Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis
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expert verlag Tübingen
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Hygienische Probleme in Trinkwassernetzen und deren Ursachen
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Beate Kilb
Mikrobiologische Kontaminationen des Trinkwassers sind in Deutschland Einzelfälle. In der Regel werden sie dadurch verursacht, dass die Regeln der Technik nicht eingehalten werden. Bei mikrobiologischen Kontaminationen im Trinkwasserverteilungsnetz sind die Maßnahmen zunächst mit dem zuständigen Gesundheitsamt abzustimmen. Für die Ursachenforschung ist es hilfreich, zunächst auf eine Desinfektion des Trinkwassers zu verzichten. Um die Kontaminationsquelle zu finden, sind gezielte Probenahmen an verschiedenen Stellen des Verteilungsnetzes erforderlich. Dabei kann es sinnvoll sein, das Probenvolumen von 100 ml auf z. B. 1 Liter zu erhöhen und die hygienisch relevanten Bakterien zu identifizieren. In dem nachfolgenden Beitrag sind einige Fallbeispiele aus der Praxis beschrieben, bei denen das Trinkwasser mit coliformen Bakterien, Escherichia coli, Enterokokken und Pseudomonas aeruginosa kontaminiert war.
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7. Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis - März 2023 45 Hygienische Probleme in Trinkwassernetzen und deren Ursachen Fallbeispiele und Erkenntnisse Dr. Beate Kilb IWW Rheinisch Westfälisches Institut für Wasser Beratungs- und Entwicklungsgesellschaft mbH, Mülheim a. d. Ruhr Zusammenfassung Mikrobiologische Kontaminationen des Trinkwassers sind in Deutschland Einzelfälle. In der Regel werden sie dadurch verursacht, dass die Regeln der Technik nicht eingehalten werden. Bei mikrobiologischen Kontaminationen im Trinkwasserverteilungsnetz sind die Maßnahmen zunächst mit dem zuständigen Gesundheitsamt abzustimmen. Für die Ursachenforschung ist es hilfreich, zunächst auf eine Desinfektion des Trinkwassers zu verzichten. Um die Kontaminationsquelle zu finden, sind gezielte Probenahmen an verschiedenen Stellen des Verteilungsnetzes erforderlich. Dabei kann es sinnvoll sein, das Probenvolumen von 100 ml auf z. B. 1 Liter zu erhöhen und die hygienisch relevanten Bakterien zu identifizieren. In dem nachfolgenden Beitrag sind einige Fallbeispiele aus der Praxis beschrieben, bei denen das Trinkwasser mit coliformen Bakterien, Escherichia coli, Enterokokken und Pseudomonas aeruginosa kontaminiert war. 1. Einleitung Trinkwasser ist nicht steril und stellt einen nährstoffarmen Lebensraum für eine Vielzahl von Mikroorganismen dar, wie z. B. Bakterien, Pilze und auch Protozoen. Nur ein geringer Teil der Mikroorganismen schwimmt frei in der Wasserphase herum. Der größte Teil der Mikroorgansimen besiedelt die Oberflächen des Trinkwasserverteilungsnetzes in Form sogenannter Biofilme. Biofilme sind auf Grenzflächen vorkommende Ansammlungen von Mikroorganismen. Sie bilden sich überwiegend in wässrigen Systemen, entweder auf der Wasseroberfläche oder auf einer Grenzfläche zu einer festen Phase. Grundsätzlich können alle Grenzflächen von Biofilmen bewachsen werden: zwischen Gas- und Flüssigphasen (z.-B. auf Gewässeroberflächen), Flüssig- und Festphasen (z.-B. auf der Innenoberfläche von Rohrleitungen) oder auch zwischen verschiedenen Flüssigphasen (z.-B. Öltröpfchen im Wasser). Der Biofilm besteht zu 95% aus Wasser. Von den Mikroorganismen werden extrazelluläre polymere Substanzen (EPS) ausgeschieden (95% der Trockenmasse eines Biofilms), die in Verbindung mit Wasser eine schleimartige Matrix bilden. Organische und anorganische Partikel sowie gelöste Substanzen sind in der Matrix eingebettet. Bestandteile der EPS sind u. a. Polysaccharide, Proteine, Lipide und Nuklein-säuren. Biofilme werden auch von höheren Organismen, z. B. Protozoen besiedelt, die sich von den Bakterien ernähren. Die Entstehung und das Wachstum von Biofilmen wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst, wie z. B. vom Nährstoffangebot, der Beschaffenheit der Oberfläche und der Fließgeschwindigkeit des Wassers. Biofilme können örtlich begrenzt und sehr dünn sein, aber auch großflächig und sehr mächtig auftreten. Die Ausprägung des Biofilms ist stets ein Abbild des dynamischen Gleichgewichts zwischen der Konzentration an verwertbaren Wasserinhaltsstoffen und des Abweide-vorgangs durch höhere Organismen, z. B. Amöben [1]. In Leitungssystemen werden häufig Amöben der Gattung Arcella sp., Centropyxis sp., Difflugia sp. und Euglypha sp. beobachtet [2]. Sind Biofilme sehr dünn ausgeprägt, werden sie in der Regel optisch nicht wahrgenommen. Sind sie stärker ausgeprägt, so können sie auf der Oberfläche optisch wahrgenommen werden. Die Bildung von Biofilmen auf Wasseroberflächen, die als sog. Schwimmschicht bezeichnet werden, können z. B. durch einen erhöhten Nährstoffeintrag verursacht werden. Eine mangelnde Durchmischung und Stagnation des Wassers begünstigt die Biofilmbildung [1]. 2. Anforderungen der Trinkwasserverordnung und das technische Regelwerk In der Trinkwasserverordnung [3] wird gefordert, dass keine Krankheitserreger, die durch Wasser übertragen werden können, in Konzentrationen enthalten sein dürfen, die eine Schädigung der menschlichen Gesundheit besorgen lassen. Weiterhin muss das Trinkwasser bis zur Zapfstelle des Verbrauchers genusstauglich und rein sein. Dies ist im Allgemeinen dadurch gewährleistet, dass die Grenzwerte der Trinkwasserverordnung für mikrobiologische, chemische und radiologische Parameter eingehalten werden müssen. Weiterhin wird in § 17 der Trinkwasserverordnung gefordert, dass mindestens die allgemein anerkannten Regeln der Technik bei der Wassergewinnung, Wasserauf bereitung und Wasserverteilung eingehalten werden. Dies gilt auch bei Planung, Bau und Betrieb von Anlagen sowie auch bei der Analytik von Trinkwasserproben und der Durchführung der Probenahme. 46 7. Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis - März 2023 Hygienische Probleme in Trinkwassernetzen und deren Ursachen Das technische Regelwerk, welches u. a. aus Normen, DVGW-Arbeitsblättern, VDI-Richtlinien sowie Empfehlungen des Umweltbundesamtes besteht, ist sehr komplex und erfordert entsprechende Kenntnisse bei verantwortlichen Personen. 3. Ursachen mikrobieller Kontaminationen des Trinkwassers Mikrobiologische Kontaminationen des Trinkwassers sind in Deutschland Einzelfälle. In der Regel werden sie dadurch verursacht, dass die Regeln der Technik nicht eingehalten werden. Die häufigsten Ursachen für mikrobiologische Kontaminationen des Trinkwassers sind im Folgenden aufgeführt: • Eintrag von Mikroorganismen und Nährstoff-einträge im Zuge von Baumaßnahmen • Der Einbau ungeeigneter Werkstoffe und Materialien (z. B. Schmierstoffe, Fette, Gleitmittel) • Unzulässige Verbindungen zu Nicht-Trink-wasseranlagen • Extremwetterlagen (z. B. trockene und heiße Sommer, Starkregenereignisse) • Nicht durchgeführte Reinigungs-, Wartungs-, und Instandsetzungsmaßnahmen an Anlagenkomponenten • Ungeeignete Betriebsweise, Stagnation • Einsatz von unqualifiziertem Personal • Kontaminierte, nass-geprüfte Bauteile, wie z. B. Pumpen, Wasserzähler, u. a. • Einträge von Invertebraten (z. B. Insekten, Schnecken) 4. Allgemeine Vorgehensweisen bei einer mikrobiellen Kontamination des Trinkwassers Bei mikrobiologischen Kontaminationen im Trinkwasserverteilungsnetz sind die Maßnahmen zunächst mit dem zuständigen Gesundheitsamt abzustimmen. Für die Ursachenforschung ist es hilfreich, zunächst auf eine Desinfektion des Trinkwassers zu verzichten. Dies bedarf der Abstimmung mit dem zuständigen Gesundheitsamt. Zur Ursachenforschung kann es sinnvoll sein, das Probenvolumen von 100 ml auf z. B. 1 Liter zu erhöhen. Dies ist dann sinnvoll, wenn hygienisch relevante Bakterien in sehr geringer Anzahl im Trinkwasser nachgewiesen werden. Durch die Entnahme größerer Probenvolumina wird die Nachweisempfindlichkeit erhöht. Da sich hygienisch relevante Bakterien in Biofilmen auf Oberflächen im Verteilungsnetz ansiedeln und vermehren können, sollte auf Komponenten, welche die Biofilmbildung begünstigen ein besonderes Augenmerk gelegt werden. Dazu gehören z. B. Absperrarmaturen und Hydranten, die u. a. Schmier- und Gleitmittel enthalten. Diese Substanzen können die Ansiedlung und Vermehrung hygienisch relevanter Bakterien fördern. 5. Fallbeispiele aus der Praxis 5.1 Fallbeispiel 1: Coliforme Bakterien im Verteilungsnetz Im Jahr 2016 traten bei einem Wasserversorger coliforme Bakterien, E. coli und Enterokokken sowohl in Trinkwasserproben im Verteilungsnetz als auch in Trinkwasserproben in mehreren öffentlichen Gebäuden auf. Durch die gezielte Entnahme von Trinkwasserproben im gesamten Verteilungsnetz konnte die Ursache innerhalb von 24 h ermittelt werden. Die Ursache war eine defekte Rohwasserleitung und ein defekter Rohrbelüfter an einer Rohwasserleitung. Um die mikrobiologische Trinkwasserbeschaffenheit wiederherzustellen, wurde zunächst eine Desinfektion am Wasserwerksausgang in Betrieb genommen. Anschließend erfolgte der Austausch der defekten Leitungen und Rohrbelüfter sowie die Durchführung von Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen. 5.2 Fallbeispiel 2: Nachweis von coliformen Bakterien im Trinkwasser verursacht durch den Eintrag von Insekten ins Trinkwasserverteilungssystem Bei einem Wasserversorger traten in mehreren Trinkwasserproben im Verteilungsnetz coliforme Bakterien in einer Anzahl von 1 bis 10 MPN/ 100 ml auf. Zur Ermittlung der Ursachen wurden umfangreiche Probenahmen im gesamten Verteilungsnetz durchgeführt. Es wurde ein Probenvolumen von 1 Liter eingesetzt. Weiterhin erfolgte eine Identifizierung der coliformen Bakterien. Die coliformen Bakterien wurden als Enterobacter amnigenus identifiziert. Enterobacter amnigenus ist medizinisch bedeutungslos. Aus diesem Grund wurde nach Rücksprache mit dem Gesundheitsamt auf eine Desinfektion des Trinkwassers zunächst verzichtet. Durch die gezielten Probenahmen konnte als Kontaminationsquelle ein Wasserturm ausfindig gemacht werden. Dieser Wasserturm hatte einen Sendemast. Für das Antennenkabel befand sich in der Außenwand des Wasserturms eine Kernbohrung. Durch diese Kernbohrung gelangten Insekten in den Wasserturm und somit in das Trinkwasser. Diese waren der Grund für den Nachweis der coliformen Bakterien im Trinkwasser. Das Loch in der Außenwand des Wasserturms wurde darauf hin geschlossen. Der Behälter wurde gereinigt und desinfiziert, im Rohrnetz wurden Spülmaßnahmen durchgeführt. Auf diese Art und Weise konnte die mikrobiologische Trinkwasserqualität gemäß Trinkwasserverordnung wiederhergestellt werden. 5.3 Fallbeispiel 3: Nachweis von coliformen Bakterien im Trinkwasser nach Baumaßnahmen Bei einem Wasserversorger traten nach Baumaßnahmen an einer Transportleitung (DN 500; Länge: 4 km) coliforme Bakterien in einer Anzahl zwischen 1 MPN/ 100 ml bis 10 MPN/ 100 ml auf. Zahlreiche Spül- und Desinfektionsmaßnahmen führten nicht zum Erfolg. Um die Ursache für den Eintrag der coliforme Bakterien zu finden, wurden neben gezielten Probenahmen eingebaute Absperrarmaturen begutachtet. Bei der Begutachtung der Absperrarmaturen fiel auf, dass diese großen Mengen an Schmiermitteln auf den Oberflächen enthielten. Abstriche von den Schmiermitteln und die mikrobiologische Untersuchung der Abstrichproben zeigten, dass sich coliforme Bakterien dort angesiedelt hatten. Eine Identifizierung der coliformen Bakterien zeigte, dass es sich um 7. Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis - März 2023 47 Hygienische Probleme in Trinkwassernetzen und deren Ursachen die gleichen Bakterienarten handelte, die in den Trinkwasserproben nachgewiesen wurden. Nach einer Reinigung und Desinfektion der Absperrarmaturen vor Ort und einer Spülung des Leitungssystems konnte die mikrobiologische Trinkwasserbeschaffenheit wiederhergestellt werden. Abb. 1: Schmiermittel auf einer Absperrarmatur 5.4 Fallbeispiel 4: Nachweis von Pseudomonas aeruginosa im Trinkwasser Im Juni 2017 traten in dem Versorgungsgebiet eines Wasserversorgers nach Baumaßnahmen in einem Neubaugebiet wiederholt Kontaminationen des Trinkwassers mit Pseudomonas aeruginosa auf. Trotz durchgeführter Spül- und Desinfektionsmaßnahmen war das Bakterium in einer Anzahl zwischen 1 KBE/ 100 ml und 12 KBE/ 100 ml nachweisbar. Zur Ermittlung der Ursachen für die Kontamination wurden in dem Gebiet drei Absperrschieber ausgebaut. Sowohl die Oberflächen der Schieberkeile als auch die verwendeten Schmiermittel wurden auf P. aeruginosa untersucht. Zum Vergleich wurde ein neuer Absperrschieber aus dem Lager des Wasserversorgers untersucht. Auf den Absperrarmaturen aus dem Verteilungsnetz und in den meisten Abstrichproben der Schmiermittel war P. aeruginosa nachweisbar. In den Abstrichproben der Schmiermittel und auf der Oberfläche des neuen Schieberkeils war P. aeruginosa nicht nachweisbar. Auch in diesem Fall wurden die Oberflächen der Schieberkeile vor Ort mechanisch gereinigt und desinfiziert sowie die Schmiermittel entfernt. Die Armaturen wurden wieder eingebaut. Die mikrobiologische Trinkwasserbeschaffenheit gemäß Trinkwasserverordnung konnte wiederhergestellt werden. 5.5 Fallbeispiel 5: Schwimmschicht auf der Wasseroberfläche eines Trinkwasserspeichers Auf der Wasseroberfläche eines Trinkwasserspeichers zeigte sich ein milchig, trüber Belag. Dieser Belag bzw. diese Schwimmschicht wurde mittels einer Filtermatte aufgefangen und mikroskopisch untersucht. Bei der Schwimmschicht handelt es sich ebenfalls um einen Biofilm. Neben Bakterien und Pilzen wurde in diesem Fall auch die Schalenamöbe der Gattung Euglypha gefunden, die sich dort massenhaft vermehrt hatte. Die Ursachen für die Schwimmschichtbildung sind in der Regel Nährstoffeinträge, z. B. nach Baumaßnahmen im Behälter. Weitere Ursachen können u. a. Defekte bei der Behälterbelüftung darstellen und eine dadurch bedingte vermehrte Bildung von Kondenswasser. Eine verstärkte Kondenswasserbildung an der Behälterdecke in Kombination mit längeren Verweilzeiten des Kondenswassers kann die Vermehrung von Mikroorganismen auf der Oberfläche der Behälterdecke fördern. Abtropfendes Kondenswasser von der Behälterdecke auf die Wasseroberfläche kann die mikrobiologische Trinkwasserbeschaffenheit beeinträchtigen. Dünne Schwimmschichten können über den Behälterüberlauf entfernt werden. In vielen Fällen wird eine Reinigung und Desinfektion des Behälters durchgeführt. Abb. 2: Schwimmschicht auf der Wasseroberfläche eines Trinkwasserspeichers 48 7. Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis - März 2023 Hygienische Probleme in Trinkwassernetzen und deren Ursachen Abb. 3: SEM-Aufnahme einer Schwimmschicht mit der Schalenamöbe Euglypha Literatur [1] Nezami, M. (2010): Schwimmschicht in Behältern. GWF-Wasser/ Abwasser 151 (5), 458-460. [2] Rathsack, U. (2012): Unerwünschte Bewohner- Wasserasseln und andere Makroorganismen in Trinkwasserversorgungsnetzen. IKZ 7 (11), 8-12. [3] Verordnung zur Neuordnung trinkwasserrechtlicher Vorschriften vom 3. Januar 2018 (4. Änderungsverordnung zur TrinkwV). Bundesgesetzblatt, Teil I, 2018-01 (2): S. 99-114.