Kolloquium Straßenbau in der Praxis
kstr
expert Verlag Tübingen
21
2023
31
Netzkategorisierung für den Radverkehr in Baden-Württemberg nach den Richtlinien für integrierte Netzgestaltung (RIN)
21
2023
Yannik Wohnsdorf
Um den Ausbaubedarf der Radinfrastruktur für das Land Baden-Württemberg systematisch zu erfassen, wurde im Rahmen eines Forschungsprojekts eine Konzeption für ein landesweites Radverkehrswegenetz erstellt. Die Konzeption wurde nach den Vorgaben der Richtlinien für die integrierte Netzgestaltung (RIN) entwickelt. Dabei werden die in den Landesentwicklungsplänen festgelegten, zentralen Orte miteinander verbunden. Bei anderen Verkehrsmodi (ÖV, MIV) ist dieser Ansatz üblich. Im Radverkehr wurde dieser bisher kaum verfolgt, was zu den heute vorhandenen Unzulänglichkeiten führt. Im Rahmen des Forschungsprojekts wurde die Vorgehensweise nach den RIN für den Anwendungsfall einer landesweiten Konzeption für ein Radverkehrsnetz konkretisiert und angewendet.
kstr310355
3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 355 Netzkategorisierung für den Radverkehr in Baden-Württemberg nach den Richtlinien für integrierte Netzgestaltung (RIN) Yannik Wohnsdorf, M. Sc. Universität Stuttgart, Lehrstuhl für Verkehrsplanung und Verkehrsleittechnik Zusammenfassung Um den Ausbaubedarf der Radinfrastruktur für das Land Baden-Württemberg systematisch zu erfassen, wurde im Rahmen eines Forschungsprojekts eine Konzeption für ein landesweites Radverkehrswegenetz erstellt. Die Konzeption wurde nach den Vorgaben der Richtlinien für die integrierte Netzgestaltung (RIN) entwickelt. Dabei werden die in den Landesentwicklungsplänen festgelegten, zentralen Orte miteinander verbunden. Bei anderen Verkehrsmodi (ÖV, MIV) ist dieser Ansatz üblich. Im Radverkehr wurde dieser bisher kaum verfolgt, was zu den heute vorhandenen Unzulänglichkeiten führt. Im Rahmen des Forschungsprojekts wurde die Vorgehensweise nach den RIN für den Anwendungsfall einer landesweiten Konzeption für ein Radverkehrsnetz konkretisiert und angewendet. 1. Einführung Das Land Baden-Württemberg will zur Pionierregion für nachhaltige Mobilität werden und hat sich unter anderem zum Ziel gesetzt, den Anteil des Radverkehrs an allen Wegen bis 2030 um 20 - % zu erhöhen. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden im Rahmen der RadSTRATEGIE BW verschiedene Handlungsfelder aufgezeigt. Eines davon ist die Verbesserung des Verkehrsangebots durch den Ausbau der Radinfrastruktur. [1] Einige Planungen des Landes Baden-Württemberg hierzu sind bereits in einem fortgeschrittenen Stadium. Was fehlt, ist eine übergeordnete Konzeption, die einerseits die vorhandenen Planungen in sich vereint und andererseits auch die Ableitung zusätzlich notwendiger Maßnahmen ermöglicht. Eine solche Konzeption dient bestenfalls auch der Begründung von Maßnahmen im Radverkehr sowie deren Priorisierung. 2. Arbeitsschritte der Netzplanung Im Folgenden werden die einzelnen Arbeitsschritte der Netzplanung in abgekürzter Form vorgestellt. Eine ausführliche Beschreibung der Methode und der Ergebnisse ist in der Zeitschrift „Straßenverkehrstechnik“ des Kirschbaum-Verlags für 2023 geplant. 2.1 Netzkonzeptionelle Überlegungen Zu Beginn der Netzplanung stehen die netzkonzeptionellen Überlegungen, bei denen festgelegt wird, welche Quellen und Ziele in Baden-Württemberg für die zu erstellende Netzkonzeption betrachtet werden sollen und welche Verbindungen zwischen diesen relevant sind. Entsprechend den Vorgaben der RIN [2] werden als Quellen und Ziele die zentralen Orte, genauer die Ober-, Mittel- und Unterzentren aus dem Landesentwicklungsplan übernommen. Für Baden-Württemberg werden ca. 5.700 Relationen zwischen den zentralen Orten auf verschiedenen Stufen, je nach Bedeutung des zentralen Orts, betrachtet. Die folgende Abb. 1 zeigt die zentralen Orte in Baden-Württemberg sowie beispielhaft die Verbindungsfunktionsstufe II zum nächstbenachbarten Zentrum. Abb. 1: Zentrale Orte und Verbindungsfunktionen der Stufe II zum nächsten Nachbarn in Baden-Württemberg (Hintergrundkarte: © OpenStreetMap-Mitwirkende). Bei dem Verfahren nach den Vorgaben der RIN handelt es sich um eine angebotsorientierte Netzplanung, die sich zusätzlich am Prinzip gleichwertiger Lebensverhältnisse und der Daseinsvorsorge orientiert. Auf diese Weise geplante Netze ermöglichen eine Erhöhung des Radverkehrsanteils in der Fläche statt nur in den Ballungsräumen, wo die Nachfrage entsprechend höher ist. 2.2 Verkehrswegenetzmodell Darüber hinaus wird ein Netzmodell benötigt, das einerseits alle heute vorhandenen Verkehrswege und andererseits auch die zukünftig geplanten Verkehrswegen für den Radverkehr enthält. Dazu wurden mehrere Daten- 356 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Netzkategorisierung für den Radverkehr in Baden-Württemberg nach den Richtlinien für integrierte Netzgestaltung (RIN) quellen miteinander verknüpft, um eine integrierte Betrachtung zu ermöglichen. Das Netzmodell muss routingfähig sein, sodass Routen auf den Relationen zwischen den zentralen Orten im Netz gefunden werden können. 2.3 Auswahl der Routen Aus der Gesamtheit der Verkehrswege im Netzmodell werden dann diejenigen Verkehrswege ausgewählt, die eine Verbindungsbedeutung entsprechend der netzkonzeptionellen Überlegungen haben. Dies geschieht über eine Routenwahl, bei der für jede Relation mit Verbindungsfunktion eine Route gesucht wird. Die Menge dieser Routen ergibt ein kategorisiertes Netz, in dem jedem Abschnitt eine Verbindungsbedeutung zukommt. Aus Landessicht wird eine Minimierung der Netzlänge und damit der Kosten für Bau und Unterhalt angestrebt. Außerdem sollen die vorhandenen Planungen des Landes miteinbezogen werden, so dass keine parallele Konzeption zu diesen entsteht. Aus Nutzersicht soll das Netz möglichst direkte Verbindungen ermöglichen. Um diesen beiden Zielen gerecht zu werden, wird das Netz in einem iterativen Verfahren sukzessive aufgebaut. Ausgangspunkt bilden die heute vorhandenen Planungen, die schrittweise dort, wo Lückenschlüsse erforderlich sind, um Strecken aus den anderen Datenquellen ergänzt werden. Das Ergebnis des Verfahrens ist ein kategorisiertes Netz, das sich aus den unterschiedlichen verwendeten Datenquellen zusammensetzt, wie in der folgenden Abb. 2 zu erkennen ist. Abb. 2: Netzkonzeption für den Radverkehr in Baden- Württemberg (Hintergrundkarte: © OpenStreetMap-Mitwirkende). Im kategorisierten Netz kann ein Großteil der betrachteten Routen bei vertretbaren Umwegfaktoren auf Verkehrswegen geführt werden, die heute vorhandenen Planungen entstammen. 2.4 Ermittlung des Ausbaubedarfs Für die einzelnen Abschnitte des kategorisierten Netzes kann nun der Ausbaubedarf überprüft werden. Dieser kann abschließend in einem Bedarfsplan dargestellt und auf Grundlage der Eigenschaften der Verkehrswege priorisiert werden. 3. Fazit Die Vorgehensweise zur Netzkonzeption, wie sie in den RIN beschrieben wird, ist für den Radverkehr bisher selten verfolgt worden. Im Rahmen des Forschungsprojekts konnte sie für den Anwendungsfall eines landesweiten Radverkehrskonzepts zur systematischen Erfassung des Ausbaubedarfs erfolgreich angewendet werden. Mit der erarbeiteten Netzkonzeption ist das Land Baden-Württemberg nun in der Lage, das Radverkehrsangebot transparent, zielgerichtet und landesweit zu entwickeln. Literatur [1] Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden- Württemberg (Hg.): RADSTRATEGIE BADEN- WÜRTTEMBERG. Stuttgart: 2016 [2] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (Hg.): Richtlinien für integrierte Netzgestaltung (RIN). Köln: 2008