eJournals Kolloquium Straßenbau in der Praxis 4/1

Kolloquium Straßenbau in der Praxis
kstr
expert Verlag Tübingen
0217
2025
41

Bewertung von Nachhaltigkeit im Tief- und Infrastrukturbau

0217
2025
Markus Kelzenberg
Theda Witte
Mauritz Schröder
Die Bewertung der Nachhaltigkeit von Hochbauprojekten über eine Zertifizierung ist bereits weit verbreitet. Auch für Infrastrukturprojekte gibt es international schon eine Vielzahl von Bewertungssystemen. Für Verkehrsinfrastrukturen und speziell den Straßenbau besteht im nationalen Kontext jedoch kein System, das breit angewendet wird. Allerdings finden sich bereits viele Aspekte des nachhaltigen Bauens in etablierten Planungsverfahren wieder. Im Folgenden wird die Notwendigkeit zur Erstellung eines solchen Bewertungssystems erläutert und bestehende Bewertungssysteme angeführt. Im Hauptteil wird der Stand des aktuellen Zertifizierungssystem der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) für Verkehrsinfrastrukturen vorgestellt. Damit können Streckenabschnitte des Verkehrswegebaus bewertet werden. Abschließend werden die Ergebnisse evaluiert und im Rahmen eines Ausblicks anstehende Maßnahmen und Handlungsbedarfe erläutert.
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4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 165 Bewertung von Nachhaltigkeit im Tief- und Infrastrukturbau Entwicklung eines Zertifizierungssystems für Infrastrukturprojekte auf der Grundlage des DGNB-Systems Dipl. Ing. (FH) Markus Kelzenberg Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, DGNB GmbH Theda Witte, M. Sc. Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, DGNB GmbH Mauritz Schröder, M. Sc Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, DGNB GmbH Zusammenfassung Die Bewertung der Nachhaltigkeit von Hochbauprojekten über eine Zertifizierung ist bereits weit verbreitet. Auch für Infrastrukturprojekte gibt es international schon eine Vielzahl von Bewertungssystemen. Für Verkehrsinfrastrukturen und speziell den Straßenbau besteht im nationalen Kontext jedoch kein System, das breit angewendet wird. Allerdings finden sich bereits viele Aspekte des nachhaltigen Bauens in etablierten Planungsverfahren wieder. Im Folgenden wird die Notwendigkeit zur Erstellung eines solchen Bewertungssystems erläutert und bestehende Bewertungssysteme angeführt. Im Hauptteil wird der Stand des aktuellen Zertifizierungssystem der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) für Verkehrsinfrastrukturen vorgestellt. Damit können Streckenabschnitte des Verkehrswegebaus bewertet werden. Abschließend werden die Ergebnisse evaluiert und im Rahmen eines Ausblicks anstehende Maßnahmen und Handlungsbedarfe erläutert. 1. Einführung Der Bausektor ist wie der Verkehrssektor für einen Großteil der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Beide Sektoren bilden zentrale Bausteine beim Erreichen des Ziels, bis 2045 klimaneutral zu sein. Dem Bau von Verkehrsinfrastrukturen kommt somit als Schnittstelle dieser beiden Sektoren eine besondere Bedeutung zu. Neben dem Ziel der Klimaneutralität nach dem Pariser Klimaabkommen sind bereits jetzt die Anforderungen der EU- Taxonomie zu beachten, mit denen die Nachhaltigkeit von Wirtschaftsaktivitäten nachgewiesen werden [1,3]. Für den Hochbau existieren Zertifizierungssysteme, die seit vielen Jahren und in breiter Anwendung genutzt werden. Auch für Verkehrsinfrastrukturen wurden bereits einige Systeme (siehe Kap. 2.3) entwickelt, jedoch sind diese weitaus weniger verbreitet und häufig nicht auf die spezifische Nachhaltigkeitsbewertung von Verkehrsinfrastrukturen angepasst oder bewerten nur einzelne Nachhaltigkeitsbereiche. 2. Nachhaltigkeit und Bewertungssysteme 2.1 Nachhaltigkeit im Verkehrsinfrastrukturbau Die Gründe für mehr Nachhaltigkeit im Verkehrsinfrastrukturbau sind vielfältig. Wie in der Einführung thematisiert, ist zum Erreichen der Klimaziele die Reduktion von (THG)-Emissionen in diesem Wirtschaftssektor von besonderer Bedeutung. Darüber hinaus ist es nur durch eine lebenszyklusorientierte Betrachtung der Bauwerke möglich, eine Infrastruktur zu planen und umzusetzen, deren Lebensdauer optimiert ist und die an die heutigen und zukünftigen Bedürfnisse der Verkehrsteilnehmer angepasst ist. Hierfür existieren bereits in den bestehenden Planungsprozessen von Infrastrukturbauwerken vielfältige Verfahren und gesetzliche Anforderungen, mit denen Nachhaltigkeitsaspekte betrachtet und umgesetzt werden. So bewertet der Bundesverkehrswegeplan (BVWP) neue Projekte auf der Grundlage einer Kosten-Nutzen-Analyse [2]. Im Rahmen einer strategischen Umweltprüfung nach dem Umweltverträglichkeitsprüfgesetz (UVPG) werden ökologische Schutzgüter betrachtet und nicht monetarisierbare Aspekte bewertet. Auch soziale Aspekte wie eine Öffentlichkeitsbeteiligung sind bereits durch das Baurecht gesetzlich vorgeschrieben. 2.2 Zertifizierung der Nachhaltigkeit Wenn also schon umfassende Nachhaltigkeitsaspekte in den bestehenden Planungsprozessen integriert sind, muss auf die Fragestellung eingegangen werden, warum die Entwicklung eines entsprechenden Bewertungs- und Zertifizierungssystem erforderlich ist. Hier ist zu berücksichtigen, dass die gesetzlichen Anforderungen vordergründig in die Phase der Trassenfindung und in den frühen Planungsphasen einzuordnen sind. Von größerer Relevanz ist jedoch, dass nur durch eine separate Betrachtung 166 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Bewertung von Nachhaltigkeit im Tief- und Infrastrukturbau der Nachhaltigkeitsaspekte in einer eigenständigen Nachhaltigkeitsbilanzierung das Aufdecken von Zielkonflikten zwischen den bewerteten Kriterien ermöglicht wird [8]. Das Ziel der Entwicklung eines Systems zur Zertifizierung von Verkehrsinfrastrukturen ist die Optimierung von Nachhaltigkeitsaspekten. Im Mittelpunkt steht dabei die ganzheitliche und den gesamten Lebenszyklus eines Streckenabschnitts umfassende Betrachtung. Das System soll als Werkzeugt und als Entscheidungshilfe im gesamten Planungsprozess genutzt werden. Dadurch lässt sich das nachhaltige Bauen auch im Bereich der Verkehrsinfrastruktur gemeinschaftlich von den Baufirmen (Auftragnehmer) und der öffentlichen Verwaltung (Auftraggeber) in die Praxis überführen. Für die praktische Anwendung und zur Vermeidung von Mehraufwand ist es von Bedeutung, dass bereits bestehende Prozesse und Anforderungen aufgegriffen und in das Zertifizierungssystem eingebunden werden. 2.3 Internationale Bewertungssysteme Es bestehen zahlreiche Bewertungssysteme für die Nachhaltigkeitsbetrachtung des Infrastrukturbaus, welche im Vergleich zu den Systemen für den Hochbau spät entwickelt und in ihrer Anwendung deutlich schwächer vertreten sind. Im Folgenden werden einige bereits bestehende Systeme plakativ aufgeführt, wobei hierüber hinaus weitere Systeme auf dem Markt sind, auf die in diesem Rahmen jedoch nicht eingegangen wird. Die beiden größten Systeme stammen mit Envision [4] und BREEAM Infrastructure [5] aus dem englischsprachigen Raum. Beide Systeme sind sehr breit aufgestellt, sodass neben Straßen, Brücken und Tunnel auch weitere Infrastrukturen wie Wasserversorgung usw. bewertet werden können. Dadurch sind die Anforderungen auf Kriterien- und Indikatorenebene nur sehr allgemein gehalten. Im deutschsprachigen Raum ist das Schweizer System NISTRA (Nachhaltigkeitsindikatoren für Straßeninfrastrukturprojekte) zu nennen, das auf einer erweiterten Kosten-Nutzen-Analyse beruht, in der möglichst alle Aspekte monetarisiert werden und somit nicht wie die vorangehend beschriebenen Systeme auf einer gewichteten Punktzahl aus den einzelnen Kriterien aufgebaut ist [6]. In Deutschland wurden von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) mehrere Forschungsprojekte durchgeführt, in denen vordergründig die Bewertung von Brückenbauwerken nach Nachhaltigkeitskriterien untersucht wurde [7]. Das Ergebnis der Forschungsprojekte ist ein anwendbares Bewertungssystem, das vom Auf bau den gleichen Ursprung wie das etablierte DGNB System aufweist, jedoch nie in die breite Anwendung gekommen ist. 3. DGNB System für Verkehrsinfrastrukturen 3.1 Stand der Entwicklung Mit einem System für die Nachhaltigkeitsbewertung von Verkehrsinfrastrukturen möchte die DGNB ein Instrument für Bauunternehmen und die öffentliche Verwaltung schaffen, das bei einer nachhaltigen Umsetzung unterstützt. Bereits 2021 wurde mit dem Aufstellen von Nachhaltigkeitskriterien begonnen. Parallel zu der Entwicklung des neuen Systems wurde ein erstes Pilotprojekt durchgeführt. Hierbei wurde der sechsstreifige Ausbau der Bundesautobahn A6 bewertet. Zudem wurden neben den Verkehrsflächen unter anderem alle Ingenieurbauwerke des Streckenabschnitts, Ausstattung, Grünflächen und Rast und Parkplätze betrachtet. Die Erkenntnisse wurden gesammelt und werden aktuell für die Weiterentwicklung und Anpassung der aufgestellten Kriterien und Indikatoren genutzt [11]. Auf dieser Grundlage soll 2025 eine weitere Pilotphase folgen, in der die Anforderungen und Nachweisführungen verifiziert werden sollen. In dem aktuellen Stand des Systems werden auch Kriterien bewertet, die durch das Baurecht bzw. übergeordnete Planung von der Auftraggeber- und Auftragnehmer Seite nur schwer zu beeinflussen sind (z. B. SOC2.3 Integration in die Umgebung). Grundsätzlich sollen auch diese Kriterien in das System eingebunden werden, um eine umfangreiche Nachhaltigkeitsbewertung des Projekts zu erreichen. Der Umgang mit diesen Kriterien u. a. im Hinblick auf die Gewichtung und Nachweisführung ist im Verlauf der Pilotphase unter weiterem Praxisbezug zu erörtern. Die Kriterien in Kap. 3.3 stellen den aktuellen Stand des Systems dar, können jedoch im Verlauf der weiteren Bearbeitung angepasst werden. 3.2 Aufbau des Systems Das in der Entwicklung befindliche Zertifizierungssystem für Verkehrsinfrastrukturen der DGNB baut auf dem im Hochbau bereits etablierten Ansatz einer ganzheitlichen und lebenszyklusorientierten Betrachtung auf Grundlage der drei Nachhaltigkeitsdimensionen auf. Erweitert werden diese drei Dimensionen „Ökologie“, „Ökonomie“ und „Soziales“ durch die zwei Querschnittsthemen „Technische Qualität“ und „Prozessqualität“. Im Vergleich zu dem aktuellen Zertifizierungssystem für den Hochbau [9] wird das dritte Querschnittsthema „Standort“ wie auch in dem bereits etablierten System für die Quartierszertifizierung [10] nicht betrachtet. In den fünf betrachteten Qualitäten der Nachhaltigkeit gehen die drei Säulen Ökologie, Ökonomie und Soziales mit einer Gewichtung von 25 %, die Technische- und die Prozessqualität mit jeweils 12,5 % in das Gesamtergebnis ein, das über die Auszeichnungen Silber, Gold, Platin eingestuft wird. In den einzelnen Qualitäten werden jeweils mehrere Kriterien betrachtet, in denen wiederum Indikatoren mit Punkten (Checklistenpunkte) bewertet werden. In jedem Kriterium können 100 Punke erreicht werden, wobei durch eine unterschiedliche Gewichtung der einzelnen Kriterien in den Qualitäten nicht jedes Kriterium gleichwertig in eine Gesamtbewertung einfließt, sondern die Bedeutung für das Gesamtergebnis einbezogen wird. Neben den Indikatoren werden in einigen Kriterien Mindestanforderungen gestellt, die erforderlich sind, um eine bestimmte Auszeichnungsstufe zu erhalten. Zudem besteht die Möglichkeit, über Boni (z. B. Circular Economy Bonus) zusätzliche Punkte über den eigentlichen Umfang des Kriteriums hinaus zu erreichen. Insgesamt werden 18 Kriterien für die Nachhaltigkeitsbewertung 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 167 Bewertung von Nachhaltigkeit im Tief- und Infrastrukturbau herangezogen (siehe Abbildung 1). Die Anforderungen aus der EU-Taxonomie werden mit dem System abgeglichen, sodass eine Verifikation der Taxonomiekonformität mit dem System abgedeckt werden kann. Das Zertifizierungssystem bietet aktuell die Möglichkeit, Streckenabschnitte einer Straße zu bewerten. Hierbei wird in die Nutzungsprofile „Innerorts“ und „Außerorts“ unterschieden, wobei auch die Betrachtung von innerhalb des Streckenabschnitts liegenden Brücken und weiteren Bauwerken erfolgt. Abb. 1: Kriterienbezeichnung und Zuordnung nach Themenfeld 3.3 Ökologische Qualität Das Kriterium der ökologischen Qualität ENV1.1 „Ökobilanz“ bewertet das Ergebnis einer nach den vorgegebenen Konventionen erstellten Ökobilanz. Zusätzlich wird anerkannt, wenn Ökobilanzergebnisse früh in der Planung eingesetzt und Variantenvergleiche auf der Grundlage von Ökobilanzbetrachtungen durchgeführt und genutzt werden. Im Rahmen eines Agenda 2030 Bonus wird honoriert, wenn die Verkehrsinfrastruktur durch den Einsatz moderner Techniken Treibhausgasemissionen kompensiert. Das Kriterium ENV1.3 „Verantwortungsbewusste Ressourcengewinnung“ verfolgt das Ziel der Gewinnung und Nutzung von Rohstoffen unter ökologischen und sozialen Aspekten. Bewertet wird der Anteil der Wiederverwendung von Abbruchabfällen sowie der Recyclinganteil bei Verkehrsflächen. Nach den Vorgaben der EU-Taxonomie wird mit dem Indikator Lokalität hierbei auch die erforderliche Transportstrecke für die Erschließung von eingesetztem Recyclingmaterial bewertet. Auch die Qualität der Baustoffe in Bezug auf enthaltene Schad- und Risikostoffe wird in diesem Kriterium betrachtet, sodass die Verwendung alternativer Produkte ohne Umweltschadstoffe honoriert wird. Mit dem Kriterium ENV2.2 „Wasserkreislaufsysteme“ werden alle Aspekte eines Projektes betrachtet, die sich mit der Ressource Wasser und dem Erhalt eines natürlichen Wasserkreislaufs ergeben. Bewertet wird zum einen der Wasserverbrauch und die Steuerung über ein Wassernutzungskonzept, zum anderen der Umgang mit Niederschlagswasser, Abwasserbehandlung und der Erhalt von Oberflächen- und Grundwasser. Um die Inanspruchnahme von natürlichen und schützenswerten Flächen für bauliche Nutzungen zu verringern, wird in Kriterium ENV2.3 „Flächeninanspruchnahme“ die die Neuversiegelung durch die Verkehrsinfrastruktur quantifiziert (Flächenbilanz) und die Umwandlung der vorherigen Flächenart (nutzungsbezogener Neuversiegelungsgrad) bilanziert. Zusätzlich wird die Rekultivierung vorübergehend in Anspruch genommener Flächen bewertet und der Ausgleich von im Rahmen der Maßnahme versiegelter Flächen außerhalb des Baubereichs honoriert. Das Kriterium ENV2.4 „Biodiversität“ bewertet Maßnahmen, die zur Erhaltung und Schaffung neuer Lebensräume für Flora und Fauna dienen, sodass die biologische Vielfalt im lokalen Kontext gefördert wird. Ein zentraler Aspekt im Kriterium ist die Erstellung einer Biodiversitätsstrategie sowie die Umsetzung der herausgearbeiteten Maßnahmen. Positiv bewertet wird, wenn im Rahmen der Bau- und Ausgleichsmaßnahmen invasive Pflanzen bekämpft und heimische Arten gefördert werden. Außerdem wird der Biotopflächenfaktor über ein zur Verfügung gestelltes Tool berechnet. Über die Erstellung von Konzepten zur Reduktion negativer Einflüsse auf die Fauna (z. B. artenschutzgerechte Beleuchtung) und die Sicherstellung eines Entwicklungs- und Unterhaltungspflege- Vertrags wird bewirkt, dass auch während der Nutzungsphase der Infrastruktur die Maßnahmen weiterhin Bestand haben und negative Einflüsse reduziert werden. 3.4 Ökonomische Qualität Die Wirtschaftlichkeit von Verkehrsinfrastrukturen kann durch die langfristige Kostenbetrachtung über eine nach vorgegebenen Konventionen erstellte Lebenszykluskostenberechnung nach dem Kriterium ECO 1.1 „Lebenszykluskosten“ bewertet werden. Je regelmäßiger und früher in der Planung Lebenszykluskostenberechnungen durchgeführt und an die Planungsbeteiligten kommuniziert werden, desto größer ist die Chance, langfristig wirtschaftlich optimierte Lösungen zu erhalten. Bewertet wird, ob eine regelmäßige Überprüfung der Lebenszykluskosten des jeweiligen Planungsstandes sowie die Analyse von Planungsvarianten erfolgt. Zusätzlich wird ho- 168 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Bewertung von Nachhaltigkeit im Tief- und Infrastrukturbau noriert, wenn eine Betriebskostenoptimierung durch die Optimierung der Lebenszykluskosten untersucht wird. Ein weiteres Kriterium der ökonomischen Qualität stellt ECO2.1 „Resilienz und Ausbaufähigkeit“ dar, mit dem Ziel, eine sich mit wandelnden Anforderungen flexibel anzupassende und gegen Umwelteinflüsse widerstandsfähige Infrastruktur zu schaffen. Honoriert wird, wenn ein übergeordneter Klimaanpassungsplan besteht sowie Maßnahmen zur Verbesserung des Kleinklimas durchgeführt werden. Die Anpassungsfähigkeit wird über vorhandene Lastreserven, Verstärkungsmöglichkeiten und die Erweiterungsfähigkeit bewertet. Die gewählte Konstruktion wird in Bezug auf die Widerstandsfähigkeit der Baustoffe sowie die Wartungsfreundlichkeit betrachtet. Ziel des Kriteriums ECO2.5 „Umweltrisiken“ ist es, die Nutzer und Anwohner der Verkehrsinfrastruktur vor den Auswirkungen von Naturkatastrophen zu schützen und die Resilienz der Verkehrsinfrastruktur zu erhöhen. In Abgrenzung zu dem vorangegangenen Kriterium ECO2.1 liegt der Schwerpunkt hier in der Erstellung einer Klimarisikoanalyse, in der die drei Umweltrisiken mit der höchsten Relevanz für den Standort analysiert werden. Bewertet wird auch, wie hieraus entsprechende Anpassungslösungen abgeleitet wurden und ob diese umgesetzt werden. 3.5 Soziokulturelle Qualität SOC1.9 „Emissionen / Immissionen“ ist das in der soziokulturellen Qualität am stärksten gewichtete Kriterium, mit dem das Ziel verfolgt wird, die negativen Auswirkungen von Lärm und Licht auf Menschen und Fauna zu reduzieren sowie saubere Luft zu gewährleisten. Über die vorhandenen gesetzlichen Immissionsregeln hinaus, sollten möglichst geringe Immissionen verursacht werden. Bewertet werden die Indikatoren Luftqualität, Straßenverkehrslärm und Maßnahmen zur Reduzierung der Lichtverschmutzung. Ein weiteres Kriterium der soziokulturellen Qualität ist SOC2.2 „Komfort“, in dem allen Verkehrsteilnehmern durch eine hochwertige Infrastruktur mit guten physikalischen Eigenschaften eine sichere und komfortable Nutzung ermöglicht werden soll. Bewertete Sicherheitsaspekte sind u. a. geplante Maßnahmen zur Gefahrenminimierung beim Eintritt von Witterungseinflüssen (Schnee, Glatteis, Starkregen, Windeffekte) und Störanfällen sowie eine Trennung der Verkehrsteilnehmer unterschiedlicher Mobilitätsformen. Der Streckenkomfort soll über ein Checklistensystem bewertet werden, in dem besondere Maßnahmen für die Erhöhung des Nutzungskomforts honoriert werden. Mit dem Kriterium SOC2.3 „Integration in die Umgebung“ soll die Einbindung der Verkehrsinfrastruktur in die Umgebung und die Verhinderung der Fragmentierung der natürlichen Landschaft erreicht werden. Es wird sowohl die Berücksichtigung landschaftlicher Aspekte als auch die Einbindung in den städtebaulichen Kontext und die übergeordnete Planung bewertet. Da diese Umsetzung dieser Indikatoren durch rechtliche Grundlagen vorgegeben ist, ist die Bewertung im Verlauf der anstehenden Pilotphase zu diskutieren. Dies gilt auch für die den Einschnitt in die Umgebung und die Landdefragmentierung durch die Infrastruktur, die über das Kriterium abgebildet werden soll. Zusätzlich wird durch das Kriterium auch die Erstellung eines gestalterischen Konzepts bewertet, in dem die Berücksichtigung des landschaftlichen Kontextes eingezogen werden soll. 3.6 Technische Qualität Die technische Qualität umfasst drei Kriterien, von denen TEC1.6 „Rückbau- und Recyclingfähigkeit“ am höchsten gewichtet ist. Ziel des Kriteriums ist der in hohem Maße sparsame Umgang mit natürlichen Ressourcen und deren effiziente Nutzung sowie eine verlustfreie Kreislaufführung von Stoffen durch eine hohe Wiederverwendungsqualität. Bewertet wird hierbei die Recyclingfreundlichkeit der Baustoffe, die Rückbaufreundlichkeit sowie die Planung des Verbrauchs von Ressourcen während des Lebenszyklus sowie die Überführung in den nächsten. Das Kriterium TEC2.4 „Smart Infrastructure“ behandelt innovative Verfahren, mit deren Einsatz die Einsparung von Ressourcen und Kosten sowie die Steigerung des Nutzerkomforts und eine allgemeine Optimierung des Betriebs erfolgen soll. Für die Bewertung der digitalen Steuerungsmöglichkeiten während der Betriebsphase einer Infrastruktur wird mit einer Checkliste gearbeitet, mit der der Einsatz von innovativen Maßnahmen bepunktet wird. Im Rahmen eines Agenda 2030 Bonus können zusätzliche Punkte erreicht werden, indem ein Teil der beanspruchten Fläche zur regenerativen Stromerzeugung genutzt wird sowie synergetische Effekte durch die gemeinsame Planung von Infrastrukturbauwerken geschaffen werden. Mit dem Kriterium TEC3.1 „Mobilitätsinfrastruktur“ wird die Zukunftsfähigkeit einer Infrastruktur in Bezug auf Anforderungen alternativer Antriebstechnologien sowie die Verknüpfung unterschiedlicher Mobilitätsformen betrachtet. Bewertet wird hierbei eine zu erstellende Mobilitätsmanagement-Strategie für Ladeinfrastruktur, die Erreichbarkeit und Förderung von Mobilitäts-Sharing- Angeboten und intermodalen Plattformen sowie die Erstellung eines allgemeinen Verkehrskonzept für Bau- und Instandhaltungsmaßnahmen sowie die Notfallvorsorge im Rahmen eines Sicherheitskonzepts. Das verfolgte Ziel liegt in der Steigerung des Nutzerkomforts durch eine nachhaltige Mobilitätsinfrastruktur und der Stärkung leistungsfähiger, bezahlbarer Mobilitätsangebote. 3.7 Prozessqualität Das Kriterium PRO1.2 „Integrale und modellorientierte Planung“ verfolgt das Ziel einer frühzeitigen Zusammenarbeit aller für das Projekt relevanten Fachdisziplinen auf einer modellorientierten Basis (BIM-Planungsmethodik). Bewertet wird, wie die Planung in Bezug auf die BIM-Planungsmethodik erfolgt, wobei eine Einteilung in Levels erfolgt und auf die Vorbereitung der Planung eingegangen wird. Zusätzlich wird eine Variantenuntersuchung sowie die Erstellung der Ökobilanz unter der Nutzung der BIM-Planungsmethodik honoriert. Auch die 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 169 Bewertung von Nachhaltigkeit im Tief- und Infrastrukturbau Erstellung eines Digitalen Zwillings für die Nutzungsphase wird über das Kriterium bewertet. Im Rahmen der Integralen Planung werden Anforderungen an das Planungsteam gestellt, die Planungsprozesse selbst sowie die Einbindung der DGNB-Kriterien in diese bewertet. Mit dem Kriterium PRO1.7 „Partizipation“ wird das im Infrastrukturbau besonders relevante Thema der frühzeitigen Beteiligung aller von der Planung betroffenen Personen behandelt. In der Bewertung wird zum einen differenziert, in welchen Teilen der Planung die Beteiligten beteiligt werden und zum anderen, in welchem Umfang die Beteiligung und das Maß der Einflussnahme besteht. Darüber hinaus wird der Beitrag der partizipativen Verfahren zur Entwicklung der Nachhaltigkeitsthemen aus den Themenfeldern des DGNB-Systems bewertet. Mit dem Kriterium PRO2.1 „Baustelle / Bauprozess“ wird die Bauphase und hierbei negative Auswirkungen auf die Umwelt betrachtet. Ein zentraler Aspekt ist, die Bauausführenden auf den Baustellen hinsichtlich relevanter Umweltthemen zu sensibilisieren und zu schulen. Bewertet wird die externe Kommunikation zu den Bürgern über Planungsänderungen und Bauablauf, sowie die interne Kommunikation für einen geregelten Projektablauf. Um die Auswirkungen auf die lokale Umwelt möglichst gering zu halten, wird bewertet, inwiefern Maßnahmen zur Reduktion von Lärm, von Staub, von negativen Einflüssen auf Boden und Grundwasser sowie von Abfall auf der Baustelle umgesetzt wurden und inwieweit die Bauausführenden vor Ort zu diesem Thema geschult wurden. Zusätzlich wird die Fahrzeugflotte bezüglich emissionsarmer Fahrzeuge betrachtet. Über einen Circular Economy Bonus können neuartige abfallvermeidende Konzepte, Bauweisen und Technologien zusätzlich belohnt werden. Das Kriterium PRO3.5 „Qualitätssicherung und Monitoring“ dient der frühzeitigen Integration der Nachhaltigkeitsaspekte in der Ausschreibungsphase, sodass alle Entscheidungen auf einer ganzheitlichen Betrachtung basieren. Zudem sollen durch die Zusammenstellung und Dokumentation, kontinuierliches Monitoring und Sicherheitsaudits die geplanten Eigenschaften in die Realität umgesetzt werden und die Qualität der Verkehrsinfrastruktur verbessern. Bewertet wird, in welchem Umfang die Nachhaltigkeitsaspekte in die Ausschreibung integriert wurden. Für eine nachhaltige Bewirtschaftung wird der Umfang der erstellten Wartungs-, Inspektions-, Betriebs- und Pflegeanleitungen betrachtet. Das Monitoring bewertet, welche Daten erfasst (Umweltereignisse, Kosten, Verkehr) und wie diese zum Erreichen eines kontinuierlichen Verbesserungsprozess genutzt werden. 4. Ausblick und Fazit Bewertungs- und Zertifizierungssysteme für Infrastrukturbauwerke können ein wichtiges Instrument für mehr Nachhaltigkeit darstellen und somit einen Beitrag zum Erreichen der Klimaziele im Bau- und Infrastruktursektor leisten. Das Interesse der Branche an einem entsprechenden System ist groß, sodass die Entwicklung und zeitnahe Fertigstellung eines funktionalen Systems von großer Bedeutung sind. Hierbei muss es das Ziel sein, ein anwendbares und praxisorientiertes Verfahren zu entwickeln, das sowohl bereits in der Planung als auch aus rechtlichen Vorgaben bestehende und etablierte Verfahren zur Steigerung der Nachhaltigkeit eines Bauprojekts aufgreift und einbezieht. Hierfür werden unter Betrachtung der vorgestellten Kriterien im Rahmen einer zweiten Pilotphase weitere Infrastrukturprojekte bewertet und die Anwendbarkeit des Systems verifiziert. Neben der Fertigstellung des hier thematisierten Zertifizierungssystems für Streckenabschnitte bestrebt die DGNB zukünftig auch eine Ausweitung des Betrachtungsumfangs auf weitere Bauwerke der Verkehrsinfrastruktur. Literatur [1] Bundesregierung Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie (10.08.2023). Online verfügbar unter: https: / / www.bundesregierung.de/ breg-de/ schwerpunkteder bundesregierung/ nachhaltigkeitspolitik/ deutsche-nachhaltigkeitsstrategie-318846, abgerufen am: 02.12.2024 [2] Bundesministerium für Digitales und Verkehr Bundesverkehrswegeplan (15.01.2024). Online verfügbar unter: https: / / bmdv.bund.de/ DE/ Themen/ Mobilitaet/ Infrastrukturplanung-Investitionen/ Bundesverkehrswegeplan-2030/ bundesverkehrswegeplan-2030.html, abgerufen am 02.12.2024 [3] European Commission. (2. Februar 2022) EU-Tax-o nomie: ergänzender delegierter Klima-Rechtsakt [Press release]. Brussels, Belgium. Online verfügbar unter: https: / / ec.europa.eu/ commission/ presscor ner/ detail/ de/ ip_22_711, abgerufen am: 02.12.2024 [4] Institute for Sustainable Infrastructure, Envision (2024), online verfügbar unter: https: / / sustainableinfrastructure.org/ envision/ about/ , abgerufen am 02.12.2024 [5] BREEAM Infrastructure (2024), online verfügbar unter: https: / / breeam.com/ breeam-infrastructure/ , abgerufen am 02.12.2024 [6] ASTRA - Bundesamt für Strassen Nachhaltigkeits - Indikatoren für STRAsseninfrastrukturprojekte (NISTRA). (2017). Online verfügbar unter: Nachhaltigkeits-Indikatoren für STRAsseninfrastrukturprojekte (NISTRA), abgerufen am 02.12.2024 [7] Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) Entwicklung einheitlicher Bewertungskriterien für Infrastrukturbauwerke im Hinblick auf Nachhaltigkeit, BASt-Bericht B 126 (2016), online abzurufen unter: https: / / www.bast.de/ DE/ Publikationen/ Berichte/ unterreihe-b/ 2016-2015/ b-125.html, abgerufen am 02.12.2024 [8] Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) Konzeptionelle Ansätze zur Nachhaltigkeitsbewertung im Lebenszyklus von Elementen der Straßeninfrastruktur, BASt-Bericht B 126 (2016), online abzurufen unter: https: / / www.bast.de/ DE/ Publikationen/ Berichte/ unterreihe-b/ 2016-2015/ b-126.html, abgerufen am 02.12.2024 170 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Bewertung von Nachhaltigkeit im Tief- und Infrastrukturbau [9] DGNB - Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e.V (2024), online verfügbar unter: https: / / www.dgnb.de/ de/ zertifizierung/ gebaeude, abgerufen am 02.12.2024 [10] DGNB - Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e.V (2024), online verfügbar unter: https: / / www.dgnb.de/ de/ zertifizierung/ quartiere, abgerufen am 02.12.2024 [11] DGNB - Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e.V (2024), online verfügbar unter: https: / / www.dgnb.de/ de/ zertifizierung/ das-wichtigste-zurdgnb-zertifizierung/ systementwicklung-bei-derdgnb, abgerufen am 02.12.2024