eJournals Kolloquium Straßenbau in der Praxis 4/1

Kolloquium Straßenbau in der Praxis
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expert Verlag Tübingen
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2025
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Möglichkeiten der Beschleunigung bei der Erneuerung bestehender Brückenbauwerke an Bundes- und Landesstraßen

0217
2025
Nicole Zakouril
Tim Weirich
Trotz des im Jahr 2011 in Baden-Württemberg vollzogenen Paradigmenwechsels („Erhaltung vor Um-, Aus- und Neubau“) und der damit verbundenen Fokussierung auf Erhaltungsmaßnahmen befindet sich der Brückenbestand in Bezug auf Substanz und Tragfähigkeit in weiten Teilen in einem instandsetzungs- bzw. ertüchtigungswürdigen Zustand. Insgesamt muss derzeit für etwa jede zehnte Brücke in Baden-Württemberg eine Erhaltungsmaßnahme eingeleitet werden. Um der fortschreitenden Verschlechterung der Brückensubstanz wirksam zu begegnen, müssen mittelfristig landesweit jährlich bis zu 100 Brücken im Bundes- und Landesstraßennetz grundhaft instandgesetzt, ertüchtigt oder neu gebaut werden. Die derzeit zur Verfügung stehenden Investitionsmittel, insbesondere im Landeshaushalt, sowie die personellen Ressourcen reichen jedoch nicht aus, um die Anzahl der Erhaltungsmaßnahmen im erforderlichen Umfang zu erhöhen. Die Straßenbauverwaltung des Landes hat daher bereits verschiedene Maßnahmen eingeleitet, um die Auswirkungen aus den fehlenden Ressourcen abzumindern. Ziel der Maßnahmen ist es insbesondere, die Planungs- und Bauzeiten zu verkürzen und damit die Anzahl der Erhaltungsmaßnahmen insgesamt zu erhöhen. Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über den aktuellen Zustand der Brücken in Baden-Württemberg sowie über die verschiedenen Maßnahmen, die das Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg (VM) bereits eingeleitet hat. Daher hat die Straßenbauverwaltung des Landes bereits verschiedene Maßnahmen angeschoben, um die Auswirkungen aus den fehlenden Ressourcen abzumindern. Ziel der Maßnahmen ist insbesondere die Planungs- und Bauzeit zu reduzieren und so die Zahl an Erhaltungsmaßnahmen insgesamt zu steigern. Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über den aktuellen Zustand der Brücken in Baden-Württemberg sowie über die verschiedenen Maßnahmen, die das Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg (VM) bereits umgesetzt hat bzw. in Kürze umsetzen wird.
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4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 347 Möglichkeiten der Beschleunigung bei der Erneuerung bestehender Brückenbauwerke an Bundes- und Landesstraßen Dipl.-Ing. Nicole Zakouril Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg, Leiterin des Referates 26, Stuttgart Dr.-Ing. Tim Weirich Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg, Brückenreferent im Referat 24, Stuttgart Zusammenfassung Trotz des im Jahr 2011 in Baden-Württemberg vollzogenen Paradigmenwechsels („Erhaltung vor Um-, Aus- und Neubau“) und der damit verbundenen Fokussierung auf Erhaltungsmaßnahmen befindet sich der Brückenbestand in Bezug auf Substanz und Tragfähigkeit in weiten Teilen in einem instandsetzungsbzw. ertüchtigungswürdigen Zustand. Insgesamt muss derzeit für etwa jede zehnte Brücke in Baden-Württemberg eine Erhaltungsmaßnahme eingeleitet werden. Um der fortschreitenden Verschlechterung der Brückensubstanz wirksam zu begegnen, müssen mittelfristig landesweit jährlich bis zu 100 Brücken im Bundes- und Landesstraßennetz grundhaft instandgesetzt, ertüchtigt oder neu gebaut werden. Die derzeit zur Verfügung stehenden Investitionsmittel, insbesondere im Landeshaushalt, sowie die personellen Ressourcen reichen jedoch nicht aus, um die Anzahl der Erhaltungsmaßnahmen im erforderlichen Umfang zu erhöhen. Die Straßenbauverwaltung des Landes hat daher bereits verschiedene Maßnahmen eingeleitet, um die Auswirkungen aus den fehlenden Ressourcen abzumindern. Ziel der Maßnahmen ist es insbesondere, die Planungs- und Bauzeiten zu verkürzen und damit die Anzahl der Erhaltungsmaßnahmen insgesamt zu erhöhen. Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über den aktuellen Zustand der Brücken in Baden-Württemberg sowie über die verschiedenen Maßnahmen, die das Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg (VM) bereits eingeleitet hat. Daher hat die Straßenbauverwaltung des Landes bereits verschiedene Maßnahmen angeschoben, um die Auswirkungen aus den fehlenden Ressourcen abzumindern. Ziel der Maßnahmen ist insbesondere die Planungs- und Bauzeit zu reduzieren und so die Zahl an Erhaltungsmaßnahmen insgesamt zu steigern. Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über den aktuellen Zustand der Brücken in Baden-Württemberg sowie über die verschiedenen Maßnahmen, die das Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg (VM) bereits umgesetzt hat bzw. in Kürze umsetzen wird. 1. Einführung Aufgrund der topographischen Randbedingungen befinden sich in Baden-Württemberg rd. 4.000 Brücken im Zuge von Bundes- und rd. 3.300 Brücken im Zuge von Landesstraßen. Die Brücken stellen die Achillesferse der Straßeninfrastruktur dar und bekommen die in den letzten Jahrzehnten gestiegenen Verkehrslasten in besonderem Maße zu spüren. Der Brückenbestand befindet sich mit Blick auf die Substanz und die Tragfähigkeit in erheblichem Umfang in einem instandsetzungsbzw. ertüchtigungswürdigen Zustand. Die Grundlage für die Bewertung des Brückenbestandes bilden dabei sowohl die Zustandsnote, die den baulichen Zustand der Brücke widerspiegelt, als auch der Traglastindex, durch den die Tragfähigkeitseigenschaften bewertet werden. Für die Berechnung der Zustandsnote werden im Zuge der alle drei Jahre durchgeführten Bauwerksprüfung die Schäden und Mängel aufgenommen und der Zustand unter Berücksichtigung der Standsicherheit, Verkehrssicherheit sowie Dauerhaftigkeit beurteilt. Die Ergebnisse werden zu einer Zustandsnote zwischen 1,0 (sehr gut) und 4,0 (ungenügend) zusammengefasst. Abb. 1: Bild von Brückenschäden (Quelle: RP Stuttgart) Der Traglastindex stellt hingegen die Diskrepanz zwischen erforderlicher Brückentragfähigkeit (Ziellastniveau) und vorhandener Tragfähigkeit dar. Die Klassifizierung der Bauwerke erfolgt in fünf Bewertungsstufen von I bis V, wobei Stufe I jene Bauwerke kennzeichnet, welche die geforderten statischen und konstruktiven Anforderungen erfüllen. In der Stufe V sind die Brücken vertreten, die mit einem Alter von 50 Jahren und mehr 348 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Möglichkeiten der Beschleunigung bei der Erneuerung bestehender Brückenbauwerke an Bundes- und Landesstraßen den Zenit ihrer geplanten Nutzungszeit überschritten haben, nicht nach aktuellem Regelwerk geplant sowie gebaut wurden und bei denen aufgrund des seinerzeitigen Stands der Technik im Vergleich zu den heutigen Anforderungen die meisten statisch-konstruktiven Defizite auftreten. Während die Zustandsnote insbesondere ein Instrument für die kurzfristige Priorisierung von Erhaltungsmaßnahmen darstellt, weist der Traglastindex auf die Dringlichkeit einer Erhaltungsmaßnahme hin und stellt somit ein Instrument für eine mittelfristige Prognose dar. Grundsätzlich ist ein Brückenzustand sicherzustellen, der die gestellten Anforderungen an die Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit mit ausreichender Zuverlässigkeit erfüllt. Eine nachhaltige Strategie zur Brückenerhaltung erfordert daher sowohl die Berücksichtigung des Brückenzustandes als auch etwaiger Tragfähigkeitsdefizite. So ist bei Brücken in einem „kritischen Bauwerkszustand“ oder schlechter (d.-h. ab Note 3,0 gem. DIN 1076) eine Erhaltungsmaßnahme einzuleiten. Tragfähigkeitsdefizite liegen insbesondere bei Brücken mit dem schlechtesten Traglastindex V vor. Diese Bauwerke sind somit prioritär zu behandeln. Zudem sind Brücken mit bauart- und materialbedingten Defiziten, wie Brücken mit spannungsriss-korrosionsgefährdetem Spannstahl, Brücken mit Verdrängungskörpern (Hohlkörperplatten), Brücken mit sprödbruchgefährdeten Edelstahlrollenlagern, Brücken mit Koppelfugen, usw., ebenfalls kurzfristig durch einen Neubau zu ersetzen. 2. Zustand der Brücken 2.1 Ausgangslage Um der fortschreitenden Verschlechterung der Brückensubstanz entgegen zu wirken, müssen mittelfristig pro Jahr landesweit bis zu 100 Brücken im Bundes- und Landesstraßennetz grundhaft instandgesetzt, ertüchtigt bzw. neugebaut werden. Die aktuell zur Verfügung stehenden Investitionsmittel (Landeshaushalt) sowie personellen Ressourcen reichen hierfür allerdings nicht aus. Neben einer Erhöhung der Investitionsmittel (Landeshaushalt) ist für ein zukunftsfähiges Straßennetz insbesondere ein Personalaufwuchs in den kommenden Jahren erforderlich, um das aktuell Erhaltungsdefizit in Höhe von rund 1,5 Mrd. Euro für die Brücken in Baden-Württemberg vor (Bund: 1,020 Mrd. Euro; Land: 0,480. Mrd. Euro) wirtschaftlich und nachhaltig zu bewältigen. Das VM hat bereits verschiedene Maßnahmen angeschoben, um die Anzahl von Brückenerhaltungsmaßnahmen zu steigern, indem Auswirkungen aus den fehlenden Personalressourcen abgemindert und die Planungs- und Bauzeit zu reduziert werden 2.2 Beschleunigung des Genehmigungsverfahren Zur Bewältigung der hohen Anzahl aktuell und perspektivisch notwendiger Brückenersatzneubauten im Bundes- und Landesstraßennetz hat das VM bereits Ende 2022 ein Schreiben herausgegeben, wonach „Ersatzneubauten im Regelfall an Ort und Stelle unter Vollsperrung herzustellen“ sind (vgl. Schreiben vom 14.12.2022, Az. VM2- 3952-34/ 9/ 19). Die baurechtlichen Voraussetzungen für die Umsetzung solcher Ersatzneubauten sind grundsätzlich gegeben. So kann in der Regel auf ein sehr zeit- und personalaufwändiges förmliches Rechtsverfahren zur Erlangung des Baurechts (z. B. Planfeststellungs-, Plangenehmigungs- oder Bebauungsplanverfahren) oder die Feststellung der unwesentlichen Bedeutung verzichtet. Maßgeblich hierfür sind entsprechende Änderungen des Bundesfernstraßengesetzes und des Straßengesetzes für Baden-Württemberg. Danach können Ersatzneubauten von Brücken als „Unterhaltungsmaßnahme“ in eigener Zuständigkeit des Straßenbaulastträgers durchgeführt werden (Eigengenehmigung nach § 4 FStrG bzw. § 9a StrG BW) und müssen als solche kein förmliches Genehmigungsverfahren durchlaufen. Ziel ist die schnellstmögliche Realisierung des Brückenersatzneubaus, wobei der Ersatzneubau gegenüber dem bestehenden Bauwerk so wenig wie möglich, aber so viel wie nötig verändert werden soll, um z. B. eine Anpassung an bestehende Regelwerke zu erreichen (Minimalprinzip). Weitere Veränderungen gegenüber dem Bestand sind grundsätzlich nicht vorzusehen. Das materielle Recht (z. B. in Bezug auf natur- und artenschutzrechtliche Belange) ist jedoch weiterhin zu berücksichtigen, wobei dessen Einhaltung im Wesentlichen dem Straßenbaulastträger in eigener Verantwortung obliegt. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass bei fehlendem zweiten Überbau ein geeignetes Umleitungskonzept vor Ort abzustimmen und auszuweisen ist. Außerdem ist bei der Bauausführung in der Regel die Betriebsform 2 zu wählen, um die Verkehrseinschränkungen durch Vollsperrungen möglichst gering zu halten. 2.3 Beschleunigung bei der Vergabe Eine Beschleunigung bei der Vergabe von Planungs- und Bauleistungen ist möglich, indem die Vergabeverfahren durch „funktionale Ausschreibungen“ verkürzt oder mehrere Projekte in einer „Sammelausschreibung“ zusammengefasst werden. Darüber hinaus sollen verschiedene Ingenieurleistungen künftig in einem Open-House- Verfahren vergeben werden, wie dies bereits in anderen Bereichen der Straßenbauverwaltung der Fall ist. funktionale Ausschreibungen: Bei der Ausschreibung mittels „funktionaler Leistungsbeschreibung“ (kurz: funktionale Ausschreibung) werden nur Angaben zur Funktion, zum Zweck, zur Gestaltung und zu sonstigen Rahmenbedingungen eines Bauvorhabens gemacht. Eine solche „funktionale Ausschreibung“ verlangt daher vom Auftragnehmer sowohl die Konzeption als auch die Planung der ausgeschriebenen Leistung. Die Planungsverantwortung liegt somit beim Auftragnehmer mit dem Ziel, die Kompetenzen der Unternehmen bei der Ermittlung der technisch, wirtschaftlich und gestalterisch besten und funktionsgerechtesten Lösung zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck beschreibt der Auftraggeber die zu erbringende Leistung eindeutig und vollständig. Dabei sind 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 349 Möglichkeiten der Beschleunigung bei der Erneuerung bestehender Brückenbauwerke an Bundes- und Landesstraßen alle Anforderungen und Randbedingungen eindeutig zu definieren und zu beschreiben. Darüber hinaus ist in der textlichen Beschreibung darauf zu achten, dass zwischen den Vorgaben des Auftraggebers und eventuellen Spielräumen unterschieden wird, d. h., dass bewusst zwischen „muss“ und „kann/ soll“ unterschieden wird. Die Straßenbauverwaltung verspricht sich von der Anwendung der „Funktionalen Ausschreibung“ mehr Flexibilität im Vergabeverfahren und in der Bauabwicklung. Zudem reduziert sich der Personalbedarf in der Straßenbauverwaltung, da der Auftragnehmer mehr Eigenleistung erbringen muss. Um in den nächsten Jahren weitere Erfahrungen mit der „funktionalen Ausschreibung“ zu sammeln, werden derzeit zahlreiche Pilotprojekte im Rahmen der Brückenerhaltung vorbereitet. Sammelausschreibung Im Hinblick auf die notwendige Erhöhung der Anzahl der Brückenersatzneubauten hat die Straßenbauverwaltung mehrere Projekte in einem dialoggeprägten Vergabeverfahren gebündelt. Wichtige Aspekte für das Vergabeverfahren war die Zusicherung der Termin- und Kostensicherheit durch den Bieter. Beides durfte jedoch nicht zu Lasten der Konstruktion gehen, so dass weiterhin robuste und dauerhafte Brückenbauwerke geplant werden sollten. Auf dieser Grundlage wurde die Ersatzneubauplanung für landesweit 31 Brücken im Bundesfernstraßennetz durch die Straßenbauverwaltung in einem „wettbewerblichen Dialog“ (gem. § 18 VgV) ausgeschrieben und Anfang Oktober vergeben. Der Auftragnehmer übernimmt im Rahmen der Sammelausschreibung die Objekt-/ Tragwerksplanung (LPH 1 - 7) sowie alle für das Gesamtprojekt erforderlichen Fachplanungen (z. B. Straßenplanung, Baugrundgutachten, naturschutzfachliche Untersuchungen etc.) Darüber hinaus ist er für die Abstimmung mit den betroffenen Ämtern/ Fachbehörden, Kreuzungsbeteiligten, anderen Baulastträgern etc. zuständig. Hoheitliche Aufgaben, wie die Genehmigung von Bauwerksentwürfen oder die Vergabe von Aufträgen, verbleiben bei der Straßenbauverwaltung. Durch die Bündelung der Projekte reduziert sich sowohl der Zeitaufwand für die Durchführung der Vergabeverfahren als auch der Personalbedarf der Straßenbauverwaltung, insbesondere für die Entwurfsplanung. Open-House-Verfahren: Das „Open-House-Verfahren“ ist kein förmliches Vergabeverfahren. Es handelt sich vielmehr um ein nicht exklusives Zulassungsverfahren, bei dem grundsätzlich alle Teilnehmer, die die festgelegten Kriterien erfüllen, zur Leistungserbringung berechtigt sind. Grundlage ist ein Rahmenvertrag, wobei die Vertragsinhalte, die Bedingungen und das Zugangsverfahren von Anfang an bekannt sind und während der Leistungszeit nicht geändert werden dürfen. Dazu gehört auch die Vergütung, die vom Auftraggeber festgelegt wird und nicht verhandelbar ist. Die Beauftragung der einzelnen Leistungen erfolgt maßnahmenbezogen in Form von Einzelabrufverträgen, wobei der genaue Leistungsumfang anhand des vorliegenden bepreisten Leistungskataloges festgelegt wird. Darüber hinaus besteht für das beteiligte Ingenieurbüro kein Anspruch auf fortlaufende Beauftragung. Im Gegenzug hat das Ingenieurbüro aber auch die Möglichkeit zu entscheiden, ob es den Einzelauftrag annimmt. Um kurzfristig auf mögliche Planungs- und Untersuchungsbedarfe reagieren zu können möchte die Straßenbauverwaltung verschiedene Open-House-Verfahren durchführen. Es ist vorgesehen, zunächst Leistungen im Zusammenhang mit Baugrunderkundungen und Schadstoffuntersuchungen abzufragen, die in der Vergangenheit über konventionelle Vergabeverfahren nur mit immensen Zeitverzögerungen vergeben werden konnten. 2.4 Beschleunigung bei der Planung von Brückenersatzneubauten Auch bei der Beteiligung bzw. Abstimmung mit Dritten ergeben sich Beschleunigungsmöglichkeiten durch klar vorgegebene Strukturen. Derzeit werden „Ergänzende Arbeitshinweise für die Planung von Brückenersatzneubauten in der SBV“ und in Abstimmung mit dem Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden- Württemberg (UM) eine Leitfaden „Gewässerkreuzende Verkehrsanlagen“ erarbeitet. Arbeitshinweise für die Planung und Bauabwicklung von Brückenersatzneubauten Mit den jüngsten Änderungen des Bundesfernstraßengesetzes und des Straßengesetzes Baden-Württemberg sind die rechtlichen Grundlagen dafür geschaffen worden, den Brückenersatzneubau regelmäßig als Erhaltungsmaßnahme zu planen und durchzuführen. Eines formalen Zulassungsverfahrens bedarf es grundsätzlich nicht, da die Einhaltung des materiellen Rechts dem Straßenbaulastträger ganz überwiegend in eigener Verantwortung obliegt. Diese neue Situation birgt für die Straßenbauverwaltung die Chance, als „Herrin des Verfahrens“ die zeitlichen Abläufe effektiv selbst gestalten zu können. Andererseits erfordert sie aber auch ein Umdenken, vor allem in den bisher vorrangig mit der Bauwerksplanung, aber weniger mit der Gesamt-Projektplanung befassten Organisationseinheiten. Die größere Verantwortungsfülle erfordert zudem ein solides Wissen über die zu beachtenden Regelwerke und Abläufe sowie eine von Beginn an enge Verzahnung und Abstimmung unterschiedlichster Akteure und Fachbereiche. Dazu müssen zeitliche und sachliche Abhängigkeiten bewusst sein. Schließlich müssen sie relativ früh im Planungsprozess entscheiden, ob die vorzunehmenden Änderungen am Bauwerk als erheblich anzusehen sind, mit der Folge, dass ein Ersatzneubau nicht mehr als Erhaltungsmaßnahme durchgeführt werden kann, sondern in einem formalen Verfahren zugelassen werden muss. Um die an der Planung Beteiligten bei diesen neuen Herausforderungen und bei der Optimierung der Planungsprozesse rund um den Brückenersatzneubau zu unterstützen, wurden die „Arbeitshinweise für die Planung von Brückenersatzneubauten“ durch das VM in der Liste der Regelwerke 350 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Möglichkeiten der Beschleunigung bei der Erneuerung bestehender Brückenbauwerke an Bundes- und Landesstraßen für Baden-Württemberg (LisRe-StB-BW) veröffentlicht. Die Hinweise wurden von einer internen Arbeitsgruppe bestehend aus Ingenieurinnen und Ingenieuren der Regierungspräsidien sowie Vertretern unterschiedlicher Fachrichtungen des VM erarbeitet. Der Leitfaden will als Planungs und Entscheidungshilfe, als Wissensspeicher und Nachschlagewerk dienen. Gleichzeitig ist er als dynamisches Dokument konzipiert, d. h. er ist für eine kontinuierliche Verbesserung und Ergänzung offen und wird daher auch nur in elektronischer Form veröffentlicht. Die jeweils aktuelle Version ist auf der Homepage des VM für Verkehr abrufbar. Leitfaden zu „Gewässerkreuzenden Verkehrslagen“ Der Leitfaden „Gewässerkreuzende Verkehrsanlagen“ enthält Grundlagen und Handlungsempfehlungen für die Planung und das Genehmigungsverfahren von Brücken und Durchlässen. Andere gewässerkreuzende Anlagen wie z. B. Furt werden darin nicht behandelt. Der Leitfaden besteht aus zwei getrennten Teilen und soll dazu beitragen, beim Ersatzneubau (Heft 1) sowie beim Neu-, Um- und Ausbau (Heft 2) von gewässerkreuzenden Verkehrsanlagen alle rechtlichen und fachlichen Belange ausgewogen zu berücksichtigen, die Planung zu straffen und damit die Umsetzung der Maßnahmen zu beschleunigen. Abb. 2: Gewässerkreuzende Verkehrsanlage (Quelle: RP Karlsruhe) Heft 1 behandelt den Ersatzneubau einer bestehenden gewässerkreuzenden Verkehrsanlage, der als „Unterhaltungsmaßnahme“ in eigener Zuständigkeit des Straßenbaulastträgers durchgeführt werden kann (Eigengenehmigung nach § 4 FStrG bzw. § 9a StrG BW). Heft 2 befasst sich dagegen mit dem Neu-, Um- und Ausbau einer gewässerkreuzenden Verkehrsanlage, die im Regelfall ein Verfahren zur Baurechtserlangung (z. B. Planfeststellungsverfahren) nach sich zieht. Die Veröffentlichung des Leitfadens ist für Mitte 2025 geplant. 2.5 Reduzierung der Bauzeit durch innovative Bauweisen Bei der Reduzierung der Bauzeit kann der Einsatz von innovativen Bauweisen, wie modulare Bauweisen, helfen. Darüber hinaus sind bei Brückenbauwerke, deren Nutzungsdauer noch nicht erreicht ist, auch die Möglichkeiten einer Verstärkung zu prüfen, um möglich Tragwerksschwächen zu kompensieren. Modulare Bauweisen Generelles Ziel beim Einsatz modularer Bauweisen ist es, durch einen hohen Vorfertigungsgrad sowohl die Bauzeit als auch die verkehrlichen Einschränkungen zu minimieren. Allerdings weichen die meisten modularen Bauweisen von den allgemein anerkannten Regeln der Technik ab, so dass Zustimmungen im Einzelfall und damit projektbezogene Genehmigungen erforderlich sind. Zudem sind die bestehenden Regelwerke teilweise lückenhaft (Ausbildung von FT-Fugen, Dauerhaftigkeit). Dennoch hat sich in den letzten Jahren eine Vielzahl modularer Bauweisen am Markt etabliert. Ein Grund hierfür ist die Unwetterkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein- Westfalen im Sommer 2021. Allein im Ahrtal wurden durch das Hochwasser ca. 100 Brücken beschädigt oder sogar komplett zerstört. Um den Wiederaufbau der Straßen so schnell wie möglich abzuschließen, wurde auf eine beschleunigte partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Bauunternehmen gesetzt, die verschiedene innovative Verfahren wie zum Beispiel ressourcensparende Fertigteilbauweisen für einen schnellen und sicheren Bau der Bauwerke entwickelt haben. Abb. 3: Modulare Bauweise (Quelle: RP Karlsruhe) Auch in Baden-Württemberg sollen in den nächsten Jahren verschiedene Bauwerke im Bundes- und Landesstraßennetz in modularer Bauweise realisiert werden. Das VM verspricht sich davon Beschleunigungseffekte bei Planung und Herstellung (Wiederholungseffekte, Typenbildung) und eine multiplikative Wirkung für vergleichbare Brückenbauwerke, die ebenfalls erneuert werden. 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 351 Möglichkeiten der Beschleunigung bei der Erneuerung bestehender Brückenbauwerke an Bundes- und Landesstraßen Querkraftverstärkung Aufgrund der enormen Zunahme des Schwerverkehrs sowie der Schwächen der ursprünglichen Bemessungsnormen können Defizite gegenüber den heutigen Anforderungen bestehen, die sich auch nicht unbedingt aus dem äußerlich erkennbaren Zustand der Brücken ableiten lassen. So ist bei Brücken mit größeren Defiziten, wie z. B. der Koppelfugenproblematik oder der Verwendung von spannungsrissgefährdetem Spannstahl, eine Instandsetzung in Verbindung mit einer Ertüchtigung entweder technisch nicht möglich und/ oder nicht wirtschaftlich, so dass in der Regel ein Ersatzneubau erforderlich ist. Werden Defizite in geringerem Umfang festgestellt, kann die Brücke durch eine konstruktive Verstärkungsmaßnahme ertüchtigt und damit zumindest bis zum Ende der theoretischen Nutzungsdauer verkehrssicher weiterbetrieben werden. Mögliche Verstärkungsmaßnahmen sind z. B. Auf beton mit Verdübelung, aufgeklebte Stahllaschen bzw. CFK- Lamellen, zusätzliche (externe) Vorspannung, Querkraftverstärkung durch Schraubsysteme etc. Insbesondere die letztgenannte Verstärkungsmaßnahme eignet sich zur nachträglichen (teilweisen) Beseitigung von Defiziten, die sich aus fehlender Querkraftbewehrung ergeben. Hierbei können z. B. Betonschrauben in vorgebohrte Löcher eingesetzt, mit Injektionsmörtel verpresst und mit einem definierten Anzugsmoment vorgespannt werden. Abb. 4: Querkraftverstärkung durch Schraubsysteme (Quelle: RP Stuttgart) Seitens des VM werden derzeit die Möglichkeiten des Einsatzes moderner Schraubsysteme zur Querkraftverstärkung geprüft. Nichtmetallische Bewehrung: Der Einsatz von nichtmetallischer Bewehrung, z. B. aus Basalt oder Carbon, kann zur Einsparung von Material (insbesondere Zement) und CO 2 -Emissionen beitragen. Dem stehen die hohen Kosten von Basalt und Carbon im Vergleich zu Betonstahl gegenüber. Zudem ist insbesondere bei Carbon die Recyclingfähigkeit nicht abschließend geklärt. Dennoch sieht die Straßenbauverwaltung durch den Einsatz nichtmetallischer Bewehrung das Potenzial, bei der (Teil-)Erneuerung eines erhaltungswürdigen Brückenbauwerks die Bauzeit zu verkürzen oder durch eine Verstärkungsmaßnahme an einer exponierten Brücke die Restnutzungsdauer zu „verlängern“ und damit Ressourcen zu sparen. Aufgrund der noch geringen Erfahrungswerte sollen daher in den nächsten Jahren verschiedene Pilotprojekte im Rahmen der Brückenerhaltung durchgeführt werden. 3. Ausblick Die wichtigste Voraussetzung für die zügige Umsetzung und den Erfolg eines Brückenersatzneubaus ist eine gute Planung. Dazu gehört auch eine breite Akzeptanz der Maßnahme im Umfeld, indem trotz der mit einer Baumaßnahme verbundenen negativen Begleiterscheinungen wie Verkehrseinschränkungen, Baulärm, sonstige Umweltauswirkungen etc. die Notwendigkeit anerkannt und damit das Konfliktpotential reduziert wird. Ein politisches Bekenntnis zum Brückenerhalt im Allgemeinen reicht hier nicht aus. Vielmehr bedarf es eines klaren Votums für jedes einzelne notwendige Brückenbauprojekt. Vor diesem Hintergrund wird derzeit eine Projektliste erarbeitet, die alle nach fachlichen Kriterien ausgewählten prioritären Brückenerhaltungsmaßnahmen in Baden-Württemberg enthält. Derzeit ist davon auszugehen, dass die Liste unter Berücksichtigung eines politischen Abstimmungsprozesses voraussichtlich bis Ende 2024 veröffentlicht werden kann. Sie soll regelmäßig entsprechend der aktuellen Zustandsentwicklung überprüft und ggf. angepasst werden. Dabei setzt das VM bei der Umsetzung der Projekte auf die dargestellten Möglichkeiten zur Beschleunigung bei um die Anzahl von Brückenerhaltungsmaßnahmen zu steigern. Im Ergebnis soll die Anzahl der Brückenerhaltungsmaßnahmen, welche grundhafte Instandsetzungen, Ertüchtigungen und Ersatzneubauten umfassen, sukzessive auf ca. 100 Projekte pro Jahr erhöht werden.