eJournals Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis 8/1

Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis
ktw
expert verlag Tübingen
ktw81/ktw81.pdf0922
2025
81

Auffälligkeiten an Oberflächen von trinkwasserberührten Bauteilen – Ab wann wird es zum Problem?

0922
2025
Melanie Merkel
Wolfgang Breit
Die Anforderungen an Betonoberflächen im direkten oder indirekten Kontakt mit Trinkwasser unterliegen strengen technischen und insbesondere auch hygienischen Maßgaben. Das DVGW-Arbeitsblatt W 300-1 (Ausgabe November 2024) konkretisiert diese Anforderungen und stellt eine zentrale normative Grundlage für die Planung, Herstellung und Bewertung entsprechender Bauteile in der Trinkwasserspeicherung dar. Darüber hinaus definiert das Regelwerk den Soll-Zustand trinkwasserberührter Betonoberflächen und formuliert verbindliche Vorgaben sowohl für Neubauten als auch für Instandsetzungsmaßnahmen. Erfahrungen aus der Praxis zeigen jedoch, dass die im DVGW-Regelwerk W 300-1 bis -4 formulierten Anforderungen – trotz bestmöglicher Präzision – nicht in allen Fällen eine vollumfängliche Bewertung der ausgeführten Betonoberflächen erlauben. Dies gilt insbesondere dann, wenn Abweichungen durch artfremde Bestandteile (z. B. unplanmäßige Einschlüsse) auftreten. Der vorliegende Beitrag greift diese Problematik auf und zielt darauf ab, die bestehende Bewertungsmethodik für trinkwasserberührte Betonoberflächen weiterzuentwickeln. Auf Basis technischer Kenngrößen und analytischer Ableitungen wird aufgezeigt, wie die normativen Anforderungen praxisgerecht ergänzt und konkretisiert werden können, mit dem Ziel, die Oberflächenqualität in der Trinkwasserspeicherung objektivierbar und nachhaltig bewerten zu können.
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8. Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis - September 2025 121 Auffälligkeiten an Oberflächen von trinkwasserberührten Bauteilen - Ab wann wird es zum Problem? Prof. Dr.-Ing. Melanie Merkel bsm² Breit ∙ Schuler ∙ Merkel Beratende Ingenieure PartGmbB, Kaiserslautern Univ.-Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Breit Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern (RPTU), Fachgebiet Werkstoffe im Bauwesen, Kaiserslautern bsm² Breit ∙ Schuler ∙ Merkel Beratende Ingenieure PartGmbB, Kaiserslautern Zusammenfassung Die Anforderungen an Betonoberflächen im direkten oder indirekten Kontakt mit Trinkwasser unterliegen strengen technischen und insbesondere auch hygienischen Maßgaben. Das DVGW-Arbeitsblatt W 300-1 (Ausgabe November 2024) konkretisiert diese Anforderungen und stellt eine zentrale normative Grundlage für die Planung, Herstellung und Bewertung entsprechender Bauteile in der Trinkwasserspeicherung dar. Darüber hinaus definiert das Regelwerk den Soll-Zustand trinkwasserberührter Betonoberflächen und formuliert verbindliche Vorgaben sowohl für Neubauten als auch für Instandsetzungsmaßnahmen. Erfahrungen aus der Praxis zeigen jedoch, dass die im DVGW-Regelwerk W 300-1 bis -4 formulierten Anforderungen - trotz bestmöglicher Präzision - nicht in allen Fällen eine vollumfängliche Bewertung der ausgeführten Betonoberflächen erlauben. Dies gilt insbesondere dann, wenn Abweichungen durch artfremde Bestandteile (z. B. unplanmäßige Einschlüsse) auftreten. Der vorliegende Beitrag greift diese Problematik auf und zielt darauf ab, die bestehende Bewertungsmethodik für trinkwasserberührte Betonoberflächen weiterzuentwickeln. Auf Basis technischer Kenngrößen und analytischer Ableitungen wird aufgezeigt, wie die normativen Anforderungen praxisgerecht ergänzt und konkretisiert werden können, mit dem Ziel, die Oberflächenqualität in der Trinkwasserspeicherung objektivierbar und nachhaltig bewerten zu können. 1. Oberflächenqualität nach DVGW-Arbeitsblatt W 300-1 1.1 Allgemeine Anforderungen Das übergeordnete Ziel bei der Ausführung trinkwasserberührter Betonflächen ist die Herstellung porenarmer und möglichst glatter Oberflächen. Poren und Lunker können die Ablagerung von Sedimenten sowie das Wachstum von Mikroorganismen begünstigen und stellen daher hygienisch bedenkliche Schwachstellen dar. Mit der Einführung des überarbeiteten DVGW-Arbeitsblatts W 300-1 [1] im Jahr 2024 wurden erstmals objektiv überprüf bare Kriterien zur Beurteilung der Ausführungsqualität eingeführt. Die zentralen Anforderungen lauten: Porigkeit • Ausbildung von gleichmäßig porenarmen Betonoberflächen. • Die Oberfläche für Decken kann eben und glatt oder mit Textur ausgeführt werden, in jedem Fall aber möglichst poren- und lunkerfrei. Textur • Raue Oberflächen sowie Schalungsversätze und Unebenheiten sind zu vermeiden. • Erforderlich ist ein glatter Schalungsabdruck der Betonoberfläche mit geschlossener Zementhaut und ohne Haufwerksporigkeit. • Fugen zwischen Schalungselementen sind abzudichten. 1.2 Verweis auf DBV-Merkblatt „Sichtbeton“ Ergänzend zu den DVGW-Regelungen kann die Sichtbetonklasse SB4 nach dem DBV-Merkblatt „Sichtbeton“ [2] herangezogen werden, auch wenn dessen Anwendungsbereich primär auf den allgemeinen Hochbau fokussiert, Das DVGW-Regelwerk übernimmt die Sichtbetonklassifizierung nicht zur Gestaltung, sondern als technisch/ hygienisch motiviertes Qualitätsniveau für Oberflächen in Trinkwasserbehältern. Daher wird z. B. die Farbtongleichmäßigkeit - im Gegensatz zur Vorgabe des DBV-Merkblatts - ausdrücklich nicht gefordert. Folgende Einzelkriterien werden im DVGW-Arbeitsblatt W 300-1 gefordert: • Texturklasse T3 • Porigkeitsklasse P3 • Ebenheit der Betonfläche E3 • Schalhautklasse SHK3 • Arbeitsfugen und Schalungsstöße AF4 Hinweis: Auch wenn in der überarbeiteten Fassung des DVGW-Arbeitsblatt W 300-1 auf die Porigkeitsklasse P3 verwiesen ist, so ist die Porigkeitsklasse P4 maßgebend. Die Wahl der Porigkeitsklasse (P3 oder P4) bei SB4 richtet sich nach dem Verwendungszweck und der eingesetzten Schalungshaut. Bei einer saugenden Schalungshaut ist die Porigkeitsklasse P4 und bei einer nicht saugenden Schalungshaut ist die Porigkeitsklasse P3 zulässig. Da die Ausführung von wasserabführenden oder saugenden Schalungsbahnen nach DVGW-Arbeitsblatt W 300-1 empfohlen wird, ist somit die Porigkeitsklasse P4 maßge- 122 8. Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis - September 2025 Auffälligkeiten an Oberflächen von trinkwasserberührten Bauteilen - ab wann wird es zum Problem? bend. Zudem wird grundsätzlich eine möglichst porenarme Betonoberfläche gefordert, muss als Konsequenz Porigkeitsklasse P4 umgesetzt werden. Nach DBV-Merkblatt „Sichtbeton“ [2] gelten für die Porigkeitsklasse P4 die in Tab. 1 genannten Kriterien. Die Vorgabe nach einer porenfreien Betonoberfläche ist technisch nicht herstellbar und wird in keiner Porigkeitsklasse gefordert. Tab. 1: Zusammenstellung der Anforderung der Porigkeitsklasse P4 Kriterium Anforderung der Porigkeitsklasse P4 maximaler Porenanteil 750 mm² pro 0,25 m² Einzelporengröße (Einzeldurchmesser) 2 mm < d < 15 mm Kiesnester oder stark sichtbare Schüttlagen nicht zulässig Porenanhäufung unzulässig, insbesondere an Kanten, Ankerstellen und Schalstößen eingeschränkt tolerierbar: im oberen Teil vertikaler Bauteile Folgende Anforderungen ergeben sich aus der Texturklasse T3 [2]: • Glatte, geschlossene, weitgehend einheitliche Betonfläche • Feinmörtelaustritt an Schalungsstößen bis ca. 3 mm Breite zulässig • Technisch unvermeidbare Grate bis ca. 3 mm zulässig • Weitere Anforderungen z. B. an Ankerausbildung, Konenverschlüsse oder Schalungshautstöße müssen objektspezifisch definiert werden Bei der Schalhautklasse SHK3 sind unter Berücksichtigung von trinkwasserspezifischen Aspekten die nachfolgenden Punkte unzulässig [2]: • Bohr-, Nagel- und Schraublöcher, Kratzer (außer als mit dem AG abgestimmte Reparaturstelle) • Beschädigung durch Innenrüttler • Beton- und Mörtelreste Bei Arbeitsfugen und Schalungsstöße der Klasse AF4 ist folgendes zu beachten [2]: • Planung der Detailausführung erforderlich • Versatz der Flächen im Fugenbzw. Stoßbereich bis ca. 3 mm zulässig • Feinmörtelaustritt auf dem vorhergehenden Betonierabschnitt sollte rechtzeitig entfernt werden • weitere Anforderungen (bspw. Ausbildung von Arbeitsfugen und Schalungsstößen) sind detailliert festzulegen An die Ebenheitsklasse E3 werden folgende Anforderungen gestellt [2]: • nach DIN 18202, Tabelle 3, Zeile 6 [3] • höhere Ebenheitsanforderungen sind gesondert zu vereinbaren; dafür erforderliche Aufwendungen und Maßnahmen sind vom Auftraggeber gesondert detailliert festzulegen Die konsequente Einhaltung der genannten Kriterien ist unerlässlich, um hygienisch unbedenkliche Oberflächen zu gewährleisten. Insbesondere ausgeprägte Vertiefungen, Stagnationszonen und Kanten begünstigen mikrobielle Anhaftungen und Verkeimungspotenzial. 1.3 Besonderheiten bei Deckenflächen Deckenflächen unterliegen infolge von Tauwasserbildung besonderen Anforderungen. Kondensat kann zu einer beschleunigten Auslaugung des Betons führen und dessen Dauerhaftigkeit beeinträchtigen. In den überarbeiteten DVGW-Arbeitsblättern W 300-1 [1] und -3 [3] sind folgende Ausführungsvarianten beschrieben: • glattgeschalte Oberfläche • Textilstruktur durch Einsatz von wasserabführenden/ -saugenden Schalungsbahnen • nachträgliche Applikation einer Beschichtung/ Auskleidung nach DVGW-Arbeitsblatt W 300-3 und -4 [5] Bei der nachträglichen Applikation einer Beschichtung/ Auskleidung stehen die folgenden Ausführungen zur Verfügung (vgl. Abb. 1): • spritzraue Oberfläche (feine bis grobe Struktur mit zementgebundenen Systemen) • glatte Oberfläche (zementgebundene Systeme, organische Beschichtung) • nachträgliche Auskleidung (Kunststoff- und Edelstahlplatten) 8. Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis - September 2025 123 Auffälligkeiten an Oberflächen von trinkwasserberührten Bauteilen - ab wann wird es zum Problem? Abb.-1: Schematische Darstellung möglicher Oberflächenstrukturen und Begrifflichkeiten für die Instandsetzung Die Ausbildung sogenannter Tropfenstrukturen bzw. Stalaktiten hat sich in der Praxis als ungeeignet erwiesen (vgl. Abb. 2). Aufgrund des hierfür notwendigen hohen Wasserzementwertes erstarrt das Material während des Abtropfens zur Tropfenform, wobei häufig Hohlräume im Inneren entstehen. Diese Strukturen sind mechanisch minderfest und können die Reinigung erheblich erschweren. Abb.-2: Schematische Darstellung einer Tropfenstruktur Die Wahl der geeigneten Ausführungsvariante ist anhand bauphysikalischer, hygienischer und betrieblicher Kriterien projektspezifisch festzulegen. 1.4 Qualitätssicherung durch Referenzflächen Referenzflächen dienen sowohl im Neubau als auch bei der Instandsetzung von Trinkwasserbehältern als qualitätssichernde Maßnahme zur Bewertung und Freigabe der Bauausführung. Sie ermöglichen die objektive Beurteilung der Werkstoffe, Oberflächenqualität, Ausführungsgüte sowie der handwerklichen Verarbeitung durch Simulation der realen Bedingungen am Bauteil. Im überarbeiteten DVGW-Arbeitsblatt W 300-4 (Entwurf 2025) [6] ist die Herstellung von Erprobungs- und Referenzflächen im Rahmen der Qualitätssicherung explizit vorgesehen. Diese müssen folgende Anforderungen erfüllen: • Repräsentativität: Die Fläche muss repräsentativ für die tatsächlichen Bauwerksflächen sein, insbesondere in Bezug auf Untergrund, Auf bau und Applikation der Werkstoffe. • Werkstoffgleichheit: Alle eingesetzten Schichten und Komponenten müssen identisch zur späteren Bauausführung sein. • Oberflächenbewertung: Aspekte wie Porigkeit, Erscheinungsbild und Textur sind auf der Referenzfläche zu prüfen. Sie dient als Maßstab für alle nachfolgenden Bauabschnitte. • Lage und Dokumentation: Die Fläche ist dauerhaft zu kennzeichnen, fotografisch zu dokumentieren und im QS-Plan zu hinterlegen. Nach Abstimmung kann eine Referenzfläche als verbindlicher Maßstab zur vertraglichen Leistungsbewertung herangezogen werden. Anmerkung: Die in Kapitel 2 behandelten „Abweichungen durch Bestandteile in den Ausgangsstoffen“ können an Referenzflächen nicht erprobt werden. 2. Abweichungen durch Bestandteile in den Ausgangsstoffen 2.1 Allgemeines Sowohl bei Neubauten als auch bei Instandsetzungsmaßnahmen können in seltenen Fällen in den Ausgangsstoffen vorhandene, unerwünschte Bestandteile zu Auffälligkeiten im „worst case“ auch zu Schadstellen in der Oberfläche führen. Besonders relevant sind aus der baupraktischen Erfahrung hierbei leichtgewichtige organische (z. B. Kohle, Holz) sowie eisenhaltige oder mineralische Bestandteile. 2.2 Leichtgewichtige organische Bestandteile Auch wenn DIN EN 12620 „Gesteinskörnungen für Beton“ [7] Grenzen für leichtgewichtige organische Bestandteile vorsieht, kann in der praktischen Anwendung das Vorhandensein von derartigen Bestandteilen nicht vollständig ausgeschlossen werden. Leichtgewichtige organische Bestandteile stellen aufgrund ihrer organischen Zusammensetzung ein hygienisches Risiko dar und sind demnach nicht zulässig. Insbesondere horizontale Flächen sind davon betroffen, da die leichtgewichtigen Bestandteile aufschwimmen und sich an der Oberfläche konzentrieren können. 124 8. Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis - September 2025 Auffälligkeiten an Oberflächen von trinkwasserberührten Bauteilen - ab wann wird es zum Problem? Sollte ihr Auftreten festgestellt werden, ist eine gezielte Instandsetzung erforderlich. Diese erfolgt in der Regel lokal begrenzt. In Ausnahmefällen können solche Bestandteile auch erst nach Abnutzung der Oberfläche sichtbar werden. 2.3 Eisenhaltige Bestandteile 2.3.1 Vorkommen Lokale, punktförmige Korrosionsprodukte auf Beton- und Mörteloberflächen lassen sich häufig auf Eisensulfide oder Eisenoxide zurückführen, wie z. B. Pyrit (FeS₂), Pyrrhotin (FeS), Markasit (FeS₃), Eisenoxid (FeO, Fe₂O₃). Solche Minerale können natürlicherweise in Quarzkies- und -sandlagerstätten vorkommen. In zementgebundenen Systemen können sie als anhaftende oder eingeschlossene Bestandteile auftreten [8]. Für bspw. pyrithaltige Bestandteile existieren derzeit keine geeigneten Prüfverfahren, die es den Herstellern von zementgebundenen Produkten (z. B. Instandsetzungsmörtel) ermöglichen würden, diese im Rahmen der werkseigenen Produktionskontrolle (WPK) erkennen und damit ausschließen zu können. Zur Herstellung von zementgebundenen Instandsetzungsmörteln werden Ausgangstoffe (z. B. Zement, Gesteinskörnung, etc.) eingesetzt, die die Anforderungen an die jeweiligen Stoffnormen (z. B. DIN EN 197-1 [9], DIN EN 12620 [7], etc.) erfüllen. Zur Sicherstellung von Produkteigenschaften kann der Hersteller der zementgebundenen Produkte weitere Anforderungen und Prüfkriterien festlegen. 2.3.2 Reaktionsmechanismus Die Zersetzungsreaktion von Pyrit erfolgt unter Einwirkung von Wasser und Sauerstoff. Sie verläuft in mehreren Stufen [8]: 1. Oxidation des Pyrits zu Schwefel und Eisensulfat → sichtbar als gelblich-grünliche Zwischen-produkte 2. Bildung von Eisenoxid- und Eisenhydroxid-verbindungen (Rost) → sichtbar als braune bis rötliche Verfärbungen („Rostfahnen“) Mikroskopisch zeigt sich meist eine konzentrische Zersetzung der betroffenen eisenhaltigen Bestandteile. Die entstehende Schwefelsäure senkt den lokalen pH- Wert, was zu einer selbstverstärkenden Reaktion führt [8]. 2.3.3 Auswirkung auf Dauerhaftigkeit und Hygiene Die Entstehung der lokalen, punktförmigen Korrosionsprodukte an den Oberflächen kann im Rahmen der Ausführung schon bei der Nachbehandlung sichtbar werden oder nach der Inbetriebnahme. Die Ausblühungen und Zersetzungsreaktionen finden nur an der Oberfläche bzw. im oberflächennahen Bereich (vgl. Abschnitt 2.2.2). statt. Beeinträchtigungen in Bezug auf die Dauerhaftigkeit des Mörtels sind i. d. R. nicht zu erwarten, da es sich lediglich um eine lokal begrenzte Reaktionsstelle handelt. Auch die hygienischen Anforderungen werden i. d. R nicht beeinträchtigt. Kritisch zu bewerten sind Fehlstellen, die durch die Zersetzungsreaktion Löcher und Hohlräume hinterlassen. Mit fortschreitender Zeit vergrößern sich diese Hohlräume. Zudem findet eine lokale beschleunigte pH-Wert Absenkung in der Fehlstelle statt. Aus den vorgenannten Gründen sind die Fehlstellen ab einer gewissen Größenordnung als Schadstellen einzustufen und instand zu setzen. 2.3.4 Bewertung und Handlungsempfehlung Werden Oberflächen mit eisenhaltigen Bestandteilen vorgefunden, so ist zunächst der betroffene Bereich zu identifizieren, da ggf. nur eine Charge und damit ein begrenzter Ausführungsabschnitt betroffen ist. Eine betroffene Teilfläche begründet keine vollflächige Behandlung des Bauteils. Für die lokalisierten Bereiche ist eine Lösung zwischen Auftraggeber, Auftragnehmer und Materialhersteller für den Einzelfall abzustimmen. In Anlehnung an das DBV- Merkblatt „Sichtbeton“ und darin enthaltenen Porigkeitsklassen, den Vorgaben aus dem DVGW-Arbeitsblatt W 300-1 und den Vorgaben aus anderen Regelungen wie bspw. aus dem Industriebodenbereich können folgende Bewertungsgrundsätze abgeleitet werden: • Punktförmige Korrosionsstelle bis zu einem Durchmesser von maximal 2 mm gelten nicht als Schadstelle und bedürfen keiner Überarbeitung (vgl. Abb. 3), sofern sie sich in einem Zeitraum von einem Jahr nicht verändern. Begründung: Poren bis zu einem Durchmesser von 2 mm werden nicht für die Ermittlung und Bewertung des Porenanteils nach DBV-Merkblatt „Sichtbeton“ und DVGW-Arbeitsblatt W 300-1 berücksichtigt. Abb. 3: Punktförmige Korrosionsstelle ohne erkennbare Fehlstelle bzw. „Loch“ • Läufer oder Einschlüsse, die keine Fehlstelle in der Oberfläche hinterlassen, stellen lediglich eine optische Beeinträchtigung dar. Ein Abschleifen oder Entfernen ist aus technischer Sicht nicht begründet. 8. Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis - September 2025 125 Auffälligkeiten an Oberflächen von trinkwasserberührten Bauteilen - ab wann wird es zum Problem? • Punktförmige Korrosionsstellen ab einem Durchmesser größer 2 mm, die eine Fehlstelle bzw. ein mittiges „Loch“ hinterlassen, sind als kritische Bereiche (Schadstelle) einzustufen und sollten instandgesetzt werden (vgl. Abb. 4). Abb. 4: Erscheinungsbild eines Einschlusses, der eine Fehlstelle bzw. ein „Loch“ hinterlässt • In Anlehnung an in der Praxis bereits bestehende Bewertungsgrundlagen (vgl. [8] im Industriebodenbereich) lassen sich bis zu vier- Schadstellen/ m² nicht zielsicher vermeiden. Dennoch ist bei Auftreten einer Schadstelle aus hygienischer Sicht eine Bewertung und ggf. Behandlung erforderlich. Die Fehlstellen können lokal durch Auskratzen, Ausbohren oder Ausstemmen und ggf. Verfüllen instandgesetzt werden. Ein Verfüllen ist erst bei einem Ausbohren oder Ausstemmen erforderlich. Hinweis: Auf Kernbohrungen sollte verzichtet werden, da die glatten Wandungen keinen ausreichenden Kraftschluss zum neu einzubringenden Mörtel zulassen und zusätzlich Kernbohrungen einen zu großen Eingriff in die Substanz darstellen. • Bei lediglich lokal aufgetretenen Schadstellenkann im Rahmen des Gewährleistungszeitraums ein Monitoring zusammen mit dem ausführenden Unternehmen ratsam sein, um entscheiden zu können, ob die Reaktionsprozesse bereits zum Stillstand gekommen sind. Sollten sich innerhalb der Gewährleistungszeit keine negativen Auswirkungen ergeben, stellen die Schadstellen vermutlich kein Problem dar. Ggf. ist es sinnvoll einen Sachverständigen miteinzubeziehen. Hinweis: Ein lokales Verfüllen stellt potenzielle Schwachstellen in einer sonst einheitlich geschlossenen Oberfläche dar. Sollte es sich nur um vereinzelte Schadstellen handeln, ist ein Monitoring vorzuziehen, um zu einer abschließenden Handlungsempfehlung zu kommen. • Bei einem größeren Anteil an Schadstellen oder einem großflächigen Auftreten der Einschlüsse sollte im wasserberührten Bereich in Abstimmung mit allen Beteiligten eine flächige Überarbeitung in Betracht gezogen werden. Zur baupraktischen Bewertung kann ein lokaler Bereich mit etwa 20- Schadstellen/ m² als kritisch bewertet werden, In dem Fall ist eine flächige Überarbeitung ratsam, da sonst zu viele Fehlstellen und damit potenzielle Schwachstellen in der sonst intakten Oberfläche vorliegen. Begründung: Bei der Porigkeitsklasse P4 wird für die Porigkeit eine maximale summierte Porenfläche von 750 mm² je 0,25 m² Prüffläche, entsprechend 3.000 mm² auf 1 m² angesetzt. Unter Berücksichtigung eines maximal zulässigen Porendurchmessers von 14 mm (d < 15 mm) ergibt sich eine Anzahl von 19 Schadstellen (aufgerundet 20). Die Bewertung der Schadstellenanzahl/ m² ist als Richtwert und für eine begrenzt auftretendes Erscheinungsbild anzusehen. Sollte die gesamte Wasserkammer betroffen sein und eine Anzahl von > 1.000-Schadstellen/ 500-m² vorliegen, ist ein Sachverständiger miteinzubeziehen und eine flächige Instandsetzung in Betracht zu ziehen. Grundsätzlich muss zwischen funktionaler Beeinträchtigung und rein optischer Beeinträchtigung unterschieden werden. Bei einem Trinkwasserbehälter sind primär die technischen und hygienischen Aspekte relevant, sodass bei einem Überarbeitungswunsch des Bauherrn aus rein optischen Gründen Kosten, die über die lokale Instandsetzung hinaus gehen, getragen werden sollten. Der Verwender der Produkte hat keinen Einfluss auf die Zusammensetzung der Werktrockenmörtel. Es besteht somit keine Möglichkeit während der Ausführung korrigierend einzugreifen bzw. er kann die Entstehung von Ausblühungen nicht verhindern. Es müssen daher gesonderte Vergütungsregeln für die Überarbeitung von z. B. durch eisenhaltige Bestandteile verursachte Fehlstellen vereinbart werden. Grundsätzlich sollten durch den Auftraggeber, Auftragnehmer und den Materialhersteller einvernehmliche individuelle Lösungen herbeigeführt werden und ggf. die Versicherungsmöglichkeit geprüft werden. Auch wenn keine Prüfverfahren für den Nachweis von bspw. pyrithaltigen Bestandteilen existieren, so können dennoch entsprechende Bewertungsklassen analog zu [8] vom Fachplaner ausgeschrieben werden. So kann in der Planungsphase bereits auf das Risiko hingewiesen und ein Bau-Soll definiert werden. 2.4 Kalktreiben 2.4.1 Vorkommen und Reaktionsmechanismus Das Kalktreiben hat seinen Ursprung im Zementstein. Freies CaO bzw. Freikalk ist der Anteil an CaO, der nicht in den Klinkerverbindungen gebunden wird, also im erhärtenden Beton oder Mörtel als nicht hydratisierte Kalkanteile vorliegt. Wenn freies CaO in grob kristalliner Ausbildung in größeren Mengen vorhanden ist, läuft die Reaktion mit Wasser sehr langsam ab und ist dann noch nicht abgeschlossen, wenn die Erhärtung des Zements schon begonnen hat [10]. Beim Eindringen von Wasser findet allmählich die Hydration des CaO statt. Das CaO reagiert mit dem Wasser zu Calciumhydroxid, welches mit einer Ausdehnung des 126 8. Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis - September 2025 Auffälligkeiten an Oberflächen von trinkwasserberührten Bauteilen - ab wann wird es zum Problem? Hydroxids verbunden ist [10]. Im Fall einer Volumenzunahme auf das Doppelte und bei einem Freikalkanteil im Klinker von > 2 M.-% ist eine Sprengwirkung und eine damit verbundene Gefügeschädigung zu erwarten [12] (vgl. Abb. 5). Abb. 5: Schematische Darstellung des Kalktreibens, links: CaO im erhärteten Mörtel oder Beton, rechts: Sprengwirkung bei allmählicher Hydratation zu Ca(OH) 2 [12] Folgende Ursachen kommen nach [11] für einen erhöhten Gehalt an freiem CaO in Betracht: • Zu kalkreich eingestelltes Rohstoffgemisch, sodass die Kalksättigung überschritten wird und der CaO Überschuss nicht mehr gebunden wird • Zu grobe Körner von Kalkstein und Quarz infolge unzureichender Feinmahlung des Rohstoffgemisches • Unzureichende Homogenisierung des Brenngutgemisches • Zu niedrige Brenntemperaturen • Reduzierte Ofenatmosphäre, die das Kalkbindevermögen des Rohstoffgemisches vermindert Weitere prozesstechnische Ursachen können nicht ausgeschlossen werden. 2.4.2 Auswirkung auf Dauerhaftigkeit und Hygiene Die festgestellten Mängel an der Oberfläche sind trinkwasserhygienisch als unkritisch einzustufen, da es sich nach vorliegenden Erkenntnissen um rein mineralische Reaktionsprodukte handelt. Eine fehlstellenbehaftete Oberfläche entspricht jedoch nicht dem definierten Soll-Zustand nach DVGW-Arbeitsblatt W 300-1 und -3. 2.4.3 Bewertbarkeit Oftmals weisen die Pop-Outs unterschiedliche Stadien auf, von bereits abgeplatzt, Aufwölbung der Beschichtung und erkennbare Rissbildung. Die Treiberscheinung geht von den weißen punktförmigen Stellen im Mörtel aus (vgl. Abb. 6 und Abb. 7). Abb. 6: Pop-Out, Bodenbereich Wasserkammer Abb. 7: Einschluss mit Rissbildung, Bodenbereich Wasserkammer Inwieweit ein Ausbohren und anschließendes Verschließen der schadhaften Bereiche sinnvoll ist, ist im Einzelfall zu prüfen und hängt von der Anzahl der schadhaften Stellen ab. Darüber hinaus ist zu bewerten, ob im weiteren zeitlichen Verlauf ggf. neue Schadstellen auftreten können. Es muss davon ausgegangen werden, dass der Reaktionsmechanismus nicht innerhalb kurzer Zeit abgeschlossen ist. Je nach Tiefenlage und Verfügbarkeit können in den ersten Jahren immer wieder Pop-Outs auftreten. Es wird eine objektbezogene Zustandsanalyse und Bewertung durch eine sachverständige Person empfohlen, da es nicht zielführend ist derartige Fälle regualtiv zu erfassen. Eine bereits erfolgreich angewendete Instandsetzungsmaßnahme kann z. B. ein Teilabtrag der Randzone von 5 mm bis 10 mm und eine vollflächige Applikation eines zementgebundenen Mörtels sein. Ggf. kann es sinnvoll sein, verschiedene Maßnahmen an Musterflächen zu untersuchen, um das geeignetste Instandsetzungsverfahren festlegen zu können. Dies setzt einen vertrauensvollen Umgang aller Beteiligten voraus und kann bis zur abschließenden Bewertung einer dauerhaften Lösung auch einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen. Es ist im Einzelfall zu entscheiden, ob ggf. ein vollständiger Abtrag des Mörtels notwendig ist. Beispielsweise kann bei Materialen mit hoher Festigkeit oder geringem Größtkorn und damit verbundener erschwerter Untergrundvorbereitung ein vollständiger Abtrag notwendig werden. Zudem kann damit vollständig ausgeschlossen werden, dass ein zeitverzögertes Kalktreiben auftritt. Hinweis: Schäden durch Kalktreiben sind vergleichbar der eisenhaltigen Bestandteile nur temporär festzustellen. 8. Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis - September 2025 127 Auffälligkeiten an Oberflächen von trinkwasserberührten Bauteilen - ab wann wird es zum Problem? Durch z. B. Änderungen der Ausgangsstoffe können die Probleme beseitigt werden. 3. Zusammenfassung und Fazit Die Bewertung von Betonoberflächen in Trinkwasserbehältern erfordert mehr als die bloße Einhaltung normativer bez. regulativer Anforderungen. Zwar bieten das DVGW-Arbeitsblatt W 300-1 sowie ergänzende Regelwerke wie das DBV-Merkblatt „Sichtbeton“ ein solides Fundament, doch reichen diese Vorgaben in der Praxis nicht immer aus, um mit sicherer Aussagekraft die Qualität der Ausführung bewerten zu können, Insbesondere bei unvorhersehbaren Abweichungen wie Einschlüssen, Korrosionsprodukten oder Treibreaktionen sind individuelle Lösungen gefragt, die in Absprache mit allen Beteiligten und ggf. unabhängiger externer Beratung zu klären sind. Der vorliegende Beitrag hat aufgezeigt, dass insbesondere die Beurteilung und der Umgang mit eisenhaltigen und organischen Bestandteilen sowie mit Phänomenen, wie dem Kalktreiben eine differenzierte, ingenieurtechnische Betrachtung erforderlich machen. Die vorgestellten Bewertungskriterien und Richtwerte - etwa in Bezug auf Schadstellendichte oder Porendurchmesser - bieten praxisorientierte Hilfestellungen zur Einzelfallbewertung und zur Ableitung geeigneter Maßnahmen. Literatur [1] DVGW-Arbeitsblatt W 300-1: 2024-11 Teil 1: Planung und Konstruktion [2] Deutscher Beton- und Bautechnik Verein E.V., DBV-Merkblatt „Sichtbeton“, Fassung Juni 2015 [3] DIN 18202: 2019-07 Toleranzen im Hochbau - Bauwerke [4] DVGW-Arbeitsblatt W 300-3: 2024-11 Teil 3: Instandsetzung und Verbesserung [5] DVGW W 300-4: 2014-10 Trinkwasserbehälter - Teil 4: Werkstoffe, Auskleidungs- und Beschichtungs-systeme - Grundsätze und Qualitätssicherung auf der Baustelle [6] DVGW-Arbeitsblatt W 300-4: 2025 (Entwurf Datum nicht veröffentlicht - aktuell in Überarbeitung) Trinkwasser-behälter - Teil 4: Grundsätze und Qualitätssicherung auf der Baustelle [7] DIN EN 12620: 2008-07 Gesteinskörnungen für Beton [8] Voß, K.-U.: Wer trägt die Verantwortung für Pyritschäden? Estrichtechnik & Fussbodenbau38 (2021), Nr. 222, S.4-7 [9] DIN EN 197-1: 2011-11 Zement - Teil 1: Zusammensetzung, Anforderungen und Konformitätskriterien von Normalzement [10] Verein Deutscher Zementwerke e. V. (vdz): Zement-Taschenbuch, 51. Ausgabe, Verlag Bau + Technik GmbH, 2008 [11] Locher, W.: Zement - Grundlagen der Herstellung und Verwendung, Verlag Bau + Technik GmbH, 2000 [12] Göske, J.; Pöllmann, H.; Mast, A.: Die wichtigsten mineralischen Treiberscheinungen als Schadensursache von Bauschäden, Der Bausachverständige 6 (2010), Heft 2, S. 22-27