Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis
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expert verlag Tübingen
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Kraftschlüssige Rissinjektionen bei wasserführenden Rissen
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Benjamin Reims
Beton und Betonbauteile sind optimal für eine Druckbeanspruchung ausgelegt. Sie nehmen jedoch nur geringe Zug- oder Biegespannungen auf, die neben dem Schwinden und mechanischen Belastungen (Verkehrslasten) die häufigsten Ursachen für Risserscheinungen und Undichtigkeiten darstellen. Auch Baugrundsetzungen führen lang- oder auch kurzfristig zu Gefügestörungen und somit auch zu Rissen.
Besonders bei feuchtebelasteten Bauwerken ist dieser Umstand zu berücksichtigen. Die Gebrauchsfähigkeit / Standsicherheit kann dadurch erheblich eingeschränkt und die geplante Nutzungsdauer verkürzt werden.
Voraussetzung für ein umfassendes bauwerksbezogenes Instandsetzungskonzept ist eine Riss- und Bauzustandsanalyse, in der sämtliche Merkmale und Ursachen der Rissbildung genau erfasst und dokumentiert werden. Besonders wichtig bei feuchtebelasteten Bauwerken ist das Messen der tatsächlichen Rissbreitenänderungen zur Erstellung eines zielorientierten Instandsetzungskonzeptes. Davon abhängig sind das Injektionsverfahren sowie die Materialauswahl.
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6. Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis - September 2021 197 Kraftschlüssige Rissinjektionen bei wasserführenden Rissen Dipl.-Ing. (FH) Benjamin Reims WEBAC Chemie GmbH, Barsbüttel bei Hamburg, Deutschland Zusammenfassung Beton und Betonbauteile sind optimal für eine Druckbeanspruchung ausgelegt. Sie nehmen jedoch nur geringe Zug- oder Biegespannungen auf, die neben dem Schwinden und mechanischen Belastungen (Verkehrslasten) die häufigsten Ursachen für Risserscheinungen und Undichtigkeiten darstellen. Auch Baugrundsetzungen führen lang- oder auch kurzfristig zu Gefügestörungen und somit auch zu Rissen. Besonders bei feuchtebelasteten Bauwerken ist dieser Umstand zu berücksichtigen. Die Gebrauchsfähigkeit/ Standsicherheit kann dadurch erheblich eingeschränkt und die geplante Nutzungsdauer verkürzt werden. Voraussetzung für ein umfassendes bauwerksbezogenes Instandsetzungskonzept ist eine Riss- und Bauzustandsanalyse, in der sämtliche Merkmale und Ursachen der Rissbildung genau erfasst und dokumentiert werden. Besonders wichtig bei feuchtebelasteten Bauwerken ist das Messen der tatsächlichen Rissbreitenänderungen zur Erstellung eines zielorientierten Instandsetzungskonzeptes. Davon abhängig sind das Injektionsverfahren sowie die Materialauswahl. 1. Bauzustandsanalyse Vor Beginn sämtlicher Instandsetzungsbzw. Instandhaltungsmaßnahmen steht eine umfangreiche Bauzustandsanalyse. Ohne diese ersten Schritte können die durchzuführenden Maßnahmen und eingesetzten Produkte nur „abgeschätzt“ werden. Eine zielführende Instandsetzung ist so häufig nur dem Zufall überlassen. Die Instandsetzungsmaßnahmen sowie die hierfür einzusetzenden Füllgüter werden in Abstimmung mit der Analyse der Rissmerkmale wie Rissart, -ursache, -geometrie, -breite, -breitenänderung, Feuchtezustand und Verschmutzung ausgewählt. Zur Bestimmung der Rissbreite können z.B. Risslehren oder Risslupen verwendet werden. Für langfristige und exaktere Messwerte muss eine deutlich aufwendigere Technik wie z.B. Wegaufnehmer oder Sensortechnik (Rissmonitoring) angewendet werden. 2. Rissarten Wichtig ist die Differenzierung der Rissarten. Unterschieden wird gewöhnlich in „Oberflächennahe Risse“ sowie in „Trennrisse“. Die Verfahren zur Rissfüllung weichen hier zum Teil erheblich voneinander ab. Häufig kann man so ohne weiteres gar nicht feststellen, ob die Risse durch das Bauteil durchgehen. Feuchtigkeit oder sogar fließendes Wasser könnten ein Indikator dafür sein, bei jedoch trockenen Rissen sieht das anders aus. Dann bleibt häufig nur noch die Möglichkeit Bohrkerne zu entnehmen, um diese Informationen zu bekommen. Bild 1: Bohrkernentnahme für Bauzustandsanalyse 3. Rissbreite/ Risstiefe Die Rissbreite ist der Abstand der Rissufer, gemessen auf der Bauteiloberfläche, senkrecht zum Rissverlauf. Da längere Risse unterschiedliche Breiten aufweisen sollten mehrere Messungen in wesentlichen Bereichen stattfinden. Es sind bei jeder Messung Datum, Uhrzeit, Wetterlage und Bauteiltemperatur zu dokumentieren. Die Genauigkeit der Messung liegt meist bei 0,1mm. Kraftschlüssige Rissinjektionen bei wasserführenden Rissen 198 6. Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis - September 2021 Bild 2: Messen der Rissbreite 4. Rissbreitenänderungen Für die Auswahl des geeigneten Füllmaterials und dem damit verbundenen Erfolg der Injektionsmaßnahme ist vor allem die Rissbreitenänderung von Bedeutung. Bauteilbewegungen während der Erhärtungsphase des Füllmaterials oder nach der Aushärtung können zu weiteren Schäden bzw. Undichtigkeiten führen. Dies ist wichtig bei kraftschlüssigen Injektionen besonders bei standsicherheitsrelevanten Bauteilen. Rissbreitenänderungen können kurzzeitig, täglich oder auch langfristig auftreten. Je nach Jahreszeit oder Belastung z.B. durch Verkehr treten die Bewegungen völlig unterschiedlich auf. Es kann sogar zu Überlagerungen kommen. Bild 3: Bauteilbewegungen Wie in Bild 3 dargestellt gehen Risse nicht nur „auf und zu“, sie erfahren z.B. durch Setzungen oder Belastungen auch Höhenunterschiede bzw. -versätze. Bei z.B. dynamisch belasteten Bauteilen auch häufig und ich sehr kurzen Zeitabständen. Dabei könnte eine vorhandene Verdämmung abplatzen und zum Austritt des Injektionsmaterials führen. Ein möglichst hoher Füllgrad wäre somit nicht mehr zu gewährleisten. Die Bestimmung der tatsächlichen Rissbewegungen ist für die Materialauswahl von hoher Wichtigkeit. Starr aushärtende Füllgüter werden nur dann verwendet, wenn die Rissursache (Entstehung) beseitigt und sichergestellt ist, dass die Füllung keiner zu starken Bauteilbewegung ausgesetzt ist. Bei sich weiterhin bewegenden Rissen müssen Füllgüter mit dehnbaren (elastischen) Eigenschaften eingesetzt werden. 5. Feuchtezustände Für die richtige Füllgutauswahl muss festgestellt werden, ob die Risse trocken, feucht oder wasserführend sind. Wasser und Feuchtigkeit können bei nicht speziell feuchtigkeitsverträglichen Produkten zu unkontrollierten Reaktionsergebnissen führen. Bild 4: Feuchte Risse an Betonstütze 6. Instandsetzungsziele Nach der Feststellung des Ist-Zustandes werden die Instandsetzungsziele festgelegt. Die Ergebnisse der Bauzustandsanalyse liefern dem Planer wichtige Informationen zu den Instandsetzungsmöglichkeiten und der entsprechenden Materialauswahl. Aus der Erfahrung heraus werden die Instandsetzungsziele auf Grundlage der DAfStb-Richtlinie (Instandsetzungs-Richtlinie), die auf den Entwürfen zur ZTV-ING (Teil 3; Abschnitt 5) beruht, geplant und festgelegt. Dort sind die Anwendungsziele in Abhängigkeit von den Feuchtezuständen beschrieben. Aus der Tabelle heraus können die konkreten Füllgüter (Materialbasis) ausgewählt werden. Diese theoretischen Vorgaben lassen sich auf den Baustellen nicht immer so umsetzen, da immer wieder die örtlichen Randbedingungen in Verbindung mit dem Instandsetzungsziel einen Widerspruch ergeben. Z.B. wären Druckwasserführende Bauteile im Winter kraftschlüssig/ druckfest abzudichten - wenn überhaupt - nur bedingt und mit sehr hohem Zusatzaufwand möglich. Diese extremen Bauwerksbedingungen werden in den Regelwerken und Produktanforderungen in dieser Kombination nicht behandelt und können von Rissfüllgütern nach Instandsetzungs-Richtlinie nicht erfüllt werden. Kraftschlüssige Rissinjektionen bei wasserführenden Rissen 6. Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis - September 2021 199 Zusätzliche Möglichkeiten bietet hier die europaweit gültige DIN EN 1504. Diese Norm hebt die Leistungsmerkmale der einzelnen Produkte hervor - unabhängig von ihrer Materialbasis und liefert dem Planer ein breiteres Spektrum an Einsatzmöglichkeiten und Zieldefinitionen. 7. Wasserstoppen und Durchflussreduzierung Je nach Feuchtezustand kann es erforderlich sein, zusätzliche Maßnahmen zur Reduzierung des Wasserdurchflusses zu ergreifen. In der Regel sind bei den Feuchtzuständen 1-3 (trocken, feucht, nass) keine vorangehenden Injektionen durchzuführen. Ein Ausspülen des Füllgutes wird durch die meist schnelle Reaktion verhindert. Beim Feuchtezustand 4 (fließendes Wasser) sieht das häufig anders aus. Hier ist der anstehende (Wasser)-druck so hoch, dass das Injektionsmaterial nicht im Riss verbleibt und wieder über die Oberfläche ausgespült wird. Es müssen zusätzliche Bohrungen gesetzt werden, diese werden meist tiefer in oder sogar hinter das Betonbauteil gebohrt. Der Vorteil bei diesem Verfahren ist, dass man die wasserführenden Bereiche früher trifft und den Weg für das abdichtende Material verlängert. Dadurch ist häufig ein schnelleres Abdichten möglich und die vorderen Rissbereiche bleiben frei für das Injektionsharz. Bild 5: Einsatz von SPUR Diese Wasserstoppsysteme sind schnellschäumende Polyurethanharze (SPUR). Nach dem Wasserkontakt beginnen diese Produkte innerhalb weniger Sekunden zu schäumen/ expandieren. Es sind Volumenzunahmen von bis zu 50-fach möglich. Durch die schnelle Reaktion verbunden mit dem Aufschäumen/ Ausbreitung gelingt häufig eine zuverlässige temporäre Vorinjektion. Die Schaumstruktur bzw. die vorderen schaumfrei gebliebenen Rissbereiche müssen dann sehr zügig mit dem gewählten Injektionsharz nachverpresst werden, um eine dauerhafte Abdichtung gewährleisten zu können. Denn die Schaumstruktur bei den SPUR ist offenzellig und muss im Nachgang abgedichtet werden. 8. Produkte (Dehnbare Polyurethane) Wenn keine relevanten statischen Anforderungen bestehen, sind die wasserreaktiven, dehnbaren Polyurethanharze die richtige Wahl. Durch ihr Aufschäumen nach Kontakt mit Wasser oder Feuchtigkeit bilden sie nicht nur eine dehnbare Schaumstruktur, sondern entwickeln eine hohe Klebkraft an den nassen Rissflanken. Diese schnelle Reaktion verhindert in der Praxis oft einen Materialaustritt über die Oberfläche und gewährleistet eine effektive Abdichtung der Konstruktion. Im Gegensatz zu den schnellschäumenden, wasserstoppenden Polyurethanschaumharzen ist die expandierte Schaumstruktur des Polyurethanharzes geschlossenzellig und ermöglicht so eine wasserdichte Konstruktion. Durch die entstandenen Bläschen im kompakten Material können eventuell entstehende Bewegungen des Bauteils aufgenommen werden, die abdichtende Wirkung bleibt dabei erhalten. Bild 6: Rissinjektion 9. Produkte (Druckfeste Polyurethane) Zusätzlich kann bei der abdichtenden Risssanierung auch noch die Hohlraumfüllung sowie eine Stabilisierung erzielt werden. Übliche Polyurethanharze können zwar zum Füllen von Hohlräumen verwendet werden besitzen aber keine nennenswerten verfestigenden Eigenschaften für Beton. Hier kann erfolgreich auf die neue Generation hochfester Polyurethanharze zurückgegriffen werden, die hohe Druckfestigkeiten besitzen und so auch verfestigend wirken. Ihre Haftung auf trockenem Beton ist mit der von Epoxidharzen vergleichbar; auf feuchten Untergründen sind sie üblichen Epoxidharzen überlegen. Die Wasserreaktivität dieser druckfesten PUR-Harze kann es nicht nur gut mit der Feuchtebelastung des Bauwerkes aufnehmen, sondern führt darüber hinaus zu beschleunigter Aushärtung auch bei tiefen Temperaturen (niedrige Mindestanwendungstemperatur von >1°C), wenn oberhalb des Gefrierpunkts gerade noch injiziert Kraftschlüssige Rissinjektionen bei wasserführenden Rissen 200 6. Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis - September 2021 werden kann. Die Mikroschaumbildung in Kontakt mit Wasser bringt einen weiteren Vorteil: das Injektionsmaterial vernetzt schneller und macht so Verdämmarbeiten häufig überflüssi. Für die Verarbeitung dieser Produkte ist die gleiche Injektionstechnik wie bei der klassischen Rissinjektion erforderlich. Daher muss von dem zuvor gewähltem Injektionsverfahren nicht abgewichen werden. Zusätzliches Equipment wird nicht benötigt. 10. Produkte (Epoxidharze) Was bisher undenkbar für die Polyurethanharze (Druckfestigkeit) gewesen ist, kann man auf die Epoxidharze nahtlos übertragen. Bisher waren die am Markt befindlichen Produkte bei maximal restfeuchter Oberfläche/ Rissflanke einzusetzen. Hier gibt es Produkte, die nicht nur bei nassen, sondern auch bei kalten Temperaturen verwendet werden können. Somit sind die mineralischen Produkte nicht mehr die „Alleinherrscher“ bei Situationen, wo Kraftschluss unter feuchten/ nassen oder gar kühlen Bedingungen gefordert wird. Bild 7: Riss- und Arbeitsfugeninjektion in einem TW- Behälter 11. Einsatz im Trinkwasser-Bereich Für den Einsatz im Trinkwasserbereich bedarf es spezieller Untersuchungen und entsprechenden Prüfzeugnissen. Die KTW-Empfehlungen (Kunststoffe im Kontakt mit Trinkwasser) nach dem ehemaligen Bundesgesundheitsamt liegen ebenso wie die Prüfzeugnisse nach dem Umweltbundesamt (UBA-KTW) für die Produkte als Reparatursysteme vor. 12. Zusammenfassung Extreme Bedingungen auf der Baustelle, wie z.B. tiefe Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt, und extreme Feuchtezustände, besonders bei Wasserbauwerken, stellen hohe, oftmals kaum erfüllbare Anforderungen an Planung, Ausführung und Produkte von Instandsetzungsarbeiten. Mit den heute verfügbaren modernen Produkten sind Anwendungsziele über Stoffklassengrenzen hinweg möglich. So können mit unter extremen Witterungsverhältnissen aushärtenden Kunstharz-Injektionssystemen Risse nicht nur abgedichtet und geschlossen, sondern auch Hohlräume und mangelhaft verdichteter Beton zugleich verfestigt (kraftschlüssig verbunden) werden. Nach einer Bauzustandsanalyse können die Injektionsmaterialien passend für die Objektbedingungen ausgewählt werden. Dabei kann besonders die Druckfestigkeit auf die Bauteilfestigkeit abgestimmt werden. Solche Anforderungen können bereits in der Planungsphase festgelegt und mit den entsprechenden Injektionssystemen auch für so unterschiedliche mineralische Baumaterialien wie Beton oder Mauerwerke realisiert werden. Speziell bei stärker wasserbelasteten Bauwerken spielen erweiterte Möglichkeiten der Rissfüllstoffe eine wichtige Rolle. Hier erfordern außergewöhnliche Sanierungen von allen Baubeteiligten außergewöhnliche Lösungen. Mit den passenden Produkten gelingt es, auch schwierige Sanierungslösungen tatkräftig anzugehen und unsere Wasserbauwerke auch unter kritischen Bedingungen langfristig und dauerhaft zu schützen. Nach DIN EN 1504-5 ist es also kein Problem, kraftschlüssig verbindende Injektion auch bei Extrembedingungen oder feuchten und sogar nassen Rissen an Trinkwasserbehältern durch zu führen. Literaturverzeichnis [1] WEBAC Chemie GmbH; Broschüre Risssanierung [2] Instandsetzungs-Richtlinie des DAfStb [3] ZTV-ING [4] DIN EN 1504-5 [5] Objektdokumentation WEBAC Chemie GmbH