Kolloquium Straßenbau in der Praxis
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expert Verlag Tübingen
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2025
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Pilotprojekt: 100 % Recycling für verkehrsschwache Straßen
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Christiane Raab
Manfred N. Partl
Philip Bürgisser
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4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 223 Pilotprojekt: 100 % Recycling für verkehrsschwache Straßen Christiane Raab Empa, Beton und Asphalt, Dübendorf, Schweiz Manfred N. Partl Partl Road Research Consulting - PaRRC, Oeschgen, Schweiz Philip Bürgisser Tiefbauamt Basel-Landschaft, Kantonsstrassen, Liestal, Schweiz Einleitung Stetige Verkehrszunahme und- zunehmende Umweltverschmutzung machen umweltfreundlichere Straßenbautechniken und die Schonung natürlicher Ressourcen erforderlich. In diesem Zusammenhang spielt das Kaltrecycling eine wichtige Rolle, da es zum einen eine drastische Reduzierung der CO 2 -Emissionen erlaubt und zum anderen eine Vielzahl von Möglichkeiten für hohe Recyclinganteile bietet. Dies auch im Hinblick auf den Umstand, dass der Anteil an zu lagerndem Ausbauasphalt (Reclaimend Asphalt Pavement: RAP) weiterhin stark wächst, insbesondere in Regionen mit hochwertiger Infrastruktur, dichter Besiedlung und stark befahrenen regionalen Straßennetzen. Dort übersteigt der Bedarf an Sanierungen jenen an Neubau bei weitem, was die lokalen Behörden u.a. hinsichtlich begrenzter Lagerplätze von RAP vor große Herausforderungen stellt. Eine dieser Regionen ist das Oberrheingebiet, das Teile Deutschlands, Frankreichs und der Schweiz im Dreiländereck zwischen den Städten Karlsruhe, Straßburg und Basel umfasst. Heutzutage wird RAP sowohl in Heißals auch in Niedertemperatur-Asphaltmischungen wiederverwendet, indem neues Material hinzugefügt wird, entweder als einzelne Materialkomponenten oder in bestimmten Prozentsätzen als neue Asphaltmischung (Hugener und Seeberger, 2015), (Aurangzeb et al., 2012). Beim Heißrecycling werden bitumenhaltige Bindemittel und/ oder Regenerierungsmittel zugegeben, während beim Niedertemperaturrecycling Emulsionen, Schaumbitumen und andere Komponenten verwendet werden (Zaumanis et al., 2013), (Cannone et al., 2019). Die Zugabe von neuem Material bedeutet jedoch, dass man nur einen bestimmten Prozentsatz des Ausbaumaterials verwenden und nie wirklich 100 % Recycling erreichen kann. Durch die Anwendung einer 100 %-Recyclingtechnologie für Straßen mit geringem Volumen unter Verwendung von Ausbauasphalt bei Umgebungstemperatur ohne Zugabe von neuem bitumenhaltigen Bindemittel oder anderen Komponenten kann die derzeitige Recyclingrate weiter erhöht werden. Dadurch werden erhebliche ökologische und ökonomische Vorteile für die Verwaltungen von kommunalen Straßen mit geringem Verkehrsaufkommen realisiert, die vielerorts, wie auch in der Oberrheinregion, etwa 50 % des Straßennetzes ausmachen. Die Erarbeitung eines Verfahrens zum Kaltrecycling von RAP ohne Bindemittelzusatz war das Ziel des Projekts ORRAP „Optimal Recycling of Reclaimed Asphalts for low-traffic Pavements“, das von EFRE - INTERREG V (3.1 ORRAP), dem Kanton Aargau und der Schweizerischen Eidgenossenschaft gefördert wurde (ORRAP, 2016-2020). Inspiriert von Erfahrungen in Schweden zielte dieses europäische Projekt konkret darauf ab, eine neue Strategie für den Einbau von 100 %-igem RAP bei Umgebungstemperatur (ca. 20 °C) ohne Zugabe von neuen bituminösen Bindemitteln oder Verjüngungsmitteln für Straßen mit geringem Verkehrsaufkommen zu entwickeln und zu erproben. Nach schwedischen Erfahrungen benötigen die bei Umgebungstemperatur hergestellten Tragschichten eine Nachverdichtung durch den Verkehr sowie eine Aushärtungszeit, um ihre Endfestigkeit zu erreichen. Deshalb wurden sie mindestens 6 Monate lang unbedeckt gelassen. Da dieser lange Nachverdichtungsprozess für die drei am ORRAP- Projekt beteiligten Länder keine praktikable Strategie darstellte, wurde die schwedische Recyclingtechnik überarbeitet und eine verbesserte Technik vorgeschlagen. Um eine homogenere Lastverteilung zu erreichen und Verkehrseinschränkungen zu vermeiden, wurde entschieden, bei der geplanten Teststrecke des Projektes die 100-prozentige Recyclingtragschicht direkt nach dem Einbau mit einer Deckschicht aus Heißasphalt zu überbauen. Das-Forschungsprojekt umfasst neben Laborexperimenten, den Einbau und das Monitoring einer Pilotstrecke im Kanton Basel-Landschaft. Methodik Das ORRAP-Forschungsprojekt beinhaltete eine umfassende Untersuchung der vorgeschlagenen 100 %-Recyclingtechnik für verkehrsschwache Straßen mit dem praktischen Ziel, einen technischen Leitfaden zu erstellen, der beschreibt, was bei der Herstellung, Verarbeitung, beim Einbau und der Qualitätskontrolle eines solchen Belags zu beachten ist. Das ORRAP-Projekt bestand aus verschiedenen unter den Projektpartnern aufgeteilten Arbeitspaketen, wobei der Schwerpunkt auf materialtechnologische Prüfungen im Labor und dem Einbau in Teststrecken lag. Die Materialuntersuchung umfasste eine genaue Analyse des Recyclingmaterials. Sie erfolgte vorwiegend an der Hochschule Karlsruhe und bei der Firma CEREMA (Centre d’études et d’expertise sur les risques, l’environnement, la mobilité et l’aménagement) in Strasbourg. Die 224 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Pilotprojekt: 100 % Recycling für verkehrsschwache Straßen weiteren Laboruntersuchungen waren in zwei Phasen unterteilt: In der ersten Phase wurden Laborversuche im kleinen Maßstab an der INSA (National Institute of Applied Sciences) in Strasbourg (Gaillard, et al., 2019) und an der Empa in Dübendorf durchgeführt, wobei es hier im Wesentlichen um die Möglichkeiten der Verdichtung im Labor ging (Raab et al., 2019). Die zweite Phase bestand aus einer Verkehrssimulation an der Empa im Labormaßstab, die die Verbindung zur Praxis herstellen sollte und darauf abzielte, durch Spurbildungstests und Überrollversuche an mittelgroßen plattenförmigen Prüfkörpern Erkenntnisse für den Einbau der Teststrecke zu gewinnen. Im vorliegenden Beitrag werden die an der Empa durchgeführten Laborversuche im kleinen und mittleren Maßstab darstellt und über Bau und Überwachung der Schweizer Teststrecke berichtet. Material Das Material für die Laboruntersuchungen wurde von den Partnern der verschiedenen Länder zur Verfügung gestellt, wobei jeweils ein Recyclingmaterial (RAP) aus jedem der 3 beteiligten Ländern im Labor untersucht wurde. Das Material wurde von bestehenden ungeschützten Freilanddeponien entnommen, auf die Größe von 0/ 16-mm gebrochen und in „Big-Bags“ zu den verschiedenen Labors transportiert. Die Entscheidung für RAP der Korngröße 0/ 16-mm wurde unter Berücksichtigung einer möglichst guten Verdichtbarkeit des Materials getroffen. Für die Teststrecke musste wegen der benötigten Schichtdicken allerdings auf RAP der Korngröße 0/ 22-mm zurückgegriffen werden. Vor der Laboruntersuchung wurde RAP 0/ 16 mm homogenisiert und mittels Riffelteiler, wie in der europäischen Norm (EN 932-1, 1996) beschrieben, portioniert. Für die Schweizer Teststrecke zwischen Wahlen und Büsserach im Kanton Basellandschaft wurde RAP 0/ 22-mm ohne weitere Vorbehandlung verwendet. Abbildung 1 zeigt die Korngrößenverteilung der im Labor untersuchten Recyclingmischungen 0/ 16 mm der 3- Länder (a) sowie die für die Teststrecke verwendete Recyclingmischung (0/ 22 mm). (a) (b) Abb. 1: Korngrößenverteilung: (a) Labormischgut aus Schweiz (CH), Frankreich (FR) und Deutschland (DE), (b) Mischgut Teststrecke (Schweiz) Zudem sind in Tabelle 1 die Kennwerte der Recyclingmischungen aufgeführt. Tab. 1: Kennwerte der Recyclingmischungen Kennwert RAP_0/ 16_DE RAP_0/ 16_CH RAP_0/ 16_FR RAP_0/ 22_CH Bindemittelgehalt [%] 4.5 4.7 4.5 4.0 Wassergehalt [%] 5.6 4.3 5.5 3.7 Dichte [t/ m 3 ] 2347 2371 2408 2387 Laboruntersuchungen an der Empa Die Laboruntersuchung an der Empa wurde in zwei Schritten durchgeführt: In einem ersten Schritt wurde die Verdichtbarkeit von kleinen Laborprobekörpern untersucht. Basierend auf diesen Ergebnissen erfolgte dann im zweiten Schritt die Verdichtung an mittelgroßen Probekörpern. Diese mittelgroßen Probekörper wurden für eine Untersuchung im Spurbildungstester mit großem Rad (Europäische Norm EN 12697- 22) und einem Labor-Verkehrssimulator im Maßstab 1: 3, dem so genannten Modell-Mobilen-Last- Simulator MMLS3, zur Bestimmung der Standfestigkeit und des Spurbildungsverhaltens verwendet. 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 225 Pilotprojekt: 100 % Recycling für verkehrsschwache Straßen Verdichtung kleiner Laborprobekörper Kleinmaßstäbliche Laborprobekörper wurden mittels Marshallhammer oder Gyrator verdichtet. Dabei wurde deutlich, dass für die Herstellung stabiler Probekörper im Labor entweder der Verdichtungsaufwand (Anzahl der Schläge bzw. Umdrehungen) oder die Temperatur erhöht werden musste. Insgesamt zeigte sich, dass eine nur sehr geringe Erhöhung der Temperatur (60 °C anstelle von Raumtemperatur ca. 23 °C) das Verdichtungsverhalten deutlich verbesserte (Raab et al., 2019). Verdichtung, Spurbildungsprüfung und Überrollversuche an mittelgroßen plattenförmigen Laborprobekörpern Für die Verdichtung von Spurbildungsprüfkörpern sowie mittelgroßer plattenförmiger Laborprobekörper wurden folgenden Methoden angewandt, bei denen das RAP-Material ebenfalls auf 60 °C erhitzt wurde (Raab et al. 2017), (Raab et al., 2019): - Spurbildungs-Probekörper (500 mm x 180 mm, Höhe 100 mm) für den Spurbildungstester mit großen Rad wurden mit der für dieses Gerät erforderlichen Verdichtung hergestellt, wobei allerdings eine Stahlwalze anstelle des pneumatischen Rads verwendet wurde, weil dies der Realität am nächsten kam. Obwohl es sich beim ORRAP Material um ein Mischgut für schwachbelastete Straßen mit Mischgut der Kategorie L handelte, wurden die Spurbildungstests mit großem Rad bei 60 °C mit bis zu 30’000 Zyklen durchgeführt, wie es in der Schweizer Norm eigentlich nur für sehr stark befahrene Straßen, d.h. für Mischgut der Kategorie H erforderlich ist. - Mittelgroße plattenförmige Probekörper (1300 mm x 430-mm x 65 mm) für den MMLS3-Verkehrssimulator wurden mit einem speziellen Verdichter hergestellt, der aus einer Stahlwalze mit einer Breite von 90-mm und einem Durchmesser von 35 mm besteht. Die Stahlwalze war auf einem Metallrahmen mit Schienen für die horizontale Verschiebung montiert (Raab et al. 2019). Eine Kurbel ermöglicht die Bewegung der Stahlwalze in vertikaler Richtung. Während der Verdichtung wurde die Stahlwalze mit Wasser besprüht. Die Verdichtung erfolgte manuell durch hin- und her Bewegen der Stahlwalze in Längsrichtung im statischen Verdichtungsmodus ohne Vibration, wobei ein starrer Betonboden als Unterlage und ein Holzrahmen als seitliche Begrenzung dienten. Diese Methode führte zu gut verdichteten Probekörpern mit ebener Oberfläche (Raab et al., 2019). Für die Verkehrssimulation wurde der Verkehrslastsimulator MMLS3 verwendet (Hugo und Epps, 2004), der eine skalierte Reifenlast von 2.1 kN in einer Fahrtrichtung mit vier pneumatischen 300 mm Rädern, aufbringt. Die Maschine (Länge x Breite x Höhe = 2,4-m x 0,6 m x 1,2 m) ermöglicht ca. 7200 Überrollungen pro Stunde bei einer Geschwindigkeit von 2,6 m/ s. Die erste Prüfung von RAP 0/ 16 mm aus der Schweiz wurde im Sommer bei einer Umgebungstemperatur (25 °C) mit bis zu 80’000 Überrollungen durchgeführt (Raab et al., 29019). Später wurde eine weitere Prüf kampagne für Recyclingmaterial aus der Schweiz, Frankreich und Deutschland bei einer Temperatur von ca. 20 °C und mit bis zu 50’000-Überrollungen durchgeführt. Pro Recyclingmaterial wurden je 2 Probekörper getestet. Die Spurrinnenbildung wurde mit einem automatischen Profilometer an 3 verschiedenen Punkten innerhalb der Radspur der MMLS3 gemessen und gemittelt. Ergebnisse Spurbildungstester mit großem Rad Abbildung 2 zeigt die Ergebnisse der Spurbildungsprüfung mit großem Rad. Abb. 2: Ergebnisse Spurbildungsprüfung mit großem Rad bei 60 °C inklusiv Grenzwerte für S und H Beläge nach Schweizer Norm Die für die Recyclingmaterialien aus den 3 Ländern ermittelten Verläufe der Spurrinnentiefen liegen recht nahe beieinander und folgen innerhalb der Belastungsphase einem doppeltlogarithmisch linearen Verlauf. Es zeigen sich aber auch einige Unterschiede. So ist die an der Steigung der Kurve ablesbare Spurbildungsgeschwindigkeit des FE-Materials deutlich höher als bei beiden anderen Recyclingmaterialien. Dies wirkt sich aus praktischer Sicht vor allem zu Beginn des Belastungsprozesses negativ aus. Die Steigung des DE-Materials ist vergleichbar mit derjenigen des CH-Materials, jedoch hat DE anfänglich eine deutlich geringere Spurrinnenbildung. Insgesamt ist die DE-Mischung weniger spurbildungsresistent. Im Vergleich zu den Anforderungen für Asphaltbetonbeläge der Schweizer Norm erfüllt nur das CH-Material die Anforderungen an den Mischungs-Typ S für schweren Verkehr (≤ 10 % nach 10’000 Überfahrten) und sehr schweren Verkehr H (≤7.5 % nach 30’000 Überfahrten), während die anderen beiden nur die Anforderung an den Typ S erfüllen. Ergebnisse Verkehrslastsimulator MMLS3 Abbildung 3 zeigt das Ergebnis des der Spurbildungsentwicklung mit dem Verkehrslastsimulator MMLS3 für alle Recyclingmaterialien, wobei jeweils der Mittelwert aus 3 Profilmessungen an 2 Probekörpern dargestellt ist. Um zu zeigen, dass die Temperaturdifferenz von 20 °C bzw. 25 °C vernachlässigt werden kann, ist zusätzlich der Mit- 226 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Pilotprojekt: 100 % Recycling für verkehrsschwache Straßen telwert der ersten beiden bei 25 °C geprüften CH-Probekörper eingezeichnet. Abb. 3: Ergebnisse Spurbildungsprüfung mit dem Verkehrslastsimulator MMLS3 Es fällt auf, dass das CH-Recyclingmaterial bei Belastung mit dem MMLS3 eine größere Spurrinnenbildung erlitt als das FR-Material, aber eine ähnliche Spurrinnenbildungsgeschwindigkeit aufwies. Das DE-Material zeigte dagegen eine deutlich höhere Spurrinnenbildungsgeschwindigkeit, ausgehend der geringsten Anfangsspurbildung. Die Einbeziehung des bei 25 °C getesteten CH-Materials lässt den Schluss zu, dass der Temperatureinfluss hier marginal ist. Auch wenn die Spurrinnen des DE-Materials waren zu Beginn deutlich geringer waren, ergaben sich am Ende der Prüfung aufgrund der deutlich höheren Spurrinnenbildungsgeschwindigkeit Spurrinnen in der gleichen Größenordnung wie bei den anderen beiden Materialien, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, dass diese bei längerer Belastung noch signifikant überschritten worden wäre Im Vergleich zu den Ergebnissen des Spurbildungstesters mit großem Rad bei 60 °C (Abb. 2) ändert sich die Rangfolge zwischen den verschiedenen Recyclingmaterialien. Während die FR-Materialien den höchsten und die DE- Materialien den schlechtesten Spurrinnenwiderstand im MMLS3-Test bei 20 °C zeigen, sind die CH Materialien jenen aus FR und DE im Spurbildungstest mit großem Rad bei 60 °C überlegen. Es scheint, dass das DE-Material stärker spurrinnenanfällig ist als das CH-Material. Man kann auch feststellen, dass von allen drei Mischungen das FR-Material die am wenigsten spurrinnenanfällige Mischung war. Insbesondere mit Blick auf das DE-Material könnte dieses Verhalten auf die RAP-Korngrößenverteilungskurve und die Größe der RAP-Klumpen zurückzuführen sein. Es kann durchaus sein, dass große RAP-Klumpen bei der geringen Verdichtungstemperatur und selbst während der MMLS3-Prüfung bei 20 °C zunächst relativ stabil sind und anfangs zu kleinen Spurrinnen führen, während später der sukzessive Zerfall diese Cluster sich in einer beschleunigten Spurbildung äußert. Demgegenüber würden die Cluster bei den höheren Temperaturen im Spurbildungstest bei 60 °C bereits ganz am Anfang leichter auseinanderfallen, sodass die Spurbildungsgeschwindigkeit während des Tests nicht mehr beeinflusst wird und vergleichsweise moderat ist. In der Praxis würde dies bedeuten, dass die thermische Stabilität der RAP-Cluster für diese Art von Material in Bezug auf die Verdichtung und Verarbeitbarkeit entscheidend ist. Inwieweit diese Hypothese allerdings zutrifft, müsste gezielt noch durch Forschung untersucht werden. Ein Vergleich der MMLS3-Ergebnisse mit zwei Asphaltbeton (AC)-Belägen aus Heißmischgut HMA1 (0 % RAP) und HMA2 (80 % RAP) für verkehrsarmen Straßen AC 8 L, die mit dem MMLS3 im Feld anlässlich eines anderen Projekts bei ca. 32 °C und ca. 27 °C getestet wurden, zeigt, dass die Spurrinnenbildungen aller 3 Recyclingmaterialien mit 100 % RAP als gering einzustufen sind (vgl. Abb. 4). Die Temperaturen während der Belastung, insbesondere von HMA1 waren aber höher als bei den CH-, DE- und FR-Materialien im Labor. Die unterschiedlichen Temperaturgradienten zwischen den Feld- und Laborversuchen sowie die unterschiedliche Verdichtung und Art des Mischguts haben sicherlich die Spurrinnenbildung der Feldversuche im Vergleich zu den CH-, DE- und FR-Mischungen beeinflusst. Auch ist zu beachten, dass HMA1 und HMA2 eine kleinere maximale Gesteinskörnung von 8 mm im Vergleich zu den CH-, DE- und FR- Mischungen mit 16 mm hatten. Abb. 4: Vergleich der Spurrinnenbildung unter MMLS3 mit Heißasphaltbelägen in situ Teststrecke Einbau Bei der zwischen den Schweizer Dörfern Wahlen und Büsserach eingebauten Teststrecke handelt es sich um eine Straße mit einem geringen durchschnittlichen täglichen Verkehrsaufkommen von 200 Fahrzeugen pro Tag. Die Länge der Teststrecke betrug 380 m und die durchschnittliche Breite der Straße ca. 5.5 m, mit einer Schulterbreite von 1.5 m. Für den Bau wurde der vorhandene Asphaltbelagsauf bau um 3 bis 5 cm abgefräst und das ORRAP-Recyclingmaterial RAP 0/ 22 mit einer Dicke von 10 cm auf eine als Haftkleber dienende Bitumenemulsion aufgebracht (Abb. 5a). Am nächsten Tag erfolgte dann der Einbau einer 4 cm dicken Deckschicht aus Heißmischgut AC 11 N und einem Bitumen 70/ 100. Da das eingebaute RAP-Material keine seitliche Abstützung hatte, wurden die Schultern als Schwachstellen betrachtet und die ORRAP-Schicht auf jeder Seite 20 cm breiter als die Deckschicht ausgeführt. Nach dem Bau der Deckschicht wurden diese 20 cm dann mit Erde überdeckt. 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 227 Pilotprojekt: 100 % Recycling für verkehrsschwache Straßen Der Einbau des ORRAP Materials fand an einem sehr heißen, trockenen Sommertag mit einer Höchsttemperatur von 36 °C statt. Das Material wurde direkt von der Halde entnommen und mit LKWs von der Deponie zur Baustelle transportiert, die sich in ca. 35 km Entfernung befand. Der gemessene Wassergehalt des Recyclingmaterials RAP 0/ 22 mm lag zwischen 4.2 und 4.6 %. Zur besseren Verarbeitbarkeit und Verdichtung sowie zur Vermeidung eines schnellen Austrocknens der Oberfläche, wurde das Material in der Fertigerschnecke und nach der Einbaubohle mit Wasser besprüht (vgl. Abb. 5b). (a) (b) Abb. 5: a) Auf bau der Teststrecke, b) Wasserzufuhr in Fertigerschnecke und hinter Einbaubohle Zur Verdichtung kamen 3 verschiedenen Walzen zum Einsatz: Eine Stahlwalze mit einem Gewicht von 2.5 t zur Vorverdichtung und Nivellierung und 2 Gummiradwalzen mit einem Gewicht von 45 t und 24t. Die Verdichtung mit einer schweren Stahlwalze (12.5 t) im Vibrationsmodus führte, wie Abbildung 6(a) zeigt, zu Querrissen, und musste daher abgebrochen werden. Wie vorausgesehen, erwies sich die mangelnde Schulterstabilität als problematisch, weshalb es, wie in Abbildung 6(b) dargestellt, zu Kantenausbrüchen kam. (a) (b) Abbildung 6: (a) Durch Walze hervorgerufene Querrisse, (b) Kantenabbrüche aufgrund mangelnder Schulterstabilität Abgesehen von den oben genannten Punkten wurden während des Einbaus weitere Feststellungen gemacht, die Probleme und Unterschiede beim Einbau des Recyclingmaterials im Vergleich zu konventionellem Heißmischasphalt verdeutlichen: So war der Anteil an runden Mineralstoffen im Recyclingmaterial beträchtlich, die Bindemittelumhüllung der Mineralstoffe dagegen sehr niedrig. Der Verdichtungsaufwand war etwa doppelt so hoch wie bei konventionellem Heißmischgut und entsprach damit dem Verdichtungsaufwand bei ungebundenem Material. Im direkt von der Halde entnommenen Recyclingmaterial befanden sich auch häufig grobe Gesteine (bis zu 12-cm) und Materialbrocken aus zusammenklebendem Recyclingmaterial, die von der Einbaumannschaft mit Schaufeln wieder von der Einbaufläche entfernt werden mussten. Dadurch wurde zusätzlich das Nachverfüllen an diesen Stellen nötig. Außerdem blockierten große Materialbrocken von Zeit zu Zeit die Einbaubohle, so dass es zu Einbauunterbrechungen von teilweise über einer halben Stunde kam. Weitere Verzögerungen und Einbauunterbrechungen wurden durch im Stau aufgehaltene Transportfahrzeuge oder durch das Nachfüllen der Wassertanks verursacht. Trotz aller Schwierigkeiten war das ORRAP-Material am Ende des Tages gut verdichtet, stabil und eben, sodass es 228 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Pilotprojekt: 100 % Recycling für verkehrsschwache Straßen eine gute Unterlage für die Heißasphaltdeckschicht am darauffolgenden Tag bildete. Inspektionen der Teststrecke Während die folgenden Jahre wurde die Teststrecke im Auftrag des Kantons Basel-Landschaft weiter überwacht. Dabei fanden in stetigen Abständen auch Messungen des Querprofil statt. Wie eine erste Inspektion im September 2020, also ca. 1-Jahr nach Fertigstellung ergab, zeigte die Deckschicht und damit auch der Recyclingbelag visuell, trotz des recht erheblichen Schwerverkehrsanteils aufgrund der nahegelegenen Industriebetriebe, weder Spurrinnen noch sonstige Verformungen. Auch waren auf der Deckschicht keine Risse oder andere Schäden zu erkennen (vgl. Abb. 7(a)). In den Randbereichen war, wie Abbildung 7(b) zeigt, der Schichtauf bau gut zu erkennen, wobei es durch die reduzierte Deckschichtbreite nicht zu Problemen mit der Randstabilität kam. Das Recyclingmaterial schien sich auch weitgehend verfestigt zu haben, allerdings ließen sich mit der Hand seitlich Körner herauslösen. (a) (b) Abb. 7: (a) Teststrecke 1 Jahr nach Einbau mit Schwerverkehr, (b) Randbereiche Bedingt durch die Corona Pandemie und die damit verbundenen Beschränkungen, wurden erste messtechnische Querprofilaufnahmen im Jahr 2020 und dann erst wieder im Jahr 2022 durchgeführt. Hierbei wurden die senkrechten Abstände zur Fahrbahn jeweils von der Straßenmitte bis zum Straßenrand mit Hilfe einer Messlatte bestimmt. Es zeigte sich, wie aus Abbildung 8 ersichtlich, dass sich die Straßenquerschnitte im Verlaufe der Zeit verändert haben. So kam es einerseits zu einer leichten Spurrinnenbildung, zum anderen zur Absenkung der Straßenränder. Abbildung 8: Beispiel der zwischen Frühjahr 2020 und Herbst 2022 ermittelten Querprofile (Mittelwerte aus 8-Messungen) Im Herbst 2024 fand eine weitere Inspektion statt, mit dem Ziel, möglichst auch Bohrkernentnahmen durchzuführen. Wie aus Abbildung 9 ersichtlich, konnten Bohrkerne aus dem Belagsauf bau und damit aus der mittlerweile verfestigten ORRAP Schicht entnommen werden. Von insgesamt 8 über die Länge der Teststrecke und den Querschnitt (Rollspur und zwischen der Rollspur) verteilten Entnahmestellen konnten 4 Bohrkerne bis zur Fundationsschicht entnommen werden, während die anderen Bohrkerne in der ORRAP-Schicht auseinanderbrachen. (a) (b) Abbildung 9: Beispiel zweier aus der Teststrecke entnommenen Bohrkernen 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 229 Pilotprojekt: 100 % Recycling für verkehrsschwache Straßen Visuell zeigte die Teststrecke leichte Spurrinnen. Insgesamt schien der Deckbelag in recht gutem Zustand zu sein, allerdings hatten sich im Bereich des leicht ansteigenden Streckenabschnittes erste Risse gebildet (vgl. Abb. 10). Abbildung 10: Rissbildung in ansteigendem Streckenabschnitt Im Labor wurden die Bohrkerne ausgemessen, was in den unteren Schichten einen der Historie der Straße entsprechenden unterschiedlichen Schichtenauf bau zu Tage förderte (vgl. Abbildung 11). Abb. 11: Bohrkerne mit Schichtenauf bau Tabelle 2 zeigt die an den Bohrkernen bestimmten Kennwerte der ORRAP-Schicht. Die Raumdichte wurde dabei nach SN EN 12697-6. An 3 Bohrkernen durch Ausmessen bestimmt. Tab. 2: Kennwerte der an Bohrkernen bestimmten ORRAP-Schicht Kennwert Raumdichte [Mg/ m 3 ] Hohlraumgehalt [Vol-%] BK 3a 2.236 10.6 BK 3b 2.093 16.3 BK 6 2.176 13.0 BK 8 2.220 11.2 Mittelwert 2.181 12.8 Zusätzlich wurde der Schichtenverbund nach SN EN 12687-48 zwischen Deck- und ORRAP-Schicht an 6-Bohrkernen ermittelt. An einem Bohrkern wurde auch der Schichtenverbund zu Unterlage, einem AC 8 bestimmt (siehe auch Tabelle 3). 230 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Pilotprojekt: 100 % Recycling für verkehrsschwache Straßen Tab. 3: Scherhaftfestigkeit der an aus der Teststrecke entnommenen Bohrkernen Kennwert Scherkraft [kN] DS AC11-ORRAP Scherkraft [kN] ORRAP-AC 8 BK 1 18.9 BK 2 15.5 BK 3b 22.8 6.1 BK 4 20.8 BK 5 19.8 BK 7 12.8 Mittelwert 18.4 Die Schichtenverbundwerte zeigen eine gute Haftung zwischen Deckschicht und ORRAP-Schicht, wobei in allen Fällen der Anforderungswert der Schweizer Norm von 15kN erreicht wird. Die Scherhaftfestigkeit zur Unterlage kann mit einem einzelnen Wert nicht beurteilt werden, weil sich die ORRAP-Schicht für diese Prüfung als zu wenig stabil erwies. Es zeigt sich aber, dass hier geringe Werte zu erwarten sind. Schlussfolgerungen - Zusammenfassend zeigt sich, dass das im Rahmen des Projekts angewendete ORRAP-Verfahren für Tragschichten und Straßen geringer Verkehrsbelastung und Längsneigung durchaus vielversprechend ist und eine Möglichkeit zur Ressourcen- und Energieeinsparung bietet. Für Deckschichten ist das Verfahren nicht geeignet. - Der Einbau muss über 20 °C erfolgen und die 100-% RAP-Schicht muss ca. 30 … 50- cm bereiter eingebaut werden. - Die 100 % Recyclingschicht erfordert eine doppelt so hohe Verdichtung wie beim Heißeinbau. - Bohrungen nach 4 Jahren Betrieb zeigen, dass durch die vorhandenen Bindemittelreste im eingebauten RAP Material eine gewisse Aktivierung des Bindemittels stattfindet, was sich gegenüber bindemittellosem Material als Vorteil erweist. Mit zunehmender Dicke wird der Verbund zur unteren Asphaltschicht schlechter. - Wie auch schon die schwedischen Erfahrungen gezeigt haben, findet während der Betriebsdauer eine Verfestigung des Belags und damit eine Erhöhung seiner Stabilität statt. - Durch weitere Modifikationen der Methode etwa der Zugabe bestimmter Zusätze könnte hier eine Verbesserung der Stabilität und damit die Anwendung der Methode auch für stärker belastete Straßen in Erwägung gezogen werden. Dies würde aber noch eingehende Untersuchungen bedingen.
