Kolloquium Straßenbau in der Praxis
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expert Verlag Tübingen
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2025
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Blindenleitsysteme – nicht nur – im öffentlichen Verkehrsraum – Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis
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Edgar Theurer
Blindenleitsysteme – nachfolgend generell als BLS abgekürzt – tragen wesentlich zur Schaffung einer inklusiven, barrierefreien Umwelt bei. Sie ermöglichen Menschen, die blind sind oder mit einer Sehbehinderung leben müssen die selbständige Orientierung im öffentlichen Verkehrsraum – und nicht nur dort – und schaffen somit Unabhängigkeit.
Mittels eines überschaubaren Werkzeugkastens an Materialien und Regeln, die im Folgenden dargestellt werden, gelingt es, nahezu überall Blindenleitsysteme (BLS) einzurichten. Damit diese wirksam ihren Zweck erfüllen, sind einige grundsätzliche Voraussetzungen zu beachten und Detailanforderungen zu erfüllen. Querungsstellen von Straßen oder Verkehrsknoten erfordern die zielgerichtete Auswahl der jeweils optimalen Lösung, normgerecht geplant und umgesetzt. Signifikante Probleme bei der Ausführung, dargestellt an eindrücklichen Beispielen, gilt es zu vermeiden, um die Nutzer bestmöglich zu führen.
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4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 399 Blindenleitsysteme - nicht nur - im öffentlichen Verkehrsraum - Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis Dipl.-Ing. Bau (FH) Edgar Theurer - BDB Selbständiger Berater barrierefreies Planen und Bauen Zusammenfassung Blindenleitsysteme - nachfolgend generell als BLS abgekürzt - tragen wesentlich zur Schaffung einer inklusiven, barrierefreien Umwelt bei. Sie ermöglichen Menschen, die blind sind oder mit einer Sehbehinderung leben müssen die selbständige Orientierung im öffentlichen Verkehrsraum - und nicht nur dort - und schaffen somit Unabhängigkeit. Mittels eines überschaubaren Werkzeugkastens an Materialien und Regeln, die im Folgenden dargestellt werden, gelingt es, nahezu überall Blindenleitsysteme (BLS) einzurichten. Damit diese wirksam ihren Zweck erfüllen, sind einige grundsätzliche Voraussetzungen zu beachten und Detailanforderungen zu erfüllen. Querungsstellen von Straßen oder Verkehrsknoten erfordern die zielgerichtete Auswahl der jeweils optimalen Lösung, normgerecht geplant und umgesetzt. Signifikante Probleme bei der Ausführung, dargestellt an eindrücklichen Beispielen, gilt es zu vermeiden, um die Nutzer bestmöglich zu führen. 1. Inhaltsübersicht Der vorliegende Vortrag gibt eine Übersicht über die Thematik anhand der nachfolgenden Stichworte: - Funktion von Blindenleitsystemen - Ausführung der Blindenleitsysteme - Kontraste und Sichtbarkeit - Sonderfall Querungen - Fehler und Probleme bei Planung und Ausführung 2. Regelwerk Planung und Bau von BLS erfolgen auf Basis der Regeln der DIN 32984-2023-04 „Bodenindikatoren im öffentlichen Raum“. Zu beachten ist, dass ausschließlich diese Ausgabe der Norm Anwendung findet, die sich in wesentlichen, wenn auch kleinen Details von den Vorgängerausgaben unterscheidet. Die Ausführung der BLS muss sich so nahe wie irgend möglich an der DIN entfalten, es ist kein Platz für Experimente und Eigenkreationen. Abweichungen von der Norm beschwören für die Nutzer Gefahren herauf, da sie nicht sehen können, wenn eine Lösung zwar „gut gemeint, aber nicht regelkonform“ ausgeführt wurde und damit den in speziellen Trainings eingeübten Abläufen zuwiderläuft. Nutzer/ -innen müssen sich darauf verlassen können, dass die taktil erfassten Informationen immer denselben Umsetzungsmechanismen folgen. 3. Funktionen eines Blindenleitsystems BLS folgen 3 wesentlichen Funktionsprinzipien: - Auffinden/ Beachten - Leiten - Sperren 3.1 Auffinden Mittels sogenannter Aufmerksamkeitsfelder wird auf Gefahrenstellen, Richtungswechsel, Hindernisse, Funktionsstellen etc. hingewiesen. Die Aufmerksamkeitsfelder werden durch i. d. R. quadratische Felder mit taktilen Bodenindikatoren in Noppenform, ausgeführt als Kegelstümpfe, gebildet. In gefrästen BLS kann die Noppe auch in quadratischer Form eines Pyramidenstumpfes ausgebildet werden. Abb. 01: Aufmerksamkeitsfeld als Abzweig Abb. 02: Aufmerksamkeitsfeld an Querung 400 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Blindenleitsysteme - nicht nur - im öffentlichen Verkehrsraum - Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis Abb. 03: Aufmerksamkeitsfeld als Richtungswechsel Abb. 04: Aufmerksamkeitsfeld an einer Kante Abb. 05: Detail Noppen in Kegelstumpfform Die Noppenplatten werden so verlegt, dass sich die Noppen in einem durchgehenden, diagonalen Streifen befinden. Die quadratische Anordnung von Noppen im Feld ist nur in der Sonderform der gefrästen Felder anzuwenden. Noppen in Form von Kugelsegmenten sind eine ältere Form, die auf Grund schlechter taktiler Erkennbarkeit nicht mehr zur Anwendung kommen soll. 3.2 Leiten Mittels sogenannter Richtungsfelder oder auch ausgedehnter Leitstreifen wird den Nutzenden die Richtung vorgegeben, in der sie sich fortbewegen sollen. Die Rippen der Verlegeplatten verlaufen parallel zur vorgesehenen Gehbzw. Bewegungsrichtung und bilden damit den Leitstreifen, an der sich die Nutzenden orientieren. Bögen bis zu 45 ° Richtungswechsel können in Bogenform ausgeführt werden, Richtungswechsel über 45 ° müssen in Form eines Aufmerksamkeitsfeldes ausgeführt werden. Zum Einsatz kommen Rippenplatten mit einem Achsabstand der Rippen von 50 mm. Abb. 06: Richtungsfeld/ Leitstreifen entlang eines Bussteiges 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 401 Blindenleitsysteme - nicht nur - im öffentlichen Verkehrsraum - Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis Abb. 07: Richtungsfeld/ Leitstreifen zur Verbindung einer Treppenanlage mit einer höhengetrennten Straßenquerung mittels Zebrastreifens Abb. 08: Leitstreifen innerhalb eines Gebäudes hin zu einer Aufzugsanlage Abb. 09: Richtungsfeld/ Leitstreifen über einen Gehweg hin zur Querungsstelle an einer Lichtsignalanlage Abb. 10: Versatz eines Leitstreifens um einen Poller mittels leichter Bögen 402 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Blindenleitsysteme - nicht nur - im öffentlichen Verkehrsraum - Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis 3.3 Sperren Mittels sogenannter Sperrfelder wird das Weitergehen in einer bestimmten Richtung unterbunden. Dies kann z. B. eine Bordsteinabsenkung auf Nullniveau an einer Fahrbahnquerung sein, die taktil nicht erkennbar ist und somit eine Gefahrenstelle darstellt. Die Rippen der Verlegeplatten verlaufen senkrecht zur vorgesehenen Gehbzw. Bewegungsrichtung und bilden damit die Barriere, die den Nutzenden signalisiert, dass es hier nicht weiter geht. Zum Einsatz kommen Rippenplatten mit einem Achsabstand der Rippen von 38 mm. Abb. 11: Sperrfeld an einer Nullabsenkung im Bereich einer höhengetrennten Querung Abb. 12: Sperrfeld in einer Platzfläche vor einem Hindernis Abb. 13: Sperrfeld an einem auf Nullniveau abgesenkten Bordstein im Bereich einer höhengetrennten Querung 4. Ausführung von Blindenleitsystemen BLS können grundsätzlich in gepflasterter, gefräster oder aufgeklebter Bauweise ausgeführt werden. Dabei ist die gepflasterte Bauweise die Standardform, von der bei bestimmten Untergrundbedingungen in gefräst oder geklebt abgewichen wird. 4.1 gepflastert Bei dieser Standardbauweise werden taktile Bodenindikatorelement aus Beton oder Betonverbundstoffen in Pflaster- oder Asphaltbeläge eingebaut. Beim Einbau in Asphaltbeläge werden die Elemente entweder vor Aufbringen der bituminösen Beläge in einem Betonbett verlegt und dann der Belag aufgebracht oder sie werden nachträglich in die Asphaltschicht eingeschnitten und eingepflastert. Abb. 14: in eine Pflasterfläche (Großpflaster) eingelegtes Aufmerksamkeitsfeld Abb. 15: Auffindestreifen hin zu einer Fahrbahnquerung im gepflasterten Gehweg 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 403 Blindenleitsysteme - nicht nur - im öffentlichen Verkehrsraum - Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis Abb. 16: Aufmerksamkeits- und Richtungsfeld an einer Querung, nachträglich eingelegt in einen bituminösen Gehwegbelag Abb. 17: in 2 Bauabschnitten in einen Gehweg eingepflasterter Auffindestreifen hin zu einer Fahrbahnquerung 4.2 gefräst Alternativ zum Einpflastern der taktilen Elemente besteht auch die Möglichkeit, die Bodenindikatorelemente mittels einer Fräsung in den Belag einzubringen. Dies kommt vor allem dann zur Anwendung, wenn komplizierte (nichtlineare) Formen von Leitstreifen zur Ausführung kommen müssen. Ebenfalls wenn taktile Elemente in bestehende (Sonder-) Beläge eingebaut werden müssen. Dabei kann es sich um Natursteinbeläge, bituminöse Deckschichten oder auch Bereiche mit Belägen handeln, die unter Denkmalschutz stehen und damit nicht gegen Betonelemente ausgetauscht werden dürfen. Fräsungen sind in nahezu allen Belägen möglich - Sachkunde des Fräsunternehmens vorausgesetzt. Noppen werden hierbei in quadratischer Form als Pyramidenstümpfe ausgeführt und nicht diagonal zur Verlegerichtung, sondern rechteckig dazu angelegt. Abb. 18: gefräster Leitstreifen in einem Gehweg mit Betonbelag Abb. 19: Leitstreifen und Aufmerksamkeitsfeld in einem denkmalgeschützten Betonplattenbelag Abb. 20: gefrästes BLS mit Übergang zu einem eingepflasterten System an der Schnittstelle eines Gehweges zu einem Bahnsteig 404 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Blindenleitsysteme - nicht nur - im öffentlichen Verkehrsraum - Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis Abb. 21: gefrästes BLS in einem Sonderbelag einer Platzfläche Abb. 22: Fräsung im Übergang von einem Natursteinbelag zu einer Asphaltfläche Abb. 23: gefräster Leitstreifen in einem Stadtpark, Wurzelbereich umfahren 4.3 geklebt In Bereichen/ Belägen, in denen nicht in den Untergrund eingegriffen werden kann, ist es möglich, taktile Elemente auch auf den Belag aufzukleben. Das ist z. B. an Übergangskonstruktionen von Brückenbauwerken sinnvoll oder wenn im Untergrund Bauelemente bis nahe an die Oberfläche ragen und Pflaster nicht tief genug einbinden könnte. Ebenfalls auf Belägen, die unter Denkmalschutz stehen und nicht beschädigt werden dürfen (dann mittels frei reversibler Klebstoffe). Abb. 24: Noppenfeld auf einer Brückenkappe im Anschluss an einen eingepflasterten Bereich Abb. 25: Auffindestreifen und Richtungsfeld an einer Querung. Das Fundament des Ampelmastes links endet ca. 5 cm unter Gehwegniveau und darf nicht für die Pflasterung (OK Belag - 15 cm) abgestemmt werden. Abb. 26: BLS auf einem denkmalgeschützten Natursteinbelag in einer historischen Bahnhofshalle 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 405 Blindenleitsysteme - nicht nur - im öffentlichen Verkehrsraum - Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis Abb. 27: Leitstreifen aus Metallelementen im Zuge der Querung einer Buszufahrt zu einem ZOB. Betonelemente würden der Dauerbelastung durch die zahlreichen Busüberfahrten nicht standhalten. Zusätzlich zur Verklebung wurden die Elemente noch im Asphaltbelag verdübelt. 5. Kontraste und Sichtbarkeit Damit in ihrer Sehfähigkeit eingeschränkte Personen taktile Leitelemente erkennen können müssen diese einen gut sichtbaren Kontrast zur Umgebungsfläche aufweisen. Der Leuchtdichteunterschied der Flächen muss ein in der einschlägigen Norm festgelegtes Maß erreichen / überschreiten. Ist dieser Kontrast nicht gegeben sind die Elemente nur mittels Taststock zu erkennen. Menschen mit nur eingeschränkter Sehfähigkeit sind aber oft in der Lage, Hell-Dunkel-Unterschiede oder andere Abstufungen von Kontrasten zu erkennen und können deshalb auf den Taststock verzichten. Um sich eine Vorstellung machen zu können, von welcher Größenordnung auszugehen ist, hier ein kurzer Exkurs in die Statistik zum Thema Sehbehinderungen: Definition „BLIND“ „blind“ ist ein Mensch, dessen Sehvermögen max. 2 % der Sehkraft eines Menschen mit normaler Sehkraft beträgt „hochgradig sehbehindert“ ist ein Mensch, dessen Sehvermögen max. 5 % der Sehkraft eines Menschen mit normaler Sehkraft beträgt „sehbehindert“ ist ein Mensch, dessen Sehvermögen max. 30 % der Sehkraft eines Menschen mit normaler Sehkraft beträgt Statistik „blind“ 2021 in D: Quelle: Statistisches Bundesamt 31.12.2021 aus Schwerbehindertenstatistik = Menschen mit Schwerbehindertenausweis blind (Verlust beider Augen) 71.260 Personen hochgradig sehbehindert 46.820 Personen sehbehindert 440.645 Personen insgesamt also knapp 560.000 Menschen gesicherter unterer Grenzwert, tatsächlich vermutlich höher Es kann also angenommen werden, dass über 75 % der „Blinden“ noch ausreichende Kontraste wahrnehmen können und somit nicht unbedingt auf einen Taststock angewiesen sind - sofern Kontraste AUSREICHEND sind! Beispiele für BLS mit ausreichenden Kontrastwerten: Abb. 28: Einstiegsfeld einer barrierefreien Bushaltestelle Abb. 29: Leitstreifen auf einem Bussteig 406 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Blindenleitsysteme - nicht nur - im öffentlichen Verkehrsraum - Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis Abb. 30: Leitstreifen in einer Bahnhofshalle Abb. 31: BLS auf einer Platzfläche Vor allem bei gefrästen BLS besteht das Problem, dass der Kontrast zur umgebenden Belagsfläche oft nicht ausreichend gegeben ist. Die Fräsung selbst erzeugt nur einen leicht helleren Strich, der im Lauf der Zeit nachdunkelt und nicht mehr wahrnehmbar wird. Abb. 32-34: Simulation … … einer Seheinschränkung und der daraus folgenden Wahrnehmung eines gefrästen Leitstreifens ohne begleitende Kontrastverbesserung. Der Leitstreifen ist bald nicht mehr erkennbar. Hier muss dann durch Farbe nachgebessert werden. 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 407 Blindenleitsysteme - nicht nur - im öffentlichen Verkehrsraum - Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis Abb. 35-37: Simulation derselben Situation - nun Verbesserung der Wahrnehmbarkeit durch einen hellen Begleitstreifen Mittels des Einlegens je eines weißen Begleitstreifens in die äußeren beiden Rillen bleibt das BLS auch für stark Seheingeschränkte noch wahrnehmbar. Kleine Maßnahme - großer Effekt! Diese Einlagestreifen können in nahezu jeder Farbe hergestellt werden und dann passend zum jeweiligen Untergrund/ Hintergrund als Kontrastverbesserung dienen. Notfalls wird einfach ein Farbstreifen parallel der Fräslinien auf den Belag aufgebracht (nicht dauerhaft haltbar = wartungsintensiv). Abb. 38: gefräster Leitstreifen in Asphalt mit begleitenden eingelegten Kontraststreifen Abb. 39: Einlegestreifen beidseits in gelber Farbe 408 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Blindenleitsysteme - nicht nur - im öffentlichen Verkehrsraum - Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis Abb. 40: Begleitstreifen zur Kontrastverbesserung nur mit Farbe - Abrieb bereits erkennbar = nicht nachhaltig 6. Sonderfall Querungen Fahrbahnquerungen sind an sich kein Sonderfall, deren barrierefreie Ausführung muss zum Regelfall werden. Allerdings haben wir es hier mit einem komplexen Bauwerk mit mehreren relevanten taktilen Elementen im BLS zu tun auf die im Folgenden näher einzugehen ist. Unterschieden wird in höhengetrennte und gemeinsame Querungen. Bei der höhengetrennten Querung queren blinde Menschen die Fahrbahn an einer separaten Stelle, die als 6 cm hohe Bordsteinkante gut fühlbar ist. Für Rollstuhl- und Rollatornutzende wird die Bordsteinkante seitlich davon komplett auf Fahrbahnniveau abgesenkt. Bei einer gemeinsamen Querung wird die Bordsteinkante mit einem 3 cm hohen Absatz ausgeführt, der für Blinde gerade noch tastbar und für Rollstuhl- und Rollatornutzende gerade noch überfahrbar ist. In Summe ein fauler Kompromiss, der wo immer möglich zu vermeiden ist! Es ist mit ganz wenigen Ausnahmen immer vermeidbar - die Praxis hat dies mannigfach bewiesen. Um bei der höhengetrennten Querung die einzelnen Bereiche für Blinde klar erkennbar zu machen, kommt eine komplexe Kombination von taktilen Elementen zum Einsatz. Unterschieden wird in Querungen mit Sicherung durch Lichtsignalanlagen, durch Zebrastreifen oder ungesichert. Hierbei kommen immer die Elemente Auffindestreifen, Richtungsfeld und Sperrfeld zum Einsatz. Der Auffindestreifen leitet zum eigentlichen Blindenquerungsabschnitt. Dort gibt das Richtungsfeld dem Blinden die Gehrichtung vor, in der er die Fahrbahn zu überqueren hat. Die Nullabsenkung für Rollstuhl- und Rollatornutzende wird durch ein Sperrfeld für Blinde kenntlich gemacht und damit verhindert, dass sie aus Versehen bzw. wegen Nichterkennens der Bordsteinkante ungesichert in den Verkehr geraten. Abb. 41: Elemente einer höhengetrennten Querung Nun zu den einzelnen Ausführungsvarianten im Einzelnen: Abb. 42: höhengetrennte Querung an einer Lichtsignalanlage Hier ist v. a. die präzise Position des Ampelmastes innerhalb der Elemente des BLS und der Bordsteinkante von großer Bedeutung. Nur so ist gewährleistet, dass der Blinde den Taster zur Auslösung des akustischen Signals findet, der ihm mittels 2-Sinne-Prinzip durch Hören anzeigt, ob die Ampel für ihn „auf Grün“ steht. 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 409 Blindenleitsysteme - nicht nur - im öffentlichen Verkehrsraum - Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis Abb. 43: höhengetrennte Querung an einem Zebrastreifen Wichtig ist hier der Abstand der Nullabsenkung vom Querungsbereich der Blinden. Abb. 44: ungesicherte höhengetrennte Querung Bei dieser Querung erfolgt keine Sicherung der Querenden durch LSA oder Zebrastreifen. Der Blinde muss selbst erkennen, wann er die Fahrbahn sicher queren kann. Um diese Sondersituation zu erkennen, wird der Auffindestreifen nicht bis an das Richtungsfeld geführt, sondern endet mit definiertem Abstand davor. Ist es nun tatsächlich - nach Prüfung aller Alternativen - nicht zu umgehen, dass eine gemeinsame Querung eingerichtet werden muss, ist diese wie folgt auszuführen: Abb. 45: gemeinsame Querung Von essenzieller Wichtigkeit ist dabei, dass die Bordsteinkante sehr exakt mit einer Höhe von 3 cm ausgeführt wird. Um es nochmals zu betonen: Die Erfahrung zeigt, dass es nahezu IMMER eine Möglichkeit gibt, eine höhengetrennte Querung zu bauen. Es ist dabei allerdings hohe Kreativität gefragt, diese Lösung dann absolut regel- und normenkonform umzusetzen! 7. Fehler und Probleme bei Planung und Ausführung Die in den vorhergehenden Kapiteln aufgezeigten Lösungen für die Einrichtung von BLS im öffentlichen Verkehrsraum, und nicht nur dort, sind Stand der Technik und auch in der baulichen Umsetzung/ Ausführung nicht von überragenden Schwierigkeiten geprägt. Trotzdem gibt es immer wieder Probleme bei der Ausführung, die dann nachträglich bei der Bauabnahme bemängelt werden müssen. Dies führt zu Ärger, Verzögerungen bei der Inbetriebnahme und letztendlich zu vermeidbaren Mehrkosten. Deshalb soll im nachfolgenden Abschnitt auf einige wenige immer wieder festzustellende Fehler in der Ausführung hingewiesen werden - sozusagen die „Hitliste der einschlägigen Ausführungsmängel“. Kanten, Fasen und Versätze im Pflasterbelag sind nicht zulässig. Da dies nicht Stand der Dinge in der Sicht der vieler Auftragnehmer ist müssen hier in den Ausschreibungen explizite Anforderungen definiert werden. DIN 18318 setzt die Maßtoleranz bei Pflasterflächen auf 2-mm fest. Darauf muss in der Ausschreibung hingewiesen und die Norm verpflichtend gesetzt sein. Bei der Bauabnahme sind Abweichungen zu bemängeln und deren Behebung einzufordern. 410 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Blindenleitsysteme - nicht nur - im öffentlichen Verkehrsraum - Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis Abb. 46: Kantenversatz und Stolperfalle So geht das nicht! Vor allem beim BLS geht es sehr um Präzision, blinde Menschen können solche Stolperfallen nicht erkenne und deren Gefahren vermeiden. Abb. 47: absolute Ebenheit in der Ausführung Sorgfalt beim Verlegen der taktilen Bauelemente: Abb. 48: unsaubere Verlegung von Noppenplatten Abb. 49: Verlegemuster stimmt nicht, keine durchgehenden Linien Abb. 50: Korrektur der Fehler in Abb. 48 Abb. 51: Korrektur der Fehler in Abb. 49 Noppenplatten sind im gesamten Feld mit einer durchgehenden Verlegerichtung einzubauen. Die Diagonalen müssen überall versatzfrei stimmen. Das ist leider bei sehr vielen Pflasterern noch nicht durchgedrungen. Ent- 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 411 Blindenleitsysteme - nicht nur - im öffentlichen Verkehrsraum - Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis sprechend viele Beanstandungen ergeben sich bei den einschlägigen Bauabnahmen! Ein weiteres Thema sind Fluchten bei Richtungsfeldern: Abb. 52: Richtungsfelder weisen über die gesamte Breite der Fahrbahnquerungen Versätze auf Abb. 53: andere Perspektive auf dasselbe Problem Richtungsfelder geben Blinden die Gehrichtung über die Fahrbahn(en) vor. Dabei müssen sich diese darauf verlassen können, dass sie an der nächsten Bordkante wieder auf ein Richtungsfeld treffen. Sind diese dann in der Achse versetzt kann das zu Problemen führen. Dass sich dieser Fehler sehr oft bei Abnahmen zeigt ist ärgerlich, da das einfache Spannen eine Richtschnur zuverlässig verhindert, dass genau solche Versätze entstehen. Das ist Einsatz von „low tech“ in Reinkultur, Grundkenntnis für Ausführende seit deren Lehrzeit… Wohin solche Nachlässigkeit im Extremfall führen zeigt eindrücklich das letzte Beispiel der kleinen Mängelauswahl: Abb. 54: Lebensgefahr! Abb. 55: … gebannt! Bei der Ausführung dieses Richtungsfeldes hat der verantwortliche Verleger die Rippenplatten nahezu beliebig in den Gehweg gelegt. Das war im Plan explizit so nicht eingezeichnet! Die Folge dieser Nachlässigkeit: Der Blinde, der dem Richtungsfeld vertraut und seine Gehrichtung danach ausrichtet gerät geradewegs in den bei Freigabe der Fußgängerfurt der LSA parallel losfahrenden Längsverkehr [Abb.54]. Dabei berührt sein Laufweg nicht einmal den gegenüberliegenden Gehweg, sondern führt auf langer Strecke nur in den Fahrzeugverkehr - Lebensgefahr! 412 4. Kolloquium Straßenbau in der Praxis - Februar 2025 Blindenleitsysteme - nicht nur - im öffentlichen Verkehrsraum - Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis Durch eine entsprechende Korrektur des Richtungsfeldes (nach unmittelbarer Sperrung der Fußgängerfurt noch im Zuge der Bauabnahme zur Vermeidung von Fußgängerunfällen = Gefahr im Verzug! ) [Abb. 55] ist die Gefahr gebannt und die barrierefreie Querung vollumfänglich einsatzbereit. Gespräche mit Ausführenden im Zuge solcher mängelbehafteter Bauabnahmen zeigen leider ein immer noch weit verbreitetes, erschreckendes Unverständnis gegenüber Elementen der Barrierefreiheit im Verkehrsraum. Ein Bewusstsein, was es bedeutet, den Verkehrsraum nicht oder nur sehr eingeschränkt sehen zu können, ist nicht vorhanden, die Verantwortlichkeit für Präzision und Qualität der Arbeit nur sehr marginal ausgeprägt. Hier besteht noch erheblicher Handlungsbedarf seitens aller Verantwortlicher in der Vermittlung der Bedeutung eines barrierefreien, inklusiven Umfeldes. Allerdings lässt sich auch feststellen, dass die Qualität der Arbeit sprunghaft ansteigt, wenn es erstmal gelungen ist, die Bedeutung dieser Elemente und deren präziser Ausführung zu vermitteln. Dafür bedarf es aber Zeit und Geduld bei allen Verantwortlichen in der Vermittlung der Sachverhalte! Nicht zuletzt aus diesem Grund - anschauliche Vermittlung der einschlägigen Sachverhalte „aus der Praxis für die Praxis“ - hat der Autor dieser Zeilen zusammen mit 2 weiteren Praktikern alle wesentlichen Sachverhalte in einem Anfang 2024 erschienenen Sachbuch dokumentiert. Vor allem anhand umfangreichen Bildmaterials aktueller Baumaßnahmen und eines - leider - doch recht umfangreichen Kapitels „such den Fehler“ wird aufgezeigt, auf was beim barrierefreien Bauen im öffentlichen Verkehrsraum Wert zu legen ist. Abb. 56: Sachbuch „Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehrsraum“ - Theurer/ Stirner/ Zakzak
