eJournals Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis 6/1

Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis
ktw
expert verlag Tübingen
91
2021
61

Life-cycle engineering - Neue technische Ansätze zur Reduktion der Lebenszykluskosten

91
2021
Tobias Bürkle
Andreas Gerdes
Eine Vielzahl an wissenschaftlich begleiteten praktischen Anwendungsbeispielen haben gezeigt, dass bei einer Ganzheitlichen Betrachtung des Lebenszyklus eines Trinkwasserbehälters aber auch durch eine Portfolio- bzw. Strukturanalyse einer gesamten Wasserversorgung die Lebenszykluskosten eines Bauwerks bzw. die Unterhaltskosten der Wasserversorgung signifikant reduziert werden können. Hierbei stellen die werkstofftechnologischen Anforderungen und Fragestellungen einer der maßgebenden Einflussfaktoren dar, der in die Gesamtbetrachtung einbezogen werden muss. Die Werkstoffauswahl, die Qualitätskontrolle der Eigenschaften sowie das Monitoring bzw. die Zustandsanalyse über den Lebenszyklus sind hierbei grundlegende Parameter, die ein liefe-cycle-engineering ermöglichen.
ktw610113
6. Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis - September 2021 113 Life-cycle engineering - Neue technische Ansätze zur Reduktion der Lebenszykluskosten Grundlagen: Zementgebundene Beschichtungen in Trinkwasserbehältern Tobias Bürkle IONYS AG, Karlsruhe Prof. Dr. Andreas Gerdes KIT Innovation Hub - Prävention im Bauwesen, Karlsruhe Zusammenfassung Eine Vielzahl an wissenschaftlich begleiteten praktischen Anwendungsbeispielen haben gezeigt, dass bei einer Ganzheitlichen Betrachtung des Lebenszyklus eines Trinkwasserbehälters aber auch durch eine Portfoliobzw. Strukturanalyse einer gesamten Wasserversorgung die Lebenszykluskosten eines Bauwerks bzw. die Unterhaltskosten der Wasserversorgung signifikant reduziert werden können. Hierbei stellen die werkstofftechnologischen Anforderungen und Fragestellungen einer der maßgebenden Einflussfaktoren dar, der in die Gesamtbetrachtung einbezogen werden muss. Die Werkstoffauswahl, die Qualitätskontrolle der Eigenschaften sowie das Monitoring bzw. die Zustandsanalyse über den Lebenszyklus sind hierbei grundlegende Parameter, die ein liefe-cycle-engineering ermöglichen. 1. Historischer Überblick Die Menschheit kann auf ein Jahrtausend lange Baugeschichte zurückblicken, die sich bis heute auch an realen Bauwerken, wie die Pyramiden von Gizeh, belegen lässt. Die Erbauer wollten durch dieses Bauwerk nicht nur die Bedeutung ihres Herrschers, sondern als Sakralbau die Ewigkeit symbolisieren. Die Dauerhaftigkeit des Bauwerkes hatte in diesem Zusammenhang somit auch eine religiöse Bedeutung. Neben sakralen Gebäuden stand bei der Vielzahl der Bauwerke die Versorgung der Menschen mit Dingen, die für das tägliche Überleben notwendig sind, im Vordergrund. Das gilt insbesondere für die Wasserversorgung, da ohne Wasser Leben nicht möglich ist. Römische Wasserspeicher oder auch von den Puniern erstellte Zisternen, wie man sie auf der Insel Pantelleria findet, sind Zeugnis für die hochentwickelte Ingenieurkunst und dem bereits vorhandenen Wissen über das Werkstoffverhalten [1]. Viele dieser Behälter sind heute noch in Gebrauch und trotz der Nutzungsdauer von ca. 2000 Jahren waren Instandsetzungen bisher nicht nötig. Aber es finden sich auf Pantelleria auch Beispiele für die Entwicklung verschiedener Technologien, wie die Abbildung 1, b) zeigt. Im Laufe der Zeit wurde die ursprüngliche punische Auskleidung (D) mit einer weiteren punischen Auskleidung (E) überarbeitet. Die dazu verwendeten Bindemittel sind eine Mischung aus Kalk und Puzzolanen. Deutlich erkennbar sind die Farbunterschiede, die auf den Einsatz unterschiedlicher Puzzolane wie Ziegelmehl (rot) oder Vulkanasche (grau) zurückzuführen sind [1]. Nach der gewaltsamen Übernahme der Insel in das Römische Reich wurde die Zisterne erneut mit einer mineralischen Beschichtung ausgekleidet. Optisch erkennbar ist der Unterschied in der Zusammensetzung des dazu verwendeten „römischen“ Mörtels. Als Puzzolan wurde diesmal fein gemahlenes Ziegelmehl verwendet, als gröbere Gesteinskörnung u.a. gebrochener Ziegelsplitt. Im Gegensatz zu den von den Puniern verwendeten Vulkanaschen, die auf der Insel in großer Menge vorhanden sind, mussten das Ziegelmehl bzw. der Ziegelsplitt über den Seeweg von Sizilien über eine Distanz von ca. 180 km auf die Insel Pantelleria transportiert werden. Es stellt sich hier also die Frage, ob die Römer von den technischen Vorteilen ihres Puzzolans so überzeugt waren, dass sie die hohen Transportkosten in Kauf nahmen oder ob sie einfach keine Kenntnisse über die Wirkung der Vulkanaschen als Puzzolan hatten. Antike 114 6. Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis - September 2021 Life-cycle engineering - Neue technische Ansätze zur Reduktion der Lebenszykluskosten Quellen deuten darauf hin, dass letzteres der Grund für das Vorgehen der Römer waren [1]. Später übernahmen die Römer die „punische Technologie“, wo Vulkanaschen zur Verfügung standen. In anderen Teilen des römischen Reiches, wie in der Schweiz, kamen auch weiterhin Bindemittel auf Basis von Ziegelmehl zum Einsatz [2]. Die römischen Technologien, etwas abgewandelt und mit anderen Rohstoffen, wurden bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts in vergleichbarer Weise eingesetzt. So wird in dem 1899 erst-malig veröffentlichten Buch von Büsing und Schumann eine Rezeptur empfohlen, die von den Autoren als besonders geeignet für die Auskleidung von Trinkwasserbehältern bezeichnet wird [3]. In dieser Rezeptur wird neben Portlandzement auch die Verwendung von Vulkanaschen angeraten. Darüber hinaus wird für die Ausführung vorgegeben, die Beschichtung zweilagig auszuführen. Praktisch wird dazu zunächst eine 2-3 cm dicke Putzschicht aufgetragen, auf die nachfolgend das trockne Bindemittel aufgestreut wird. Nach dem Anziehen wird diese Schicht geglättet, was so zu einer sehr glatten und leicht zu reinigenden Oberfläche führt. Auch diese Behälter sind heute, teilweise mit einem Alter von mehr als 100 Jahren, noch häufig unverzichtbarer Bestandteil der modernen Wasserversorgung. Abbildung 1: Zisterne auf der Insel Pantelleria; a) in Felsen geschlagene Zisterne mit einer Mörtelauskleidung; b) Aufbau einer Zisternenauskleidung D=altpunisch, E=neupunisch, B=römisch 2. Anforderungen an zementgebundene Beschichtungen Die bereits in der Antike geltenden Anforderungen für Trinkwasserspeicher sind auch für die Erstellung bzw. Instandsetzung in der heutigen Zeit noch gültig. • Hygienische Lagerung des Wassers • Ausbessern von Schwachstellen in der Konstruktion • Verschleißschicht gegen chemische und mechanische Einwirkungen • Reinigungsfreundlichkeit der Auskleidung • Optik Und auch mineralische Beschichtungen sind bis heute besonders gut für die Auskleidung von Trinkwasserbehältern geeignet. Sowohl durch ihre Alkalität als auch durch die Nichtverwendung organischer Additive bieten diese Werkstoffsysteme Mikroorganismen keine Voraussetzungen für ein Wachstum. Durch ihre Festmörteleigenschaften schützen die Beschichtungen die da-runterliegende Konstruktion vor mechanischen Beanspruchungen (z.B. Abrasion) oder chemischen Angriffen durch das Wasser (z.B. weiches Wasser, kalklösende Kohlensäure). Die üblicherweise sehr glatten Werkstoffoberflächen reduzieren die Bildung von Ablagerungen, welche eine Biofilmbildung auf den Werkstoffoberflächen begünstigen können. Mit schonenden Reinigungstechniken, d.h. durch Verzicht auf saure Reiniger, lassen sich diese leicht entfernen. Nicht zuletzt spielt in der Anwendung häufig auch die Optik der Innenauskleidungen eine Rolle, da durch den Betreiber dafür besondere Ansprüche formuliert werden. Aber auch aus technischen Gründen ist eine hohe Oberflächenqualität anzustreben, da Fehlstellen oder korrodierende Bereiche so frühzeitiger zu erkennen sind. In jüngerer Vergangenheit spielt die Dauerhaftigkeit dieser Beschichtungen eine zunehmend wichtigere Rolle, da viele Betreiber die Lebenszykluskosten stärker in den Vordergrund stellen. Das führt direkt zu erhöhten Anforderungen an die Beschichtungssysteme, Planung und Aus-führung. Aber auch Beanspruchungen durch den permanenten Kontakt mit dem gespeicherten Wasser sind zu berücksichtigen. Ausgewählte chemisch-physikalische Prozesse, welche die Lebensdauer einer Beschichtung negativ beeinflussen, werden daher in den nachfolgenden Kapiteln näher beschrieben. 3. Schadensmechanismen - Theorie und Praxis Bereits seit den Anfängen der Beton- und Mörteltechnologie ist es bekannt, dass aggressive Wässer nach relativ kurzer Zeit zementgebundene Werkstoffe angreifen und zerstören können [2]. So berichtet O. Graf ausführlich in [4] über die Auswirkungen chemischer und physikalischer Angriffe und welche geeigneten Gegenmaßnahmen zur Verfügung stehen. Ist das Werk auch im Jahre 1930 veröffentlicht worden, so sind einige der Ansätze und Verfahren heute, wenn auch in modifizierter Form, noch Stand der Technik und müssen bei der Planung, beim Bau und beim Betrieb von Trinkwasserbehältern berücksichtigt werden, was auch die entsprechenden Vorgaben im Regelwerk abbilden. Zu den für den Trinkwasserbereich besonders relevanten Schadensmechanismen gehören: • Wirkung von kalklösender Kohlensäure, weiches Wasser und Kondensat • Sulfatangriff • hydrolitische Korrosion 6. Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis - September 2021 115 Life-cycle engineering - Neue technische Ansätze zur Reduktion der Lebenszykluskosten Je nach Quelle oder Wasseraufbereitung kann sich das Wasser in seiner Zusammensetzung und damit in der Aggressivität gegenüber zementgebundenen Werkstoffen stark unterscheiden. Beschreiben lässt sich diese Zusammensetzung mithilfe des Kalk-Kohlensäure- Gleichgewichts, auf dessen Grundlagen hier aber nicht eingegangen werden kann. Für Details wird daher auf die Fachliteratur verwiesen [5-7]. Die Wirkung kalklösender Kohlensäure auf einem Beton ist in der Abbildung 2a erkennbar. Als Folge des ständigen Kontaktes des Werkstoffes mit diesem aggressiven Wasser ist der oberflächennah vorhandene Zementstein aufgelöst worden, die säureunlösliche Gesteinskörnung, meistens Quarz, bleibt unverändert zurück. Die Folge ist das vergleichsweise grobporige Erscheinungsbild. Darüber hinaus sinkt der pH-Wert auf Werte im Bereich von 8-9 ab, was dann eine Ansiedlung von Mikroorganismen möglich macht. Langfristig kann dieser Schadensprozess selbst bei qualitativ hochwertigen Betonen zu Abtragsraten von mehreren Zentimetern führen. In einigen Regionen, wie in Graubünden, ist aufgrund der geologischen Verhältnisse das Wasser besonders weich. Ähnlich wie bei einem kalklösenden Angriff werden auch hier zunächst die leicht wasserlöslichen Bestandteile des Zementsteins, wie Calciumhydroxid, aus der Matrix herausgelöst. Im weiteren Verlauf findet der chemische Abbau des CSH-Gels statt, welches mit ca. 80 % den Hauptanteil am Zementstein stellt. Dieser 2. Schritt im Schadensmechanismus führt zu einem vollständigen Abbau des Betons bzw. der zementgebundenen Beschichtung. Je nach Nutzungsbedingungen (z.B. Strömungsrate, mittlere Verweildauer) kann dies bereits nach wenigen Monaten bis Jahren im Behälter zu erheblichen Schäden führen. Es ist deshalb gerade in diesem Fall zu prüfen, ob nicht ein polymeres Beschichtungssystem geeigneter ist. Ein bisher eher unterschätztes Schadensrisiko geht von der Einwirkung von Kondensat auf frisch applizierte bzw. sehr junge Beschichtungen aus. Während der Ausführung der Beschichtungsarbeiten steigt die relative Luftfeuchtigkeit inner-halb der Wasserkammer stark an. Dies ergibt sich schon allein durch die eingesetzten Methoden zur Untergrundvorbehandlung (z.B. Höchstdruckwasserstrahlen) oder zur Verarbeitung der Beschichtungssysteme (Nass- oder Trockenspritzverfahren. Aber auch bei der Verwendung von Wasserverdampfern für die Nachbehandlung frischer Beschichtungsoberflächen erhöht sich die relative Luftfeuchtigkeit rasch und erreicht Werte knapp unterhalb 100 %. Ist in diesem Fall die Oberflächentemperatur der Wände, des Bodens oder der Decke nur geringfügig niedriger - dafür genügen fallweise bereits wenige Zehntel Grad - findet die Kondensation an den frischen Werkstoffoberflächen statt. Aufgrund der Zusammensetzung des Kondensats - es sind keine Salze im Wasser gelöst, dafür aber größere Mengen an Kohlendioxid (CO2) - werden die wasserlöslichen Beschichtungsbestandteile sehr schnell und lokal an der Grenzfläche zwischen Wassertropfen und Werkstoffoberfläche herausgelöst. Dies schädigt irreversibel die Beschichtung und ermöglicht nachfolgende Schädigungsprozesse. 116 6. Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis - September 2021 Life-cycle engineering - Neue technische Ansätze zur Reduktion der Lebenszykluskosten Abbildung 2: Typische Schadensbilder für verschiedene Schadensmechanismen; von oben nach unten: a) Kalklösende Kohlensäure b) Kondensat c) Hydrolytische Korrosion d) Treibender Angriff durch Sulfate Ein erhöhtes Risiko für das Bauwerk ergibt sich aber auch, wenn während der Nutzung als Folge einer unzureichenden Behälterbelüftung Kondensat auf den Deckenflächen entsteht. Die dann ebenfalls ablaufenden Auslaugprozesse senken den pH-Wert auf ca. 8-9 ab. Die Folge ist eine erleichterte Ansiedlung von hochspezialisierten Mikroorganismen (z.B. alkalophile und kryophile Pilze, Bakterien). Über einen längeren Zeitraum sind bei einer geringen Bewehrungsüberdeckung auch Korrosionsprozesse, verbunden mit einem Abplatzen des Überdeckungsbetons zu erwarten. Ein bereits seit mehr als 100 Jahren bekannter Schadensmechanismus basiert auf der Einwirkung von in Wasser gelösten Sulfat-Verbindungen auf zementgebundene Werkstoffe. Bei erhöhten Sulfatkonzentration (> 200 mg/ l) wächst mit steigendem Sulfatgehalt das Schädigungsrisiko und -umfang [8]. In diese Gruppe der klassischen Angriffsmechanismen gehört noch der Sulfatangriff (Abb. 2d). Praktisch reagieren Sulfate mit Bestandteilen des Zementsteins die auch als aluminathaltige Hydratphasen bezeichnet werden. Dabei entsteht Ettringit, ein voluminöses, treibend wirken-des Mineral, welches sich in den Poren des Werkstoffes in Form von Nadeln einlagert und damit zunächst eine Gefügeverdichtung bewirkt. Das drückt sich sogar in einer Festigkeitssteigerung aus. Sind aber die Expansionsräume (Poren, Risse, Übergangszone Gesteinskörnung-Zementstein) mit diesem Reaktionsprodukt gefüllt, führt der mit der weiteren Ettringitbildung verbundene Kristallisationsdruck zu einer Schädigung, die sich in Rissbildung und Abplatzungen ausdrückt. Ein Blick auf die ständig durchgeführten Analysen am gespeicherten Wasser hilft hier vor dem Neubau oder der Instandsetzung das Risiko zu bewerten. Die bisher beschriebenen chemisch-physikalischen Schadensmechanismen sind seit vielen Jahrzehnten bekannt und waren während dieser Zeit, nicht zuletzt auch durch die damit verbundenen hohen volkswirtschaftlichen Belastungen, immer wieder Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Regelwerke zur Schadensvermeidung wurden auf Basis dieser Resultate erarbeitet und erfolgreich in der Praxis eingesetzt. In den neunziger Jahren wurden aber vermehrt Schadensbilder in Trinkwasserbehältern vorgefunden, die sich durch die im Weiteren kurz beschriebenen Charakteristika von den bereits beschriebenen Schadensmechanismen unterschieden. Erscheinungsbild Auftreten von Flecken mit einem Durchmesser von bis zu ca. 5 cm, die häufig, deren Oberflächen meistens gelb bis braun verfärbt sind. In einigen Fällen sind sie senkrecht, waagrecht oder orthogonal angeordnet, in anderen Fällen mehr oder minder statistisch verteilt. Mechanische Eigenschaften In den Flecken ist das Material aufgeweicht und kann mechanisch leicht entfernt werden. Chemische Zusammensetzung Die chemische Analyse zeigt eine vollständige Umwandlung des bei der Zementhydratation gebildeten Calciumhydroxids in Calciumcarbonat sowie einen vollständigen Abbau des Zementsteins unter Bildung von weiterem Calciumcarbonat, amorphen Siliziumdioxid und Eisenbzw. Aluminiumhydroxid. Kinetik der Schadensreaktion Besonders auffällig ist die hohe Geschwindigkeit, mit der dieser Schaden voranschreitet. In einigen Fällen war bereits wenige Monate nach der Applikation der Schaden so weit vorangeschritten, dass das in Abbildung 2c dargestellte Schadensbild erkennbar war. Zum damaligen Zeitpunkt konnte mit dem bekannten Wissenstand dieser Schadenstyp nicht erklärt werden, auch die Wissenschaft hatte keine Antwort. Die Folgen in der Praxis waren daher auch gravierend. Versorgungsunternehmen stellten Investitionen zurück, Produkthersteller standen vor hohen Haftungsansprüchen, Planer waren verunsichert hinsichtlich der von ihnen zu erstellenden Ausschreibungen und die Bauunternehmen sahen sich mit einer existenzbedrohenden Auftragsflaute konfrontiert. Dieser hohe „Leidensdruck“ führte zur Initiierung zahlreicher Forschungsprojekte, die neben der Aufklärung des Schadensprozesses auch zu den Grundlagen einer Vermeidungsstrategie führten [8-10]. So wurden von Produktherstellern neue Beschichtungssysteme entwickelt, deren Werkstoffeigenschaften heute deutlich besser sind als die vom Regelwerk geforderten technischen Kenn-größen [11]. Auch bei der Planung und Umsetzung werden heute die erarbeiteten wissenschaftlichen Erkenntnisse durch die gezielte Auswahl der Unternehmer, eine strenge Eigenüberwachung bei Aus- 6. Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis - September 2021 117 Life-cycle engineering - Neue technische Ansätze zur Reduktion der Lebenszykluskosten führung, Qualifizierung der Handwerker und durch stringente Qualitäts-kontrollen durch den Planer während und nach den Arbeiten berücksichtigt. In der Praxis wurde durch diese modifizierte, auf wissenschaftlichen Grundlagen basierende Vorgehensweise nicht nur das Auftreten dieses Schadenstyps drastisch reduziert, sondern insgesamt die Dauerhaftigkeit der in der Wasserspeicherung verwendeten zementgebundenen Werkstoffe deutlich verbessert. Es kann an dieser Stelle daher festgestellt werden, dass die Einbeziehung der Wissenschaft nicht nur die Ursachen aufgeklärt wurde, sondern auch wichtige Beiträge zur Schadensvermeidung geliefert wurden. 4. Zustandsanalyse bei Bestandsbauwerken Vor einer Zustandsanalyse ist eine Vorplanung zur Festlegung der notwendigen Parameter und geeigneter Verfahren zu deren Bestimmung durchzuführen. Dabei ist zwischen Untersuchungen vor Ort und Laboranalysen zu unterscheiden. Die folgende Aufstellung zeigt eine Auswahl dieser Methoden, die sich bei der Zustandsanalyse von Trinkwasserbehältern vor Ort bewährt haben: • visuelle Erfassung von Fehl- und Ausbruchstellen und die Bewertung des Zustandes der Einbauten als Basis für die Auswahl der Probenentnahmestellen • Bestimmung der Oberflächenfestigkeit mittels Schmidt-Hammer zur Identifizierung von Stellen niedriger Festigkeit („aufgeweichte“ Stellen) • Bestimmung der Bewehrungsüberdeckung zur Identifikation korrosionsgefährdeter Bereiche • Ermittlung der Haftzugfestigkeit mittels Abreißversuch zur Charakterisierung der Tragfähigkeit des Untergrundes • Bohrkernentnahme (Ø = 50 - 70 mm) vor Ort für die Laboranalyse. Wichtig ist das sachgemäße Verschließen der Bohrlöcher mit einem für Trinkwasserbehälter zugelassenem Spezialmörtel Mit den Laboruntersuchungen soll der Zustand der Beschichtung bzw. der Betonkonstruktion als Grundlage für die Instandsetzungsplanung quantitativ erfasst werden. Der Anspruch an diese Methoden ist demnach deutlich höher. Folgende Methoden haben sich als besonders geeignet erwiesen, sind aber in der Baupraxis noch nicht so bekannt. Bestimmung der Carbonatisierungstiefe an der Decke Vor allem bei den nicht ständig mit Wasser in Kontakt stehenden Bauteilen, wie der Decke, besteht ein erhöhtes Risiko für eine Bewehrungskorrosion als Folge einer Carbonatisierung der Werkstoffrandzone. Zur Bestimmung der Carbonatisierungstiefe werden Bohrkerne entnommen, diese längs gespalten und durch Ansprühen der Bruchfläche mit dem Flüssigindikator Phenolphtalein der carbonatisierte (farblos) und alkalische Beton (violett gefärbt) identifiziert. Nach Ausmessen der Carbonatisierungstiefe und dem Vergleich mit den Werten für die vor Ort ermittelte Bewehrungsüberdeckung lässt sich das Korrosionsrisiko direkt bewerten. Bestimmung des chemischen Abbaus der Beschichtung Werkstoffschädigende Reaktionen sind in der Regel mit einer Veränderung der chemischen Zusammensetzung der Werkstoffrandzone verbunden, die je nach Fortschritt bzw. Umfang sich auf die ersten Millimeter beschränkt, durchaus aber bereits mehr als einen Zentimeter tief in den Werkstoff reichen kann. Für die Ermittlung des Schädigungsgrads wird mit Hilfe einer modifizierten Metallfräse die Randzone in Millimeterschritten abgefräst und für jeden Schritt das dabei entstandene Pulver aufgefangen. Mit Hilfe der Thermogravimetrie wird in diesen Proben der Gehalt an Calciumhydroxid und Calciumcarbonat mit hoher Genauigkeit ermittelt. Aus den Ergebnissen mit hoher lokaler Auflösung lässt sich nicht nur die Schädigungstiefe direkt ermitteln, sondern auch die Art des chemischen Angriffs. Ist beispielsweise in diesen Proben der Calciumhydroxidgehalt im Vergleich zu den ungeschädigten Bereichen deutlich niedriger, der Calciumcarbonatgehalt aber nahezu konstant, kann von einer Auslaugung der Beschichtung ausgegangen werden. Sind beide Größen niedriger als bei den Vergleichsproben liegt ein Angriff durch kalklösende Kohlensäure vor. Charakteristisch für die hydrolitische Korrosion ist eine Abnahme des Calciumhydroxidgehalts bei gleichzeitiger Zunahme des Calciumcarbonat-gehaltes. Bei der Instandsetzungsplanung wird mit diesen Auslaugprofilen die Abtragtiefe präzis festgelegt, was sich unter anderem positiv auf die Instandsetzungskosten auswirkt. Untersuchungen zum Werkstoffgefüge der Beschichtung In der Praxis wird immer wieder festgestellt, dass die Lebensdauer von Beschichtungen sich deutlich von Behälter zu Behälter, sogar im Bereich einer Wasserversorgung, unter-scheidet. Die Gründe dafür finden sich meistens im Gefüge der Werkstoffrandzone, dass zum großen Teil durch die Verarbeitung des Beschichtungsmaterials bestimmt wird. Für die Charakterisierung des Porengefüges werden die relevanten Größen, Gesamtporosität und Porengrößenverteilung mithilfe der Quecksilberdruckporosimetrie ermittelt. Je nach Bedarf kann diese Untersuchung durch lichtmikroskopische Untersuchungen ergänzt werden. Ein Vergleich der so bestimmten Werte mit den Resultaten für die Auslaugtiefe und der Zusammensetzung des Wassers lässt detaillierte Schlüsse über die tatsächliche Beanspruchung der zementgebundenen Beschichtung bzw. des Konstruktionsbetons zu. Dies ist eine wichtige Voraussetzung, um in der Ausschreibung ein Anforderungskatalog für die Beschichtung festzulegen. Was es wiederum für den Betreiber bzw. den Planer deutlich einfacher macht, ein dauerhaftes, aber auch wirtschaftliche Beschichtung auszuwählen. In einigen Fällen sind diese Untersuchungen aber nicht ausreichend. Findet man beispielswiese in den Trinkwasserbehältern bereits Biofilme, so können diese mit mik- 118 6. Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis - September 2021 Life-cycle engineering - Neue technische Ansätze zur Reduktion der Lebenszykluskosten ro- und molekularbiologischen Methoden charakterisiert werden. In Verbindung mit chemischen Analysen der befallenen Substrate können damit Rückschlüsse über die Ursachen gezogen werden. Je nach der Zusammensetzung des Wassers, z.B. hohe Sulfatgehalte, oder bei einem polymeren Anstrich auf Basis Chlorkautschuk ist es notwendig, weitere chemische Analysen durchzuführen, um zusätzliche Risiken zu identifizieren oder die Entsorgung dieser Beschichtungen vorzubereiten. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind in einem Bericht festzuhalten, der neben der Be-schreibung der Ausgangssituation, der der eingesetzten Methoden auch die Resultate der Messungen umfasst. Der Bericht wird mit den Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen abgeschlossen. Zusammenfassend ist also festzustellen, dass eine Zustandsanalyse des Bestandsbauwerks für eine technisch und wirtschaftlich erfolgreiche Instandsetzung unverzichtbar ist. 5. Planung, Ausführung und Qualitätskontrolle Die nächsten Schritte bei der Erstellung eines neuen Trinkwasserbehälters oder der Instandsetzung eines Reservoirs bestehen aus den Abschnitten Planung, Ausführung und Qualitätskontrolle. Diese Punkte können im Rahmen dieses Beitrags nicht in der notwendigen Detailtiefe behandelt werden, was aber in einem weiteren Beitrag geschehen soll. Untergrundvorbehandlung Die Aspekte mit einem direkten Einfluss auf die Funktionsfähigkeit und die Dauerhaftigkeit der Beschichtung haben sollen hier aber trotzdem erwähnt und diskutiert werden. Ganz allgemein gilt, dass unabhängig davon, ob ein mineralisches oder polymeres Beschichtungssystem zum Einsatz kommt, ist ein ausreichender Verbund zwischen der Beschichtung und dem Untergrund. Das entsprechende Regelwerk gibt hierzu die Vorgaben bezüglich der Durchführung der Messungen und des zu fordernden Wertes für die Haftzugfestigkeit, üblicherweise mit ≥ 1.5 N/ mm2 [11, 12]. Der Grundgedanke, der sich dahinter verbirgt, ist physikalischer Natur, wonach bei zunehmen-der Kontaktfläche auch der Verbund besser ist. Deshalb wird sowohl beim Neubau als auch bei einer Instandsetzung üblicherweise der Untergrund durch Feststoffstrahlen bzw. Höchstdruckwasserstrahlen vorbereitet. Ziel dieser technischen Maßnahme ist es, den Untergrund mechanisch aufzurauen, um so die Kontaktfläche zur zementgebundenen Beschichtung im Vergleich zu einer glatten Betonfläche deutlich zu erhöhen. Die Qualität dieser Betone variieren in der Praxis in einem größeren Bereich, was nicht selten zu ausgeprägten Differenzen in den von mehr als einem Zentimeter in der Rautiefen führt. In diesem Fall müssen diese Unterschiede durch Verwendung von geeigneten Mörteln wieder egalisiert werden. Ansonsten übertragen sich diese Rautiefenschwankungen auf das nachfolgend zu applizierende Beschichtungssysteme. Mit den Schwankungen in der Schicht-dicke ist ein erhöhtes Risiko verbunden, dass durch ein lokal unterschiedlich verlaufenes Austrocknen und dem damit verbundenen Schwinden hohe mechanische Spannungen entstehen, die zur Rissbildung und/ oder Untergrundablösungen führen. Deshalb ist es von besonderer Wichtigkeit, dass der Planer bereits in der Ausschreibung eine angemessene Rautiefe und deren Überprüfung nach der Untergrundvorbehandlung festlegt. Erst nach der Abnahme der Rautiefe sollten die Arbeiten fortgeführt werden. Qualitätskontrolle Die Investitionen für eine Schichtung in einem neuen Behälter oder auch bei einer Instandsetzung sind vergleichsweise sehr hoch. Finanzielle Aufwendungen dafür von mehreren 100.000 € bis zu mehr als 1 Million € sind nicht selten. Umso überraschender ist es, dass nach Abschluss der Arbeiten oft aus Kostengründen auf eine Qualitätskontrolle verzichtet wird, obwohl der finanzielle Aufwand dafür ein 5-stelligen Betrag in der Regel nicht überschreitet. Für die Planung der Qualitätskontrolle können wir wieder auf die Methoden, die für die Zustandsanalyse eingesetzt wurden, zurückgreifen. Eine klassische Qualitätskontrolle umfasst daher die folgenden Einzelpositionen: • Messung der Haftzugfestigkeit an der Beschichtung im Trinkwasserbehälter • Entnahme von Bohrkernen (üblicher Durchmesser 50 mm) • Bestimmung der Schichtdicken der Beschichtung an den Bohrkernen im Labor • Bestimmung der Gesamtporosität und der Porengrößenverteilung mit dem Quecksilberdruckporosimeter • Bestimmung des Calciumcarbonat - und Calciumhydroxid-Gehaltes mit der Thermogravimetrie Mit den Ergebnissen dieser Qualitätskontrolle können zu einem die im Werkvertrag fixierten Messwerte (z.B. Schichtdicke) überprüft werden. Darüber hinaus lassen sich für die neue Be-schichtung mit diesen Ergebnissen Abschätzungen hinsichtlich der zu erwartenden Lebensdauer machen. So kann man bei einer Wiederholung der Analysen zum Calciumcarbonat/ Calciumhydroxid-Gehalt, beispielsweise bei der Gewährleistungsabnahme nach 5 Jahren, ein bereits stattgefundener Beschichtungsabbau quantitativ erfasst werden. 6. Schlussfolgerungen Aus den hier gemachten Ausführungen lassen sich die folgenden Schlussfolgerungen ziehen: 6. Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis - September 2021 119 Life-cycle engineering - Neue technische Ansätze zur Reduktion der Lebenszykluskosten • Bereits seit der Antike gibt es eine stetige Entwicklung in den Bauweisen und bei den verwendeten Werkstoffen, die aber auch heute aufgrund neuer Herausforderung, wie den Megatrends Klimawandel und Ressourcenverknappung, weitergeführt werden müssen. • Nutzungsbedingt sind Trinkwasserbehälter Umwelteinwirkungen ausgesetzt, die zur Schädigung der verwendeten Werkstoffe führen kann, verbunden mit einem Verlust der Gebrauchstauglichkeit. Die Aufklärung der zugrundeliegenden Schadensmechanismen unter Einsatz moderner analytischer Verfahren ist eine wichtige Voraussetzung für eine nachfolgende Instandsetzung. • Für eine qualifizierte Zustandsanalyse eines Trinkwasserbehälters sind im Vorfeld die Ziele dieser Untersuchungen festzulegen und davon ausgehend die geeigneten Methoden vor Ort oder im Labor auszuwählen. Bei geeignetem Vorgehen kann mit diesen Daten nicht nur die Art des Schädigungsprozesses und der Umfang der Schäden ermittelt, sondern auch eine qualifizierte Prognose über den zukünftigen Schadensverlauf formuliert werden. • Führt man diese Zustandsanalyse für alle Trinkwasserbehälter einer Wasserversorgung durch, kann eine Portfolioanalyse durchgeführt werden. Auf Basis dieser Betrachtungen lässt sich dann ein qualifizierter Investitionsplan für einen Zeitraum von 10-15 Jahren aufstellen, was heute eine zwingende Voraussetzung für eine strategische Planung ist. • Für den Erfolg einer Maßnahme ist die Sicherstellung einer ausreichenden Untergrundvor-behandlung und die Durchführung einer abschließenden Qualitätskontrolle entscheidend. Ein Verzicht darauf, beispielsweise aus finanziellen Gründen, setzt diesen Erfolg leichtfertig aufs Spiel. Literatur [1] Th. Schäfer, F. Schön, A. Gerdes und J. Heinrichs (Hrsg.), Tagungsband Pantelleria, Antike und moderne Wasserspeicherung, Tübinger Archäologische Forschungen Band 12, Verlag Marie Leidorf, Rahden/ Westf., 2014 [2] Daniel Castella (Hrsg.): Vor den Toren der Stadt Aventicum: zehn Jahre Archäologie auf der Autobahntrasse bei Avenches. Avenches: [Association Pro Aventico], (Documents du Musée Romain d‘Avenches Bd. 5), 1998 [3] F.W. Büsing und C. Schumann, Der Portland-Cement und seine Anwendungen im Bau-wesen. verfasst im Auftrag des Vereins Deutscher Portland- Cement-Fabrikanten. 3. vollst. umgearbeitete und verm. Auflage, Kommissions-Verlag der „Deutschen Bauzeitung“, Berlin,1905 [4] O. Graf, Schutz der Bauwerke gegen chemische und physikalische Angriffe, Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin, 1930 [5] S. Wilhelm, Wasseraufbereitung: Chemie und chemische Verfahrenstechnik, Springer-Verlag, Berlin und Heidelberg, 2008 [6] Walter Koelle, Wasseranalysen richtig beurteilt, Wiley VCH Verlag GmbH, 4. Auflage, 2017 [7] W. Wiedenmannott, Industrielle Wasseraufbereitung, Wiley VCH Verlag GmbH, 1. Auflage, 2016 [8] M. Schwotzer, Zur Wechselwirkung zementgebundener Werkstoffe mit Wässern unter-schiedlicher Zusammensetzung am Beispiel von Trinkwasserbehälterbeschichtungen, Univ. Karlsruhe, Diss., 2008 [9] O.Wenzel, M. Schwotzer, E. Müller, V.S.K Chakravadhanula, T. Scherer and A. Gerdes, Investigating the pore structure of the calcium silicate hydrate phase, Charact. 133,133-137, 2017 [10] M. Schwotzer, J. Heinrichs, M. ul Islam, V. Perugini and A. Gerdes, Durability of cement-based materials in drinking water storage - Towards an integral performance assessment, in: I. B. Pecur (ed.), Proceedings of the 1st International Conference on Construction Materials for Sustainable Future (CoMS 2017), 78-81, Zadar, Croatia, 19 - 21 April 2017 [11] Technische Regel - Arbeitsblatt DVGW W 300- 4: 2014 Werkstoffe, Auskleidungs- und Beschichtungssysteme - Grundsätze und Qualitätssicherung auf der Baustelle [12] DIN EN ISO 4624: 2016-08, Beschichtungsstoffe - Abreißversuch zur Bestimmung der Haftfestigkeit (ISO 4624: 2016);