungen erfragt. Messungen zum zeitlichen und räumlichen Liegeverhalten von Streustoffen haben Erkenntnisse zur optimierten Streustrategie auf Radwegen gebracht. Die Empfehlungen umfassen neben Konzeption und Durchführung des Winterdienstes auch die winterdienstfreundliche Planung und Gestaltung von Radverkehrsanlagen sowie die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Radverkehr im Winter und basieren bei einzelnen Maßnahmen auf Grundlage von differenzierten Nutzen-Kosten-Bewertungen.
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3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 349 Förderung des Radverkehrs im Winter durch optimierten Winterdienst Prof. Dr.-Ing. Thorsten Cypra Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (htw saar), Saarbrücken Prof. Dr.-Ing. Christian Holldorb Hochschule Karlsruhe Prof. Dr.-Ing. Jan Riel Hochschule Karlsruhe Tim Wiesler, M. Sc. Hochschule Karlsruhe Niklas März, M. Eng. Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (htw saar), Saarbrücken Zusammenfassung Die Bereitstellung von durchgehenden sowie sicher und komfortabel befahrbaren Radverkehrsanlagen ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für eine breite Akzeptanz des Fahrrades als alltägliches Verkehrsmittel. Zahlreiche Kommunen haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten eine dahingehende Transformation des Verkehrsnetzes begonnen und konnten innerhalb überschaubarer Zeiträume beachtliche Veränderungen des Modal Split erreichen. Radfahrende sind Witterungseinflüssen deutlich mehr ausgesetzt als die Nutzer von ÖV und Kfz. Dies schlägt sich auch in Verkehrszählungen nieder: So führt bereits in den Morgenstunden einsetzender Regen - unabhängig von der Jahreszeit - zu einem deutlichen Rückgang des Radverkehrsaufkommens. Dies zeigt, dass gerade in den Wintermonaten die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Radverkehrsinfrastruktur eine hohe Bedeutung hat und ein zuverlässiger Winterdienst neben Planung und Bau der Infrastruktur hierfür einen maßgeblichen Beitrag leisten kann. Im Rahmen eines Forschungsprojektes wurden das Institut für Verkehr und Infrastruktur der Hochschule Karlsruhe (HKA) und das Fachgebiet Straßen- und Verkehrswesen der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (htw-saar) beauftragt, Empfehlungen zu erarbeiten, wie der Radverkehr im Winter durch einen optimierten Winterdienst gefördert werden kann. Grundlagen der zu erarbeitenden Maßnahmen waren umfassende Erhebungen und Untersuchungen zum Winterdienst und zum Radverkehr bei winterlicher Witterung in den drei ausgewählten Kommunen Karlsruhe, Köln und München. Mit Hilfe von Befahrungen bei winterlichen Bedingungen wurden Probleme sowohl aus Sicht der Radfahrenden als auch aus Sicht des Winterdienstes erkannt. Weiterhin wurde mit Hilfe einer durchgeführten Umfrage bei Radfahrenden das Entscheidungs- und Fahrverhalten bei winterlichen Bedingungen erfragt. Messungen zum zeitlichen und räumlichen Liegeverhalten von Streustoffen haben Erkenntnisse zur optimierten Streustrategie auf Radwegen gebracht. Die Empfehlungen umfassen neben Konzeption und Durchführung des Winterdienstes auch die winterdienstfreundliche Planung und Gestaltung von Radverkehrsanlagen sowie die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Radverkehr im Winter und basieren bei einzelnen Maßnahmen auf Grundlage von differenzierten Nutzen-Kosten-Bewertungen. 1. Einführung Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) vertreten durch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) hatten die Hochschule Karlsruhe (HKA) und die Hochschule für Technik und Wirtschaft in Saarbrücken (htw saar) mit einem Forschungsprojekt zur nachhaltigen Förderung des Radverkehrs im Winter durch optimierten Winterdienst beauftragt. Das seit Jahren steigende Radverkehrsaufkommen in Deutschland rückt die Erfordernis einer ganzjährig gut und sicher befahrbaren Radverkehrsinfrastruktur in den Fokus der Öffentlichkeit. Bezogen auf den Winterdienst sind Radfahrende vielerorts mit Mängeln konfrontiert: • Eine unzuverlässige Betreuung selbst verkehrswichtiger Verbindungen • Unklarheit über die örtlichen Leistungen des Winterdienstes • Deutliche Qualitätsunterschiede auf einer Verbindung • Ineffektive Betreuung durch unpassende Betriebsmittel und Streustoffe Obwohl aufgrund des Klimawandels bundesweit mit einem Rückgang von Tagen mit Schneefall und überfrierender Nässe zu rechnen ist, stellen Glätteereignisse in der Winterperiode eine ernstzunehmende Gefährdung für den Radverkehr dar. Auch sind regional weiterhin regelmäßige Räumeinsätze notwendig, um das Fahrrad als witterungsunabhängiges Verkehrsmittel für Alltagswege zu etablieren. Ziel des Projektes war es, umfassende Empfehlungen zur Förderung des Radverkehrs im Winter 350 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Förderung des Radverkehrs im Winter durch optimierten Winterdienst zu geben, die neben dem Winterdienst auch die Planung von Radverkehrsanlagen und Informations- und Kommunikationsmaßnahmen für die Radfahrenden umfassen. 2. Untersuchung des Winterdienstes auf Radwegeverbindungen in Kommunen Grundlagen der zu erarbeitenden Maßnahmen waren umfassende Erhebungen und Untersuchungen zum Winterdienst, zur Radverkehrsinfrastruktur und zum Radverkehr bei winterlicher Witterung in den drei ausgewählten Kommunen Karlsruhe, Köln und München. Dabei wurde zunächst neben der Winterdienstpraxis und eingesetzter Räum- und Streutechnik die Systematik ausgewiesener (Winter-) Radrouten betrachtet. In diesem Rahmen fanden Gespräche mit verschiedenen Akteuren z. B. in Form von Workshops mit dem Betriebspersonal statt. In den untersuchten Kommunen wurden jeweils Routen mit einer Gesamtlänge von ca. 50 km ausgewählt, die in den beiden Winterperioden 2020/ 2021 und 2021/ 2022 bei winterlichen Bedingungen befahren, mit einer Kamera dokumentiert und ausgewertet wurden. Dabei wurden Verbindungen aus äußeren Stadtteilen oder Vororten ins Zentrum betrachtet, welche auch über Zuständigkeitsgrenzen verlaufen und verschiedene Führungsformen beinhalten. Die klassifizierte Befahrbarkeit konnte anschließend mit den Winterdienst- Einsatzdaten verglichen werden. Dabei wurde deutlich, wo Probleme in der Praxis liegen und wie dies die Befahrbarkeit für den Radverkehr beeinträchtigt (Beispiele siehe Abb. 1). Außerdem ließ sich feststellen, wie lange mit der eingesetzten Räum- und Streutechnik je nach Witterung eine gute Befahrbarkeit gewährleistet werden kann. Teilweise wurden Routen hierfür auch an einem Tag mehrfach befahren. Abb. 1: Mit Schnee zugeschobene Radwege durch den Straßenwinterdienst [Bildquelle Wiesler (links), Cypra (rechts)] Abb. 2: Zu geringe Durchfahrtsbreite für das Winterdienst-Schmalspurfahrzeug [Bildquelle März] Für ausgewählte Tage wurde weiterhin der gesamte durchgeführte Winterdienst auf Fahrbahnen und Radverkehrsinfrastruktur in den Kommunen analysiert. Dazu wurden einzelne Winterdiensteinsätze mit Kameras aufgezeichnet und ausgewertet. Diese Videoaufzeichnungen gaben Aufschluss über Problemstellen und -bereiche sowie vermeidbare Zeitverluste durch Hindernisse, wie z. B. Pfosten oder zu schmale Durchfahrtsbreiten (vgl. Abb. 2). Zur Systematisierung der gemachten praktischen Erfahrungen mit dem Fahrradfahren im Winter und dahingehenden Einstellungen wurde ein Online-Fragenbogen für Radfahrende in den drei Kommunen erarbeitet, der von knapp 3000 Personen vollständig beantwortet wurde. Aufgrund der hohen Anzahl der Teilnehmenden und dem breiten demografischen Spektrum konnten mit den Rückmeldungen für die jeweiligen Kommunen repräsentative Aussagen getroffen werden. Der Fragebogen wurde in 7 Themenfelder, u.a. zur Fahrradnutzung und zum Mobilitätsverhalten, zu Erfahrungen zum Fahrradfahren oder zur Meldung von schlechten Zuständen auf Radwegen im Winter, mit jeweils mehreren Fragegruppen aufgeteilt. Insbesondere für erfahrene Radfahrende stellen schlechte Witterungsverhältnisse kaum ein Hemmnis dar. Ein unzuverlässiger oder nicht durchgängig durchgeführter Winterdienst auf Radrouten kann hingegen dafür sorgen, dass Radfahrende sich erheblich eingeschränkt fühlen. Als besonders unangenehm werden Schneewulste auf Radfahr- und Schutzstreifen betrachtet. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 351 Förderung des Radverkehrs im Winter durch optimierten Winterdienst Abb. 3: Bewertung der Befahrbarkeit von verschiedenen winterlichen Fahrbahnsituationen Auch von routinierten Radfahrenden werden starke Schneedecken, sowohl auf Radwegen als auch Fahrradstraßen, sowie Eisglätte als gefährlich bewertet (siehe Abb. 3)., d.-h. Situationen, welche bei seltenen Witterungssituationen oder bei stark reduzierten Winterdiensttätigkeiten auftreten. Aber auch Schnee auf Schutzsteifen oder Radfahrstreifen wird besonders negativ bewertet, diese Situation tritt in Städten mit einem großen Netz aus markierten Führungsformen besonders häufig auf und auch schon bei geringen Schneemengen, die dann aber von der breiteren Fahrbahn auf den Schutzstreifen/ Radfahrstreifen geschoben werden. Leichtere Schneerückstände oder auch eine geschlossene, aber dünne Schneedecke werden weniger kritisch gesehen. Die Mehrheit ist bereit, im Winter auf ein besonders großes Radnetz zu verzichten, solange es ausgewiesene und zuverlässig betreute Routen gibt, welche bei jeder Witterung gefahrlos befahren werden können. Angebote wie ein eigenes Winterradnetz oder Mängelmelder sind jedoch selbst erfahrenen Radfahrenden oft noch unbekannt. Des Weiteren spielt der Aspekt der Beleuchtung von Strecken für das Sicherheitsgefühl vieler Radfahrender im Winter eine große Rolle. Der Einsatz von Streustoffen auf Radwegen ist in vielen Kommunen unterschiedlich. Zur Optimierung der Streustrategie auf Radwegen wurde im Rahmen dieses Forschungsprojektes das Verfahren der BASt zur Untersuchung der zeitlichen und räumlichen Verteilung von Streustoffen (FS100, FS30 und FS0) auf der Fahrbahnoberfläche mit dem Spül-Saug-Gerät nach ESG auf Radwegen angewendet. Im Ergebnis kann man festhalten, dass bei präventiven FS 100 Streuungen die Sole durch den Radverkehr nicht verschleppt wird und somit bis zum Einsetzen von Niederschlägen eine lange Wirkung zur Glättevermeidung erzielt werden kann. Zudem haben sich folgende Erkenntnisse und Empfehlungen aus den Versuchen ergeben: • Zur Optimierung der Streustoffaustragung müssen die Streudichten weiter untersucht werden. • FS 100 weist bei den Versuchen eine deutlich bessere Verteilung auf als FS 30 und FS 0 • Die aus den Empfehlungen für Winterdienst für Fahrbahnen übertragenen Streudichten sind ausreichend für den Winterdienst auf Radwegen. • Ausgebrachtes Feucht- und Trockensalz (FS-30 und FS- 0) werden durch Fahrradüberfahrten nicht verdrängt. Bei der Soleausbringung (FS- 100) können aber deutlich geringere Salzmengen gleichmäßig ausgetragen werden, die in vielen Fällen ausreichend sind. Auf bauend auf den gesammelten Erkenntnissen wurden mögliche Maßnahmen zur Verbesserung des Winterdienstes auf Radwegeverbindungen erarbeitet. Diese gliedern sich in die drei Cluster Winterdienst; Planung, 352 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Förderung des Radverkehrs im Winter durch optimierten Winterdienst Bau und Ausstattung von Radverkehrsanlagen sowie zuletzt Radverkehr. Ausgewählte Maßnahmen wurden in einer Nutzen-Kosten-Analyse bewertet. Grundlage der Bewertung ist die Eintretenswahrscheinlichkeit winterlicher Witterungszustände. Die Kosten wurden in der Regel als Jahreskosten bei der Nutzen-Kosten-Analyse berücksichtigt. Um die Kosten möglicher Maßnahmen abzuschätzen, wurden, soweit verfügbar, Kostensätze aus den beteiligten Kommunen Karlsruhe, Köln und München herangezogen. Die für einen Teil der Maßnahmen durchgeführten Kosten-Nutzen-Bewertungen haben deutlich gemacht, dass vielfach bereits der unmittelbare Nutzen während der winterlichen Witterungsereignisse für den Radverkehr die Kosten deutlich übersteigt. Dieser Nutzen, der exemplarisch für die Stadt Karlsruhe mit nur wenigen Winterdienstereignissen ermittelt wurde, wird in anderen Regionen Deutschlands, in denen aufgrund der klimatischen Randbedingungen deutlich mehr winterliche Witterungsereignisse auftreten, noch deutlich höher ausfallen. Weiterhin ist davon auszugehen, dass bei einer umfassenden Umsetzung möglichst vieler der empfohlenen Maßnahmen der Anteil der Radfahrenden im Winter insgesamt zunimmt, nicht nur an den Tagen mit winterlicher Witterung und nicht nur auf den unmittelbar betroffenen Radwegeverbindungen. 3. Empfehlungen und Folgerungen für die Praxis Auf Grundlage der Untersuchungen zum Winterdienst in den 3 Untersuchungsstädten Karlsruhe, Köln und München, der durchgeführten Befragung von Radfahrenden sowie die Analysen zur räumlichen und zeitlichen Streustoffverteilung auf Radwegen wurden im letzten Schritt entsprechende Empfehlungen erarbeitet: • Betreuung durchgehender Radwegeverbindungen im Winterdienst unabhängig von Baulastträgerschaft und Führungsform. Hierfür ist die Definition eines Winterradnetzes erforderlich, das vor Beginn des Berufsverkehrs winterdienstlich behandelt wird. Dabei sind sowohl separat geführte Radwege und kombinierte Geh-/ Radwege als auch Führungsformen auf der Fahrbahn (Radfahrstreifen, Schutzstreifen) einzubeziehen. Ebenso sind in dieses Winterradnetz Fahrbahnen, auf denen der Radverkehr im Mischverkehr, z. B. Fahrradstraßen, Anliegerstraßen oder auch landwirtschaftliche Wegeverbindungen, geführt wird, zu integrieren. Die Fahrbahnen sollten nach Möglichkeit durch Winterdienstfahrzeuge mit größerer Räumbreite betreut werden, um auch für den Kfz-Verkehr eine ausreichende Befahrbarkeit zu gewährleisten. • Bei Schneefallereignissen wiederholte Räumung des Winterradnetzes, wobei die Radwegeverbindungen während des Schneefalls nicht auf ihrer gesamten Breite geräumt werden müssen, sondern die Räumung entsprechend der Räumbreite der eingesetzten Fahrzeuge (ca. 1,50 m) ausreichend ist. Bei beidseitig geführten Radwegen sind zeitlich die Radwege in der Richtung zu priorisieren, auf denen die stärkere Radverkehrsbelastung besteht (z. B. morgendlicher Berufsverkehr). • Nach Ende des Schneefallereignisses Räumen weiterer Radwegeverbindungen (Sekundärnetz), wenn aufgrund der prognostizierten Witterung ansonsten mit einer längeren Schneebedeckung zu rechnen ist. • An Knotenpunkten Räumung aller von Radfahrenden genutzten Verkehrsflächen: An Knotenpunkten sind neben einer durchgehenden Verbindung auch Abbiegeverbindungen, Zu- und Abfahrten der Radwege und die Anfahrten an Taster bei Lichtsignalanlagen in der Einsatzplanung mit gleicher Priorität zu berücksichtigen. Kleine Flächen, die nicht maschinell geräumt werden können, sind ggf. manuell zu räumen. • Schneeablage situationsabhängig rechts oder links: Wenn ausreichende Ablageflächen vorhanden sind, sollte die Schneeablage rechts vom Radweg erfolgen. Wenn rechts neben einem Radweg direkt ein Gehweg mit geringer Breite verläuft, muss die Schneeablage auf dem Radweg erfolgen, so dass die nutzbare Breite reduziert wird. In diesem Fall kann auch eine Schneeablage links sinnvoll sein, um einen ausreichenden Abstand für die Radfahrenden von Bordsteinkante und Kfz-Verkehr zu ermöglichen. Eine Schneeablage im unmittelbaren Wurzelbereich von Bäumen sollte vermieden werden, um die Salzbelastung der Bäume zu minimieren; hier empfiehlt sich die Ablage hinter dem Wurzelbereich oder wenn ausreichend Platz vorhanden ist auf der baumabgewandten Seite. Eine Schneeablage auf offenen Grünflächen ist hingegen in der Regel unkritisch. Bei Radfahrstreifen und Schutzstreifen auf der Fahrbahn ist die Schneeablage rechts neben Radfahrstreifen oder Schutzstreifen vorzusehen. Wenn daneben Parkflächen angeordnet sind, ist der Trennstreifen hierfür in der Regel ausreichend breit. In Regionen mit starken Schneefällen sind die Trennstreifen ggf. breiter anzulegen, um ausreichende Ablageflächen zur Verfügung zu stellen. • Schutzstreifen und Radfahrstreifen auf der Fahrbahn sind in separaten Räumdurchgängen zu betreuen: In der Regel reicht die Räumbreite des Winterdienstfahrzeugs, das die Fahrbahn für den Kfz-Verkehr betreut, nicht aus, um Schutzstreifen und Radfahrstreifen vollständig zu räumen. Daher sind diese entweder in einem zweiten Durchgang oder mit einem separaten Fahrzeug zu räumen. Dieser Räumdurchgang sollte möglichst kurzfristig nach der Räumung der Kfz-Fahrbahn erfolgen, da durch den ersten Räumdurchgang der Radfahrstreifen bzw. Schutzstreifen zugeschoben und somit für den Radverkehr überhaupt nicht mehr befahrbar sein kann. Hieraus resultiert ein erhebliches Gefährdungspotenzial, da die Radfahrenden auf die Fahrbahn ausweichen müssen. Besonders vordringlich ist die unmittelbar nachfolgende Räumung, wenn auf der Fahrbahn Schienen verlegt sind, da die Radfahrenden dann in den Schienenbereich ausweichen müssen, woraus bei der winterlichen Witterung erhebliche Sturzrisiken resultieren. • Die Schneeräumung mit Kehrwalzen ist in der Regel zu bevorzugen, da das Räumergebnis erheblich besser als mit Pflügen ist. Kehrwalzen können bei trockenen 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 353 Förderung des Radverkehrs im Winter durch optimierten Winterdienst Schneedecken bis zu 10 cm Schneehöhe eingesetzt werden, was in vielen Regionen mit hohem Radverkehrsaufkommen ausreicht, da diese eher schneearm sind. Bei stärkeren Schneefallereignissen ist die frühzeitige und wiederholte Räumung zweckmäßig, so dass für die Winterdienstfahrzeuge in der Regel keine zusätzlichen Schneepflüge notwendig sind, sondern z. B. nur für einzelne Fahrzeuge auch Pflüge vorgehalten werden sollten. • Streueinsätze in der Regel präventiv mit auftauenden Streustoffen: Da auftauende Streustoffe durch den Radverkehr nicht in den Seitenraum verfrachtet werden, bleiben sie lange auf dem Radweg liegen, wenn sie nicht durch Niederschlag weggespült werden. Dies gilt sowohl für Trockensalz als auch für Feuchtsalz oder das Ausbringen reiner Sole (FS 100). Aufgrund der gleichmäßigeren Ausbringung und des geringeren Salzgehalts wird in der Regel der Einsatz von FS 100 empfohlen. Bei einsetzendem Niederschlag sind Streudurchgänge zu wiederholen. Bei Witterungsperioden mit sich wiederholender leichter Reifglätte in den Morgenstunden kann aufgrund der Restsalzmenge auf dem Radweg auf Wiederholungseinsätze am Folgetag verzichtet werden. • Ausreichende Durchfahrtsbreite für Winterdienstfahrzeuge: Um eine durchgehende Betreuung zusammenhängender Radverbindungen zu ermöglichen, ist eine durchgehende Breite von 1,60 m zu gewährleisten. Diese sollte auch nicht durch herausnehmbare Poller eingeschränkt werden, da mit dem Herausnehmen und Wiedereinsetzen der Poller während des Winterdiensteinsatzes Zeitverluste verbunden sind. Auch wenn diese betriebswirtschaftlich kaum ins Gewicht fallen, sollten bei der Neuanlage von Radwegen Abstände vorgesehen werden, die eine Durchfahrt für den Kfz-Verkehr verhindern, eine Durchfahrt für die Schmalspurfahrzeuge jedoch ermöglichen. • Regelmäßige Überprüfung der Befahrbarkeit für Winterdienstfahrzeuge: Insbesondere in Baustellenbereichen mit temporären Verkehrsführungen werden aufgrund fehlender Flächen die verfügbaren Querschnitte für den Radverkehr reduziert. Hierbei ist darauf zu achten, dass diese Flächen weiterhin mit Winterdienstfahrzeugen befahren werden können, da ein Ausweichen der Radfahrenden auf die Fahrbahn nicht oder nur mit erheblichem Gefährdungspotenzial möglich ist. Diese Befahrbarkeit muss auch während der Bauzeit fortlaufend gewährleistet sein und darf nicht durch bauablauf bedingte Einengungen unterbrochen werden. Ggf. sind die Bauunternehmen kurzfristig zur unmittelbaren Beseitigung der Engstellen durch die Einsatzleitung aufzufordern. • Anlage von dezentralen Zwischenlagern für Streustoffe: Da die auf Radwegen eingesetzten Schmalspurfahrzeuge nur geringe Streubehältervolumen haben, kann es zur Reduktion von Leerwegen in größeren Kommunen oder auch für Straßenmeistereien sinnvoll sein, dezentrale Zwischenlager für Streustoffe (Salz oder Sole) einzurichten. Hierdurch können Einsatzkosten und Bedienzeiten, insbesondere bei Wiederholungseinsätzen reduziert werden, was sowohl zu Kosteneinsparungen für den Winterdienst als auch zu einer Qualitätssteigerung für den Radverkehr führt. • Baulastträgerübergreifende Vergabe von Winterdienstleistungen: Um die durchgehende Betreuung von hochrangigen Radwegeverbindungen auch bei unterschiedlichen Baulastträgern, z.-B. an Gemeindegrenzen, zu gewährleisten, kann die gemeinsame Vergabe in einer Ausschreibung mit entsprechender Kostenteilung sinnvoll sein. Hierbei sind in der Regel nicht nur einzelne Routen, sondern zusammenhängende Netze oder Teilnetze zu berücksichtigen, um einen für private Dienstleister attraktiven Leistungsumfang zu definieren. Bei der Vergabe sollten lange Vertragslaufzeiten angestrebt werden. Die Qualitätsstandards, die durch die privaten Dienstleister erbracht werden sollen, sind eindeutig in der Ausschreibung zu definieren und während der Vertragslaufzeit regelmäßig zu prüfen. Es ist davon auszugehen, dass dies mit höheren Kosten verbunden sein kann, je nach Verfügbarkeit potenzieller Dienstleister sind unterschiedliche Vertragsmodelle zweckmäßig. • Qualitätssicherung unter Einbeziehung der Radfahrenden und durch Kontrollfahrten des Personals: Sowohl bei der Betreuung durch Fremdunternehmen als auch durch verwaltungseigene Ressourcen werden Instrumente zur Qualitätsbewertung empfohlen. Hierbei sollten die Radfahrenden einbezogen werden, da diese aus eigenem Interesse hierfür leicht gewonnen werden können. Hierfür ist eine enge Zusammenarbeit mit den Verbänden, z.-B. ADFC, aber auch Unternehmen, Hochschulen oder Schulen anzustreben, um interessierte Radfahrende zu gewinnen. Weiterhin ist die Qualitätsprüfung auch durch regelmäßige Befahrungen des eigenen Personals, idealerweise mit dem Fahrrad, sinnvoll, was auch in Dienst- und Einsatzplänen Berücksichtigung finden muss. • Durchgehende Beleuchtung von Radwegeverbindungen: Wie u.a. die Umfrage bei den Radfahrenden deutlich gemacht hatte, ist neben winterlicher Witterung und schlechterer Befahrbarkeit bei winterlichen Fahrbahnzuständen auch die lange Dunkelheit während des Winters eine Ursache für die reduzierte Nutzung des Fahrrades. Obwohl Fahrräder zunehmend mit guter Beleuchtung ausgerüstet sind, werden Radwegeverbindungen, die nicht beleuchtet sind, von vielen Radfahrenden auch aus Gründen eines mangelnden subjektiven Sicherheitsempfindens bei Dunkelheit gemieden. Daher wird empfohlen, hochrangige Radwegeverbindungen außerhalb der geschlossenen Ortslage mit einer ortsfesten Beleuchtung auszurüsten. Die hierfür notwendigen Investitionen sind vor allem dann sinnvoll, wenn nur kurze Abschnitte auszustatten sind, z. B. zwischen zwei Ortsteilen, die außerorts verlaufen und nicht beleuchtet sind, die Radwegeverbindung aber ansonsten innerörtlich geführt wird. Um den Aspekten des Naturschutzes Rechnung zu tragen, 354 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Förderung des Radverkehrs im Winter durch optimierten Winterdienst sind hierfür innovative Lösungen, bei denen die Beleuchtung bedarfsabhängig nur im Umfeld des Radfahrenden eingeschaltet ist, möglich. • Berücksichtigung ausreichender Flächen für Winterdienst und Schneeablagerung: Es wird empfohlen, bei der Weiterentwicklung des technischen Regelwerks, insbesondere den Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt), bei der Definition von Regelquerschnitten neben Radwegen, Radfahrstreifen und Schutzstreifen ausreichende Flächen für die Ablagerung des geräumten Schnees vorzusehen. Auch bei der Dimensionierung von Radverkehrsflächen in Knotenpunktbereichen ist die Befahrbarkeit mit Winterdienstfahrzeugen zu beachten. • Ausweisung von Winterradnetzen mit einem Piktogramm: Um den Bekanntheitsgrad der Winterradnetze bei den Radfahrenden zu steigern, wird empfohlen, diese Radwegeverbindungen mit einem Piktogramm auszuschildern. Dieses Piktogramm kann neben der Zielangabe angebracht werden. Die Ausstattung vorhandener Wegweiser kann einfach mit nachträglich angebrachten Aufklebern erfolgen. Die Ausschilderung sollte jedoch nur dann erfolgen, wenn die Routen auch tatsächlich zuverlässig im Winterdienst betreut werden. Eine ergänzende Informationskampagne zur Ausschilderung wird empfohlen. Abb. 4: Piktogramm zur Beschilderung von Strecken in einem Winterradnetz (links) und beispielhafte Darstellung des Piktogramms für das Winterradnetz neben der Zielangabe (rechts) • Echtzeit-Informationen zur Befahrbarkeit von Radwegeverbindungen: Für die Entscheidung, bei winterlicher Witterung mit dem Fahrrad zu fahren, ist die Einschätzung der Befahrbarkeit der Radwegeverbindungen von großer Bedeutung. Hierfür können Echtzeit-Informationen über durchgeführte Winterdiensteinsätze verbunden mit Informationen zur Witterung hilfreich sein. Daher wird empfohlen, eine entsprechende App für Internet und Smartphone zu entwickeln, die auf vorliegende Daten von Winterdienstbetreibern und Straßenwetterstationen zurückgreift. Voraussetzungen hierfür sind die automatisierte Einsatzdatenerfassung in den Winterdienstfahrzeugen sowie Straßenwetterstationen. Diese sollten zumindest teilweise auch Sensoren auf separat geführten Radwegen haben, eine Übertragung von in der Fahrbahn gemessenen Parametern ist aber eingeschränkt möglich. Die Anwendung ist baulastträgerübergreifend zu konzipieren und sollte alle Radwegeverbindungen einer Region abbilden. Alternativ können diese Funktionalitäten auch in bestehende Apps für die Radtourenplanung integriert werden. • Freihalten der Radwege von temporären Hindernissen: Die durchgehende Befahrung von Radwegeverbindungen mit Winterdienstfahrzeugen wird in einzelnen Kommunen durch temporäre Hindernisse erschwert. Dies können zum einen E-Scooter sein, die durch die Nutzer verkehrsbehindernd auf Radwegen abgestellt werden. Sollte dies häufig auftreten, werden saisonale Abstellverbote für E-Scooter empfohlen, die durch die digitale Definition von Sperrflächen umgesetzt werden können. Zum anderen können dies auch Abfall- oder Wertstoffsammelbehälter sein, die für die Abholung am Straßenrand auf Radwegen bereitgestellt werden. Tritt dies vermehrt auf, sind in Abstimmung mit Ab-fallentsorgungsbetrieben und Anwohnern alternative Stellplätze zu definieren. Generell wird empfohlen, die Umsetzung der vorgenannten Maßnahmen mit Informationskampagnen zu begleiten. Hierfür eignen sich sowohl klassische Printmedien und Informationsstände als auch Online-Formate und soziale Medien. Neben den während der Wintersaison aktiven Radfahrenden sollten hierbei gezielt auch Radfahrende, die nur außerhalb der Wintermonate das Fahrrad regelmäßig nutzen, als Zielgruppe angesprochen werden. Die konsequente Umsetzung der empfohlenen Maßnahmen in Kombination mit der Information der Radfahrenden hierüber können den Radverkehrsanteil im Winter nachhaltig steigern. Wie die Nutzen-Kosten-Analysen deutlich gemacht haben, sind die hiermit verbundenen Kosten im Vergleich zum Nutzen durch gesteigerte Sicherheit und verbesserte Befahrbarkeit der Radwegeverbindungen verbunden mit einer Steigerung des Radverkehrsanteils im Winter insgesamt nur gering.
