Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis
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expert verlag Tübingen
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Paradigmenwechsel in der Trinkwasserspeicherung?
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Günter Geffert
Tobias Kostenzer
Insbesondere Infrastrukturmaßnahmen müssen langlebig, verlässlich und effizient hinsichtlich des Ressourceneinsatzes geplant und realisiert werden. Hierzu ist im Bauvariantenvergleich eine reine Investitionskostenbetrachtung zur Entscheidungsfindung nicht ausreichend. Im vorliegenden Beitrag wird der Entscheidungsweg der Stadtwerke Ulm Energie (SWU) zu einem Edelstahlsystembehälter mit einem Nutzvolumen von 12.000 m³ dargestellt. Zudem werden Besonderheiten bei Planung und Bau der Systembehälter in dieser Dimension, sowie die Bilanzierung des Ressourceneinsatzes im Vergleich zu einem Stahlbetonbehälter beschrieben.
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7. Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis - März 2023 87 Paradigmenwechsel in der Trinkwasserspeicherung? Edelstahlsystembehälter mit Volumina größer 10.000 m³ Dipl.-Ing. (FH) Günter Geffert Stadtwerke Ulm / Neu-Ulm Netze GmbH Dipl.-Ing. (FH) Tobias Kostenzer Weber-Ingenieure GmbH, Augsburg Zusammenfassung Insbesondere Infrastrukturmaßnahmen müssen langlebig, verlässlich und effizient hinsichtlich des Ressourceneinsatzes geplant und realisiert werden. Hierzu ist im Bauvariantenvergleich eine reine Investitionskostenbetrachtung zur Entscheidungsfindung nicht ausreichend. Im vorliegenden Beitrag wird der Entscheidungsweg der Stadtwerke Ulm Energie (SWU) zu einem Edelstahlsystembehälter mit einem Nutzvolumen von 12.000 m³ dargestellt. Zudem werden Besonderheiten bei Planung und Bau der Systembehälter in dieser Dimension, sowie die Bilanzierung des Ressourceneinsatzes im Vergleich zu einem Stahlbetonbehälter beschrieben. 1. Einführung Die SWU Energie betreibt in Ulm und Neu-Ulm insgesamt zwölf Trinkwasserbehälter. Bereits im Jahr 2009 sind alle Behälter in einer umfassenden Zustandsanalyse bewertet und eine Zukunftsstrategie Trinkwasserversorgung erarbeitet worden. Im Rahmen dessen sind bereits zwei Trinkwasserbehälter instandgesetzt, sowie einer im Jahr 2012 ersatzweise neu gebaut worden. Bereits im Jahr 2011 ist die Sanierung des zentralen Schalt- und Durchlauf behälters am Standort Kuhberg in Betracht gezogen worden, welcher zu den größten und wichtigsten Anlagen im Versorgungsgebiet der SWU zählt. Ausgangslage am Behälterstandort Kuhberg sind zwei Behälter mit je zwei Kammern aus den Jahren 1905 und 1936. Das Gesamtspeichervolumen (Nennvolumen) liegt bei ca. 12.000 m³, welches jedoch durch die ungünstige Gestaltung und Höhenlage der Entnahmeleitungen und der Grundfläche auf ein effektiv deutlich geringeres Nutzvolumen von ca. 9.000 m³ reduziert ist. 2. Planungsablauf - Entscheidungsweg Auf Grundlage der Zustandsanalyse der bestehenden Behälter am Kuhberg, sowie bisherigen Erfahrungen aus Neubau und Instandsetzung, ist entschieden worden, einen Ersatzneubau umzusetzen. Um die grundsätzlich unterschiedlichen Systemvarianten bewerten zu können, ist ein Ingenieurwettbewerb ausgeschrieben worden. Planungsvorgabe war eine Anlage mit insgesamt 12.000-m³ Nutzvolumen auf dem Baufeld des bestehenden Trinkwasserbehälters Ost (Baujahr 1936) mit mindestens zwei Wasserkammern, sowie hohen städtebaulichen Anforderungen an die ggf. notwendige Fassadenbzw. Außenraumgestaltung. Zum Wettbewerb haben sich insgesamt fünf im Trinkwasserbereich qualifizierte Ingenieurbüros beworben. Es sind Planungskonzepte von erdüberdeckten Stahlbetonbehältern, Systembehältern aus Fertigteilelementen bis zu Edelstahlsystembehältern eingereicht worden. Die Entscheidung ist nach umfangreicher Prüfung und Wertung (vgl. Entscheidungsmatrix Tab. 1), auf die innovativste Variante eines Edelstahlsystembehälters (vgl. Abb. 1) in federführender Planung des Ulmer Ingenieurbüros Wassermüller gefallen. Ein wesentlicher Entscheidungsgrund, stellte neben der Langlebigkeit, die künftigen Aufwendungen für den Unterhalt des Hochbehälters möglichst niedrig zu halten, dar. Hierbei hat vor allem die Möglichkeit einer automatisierten Reinigungseinrichtung überzeugt. Abb. 1: HB Kuhberg - Planungsvariante Edelstahlsystembehälter, 3 Stk. je 4.000 m³ 88 7. Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis - März 2023 Paradigmenwechsel in der Trinkwasserspeicherung? Tab. 1: Qualitative Entscheidungsmatrix Behältersystem Bewertungsparameter Ortbetonbehälter VA-Systembehälter Langlebigkeit der trinkwasserberührten Oberflächen negativ Positiv Chlorangriff Unterhalt (Reinigung, Desinfektionsmittel neutral positiv Ressourceneffizienz neutral positiv Hygiene Bau kritisch positiv Hygiene Betrieb neutral positiv Kontrolle der Dichtigkeit negativ positiv Innovationsleistung neutral positiv Investitionskosten positiv negativ Betriebsfunktionalität „3 statt 2 Kammern“ neutral neutral (a) Reinigungsaufwand 2 x 6000 m³ zu 3 x 4000 m³ ca. 2 x 5 d max. 3 x 1 d (a) bisherige Erfahrungswerte 2.1 Vorbereitende Maßnahmen Erste Planungen haben bereits 2012/ 2013 in der Anlage und dem Versorgungsnetz begonnen. Vor dem Abriss des Bestandsgebäudes und der Freimachung des Baufelds, sind die vorhandenen Leitungen für eine Umlegung betrachtet worden. 2.2 Herausforderungen Netzanbindung Der Ausgangszustand besteht, wie bereits erwähnt, aus zwei Behältern mit je zwei Wasserkammern und komplexer Anbindung mit zwei Befüll- und Entnahmeleitungen, sowie zwei Stadtleitungen. Weiterhin erfolgt eine Anbindung an das benachbarte Pumpwerk mit zwei Förderleitungen zu höher gelegenen Trinkwasserbehältern. Die detaillierte Systembetrachtung hat zu dem Ergebnis geführt, dass beide Förderleitungen in das Speichersystem integriert werden sollen, um zukünftig direkt aus dem Wassergewinnungsgebiet Donautal in die höher gelegenen Speichervolumen zu fördern (ohne Zwischenschritt Pumpwerk und somit mit höherer Pumpeneffizienz). Weiterhin ist schon innerhalb dieses Planungsschrittes der Bauablauf mit dem angrenzenden Wohngebiet betrachtet worden. Das Wohngebiet war nur über eine zwischen Hochbehälter und Pumpwerk gelegene Straße zu erreichen. Die Einschränkungen der Anwohner sollten bei der gesamten Baumaßnahme auf ein Minimum reduziert werden. Allein die Vorbereitungsarbeiten im Netz haben zwei Jahre in Anspruch genommen, wodurch die ersten Vorbereitungsarbeiten bereits 2014 und 2015 begonnen haben. 2.3 Anlagenlayout Grundlage der im Bereich eines Speicherbehälters aufwendigeren Verfahrenstechnik, ist das R+I-Schema, welches durch die SWU ausgearbeitet worden ist. Die hydraulischen Einrichtungen müssen die Zulauf-, Ablauf-, Überlaufunktion von drei separaten Wasserkammern gewährleisten. Weiterhin ist die Druckminderung während der Befüllung aus den höher gelegen Druckzonen über ein Ringkolbenventil und die direkte Förderung in die höheren Speichervolumina zu realisieren. Die Aufstellung der Rohrleitungstechnik und der Armaturen erfolgt auf mehreren Ebenen, welche durch Gitterrostbühnen und zwei Treppentürmen bedienungs- und wartungsfreundlich erreichbar sind. Eine weitere Sonderentwicklung sind die siphonierten Überlaufkästen mit einer Kapazität von jeweils bis zu 2.000 m³/ h. Nach Vorauslegung über empirische Formeln, ist das Model durch eine strömungstechnische Simulation überprüft und optimiert worden (siehe Abb.-2). Die Vorbemessung konnte hierbei bestätigt werden [1]. Das System entspricht den aktuellen Empfehlungen des DVGW Regelwerks W 300 mit physischer Rohrtrennung, Wasserstandüberwachung und automatisierter Nachspeisung zur Ausführung eines Wasserwechsels im Siphon [2]. Abb. 2: HB Kuhberg - Ergebnis der strömungstechnischen Simulation am siphonierten Überlaufkasten 7. Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis - März 2023 89 Paradigmenwechsel in der Trinkwasserspeicherung? 2.4 Baukonstruktion, Tragwerk und Fassadengestaltung Um die Profilquerschnitte des Stahltragwerkes zu minimieren, werden drei zentrale Edelstahlstützen durch die Edelstahlspeicherbehälter geführt und fest mit dem Gebäude, sowie der Tankanlage verbunden. Oberhalb der Speicherbehälter erfolgt der Materialwechsel auf feuerverzinkten Stahl mit Flanschanbindung an das Dachtragwerk. Die zentralen Behälterstützen verändern den Fertigungsablauf und erfordern die Prototypenentwicklung einer neuen Reinigungs-einrichtung. Die Fassadengestaltung des neuen Hochbehälters ist mit der Stadt Ulm auf eine Ausführung in Cortenstahl als vorgehängte Schale mit dahinterliegender mineralischer Dämmung, integriert in Stahlkassetten, abgestimmt worden. Eine sehr hochwertige und ansehnliche Ausführung, wie nachfolgende Abbildung 3 zeigt. Abb. 3: HB Kuhberg - Abbildung der hinterlüfteten Corten-Fassade, Fläche ca. 2.000 m², Aufdach PV-Anlage 135 kW 2.5 Herausforderung Edelstahl in Kontakt mit Chlordioxid An einem über die SWU im Rahmen einer Betriebsführung betriebenen Edelstahlsystembehälter sind zehn Jahre nach Inbetriebsetzung oxidative Verfärbungen und teilweise korrosive Prozesse festgestellt worden. Diese Prozesse treten in der Wasserwechselzone und im Luftraum der Behälteranlage auf (vgl. Abb. 4). Nach detaillierter Ursachenforschung in Zusammenarbeit mit der Herstellerfirma (Fa. Hydro-Elektrik, Ravensburg) und Unterstützung durch ein werkstofftechnologisches Labor (Ionys AG, Karlsruhe) ist eine Aufkonzentration von Chlorgas aus der Desinfektion des Trinkwassers im Chlordioxidverfahren vermutet worden. Verstärkt durch den geringen Wasseraustausch der Behälteranlage konzentriert sich die Gasphase im Luftraum auf. Das Chlordioxid dissoziiert im Kondensatfilm auf der Behälterwandung und führt zu oberflächigen Korrosionserscheinungen. Im Bereich der Lüftungsöffnungen zur Filteranlage, d. h.. in Bereichen mit Luftwechsel ist der Effekt nahezu nicht detektiert worden. Auf Grundlage dieser Beobachtung ist ein Konzept zur Vermeidung der Korrosionserscheinung innerhalb der neuen Edelstahlbehälter am Kuhberg entwickelt worden. Dabei wird die Luft oberhalb der Wasserwechselzone nicht nur über die passive Filteranlage ausgetauscht, sondern auch durch Zwangsbelüftung mit einem radial-Ventilator. Das Lüftungskonzept wird an einem der drei Speicherbehälter ausgeführt, entsprechende Anschlüsse sind an den weiteren Tankanlagen vorgerüstet. Über eine aufwendige Chlorgasmessung in Kombination mit Temperatur- und Feuchtemessung wird die zwangsbelüftete Anlage mit der Anlage über reine passive Lüftung durch Wasserwechsel verglichen. Über einen Probenahmeflansch können Materialproben unterschiedlicher Edelstahlgüten eingebracht und werkstofftechnologisch untersucht werden, um eine ausführliche Datengrundlage für zukünftige Projekte zu erhalten. Abb. 4: Korrosionserscheinungen an Edelstahlsystembehälter unter Einwirkung von Chlordioxid 3. Bauablauf Nachfolgend ist der wesentliche Bauablauf zur Errichtung der Speicheranlage (Edelstahl-systembauweise) am Standort Kuhberg dargestellt 3.1 Rückbau Bestandsanlage Der bestehende Baukörper aus Stahlbeton (gering bewehrt, glatte Bewehrungseisen) ist an der Außenhülle mit einem bituminösen Anstrich ausgeführt, welcher vor dem Abbruch vom Betongrundkörper abgefräst und separiert worden ist. Die Innenbeschichtung ist gemäß Voruntersuchungen als unproblematisch eingestuft worden (vgl. Abb. 5). Nach erneuter Analyse an Bruchstücken ist ein mehrlagiger Schichtauf bau festgestellt worden, welcher zur Klassifizierung DK 0 des Mischhaufwerks geführt hat (im Bereich der Bodenplatte konnte der Schichtaufbau durch Fräsen separiert werden, Parameter mit Grenzwertüberschreitung sind extrahierbare organisch gebundene Halogene (EOX), Messwert 110-mg/ kg, Grenzwert Z2 10 mg/ kg). Die planerische Vorgabe, den Betonbruch als Dränschicht zur Stabilisierung der Sohle einzusetzen, war auf dieser Grundlage nicht umsetzbar. Jedoch ist zertifiziertes Recyclingmaterial angeliefert und eingebaut worden. 90 7. Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis - März 2023 Paradigmenwechsel in der Trinkwasserspeicherung? Abb. 5: Rückbau Behälter Baujahr 1936, innenliegende Altbeschichtung 3.2 Betonbauarbeiten Grundkonstruktion zur Aufstellung der Edelstahlsystembehälter ist eine WU-Wanne mit einer dreiecksförmigen Geometrie mit Außenmaßen 65 m x 50 m. Das notwendige Sohlgefälle der Speicherbehälter ist direkt in der Bodenplatte durch entsprechende Staffelung der Bewehrung erzeugt worden. Zur Erhöhung der Oberflächenhärte ist vor dem mechanischen Glätten der Sohloberfläche eine Zement-/ Sandmischung eingestreut. In nachfolgender Abbildung 6 ist eine Bauphase der Erstellung des Bewehrungskörpers der Bodenplatte und bereits fertig gestellte Elemente dargestellt. Die Wannenkonstruktion wird fast vollständig umlaufend erdangeschüttet, ein kleinerer Bereich zum Straßenkörper erhält eine WDVS-Dämmung. Abb. 6: Betonbauarbeiten, Bauabschnitt 03 Bewehrung Bodenplatte Ostseite 3.3 Stahlbau, Fassade und Dachabdichtung Auf die Wannenkonstruktion ist eine Stahl-Skelett-Konstruktion aus feuerverzinkten Stahlelementen mit Profilen HEA 200 bis 550 aufgebaut, welche in den Randbereichen bombiert ausgeführt ist (siehe Abb. 7). Die bereits beschriebenen Edelstahlstützten werden in das Tragwerk integriert (siehe Abb. 8). Die Außenhülle wird aus beschichteten Stahlkassetten mit innenliegender mineralischer Dämmung ausgeführt, welche mit einer hinterlüfteten Cortenstahl-Fassade abgeschlossen wird. Die Dachhaut wird durch Trapezbleche geschlossen und mit mineralischer Gefälledämmung, sowie zweilagig ausgeführter Bitumendachbahn abgedichtet. Mit diesem klassischen Dachabdichtungskonzept werden Vorteile bei der späteren Entsorgung im Vergleich zum normativen Vorschlag gemäß DVGW-Regelwerk W-300-1 mit geklebter Foamglas-Dämmung und erdangeschütteter Ausführung im Bereich der Ortbetonbehälter gesehen. Hier ist die Separation der Materialien nur mit hohem Aufwand möglich. Abb. 7: Stahltragwerk, bombierter Bereich 3.4 Edelstahlsystembehälter und Technische Ausrüstung Zentrales Element der Speicheranlage sind die drei Edelstahltankbehälter (ø 24,8 m; zylindrische Mantelhöhe 8,8 m; Wandstärke 3/ 4/ 3 mm; Masse je Behälter ca. 40-to). Zur Minimierung der Auswirkung der Chlordioxidexposition wird im Luftbereich der hoch dotierte Werkstoff-Nr. 1.4462 (Super Duplex, X2CrNiMoN22-5-3) ausgeführt. Zur Optimierung der Investitionskosten wird der wasserberührte Bereich mit dem Werkstoff-Nr. 1.4162-(Duplex-X2CrMnNiN22-5-2) ausgeführt. Die zentrale Mittelstütze macht die Neuentwicklung der Reinigungseinrichtung und ein angepasstes Fertigungskonzept notwendig. Abb. 8: Edelstahlsystembehälter - Innenansicht mit zentraler Mittelstütze 7. Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis - März 2023 91 Paradigmenwechsel in der Trinkwasserspeicherung? 3.5 Auswirkungen Corona und Ukraine-Krieg auf den Projektablauf Die Beeinträchtigung durch die Krisen der Jahre 2020 bis heute hielten sich im Bauablauf in beherrschbaren Grenzen. Das Edelstahlmaterial der Speicheranlage ist vor Kriegsbeginn bestellt worden, womit es zu keiner gravierenden Materialpreissteigerung gekommen ist. Bei den Fachfirmen sind keine enormen Krankheitsausfälle zu verzeichnen gewesen, dennoch konnten bestimmte Teilbereiche nicht rechtzeitig bestellt werden. Weiterhin sind die Fachfirmen in Teilbereichen bei den gravierenden Materialpreis-Steigerungen durch Preisanpassungen unterstützt worden. Auf Grundlage der sehr guten Zusammenarbeit aller Projektbeteiligten kann der Rahmenzeitplan, mit derzeit zweimonatigem Puffer, gehalten werden. 4. Ressourceneinsatz - Vergleich Stahlbetonbehälter vs. Edelstahlsystembehälter (cradle-to-cradle- Ansatz) Am Beispiel des Trinkwasserspeicherbehälters Kuhberg soll anhand von Ressourcenbilanzierungen über den Lebenszyklus gezeigt werden, welche Bauart (Stahlbetonbauweise vs. Systembehälter Edelstahl), die geringere Auswirkung auf den Ressourcenverbrauch und die Emissionen darstellt. 4.1 Datengrundlage Grundlage zur Beurteilung des Ressourceneinsatzes von Bauwerken und Umweltproduktdeklarationen bildet die DIN EN 15804: 2012+A2: 2019+AC: 2021. Es soll sichergestellt werden, dass mit Hilfe dieser Norm alle Umweltproduktdeklarationen (EPD, en: environmental product declarations) für Bauprodukte, Bauleistungen und Bauprozesse in einheitlicher Weise abgeleitet, verifiziert und dargestellt werden. Laut DIN EN 15804 werden „die EPD-Informationen in Informationsmodulen ausgedrückt, die eine einfache Organisation und Darstellung von Datenpaketen über den Lebenszyklus eines Produktes zulassen. Dieser Ansatz setzt voraus, dass die unterlegten Daten konsistent, reproduzierbar und vergleichbar sein sollten. Die EPD wird so dargestellt, dass eine Addition der Daten möglich wird“ [3]. Die Betrachtung erfolgt am Beispiel Hochbehälter Kuhberg durch Gegenüberstellung einer in Stahlbetonbauweise hergestellten Speicheranlagen (Variante V 1 Stahlbetonbauweise, runde Geometrie, zwei Speicherkammern á 6.000 m³ mit zwischenliegender Trennwand, teilangeschüttet mit Fassaden-/ Dachkonstruktion aus Stahlelementen) zu einer Anlage in Edelstahlsystembauweise (Variante V 2 gemäß Beschreibung unter Punkt 3). Als Vergleichsparameter zur Beurteilung der Ressourceneffizienz beider Varianten sind die Parameter Total erneuerbare Primärenergie Input [MJ], Total nicht-erneuerbare Primärenergie Input [MJ], Globales Erwärmungspotential - total [kg CO 2 äquivalent], sowie das Wasser-Entzugspotential [m³ world equivalent] herangezogen worden. Die Datensätze der Werkstoffe und Bauteile werden der Datenbank ÖKOBAUDAT [4] entnommen und bilanziert. 4.2 Systemgrenzen Die Datensätze der Ökobaudat [4] zielen auf eine Bilanzierung von Bauprodukten ab. Aus diesem Grunde sind teilweise Werte für das Recycling bzw. die stoffliche Verwertung von Baustoffen lückenhaft bilanziert. Weiterhin ist meist der Ansatz Cradel-to-Gate (von der Wiege zum Werkausgang) bilanziert, d. h. die wesentlichen Zwischenschritte der Montage/ Herstellung auf der Baustelle, sowie der Rückbau inkl. stofflicher Verwertung muss anlagenbezogen bestimmt werden. In der vorliegenden Bilanz sind folgende Annahmen getroffen worden: • Herstellungsprozesse auf der Baustelle wurden hauptsächlich über den gemessenen Stromverbrauch berücksichtigt • baustellenbezogene Transporte von Material und Fachpersonal wurde vernachlässigt • Recyclingprozesse wurden bei den massen-mäßig relevanten Baustoffen angesetzt • Rückbau des bestehenden Trinkwasser-behälters aus Stahlbeton wurde in beiden Varianten nicht berücksichtigt Die Absolutwerte der nachfolgenden Bilanzen können somit weiter detailliert werden und liegen am realen Projekt höher als berechnet. Die gewählte Genauigkeitsstufe ist ausreichend, um den Vergleich zwischen den beiden Varianten abzubilden. 4.3 Energiebedarf elektrische Energie Durch die SWU wird über die Trafostation im zur Baustelle benachbarten Pumpwerk elektrische Energie mit einer maximalen Leistung von ca. 150 kW zur Verfügung gestellt, hierbei wird der Stromverbrauch von Beginn der Bauarbeiten gezählt. Während der Rohbauarbeiten liegt der Monatsverbrauch der Baustelle bei ca. 1000 kWh/ Monat, welcher sich in Zeiten mit Heizbedarf (Baucontainer, Sanitärcontainer) verdoppelt. Ab Beginn der Fertigung der Behälteranlage steigt der Verbrauch auf ca. 5.000 bis 7.000 kWh/ Monat (Schweißenergie, Lüftungsanlage), in der Heizperiode auf bis zu 13.000 kWh/ Monat (vgl. Abb. 9). In dieser Bilanzierung ist der Dieselkraftstoffverbrauch zu Heizzwecken noch nicht berücksichtigt. Bis zur Fertigstellung der Anlage wird der Gesamtstromverbrauch mit 123.000 kWh prognostiziert. Wird die Variante V 1 bilanziert, errechnet sich ein geringerer Strombedarf, welcher sich in der Heizperiode ebenfalls ca. verdoppelt. Weiterhin liegt der Primärenergieeinsatz im Vergleich zu V2 deutlich geringer, da die Aufwendungen für die Schweißarbeiten und Klimatisierung des Baufeldes entfallen (vgl. Tab. 2). 92 7. Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis - März 2023 Paradigmenwechsel in der Trinkwasserspeicherung? Tab. 2: Bilanzierung Primärenergieeinsatz (regenerativ/ fossil und Globales Erwärmungs-potential Baustoffe Menge [kWh] PERT [GJ] PENRT [GJ] GWP-total [kg CO 2 eq.] V 1 Strom für Baustellenbetrieb Stahlbetonb. 47.500 255 288 21.855 V 2 Strom für Baustellenbetrieb Edelstahlsystemb. 122.350 657 742 56.293 Abb. 9: zeitlicher Verlauf Stromverbrauch Variante V 1 Stahlbetonbehälter und V 2 Edelstahlbehälter 4.4 Bilanz V 1 Stahlbetonbehälter In nachfolgender Aufstellung sind die wesentlichen Werkstoffe unter den genannten Einschränkungen bilanziert und auszugweise dargestellt (siehe Abb. 10). Weiterhin ist die Gesamtsumme der Parameters GWP in kg CO 2 eq. dargestellt (siehe Tab. 3). Es konnte kein valider Datensatz zum Betonrecycling recherchiert werden. Dieser Baustoff ist in den Bilanzen beider Systeme ohne stoffliche Verwertung gerechnet. Tab. 3: Bilanzierung Globales Erwärmungs-potential Variante V 1 (Auszug inkl. Gesamtsumme) Baustoffe Menge Einheit GWP-total [kg CO 2 eq.] Transportbeton C30/ 37 3.124 m³ 978.391 Bewehrungsstahl (Cradel-to-Cradel) 374.928 kg 141.655 Edelstahlblech (Cradel-to-Cradel) 35.188 kg 27.197 Instandsetzung (Zementgebunden, Materialeinsatz) 134 m³ 46.844 Gesamt-∑ - - 1.484.074 Abb. 10: V1 Ausschnitt GWP-Bilanz maßgeblicher Werkstoffe 4.5 Bilanz V 2 Edelstahlbehälter Die Bilanzierung der Variante V 2 zeigt durch Substitution von Stahlbetonteilen eine positivere Gesamtbilanz (vgl. Tab. 4). Die für ca. 2/ 3 der Gebäudehülle eingesetzten, gut separierbaren Stahlwerkstoffe (siehe Abb. 11) (Stahlprofile, Fassadenauf bau mit Stahlkassetten und vorgehängten Cortenplatten) und die nahezu komplett stoffliche verwertbare Edelstahlspeicheranlage verbessern die Gesamtressourceneffizienz. Tab. 4: Bilanzierung Globales Erwärmungspotential Variante V 2 (Auszug inkl. Gesamtsumme) Baustoffe Menge Einheit GWP-total [kg CO 2 eq.] Transportbeton C20/ 25 2.008 m³ 513.537 Bewehrungsstahl (Cradel-to-Cradel) 183.500 kg 69.330 Stahlprofil (Cradel-to-Cradel) 199.064 kg 66.398 Edelstahlblech (Cradel-to-Cradel) 162.631 kg 125.697 ∑ - - 1.109.569 7. Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis - März 2023 93 Paradigmenwechsel in der Trinkwasserspeicherung? Abb. 11: V1 Ausschnitt GWP-Bilanz maßgeblicher Werkstoffe 5. Schlussbemerkung Die SWU ist überzeugt, dass durch die Systementscheidung „12.000 m³ Speichervolumen in Edelstahlsystembauweise“, der richtige Weg zur Errichtung einer langlebigen Infrastrukturanlage eingeschlagen worden ist. Mit der Umsetzung dieses Projektes kann gezeigt werden, dass durch Einsatz innovativer Verfahren, auch größere Speichervolumen in Edelstahlsystembauweise errichtet werden können. Die Verwendung von gut separierbaren Baustoffen mit hoher Recyclingquote und betrieblichen Optimierungs-möglichkeiten können zu einem Paradigmenwechsel gegenüber der klassischen Stahlbetonbauweise führen. Die zentrale Speicheranlage wird rechtzeitig zur Jubiläumsfeier „150 Jahre Trinkwasser Ulm“ in Betrieb gehen. Literatur [1] Priv.-Doz. Dipl.-Ing. Dr. techn. Roman Gabl, Strömungssimulation eines Überlaufkastens, Technischer Bericht CON-22-HYD 003, CADFEM Austria GmbH, Oktober 2022 [2] DVGW Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches e.V. Technisch-wissenschaftlicher Verein: Technische Regel - Arbeitsblatt DVGW W- 300-1 (A) bis W 300-8 (A), Oktober 2014 [3] DIN-Normenausschuss Bauwesen (NABau): DIN EN 15804 Nachhaltigkeit von Bauwerken - Umweltproduktdeklarationen - Grundregeln für die Produktkategorie Bauprodukte; Deutsche Fassung EN 15804: 2012+A2: 2019+AC: 2021, 72. Erg.-Lief./ Juni-2022 [4] Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung undBauwesen: ÖkobaudatInformationsportalNachhaltiges Bauen, https: / / www.oekobaudat.de/ no_ cache/ datenbank/ suche/ daten/ db2.html#bereich2 (Stand 31.01.2023)
