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lendemains
0170-3803
2941-0843
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/31
2008
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lendemains 129 Arrêt sur image : la bande dessinée 33. Jahrgang 2008 129 Gunter Narr Verlag Tübingen Arrêt sur image : la bande dessinée 030308 Lendemains 129 30.04.2008 10: 52 Uhr Seite 1 Etudes comparées sur la France / Vergleichende Frankreichforschung Ökonomie . Politik . Geschichte . Kultur . Literatur . Medien . Sprache 1975 gegründet von Evelyne Sinnassamy und Michael Nerlich Herausgegeben von / édité par Wolfgang Asholt, Hans Manfred Bock, Alain Montandon, Michael Nerlich, Margarete Zimmermann. Wissenschaftlicher Beirat / comité scientifique: Réda Bensmaïa . Tom Conley . Michael Erbe . Gunter Gebauer . Wlad Godzich . Gerhard Goebel . Roland Höhne . Alain Lance . Jean-Louis Leutrat . Manfred Naumann . Marc Quaghebeur . Evelyne Sinnassamy . Jenaro Talens . Joachim Umlauf . Pierre Vaisse . Michel Vovelle . Harald Weinrich . Friedrich Wolfzettel L’esperance de l’endemain Ce sont mes festes. Rutebeuf Redaktion/ Rédaction: François Beilecke, Corine Defrance, Andrea Grewe, Wolfgang Klein, Katja Marmetschke Sekretariat/ Secrétariat: Nathalie Crombée Umschlaggestaltung/ Maquette couverture: Redaktion/ Rédaction Titelbild: David Beauchard LENDEMAINS erscheint vierteljährlich mit je 2 Einzelheften und 1 Doppelheft und ist direkt vom Verlag und durch jede Buchhandlung zu beziehen. Das Einzelheft kostet 16,00 €/ SFr 27,80, das Doppelheft 32,00 €/ SFr 51,50; der Abonnementspreis (vier Heftnummern) beträgt für Privatpersonen 48,00 €/ SFr 76,00 (für Schüler und Studenten sowie Arbeitslose 38,00 €/ SFr 60,00 - bitte Kopie des entsprechenden Ausweises beifügen) und für Institutionen 54,00 €/ SFr 85,50 pro Jahr zuzüglich Porto- und Versandkosten. Abonnementsrechnungen sind innerhalb von vier Wochen nach ihrer Ausstellung zu begleichen. Das Abonnement verlängert sich jeweils um ein weiteres Jahr, wenn nicht bis zum 30. September des laufenden Jahres eine Kündigung zum Jahresende beim Verlag eingegangen ist. Änderungen der Anschrift sind dem Verlag unverzüglich mitzuteilen. Anschrift Verlag/ Vertrieb: Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG, Dischingerweg 5, D-72070 Tübingen, Fon: 07071/ 9797-0, Fax: 07071/ 979711. Lendemains, revue trimestrielle (prix du numéro 16,00 €, du numéro double 32,00 €; abonnement annuel normal - quatre numéros - 48,00 € + frais d’envoi; étudiants et chômeurs - s.v.p. ajouter copie des pièces justificatives - 38,00 €; abonnement d’une institution 54,00 €) peut être commandée / abonnée à Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG, Dischingerweg 5, D-72070 Tübingen, tél.: 07071/ 9797-0, fax: 07071/ 979711. ISSN 0170-3803 Die in LENDEMAINS veröffentlichten Beiträge geben die Meinung der Autoren wieder und nicht notwendigerweise die der Herausgeber und der Redaktion. / Les articles publiés dans LENDEMAINS ne reflètent pas obligatoirement l’opinion des éditeurs ou de la rédaction. Redaktionelle Post und Manuskripte für den Bereich der Literatur- und Kunstwissenschaft/ Courrier destiné à la rédaction ainsi que manuscrits pour le ressort lettres et arts: Prof. Dr. Wolfgang Asholt, Universität Osnabrück, Romanistik, FB 7, D-49069 Osnabrück, e-mail: washolt@uos.de; Sekr. Tel.: 0541 969 4058, e-mail: ncrombee@uos.de. Korrespondenz für den Bereich der Politik und der Sozialwissenschaften/ Correspondance destinée au ressort politique et sciences sociales: Prof. Dr. Hans Manfred Bock, Universität Kassel, FB 5, Nora Platiel-Straße 1, D-34109 Kassel, hansmanfredbock@web.de Druck: Gulde, Tübingen Verarbeitung: Nädele, Nehren Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 · D-72015 Tübingen · Fax (0 7071) 97 97-11 Internet: www.francke.de · E-Mail: info@francke.de Um 1860 setzt in Frankreich eine Flut von Publikationen über literarische Autoren ein: Nicht nur in der Literaturkritik, auch in Philosophie, Soziologie und Kriminalanthropologie, besonders aber in der psychiatrischen Medizin und der sich begründenden empirischen Psychologie wird der Autor zu einem Untersuchungsgegenstand par excellence. In den 1890er Jahren holt ihn die Psychologie ins Labor und setzt sich so mit besonderem Nachdruck von der ‚lettres‘-Tradition ab. Der Kampf, den Literaturkritik und Psychophysiologie um die Erklärungshoheit für den Autor führen, stellt einen Schauplatz der Abgrenzungsbewegungen zwischen ‚lettres‘ und ‚sciences‘ dar, auf dem zugleich sichtbar wird, wie die konkurrierenden Wissensformen interagieren. Marie Guthmüller Der Kampf um den Autor Abgrenzungen, Annäherungen und Interaktionen zwischen französischer Literaturkritik und Psychophysiologie 1858-1910 2007, X, 417 Seiten, 12 Abbildungen, €[D] 64,00/ SFr 101,00 ISBN 978-3-7720-8219-1 030308 Lendemains 129 30.04.2008 10: 52 Uhr Seite 2 Editorial ................................................................................................................. 3 Dossier Thomas Amos (ed.) Arrêt sur images: la bande dessinée Thomas Amos: En guise d’avant-propos: Dix propositions pour une Nouvelle Bande Dessinée.............................................................................. 5 Sylvie Mutet: La bande dessinée, phénomène culturel ........................................ 8 Sylvain Rheault: Quelques influences des manga dans la bande dessinée française contemporaine ..................................................................... 24 Jan Baetens: Frédéric-Coché, écrivain-graveur. Quelques notes sur l’incipit de Hortus Sanitatis. ................................................................................. 33 Hugo Frey: Trafic d’Outre-Manche: réflexion sur Une trilogie anglaise de Floc’h et Rivière............................................................ 43 Forum Martin Vialon: In memoriam Martin Hellweg (1908 - 2006). Philosophischer Romanist, Kritiker Martin Heideggers und Theoretiker des Sozialismus (Teil 2) ............................................................ 61 Martin Hellweg: Erinnerungen an Werner Krauss (25.03.2000) ......................... 85 Discussion Ottmar Ette: „Vivre dans une autre langue, une autre réalité.“ Entretien avec Amin Maalouf, Ile d’Yeu, 15 septembre 2007........................................ 87 Markus Meßling: Disziplinäres (Über-)Lebenswissen. Zum Sinn einer kritischen Geschichte der Philologie ......................................................... 102 Ottmar Ette: Über Literaturwissenschaft als Lebenswissenschaft. Perspektiven einer anhebenden Debatte............................................................ 111 Actuelles Christoph König: Ungebärdiges Lesen. Laudatio für Jean Bollack .....................119 Roland Höhne: Politischer Bruch oder mediale Inszenierung? Nicolas Sarkozy und die Zwänge französischer Modernisierungspolitik ...................................... 128 In memoriam Sabine Ruß: „Je voulais être marin, missionnaire ou brigand“ (Abbé Pierre). Abschied vom unorthodoxen Propheten der laizistischen Republik ................. 150 Comptes rendus W. Marx: L’Adieu à la littérature (P. Bürger) ...................................................................... 154 M. Gröne/ F. Reiser: Franz. Literaturwissenschaft. Eine Einführung (Th. Amos)................ 156 Manuskripte sind in doppelter Ausführung in Maschinenschrift (einseitig beschrieben, 30 Zeilen à 60 Anschläge) unter Beachtung der Lendemains-Normen einzureichen, die bei der Redaktion angefordert werden können. Manuskripte von Besprechungen sollen den Umfang von drei Seiten nicht überschreiten. Auf Computer hergestellte Manuskripte können als Diskette eingereicht werden, ein Ausdruck und die genaue Angabe des verwendeten Textverarbeitungsprogramms sind beizulegen. Prière d’envoyer les typoscripts (30 lignes à 60 frappes par page) en double exemplaire et de respecter les normes de Lendemains (on peut se les procurer auprès de la rédaction). Les typoscripts pour les comptes rendus ne doivent pas dépasser trois pages. Les textes écrits sur ordinateur peuvent être envoyés sur disquettes, avec une version imprimée du texte et l’indication précise du programme de traitement de textes employé. 3 Wie auch immer man das erste Amtsjahr des neuen französischen Präsidenten bewerten mag, die Positionen, die lendemains seit nunmehr 33 Jahren in der Vergleichenden Frankreichforschung vertritt, sind eindeutig genug, um keine Aufbruchstimmung aufkommen zu lassen. Unsere Zeitschrift will sich nicht an vorschnellen Verurteilungen oder Katastrophenszenarien beteiligen, auch wenn es dafür nicht wenige Anlässe gibt; der Beitrag von Roland Höhne versucht eine erste Bilanz der Modernisierungspolitik von Sarkozy. Was jedoch jetzt schon unübersehbar ist und für die deutsch-französischen Beziehungen auf Dauer katastrophale Dimensionen annehmen könnte, sind die zunehmenden Verstimmungen angesichts der Deutschland- und Europapolitik des neuen Präsidenten und seiner Regierung, oder sollte man schon von einem Fehlen der Deutschlandpolitik sprechen? Deutsche Zeitungen sprechen von „Alleingängen“, die „den Deutschen auf die Nerven gehen“ (Die Zeit, 14.2.2008). Zwar funktionieren die seit Jahrzehnten bewährten und gewohnten zivilgesellschaftlichen Kooperationstrukturen wie bisher, doch fehlt jedes weitergehende politische Ziel, und das gilt auch für die deutsche Seite. Wenn dies ein europäischer Fortschritt sein sollte, dann müsste zumindest überlegt werden, welche Verluste damit einhergehen und ob ein solches Europa tatsächlich noch als bürgernah gelten kann. In diesem Heft findet die Debatte um die „Programmschrift“ „Literaturwissenschaft als Lebenswissenschaft“ zum nun vergangenen Jahr der Geisteswissenschaften, die mit dem Heft 125 begonnen wurde, einen (vorläufigen) Ab- N’importe le jugement que l’on voudra porter sur la première année de présidence de Monsieur Sarkozy, les positions que lendemains défend depuis maintenant 33 ans dans la recherche comparative sur la France, sont assez claires pour ne pas créer une ambiance de jubilation. Notre revue ne veut pas participer à des condamnations ou à des scénarios de catastrophes anticipées, même si les occasions en ont été nombreuses; la contribution de Roland Höhne tente de faire un premier bilan de la politique de modernisation de Sarkozy. Mais ce qui est déjà évident aujourd’hui et qui - à la longue - risque d’atteindre des dimensions catastrophiques pour les relations franco-allemandes, ce sont les désaccords croissants face à la politique allemande et européenne du nouveau président et de son gouvernement, ou devrait-on déjà parler d’une carence de politique allemande? Les journaux allemands parlent „d’actions isolées“, qui „énervent les Allemands“ (Die Zeit, 14.2.2008). Certes, les structures de coopération de la société civile - ayant fait leur preuve depuis des décennies - continuent à fonctionner comme auparavant, mais il manque tout projet politique allant au-delà, et cela vaut autant pour le côté allemand. Si cela est censé être un progrès européen, on devrait au moins réfléchir quelles sont les pertes qui en découlent et si une telle Europe peut réellement encore être considérée comme à l’écoute des citoyens. Dans ce numéro, le débat autour de l’„Essai programmatique“ „Science de la littérature comme science de la vie“ consacré à l’année, maintenant écoulée, Lettres et Sciences humaines, com- 4 schluss; allen Beteiligten, vor allem Ottmar Ette sei dafür gedankt, versucht zu haben, die Bedeutung der Literaturwissenschaft für die Gesellschaft neu und besser zu bestimmen. In gewisser Weise steht auch Peter Bürgers Rezension im Zusammenhang dieser Diskussion. Wir danken aber auch Thomas Amos für das Dossier zu „Bande dessinée“, Martin Vialon für den zweiten Teil seines Hellweg-Beitrags sowie Hellwegs unveröffentlichte „Erinnerungen an Werner Krauss“ und Christoph König für seine Laudatio für Jean Bollack. Mit diesen und anderen Beiträgen wird die Rolle und die Notwendigkeit von Literatur und Literaturwissenschaft für unsere von den visuellen Medien dominierte Gesellschaft betont; es wäre zu wünschen, dass sich Philologien und Kulturwissenschaften in Zukunft deutlicher zu diesem geschichtlichen Auftrag bekennen. Wolfgang Asholt * Hans Manfred Bock mencé dans le numéro 125, trouve (temporairement) sa fin; nous remercions tous les participants, et tout particulièrement Ottmar Ette, d’avoir tenté de redéfinir l’importance de la science de la littérature pour la société. D’une certaine manière, le compte-rendu de Peter Bürger se rapporte aussi à cette discussion. Nous remercions également Thomas Amos pour le dossier sur la „Bande dessinée“, Martin Vialon pour la deuxième partie de sa contribution sur Hellweg ainsi que les „Souvenirs à Werner Krauss“ inédits de celui-ci et Christoph König pour le discours à l’honneur de Jean Bollack. Avec ces contributions et bien d’autres, nous soulignons le rôle et la nécessité de la littérature et d’une science de la littérature dans notre société dominée par les médias visuels; il serait désirable que les philologies et les Sciences culturelles assument avec plus de détermination cette tâche dans l’avenir. 5 Thomas Amos (ed.) Arrêt sur images: la bande dessinée Thomas Amos En guise d’avant-propos: Dix propositions pour une Nouvelle Bande Dessinée La crise de la bande dessinée, à constater depuis plus d’une décennie, persiste encore, et sans qu’on puisse discerner la fin. Chose paradoxale - c’est justement ce média qui, actuellement, semble perdre sa raison d’être dans un système culturel global dominé par cette primauté de l’image qui lui est inhérente: Une fois la bataille gagnée, l’iconic turn abandonne son ancienne avant-garde. Mais les choses sont plus complexes qu’elles ne paraissent. Issue, dans sa forme presque définitive, au début du XX e siècle aux Etats-Unis d’une culture populaire et commerciale, la bande dessinée arrive, enfin, après la deuxième guerre mondiale, en Europe. Consolidée après ’68 par l’intérêt porté à toute para-littérature, elle se voit attaquée, dans les années 90, par les nouveaux médias dont la vertu, plus directe, totale, interactive, lui dérobe, inévitablement, sa clientèle traditionnelle, les adolescents. Aujourd’hui, la socialisation du lecteur francophone ne se passe plus par Mickey Mouse, Tintin et Astérix, puis Métal hurlant, et celui qui n’a pas dévoré ces albums dans son enfance et sa jeunesse ne commencera guère à l’âge adulte. Dès maintenant, la bande dessinée est jugée passéiste, verdict le plus triste, par un public jeune habitué aux flots d’images. Les raisons de ce déclin sont inhérentes au média. Longtemps, les auteurs et artistes de la bande dessinée confirmaient, sans le vouloir, les préjugés tenaces contre le neuvième art. A récapituler deux exemples significatifs, pris des deux pays européens, les seuls qui disposent d’une infrastructure et culture considérables concernant la Bande dessinée, la France et la Belgique. Goscinny/ Uderzo créèrent des héros simplistes, sans individualité et, se tournant contre une hégémonie américaine présumée, démontrent, avec la figure du barde ligoté, la même hostilité face à l’art qu’ils y supposent. Cette forme de littérature est triviale parce que, loin d’être consciente de son propre pouvoir, si généreusement négligé, et elle veut être triviale. Citons comme autre exemple d’un conservatisme dangereux, la célèbre ligne claire, le style d’Hergé. Voilà des classiques bien poussiéreux. C’était assez tard que les auteurs et artistes de la bande dessinée réagissaient à la stagnation nuisible. Fixons comme date concrète de changement la fondation de L’Association à Paris en 1990 par David B., Jean-Christophe Menu, Stanislas, 6 Lewis Trondheim et autres artistes. Poursuivant un programme bien ambitieux, souvent excentrique, cette maison d’édition indépendante publie toute la nouvelle vague. Ici, le lecteur trouva (et trouvera, car L’Association existe encore, bien que plusieurs de ses fondateurs l’aient quittée entre-temps) un mélange originaire, soit de l’avant-garde, soit de recours innovateur à la tradition. La BD postmoderne, on dirait. Plusieurs séries en témoignent et surtout la revue Lapin (depuis 1992), porte-parole et champ expérimental, bref: une revue d’avant-garde. Le premier tour d’horizon sera en 1997 l’Hommage à Monsieur Pinpon: 1 82 artistes contribuent à un „hommage“, adressé à un certain Mars, de son vrai nom Marcel-Foulque, né en 1892, mort en 1965. Mais ce créateur si célèbre du personnage Monsieur Pinpon qui, paraît-il, publia de nombreux cartoons entre 1956 et 1965 dans Jours de France consistant toujours de trois cases, n’a jamais existé. Le lecteur, averti par un ton constamment ironique dans la préface, remarquera la tromperie en étudiant la contribution de Mars, signé par le duo Philippe Dupuy et Charles Berberian qui, avec leurs collègues, se moquent ici de toute conventionalité dans la bande dessinée. Rien pourrait mieux représenter l’esprit démodé et à vaincre des temps passés que ce personnage petit-bourgeois et son teckel, dessiné dans un style caricatural rappelant e. o. plauen. Mais l’étape la plus décisive est, jusqu’à aujourd’hui, la publication du volume Comix 2000 2 auquel participent 324 auteurs de 29 pays: avec une multitude abondante de techniques graphiques et de différentes narrations on trouve ici l’instantané le plus précis de la bande dessinée au seuil du troisième millénium. Et, dans la préface, un ton très inouï: „La bande dessinée est (au cas où on n’aurait pas encore remarqué) pour de bon un moyen d’expression majeur et universel, peut-être même le plus apte à savoir parler de notre époque.“ (7) L’époque dont on parle, c’est l’avenir. A suivre. * Les dix propositions pour une Nouvelle Bande Dessinée développées ci-dessous se comprennent comme stimuli pour un renouvellement. 1. La bande dessinée doit travailler, d’une intention auto-réflexive perpétuelle, l’image et ses relations au texte afin que cette imagerie en mouvement permanent puisse réagir immédiatement aux habitudes de perception et de représentation changeantes. 2. Média intermédial qu’elle est par excellence, la bande dessinée gagnera beaucoup en recourant aux autres médias, non pour les imiter, mais pour les citer et adapter, intégrer et influencer. 3. La bande dessinée, champ important de la para-littérature, possède comme celle-ci un large potentiel subversif et provocateur qui n’est pas à perdre. 7 4. Au lieu de rejeter toute tradition, la bande dessinée trouvera une source inépuisable dans l’art et la littérature de toutes les époques: amalgames et synthèses. 5. Due à sa position intercalée, la bande dessinée est destinée à être l’intermédiaire entre la high brow et la low culture. 6. Que la bande dessinée garde son caractère expérimental, propre depuis toujours à toute combinaison de mots et d’images. 7. De même, la bande dessinée doit évoluer ce geste ludique et se comprendre comme jeu. 8. La bande dessinée s’adresse au public le plus hétérogène, marque de toute grande littérature. 9. Basée sur l’image, la bande dessinée doit insister sur sa force onirique visant directement sur le subconscient. 10. La bande dessinée ne sera jamais achevée et destinée à un état de mutation permanent: d’où résultent ses possibilités les plus grandes. * L’éditeur de ce dossier tient à remercier Mme Muriel Beerblock (Heidelberg) et Dr. Helmut Bertram (Frankfurt) d’une révision linguistique des articles de même que David B. (Paris), artiste profilé qui y a participé avec deux dessins résumant en emblème la Nouvelle Bande Dessinée. 1 Association des Amis de la Vraie Bande Dessinée Française (A.A.V.B.D.F.) (eds.): Hommage à Monsieur Pinpon, 1997 [Paris, L’Association, hors commerce] 2 L’Association (ed.): Comix 2000. Paris: L’Association, 1999. La sélection a été effectuée par David B., Killoffer, Placid et Jean-Christophe Menu. 8 Sylvie Mutet La bande dessinée, phénomène culturel La bande dessinée occupe dans le paysage éditorial de nombreux pays une place respectable et même importante dans des pays comme le Japon ou la Corée. En Europe, l’importance de ce média varie considérablement d’un pays à l’autre. Dans les pays francophones européens la bande dessinée connaît une large diffusion et, en France, elle a la réputation d’être un phénomène culturel ou même - comme l’avance Pierre Christin - de constituer une „exception culturelle“. On tentera d’expliquer ce phénomène, mais il convient tout d’abord de s’interroger sur le type de média dont il s’agit. Même si la bande dessinée est un média difficile à définir, étant donné qu’il est en constante évolution et que, surtout, il représente un espace de liberté d’expression et de grande créativité, je proposerais de retenir la définition de Claude Moliterni (1996) selon laquelle „la bande dessinée est un art narratif et visuel permettant par une succession de dessins, accompagnés en général d’un texte, de relater une action dont le déroulement temporel s’effectue par bonds d’une image à l’autre, sans que s’interrompe la continuité du récit“. Il s’agit d’une forme moderne de narration figurative. Dans quelle mesure la bande dessinée est-elle dans les pays francophones européens et plus particulièrement en France un phénomène culturel? Les éléments de réponse à cette question relèvent d’un état des lieux actuel mais aussi d’une rétrospective sur les évolutions de ce moyen d’expression en sachant qu’il n’est pas possible de traiter le sujet de façon exhaustive. Un premier indice de l’intérêt suscité par la bande dessinée serait constitué par les recherches approfondies et la très riche littérature sur les origines de la bande dessinée. Les théoriciens bédéistes francophones sont d’accord entre eux pour reconnaître en Rodolphe Töpffer le précurseur de la bande dessinée. Rodolphe Töpffer (1799-1846), Suisse genevois, donc de langue française, se destinait, sur les traces de son père, à une profession de peintre. Etant atteint d’une maladie oculaire, il abandonna la peinture pour se reconvertir dans la pédagogie et ouvrit un pensionnat. C’est pour ses élèves qu’il commença à écrire et dessiner ce qu’il appelait des „histoires en estampes“ ou de la „littérature en estampes“. Ces histoires seraient restées dans l’intimité du pensionnat, si un ami de Töpffer n’avait montré certaines de ces histoires à Wolfgang von Goethe qui devint ainsi le premier critique de bande dessinée. Celui-ci se serait écrié: C’est vraiment trop drôle! C’est étincelant de verve et d’esprit! Quelques-unes de ces pages sont incomparables. S’il choisissait à l’avenir, un sujet moins frivole et devenait encore plus concis, il ferait des choses qui dépasseraient l’imagination. 9 Et plus tard, dans ses conversations avec Eckermann: Töpffer a inventé un récit scripto-figural. La légèreté du trait de plume, les désinvoltes graffiti peuplant l’image, l’irrégularité des cadres, échancrés capricieusement, quelquefois émus par le dessin qu’ils enferment répond avec discrétion à la naïveté charmante d’un texte transmis par un graphisme élégant, désuet et sage qui dévoile un émetteur: le maître d’école ironiste et bienveillant. […] Töpffer a su donner au projet narratif la double écriture des mots et des images unifiés par son trait. (Alain Rey, 1978) Si Töpffer est considéré comme le précurseur de la bande dessinée c’est parce que non seulement il a inventé les „albums de BD“ en utilisant un procédé lithographique (l’autographie) qui permettait la reproduction en un grand nombre d’exemplaires (500), mais aussi grâce à la dynamique des images, l’inventivité de la mise en page, l’intrusion du texte manuscrit dans l’image, sans oublier bien sûr la place accordée à l’humour. Töpffer a non seulement inventé un mode d’expression, mais s’en est fait le théoricien, indique Groensteen (2000). Peeters (2002) quant à lui, nous montre que les théories sur la BD que nous a léguées Rodolphe Töpffer sont d’une étonnante actualité. Ainsi, si Töpffer considère dans Réflexions à propos d’un programme (1836) que ce qu’il appelle „la littérature en estampes“ est „la principale lecture du petit peuple“ il ajoutera par ailleurs qu’elle se lit dans les salons, nous retrouvons ainsi l’idée du média décrit comme „interclasse“ par Christin. Il précise, effectuant une analyse sémiologique, toujours dans les Réflexions que l’estampe est une représentation de l’idée au moyen de signes connus de tous, dont tous connaissent la valeur et la propriété: Elle est souvent simultanément une idée complexe, et le jugement s’exerce sans confusion sur des rapports dont il saisit intuitivement tous les termes. Dans sa Notice sur l’Histoire de Mr. Jabot, une de ses histoires en estampes, publiée en 1835, il écrit: Ce petit livre est d’une nature mixte. Il se compose d’une série de dessins autographiés au trait. Chacun de ces dessins est accompagné d’une ou deux lignes de texte. Les dessins, sans ce texte, n’auraient qu’une signification obscure; le texte sans les dessins, ne signifierait rien. Le tout ensemble forme une sorte de roman d’autant plus original, qu’il ne ressemble pas mieux à un roman qu’à autre chose. Dans cette notice il veut „donner une idée du livre“, mais il constate que „c’est chose fort difficile“ à cause de „sa forme mixte“ qui fait „qu’il échappe à l’analyse“. Dans cette Notice, tout est, pour ainsi dire, dit: la difficulté de définir le média à cause de son caractère hybride, la complémentarité du texte et de l’image, la difficulté de l’analyse, l’expressivité du trait graphique, l’humour, la critique sociale... A propos du trait graphique qu’il traite longuement dans son Essai de physiognomonie (1845), il conclut: Enfin, et pour en finir avec le trait graphique, il est incomparablement avantageux lorsque, comme dans une histoire suivie, il sert à tracer des croquis cursifs qui ne demandent qu’à être vivement accusés, et qui, en tant que chaînons d’une série, n’y figurent 10 souvent que comme rappels d’idées, comme figures de rhétorique éparses dans le discours et non pas comme chapitres intégrants du sujet. On retrouve ici les notions de chaînons, de reprises en écho (en réseau, dirait Groensteen), de discours et de rhétorique, notions que nous retrouvons actuellement dans les analyses de mise en case et mise en planche. Pour revenir à l’esquisse d’un état des lieux actuel, il est possible de citer tout d’abord quelques chiffres qui permettent de mesurer quantitativement l’ampleur de la bande dessinée comme phénomène culturel. Selon un sondage Ifop, 1 38% des Français de 8 à 64 ans lisent au moins un album par an, le plus grand nombre des lecteurs appartient à la tranche d’âge des 8-14 ans, 84% de cette tranche d’âge déclarent lire des bandes dessinées. Pour la population adulte, le sondage montre que le nombre de lecteurs diminue avec l’âge. Ainsi plus de 43% des 15-24 ans, 35% des 25-34 ans, 31% des 35-49 ans et un peu moins de 19% des 50-64 ans déclarent être lecteurs de bandes dessinées. Même si le nombre de lecteurs diminue avec l’âge, la part du lectorat adulte mérite attention. D’après le même sondage, le nombre de lecteurs augmente avec le niveau de formation, ainsi 44% des adultes adeptes de la BD sont titulaires d’un diplôme d’enseignement supérieur. Ces chiffres deviennent particulièrement intéressants lorsqu’on les compare à ceux d’une étude européenne effectuée par Reading Europe, Information Resource Centre on Books and Reading in Europe, en 2001. Dans cette étude l’ensemble des classes sociales a été réparti en trois groupes: les classes populaires, les classes moyennes et les classes supérieures. Selon les résultats de l’enquête, les „comics“ sont lus de façon majoritaire par les classes populaires (22,4%), suivies des classes moyennes (12,7%) puis des classes supérieures (7,3%). Le cas de la France a donc bien quelque chose de spécifique car même si le capital économique ne correspond pas exactement au capital culturel, le nombre de lecteurs de bandes dessinées cultivés est étonnant. Pierre Christin, qui est tout à fois professeur d’université et scénariste de BD, considère qu’elle est un média „interclasse qui réunit les lecteurs cultivés et les amateurs de franche rigolade“. La diversité du lectorat au niveau de l’âge permet d’affirmer que la bande dessinée est un média transgénérationnel ce qui constitue une des grandes caractéristiques de la BD appelée aussi le 9 e art. Dans de nombreuses familles, les albums seront achetés soit par les parents, soit par les enfants mais ils seront lus par les deux générations. L’activité éditoriale de la bande dessinée est également surprenante. Selon Gilles Ratier, secrétaire général de l’Association des Critiques et journalistes de Bande Dessinée (ACBD), en 2005, 2701 nouveautés ont été publiées. Les titres se répartissent entre 203 éditeurs, mais de façon inégale. Ainsi 17 grands éditeurs réalisent 70% de la production en titres. 2 Ces ténors du marché laissent peu de place aux labels indépendants. Parmi les 2701 nouveautés, 1142 sont des BD asiatiques (mangas ou manhas) et 207 des BD américaines. Si l’on ajoute à ces nouveautés les rééditions, les livres d’illustration et les essais sur la BD, au total 11 3600 livres appartenant au monde de la BD ont été publiés sur le territoire francophone européen. Le nombre des nouveautés est en augmentation (2110 en 2004). L’explosion de la BD asiatique est notoire, la France est le deuxième marché mondial du genre après le Japon, le public „jeune“ s’est habitué à lire de droite à gauche et à suivre un rythme narratif iconique spécifique. Mais c’est aussi toute la BD qui augmente sa production „continuant à profiter d’une grande diversification de son lectorat et d’un profond renouvellement de la création“ (Ratier, 2006). Si l’arrivée des mangas n’a pas réellement nui à l’édition francophone, l’ouverture vers la production audiovisuelle, les logiciels d’animation et les jeux vidéos qui a débuté à partir des années 1990 n’a pas provoqué non plus de dommages importants dans l’édition du livre: au contraire dans les motivations d’achat 15% des enfants déclarent acheter un album après en avoir découvert le personnage dans un jeu vidéo. Parmi les 1352 albums parus en 2005 sur le territoire francophone européen, 877 ont été publiés par les grands éditeurs et peuvent être répartis en cinq catégories: Humour 244 titres (27,82%), Imaginaire fantastique 225 titres (25,65%), Policier 167 titres (19,04%), Historique 166 titres (18,92% en augmentation), BD pour les tout petits 65 titres (7,41% en diminution). Les indépendants ont publié 475 livres. Parmi les indépendants certains constituent ce qu’on appelle l’édition alternative et, si cette édition manque un peu de visibilité par rapport aux grands éditeurs, elle contribue largement au renouvellement et aux innovations dans le domaine de la bande dessinée. Cette édition, souvent issue du fanzinat, se distingue tout d’abord par des signes extérieurs comme le format, le recours au noir et blanc mais aussi par une volonté délibérée d’être hors des cercles de grande commercialisation et bien sûr par un mode d’expression distinct, par exemple le roman graphique. Les talents qui s’expriment dans ce genre sont extrêmement diversifiés. Il s’agit d’une édition qui s’internationalise et se regroupe. Depuis 1999 un stand commun, sous l’égide du CNBDI 3 assure la promotion de toute la BD alternative au Salon du Livre de Paris. Dans l’ensemble la BD représente 7,2% des livres édités sur le territoire francophone européen (1,7% en 1975 et 3,5% en 1983) et constitue le secteur le plus dynamique du marché du livre. Pour que ces chiffres soient vraiment significatifs, il serait nécessaire de comparer avec d’autres pays, ne serait-ce qu’en Europe, le lectorat et l’édition. En dehors des études européennes qui créent leurs propres paramètres, les comparaisons entre les études des divers pays européens sont difficiles à effectuer car les instituts de recherche des différents pays n’emploient pas les mêmes paramètres pour classer le marché du livre. Cependant, selon le comic-guide, l’Allemagne aurait publié en 2005 2449 livres regroupant bandes dessinées ou ouvrages sur les bandes dessinées, rééditions comprises. Ce nombre est assez considérable mais ne dit pas quelle est la part de publications issues de l’aire culturelle de langue allemande. Il est, par ailleurs, possible de recenser 75 maisons d’édition de langue allemande (Allemagne, Autriche et Suisse alémanique) spécialisées dans la bande dessinée et, selon l’encyclopédie Wikipedia, en Allemagne 0,25 bande dessinée 12 serait lue par personne et par an, ce qui reviendrait à dire que 25% de la population lit une bande dessinée par an. Ce chiffre est tout à fait conséquent mais il conviendrait bien sûr de savoir quelle est l’importance relative des tranches d’âge. En ce domaine l’IfaK (Institut für angewandte Kindermedienforschung) nous dit que l’intérêt pour les bandes dessinées diminue brutalement après l’âge de 13 ans, ce qui est également le cas en France mais cette étude ne nous informe bien sûr pas sur les lecteurs adultes. Si l’on tente de connaître les pratiques de lecture en Espagne, on pourra tout d’abord consulter le Barométro sobre hábitos de compra y lectura de libros publié par le MECD et également une étude du CIDE sur les hábitos lectores de los adolescentes (15 et 16 ans). Ce qui ressort de ces études est que seuls 16% de l’échantillon des adolescents déclarent lire souvent des bandes dessinées, 57% ne jamais en lire et 27% occasionnellement. On peut donc affirmer que, bien que ce pays connaisse d’illustres dessinateurs, la lecture de la bande dessinée y est marginale. La bande dessinée a acquis en France depuis déjà de nombreuses années une reconnaissance institutionnelle. On pourrait dater le début de cette reconnaissance à la première exposition à Angoulême „Dix millions d’images“ qui grâce au succès qu’elle remporta permit la création du festival international d’Angoulême qui a lieu tous les ans depuis 1974. Cette reconnaissance a été renforcée dans les années 80 par les actions du ministère de la Culture. Ainsi en 1983, Jack Lang annonce lors du Salon d’Angoulême „15 mesures en faveur de la BD“, l’une d’entre elles sera la création du Centre National de la Bande Dessinée et de l’Image (CNBDI) qu’il inaugurera en 1990 et dont la fonction est de conserver et de promouvoir le patrimoine du 9 e art. Cependant la reconnaissance institutionnelle est plus ancienne, si l’on considère que dès les années 60, la bande dessinée a été objet d’études pour les sémiologues et les structuralistes. Plus tard, Pierre Bourdieu dans „Ce que parler veut dire“ (1982) effectue une analyse du discours philosophique en présentant des images de Marx qui s’exprime dans des phylactères et atteint ainsi l’objectif de la „désacralisation“ du discours. Il demandera aussi à un dessinateur de BD de participer à la mise en page des premiers numéros de sa revue „Actes de la Recherche en Sciences Sociales“. De nos jours, les principaux chercheurs francophones dans le domaine de la BD sont, entre autres spécialistes comme Moliterni ou Fresnault-Duruelle, Thierry Groensteen (Belge de langue française) et Benoît Peteers (Suisse de langue française). Dans son Système de la bande dessinée (1999), Groensteen développe ce qu’il appelle une arthologie de la bande dessinée qui est une étude des articulations narratologiques et iconiques dans la bande dessinée. Il souligne l’importance du blanc iconique. De même qu’il existe dans le récit de forme classique des blancs dans la structure du récit que le lecteur comble en se servant de son imagination et des éléments contenus antérieurement dans le texte, il existe dans la bande dessinée des moments de la narration qui ne sont pas représentés par une ou des images et que le lecteur reconstitue. Dans son 13 étude Groensteen élabore également une conception de narration en réseau, c’est-à-dire que la construction du sens se ferait en „écho“, avec des renvois entre des images non consécutives mais dispersées dans l’album. Dans les discussions actuelles, les points forts des analyses effectuées mettent l’accent sur la dualité constitutive de la BD alliant image et texte et font de l’hybridité et du métissage une caractéristique définitive du média laissant une large place aux perceptions, usages et lectures des différents publics. La bande dessinée a trouvé sa place à l’université, non seulement comme objet de recherche, mais comme objet d’enseignement dans les cursus d’études sur la communication et la publicité. Dès 1974 Francis Lacassin 4 donne un cours à la Sorbonne sur l’histoire et l’esthétique de la bande dessinée. En 2006, lors de l’université d’été de la bande dessinée organisée par le CNBDI, le master de bande dessinée préparé à l’Ecole supérieure de l’Image (ESI) sera présenté. La bande dessinée a également trouvé sa place dans le domaine scolaire. Dès 1976, les éditions Larousse prennent conscience du fait que 86% des jeunes lisent des BD et décident d’utiliser „leur pouvoir d’éducation à des fins pédagogiques en même temps que récréatives“. Elles vont ainsi publier L’Histoire de France en BD (en 8 volumes) qui remporte un immense succès. Le responsable de la publication explique: „… La BD permet par excellence de répondre au désir des jeunes: les récits prennent du relief, ils informent tout en distrayant. Images et mots, perçus d’une façon globale, intuitive, permettent une compréhension directe…“ Cette idée sera reprise par de nombreux éditeurs qui verront l’intérêt d’utiliser ce support pour aborder certains sujets scolaires. Ainsi en 1977 paraît La Philosophie en bande dessinée et surtout Astérix en latin avec Falx Aurea (La Serpe d’or) qui veut exploiter le principe d’étudier une langue morte en la ramenant à la vie. Une traduction sera également faite en occitan pour faciliter l’apprentissage de cette langue régionale. Ces utilisations de la bande dessinée à l’école connaissent bien sûr des critiques négatives: les BD se substituent au langage écrit, elles comprennent des incorrections grammaticales, certains termes sont mal utilisés, etc. Cependant la BD s’impose lentement mais sûrement dans le paysage scolaire, certaines adaptations réussies d’œuvres littéraires 5 contribuent aussi à sa reconnaissance. Aujourd’hui, en dehors du concours annuel de la BD scolaire, elle est un média utilisé dans l’éducation artistique, dans l’apprentissage des langues étrangères, mais aussi dans le cadre de l’éducation aux compétences transversales en TIC (technologies de l’information et de la communication). Dans les directives ministérielles concernant les TIC (BO 14.02.2002) un accent est mis sur l’„identification du langage iconographique“ et, l’utilisation d’„albums illustrés“ est recommandée. Les publications à destination des enseignants diffusées par les Centres régionaux de documentation pédagogique (CRDP) comme la collection „La BD de case en classe“ (CRDP Poitou-Charentes), les nombreuses formations proposées par les centres académiques ainsi que le grand nombre de sites internets destinés aux enseignants et spécialisés en bandes dessinées témoignent non seulement de l’intérêt porté à ce média mais de son utilisation effective en salle de classe. 14 Groensteen rappelle cependant que la bande dessinée n’a pas été de tout temps accueillie à bras ouverts par les pédagogues et les législateurs. Au début du XX e siècle les pédagogues de l’école catholique mènent une lutte sans merci contre „un débordement des feuilles populaires à l’usage des enfants contre lesquelles il n’est que temps d’entreprendre une vigoureuse campagne au nom du bon sens, du bon goût qu’elles outragent impunément“ (Marcel Braunschvig, 1907), déclaration qui sera suivie de beaucoup d’autres. Groensteen ajoute aussi que „si les pédagogues laïcs s’en tiennent principalement aux questions de bon goût et de moralité, pour les catholiques le principal critère entre les bons et les mauvais périodiques est celui du respect et de la propagation des valeurs chrétiennes“. Cette campagne prendra de la vigueur au moment où les bandes américaines vont déferler sur le marché français. Au début des années 30 le tirage du journal de Mickey atteint vite les 400 000 exemplaires. C’est le premier journal où toutes les bandes dessinées sont „à bulles“. Face à cette déferlante, la production française est malmenée. La presse catholique résiste bien avec Âmes vaillantes et Cœurs vaillants. D’un autre côté le parti communiste fait son entrée en scène en publiant des BD dans sa presse. La seconde guerre mondiale stoppera ou minimisera ces publications. Après la guerre, Jose Cabrero Arnal (républicain espagnol en exil) créera en 1948 Pif le Chien dans le quotidien l’Humanité qui deviendra en 1965 le journal de Pif, puis en 1969 Pif gadget. En 1949, la loi du 16 juillet met la presse illustrée sous régime de liberté surveillée. Selon l’article 2, ces publications destinées à l’enfance et à l’adolescence „ne doivent présenter aucune illustration, aucun récit, aucune insertion présentant sous un jour favorable le banditisme, le vol, la paresse, la lâcheté, la haine, la débauche ou tous actes qualifiés crimes ou délits ou de nature à démoraliser l’enfance ou la jeunesse“. Cette interdiction concerne également les publications destinées aux adultes dans la mesure où elles peuvent être mises entre les mains d’un mineur. Suite aux travaux de la Commission de surveillance plusieurs titres vont immédiatement disparaître. Les éditeurs vont s’autocensurer et tendre aussi à privilégier le matériel français au détriment des bandes étrangères. Lorsque le journal de Mickey réapparaît en 1952, il est confié à un dessinateur français. La bande américaine reflue, la BD française gagne du terrain. La bande dessinée a donc dès les années d’après-guerre des lecteurs adultes étant donné que la presse quotidienne diffuse des bandes dessinées, certaines sont sans grande originalité mais des titres comme L’Humanité ou France-Soir (à l’époque sous la direction de Pierre Lazareff) ont une vraie politique de création. Cependant la bande dessinée publiée dans les quotidiens relève souvent d’une idéologie bien pensante. Cet état de fait explique peut-être le caractère asexué des grands personnages de bande dessinée. Ni Tintin, ni Astérix, ni beaucoup d’autres personnages masculins n’ont de petites amies, ni d’histoires amoureuses. Pas de Minnie ou de Daisy dans la BD francophone classique. A cet endroit il conviendrait de mentionner le caractère masculin de la bande dessinée francophone tant au niveau des scénaristes, que des dessinateurs, des personnages 15 que du lectorat adulte. Bien sûr à partir des années 1960 Claire Bretécher publiait nombre de planches et inventait des personnages féminins, de même Christin dans Valérian mettait en scène le personnage féminin de Laureline qui a souvent un rôle prépondérant. Cependant le caractère masculin restait dominant. A l’heure actuelle les choses évoluent et dans l’édition alternative on peut noter une féminisation au niveau du scénario et du dessin A partir des années 1960 la perspective des pédagogues va évoluer. Dans les années 1970 l’évolution sera très rapide, la bande dessinée sera reconnue comme support éducatif, comme „pont“ vers des lectures plus complexes et plus sévères. Dans les années 1980 et 1990 elle fera partie des campagnes en faveur de la lecture comme celle intitulée „la fureur de lire“ et sera présente dans tous les fonds des bibliothèques scolaires. Pour résumer, on peut dire que depuis plus d’un quart de siècle la BD a perdu cette réputation de mauvaise lecture donnant de mauvaises habitudes, de facilité et d’infantilisme, caractères qu’elle a plus ou moins conservés dans d’autres aires culturelles. A ce sujet, une phrase relevée dans une étude autrichienne „Leseverhalten in Europa“ (2003) semble symptomatique: „Überraschend ist, dass es nicht ganz so wichtig ist ob Kinder ‘hochwertige’ Bücher lesen, denn bei 69,2% der autonomen Typen, Personen die sehr viel lesen, hatten die Eltern nichts dagegen, dass ihre Kinder Comics lasen.“ L’étonnement provoqué par le fait que la lecture de bandes dessinées n’ait pas de conséquences négatives sur le comportement de lecture de l’adulte montre la position encore actuelle face à ce mode d’expression. Les années 60 voient aussi la parution de journaux, magazines et revues spécialisées dans la bande dessinée. Le journal qui a joué le rôle le plus important est sûrement Pilote (1959-1989). La direction du journal est confiée en 1963 à Goscinny. Des personnages comme Blueberry, Achille Talon ou le Grand Duduche apportent dès le départ une note d’anticonformisme mais c’est Astérix qui va entraîner une revalorisation culturelle de la BD. La grande ouverture du journal va très vite attirer l’attention des adultes. Pilote atteint une qualité unanimement reconnue dans les années 1968-1972. Il devient „le creuset où toutes les écritures graphiques peuvent se côtoyer [...] l’élargissement à une telle palette de styles a pour effet d’infléchir la relation du public à la bande dessinée“. La BD n’est plus uniquement „littérature d’évasion, elle invite les lecteurs à l’apprécier comme une performance artistique“ (Groensteen, 2000). Le journal Pilote n’est pas la seule revue de ces années, d’autres publications voient le jour, comme: Hara-kiri (1960- 1970 journal „bête et méchant“ interdit en 1961, 1966 puis en 1970), Charlie hebdo qui prendra la suite d’Hara-kiri, Fluide glacial créé en 1975 par Gotlib, Métal hurlant 1975-1987, la „machine à rêver“ à laquelle participera Moebius, L’Echo des Savanes, 1973 lancé par Mandryka, Gotlib et Bretécher. En dehors de Pilote qui s’adressait à l’ensemble des lecteurs, les autres publications citées s’adressaient à un public adulte. Elles représentaient, et représentent encore en ce qui concerne Charlie Hebdo, une forme de contre-culture, d’expression contestataire, de critique sociale et politique. 16 En ce qui concerne la période actuelle, il convient de signaler la revue 9 e Art, revue d’étude sur l’histoire et l’esthétique de la bande dessinée dont le premier numéro est sorti en janvier 1996, et également dans un autre registre et parmi d’autres, le magazine Bodoï, mensuel lancé en octobre 1997 qui propose dossiers, entretiens, notes de lecture sur les dernières parutions et des planches en prépublication d’albums. La qualité des dessinateurs ainsi que des écoles de dessinateurs du monde francophone européen ont joué un rôle décisif dans la diffusion de la bande dessinée, leur qualité est incontestable. Cependant l’existence d’excellents créateurs ne constitue qu’en partie une explication d’un engouement pour la bande dessinée. D’autres pays disposent de créateurs d’exception et ne sont pourtant pas des pays de grande diffusion par exemple l’Espagne ou aussi l’Allemagne. La bande dessinée a conquis un lectorat adulte grâce à différents éléments. Tout d’abord, comme nous l’avons vu, le lectorat adulte connaissait des bandes dessinées de par la presse quotidienne et parfois hebdomadaire, ainsi à partir de 1973 Claire Bretécher publie une planche hebdomadaire dans le Nouvel Observateur. Un autre élément tiendrait à l’affinité entre la bande dessinée et le cinéma. On retrouve des techniques spatiales et cinétiques semblables. Ainsi des analyses de bande dessinée évoquent les hors-champs, hors-cadres, profondeur de champ, champ et contre-champ, plongée et contre-plongée, le zoom, le travelling, le balayage panoramique, les rythmes temporels et visuels et, de même qu’au niveau du montage d’un film, on retrouve dans les mises en planches et en albums, les montages chronologiques ou non, les montages coulants, heurtés, l’agencement des séquences et aussi tout un travail sur les bruitages. Ce repérage des similitudes est un exercice qui retient l’œil de l’adulte cinéphile. La fécondité de la rencontre iconique et verbale, au-delà du récit en tant que tel, constitue un centre d’intérêt. Le message verbal s’iconise, le dessin rend visuellement dynamique la valeur sémantique de la langue. Ainsi Benoît Peeters (1997) étudie dans ce cadre les paradoxes de la mise en case, les raccourcis d’espace et de temps, les phénomènes de métamorphose, les utilisations rhétoriques, productrices ou esthétiques de la mise en planche, pour ne citer que quelques axes de l’analyse de la complémentarité texte-image. Un autre élément d’intérêt pour grands adolescents ou adultes est la recherche documentaire parfois extrêmement fouillée réalisée par les dessinateurs par exemple par Hergé ou Tardi pour ne citer que deux noms. La conséquence de ces différentes études s’exprime en une question sur la spécificité de la lecture de la bande dessinée. Le non-spécialiste, le bédéiste débutant ayant entr’aperçu les stratégies d’écriture de la BD se pose la question de savoir comment lire la BD. Lire la BD, c’est lire un média spécifique: un texte-image, imagetexte, texte en mouvement sous-tendu d’images „à suivre“ qui tissent par bonds ou en un réseau d’images en écho un tissu narratif continu. Il s’agit d’un média hybride et métissé. En ce sens la lecture de la BD diffère de celle d’un texte de forme classique et aussi de celle de l’image (fixe ou non). Le lecteur adulte classique est habitué à ces formes classiques mais pas à la lecture simultanée de ces deux ty- 17 pes de support dont la relation ne réside pas dans la redondance - même si elle peut exister - mais dans la complémentarité. Une forme de lecture proche serait celle de la publicité où le texte s’allie à l’image pour créer un langage spécifique. Cependant les objectifs et les types de message ne sont évidemment pas comparables, même si la publicité a parfois un contenu narratif et/ ou renvoie implicitement à des univers du récit. Les mécanismes sont entièrement différents, la publicité doit concentrer, compacter son message soit en un espace réduit ou en un espace-temps de quelques secondes pour les spots publicitaires, cet espace-temps réduit explique l’utilisation abondante de l’implicite et d’éléments symboliques, suggestifs. Pour la bande dessinée, cette restriction de l’espace n’existe que pour les BD qui sont publiées dans des journaux et où le dessinateur, la dessinatrice ne dispose que d’une bande de trois cases ou d’une page. Ces deux formes d’expression, publicité et bande dessinée, induisent des modes de lecture différents. Il n’existe probablement aucune démarche-type pour apprendre à lire la bande dessinée mais sûrement des éléments de réponse qui dépendent de la catégorie du lecteur. Si l’on s’adresse aux jeunes générations de culture francophone, on peut considérer que lire la BD appartient à leur capital culturel quelle que soit l’origine socioculturelle de ces jeunes. Le fait d’avoir fréquenté de tout temps le média, tant en milieu familial que dans les bibliothèques scolaires, n’implique pas automatiquement la possession de toutes les clés du décodage, mais une certaine éducation (auto-éducation) du regard, ne serait-ce que par les comparaisons qui s’opèrent de façon plus ou moins implicite entre les différentes catégories de BD, les différentes formes esthétiques de dessin. Selon le type de lecteur, il est aussi évident que les formes de lecture vont varier entre celui qui privilégie le graphisme et celui qui privilégie l’histoire racontée dont chacun construit, reconstruit le sens de ce qu’il lit de façon individuelle. Il n’en reste cependant pas moins que l’intérêt porté au média sera proportionnel à la compétence de lecture, comprise ici comme le décodage d’un langage spécifique. A tous ces éléments qui constituent des facteurs d’explication du phénomène culturel que représente la BD en France, j’en ajouterais deux autres qui tenteraient d’expliquer l’engouement pour ce média, il s’agirait de la communication clin d’œil et de la lecture mille-feuilles, attitudes de lecture mentionnées par différents experts. La communication clin d’œil correspondrait à une forme de communication connivence fondée sur le décodage de l’implicite, le repérage d’allusions politiques et celui de références culturelles, les charges culturelles partagées (CCP) pour employer une expression de Louis Porcher. Le média en offrant cette possibilité de décodage procurerait au lecteur un certain plaisir que l’on détecte au sourire du lecteur. Ce plaisir serait double, il s’agirait tout d’abord d’un plaisir individuel, celui de rechercher et reconnaître l’allusion, la référence culturelle qui se trouve en décalage par rapport au contexte et produit de ce fait un effet comique. Le décodage pouvant alors être interprété comme une activité ludique. De plus il s’institue une connivence entre le lecteur et le texte. La deuxième forme de plaisir serait de type collectif et évoluerait dans deux directions, tout d’abord dans la conscience du fait 18 que la majorité des lecteurs sourit au même moment de lecture, ce qui établirait alors une forme de connivence entre les lecteurs. La deuxième source de ce plaisir collectif serait celui de faire découvrir l’implicite au lecteur non-initié, au „jeune“ (adolescent, jeune adulte), ce qui nous renvoie à l’aspect transgénérationnel du média. Cette lecture clin d’œil est caractéristique d’albums comme ceux d’Astérix mais on la retrouve aussi dans d’autres bandes dessinées. Pour donner un exemple extrêmement simple de cette lecture décodage, il est possible de citer les Schtroumpfs de Peyo constitués d’une série d’albums d’histoires en une planche n’ayant aucune ambition de transfert de connaissances, montrant de par la mise en planche et en cases sa destination à un public très jeune et son caractère de BD humoristique. „Même“ dans cette série, pourrait-on dire, le lecteur peut décoder des références culturelles dans les titres de ces petites histoires. Ainsi une historiette dans laquelle un Schtroumpf éperdument amoureux de la Schtroumpfette du village tente vainement de la retenir chez lui en lui faisant croire qu’il pleut bien trop fort pour qu’elle rentre chez elle, porte le titre „il schtroumpf dans mon cœur comme il pleut sur la schtroumpf“. Ce jeu de décodage se retrouve aussi dans d’autres médias, les messages publicitaires fonctionnent souvent sur ce principe. Pour exemple le message publicitaire d’une chaîne de boutiques de mode pour jeunes est „Le charme n’attend pas le nombre des années“. Pour le cinéma, les films qui utilisent ce principe connaissent également un grand écho auprès du public, comme exemple je citerais „Le fabuleux destin d’Amélie Poulain“. La validité de cette lecture clin d’œil pourrait de nos jours être remise en question dans la mesure où beaucoup moins d’auteurs jouent sur ce registre, la critique politique s’exerce de façon beaucoup plus explicite et les références culturelles se font plus rares. Cependant si l’on considère que les albums les plus lus restent à 45% pour les enfants et à 34% pour les adultes ceux d’Astérix, on doit admettre que ce type de lecture reste prisé et que les lecteurs aiment encore à reconnaître sous l’alexandrin boiteux de la publicité, la réplique de Rodrigue dans le Cid, et Verlaine dans le titre des Schtroumpfs. 6 La lecture mille-feuilles, en référence à la pâtisserie constituée d’un grand nombre de feuilles extrêmement fines de pâtes, séparées d’une couche tout aussi fine de crème reprend un peu la même idée mais d’une façon différente. La lecture mille-feuilles consisterait à déguster, l’une après l’autre, différentes couches de lectures, dans un ordre laissé à la libre inventivité du lecteur. Ce type de lecture est d’une part constitutif du média puisque le lecteur est invité à „lire“ la complémentarité du texte-image, de la mise en planche et en cases. D’autre part le lecteur s’intéresse aux différents niveaux de lecture de la BD qu’il a sous les yeux: le récit en tant que tel, les différents renvois aux charges culturelles partagées, les allusions politiques et il s’intéressera aussi aux jeux de langage omniprésents dans les BD. La bande dessinée serait donc d’une part un phénomène culturel car elle est non seulement une des lectures préférées d’un grand nombre d’enfants et d’adolescents mais qu’encore les jeunes adultes et les adultes la lisent, l’achètent, 19 l’étudient, l’analysent, la comparent avec d’autres modes d’expression, la collectionnent, la critiquent, la prêtent, l’empruntent, la vendent (parfois aux enchères), fréquentent les festivals et les fêtes 7 qui lui sont consacrés, en parlent, en discutent souvent avec les plus jeunes et conseillent ces derniers dans leurs choix de sorte que tout un réseau de pratiques sociales et culturelles se greffe autour de la bande dessinée. Par ailleurs, le renouvellement de la bande dessinée reflète les évolutions qui s’effectuent au sein de la société, certains la considèrent comme un miroir de la société. On peut tout au moins y repérer des évolutions en ce qui concerne l’expression de problématiques diverses. Ainsi depuis une bonne dizaine d’années une ouverture de la bande dessinée sur des horizons francophones et français hors métropole se dessine et cette tendance s’est accentuée dans les trois ou quatre dernières années. Par ouverture sur ces horizons j’entends d’une part la mise en images de territoires encore peu souvent représentés, celle de l’histoire de ces régions alliée à des approches sociologiques, la mise en relief de leurs problématiques spécifiques, ces albums pouvant être réalisés par des auteurs européens francophones et, d’autre part, la publication d’auteurs de ces régions tout aussi bien chez les grands éditeurs que chez les indépendants. On peut ainsi noter l’album Aya de Yopougon paru chez Gallimard et ayant remporté le prix du premier album au Festival d’Angoulême 2006. Cet album retrace l’histoire d’une jeune fille en Côte d’Ivoire; Marguerite Abouet, scénariste, est ivoirienne et le dessinateur Clément Oubrerie français. La scénariste y raconte une Afrique bien vivante loin des clichés. Les éditions Khiasma qui visent „l’interaction entre la création artistique et les problématiques contemporaines“ ont publié en 2006 dans leur nouvelle collection „Limitrophes“ des auteurs mauritanien, sénégalais, burkinabé. Casterman a également publié en 2005 les Lettres d’Outremer d’Eric Warnauts, scénariste belge et Guy Raives, dessinateur français. En 2004 Serge Diantantu, scénariste et dessinateur congolais publiait aux éditions Mandala deux albums retraçant la vie de Simon Kimbangu, héros mystique du Congo. En 2003 l’album de Huo- Chao-Si La grippe coloniale paraissait aux éditions Vents d’Ouest et remportait le grand prix de la critique 2003, le scénariste est réunionnais et il décrit le retour des soldats réunionnais au lendemain de la première guerre mondiale. Bien sûr, déjà en 1996 Tehem publiait un album oblong intitulé Tiburce aux éditions Association Band’ Décidée qui présentait des histoires réunionnaises en créole. Cet album n’avait cependant à l’époque pas été primé et n’avait connu qu’une audience restreinte. On pourrait signaler aussi la parution de la Petite histoire des colonies françaises, 2006, éditions FLBLB de Grégory Jarry et Otto T. qui retrace de manière acerbe des phases de la période coloniale. Et bien qu’il existe depuis longtemps des albums sur le Québec, il faudrait noter en 2006 celui de Régis Loisel et Jean- Louis Tripp paru chez Casterman sous le titre Le grand magasin. Cet album se situe dans le Québec de l’entre deux guerres, sa conception est intéressante, il s’agit d’une collaboration de dessinateurs français et de Québécois ayant assuré la justesse de la documentation et défini un niveau de langue qui contienne suffi- 20 samment de québécois pour être lu avec plaisir outre-atlantique mais qui soit suffisamment transparent pour être lu par des francophones d’Europe et d’ailleurs. Souligner cette ouverture ne revient pas à dire que, de par le passé, la bande dessinée ne „voyageait“ pas, elle s’est déplacée de tout temps. Ce qui a changé c’est la nature du regard porté sur le pays concerné, un regard „de l’intérieur“ pour les auteurs natifs des différents pays. Il ne s’agit plus de héros belge ou français qui vivent des aventures dans des pays lointains, mais de personnages issus de ces territoires et mis en scène sur ces territoires. Ce recentrage sur les pays concernés qui correspondrait à un décentrage par rapport à l’orbite francophone européenne pourrait correspondre à une évolution si ce n’est des mentalités tout au moins des questionnements autour du difficile vocable de francophonie. Pierre Christin avançait, en outre, comme autre facteur explicatif du phénomène culturel que représente la bande dessinée, le caractère éventuellement plus marqué de la porosité culturelle en France, c’est-à-dire la fluidité des frontières entre les domaines culturels. Cette remarque peut étonner si l’on considère le côté parfois élitaire de la culture. Question de perspectives? Convictions à revoir? Il est cependant exact que la BD a cette spécificité de traverser les frontières, peut-être parce qu’elle a acquis une certaine autonomie. Voilà une affirmation à discuter, la bande dessinée aurait donc quitté son champ de paralittérature et se serait émancipée? Ces questions reviennent à poser celle du statut culturel de la bande dessinée. A la fin des années 1960 on s’interrogeait sur son appartenance à la paralittérature. Depuis les questionnements ont évolué. En 1988 l’argument du colloque de Cerisy intitulé „Bande dessinée récit et modernité“ et dirigé par Thierry Groensteen est le suivant: La bande dessinée s’autorise mille combinaisons variées d’éléments scripturaux et figuraux, elle ne cesse d’inventer sous nos yeux des formes narratives inédites en rupture plus ou moins nette avec les schémas romanesques [...] le récit est dans tous ses états. Genre complet et complexe, bâtard mais autonome, la bande dessinée est capable de tout exprimer par ses seules ressources iconographiques et linguistiques [...] il s’agit d’étudier l’inscription de syntaxes nouvelles dans une stratégie moderne du récit. La bande dessinée semble donc dès cette époque reconnue comme autonome et, en 1993, un autre colloque toujours à Cerisy et toujours dirigé par Groensteen s’interrogera sur la „Transécriture pour une théorie de l’adaptation“ pointant la dilution des délimitations entre les genres, enfin en 2004 le colloque intitulé „Littérature de jeunesse, incertaines frontières“ se demandera si la littérature de jeunesse vue sous les angles de l’art, la création graphique et littéraire, la production, la diffusion, la médiation, la pédagogie, la réception, l’analyse critique et la recherche s’adresserait autant aux enfants, qu’aux enfances passées, présentes et futures d’une société qui se reconnaîtrait à travers elles. Savoir si cette dernière question, celle de la reconnaissance de soi à travers les enfances, apporte un élément de réponse à l’interrogation sur la place accordée à la bande dessinée constitue une 21 piste intéressante qu’il conviendrait de suivre. On pourrait simplement déjà noter que le caractère transgénérationnel du média tendrait à concorder avec cette idée. La bande dessinée bénéficie d’une grande visibilité qui se remarque déjà à la superficie des surfaces de vente et aux espaces-lecture dans les librairies mais aussi à sa présence dans les médias. On peut trouver à la une de grands quotidiens comme Le Monde des références au monde de la bande dessinée, ainsi dans la caricature quotidienne de la première page qui illustre les événements du jour, en cette période préélectorale pour les présidentielles de 2007, on voit le ministre de l’Intérieur, représenté sous les traits du personnage Iznogoud (créé par Goscinny et Tabary en 1961), c’est-à-dire, de façon transparente pour les lecteurs, de celui qui „veut devenir calife à la place du calife“. Cette grande visibilité est un facteur de la stabilité de la bande dessinée, car si pour que ces références à la bande dessinée soient transparentes il est nécessaire que les lecteurs connaissent les personnages de bande dessinée, d’un autre côté c’est aussi leur grande visibilité qui assure leur connaissance par le public. Cette réciprocité, cette interaction assurent la stabilité de la bande dessinée en tant que production artistique et pratique culturelle. La stabilité autorise à son tour les innovations, expérimentations, évolutions qui définissent l’espace de liberté d’expression et de créativité, espace qui crée la BD et que la BD crée à son tour. Et comme il n’y a aucune raison que ce cercle vertueux se brise, il y aura encore longtemps beaucoup à lire, à sourire et à écrire. Comme l’écrivait Evelyne Sullerot dès mai 1966 dans son ouvrage Bandes dessinées et culture: L’indépendance que les créateurs de bandes dessinées ont eu jusqu’ici vis-à-vis du monde cultivé a peut-être favorisé un foisonnement libre, un bric-à-brac parfois savoureux. [...] Les bandes dessinées ont sur le cinéma l’avantage d’accentuer l’imaginaire, le fantastique, le caricaturé puisque contraintes au dessin par nature plus abstrait, stylisé, invitant moins à la projection-identification que la photographie et le cinéma. La fresque des types produits par notre société, on la trouve dans les bandes dessinées, lumineux réservoir d’imaginaire, immense caricature. Elles ne pourront être ignorées des historiens des mentalités et de la sensibilité de notre époque. Plus de quarante ans plus tard cette analyse a gardé toute son actualité. 1 Ce sondage de l’institut Français d’Opinion Publique a été réalisé en décembre 2000, on peut consulter l’ensemble des résultats sur le site de l’institut. 2 Ces 17 groupes sont: le groupe Média Participation qui comprend Kana, Dargaud, Le Lombard, Dupuis (417 titres en 2005), Delcourt (363 titres), Glénat (314 titres), le groupe Flammarion (265 titres), Les Editions Soleil (257 titres), le groupe SEEBD (233 titres), Panini (177), Pika (120), Tournon (78), Les Humanoïdes (69), Asuka (64), Albin Michel (60), Paquet (53), La Martinière (52), Bamboo (51), Taïfu (48) et Bayard (46). 3 CNBDI: le Centre National de la Bande Dessinée et de l’Image se trouve à Angoulême. 4 Francis Lacassin: essayiste, éditeur, présida le CELEG Centre d’études des littératures graphiques, publia en 1971 Pour un neuvième art, la bande dessinée, éditions 10/ 18. 22 5 Parmi les adaptations, on peut citer aux éditions Futuropolis celles de Céline par Tardi: Voyage au bout de la nuit (1988), Casse-pipe (1989), Mort à crédit (1991); aux éditions Delcourt, l’adaptation de Proust par Stanislas Brézet et Stéphane Heuet: A l’ombre des jeunes filles en fleurs (2000); aux éditions Casterman par exemple l’adaptation de Léo Mallet par Tardi: Casse-pipe à la Nation (1996), l’adaptation de Daeninckx par Tardi: Le der des der (1997), les mêmes auteurs aux éditions de L’Association en 1999 avec: Varlot soldat et aux éditions Lefrancq par exemple l’adaptation de Simenon par Odile Reynaud et Philippe Wurm: Maigret tend un piège (1993). 6 En ce qui concerne la problématique de la traduction / translation de ces albums traduits dans une vingtaine de langues, je renvoie, en ce qui concerne l’allemand, à Klaus Kainol Übersetzungswissenschaft im interdisziplinären Dialog, Stauffenburg, Tübingen, 2004 où l’auteur utilise l’exemple de la traduction d’Astérix. 7 En dehors du festival d’Angoulême, il existe en France les festivals de Saint-Malo, Brignais, Chambéry, Blois, Hyères, Cagnes-sur-mer, Illzach, Laval, Audincourt et bien d’autres, il existe aussi la Fête de la bande dessinée et aussi une Université de la bande dessinée organisée par le CNBDI avec pour juillet 2006 le titre: „Bande dessinée: bien ou mal culturel? “. Pour illustrer la vitalité des manifestations culturelles autour de la bande dessinée voici celles qui ont été relevées par le magazine Bodoï pour le mois de juin 2006: 1 er salon de la BD et des arts graphiques de Roubaix, 3 e salon BD-Cominges à St- Gaudens, 11 e festival de la BD et de l’album jeunesse de Sérignan, 19 e festival „Cherbourg panse la planète“ à Cherbourg-Octeville, 12 e festival Tonerre de bulles à Brest, 2 e fête de la BD à Palavas, 1 es rencontres BD de Reims, 1 er festival de la bande dessinée de Lyon, 3 e festival BD de Clichy-sous-bois, sans ajouter ni les expositions ni les rencontres. Bibliographie Baetens, Jan: „Un nouveau départ pour l’étude des comics“, in Acta Fabula, printemps 2005 (vol. 6, N°1), URL, fabula.org. Baron-Carvais, Anne: La bande dessinée, Que sais-je, Paris, PUF, 1985. Bourdieu, Pierre: Ce que parler veut dire, Paris, Fayard, 1982. 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Die Comics genießen eine institutionelle Anerkennung, als Beispiel sei das CNBDI (Centre National de la Bande dessinée et de l’Image) genannt und ihr Platz in der Schule und im Hochschulstudium. Auf der wissenschaftlichen Ebene werden die Comics aus der Sicht verschiedener Wissenschaften analysiert, wie Literatur-, Kultur- und Sprachwissenschaft, Soziologie, Kunst; so werden sie einerseits zu einer interdisziplinären Schnittstelle, anderseits zeichnet sich aber auch eine Autonomisierung des Mediums im wissenschaftlichen Feld ab. Sein ständiges Erneuerungsvermögen, seine Vielfalt und Öffnung zu immer neuen Horizonten sichern ihm in erster Linie die Gunst der Leserschaft. 24 Sylvain Rheault Quelques influences des manga dans la bande dessinée française contemporaine Moi-même en guise d’introduction Laissez-moi vous ouvrir cette partie de ma biographie concernant mon idylle avec la bande dessinée en général. Québécois d’origine, mon enfance, dans les années soixante-dix et au début des années quatre-vingt, a été copieusement abreuvée de bande dessinée française, de dessins animés japonais traduits à la télévision et de comics américains. Dans la seconde moitié des années quatre-vingt, mes collections de bandes dessinées françaises et américaines n’ont cessé d’augmenter. J’ai aussi commencé à prendre contact avec quelques-uns des intervenants de la bande dessinée au Québec, dont Pierre Fournier de la revue Croc et l’équipe de Protoculture Addicts, l’un des plus tenaces fanzines consacré à l’animation japonaise. En 1990, une amie m’avait rapporté de son voyage au Japon le premier volume d’un manga intitulé Akira. La série commençait à être traduite en anglais et en français, mais j’ai alors décidé d’apprendre le japonais afin de pouvoir lire cette œuvre dans la langue originale. Comme il me fallait aller jusqu’au bout de ma passion, j’ai séjourné toute une année au Japon, d’avril 1992 à avril 1993. Entre les cours de japonais que je prenais et les cours de français qu’il me fallait donner pour survivre, j’ai pu rencontrer des éditeurs et des auteurs, entre autres Miyazaki 1 Hayao. 2 Entre-temps, je ne perdais pas de vue les productions américaines et françaises. Un de mes amis, Jean Sébastien, repérait les œuvres de Frank Miller, d’Art Spiegelman et de Harvey Pekar. En 1991, nous avons assisté à une convention de comics à New York. Nous restions aussi branchés sur les productions françaises. Depuis mon immersion totale en milieu nippon au début des années quatre-vingt-dix, j’ai continué à m’intéresser à mes trois cultures bédéesques préférées, notant ici et là des influences de l’une sur une autre. C’est donc à titre de métis culturel que j’ai rassemblé quelques réflexions sur les relations intertextuelles entre la bande dessinée française contemporaine et les manga. On a déjà beaucoup écrit tant sur les influences fastes que néfastes des manga et des animes en France. Jean Giraud, alias Moebius, les louanges dans la préface de Ikkyû tandis qu’Albert Uderzo, par allégorie interposée dans Le Ciel lui tombe sur la tête, les vilipende. Je rappellerai quelques-uns des débats en cours, mais je voudrai aussi m’attarder aux intrusions moins visibles, interroger, par exemple les redéfinitions des formes et des genres, le redécoupage des publics et le renouveau de certains thèmes qu’on pourrait attribuer à l’influence des manga. Je voudrais aussi montrer qu’à la base de tout art populaire se trouve un dynamisme créateur qui attend qu’on lui donne une chance de s’exprimer. 25 Du phonogramme à l’idéogramme Le mot manga aurait été utilisé pour la première fois par l’illustrateur Hokusai pour décrire l’un de ses recueils de dessins. En tenant compte du contexte de l’époque, on pourrait traduire ce mot par „images curieuses“. Les Français distinguent aujourd’hui la „bande dessinée“ et le „dessin animé“ français du „manga“ et de „l’anime“ japonais. On peut déplorer que la plupart des dictionnaires officiels, dont celui de l’Académie française, n’aient pas encore catalogué des mots comme manga, anime (sans accent aigu) mecha ou otaku, même si ces mots sont entrés dans l’usage populaire depuis un certain temps déjà. Cela révèle non pas une résistance française aux influences nipponnes, mais un clivage entre la culture patricienne et la culture plébéienne. Paradoxalement, la bande dessinée française est fille des journaux populaires alors que les manga seraient les héritiers des rouleaux bouddhiques et des lithographies que tous les musées s’arrachent aujourd’hui. Curieux renversement des choses. Mais qu’est-ce qui fait la spécificité d’un manga en regard de la bande dessinée française? Il importe de répondre à cette question fondamentale afin de mesurer l’influence du premier sur la seconde. L’écriture peut donner des éléments de réponse. Les occidentaux apprennent à écrire à la plume ou au stylo 26 caractères phonétiques, avec leurs variantes majuscules et cursives. Les Japonais quant à eux apprennent à écrire 96 signes phonétiques et plus de 2000 idéogrammes, la plupart empruntés à la langue chinoise, les autres inventés localement. Les idéogrammes renvoient d’abord à des concepts, et non pas à des sons. A l’origine, et c’est encore vrai pour de nombreux idéogrammes, le signifiant reproduisait la forme de son signifié. Par exemple, le caractère pour „montagne“ imite une série de trois pics rocheux. Au Japon, la frontière entre dessin et écriture est beaucoup moins nette qu’elle ne peut l’être en France. Schodt écrit à ce propos: Japanese say that reading manga is almost like reading Japanese itself. This makes sense, for manga pictures are not entirely unlike Japanese ideograms, which are themselves sometimes a type of „cartoon,“ or a streamlined visual representation of reality.3 Les poètes comme Baudelaire et Verlaine ont joué avec les possibilités sonores de l’écriture française, alors qu’au Japon on s’intéresse plutôt à la forme même, comme j’ai pu le constater dans les jeux questionnaires télévisés. Il existe aussi des concours, à la manière de dictée, où les participants doivent transcrire un caractère selon l’ordre correct des traits de pinceau. Si le décodage de l’idéogramme permet de passer directement du signe visuel au concept, le phonogramme exige une étape supplémentaire puisqu’il faut convertir le signe visuel en signe sonore qui renverra enfin au concept. Quand on décode un tableau, on embrasse sa totalité. Quand on lit une phrase, on doit parcourir sa linéarité, ce qui impose des contraintes de lecture. De cette différenciation fondamentale, il résulte d’abord qu’on peut lire les idéogrammes selon différents sens: de gauche à droite, ou de droite à gauche. Les manga traduits en français reproduisent le sens de la lecture originale: de droite à 26 gauche. Cela a permis de dissiper ces mondes saugrenus où tous les Samurais étaient gauchers, puisqu’il fallait inverser les pages pour les adapter au format français. La dernière page devenant la première, le lecteur a appelé à concevoir la lecture comme une activité dynamique et totalisante plutôt que comme une linéarité. D’autre part, les lecteurs nippons seraient plus enclins à se contenter de quelques symboles, comme les idéogrammes, alors que les lecteurs français demandent une représentation plus détaillée de la réalité. Les bandes dessinées françaises foisonnent de décors, alors qu’on en trouve peu dans la plupart des manga. On voit d’abord des visages, puis des corps, puis des accessoires pour les mettre en valeur. La représentation va à l’essentiel des relations humaines comme l’idéogramme va à l’essentiel du concept. Il y aurait un parallèle intéressant à établir avec l’icône de la culture informatique. La tendance là aussi consiste à donner à l’usager un symbole visuel plutôt qu’un mot phonétique. De concert avec le cinéma et l’informatique, le manga met de l’avant des moyens d’expressions plus visuels que sonores. De l’album au format poche En 2004, la dernière fois que je suis allé faire un tour à la FNAC, la chaîne de librairies à grande surface en France, j’y ai vu un mur complet de manga traduits en français. La plupart étaient en format de poche, offraient environ 300 pages de lecture, et coûtaient environ 9 euros. J’aurais pu acheter un Dragon ball format double pour le prix d’un album cartonné, comme Lucky Luke, et au lieu de 44 pages en couleurs, j’en aurais eu 352 en noir et blanc. Une série au Japon commence dans les revues hebdomadaires ou mensuelles comme Jump ou Big Spirit. Ces revues, dont certaines atteignent un tirage de 6 millions, sont consommées le temps d’un voyage en train, puis abandonnées dans les trains ou sur les bancs. Au début de mon séjour au Japon, je les collectionnais avidement, mais je me suis vite rendu compte de la futilité de mon geste. En un certain sens, ces revues rappellent les romans-feuilleton du XIX e en France, genre où Alexandre Dumas a excellé. Des sondages fréquents auprès des consommateurs décident quelles séries auront droit à la prochaine incarnation: une édition en format de poche. Puis, les séries publié en librairies bénéficiant des meilleures ventes deviennent des séries d’anime à la télévision. On peut aussi offrir au public des produits dérivés, comme des vêtements ou des figurines, ainsi que des jeux vidéo. Je dirai plus loin un mot sur les anime ainsi que sur les produits dérivés. Seules certaines séries-cultes, comme celles de Tezuka Osamu ou de Takahashi Rumiko, ont droit à une réimpression en édition de luxe, qu’on appelle parfois aussi waidoban („édition plus grande“). Au Japon, les lecteurs de manga considèrent la revue et même la collection d’album comme des produits de consommation, et non pas comme des pièces de collection. On peut se procurer pour quelques 27 centaines de yens les séries complètes qui échouent dans les bouquineries de manga de seconde main à Tokyo. Même si certaines résistent encore et toujours à l’envahisseur, de nombreuses maisons d’éditions franco-belges ajoutent à leur catalogue des séries japonaises. C’est qu’elles y trouvent maints avantages commerciaux. D’abord, les planches sont disponibles immédiatement, il n’est pas besoin d’attendre que l’auteur les produise; l’éditeur n’a qu’à s’assurer les services d’un bon traducteur. La production est abondante; si une série connaît un bon succès initial, comme les séries japonaises comportent souvent plus de 6000 pages, l’éditeur sait qu’il peut exploiter le filon pour de nombreuses années. Enfin, tout en tenant compte de la différence culturelle, une série qui a été populaire au Japon apparaît comme un produit qui a déjà fait ses preuves commerciales. L’éditeur peut ainsi mettre sur le marché un album en format de poche aussi volumineux qu’il est bon marché. Bref, en achetant un manga traduit en français, le consommateur a l’impression bien bourgeoise d’en avoir amplement pour son argent. En fait, on assiste à un curieux retour de pendule. Les éditions Dupuis publiaient autrefois ses titres en éditions souples. Mais il s’est avéré que si les flamands aimaient bien l’édition souple, moins chère, en revanche les français exigeaient rien de moins que des albums cartonnés, objets de collection. Or, en juillet dernier, j’ai vu pour la première fois en librairie une réédition des albums de Spirou et Fantasio en format broché (couverture souple) dans une collection intitulée BD Pirate. Le prix? 3 euros. Les éditions Dupuis ont dû sentir que le consommateur de bande dessinée habitué à un nouveau rapport quantité-prix à cause des manga, souhaitait aujourd’hui se procurer des bandes dessinées de format plus volumineux, sinon plus économiques. Avant l’invasion des manga, le public français s’attendait à trouver de la couleur dans ses albums. C’est qu’un dessin en noir et blanc suggérait les connotations „bon marché“, voire „camelote“. Il y a pourtant eu des recherches esthétiques intéressantes du temps où la revue A suivre était à flot, dont l’étonnante série Corto Maltese. Comme il a été mentionné plus tôt, au Japon, les manga sont d’abord publiés en feuilleton dans des revues à fort tirage d’environ 300 pages chacune, imprimées sur papier recyclé. Tout cela permet de vendre les revues à des prix dérisoires. Au Japon, l’impression en noir et blanc répond à des impératifs économiques plutôt qu’esthétiques. Si Akira, l’un des premiers manga traduit en français, a été colorié afin d’être mis au goût du jour, les manga qui ont été publiés par la suite l’ont été dans leur version originale. Seule la trame vient offrir quelques variations dans une planche vouée à une existence monochrome. Les attentes du public ont changé et il est convenu qu’un manga sacrifie l’épate de la couleur à l’abondance des pages. Enfin, tout cela rend la bande dessinée plus abordable pour les moins nantis. Pour le public français, une série japonaise comme Gundam, prend à la fois la forme de manga, d’anime, de jeux vidéo et de modèles réduits. Ces incarnations multiples peuvent sembler tout naturelles, mais imaginons qu’on veuille adapter en 28 jeu vidéo la poésie de Villon, ou que l’on propose des figurines des personnages de L’Etranger de Camus. De nombreuses voix intellectuelles s’élèveraient contre une telle infamie commerciale! Avec cet exemple absurde, je veux simplement mettre en lumière l’aisance avec lequel on transforme aujourd’hui une série en ses différents avatars. Les dessins animés de Bob Morane, Titeuf et Cédric prennent d’assaut les écrans de télévision. Druuna, Titeuf (encore lui! ) prennent le chemin des jeux vidéo. Au Japon, les maisons d’édition planifient maintenant la commercialisation d’une série en manga, en anime, en jeu vidéo et en produits dérivés simultanément. La forme originelle de l’œuvre bédéesque n’est pas considérée comme „sacrée“ ou „intouchable“. En ce sens, par ses manifestations diverses et simultanées, le manga devient plus accessible au public qui peut ainsi se l’approprier pour l’imiter ou le parodier. En 1993, je suis allé à une gigantesque convention de manga-ka (bédéistes) amateurs à Tokyo. Il y avait au moins 3 salles pleines de tables où l’on pouvait trouver des versions plus cocasses ou plus grivoises des séries les plus populaires. A l’époque, il s’agissait de Chinmoku no Kantai. La célébration de la série favorite trouve d’ailleurs de nombreuses manifestations sur l’Internet. Le site de Glénat 4 propose aux amateurs d’afficher leurs dessins et leurs commentaires. Ainsi, un dialogue plus intime s’établit entre le public et l’œuvre. Du genre à la niche Tout au long de mon enfance et de mon adolescence, un slogan me rappelait que les albums de Tintin s’adressaient aux lecteurs de 7 à 77 ans. Je prenais plaisir à relire Astérix pour y découvrir de nouveaux niveaux de lecture qui m’étaient devenus accessibles. C’est que la bande dessinée française avait la prétention de s’adresser à un public universel. La classification des bandes dessinés s’effectuait par genre et Groensteen 5 en distingue trois grandes catégories dont le voyage (dont l’aventure), le merveilleux (dont la science-fiction) et la bêtise (dont l’humour). Plus tard, les revues Hara-kiri et Pilote allaient proposer des bandes dessinées exigeant une certaine maturité de la part des lecteurs. Il a fallu distinguer les bandes dessinées pour adultes des bandes dessinées pour enfants, qu’on désigne aussi comme „tout public“. Au Japon, il n’existe pas UNE culture populaire, mais DES cultures populaires bien distinctes, qui s’organisent en niches bien distinctes selon les axes du sexe et de l’âge. On a ainsi les manga shônen (jeunes garçons), shôjo (jeunes filles), seinen (jeunes hommes), redisu („ladies“, femmes) et seijin (adulte, mais avec la connotation „manga érotique pour homme“). La société japonaise traditionnelle creuse l’écart social entre les hommes et les femmes, ce qui se manifeste non seulement par des discriminations dans les emplois, mais aussi dans le langage. Afin de mieux marquer la distinction des sexes, les hommes s’expriment un ton plus bas que leur voix normale, les femmes, un ton plus haut, en allongeant certaines voyelles de façon parfois agaçante. Avec mes collègues de l’école de langue 29 où j’ai travaillé, à Tôkyô, nous avions remarqué que nos élèves féminines s’exprimaient avec leur voix normale en français mais qu’elles adoptaient un ton anormalement aigu en japonais. De même, le vocabulaire et la syntaxe présentent des différences significatives entre les sexes. Un étranger mâle qui apprend le japonais auprès d’une femme deviendra rapidement la cible de sourires moqueurs lorsqu’il aura à s’exprimer en public. Il devenait évident, vu les circonstances sociales, de proposer des BD spécifiquement destinées à des publics masculins ou féminins. L’idée n’est pas nouvelle en France, puisqu’il y a déjà eu des journaux illustrés réservés aux filles, comme Lili, mais ces publications n’ont pas fait long feu. Les mouvements féministes veillent à effacer des distinctions de ce genre. Elisabeth Badinter, 6 une théoricienne féministe, argumente en faveur de la ressemblance des sexes, une condition nécessaire, selon elle, à l’établissement d’une société plus juste. Au Japon, où les manga sont produits, les maisons d’éditions se préoccupent peu des questions paritaires. Il y a davantage de profits à récolter en offrant à des niches précises de lecteur les produits qui satisfont leurs goûts spécifiques. Cependant, en exploitant les distinctions sociales, ne les exacerbe-t-on pas? Voilà une question qui mériterait qu’on y consacre tout un article. Je la laisse de côté pour l’instant. L’amateur de manga français a encore un trait dont il faut parler. Comparons-le à un collectionneur traditionnel de 50 ans aura acheté beaucoup de BD dans sa vie. Il a pu arriver à l’occasion à ce dernier d’échanger avec d’autres collectionneurs ou d’écrire des articles sur sa passion. Aujourd’hui, le lecteur de manga moyen maîtrise les nouvelles technologies et sait comment entrer aussitôt en contact avec d’autres internautes qui partagent ses goûts. La communication entre les fans s’en trouve décuplée, ce qui met en branle tout un processus dynamique de prosélytisme qui a beaucoup servi à populariser les manga, en particulier en Amérique du Nord. Le lecteur ne se contente plus de lire, il participe au succès de l’œuvre en transmettant son appréciation de bouche virtuelle à oreille virtuelle. De la représentation à la déformation expressive Les personnages japonais passent pour des caricatures grotesques au regard de certains critiques: entre autres reproches, on relève des yeux gros comme des soucoupes, des filles maigres comme des clous et beaucoup trop jeunes pour leur partenaire mâle. C’est que le manga, au détriment du réalisme et de la logique, recherche l’expression pure du sentiment humain. On pourrait y voir un héritage du kabuki, le théâtre populaire japonais (à distinguer du nô, plus élitiste), où les masques présentent des mimiques excessives et où les silences autant que gestes amples participent à l’extériorisation des conflits internes. Le manga, pour faire rire ou pleurer, mettra à contribution toutes ses ressources: le graphisme, le cadrage, la situation, l’expression des visages, le dialogue, etc. Même un manga d’inspiration réaliste, comme Kachô Shima Kôsaku, on trouvera que les expressions et le scénario pré- 30 sentent des exagérations. On ne lésine pas sur les torrents de larmes, sur les yeux écarquillés et sur les rires à gorge largement déployée. En ce sens, le manga semble exprimer l’humanité des personnages mieux que certaines bandes dessinées françaises un peu statiques, comme Yoko Tsuno. Voyons quelques exemples. La gêne, un sentiment courant dans les manga, paralyse complètement les personnages qui l’éprouvent. On la représente en portant un bras ou deux en arrière de la tête, en faisant esquisser au personnage un large sourire contraint. La goutte de sueur au visage renforce l’expression d’inconfort. Quant aux yeux en soucoupes, Schodt les décrit comme les „miroirs de l’âme“, 7 puisqu’ils expriment visuellement les sentiments intérieurs. La „Lolita“, ou femmeenfant, représente la mignardise des personnages féminins poussée à son extrême. A propos des cheveux, comme ceux de Dragon Ball, il faut remarquer que la forme des mèches, en multiples pointes, suggère le contraire de la mollesse, c’est-à-dire le dynamisme. Tous ces systèmes de représentation coopèrent pour faire découvrir le personnage non pas par son dialogue, mais par sa simple physiognomonie. Balzac usait d’une approche similaire dans ses descriptions de personnages. On pourrait nommer ce procédé une déformation expressive. On pourrait encore illustrer les déformations expressives en démontant les robots géants, si typiques aux mangas. Le 11 avril 1993, j’ai eu la chance d’interviewer Kawamori Shôji, l’un des créateurs de Macross, et concepteurs de mecha pour les séries Gunhed, Cyber Formula et Crusher Joe. Je reprends ici quelquesuns des points saillants de nos discussions sur les robots. Au départ, l’homme n’est rien et la machine n’est rien. Seule la fusion du pilote avec son robot peut aboutir à la genèse du guerrier ultime. D’une certaine façon, le pilote devient le robot. D’autre part, il est loisible au concepteur de varier les dimensions des parties d’une mécanique afin de créer divers effets. La tête, en particulier, apparaît souvent minuscule. Dans un humain normalement constitué, on obtient un rapport de 1 à 6 entre la tête et le corps. Les statues des grecs anciens s’appuyaient sur une proportion „héroïque“ de 1 à 8, qui mettait le corps en valeur, créant ainsi une impression de force physique. Pour les robots, en comparant la tète au corps, on obtient des proportions de 1 à 10 et même de 1 à 14, qu’on pourrait qualifier „d’ultra-héroïques“. Comme s’il fallait compenser pour la petitesse de leur tête, les robots se voient affublés de pieds énormes, pour donner une impression de stabilité et de solidité. Les robots s’imposent ainsi à leur environnement. Plusieurs des robots s’inspirent des armures des Samurais d’autrefois. Il suffit de jeter un coup d’oeil aux poitrails, aux cuissards et aux heaumes. Si les armées modernes adoptent des couleurs ternes pour des raisons de camouflage, les militaires d’autrefois se paraient de couleurs et d’armes éclatantes. La beauté reste synonyme de puissance et le raffinement des armes est au service de l’expression de la force. D’où vient cet impératif de déformation expressive, qui expliquerait même les excès pornographiques des manga, si souvent dénoncés? Sans doute la réponse se trouve-t-elle dans le tissu social japonais. Schodt remarque que „The gap between fantasy and reality in Japan is enormous“. 8 Les consommateurs de manga, 31 ballottés dans les trains soirs et matins, ne désirent pas revivre leurs problèmes quotidiens par le biais d’une histoire illustrée. Il leur faut s’évader du stress quotidien. Même lorsque la réalité quotidienne est représentée, comme dans Maison Ikkoku, des éléments absurdes ou fantastiques viennent rapidement rompre l’inquiétante ressemblance avec le monde connu. A n’en pas douter, les auteurs français possèdent amplement de créativité pour inventer de telles déformations expressives, mais ils se seraient sans doute butés à l’impréparation du public. Les manga permettent d’introduire ces procédés hyperboliques comme un commerçant introduisant des épices inconnues. On y goûte puis on en redemande si c’est bon. Il semblerait que ce soit bon. Invitation à créer des manga français en guise de conclusion Je suggère tout au long de mon article que le manga permet au neuvième art de renouer avec ses racines populaires en France. Je crois que la jeunesse constitue la source intarissable de toute création nouvelle mais qu’il lui faut un moyen accessible pour se manifester. Le 15 mai 1871, lors de la Commune de Paris, Rimbaud composait le Chant de guerre parisien. La poésie avait alors la faculté de canaliser les jeunes énergies créatrices. Tous les jeunes lycéens tâtaient de la poésie jusqu’à ce que, graduellement, le genre devienne l’apanage d’une élite artistique. Au cours des décennies 1950 et 1960, les goûts ayant changé, la bande dessinée apparut comme le mode d’expression populaire à la portée de tout jeune amateur. Puis la bande dessinée s’est institutionnalisée. Par exemple, l’institut Saint-Luc à Bruxelles donne depuis 1975 une excellente formation en bande dessinée. Il faut aujourd’hui démontrer un certain niveau technique. Le manga, à cause de sa nouveauté et de son aspect marginal en France pourrait représenter pour les jeunes une possibilité nouvelle de canaliser leurs énergies créatrices. Signe visible de cette créativité, on recense chez Amazon.fr plus de 18 titres de manuels consacrés à l’apprentissage du dessin dans le style des manga. Si on me redonnait mes 20 ans, c’est des manga que je dessinerais! 1 Les dénominations japonaises suivront la forme traditionnelle nom-prénom. 2 Rheault, Sylvain: „An Encounter with Hayao Miyazaki“, in: Protoculture Addicts, 19, 1992, 12-13. 3 Schodt, Frederik L.: Dreamland Japan - Writings on Modern Manga, Berkeley (California), Stone Bridge Press, 1996, 26sq. 4 Voir les diverses rubriques du site www.glenat.com et cliquer sur „vos dessins“. 5 Groensteen, Thierry: La Bande dessinée en France, Paris, Ministère des Affaires étrangères, 1998, 16sq. 6 Badinter, Elisabeth: L’Un est l’autre, Paris, Odile Jacob, 1986, 257sq. 7 Schodt, Frederik L.: Manga! Manga! The World of Japanese Comics Kodansha, Tokyo, 1984, 91sq. 32 8 Schodt, Frederik L.: Dreamland Japan - Writings on Modern Manga, Berkeley (California), Stone Bridge Press, 1996, 51sq. Resümee: Sylvain Rheault, Einige Einflüsse der Manga im zeitgenössischen französischen Comic ist inspiriert von den persönlichen Erfahrungen des Autors. Der Artikel vergleicht die Schreibsysteme, die Albumformate, das Publikum sowie die Repräsentationen der Manga und des französischen Comics, um aufzuzeigen wie die Manga der Grund für eine neue Tendenz in Frankreich sein könnten. Der Autor suggeriert ebenfalls, dass die Jugend die Quelle jeglicher neuen Kreation ist, aber dass sie ein zugängliches Ausdrucksmittel braucht. Die Manga könnten genau dieses neue Mittel sein. 33 Jan Baetens Frédéric-Coché, écrivain-graveur Quelques notes sur l’incipit de Hortus Sanitatis La bande dessinée passe pour être un art du mixte. Quand bien même il existe de nombreux avatars de la bande dessinée dite ‘muette’, 1 celle-ci demeure un écart par rapport à la règle de l’emboîtement médiatique: sauf exception, le verbal et l’iconique ont partie liée. Or qui dit mixte, ne dit pas seulement, ou pas simplement, juxtaposition ou addition. 2 Tout mixte suppose en effet, à des degrés divers, une interpénétration et, davantage encore, une réciprocité des pôles. Et dans les cas extrêmes de mixte, c’est la différence même des domaines ou des médias qui se met à trembler. A suivre les lectures d’un Simon Leys, par exemple, la poésie chinoise offrirait un exemple absolu de pareil mixte. Ayant observé que „le concept clef de la civilisation chinoise est celui d’harmonie“ 3 et que la pratique des arts constitue „une mise en œuvre concrète“ (id., 577) de cette idée, il énonce „une double proposition [...]: les principes esthétiques et les procédés de la poésie sont d’ordre pictural; les principes esthétiques et les procédés de la peinture sont d’ordre poétique“ (id., 579, souligné par l’auteur). Citons ici quelques fragments de cette étude elle aussi classique de Simon Leys, qui condense le mieux ses idées en la matière: Alors qu’en général, par sa nature même, toute poésie s’exprime de façon successive, qu’elle se déroule dans le temps, la poésie chinoise, elle, s’efforce d’agencer les mots dans l’espace. Dire que le poème devient en quelque sorte un art de l’espace du simple fait qu’il est calligraphié et que, dans cette forme calligraphique, il peut être exposé, offert à la contemplation à la manière d’une peinture, c’est rester encore à la surface du phénomène. En fait, les possibilités d’agencement spatial du poème ne sont pas simplement fonction de l’écriture chinoise; bien plus profondément, elles trouvent leur source dans la structure même de la langue [...]. Mais ce n’est pas seulement l’usage des phrases parallèles qui rapproche le langage poétique chinois de l’expression picturale. De façon plus générale et plus essentielle, le poème tout entier réussit en fait à devenir une pure juxtaposition d’images. [...] En fait, ce qui confère à la poésie chinoise son caractère „imagiste“, ce qui permet au poète de livrer directement des séries de perceptions sans devoir passer par l’intermédiaire d’un discours grammaticalement organisé, c’est la fluidité morphologique du chinois classique (un même mot, suivant le contexte, peut être tour à tour substantif, adjectif ou verbe) et surtout la flexibilité de sa syntaxe ‘les phrases peuvent demeurer sans verbe et les verbes sans sujet). [...] Nous venons de voir comment la poésie chinoise s’efforce d’emprunter des voies normalement réservées à l’expression picturale. Il nous reste maintenant à examiner comment la peinture adopte la condition et les procédés de la poésie. 34 Dès l’abord, la présentation matérielle de la peinture chinoise est déjà révélatrice de cette nature littéraire. [...] (L)a peinture chinoise [...] est montée en rouleau, ce qui historiquement la rattache à la famille du livre [...]. Les instruments nécessaires à l’écrivain - papier, encre et pinceau - suffisent au peintre. Le montage lui-même, fragile et frémissant au moindre souffle d’air, interdit un accrochage prolongé, et ne permet d’exposer l’œuvre que pour le temps d’une lecture active et consciente. Le style pictural le plus élevé dans la hiérarchie esthétique est dit xie yi: c’est-à-dire le style qui écrit (et non dépeint) la signification des choses (et non leur apparence ou leur forme). [...] La peinture idéale n’est pas achevée sur le papier, mais dans l’esprit de celui qui la contemple [...]. Enfin, en parallèle avec les observations que nous avions formulées sur la dimension spatiale du langage poétique, il faut noter la dimension temporelle que réussit à acquérir une forme particulièrement importante et subtile de peinture, le rouleau horizontal [...]. (id., 579-583) Je vous prie de m’excuser de l’extrême longueur de cette citation, dont j’ose espérer que l’intérêt pour mon propos, librement mais largement inspiré des réflexions de Leys sur la poésie chinoise, sautera bientôt aux yeux. Je crois en effet que le dispositif du mixte qui vient d’être évoqué, se retrouve également dans la bande dessinée, du moins dans certaines de ses formes contemporaines où ce miroitement de l’iconique et du linguistique se travaille de manière tout aussi intense. Il suffit de regarder même superficiellement le travail de nombre d’auteurs rassemblés autour des éditions Fréon - je pense ici en tout premier lieu à Olivier Deprez, Alex Barbier ou Dominique Goblet - pour se rendre compte à quel point l’écriture s’y fait aussi dessin ou, plus exactement, image, le mot ‘dessin’ n’étant plus tout à fait en mesure de subsumer la grande diversité des techniques explorées par ces artistes. Toutefois, cette observation, qui prolonge du reste des phénomènes analogues dans le champ mieux connu et surtout mieux coté de la poésie visuelle, n’aurait guère d’intérêt s’il n’était possible de la compléter par le pendant déjà signalé par Leys, à savoir la métamorphose du dessin en écriture - et je laisse provisoirement de côté la polysémie de ces termes. Tant que ne s’opère pas telle mutation, le mixte demeure en effet inabouti, voire faux ou factice. L’enchevêtrement du texte et de l’image qui a pour seul enjeu ou seul horizon la conversion visuelle du verbal risque de faire l’impasse sur la question tout aussi capitale du devenir texte de l’image. Il existe plusieurs très bonnes raisons pour poser cette question de la transformation de l’image en texte, si curieuse qu’elle puisse paraître à nos yeux habitués à un système alphabétique abstrait qui se vante justement d’avoir coupé les ponts avec les écritures ‘primitives’. Notre sagesse des nations oppose fortement le texte et l’image et, par cette opposition, elle dénie à l’image toute aptitude véritablement scripturale, sauf dans les cas où l’image se contente de copier et d’illustrer un code verbal sous-jacent. La première de ces raisons est historique. Nous baignons depuis plusieurs décennies dans des discours qui transfèrent le champ lexical du texte et de l’écriture 35 à des aires non verbales, et nous sommes de longue date habitués à des expressions du type ‘caméra-stylo’ ou ‘écriture cinématographique’. 4 Certes, il n’est plus question de prendre ces expressions à la lettre - contrairement sans doute à ceux qui, tel Eisenstein, s’étaient interrogés sur les possibilités langagières des nouveaux médias visuels -, mais la dérive métaphorique qui les menace ne peut être séparée de la définition très étroite qui reste la nôtre quand nous pensons le texte ou l’écriture. Dit autrement: si le montage au cinéma n’est malgré tout pas reconnue comme une écriture au sens strict du terme, ce qui pourrait être en cause est sans doute moins les propriétés du montage que notre acception, trop ‘stricte’ justement, du terme ‘écriture’. La seconde raison, qui répond déjà en partie aux difficultés soulevées par la première, est théorique. Le travail des historiens modernes de l’écriture a montré que celle-ci, loin de s’opposer à l’image, y plonge durablement ses racines. L’écriture n’est pas cet emploi de la langue qui s’arrache peu à peu à ses formes primitives encore très marquées par la représentation visuelle ou iconique, elle apparaît au contraire comme un mode linguistique qui, à la différence de l’oral, est une image écrite. 5 Cette nouvelle approche de l’écriture ouvre la voie, bien sûr, à de nouvelles réflexions sur l’image comme écriture. Une troisième raison, enfin, est donnée par la pratique artistique elle-même, en l’occurrence celle de la bande dessinée contemporaine, qui résiste diversement à l’écriture traditionnelle, tout en assumant de nombreuses caractéristiques de ce que nous associons, non moins traditionnellement, à l’écriture. D’une part, ces bandes dessinées s’efforcent de minimiser la part du texte, qui se voit évacué vers les marges du livre ou transformés en des ‘objets-à-voir’. D’autre part, elles s’offrent elles-mêmes comme des ‘objets-à-lire’, et non pas comme de simples ‘objets-à-contempler’, la lecture n’étant plus définie comme la traduction lexicale d’une image-hiéroglyphe sertie dans une chaîne syntagmatique dont le modèle est toujours celui de la phrase occidentale, mais comme une forme d’interprétation où le sens se construit à l’aide d’un parcours visuel et spatial en partie subjectif et non formalisable. Pour illustrer la conception de l’image comme écriture, on propose ici une microlecture d’une planche de Hortus Sanitatis, le premier livre de Frédéric Coché. 6 Il n’est en effet pas possible de séparer lecture et écriture, la première participant activement à la seconde, non pour la déchiffrer, la décoder ou la redoubler, mais pour prendre part à l’agencement des données dans l’espace qu’est (aussi) l’écriture. Quant au choix de cet auteur et de cet album, ils paraissent l’un et l’autre tout à fait représentatifs d’une certaine tendance de la bande dessinée moderne, qui se distingue entre par: - Le recours à des techniques de gravure et de peinture qui excèdent les outils conventionnels du médium, d’une part, et la division du travail qui l’a longtemps caractérisé (crayonné, dessin, encrage, coloriage), d’autre part. - La préférence très nette accordée à de nouveaux investissements de la page, grâce à la généralisation du ‘diptyque horizontal’, c’est-à-dire la division de la 36 page en deux cases superposées, qui rejette aussi bien le modèle unifié de la peinture (surmoi refoulé de la bande dessinée classique, qui ressurgit dans les ‘effets de poster’ de bien des auteurs séduits par le dessin pleine page) que celui des compartimentages conventionnels de la bande dessinée même (un bon exemple en est la grille de 4 strips à 3 vignettes, surnommée parfois ‘gaufrier’). - Le maintien des éléments textuels ou verbaux à la périphérie des images et de l’album et, corollairement, le rejet du rôle illustratif du dessin, qui n’est plus là pour mettre en images un récit préexistant, ni même un récit indépendant du dessin, mais qui invite le lecteur à explorer les voies du récit à travers les modulations du graphisme. Ces trois éléments, où l’on peut reconnaître bien des échos de la célèbre formule de Benoît Peeters: „case, planche, récit“, 7 sont doublement solidaires. D’abord parce qu’ils s’accompagnent et s’épaulent mutuellement, ensuite parce qu’ils tendent en quelque sorte à s’enchevêtrer: la sélection d’une technique de dessin („case“) implique le choix d’une mise en page („planche“) et vice versa, et il en va de même pour la construction de l’histoire („récit“), qui à la fois découle de cette technique et de cette mise en page et les renforce l’une et autre (pour ne pas dire qu’elle les forme, voire les engendre). Mais voyons la première page de l’album: 37 Le dessin inaugural nous confronte avec une image diversement ‘orientée’. L’objet représenté, un poisson, est structuré clairement comme un récit aristotélicien: il a un début (la tête), un milieu (le corps), une fin (la queue) et on pourrait dire que la direction des nageoires souligne, comme une sorte de fléchage intégré, le sens de la lecture. Or le dédoublement de cet objet introduit une hésitation non moins certaine: gauche et droite, puis haut et bas s’inversent, sans toutefois que cette inversion ne devienne mécanique (les deux poissons ne sont pas identiques). Presque automatiquement, car on ne peut plus faire comme si la lecture de cette planche n’avait pas été précédée de celle de la couverture, une telle représentation fait surgir à l’esprit une double lecture allégorique, iconographique aussi bien qu’autoréflexive. Le sens iconographique est sans doute le premier à s’imposer, tellement sont franches ici les allusions à un infratexte religieux: le poisson comme symbole du Christ, puis, plus subtilement déjà le croisement des deux poissons comme symbole du X également christique (X désigne la lettre grecque qui ouvre le nom du Christ et pourrait renvoyer aussi, par son sens mathématique de „x“, au miracle de la multiplication des pains et des poissons). Comme la couverture avait déjà offert une image ouvertement religieuse (la rencontre de sainte Anne et de la Vierge et, plus généralement, la thématique de l’Annonciation) aussi bien que symbolique (avec par exemple sa condensation des trois âges de la vie, à travers l’idée du 38 „squelette enceint“ et avec des éléments picturaux et linguistiques, ici l’emploi du latin, là les variations sur un paysage à la Brueghel, qui rehaussent encore cette dimension religieuse et allégorique), le lecteur est inévitablement poussé à s’interroger sur l’impact de l’allégorie religieuse dans cette image inaugurale. Mais le sens religieux n’épuise pas le tout de l’allégorie. Déjà la couverture avait insinué une lecture fort libre du thème traditionnel, avec son chevauchement de l’Annonciation et de la Danse macabre. Ce détachement partiel par rapport à la signification allégorique convenue facilite la venue d’un autre sens, qui pourrait être ici de type autoréflexif. Dans cette hypothèse, il ne serait pas impossible de voir dans les deux poissons une image du processus de la gravure qui est à l’origine de la représentation: la reprise par inversion que manifeste l’image des poissons pourrait renvoyer en effet à la technique même de l’impression d’une plaque gravée. Ouvert par les variations de la couverture sur l’iconographie traditionnelle, ce dédoublement de l’allégorie paraît correspondre assez bien à ce qui se fait dans l’incipit du livre, et que la suite ne fera que confirmer. La seconde vignette de la planche va expliciter, mais aussi déplacer considérablement la lecture initiale. Nous passons ici de l’image comme résultat au dispositif de production, qui s’avère être un projecteur. La première image, suppose-t-on (mais il pourra venir quelques doutes à cet égard), est ‘dénudée’, au sens des Formalistes russes, comme une image, plus exactement comme une image dérivée d’une autre image (en l’occurrence une diapositive). Ce qui frappe d’abord le regard du lecteur, c’est le grand soin apporté à la mise en parallèle des deux vignettes, celle du haut et celle du bas. De part et d’autre, on note: la même absence de fond (ce qui apparaît ‘derrière’ ou ‘sous’ les images n’est rien d’autre qu’un ensemble de marques qui signalent aussi bien les imperfections de la toile ou du mur qui accueille les projections que les traces créées par l’impression de la plaque gravée), la même taille et la même position (et presque la même distance) des parties imagées (en haut comme en bas, le dessin proprement dit a même largeur et même hauteur, du moins approximativement, et obéit au même centrage horizontal; la coupure interne du bras, qui ne se prolonge pas jusqu’au bord de la vignette affiche clairement cette volonté de symétrie), le même style graphique (qui ne change pas lors du transit de l’image projetée à la machine qui la rend possible). En même temps, il se remarque non moins de très grandes différences par rapport à l’image d’ouverture: - L’image fictionnelle paraît censurer aussi l’élément traceur: alors que la représentation des deux poissons fait affleurer à l’esprit une idée de la pointe du graveur, celle du projecteur de diapositives ne fait intervenir la main de l’artiste que dans une position tout à fait subalterne (on n’assiste pas, même indirectement, à la production de la positive, on participe seulement à une cérémonie de projection). 39 - L’image cesse d’être présentée frontalement, suivant une plongée on ne peut plus absolue, pour être montrée de trois quarts, selon une plongée à peine visible. Comme lecteur, on a la très forte sensation d’une manipulation, d’une ‘torsion’. Ces observations en soi banales, il importe maintenant d’en faire l’analyse. Reprenons point par point. - En ce qui concerne la ‘rectification’ de l’image inversée, il importe de souligner qu’elle va de pair avec une distance accrue entre la source et le résultat. Or celle-ci n’est pas seulement spatiale, elle est aussi et surtout temporelle, puisque de même que, dans le haut de la planche, il se présentait une hésitation entre gauche et droite, il s’opère ici un brouillage de l’avant et de l’après: on ne sait si la diapositive est introduite ou au contraire retirée, et de ce point de vue, l’inversion n’est pas moins forte que dans l’image au-dessus. La chose est tout sauf insignifiante, car le passage fondamental de la vignette du haut à celle du bas est avant tout le glissement de l’énoncé à l’énonciation: ce passage rend le temps à l’espace, il injecte l’axe diachronique dans l’axe synchronique et montre ainsi à quel point se tromperait une lecture qui enferme l’objet visuel dans sa seule dimension représentative, coupée de l’acte (de monstration ou de lecture) qui en multiplie le sens. 8 - En ce qui concerne le double motif de la disparition de la main qui trace (donnée in absentia, à travers la représentation métaphorique de l’acte de la gravure) et de l’apparition de la main qui montre (in praesentia, par l’intermédiaire du dispositif du projecteur), cette alternance élargit en fait le geste de l’écriture, au lieu de le réduire. En effet, la main qui agit le projecteur est là pour bien faire le départ entre une conception acheiropoétique (ou purement mécanique, sans qu’intervienne la main) de la production des images, que Hortus Sanitatis écarte, et une conception où la main joue un rôle certain, que le livre met fortement en avant: l’image, ainsi, reste du côté de l’écriture et de tout geste qui suppose un tracé manuel; cette présence de la main suggère également que l’écriture est aussi une forme de montage, même dans les cas où aucune image ‘nouvelle’ n’est produite; enfin, cette idée de montage indique aussi que l’image ne peut jamais se dire au singulier mais doit se penser forcément au pluriel, en termes de chaîne et de rapprochement toujours dynamiques. - Troisièmement, les changements d’angle signalent également comment l’image n’est jamais donnée, mais résulte d’une intervention qui ne peut être détachée d’un point de vue toujours singulier, que le lecteur est supposé et connaître et soupeser à son tour. Les trois leçons qui peuvent être tirées de cette microlecture peuvent paraître dissemblables, mais elles ont en commun de montrer, non pas ce qui doit être lu, mais bien la manière dont il convient de lire (indépendamment, pour autant que ce soit possible, de toute considération sur le motif représenté). Cette leçon représente donc une allégorie particulière, de second niveau si l’on préfère, qui 40 concerne moins l’énoncé que l’énonciation, mais il va sans dire que ses effets se font sentir aussi sur l’énoncé même, qui subit trois types de transformations. Premièrement, Hortus Sanitatis souligne d’un bout à l’autre la duplicité de ses représentations. Le livre est caractérisé par un pullulement de doubles sens, son penchant à la lecture métaphorique s’attaque à la moindre des images. On bute ainsi sur mille et une formes déplacées de l’instrument traceur: les bois des cerfs, les lances, les branches des arbres, les flèches, les bâtons de pèlerin, les trompettes, les ales, les clous, les doigts, et ainsi de suite. 9 Cette explosion a quelque chose d’affolant, que maîtrise à peine l’homogénéité provisoire du dénoté métaphorique. Dans une deuxième phase, il apparaît que cette duplicité est elle-même double. Le livre de Frédéric Coché nous fait osciller entre des allégories en effet très différentes, l’une à tendance religieuse (elle s’avère concerner l’énoncé: l’image comme produit fini), l’autre à tendance autoréflexive (elle semble concerner l’énonciation: la façon de lire l’image), et leurs rapports de force varient: tantôt la lecture qui déchiffre les images en vue d’y débusquer un enseignement sur le traitement de l’image atténue, voire annule le sous-texte religieux, et tantôt c’est l’inverse. Enfin, et en troisième lieu, la duplicité signalée n’a rien d’œcuménique. Non seulement les deux types de lecture allégorique se livrent un combat sans fin (de cela aussi, la thématique du livre rend amplement compte), mais la réalisation simultanée de chacune des lectures possibles est souvent interdite, comme il arrive dans la vignette qui, symboliquement, ferme le livre: les deux sens ne s’y rapportent plus l’un à l’autre comme l’explicite à l’implicite ou le littéral ou métaphorique; ils sont tous les deux inscrits littéralement sur la page, mais sans qu’il soit permis à l’œil de les percevoir simultanément (selon un exercice bien connu des Gestaltistes). L’amphibologie visuelle qui clôt le volume exhibe ainsi l’obligation faite au lecteur de faire un choix et d’en assumer les conséquences: l’autre image n’est ici plus ‘sous’ l’image, elle s’y incruste, et réciproquement. 41 Que conclure de ces lectures? Une première conclusion concerne le traitement des images, qui se manifeste comme une forme d’écriture-lecture et de lectureécriture, qui excède la seule interprétation pour incorporer aussi toutes les manipulations directes ou indirectes que l’on fait subir à l’image. Une seconde touche aux rôle et place du texte au sens conventionnel du terme, et surtout aux raisons de son refoulement. Visiblement, le texte est inapte à s’inscrire dans le fonctionnement ouvert des montages visuels; on dirait même qu’il est jugé incompatible avec les complexités des réglages obtenus par Frédéric Coché. Pour ce qui est enfin du choix du latin, il n’est pas interdit de se rappeler ici les commentaires de Leys sur l’écriture chinoise: plus que le français, le latin, en tant que langue à cas, semble avoir une syntaxe plus souple, qui a séduit l’artiste. 42 1 Le domaine de la bande dessinée muette ne se réduit pas aux seules „histoires sans paroles“, qui sont généralement des gags de quelques vignettes. Pour plus de détails, voir Thierry Groensteen: Histoire de la bande dessinée muette I - II, in: 9e Art, 2 (1997), 60-75, et 3 (1998), 92-105. 2 Pour une approche théorique de la notion du mixte, voir Jean Ricardou: Le théâtre des métamorphoses, Paris, Seuil, 1982. 3 Poésie et peinture. Aspects de l’esthétique chinoise classique, in: La Forêt en feu (1983), repris dans Essais sur la Chine, Paris, Laffont, 1998, 576. 4 Pour une relecture contemporaine de ces concepts, voir Marie-Claire Ropars-Wuilleumier: Ecrire l’espace, Paris, PU Vincennes, 2002. 5 Pour un aperçu global, voir l’ouvrage collectif dirigé par Anne-Marie Christin: Histoire de l’écriture, Paris, Flammarion, 2000. 6 Bruxelles, Fréon, 2000. L’expression latin „hortus sanitatis“ (littéralement: „le jardin sain“), qui connote bien entendu aussi le lieu commun du „hortus conclusus“ renvoie au jardin où se cultivent les plantes médicinales. 7 Benoît Peeters, Case, planche, récit (édition revue), Casterman, Paris-Tournai 1998. 8 En termes ricardoliens, on pourrait supposer que le transit de la première à la seconde vignette est, malgré le changement du sujet de la représentation, la „mise en vie“ d’une typique „nature morte“ (cf. Jean Ricardou: Le nouveau roman, Seuil, Paris 1973, 118- 121) 9 L’exercice pourrait se porter aussi sur d’autres objets, par exemple l’image récurrente des moules, qui, au-delà du clin d’œil à la couleur locale (belge: l’album est censé prendre place dans une série sur Bruxelles), renvoie aussi bien à l’idée religieuse de reproduction-grossesse (via la thématique de l’Immaculée conception et de l’Annonciation) qu’à l’idée autoreprésentative de la reproduction-gravure. Resümee: Jan Baetens, Frédéric Coché, Schriftsteller-Graveur. Einige Bemerkungen über das incipit des Albums Hortus Sanitatis analysiert auf komprimierte Weise das Album eines der bemerkenswertesten Vertreter des jungen franko-belgischen Comics. Zunächst geht der Beitrag der Frage nach, inwiefern es möglich ist die ‘verbale’ Arbeitsweise des visuellen Pols zu erfassen, insbesondere in der Untergattung des sogenannten stummen Comics. Anschließend soll die Mikroskopie einiger planches des Albums zeigen, wie sehr das Bild darin seine eigene Leseweise aufbaut und als seine eigene Gebrauchsanweisung funktioniert. 43 Hugo Frey Trafic d’Outre-Manche: réflexion sur Une trilogie anglaise de Floc’h et Rivière Depuis une période relativement récente, les historiens européens ont privilégié l’écriture par rapport au visuel - surtout au détriment du cinéma qui avait une réputation frivole de divertissement des masses. Les films intéressaient peu le chercheur érudit. Précédemment, les écrits et l’enseignement de l’histoire se concentraient sur l’interprétation des documents écrits et des livres publiés. L’historien se penchait sur les études laissées par l’élite politique et racontait une histoire élitiste. Les „sciences de l’histoire“ collaboraient avec les archives nationales et les bibliothèques publiques qui furent fondées par des groupes d’intellectuels, souvent en cohésion avec les gouvernements. 1 Les sources visuelles étaient interprétées par les historiens traditionnels comme étant étrangères à leurs références méthodologiques. Cependant, ainsi que Shlomo Sand l’a aussi expliqué, la pesante domination de l’audio-visuel sur la vie publique au cours du vingtième siècle a forcé les historiens à s’éloigner de leur recherche exclusive de documents écrits. Les longs métrages, le journal parlé et les documentaires apparaissent dans le courant populaire de l’historiographie contemporaine. L’œuvre novatrice de Marc Ferro engendre une nouvelle génération de chercheurs à l’esprit ouvert au visuel et qui analysent le rôle du cinéma dans la société du vingtième siècle. 2 Le cinéma représente pour ce groupe un mouvement important qui permet de mieux appréhender les problèmes politiques et sociaux. Ils affirment que les scénarios des films à succès reflètent les courants de l’identité nationale et du genre ainsi que la révélation de la structure des niveaux sociaux et des identités sexuelles. Le cinéma a souvent été reconnu comme une source privilégiée d’études car il semble refléter une mémoire collective de la société. Se référant à l’œuvre de Siegfried Kracauer, la nouvelle génération d’historiens médiatiques se base sur le cinéma afin d’interpréter les tendances psychologiques du public. 3 Adoptant une tactique post-moderniste différente, Robert Rosenstone affirme que les intrigues de films, parce qu’elles se réfèrent au passé, ont une valeur culturelle égale à n’importe quel autre texte historique, y compris les publications académiques. 4 Sans faire le rapprochement entre les sources des connaissances historiques, Natalie Zemon Davis a suggéré que les historiens empiriques devraient s’inspirer, pour leurs recherches, de Hollywood et des productions indépendantes de mélodrames historiques. 5 Ses études cinématographiques sur l’esclavage révélèrent que les films d’époque pouvaient éclairer l’historien. Par comparaison avec la nouvelle vague de popularité que connaît ‘le débat films et Histoire’, assez peu de recherches ont été consacrées aux gravures, aux 44 dessins humoristiques, à la caricature ou à la bande dessinée. Les interprétations de l’histoire sous cette forme font rarement l’objet de travaux académiques des chercheurs des recherches politiques ou sociales. Ce fut principalement l’interprétation de l’Holocauste par Art Spiegelman, avec son célèbre livre Maus, qui attira le plus l’attention des chercheurs. L’œuvre de l’artiste français Tardi, qui sortit plusieurs albums décrivant l’expérience de la Grande Guerre, se fit remarquer dans le milieu universitaire. 6 Un relatif développement des études francophones, à la différence des études exclusivement françaises, a forcément encouragé l’analyse de la bande dessinée traditionnelle belge. Des études générales approfondies ont aussi permis une vue d’ensemble de l’histoire de la BD et ont révélé la vogue d’une tendance européenne artistique et narrative. Des recherches approfondies faites par des sémiologues - Jan Baetens, Thierry Groenstein entre autres - permirent de créer une méthodologie d’interprétation de la BD. 7 Cet article est une réflexion académique approfondie de la position légitime croissante de la BD. Trois albums dans une série de polars, Une trilogie anglaise (1993) des auteurs Jean-Claude Floc’h et François Rivière en constituent le thème central. 8 Ces tomes reflètent une œuvre très particulière, fascinante et importante. D’origine francophone, son scénario et ses dessins nous présentent les Anglais et Londres, leur capitale, des années 1920 aux années 1950. Ce feuilleton d’Outre-Manche propose deux possibilités d’interprétation. D’une part, il est important de situer Une trilogie anglaise dans son contexte de création française. Ainsi que je l’expliquerai, la BD reproduit (et par conséquent permet d’analyser) plusieurs idées typiquement européennes de l’Angleterre du vingtième siècle. De plus, cette trilogie devient un exemple classique d’une BD adulte laissant aux lecteurs une impression de nostalgie. D’autre part, cette trilogie mérite réflexion sur ce qu’elle a à raconter à propos du style de vie anglais et de sa littérature. Tout comme Natalie Zemon Davis conviait les chercheurs à se tourner vers Hollywood, je conseillerais aux académiciens qui étudient la culture britannique du vingtième siècle de consulter Une trilogie anglaise. Bien que cette BD soit un pastiche expérimental de pure fiction des romans policiers anglais, elle nous donne néanmoins un aperçu instructif de la littérature et de la société anglaise. Mémoires françaises de lieux lointains d’un crime Une trilogie anglaise fut créée à la fin des années 70 avec la publication de la première partie de la série dans le magazine Pilote. Elle se compose de trois volumes séparés. Le rendez-vous de Sevenoaks sorti en 1976, suivi par Le dossier Harding en 1979 et complété en 1983 par A la recherche de Sir Malcolm. 9 Le début des années 90 voit ces trois albums fusionner en un volume: Une trilogie anglaise. Bien que chaque épisode ait sa propre histoire, on retrouve cependant de nombreuses similarités entre les différents épisodes. La trilogie est, grosso modo, un pastiche du roman policier de fiction anglaise. Elle remanie les conventions narrati- 45 ves du genre en l’adaptant au genre de la BD. Les albums de la trilogie mettent en scène les aventures de deux détectives amateurs: Francis Albany et Olivia Sturgess. Ces personnages sont d’illustres membres de l’élite littéraire de la Bloomsbury. Olivia est un auteur à succès de romans de type ‘crimes et anticipation’. Son ami Francis est un critique littéraire réputé et fils de diplomate. Ainsi que le roman policier classique de Margery Allingham, Flowers for the Judge (1938), oublié depuis longtemps, les BD sont ancrées dans le milieu des écrivains et de leurs maisons d’éditions. 10 Ces dernières affichent irrémédiablement des complots, des intrigues secondaires sinistres, et des rôles de personnages secondaires bien étranges. Les fréquentes descriptions de Londres, des „Homes Counties“ et du Kent champêtre, situent l’œuvre dans une ambiance relativement typique des romans policiers. La trilogie se réfère fréquemment à ces lieux historiques. L’époque prédominante choisie est la fin des années 40. On découvre cependant dans le premier et dernier volume des procédés fréquents de flash-back, notamment dans la période de l’entre-deux-guerres et les années précédant la déclaration de la Grande Guerre. Utilisant la formule éditoriale qui consiste a réunir une collection de trois histoires en un seul volume, nous retrouvons avec l’illustration de la mode des éditeurs américains qui rééditaient deux ou trois romans policiers en un seul tome. Dans les années 40 et 50, le New York Detective Book Club utilisait cette formule avec des auteurs comme Agatha Christie, Eric Stanley Gardner et Francis et Richard Lockridge. 11 L’inclusion d’auteurs moins connus parmi ces grosses „pointures“ était un procédé apte à accroître la publicité. Les maisons d’édition anglaises avaient déjà bien sûr utilisé ce genre de procédé, notamment dans la collection intitulée Six against Scotland Yard. 12 Le titre choisi par Floc’h et Rivière - avec sa référence géographique évidente à l’Angleterre - rappelle davantage l’ancienne édition des romans d’espionnage d’Eric Ambler, Double-Decker: the Complete Spy Novels. 13 Ceci n’est qu’un exemple parmi d’autres confirmant à quel point Floc’h et Rivière possèdent le don de transformer et de re-penser les méthodes propres au genre du roman policier. Le Rendez-vous de Sevenoaks est l’album le plus abouti. L’épisode présente une série d’horribles meurtres commis à Londres, dans sa banlieue et dans le Comté du Kent en 1949. Un ami lointain d’Albany et de Sturgess, George Croft, l’auteur de romans fantastiques, découvre qu’une de ses nouvelles avait déjà été publiée depuis une vingtaine d’années par l’écrivain Basil Sedbuk. Croft se hâte d’enquêter sur cette fâcheuse découverte. Nos deux détectives sont incapables de le sauver d’une fin atroce. Ce n’est que vers la fin de la BD que nous apprenons qu’Olivia connaissait Sedbuk et qu’elle possédait donc sans doute des indices susceptibles d’aider Croft. Olivia est pourtant étrangement inactive et elle ne peut lui porter secours. La fin de l’histoire révèle une analogie métaphysique et ironique sur la notion du temps. Le lecteur apprend que George Croft est en fait probablement un personnage issu de Nightmares, la dernière nouvelle de Sedbuk. Cette découverte inverse le procédé narratif jusqu’alors présent dans la BD, qui faisait toujours croire que Sed- 46 buk n’était que le fruit de l’imagination fertile de Croft. Ce retour de l’unité temporelle et thématique de la BD se replie sur lui-même. Le mystère qui débuta en 1949, s’achève en 1928. Il constitue d’ailleurs un genre que David Lynch allait exploiter quelques années plus tard avec son film Lost Highway. Cette technique est parfois comparée à l’idée du ruban de Moebius, ce modèle mathématique dans l’espace apte à représenter le temps de façon elliptique, et astucieusement dessiné par M. C. Escher. 14 Une trilogie anglaise n’est pas simplement un jeu intellectuel, bien qu’elle apporte beaucoup de plaisir au lecteur. Floc’h et Rivière du Dossier Harding, seconde partie, nous montrent qu’ils sont tout aussi habiles à bien placer leurs personnages qu’à nous fournir des revirements narratifs astucieux. Cet album étoffe les personnages d’Albany et de Sturgess déjà campés dans Rendez-vous de Sevenoaks. C’est également ici que le lecteur s’aperçoit que Francis et Olivia sont de bons amis et que leurs vies sont aussi intrigantes et troublantes que les mystères sur lesquels ils enquêtent. Parallèlement, A la Recherche de Sir Malcolm possède une toile de fond psychologique et émotionnelle. L’album décrit Albany et la mémoire qu’il conserve de son père disparu, le Sir Malcolm du titre. La majeure partie de la BD est consacrée à l’illusion fantaisiste que possède Albany d’avoir accompagné son père lors de l’auguste croisière du Titanic en 1912. La trilogie s’achève quand les appréhensions d’Albany se dissipent après qu’il a passé au crible son histoire familiale. Olivia Sturgess joue un rôle beaucoup plus restreint. Bien qu’aucune information précise ne soit donnée, la narration implique fortement que les deux personnages principaux sont l’un homosexuel et l’autre lesbienne. Nous pouvons en déduire que leur vie sexuelle doit être relativement clandestine si l’on pense aux répressions homophobes de l’époque. Les dessins de Floc’h et le scénario de Rivière se complètent à la perfection. Du point de vue graphique, la trilogie reprend la formule classique de la ligne claire, inventée et développée par Hergé avec ses aventures de Tintin. Le style des dessins de Floc’h est aussi influencé par d’autres représentants de la ligne claire, comme E. P. Jacobs et Jacques Martin. Cette espèce de nostalgie provenant du contenu graphique se reflète dans la technique narrative et les obsessions littéraires de Rivière. Il réutilise et caricature les trames des livres d’énigmes et des romans policiers anglais. Ce qu’il apporte dans les BD recoupe ses connaissances en tant que critique littéraire et romancier connu. Rivière est devenu un biographe prolifique de personnages vedettes de la littérature anglaise et américaine. Comme l’on peut s’y attendre, il est fort intéressé par les polars et il a écrit des livres sur Agatha Christie, Patricia Highsmith et Enid Blyton. 15 Il a également beaucoup écrit à propos d’Hergé et de Jacobs, représentants de l’école belge de la bande dessinée. 16 La fascination que porte Rivière aux romans policiers explique ses tendances à se porter vers l’écriture expérimentale. Il était un des membres fondateurs de l’OULIPOPO (Ouvroir de Littérature Policière Potentielle) et un représentant du Nouveau Roman. De plus, Rivière est l’auteur de nombreux livres du type des romans policiers anglais. 17 Tout comme les BD en question, ses ro- 47 mans se situent dans le monde fictif de l’édition et reprennent souvent les lieux et les trames narratives associés à la littérature anglaise et au genre du polar, comme par exemple la ville de Torquay où Agatha Christie passa sa jeunesse et où se déroule son premier roman, The Mysterious Affair at Styles. Rivière est devenu, avec les années 90, un auteur apprécié de la BD. Il est le porte-parole de la série populaire Victor Sackville et de Maître Berger, pour ne mentionner que deux de ses contributions. 18 Le seul auteur contemporain de BD à avoir influencé davantage autant de disciplines parallèles au sein de cette élite intellectuelle de la culture francophone est probablement Benoît Peeters. Le fait que fort peu d’attention soit prêté à Rivière, à part quelques magazines pointus, tels que les Cahiers de la Bande dessinée, est un symbole de la position relativement affaiblie de la BD, surtout dans le milieu universitaire anglais. Ce qui est paradoxal, compte tenu de la promotion par Rivière de la littérature anglaise auprès du public français. Malgré cet écart, le premier prix de BD de la ville d’Angoulême fut décerné en janvier 2006 à Floc’h et Rivière pour Olivia Sturgess 1914-2004, un album de synthèse dérivé des précédents. L’univers imaginaire d’Une trilogie anglaise, qui se compose de hameaux endormis aux charmantes maisonnettes et chaumières et des rues bruyantes de la City de Londres, peut, d’une certaine façon, être interprété comme une convention littéraire dont l’objectif est tout simplement fonctionnel. Ainsi que Sigmund Freud l’avait impliqué dans son fameux pamphlet à propos du surnaturel, le besoin d’établir une ambiance de normalité est nécessaire afin de créer un univers mystérieux. 19 En d’autres termes, une littérature du mystère ou du surnaturel efficace se doit d’établir cette atmosphère de tranquillité en la ville afin d’introduire avec un maximum d’effets les situations étranges et hors du commun. La représentation par Floc’h et Rivière de cette vie ordinaire anglaise est dans cette perspective fort bien construite. Les belles pelouses du sud de l’Angleterre entretenues avec soin que Floc’h nous présente sont autant de mirages pour animer subtilement les horribles meurtres commis aux alentours. De la même manière, dans le milieu ordonné et élitiste de l’édition où évoluent Albany et Sturgess, ce sont leurs vêtements chics et leur style de vie bourgeois qui contrastent fort bien avec cette violence qui, par moment, jaillit comme de nulle part dans les deux premiers albums de la trilogie. Il faut noter d’ailleurs, que ces mêmes régions proches de Londres, où Floc’h et Rivière placent leurs personnages apparaissent par tradition dans la littérature en combinant leurs caractéristiques de style de vie bourgeois, bien tranquille, avec une tendance au macabre et au surnaturel. C’est ainsi que H. G. Wells a fait atterrir l’engin spatial des Martiens près de Woking dans le Surrey. Sir Arthur Conan Doyle vécut un certain temps dans les environs, écrivant dans une maison avec une vue idyllique sur la frontière entre le Surrey et le Sussex, près d’Haslemere. Toujours dans le Surrey, Aldous Huxley passa sa jeunesse à Godalming, petite ville toute proche d’un fleuve pittoresque. Après avoir brièvement aperçu Agatha Christie dans Rendez-vous de Sevenoaks, nous apprenons qu’elle a disparu près du Newlands Corner, près de Guildford (un comportement qui fut 48 probablement déclenché par la liaison de son mari avec une femme de Godalming). La liste est longue… Lewis Carroll et l’acteur de films d’horreurs Boris Karloff sont tous deux enterrés dans le comté du Surrey, à Guildford. C’est dans cette ville que vivait parfois Freeman Wills Crofts, l’auteur de polars, et où se situe son Crime at Guildford. 20 Plus récemment, l’écrivain de science-fiction J. G. Ballard a perpétué cette tradition à utiliser les environs de Londres et du Berkshire comme lieux privilégiés de la littérature populaire d’anticipation. Quand Sevenoaks fut initialement publié à la fin des années 70, son The Unlimited Dream Company apporta une contribution importante à cette tradition littéraire que je viens d’esquisser. 21 En résumé, la trilogie de Floc’h et Rivière se situe dans une riche tradition littéraire psycho-géographique qui est saturée de lieux auxquels les auteurs ont sans cesse recours. Floc’h et Rivière ne sont certainement pas les premiers, et ils ne seront pas les derniers à exploiter cette formule qui consiste à choisir une communauté bourgeoise du sud de l’Angleterre d’apparence paisible au premier par y mettre en scène des histoires fantastiques, de meurtres ou d’horreur. Les Français ont d’ailleurs souvent une prédilection pour les histoires de meurtres sur fond de paysages anglais. Ainsi que nous le fait remarquer Murch dans son fameux compte rendu sur les polars anglais, américains et français, les histoires de Conan Doyle étaient lues en version française par un large public. 22 Il y eut d’autres pastiches, bien avant Une trilogie anglaise. Maurice Leblanc avait fait une satire du roman policier anglais avec Arsène Lupin contre Herlock Sholmès (1908). Marcel Aymé continua plus tard dans la même veine avec L’Affaire Touffard (1934). 23 Mais il existait, à part Doyle, d’autres écrivains qui étaient lus en français. La fameuse série Le Masque, avec sa librairie des Champs-Elysées, avait à ses débuts publié en exclusivité des titres provenant des romans policiers de l’école littéraire anglaise. Sous les auspices de l’éditeur de séries Albert Pigasse, le premier livre publié fut une étude expérimentale d’Agatha Christie, Le Meurtre de Roger Ackroyd, dont les ventes furent apparemment faibles. 24 Ces livres étaient cependant fort populaires et d’autres maisons d’édition publièrent d’autres traductions de livres policiers anglais. Il est étonnant de voir des auteurs de polars anglais comme Leslie Charteris rejoindre Georges Simenon chez Gallimard. C’est ainsi que, dans Une trilogie anglaise, Floc’h et Rivière ne font que réinterpréter un genre de littérature francophone déjà assez bien établi - le roman policier anglais. Ils alimentèrent cette fascination européenne pour la littérature anglaise d’anticipation déjà répandue par un bon nombre de traductions dans les années 20 et 30. Au delà des frontières françaises, Scherz, une maison d’édition suisse allemande, publia à son tour une série de titres analogues en allemand. Démontrant la position internationale du genre, une édition en Esperanto, Murder on the Orient Express d’Agatha Christie fut publié en 1937 en traduction, sous le titre Murdo en la Orienta Ekspresso. 25 Nous pouvons aussi insérer l’œuvre de Floc’h et Rivière dans la tendance européenne en vogue au cours des années 60, laquelle consistait à prendre Londres comme toile de fond dans les films „branchés“ du cinéma européen. Les films de 49 Michelangelo Antonioni, de Roman Polanski et de François Truffaut s’étaient appropriés l’image littéraire de Londres et du sud de l’Angleterre en lui rendant, ingénieusement, une ambiance mystérieuse. C’est de façon sensationnelle que, dans son film Blow-up, Antonioni s’appuya sur le concept du „meurtre et mystère à l’anglaise“ et qu’il l’unira à l’angoisse moderniste touchant à la connaissance et à la vérité. C’était d’ailleurs un second film, de la même veine que I Vinti (1952). Dans celui-ci, bien moins connu, Antonioni avait déjà repris d’une manière ironique le genre de l’histoire policière. Le film raconte comment un journaliste londonien, jeune et ambitieux, devient un meurtrier afin de voir publier ses articles en exclusivité à la une des journaux. Tout comme Blow-up, le film est une satire des médias et réinterprète le style des polars anglais pour présenter une polémique sociale ironique. Il est évident qu’Une trilogie anglaise peut être comparée à ce type de cinéma. La trilogie utilise également Londres et le sud de l’Angleterre, avec, par décors, ses classes sociales moyennes. Suivant aussi la méthode adoptée par Antonioni, la BD va renouveler la tradition littéraire des années 20 et 30 en déployant une narration moderne et en posant des questions philosophiques portant sur la fiabilité de la narration, de l’image et des droits d’auteur. Il vaut la peine de souligner, au passage, qu’ironiser sur ce genre de littérature anglaise était populaire dans le cinéma des années 70. Le film de Billy Wilder, The Private Life of Sherlock Holmes connut un succès mondial en 1970. Même réussite en 1978 pour une comédie britannique basée sur The Hound of the Baskervilles avec Dudley Moore et Peter Cooke en tête d’affiche. Une trilogie anglaise est bien sûr d’un niveau intellectuel supérieur à ces deux références. Toutefois la trilogie utilise aussi une formule mélangeant sérieux et ironie. Pourquoi cette manie d’associer le mystérieux et le modernisme à l’Angleterre, est-elle tellement en vogue en France et partout Outre-Manche? Comme je l’ai partiellement suggéré, à l’époque de la publication d’Une trilogie anglaise, ce genre littéraire et artistique à la mode était relativement établi. Floc’h et Rivière avaient ajouté une forme de culture reconnue qui, d’une certaine façon, était tout aussi française que britannique. Une fois traduite et exportée, cette littérature policière avait fait reconnaître ce mouvement littéraire dans l’imagination collective. Des films de la ‘nouvelle vague’ européenne, notamment ceux d’Antonioni, avaient ouvert le chemin de productions expérimentales françaises telles qu’Une trilogie anglaise. Un certain nombre de réarrangements satiriques des aventures de Sherlock Holmes préfiguraient des représentations plus ironiques des Anglais avec le côté absurde de leurs intrigues policières. Les implications sociales à tirer des tendances que je propose sont toutefois encore plus complexes. Pour simplifier, nous pouvons suggérer que les Français et les Européens avaient tendance à décrier leurs voisins d’une manière qui était politiquement équivoque. Ces histoires à énigmes situées en Angleterre (que ce soient des productions françaises et européennes ou des traductions de l’anglais) reflétaient une certaine nostalgie à l’égard de la tranquillité et de l’aisance qui caractérisent le sud de l’Angleterre et la capitale. Mais elles apportaient également une atmosphère de menace, de violence inhé- 50 rente à la spécificité anglaise en Grande-Bretagne. Ces conceptions de l’excentricité britannique et de son individualisme semblent être célébrées dans une œuvre telle qu’Une trilogie anglaise. Albany et Olivia sont des héros intelligents, attrayants, qui réagissent au monde tourmenté qui les entoure. Leurs vies sociales semblent paisibles et enrichissantes (bien que leurs identités sexuelles paraissent réprimées). Ils sont bien dans leur peau, ils pratiquent des sports individuels, le tennis et le golf, ainsi que d’autres passe-temps sans oublier l’écriture bien sûr. Autant d’indices qui suggèrent une admiration anglophile pour la société libérale qui engendra cette élite aisée. D’odieux crimes sont cependant commis et il semble qu’une vague de violence rende cette tranquillité éphémère. Le moins que l’on puisse dire, c’est qu’Une trilogie anglaise confirme l’existence de la dualité entre fascination et répulsion qui est en jeu quand un Français analyse un Anglais par l’intermédiaire du polar. De plus, l’association d’actes de violence à une culture étrangère risque de frôler la xénophobie ou, dans notre cas, de traduire tout simplement une anglophobie traditionnelle. Mais nous devons rester prudents et nous méfier d’une telle affirmation. Tout d’abord, ce sont les maisons d’édition britanniques, les écrivains et leurs traducteurs qui ont exporté cette littérature équivoque d’English murders. En remaniant ce genre littéraire, Floc’h et Rivière ne font qu’ajouter leur part d’admiration à une tradition déjà présente dans le contexte anglais. Floc’h et Rivière sont néanmoins prudents en se gardant de trop glorifier leur interprétation des crimes et du mystère de la haute société. Etant Français, ils profitent de leur position à l’écart, étant français pour proposer leur version. Malgré les belles théières en porcelaine et les petits gâteaux à la crème, nos deux artistes donnent parfois dans leurs albums une image peu flatteuse des classes sociales anglaises. La couverture de la seconde édition du Dossier Harding nous donne un indice du malaise qui existe entre les classes sociales. Ce dessin montre Albany se faisant agresser par deux voyous loin de son appartement situé dans le quartier chic de Soho Square. Au lointain, nous devinons quelques grues des chantiers portuaires. C’est un clin d’œil politique: quand le bourgeois intellectuel Francis Albany se retrouve dans les quartiers mal famés de la ville, il doit s’attendre au pire. Une description détaillée des bars fréquentés par la classe ouvrière, nommés ‘The Dark Sheep’, ‘The Friend at Hand’ ou encore ‘The Three Colt Tavern’, apparaît tout au long de la trilogie. Ces bars sont des clichés bien ancrés dans le milieu spécifique anglais qui instaure un climat d’intimidation dans les albums. Placés parfois dans l’ambiance prolétaire des bars, les écrivains se sentent angoissés et coupables d’appartenir à une classe supérieure. Ces tableaux vivants rappellent aux lecteurs que résoudre un crime est plus facile que d’être confronté à des problèmes sociaux, Floc’h et Rivière sachant pertinemment bien que l’ensemble de l’Angleterre est loin de vivre dans l’aisance d’un Francis ou d’une Olivia et que les barrières de classes sont difficiles à renverser. Le Français est, chez lui, bien conscient du rôle restreint qu’avait l’élite littéraire anglaise (si séduisante qu’elle fût) dans la hiérarchie complexe du système de classes. 51 Pour quelles autres raisons un écrivain et un dessinateur français se tourneraient-ils vers l’Angleterre? Cette intention de faire l’éloge d’un pays étranger (avec ses villes et ses campagnes), de louer ses écrivains (avec les hommages tacites au polar anglais) pourrait aussi suggérer un désir de fuir les pesantes traditions de la culture française. Ces albums, ainsi que la plupart des livres de Rivière, symbolisent un rejet audacieux de la tradition populaire de la littérature française - à l’exception bien sûr du rôle des English detectives dans cette tradition et de ses liens avec le Nouveau Roman. Sortir du patrimoine de sa culture pour tenter de créer une œuvre influencée par une tradition littéraire étrangère revient à un acte implicite d’autocritique reniant son héritage national ou du moins à un acte d’exil volontaire. Cela correspond à une stratégie d’insoumission reflétée par le désir de faire de la BD, un art qui connaît beaucoup de succès mais qui, jusqu’à une période récente, possédait de moindres valeurs culturelles que les arts plus traditionnels comme, par exemple, le roman, le théâtre ou la poésie. C’est donc un double reniement des institutions françaises que de créer une BD English, ce qui est une preuve supplémentaire de leur audace. C’est aussi, potentiellement, une stratégie qui donne à l’écrivain l’opportunité de découvrir des références qui ne sont pas toujours disponibles dans des contextes plus traditionnels. Il est discutable que l’emploi d’un genre de culture étrangère (le polar anglais) avec ses couleurs locales (l’Angleterre 1900-1965) sous forme de bande dessinée ait facilité l’introduction d’un élément radical supplémentaire: les tendances homosexuelles et lesbiennes implicites des deux détectives. Ceci n’est qu’une thèse purement spéculative. Ces histoires sont cependant d’une unité harmonieuse et c’est précisément pour cela qu’elles regroupent tant d’éléments radicaux. Une trilogie anglaise est imprégnée de nostalgie pour les années 40. Floc’h nous dépeint Londres avec compassion (y compris ses quartiers ouvriers parfois menaçants). Les dessins saisissent avec beaucoup de justesse ce milieu de librairies désuètes, de jardins publics „à la Bloomsbury“ et de maisons traditionnelles de l’époque géorgienne, le tout sur fond rassurant d’autobus rouges à deux étages. Des boîtes aux lettres écarlates ornent chaque coin de rue, tandis qu’on voit passer taxis noirs et les cyclistes pédalant vers leur travail. La banlieue abonde de détails pittoresques. Les albums nous révèlent un monde de parterres de gazon, de haies verdoyantes et de signes clignotants Belisha, sans oublier les villages rustiques. Le Dossier Harding, par exemple, dépeint toute la couleur locale à laquelle un touriste pourrait s’attendre. Nous découvrons bien sûr „Burton Lodge“, l’imposant manoir de Sir Christopher Harding, probablement imaginé par l’architecte Sir Edwin Lutyens et entouré d’un jardin dessiné par Gertrude Jekyll. De larges haies bordent les pelouses et assurent l’intimité. Non loin, Floc’h situe un terrain de golf où nous retrouvons Francis et Olivia discutant de l’évolution de leurs enquêtes. Peu après, nos deux détectives amateurs traversent le village, permettant au lecteur d’observer, comme sur les cartes postales, ces chaumières pittoresques aux jardins soigneusement entretenus. Pourquoi toute cette ambiance nostalgique, alors que d’autres auteurs de bandes dessinées, notamment Enki Bilal, ver- 52 saient dans la science-fiction ou dans le fantastique? Quand Sevenoaks fut publié à la fin des années 70, „retro-art and literature“ était toujours en vogue. La tendance évoluait vers des représentations violentes (au cinéma, en littérature) du Fascisme, du Nazisme et de la question de l’Holocauste. 26 D’un jour à l’autre, à la fin des années 70, des révélations furent faites qui qualifiaient l’Histoire française de „sale affaire“, avec un passé gênant et douteux. Pour l’époque, Floc’h et Rivière, en choisissant de situer leurs albums dans l’Angleterre des années 40, avaient pris un rendez-vous relativement tranquille avec l’Histoire. Leurs bandes dessinées suivaient cette mode rétro de l’entre-deux-guerres et de la guerre ellemême mais évitaient de vives controverses politiques en choisissant un passé anglais. Une trilogie anglaise devient une publication d’autant plus nostalgique qu’elle évite les débats et les embrouilles d’un passé français récent. Elle ne soulevait pas de questions embarrassantes qui auraient pu diviser le public en France. Nous est offerte à la place une énorme quantité de merveilleux dessins représentant les années 20, 30 et 40. Deux albums supplémentaires de la série révèlent l’admiration de Floc’h et de Rivière pour l’histoire récente de l’Angleterre, parce qu’elle a évité la honte d’une collaboration avec le Nazisme. Blitz et Underground racontent comment Londres a malgré tout survécu aux bombardements. 27 Certains incidents de cette sombre époque (les ‘Blackshirts’ anglais; le marché noir) ne parviennent pas à troubler une période marquée par un désir commun de résistance face à l’ennemi, une qualité bien ‘British’. Ainsi que Rivière le note dans la préface de Blitz: „Londres vivait plus que jamais“. Ces BD et Une trilogie anglaise rappellent que les Européens en général admirent l’expérience britannique des années 40, un sentiment que les Anglais ignorent en grande partie, présumant, à tort d’ailleurs, que les Américains sont leurs seuls amis. De même, il est facile de soutenir que les pays d’Europe se reposent uniquement sur leur passé pour créer leur mythologie. Ces BD et tout particulièrement Underground montrent que beaucoup de Français apprécient l’histoire récente anglaise et l’héroïsme des Londoniens. Au delà des formules modernistes, il est clair que l’œuvre de Floc’h et de Rivière révèle un attachement profond pour Londres en guerre. C’est un point de vue européen qui trop souvent passe inaperçu. Cependant, une partie de cet attachement nostalgique n’avait rien à voir avec l’Angleterre ou bien indirectement seulement. Recréer Londres en images et textes s’inscrit dans la grande tradition de la BD francophone. Avec l’esthétique de sa ligne claire, avec le mystérieux de ses scénarios et de ses décors anglais, la trilogie rend un hommage touchant à l’œuvre de E. P. Jacobs à ses débuts. La série de science-fiction et d’anticipation avec son ‘Blake et Mortimer’ fut une bande dessinée qui connut un succès foudroyant dans les années 50 et 60 et qui influença beaucoup d’artistes. Une trilogie anglaise est parsemée de rappels montrant l’influence et l’empreinte Jacobsienne. A part la reprise des mêmes lieux - Londres - (La Marque Jaune) et de l’atmosphère des romans d’anticipation, d’autres clins d’œil au Maître sont apparents. Francis Albany et ‘Francis Blake’, le détective de 53 Jacobs, se partagent le même prénom. Détail moins facile à détecter, à la seconde page de Rendez-vous de Sevenoaks; dès son entrée dans une librairie, Croft tombe sur de vieilles éditions, en particulier un roman d’espionnage d’antan, The Mask of Dimitros, d’Eric Ambler. Tout près se trouve Three Blind Mice et Crooked House d’Agatha Christie. Et puis, au premier rang, un titre de livre complètement fictif: Mega Wave, du Dr. J. Wade. Ce roman avait apparu dans La Marque Jaune de Jacobs. C’est un texte scientifique imaginé, un plagiat tout comme le livre de Croft. Ces clins d’œil de Floc’h et Rivière rendent hommage à l’école belge de la bande dessinée et tout particulièrement à Jacobs. Une trilogie anglaise reproduit avec émotion les éléments et les formules classiques de la BD francophone. La date de parution de la trilogie est importante. A la fin des années 70, début 80, la ligne claire tombait en désuétude. Une nouvelle génération d’artistes orientait la BD dans des directions expérimentales et stimulantes. A l’unisson, ils rejetèrent la ligne claire et la composition des planches. Les dessins détaillés comptaient moins et ils se transformèrent en illustrations encore jamais vues auparavant au long des planches éclatées. Le choix de style de Floc’h et Rivière fut donc une intervention nostalgique. Ce n’était pas la nostalgie d’une culture différente qu’ils recherchaient, mais un retour aux débuts de la bande dessinée. On associe souvent la mélancolie et la nostalgie à une disparition ou à la mort. Il est souvent dit qu’une disparition ou la mort provoquent les états pathologiques de la mélancolie et de la nostalgie. J. B. Pontalis prétend qu’une personne nostalgique n’aspire pas à une époque révolue, à un retour ‘au bon vieux temps’. 28 Elle essaye plutôt de réinterpréter sa jeunesse qui consistait à accomplir des choses pour la première fois, c'est-à-dire à s’attendre constamment à de nouvelles expériences. Cet espoir de retour à l’enfance est, à la rigueur, une tentative pour contester ou fuir sa mortalité. Si nous approuvons cette définition, Une trilogie anglaise est une œuvre nostalgique presque parfaite. La série de Floc’h et Rivière évoque les deux aspects de cet état pathologique défini par Pontalis. D’une part, nous trouvons cette savoureuse transposition de l’esthétique de la BD des années 20- 50 (la ligne claire) et de la Grande-Bretagne des années 40. D’autre part, nous sommes témoins tout au long du récit de représentations graphiques de la mort et de brusques disparitions. Nous assistons à des crimes sanglants, à un accident de la route et à la tragédie du naufrage du Titanic. Ces allusions à la mort réveillent chez le lecteur la conscience de la finalité de la vie et encouragent le goût de la nostalgie. Ce désir de mélancolie, stimulé par les événements tragiques de l’histoire, s’oppose à la beauté réconfortante de la ligne claire et à l’époque judicieusement représentée des années 40. La bande dessinée fonctionne en ellipse d’une façon tout à fait rassurante. Le désir de nostalgie est formé, puis immédiatement comblé. Le fait que ces tendances soient conçues dans le dépaysement (Londres, l’Angleterre) met l’accent sur cette atmosphère. Voici donc, une fois de plus, une Grande-Bretagne ‘des Lettres’ tout à fait reconnaissable, avec les allusions aux romans policiers de notre jeunesse, ce qui intensifie l’atmosphère rétro. C’est rassurant, aussi, puisque les références aux lectures habituelles des enfants 54 (bandes dessinées; romans policiers) renvoient les lecteurs à leurs premiers polars traduits de l’anglais. D’après Irène Pennacchioni, ce qui est d’ailleurs sujet à caution, toutes les bandes dessinées génèrent une impulsion nostalgique chez le lecteur. 29 La BD répète, modifie ou inverse les scénarios favoris des livres de jeunesse. La BD renvoie les lecteurs au monde de l’enfance où l’écrit ne supplante pas l’image. De même, les personnages dans la BD sont souvent jeunes ou passent à la maturité. Souvenez-vous, Une trilogie anglaise utilise ce procédé de scénario dans le troisième album, A la Recherche de Sir Malcolm. Dès lors, nous pourrions penser que le succès de la bande dessinée dans les pays francophones est dû à un besoin de nostalgie et est symptomatique d’une appréhension collective de la mort. Pour terminer, une question intéressante se pose si la phrase précédente a du sens. Où placer les Anglais avec leur désinvolture et leur manque d’intérêt pour la bande dessinée? Mais laissons, pour l’instant, cette question rhétorique en suspens et voyons plutôt ce que les lecteurs anglais pourraient apprendre d’eux-mêmes s’ils venaient à lire Une trilogie anglaise. Une leçon pertinente donnée aux Anglais La trilogie est ancrée dans l’ambiance nostalgique des années ‘mode rétro’ et elle trouve sa place au sein de cette fascination européenne pour les romans policiers anglais. De plus, Une trilogie anglaise fait aussi allusion à une variété de sujets susceptibles d’intéresser l’étudiant en histoire et littérature anglaise. Ces premières BDs, suivies de l’album récent, Olivia Sturgess, 1914-2004, démontrent l’importance de la fiction anglaise au milieu du vingtième siècle. Cet album est instructif et important parce qu’il rappelle aux professeurs et aux universitaires une période et des auteurs souvent négligés. Olivia Sturgess 1914-2004 offre une quantité imposante d’informations sur la littérature anglaise de l’entre-deux-guerres, de la guerre et des années 50. L’album propose un documentaire fictif de la BBC sur la romancière. Tout au long de l’histoire, Albany et Sturgess rencontrent toute une panoplie d’écrivains renommés. Tout comme les références à Jacobs, de nombreuses personnalités littéraires de la génération des années 30 à 50 sont évoquées ou mentionnées dans le texte, comme par exemple Graham Greene et Evelyn Waugh. Somerset Maugham et André Maurois font même la connaissance de Francis et Olivia - et les romanciers à suspense, Ian Fleming et Eric Ambler sont mentionnés en plus de ces fameux protagonistes. Il en est de même pour des écrivains moins connus tels que Patrick Hamilton, auteur d’Hangover Square et du scénario de Rope, un film de Hitchcock, dans Le Dossier Harding. La tombe d’Hamilton se trouve à côté de celle de Harding. D’une manière plus évidente, le personnage d’Olivia Sturgess est basé sur des auteurs parfois connus, parfois moins: de Virginia Woolf à Katherine Mansfield, Mary Butts, Patricia Highsmith et Agatha Christie. 55 Tout ce beau monde littéraire est décrit par Floc’h et Rivière comme attrayant et érudit. La lecture de ces BD nous donne envie de découvrir ou de redécouvrir ces gens de lettres et autres écrivains qui ne sont plus lus de nos jours. Il est heureux que nos deux auteurs français nous fassent partager leur passion contagieuse pour la littérature anglaise, d’autant plus que la tendance critique populaire avait suggéré que les décennies entre 1930 et 1980 n’apportèrent rien de bien passionnant. 30 Des Graham Greene, Evelyn Waugh et Somerset Maugham méritent sûrement autant notre attention aujourd’hui que des auteurs en vogue, tels qu’un Ian McEwan, un Salman Rushdie ou encore une Jeannette Winterson! Ainsi, l’œuvre de Floc’h et Rivière accomplit une admirable mission européenne de sauvetage du roDman anglais. Les albums nous rappellent que le roman anglais ne s’est pas dissipé dans un brouillard londonien et que ses représentants si divers écrivaient des choses étonnantes. La série de Floc’h et Rivière redécouvre et embellit un ‘âge d’or’ des romans de fiction populaire. Les auteurs chorégraphient toute une troupe littéraire qui mériterait une meilleure attention ici en Grande-Bretagne. Le cas de la réputation d’Agatha Christie donne beaucoup à réfléchir. D’un côté son étoile brille toujours et elle est réputée pour ses romans policiers aux habiles intrigues. De l’autre, ses livres en Angleterre sont devenus synonymes d’adaptations télévisées populaires. Pratiquement tous ses romans ont étés adapté pour le petit écran anglais. La réputation de Christie comme auteur en a, par conséquent, souffert. Les films d’Hercule Poirot et de Miss Marple sont devenus trop familiers. Ces intrigues sont souvent trop simplifiées pour la télévision et deviennent peu à peu des formules toutes faites. Ces adaptations ou ces reconstitutions dramatiques dérivées sont rabâchées à la télévision anglaise depuis le début des années 80. Il semble que les séries d’enquêtes ‘à la Poirot’, ainsi que d’autres parodies (Inspector Morse; Midsomer Murders; Rosemary and Tyme) ont nui à la réputation d’Agatha Christie, parce que simplifiant son style à l’extrême. Il y eut de mémorables interprétations dans les feuilletons et au cinéma, notamment par Sir Peter Ustinov et John Suchet. Mais les chaînes de télévision exercent un contrôle si important dans les productions du genre ‘énigmes policières’ que les romans d’Agatha Christie sont à présent fort peu lus. L’universitaire Nickianne Moody manque certainement d’audace quand elle affirme que le polar à la télé assure la vente de livres et crée des icônes culturelles. 31 C’est possible… Mais les adaptations télévisées ont aussi ravalé Agatha Christie à un niveau médiocre d’une culture de masses. La télévision peut avoir un effet parasite regrettable sur l’écrit. Dans le contexte, Une trilogie anglaise nous rappelle que les romans d’Agatha Christie étaient, à l’origine, des créations littéraires. La trilogie, avec ses allusions directes à l’œuvre d’Agatha Christie, qui rencontre Albany et Sturgess au début du Dossier Harding, tend à la considérer avant tout comme un auteur. Les judicieux hommages de Floc’h et Rivière nous invitent à réapprécier les romans d’origine avec leurs gracieuses touches d’humour et leurs tournures de phrases aussi sobres qu’élégantes. En lisant ces BD, nous n’avons plus envie de regarder ces films à la télévision. De plus, la lecture de ces albums nous stimule et nous récompense en 56 replaçant Christie sur son piédestal littéraire. Rien que pour cette raison Une trilogie anglaise mérite d’être traduite en anglais le plus vite possible. D’autres leçons historiographiques sont évidentes. La présence de ‘l’occulte’ dans les BD, avec surtout les événements macabres décrits dans Rendez-vous de Sevenoaks, nous rappellent la place importante de l’ésotérisme dans l’Histoire anglaise contemporaine. Ce sujet est trop souvent ignoré dans les comptes rendus historiques populaires. Et pourtant ces croyances en l’occulte et la magie étaient fort courantes dans les mœurs anglaises. Des écrivains connus, tel Conan Doyle, croyaient au spiritualisme et à l’existence des fées. Des écrivains comme Katherine Mansfield communiquaient avec d’étranges illuminés tels que Gurdjieff. Des modernistes, comme le poète Yeats, recherchait une union intime avec le monde du mysticisme. Même des tacticiens militaires de la vieille garde, comme le conseiller aux déploiements de chars d’assaut, JFC Fuller, étaient en contact avec le Sataniste notoire Aleister Crowly. 32 A. N. Wilson nous apprend dans son After the Victorians que nombreux furent les adeptes du paranormal, peu importe la classe sociale d’où ils étaient issus. Cette mentalité se retrouvait apparemment ‘de haut en bas’ et même le Premier Ministre Arthur Balfour, avec l’aide d’un médium, prétendait avoir reçu de l’au-delà plus de 20.000 lettres d’une de ses maîtresses. 33 Agatha Christie et d’autres écrivains renommés nous racontaient des histoires issues du surnaturel. Son livre The Sittaford Mystery est un bon exemple. 34 Un auteur contemporain, Dennis Wheatley, fut extrêmement populaire avec ses romans d’épouvante et d’anticipation. 35 Le choix d’une ambiance occulte dans Sevenoaks est important. L’introduction de celle-ci invite le lecteur anglais à se pencher sur un passé historique récent, dont je tracerai à présent les grandes lignes. Ce penchant pour le surnaturel s’accompagne d’un certain malaise dans une politique ‘Whig/ néo-libérale’ qui reste dominante. Ces tendances à l’étrange et à l’inexplicable de l’Histoire britannique et européenne avaient souvent attiré l’attention des écrivains français, notamment Louis Pauwels et ses recherches sur Gurdjieff et plus tard en tant qu’éditeur du magazine Planète. 36 Les intellectuels anglais (les critiques littéraires; les historiens; les théologiens) furent cependant bien plus récalcitrants. La popularité de la pensée ésotérique en Angleterre n’est jamais mentionnée dans la plupart des livres d’Histoire, ni dans les notes de recherches bien connues d’Arthur Marwick, Alan Sked ou de David Cannadine. 37 Et cependant, l’intérêt populaire croissant pour l’occulte fut probablement le prix que les Anglais durent payer pour leur politique bornée de développement économique libéral. Ces superstitions jouaient le rôle d’une sorte de processus de répit envers le nationalisme des forces du marché. Elles consolèrent étrangement les générations qui subirent les pertes des deux guerres. Une trilogie anglaise fixe ce processus socioculturel au centre de sa narration. Elle stigmatise une ambiguïté historique. L’ordre social britannique, avec son marché libéral, fut toujours accompagné d’une doctrine irrationnelle face au comportement bien plus étrange des classes sociales et de l’imagination littéraire. 57 Une trilogie anglaise nous rappelle enfin que les romans de fiction, comme les polars et la bande dessinée, entretiennent une relation complexe avec la thématique de l’identité nationale. L’introduction et le mélange d’influences culturelles françaises, belges, britanniques, et en grande partie nord-américaines (Poe; Lovecraft) dans une seule œuvre, permet à nos auteurs d’évoquer l’héritage mondial de ce genre populaire de littérature. L’œuvre hybride - combinant Agatha Christie avec une narration de style Nouveau Roman et avec l’esthétique de la ligne claire - est une élégante revendication mondiale. Par dessus tout, les albums nous précisent que ce fut toujours le cas en littérature de fiction populaire. Comme je l’ai noté précédemment, les romans policiers et les livres d’anticipation réussirent à traverser les frontières grâce aux nombreux adeptes francophones de la littérature anglaise. Il en allait de même avec les auteurs français qui, depuis la Grande Guerre, faisaient partie du milieu littéraire britannique. Les traductions du français étaient plus répandues qu’on peut le penser. Les lecteurs de romans populaires semblent avoir apprécié une littérature autre que les polars traditionnels anglais. L’inspecteur Maigret des romans de Simenon connut un succès évident. Dans la catégorie des romans d’aventure, les histoires coloniales de Pierre Benoît gagnèrent une part des marchés anglais et nord-américains, ainsi que les contes romantiques de Paul Morand sur les années folles. Des recherches supplémentaires allongeraient la liste des incursions françaises sur le marché britannique, ainsi que des romans publiés vers le milieu des années 50, Bonjour Tristesse de Françoise Sagan et les textes romantiques de Louise de Vilmorin. 38 Ce côté international des habitudes de lecture de la première moitié du vingtième siècle - par l’intermédiaire des traductions de fiction populaire - est trop souvent négligé par l’intelligentsia littéraire. Cette expansion mondiale mérite une plus grande attention car ce fut une tendance dominante. Conclusion L’auteur de cet article ose espérer qu’une bande dessinée peut être une source de références pour l’historien ou le critique littéraire. Nous avons pu constater qu’Une trilogie anglaise nous éclaire sur les cultures française et anglaise. La trilogie illustre l’amour des Français pour la culture de la nostalgie. La trilogie révèle une certaine sympathie pour le mode de vie britannique avant, pendant et après la seconde guerre mondiale. Avec sa ligne claire de style classique et ses nombreuses références textuelles et visuelles, la trilogie suggère une grande nostalgie pour l’époque d’Hergé et de Jacobs, la ligne claire perdant vite de sa popularité à la fin des années 70 et 80. L’œuvre nous rappelle la renommée mondiale des romans policiers anglais. Les romans, de Conan Doyle à Agatha Christie, étaient traduits en masse depuis le début des années 1900, révélant ainsi à beaucoup d’Européens une représentation de la société britannique. Bien avant sa première visite à Londres, le lecteur français connaît déjà fort bien le brouillard des rues de 58 la capitale, ses jardins publics à la ‘Hyde Park’ et, bien sûr, ses fameux romans policiers. Tous ces clichés abondent dans Une trilogie anglaise, qui en rajoute même bien d’autres encore. Toutefois, ces stéréotypes juxtaposent par leurs idées de fond des styles narratifs expérimentaux, des vies sexuelles ambivalentes et des exagérations ironiques. A la lecture de cette trilogie, l’Anglais ne peut s’empêcher d’être flatté par les petits détails judicieusement choisis et les chutes habilement abouties. Nous apprenons des choses intéressantes. La série nous rend un grand service en nous rappelant le génie d’Agatha Christie et en sauvant la réputation de la romancière malgré certaines adaptations télévisées douteuses. La trilogie nous présente encore des écrivains peu lus de nos jours - Amis, Greene, Mansfield, Maugham, pour ne citer que quelques noms. L’œuvre pose également de passionnantes questions d’historiographie en évoquant ces lieux où règne l’occulte et en mentionnant l’ésotérisme dans la vie et la littérature anglaises. En conclusion, Francis Albany et Olivia Sturgess, avec leurs vies admirablement délimitées, sont de remarquables personnages de bandes dessinées. Une trilogie anglaise représente l’idée que se font les Français de l’Angleterre et des Anglais. La série invite même le lecteur anglais à reconsidérer son héritage culturel. L’œuvre de Floc’h et de Rivière démontre que beaucoup de choses peuvent être apprises du neuvième Art. Il n’y a, jusqu’à présent, qu’une avant-garde d’érudits et de médias qui se réfèrent à la BD. Il ne tient qu’à des historiens à l’esprit ouvert de décider s’ils désirent étoffer leur intérêt relativement récent pour le graphisme avec la bande dessinée. Il y aurait alors un risque de rupture avec les préjudices infligés non seulement au visuel mais aussi à la tradition des textes populaires comme sources de références historiques. Remerciements Je tiens à exprimer toute ma gratitude à Stéfan Moriamé, François Jardin et Eric Urvoy, qui ont œuvré pour que cet article puisse être publié en français. 1 Voir Shlomo Sand: Le XX e siècle à l’écran, Paris, Seuil, 2004, 461. 2 Marc Ferro: Cinéma et Histoire, Paris, Ed. Denoël, 1977. 3 Siegfried Kracauer: From Caligari to Hitler, Princeton, Princeton University Press, 1947. 4 Robert Rosenstone: Visions of the Past, Cambridge, MA., Harvard University Press, 1995. 5 Natalie Zemon Davis: Slaves on Screen: Film and historical vision, Cambridge, MA, Harvard University Press, 2000. 6 Voir, entre autres, Michael Hein: „What Haunts a Soldiers Mind“, in: Jan Baetens (ed.): The Graphic Novel, Leuven, Leuven University Press, 2001, 101-115; Gillian Banner: Holocaust Literature, Schulz, Levi, Spiegleman and the Memory of the Offence, London, Valentine Mitchell, 2000; Joshua Brown, „Of Mice and Memory“ in: Oral History Review 16.1 (1998): 91-109. 59 7 Benoît Peeters: La Bande dessinée, Paris, Flammarion, 1993; Jan Baetens: Formes et politique de la bande dessinée, Paris, Peeters Vrin, 1998; Thierry Groenstein: Système de la bande dessinée, Paris, PUF, 1995. 8 Jean-Claude Floc’h et François Rivière: Une trilogie anglaise, Paris, Dargaud, 1993. 9 Jean-Claude Floc’h et François Rivière: Le Rendez-vous de Sevenoaks, Paris, Dargaud, 1976; Jean-Claude Floc’h et François Rivière: Le Dossier Harding, Paris, Dargaud, 1979, Jean-Claude Floc’h et François Rivière: A la recherche de Sir Malcolm, Paris, Dargaud, 1983. 10 Margery Allingham: Flowers for the Judge, London, Heineman, 1936. 11 New York Detective Crime Club Trilogy - Eric Stanley Gardner, The Case of the Empty Tin, Agatha Christie, Evil under the Sun, Francis and Richard Lockridge, A Pinch of Poison, New York, Detective Crime Club, 1942. 12 Six Against the Yard: In which Margery Allingham, Anthony Berkeley, Freeman Wills Crofts, Father Ronald Knox, Dorothy L.Sayers, Russel Thorndike commit the crime of Murder which Ex-Superintendent Cornish is called upon to solve - Tales, London, Selwyn and Blount, 1936. 13 Eric Ambler: Double-Decker: The Complete Spy Novels, Cleveland, World publishing, 1945. 14 Voir l’excellent article sur Floc’h et Rivière de ‘Laurent V’: Floc’h et Rivière: construction d’une œuvre - www.artelio.org/ art.php3? id_article=1352. 15 François Rivière: Agatha Christie, duchesse de la mort, Paris, Champs-Elysées, 2001; François Rivière: Enid Blyton et le club des cinq, Paris, Les Quatre Chemins, 2004; François Rivière: Un long et merveilleux suicide: regard sur Patricia Highsmith, Paris, Calman- Lévy, 2003. 16 Benoît Mouchart et François Rivière: La Damnation d’Edgar P. Jacobs, Paris, Seuil, 2003. 17 Comme, par exemple, entre plusieurs romans, François Rivière: Le jardinier de Babbacombe, Paris, Editions du masque, 2000. 18 Francis Carin, François Rivière, et Gabrielle Borile: Victor Sackville, Le Code Zimmerman, Paris, Le Lombard, 2001; Dumas et François Rivière: Maître Berger: 1. L’hériter de Rochemont, Paris, Glénat, 1984. 19 Sigmund Freud: „The Uncanny“ in: Sigmund Freud: Art and Literature, vol. 14, London, Penguin, 1985 [1919]: 339-76. 20 Freeman Wills Crofts: Crime at Guildford, London, W. Collins and Co., 1935. 21 J. G. Ballard: The Unlimited Dream Company, London, Jonathan Cape, 1976. 22 A. E. Murch: The Development of the Detective Novel, London, Peter Owen, 1958, 195. 23 Maurice Leblanc: Arsène Lupin contre Herlock Sholmès, Paris, Collections Arsène Lupin, 1908; Marcel Aymé: „L’Affaire Touffard“ in Le Nain, Paris, Gallimard, 1934. 24 Elisabeth Parinet: Une histoire de l’édition à l’époque contemporaine, Paris, Seuil, 2004, 341-42. 25 Agatha Christie: Murdo en la Orienta ekspresso, Rickmansworth, Esperanto books, 1937. 26 Henry Rousso: Le Syndrome de Vichy, Paris, Seuil, 1990, 194-248. 27 Jean-Claude Floc’h and François Rivière: Underground, Paris, Albin Michel, 1996; Jean- Claude Floc’h and François Rivière: Blitz, Paris, Albin Michel, 1983. 28 J. B. Pontalis: Fenêtres, Paris, Gallimard/ Folio, 2000, 51-52. 29 Voir, Irène Pennacchioni: La nostalgie en images, Paris, Librairie des Méridiens, 1982. 30 Jago Morrison: Contemporary Fiction, London, Routledge, 2003, 4-8. 60 31 Nickianne Moody: „Crime in Film and Television“, in: Priestman (ed.): Crime Fiction, Cambridge, Cambridge University Press, 2003, 242. 32 Patrick Wright: Tank, London, Faber, 2001. 33 A. N. Wilson: After the Victorians 1901-1953, London, Hutchinson, 2005, 91-92. 34 Agatha Christie: The Sittaford Mystery, London, Collins, 1931. 35 Denis Wheatley: The Devil Rides Out, London, Hutchinson, 1935. 36 Louis Pauwels: Monsieur Gurdjieff, Paris, Seuil, 1954. 37 Arthur Marwick: Britain in a Century of Total War, London, Penguin, 1968; Alan Sked and Chris Cook: Post-war Britain: a political history, London, Penguin, 1979. David Cannadine: In Churchill’s Shadow, London, Allen Lane, 2002. 38 Voir Louise de Vilmorin: Juliette, trad. Alison Brothers, London, Harvill, 1952; Louise de Vilmorin: Love Story. trad. Francis Wyndham, London, Collins, 1957. Resümee: Hugo Frey, „Trafic d’Outre-Manche“: Über Une trilogie anglaise von Floc’h und Rivière zeigt wie die drei Alben der Krimi-Reihe Une trilogie anglaise (1993) von Claude Floc’h und François Rivière im Szenario und in den Zeichnungen England, Engländer und die Hauptstadt London zwischen 1920 und 1950 darstellen. Zwei interpretatorische Möglichkeiten eröffnen sich. Zum einen muß Une trilogie anglaise als ein dem kulturellen Kontext Frankreichs verpflichtetes Werk verstanden werden. Andererseits verdient die Trilogie Beachtung, was die konzise Schilderung des englischen Alltagslebens und die Auseinandersetzung mit englischer Literatur betrifft. Obwohl es sich bei diesen Comics um ein Pastiche englischer Kriminalromane handelt, entstehen höchst interessante und instruktive Bilder Englands, seiner Literatur und Gesellschaft. 61 Martin Vialon In memoriam Martin Hellweg (1908 - 2006) Philosophischer Romanist, Kritiker Martin Heideggers und Theoretiker des Sozialismus (Teil 2) IV. Der Briefwechsel Heidegger/ Marcuse und „Umfälschungen“ in den Vorlesungen „Einführung in die Metaphysik“ Die Beschwichtigungstaktik, die Heidegger im Humanismus-Brief anschlägt, erfährt eine weitere Rechtfertigung, die im Kontext des Briefwechsels mit seinem Schüler Herbert Marcuse zu situieren ist. 1 Zum gleichen Zeitpunkt, als Hellwegs Proletariatsschrift erschien, hatte Marcuse von seinem Freiburger Lehrer ein klärendes Wort gefordert. Nicht zufällig wurde der erste Brief am Tag von Goethes Geburtstag verfasst. Nachdrücklich verweist dieses Datum auf den Widerspruch zwischen dem humanistischen Geist der Weimarer Klassik und dessen Pervertierung. Die von Marcuse gelegten Erinnerungsspuren beziehen sich auf die massenhaften Morde und medizinischen Fleckfieberversuche, die im nahe gelegenen Konzentrationslager Buchenwald stattfanden; am 28. August 1947 heißt es: Lieber Herr Heidegger, Ich habe lange über das nachgedacht, was Sie mir bei meinem Besuch in Todtnauberg gesagt haben […]. Sie haben mir gesagt, dass Sie sich 1934 völlig vom Nazi Regime dissoziiert haben, daß Sie in ihren Vorlesungen außerordentlich kritische Bemerkungen gemacht haben, und dass Sie von der Gestapo überwacht wurden. […] Aber die Tatsache bleibt bestehen, dass Sie sich 1933-34 so stark mit dem Regime identifiziert haben, daß Sie heute noch in den Augen vieler als eine der unbedingtesten geistigen Stützen des Regimes gelten. […] Sie haben niemals öffentlich widerrufen - auch nicht nach 1945. […] Ich - und sehr viele andere - haben Sie als Philosophen verehrt und unendlich viel von Ihnen gelernt. […] Ein Philosoph kann sich im Politischen täuschen - dann wird er seinen Irrtum offen darlegen. Aber er kann sich nicht täuschen über ein Regime, dass Millionen von Juden umgebracht hat - bloß weil sie Juden waren, das den Terror zum Normalzustand gemacht hat und alles, was je wirklich mit dem Begriff Geist und Freiheit und Wahrheit verbunden war in sein blutiges Gegenteil verkehrt hat. […] Sie können die Identifizierung Ihrer Person und Ihres Werkes mit dem Nazismus (und damit die Auslöschung Ihrer Philosophie) nur dann bekämpfen (und wir können sie nur dann bekämpfen), wenn Sie ein öffentliches Bekenntnis Ihrer Wandlung und Verwandlung ablegen.2 Heidegger bejaht am 20. Januar 1948, dass er sich eine „geistige Erneuerung“ 3 vom Nationalsozialismus erhoffte, der ihm zugleich die „Rettung des abendländischen Denkens vor den Gefahren des Kommunismus“ 4 verkörperte. Er gibt seinen „politischen Irrtum“ 5 zu und erklärt „unter Protest gegenüber Staat und Partei“ 6 das Rektorat 1934 niedergelegt zu haben. Die Rektoratsrede bezeichnet Heidegger als 62 „Entgleisung“ 7 und fügt noch hinzu: „Ich habe in meinen Vorlesungen und Übungen von 1934/ 34 einen so eindeutigen Standpunkt eingenommen, dass von denen, die meine Schüler waren, keiner der Nazi-Ideologie verfiel.“ 8 Heidegger reagiert jedoch ambivalent, indem er die an ihn gerichtete Frage, die sich auf die Verführbarkeit des Philosophen zur Macht bezieht, mit dem Hinweis auf seine Schüler abschmettert und die öffentlich geforderte Selbstkritik ignoriert. Dass diese Zurückhaltung, wie Rüdiger Safranski darlegt, aus „Selbstachtung“ 9 vor der unterstellten Komplizenschaft mit den NS-Verbrechen an den Juden geschieht, mag als psychologische Erklärung gelten, aber letztlich schließt sie die Wechselwirkung zwischen Heideggers politischer Praxis und seiner Philosophie aus. Safranskis Auffassung steht derjenigen von Paul Hühnerfeld entgegen, der erläutert, dass Heideggers Philosophie nicht aus einem „metaphysisch sterilisierten Raum“ 10 zu betrachten sei. Die Hinwendung zum Nationalsozialismus wird nicht als bloßer „Tagesirrtum“ 11 abgetan, sondern aus Heideggers Neigung zum Provinzialismus und dessen Feindschaft gegen alles Urbane erklärt. 12 Beide Fermente berühren sich mit dem kleinbürgerlichen Lebensbezug nationalsozialistischer Ideologie und können ideengeschichtlich auf die Mystik des Meisters Eckehart und die Rassetheorien von Arthur de Gobineau, Houston Stewart Chamberlain und Alfred Rosenberg zurückgeführt werden. 13 Safranskis psychologistische Begründung bleibt unzweifelhaft fraglich, wenn man sie mit Heideggers brieflichen Aussagen gegenüber Marcuse und den im Sommersemester 1935 in Freiburg gehaltenen Vorlesungen zur „Einführung in die Metaphysik“ konfrontiert. Umgekehrt kann dadurch Hellwegs in der Rousseau-Dissertation und Proletariatsschrift dargelegte Kritik an Schärfe gewinnen. Besonders im ersten Teil widmet sich Heidegger kulturellen Fragestellungen und bezieht sie auf die Forderung des damaligen NS-Kulturbetriebes, in dem sich die Philosophie in Gestalt der Metaphysik magdfähig zu machen und praktischen Zielen unterzuordnen habe. 14 Er widerspricht zwar den offiziellen Vorgaben, denn die Aufgabe der Philosophie bestünde im fragenden „Wissen-wollen“, wodurch sich die Entschlossenheit des Subjekts als „in der Wahrheit stehen können“ 15 zeitige. Aber die kulturpolitische Wahrheitsfrage zeige sich dergestalt, dass Deutschland zwischen Amerika und Russland in die „Zange“ 16 genommen werde, wobei die Kultur beider Großmächte durch „trostlose Raserei der entfesselten Technik und der bodenlosen Organisation des Normalmenschen“ 17 zu bestimmen sei. Ungeachtet der historischen Entstehungsvoraussetzungen beider Nationen und ihrer Wissenschaftssysteme, charakterisiert Heidegger deren Erscheinungsform als Uniformität. Als allgemeines Kulturphänomen stehen die amerikanischen und russischen Standardisierungstendenzen dem metaphysischen Volk der Deutschen und Europäer entgegen. 18 Bis zu diesem Punkt der Argumentation, die weitgehend auf Nietzsches Kulturkritik aufbaut (Heideggers Worte „die Lage Europas ist umso verhängnisvoller, als die Entmachtung des Geistes aus ihm selbst herkommt“ 19 erinnern daran), könnte man der Analyse vorurteilsfrei folgen. Wenn jedoch die Rede auf die „Mißdeutung des Geistes“ gelangt, verschlägt es einem die Sprache. In den 63 genannten Nationen walte angeblich das „Literaten- und Ästhetentum“ 20 und die „Vorherrschaft eines Durchschnitts“; 21 offenbar hatte Heidegger weltbekannte russische und amerikanische Schriftsteller wie Wladimir Majakowski, Marina Iwanowna Zwetajewa, Michael Bulgakow oder John Dos Passos, William Faulkner und Gertrude Stein im Blick, deren literarischer Avantgardismus disqualifiziert wird; im sich direkt anschließenden Passus heißt es weiter: Der so zur Intelligenz umgefälschte Geist fällt damit herab in die Rolle eines Werkzeugs im Dienste von anderem, dessen Handhabung lehr- und lernbar wird. Ob dieser Dienst der Intelligenz sich nun auf die Regelung und Beherrschung der materiellen Produktionsverhältnisse (wie im Marxismus) oder überhaupt auf die verständige Ordnung und Erklärung alles jeweils Vor-liegenden und schon Gesetzten (wie im Positivismus) bezieht oder ob er sich in der organisatorischen Lenkung der Lebensmasse und Rasse eines Volkes vollzieht, gleichviel, der Geist wird als Intelligenz der machtlose Überbau zu etwas Anderem, dem, weil geist-los oder gar geist-widrig, für das eigentlich Wirkliche gilt. Versteht man, wie es der Marxismus in der extremsten Form getan hat, den Geist als Intelligenz, dann ist es, in der Gegenwehr zu ihm, völlig richtig zu sagen, dass der Geist, d. h. die Intelligenz, in der Ordnung der wirkenden Kräfte des menschlichen Daseins stets der gesunden leiblichen Tüchtigkeit und dem Charakter nachgeordnet werden muß. Diese Ordnung wird aber unwahr, sobald man das Wesen des Geistes in seiner Wahrheit begreift. Denn alle wahre Kraft und Schönheit des Leibes, alle Sicherheit und Kühnheit des Schwertes, aber auch alle Echtheit und Findigkeit des Verstandes gründen im Geist und finden Erhöhung und Verfall nur in der jeweiligen Macht und Ohnmacht des Geistes.22 Heideggers Angriffe richten sich gegen den Positivismus und Marxismus, wobei die Verflechtung theoretischer Arbeit in den Lebensprozess der Gesellschaft und die Brauchbarkeit positivistischer Resultate fragwürdig erscheinen. Bemerkenswert ist, dass Heidegger vermutlich im Jahr 1935 die Marxschen Frühschriften bekannt gewesen sein dürften. Aber eine philosophische Begriffsbildung folgt daraus nicht. Nur eine denunzierende Redeform bleibt unterm Strich übrig, denn es geht ihm nicht darum, die philosophischen Explikationen anzuerkennen, die Marx und Engels hinsichtlich der Überwindung des Hegelschen und Feuerbachschen Idealismus entwickelt hatten. Sie bestand darin, dass der Widerspruch zwischen der Vergegenständlichung und der sinnlich-tätigen Gegenständlichkeit im Medium des Bewusstseins durch die Vernunft versöhnt wird. Marx hatte verschiedentlich Hegel vorgeworfen, dass ihm die menschliche Arbeit und daraus entstehende Entfremdung nur als positives Substrat erscheint. 23 Hegel hatte den Gegensatz zwischen abstraktem Denken und sinnlicher Entäußerung zum Gegenstand des abstrakten Gedankens erhoben und dadurch die Gegenständlichkeit des Arbeitsprozesses ins Bewusstsein zurückgespiegelt: noch bevor die Wirklichkeit bei Hegel als vernünftig zu bejahen ist, ist sie im Bewusstsein schon affirmativ als solche vorhanden. 24 Marx geht es darum, die entfremdete Form der gegenständlichen Wirklichkeit aufzuheben und die dem Menschen angemessene Weise seiner Vergegenständlichung freizusetzen. Bei dieser Freisetzung kommt es auf die Neuorganisation der Arbeit an. Die Vernunft und das Bewusstsein haben sich selbst durchsichtig zu 64 werden, indem der Mensch nicht mehr als Glied eines vernunftlosen Organismus handelt, sondern sich zugleich bewusst als Subjekt und Objekt seiner Tätigkeit erlebt. Die Produktion und Reproduktion des gesellschaftlichen Mehrwerts soll nicht mehr auf die Ansprüche von wenigen Einzelnen beschränkt bleiben, sondern der Allgemeinheit zu gute kommen. Nicht mehr die Aufrechterhaltung der Privilegien, die auf den Schultern der materiell Ausgebeuteten beruht, sei das Lebensprinzip, sondern die Assoziation freier Menschen, bei der jedes Individuum die gleiche Möglichkeit habe, sich frei zu entfalten. 25 Das Hauptziel ist und bleibt die Konstituierung eines bewussten und sich selbst bestimmenden Subjekts. Dagegen steht Heideggers Disqualifizierung des Geistes zu einem reinen Anhängsel des Leibes. Die Unterordnung unter die Leiblichkeit deutet darauf hin, dass Heidegger bewusst ist, dass die Geschichte des Menschen ein Teilmoment der Naturgeschichte repräsentiert, worin sich der Mensch als leidenschaftliches Wesen entfaltet. Hierin besteht ein Widerspruch seines Denkens, denn die Korrelation zwischen geistiger und körperlicher Arbeit kommt bei Marx in der Vorstellung zum Ausdruck, dass sich der Mensch allseitig und unter Zuhilfenahme ihm aller zur Verfügung stehenden menschlichen Potenziale zu verwirklichen strebt. Geistige und körperliche Arbeit werden als gleichberechtigte Glieder der Selbstverwirklichung verstanden und das Postulat von der allseitigen und totalen Aneignung der Welt beinhaltet, 26 dass bei jedem Arbeitsprozess beide Elemente gefordert sind und sich als solche zusammenfügen. Dennoch bleibt die Entfremdung des menschlichen Wesens als Entfremdung des Selbstbewusstseins bestehen. Das heißt, dass die antike Vorstellung von der Leib-Geist-Einheit, auf die sich Heidegger bezieht, schon bei Schiller, später von Hegel und Marx, aufgebrochen wurde. Schiller hatte im „sechsten Brief“ auf vormaterialistische Weise dargelegt, dass der menschlichen Kulturentwicklung eine „Wunde“ 27 zugefügt wurde. Sie besteht darin, dass die „alles vereinende Natur“ 28 der Griechen in der Neuzeit durch neue Formen der Fragmentarisierung zerriss und sich durch das „eintönige Geräusch des Rades“ 29 kennzeichnen lasse. Bei Heidegger wird jedoch nicht wie im Christentum die Körperlichkeit („das Geräusch des Rades“) erniedrigt, um die Arbeit zu preisen, sondern das Fleisch soll zum Zweck der physischen Abrichtung aufgewertet werden. Die Metapher von der „Kühnheit des Schwertes“ bezieht sich daher zurück auf den Geist des Griechentums, wo der trainierte Körper des Fechters als Bedingung der Aufrechterhaltung einer aristokratischen Gesellschaftsordnung diente. Aber Heideggers Schwertmetapher ließe sich auch im Sinne einer materialistischen Handlungstheorie verstehen, denn die Entwicklung des Denkens verläuft über den Gebrauch der Hand und des Leibes als Werkzeuge zu höheren Formen operationaler Tätigkeit. 30 Heideggers Wissenschaftskonzeption korrespondiert mit der Erziehungsprogrammatik des kalós kai agathós (dem griechischen Gymnasium), welches den Zweck, wie Adorno und Horkheimer ideologiekritisch sagen, „zur realen Aufrechterhaltung der eigenen Macht, wenigstens als Training zu herrschaftlicher Haltung“ 31 verfolgte. Der nicht-christliche Gebrauch der Schwertmetapher 32 wird an dieser 65 Stelle aufgenommen, indem die Frankfurter Philosophen anmerken: „Die Menschheit lässt sich anstatt durch das Schwert durch die gigantische Apparatur versklaven, die am Ende freilich wieder das Schwert schmiedet.“ 33 Bezieht man diese Kritik auf Heidegger, so erscheint seine Philosophie als in die Moderne transformiertes Ideal, dessen angestrebte körperliche, ethische und geistige Vollkommenheit jedoch in der Praxis durch die Handhabung der Mordwerkzeuge zur Anwendung gelangte: Leiblichkeit ist in den Konzentrationslagern nur noch als zwangsweise ausgebeuteter Körper oder aufgestapelter Leichenhaufen erkennbar. Dass sich Heidegger hinter feststehenden Begriffen verschanzt und diese nach Gutdünken umformt, zeichnet seine Technik des Umgangs mit der philosophischen Überlieferung aus. Diese Art Verfälschung geht aus einer weiteren Explikation hervor, die zwar im abschließenden Teil der Vorlesung eingebaut ist, aber in Verbindung mit der Schwertmetapher zu betrachten ist. Vorgeblich bezieht sie sich auf die ontologische Differenz zwischen Sein und Sollen, worin der an Kants Ethik orientierte Wertbegriff (siehe Teil 1, Abschnitt II.) entkräftet wird, weil Heidegger den kategorischen Imperativ an die herrschenden Bedingungen des gesellschaftlichen Seins preisgibt: „Was heute vollends als Philosophie des Nationalsozialismus herumgeboten wird, aber mit der inneren Wahrheit und Größe dieser Bewegung (nämlich mit der Begegnung der planetarisch bestimmten Technik und des neuzeitlichen Menschen) nicht das Geringste zu tun hat, das macht seine Fischzüge in diesen trüben Gewässern der ‘Werte’ und der ‘Ganzheiten’.“ 34 Heidegger erkennt, dass der Nationalsozialismus keine auf dessen nihilistische Weltanschauung zugeschnittene Philosophie vorzuweisen habe. Aus diesem Mangel betrachtet er die Indienststellung eigener Gedankenarbeit als philosophischen Überbau für „die Größe dieser Bewegung“, indem wissenschaftliches Handeln das Interesse bezweckt, sich an der Aufrechterhaltung eines wissenschaftlich-technischen Systems zu beteiligen. Mit anderen Worten: Die „planetarische Technik des neuzeitlichen Menschen“, die in den Labors der gleichgeschalteten Universitäten und Forschungsinstituten erfunden und erprobt wird, soll ideologisch auf solche Weise legitimiert werden, dass philosophisch kein Zweifel an ihrer sich gegen das menschliche Leben richtende Anwendung aufkommen möge. Der Zweck philosophischen Denkens besteht darin, dass die reale Herrschaft zu bestärken sei, die Menschen in Material umwandelt und eine Form der technisch-instrumentellen Vernunft als Mittel repräsentiert, die alle bisherigen geschichtlichen Proportionen von Rationalität und Verhältnismäßigkeit aufsprengt. Die gegenüber Marcuse brieflich 1948 zur Geltung gebrachte Distanzierung von der Rektoratsrede muss schlechterdings als Verfälschung und Abmilderung der intendierten Aussage bezeichnet werden. Auch der folgende Passus belegt, dass die Neubegründung der Philosophie das Ziel verfolgt, die Vernunft als Grundkategorie philosophischen Denkens auszuhebeln. Sie entsteht aus Heideggers Enttäuschung über den Liberalismus des 19. Jahrhunderts und schlägt als fataler Zirkelschluss in totalitäre Entschlossenheit um; es heißt: 66 Wenn jetzt zwei scheinbar verschiedene Auffassungen der Wissenschaft sich scheinbar bekämpfen, Wissenschaft als technisch-praktisches Berufswissen und Wissenschaft als Kulturwert an sich, dann bewegen sich beide in der gleichen Verlaufsbahn einer Mißdeutung und Entmachtung des Geistes. Nur darin unterscheiden sie sich, daß die technisch-praktische Auffassung der Wissenschaft als Fachwissenschaft noch den Vorzug der offenen und klaren Folgerichtigkeit bei der heutigen Lage beanspruchen darf, während die jetzt wieder aufkommende reaktionäre Deutung der Wissenschaft als Kulturwert die Ohnmacht des Geistes durch eine unbewußte Verlogenheit zu verdecken sucht. […] Dieser mehrfachen Mißdeutung des Geistes gegenüber bestimmen wir das Wesen des Geistes kurz so (ich wähle die Fassung aus meiner Rektoratsrede, weil hier alles der Gelegenheit entsprechend knapp zusammengegriffen ist): ‘Geist ist weder leerer Scharfsinn, noch das unverbindliche Spiel des Witzes, noch das uferlose Treiben verstandesmäßiger Zergliederung, noch gar Weltvernunft, sondern Geist ist ursprünglich gestimmte, wissende Entschlossenheit zum Wesen des Seins.’ (Rektoratsrede, 13). Geist ist die Ermächtigung der Mächte des Seienden als solchen im Ganzen. Wo Geist herrscht, wird das Seiende als solches immer und jeweils seiender.35 Ersichtlich werden zwei Dinge: einerseits die ernstzunehmende Wissenschaftskritik und anderseits die Auslieferung der Existenzphilosophie an den Nationalsozialismus. Die wiederholte Rede von der „Umfälschung des Geistes“ richtet sich gegen den deutschen Idealismus, der metaphorisch in Gestalt der „Weltvernunft“ auftrat und so auf Hegels zeitaktuelle Verkörperung seiner Philosophie in der Figur Napoléon Bonapartes beziehbar ist. Als Motor der Freiheit hatte Napoléon die Gedanken der französischen Revolution auf den Spitzen der Bajonette nach Preußen eingeführt und die politische Emanzipation im „Code Civil des Français“ (1804) verankert. Heideggers Falschmünzerei besteht darin, dass er die Denotate von Hegels Philosophie aus ihrem gesellschaftlich-historischen Kontext herausschneidet. Hegel hatte die Geschichte auf einem ihrer Höhepunkte fixiert gesehen, als Napoléon nach der siegreichen Schlacht von Jena und Auerstedt (14. Oktober 1806) selbstbewusst durch Jena ritt. Er bemerkte beim Anblick des Franzosen, dass nun ein neues, liberales Zeitalter angebrochen sei: „Den Kaiser - diese Weltseele - sah ich durch die Stadt zum Recognoszieren hinausreiten; - es ist in der Tat eine wundervolle Empfindung, ein solches Individuum zu sehen, das hier auf dem Punkt konzentriert, auf einem Pferde sitzend, über die Welt übergreift und sie beherrscht.“ 36 Die zeitliche Nähe dieser Briefäußerung zur „Phänomenologie des Geistes“ korrespondiert mit Heideggers Rede von der „Mißdeutung des Geistes“. Was der Skeptiker Hegel darunter versteht, lässt sich so übersetzen, dass der wissenschaftliche Geist niemals ein Garant für das Auffinden der Wahrheit ist, und dass das Wissen, welches sich in den Dienst partikularer Machtinteressen stellt, an der Pforte der Kritik zerschellen muss, falls es sich unhinterfragt in das bestehende Gesellschaftssystem einordnet. 37 Gerade an diesem Punkt kann der Kontrast zu Heidegger gar nicht schärfer ausfallen, hatte doch Hegel die Rolle der Wissenschaft als ständige, sich bildende und verwandelnde Bewegung verstanden und sie als „Arbeit an der Weltgeschichte“ 38 definiert. Heidegger hingegen legt im direkten Anschluss an das Selbstzitat aus der Rektoratsrede die Verschweißung 67 von Wissenschaft als „Arbeitsdienst“, 39 „Wehrdienst“ 40 und „Wissensdienst“ 41 nahe, die in folgender Synthese kulminiert: „Diese Wissenschaft ist gemeint, wenn das Wesen der deutschen Universität umgrenzt wird als die hohe Schule, die aus Wissenschaft und durch Wissenschaft die Führer und Hüter des Schicksals des deutschen Volkes in die Erziehung und Zucht nimmt.“ 42 Heideggers Wissenschaftsauffassung ist zu einem Dogmatismus der Denkungsart, um mit Hegel zu reden, herabgesunken; man erkennt, dass der Begriff der „Entschlossenheit“ aus „Sein und Zeit“ in den Begriff „wissende Entschlossenheit“ (Rektoratsrede und Metaphysik-Vorlesung) umgemünzt wird und den wissenschaftlichen Überbau des nationalsozialistischen Herrschaftsapparates mitbildet: durch dieses Manöver ist die neue Einheit im zeitaktuellen Seinsgrund der Politik hergestellt, worin sich zugleich die kulturellen Rahmenbedingungen künftigen Denkens festlegen lassen. Dass Heidegger die Auslieferung seiner Philosophie an die Gegenwartsverhältnisse konstruierte, zeigt sich im abschließenden Teil der Vorlesung durch die Interpretation der Fragmente des Heraklit; die Deutung ergibt sich durch folgende Vorgabe: Wenn man heute der Wissenschaft empfiehlt, Dienst am Volke zu sein, so ist das zwar eine notwendige und beachtliche Forderung, aber damit ist zu wenig und nicht das Eigentliche gefordert. Der verborgene Wille der Umgestaltung des Seienden in die Offenbarkeit des Daseins will mehr. Um einen Wandel der Wissenschaft, d. h. zuvor des ursprünglichen Wissens zu erwirken, dazu braucht unser Dasein einen ganz anderen metaphysischen Tiefgang. Es braucht erst wieder ein gestiftetes und wahrhaft gebautes Grundverständnis zum Sein des Seienden im Ganzen.43 Für diesen Konstruktionsprozess einer sich zu wandeln habenden Wissenschaft, die sich einerseits durch Volksnähe und andererseits „metaphysischen Tiefgang“ auszuzeichnen habe, wird als Beleg das zweite Fragment Heraklits herangezogen. Wesentlich ist, dass Heidegger völlig zeitlos interpretiert und über eine Inhaltsangabe nicht hinaus gelangt. Heraklit, der in Ephesos lebte und dessen Lebenshöhepunkt in die letzten Jahre des sechsten Jahrhunderts vor Christus fällt, als sich Ionien unter persischer Herrschaft befand, beschreibt das Problem des Logos folgendermaßen: Gegenüber der hier gegebenen, unabänderlich gültigen Aussage [Logos] erweisen sich die Menschen als verständnislos, sowohl bevor sie als auch wenn sie sie einmal gehört haben. Denn obwohl alles in Übereinstimmung mit der hier gegebenen Auslegung geschieht, gleichen sie Unerfahrenen, sobald sie sich überhaupt an solchen Aussagen und Tatsachen versuchen, wie ich sie darlegte, indem ich jedes Einzelne seiner Natur gemäß zerlege und erkläre, wie es sich damit verhält. Den anderen Menschen aber entgeht, was sie im Wachen tun, genau wie das, was sie im Schlaf vergessen.44 Heidegger betrachtet Heraklits Logos-Verständnis als Ursprung des Seinsgrundes, das heißt, dass er ihn als den metaphysischen Ort versteht, von dem das Denken seinen Lauf nimmt. Aber er koppelt das Denken vom Sprechen ab und fragt nicht, wie das Wort, die Rede und ihre Verhältnismäßigkeit der Aussagen entstehen und ob die Sprache der Menschheit verliehen oder von ihr selbst erfunden wurde. Inso- 68 fern müssen kulturhistorische Modelle zur Materialität des Seinsgrundes als Logos- und Spracherwerb (Herder, Wilhelm von Humboldt, Marx, Engels, Schuchardt, Saussure, Vossler, Spitzer) und die theologische Deutung des Sündenfalls (Benjamin) als unstatthafte Erklärungen zurückgewiesen werden. Stattdessen richtet sich die Aufmerksamkeit auf das Vernehmen des Logos: Vom Logos wird gesagt: 1. Ihm eignet die Ständigkeit, das Bleiben; 2. er west als das Zusammen im Seienden, das Zusammen des Seiend; das Sammelnde; 3. alles was geschieht, d. h. in das Sein kommt, steht da gemäß diesem ständigen Zusammen; dieses ist das Waltende. Was hier vom gesagt wird, entspricht genau der eigentlichen Bedeutung des Wortes: Sammlung. Wie jedoch das deutsche Wort 1. das Sammeln und 2. die Gesammeltheit meint, so bedeutet hier ó die sammelnde Gesammeltheit, das ursprünglich Sammelnde. ó heißt hier weder Sinn, noch Wort, noch Lehre, noch gar ‘einer Lehre Sinn’, sondern: die ständig in sich waltende ursprünglich sammelnde Gesammeltheit.45 Heidegger zeigt die Umgestaltung eines philosophischen Begriffs an, wodurch die historischen Determinanten, die durch den Logos mitgemeint sind, selbst nicht berührt werden. Wenn der Logos mit der waltenden Gesammeltheit im Sein identisch ist, so erscheint er als transzendente Sprache, in der die Implikationen sozialer Tatbestände, Geschehnisse und Bedeutungen nicht benannt werden. Dadurch wird die Semantik der Sprache, die als Bewusstseinsakt auf Mitteilung bedacht ist, einen Adressaten fordert und die Erweiterung zum Gespräch benötigt, schlechterdings wegeskamotiert. Der Logos, der unter historischen Bedingungen entsteht und sich als primärer Denkprozess wandelt, wird lediglich in seinem Formcharakter betrachtet, der nach Herrschaft strebe: Weil das Sein als Logos ursprüngliche Sammlung ist, kein Geschiebe und Gemenge, wo jegliches gleichviel und gleichwenig gilt, gehört zum Sein der Rang, die Herrschaft. Wenn das Sein sich eröffnen soll, muß es selbst Rang haben und innehalten. Daß Heraklit von den Vielen als den Hunden und Eseln spricht, kennzeichnet diese Haltung. Sie gehört wesentlich zum griechischen Dasein. Wenn man schon bisweilen heute allzu eifrig die Polis der Griechen bemüht, sollte man diese Seite nicht unterschlagen, sonst wird der Begriff der Polis leicht harmlos und sentimental. Das Rangmäßigere ist das Stärkere. Deshalb ist das Sein, der Logos, als der gesammelte Einklang, nicht leicht und in gleicher Münze für jedermann zugänglich, sondern entgegen jenem Einklang, der jeweils nur Ausgleich, Vernichtung der Spannung, Einebnung ist, verborgen.46 Für Leser, die mit der Geschichte der Griechen nicht vertraut sind, wird Heideggers Interpretation erst ersichtlich, wenn man Heraklits politische Auffassung berücksichtigt, aus der sich das Wechselverhältnis von Logos und Herrschaft erschließt. Er entstammt einer Adelsfamilie und war nach Geburtsrecht ein Priesterkönig, der in einem dunklen Stil schrieb. Heraklits Weltanschauung war antidemokratisch, wie Heidegger mit negativem Bezug auf die „Vielen“ betont, die vermittels der Tiermetapher angesprochen werden. Aber Tiermetaphern dienen Heraklit als semantische Mittel, um alltäglich-realistischen Beobachtungen humorvoll Ausdruck zu verleihen. Insofern reagieren Hunde auf die ihnen andressierte Funktion der Bewachung ih- 69 res Herrn und seines Eigentums: „Hunde kläffen an, wen sie nicht kennen.“ 47 Und Esel erscheinen als Lasttiere, die das transportierte Gold einer ionischen Miene zur Schiffsverladung nach Athen nicht fressen können, weil sie es als Last auf dem Rücken tragen: „Eseln ist Hackstreu lieber als Gold.“ 48 Ob sich Heraklits Metaphern tatsächlich so eindeutig, wie Heidegger vorgibt, gegen das Volk richteten, muss fraglich bleiben. Außerdem fällt auf, dass Heidegger den Standpunkt des sapere aude unterschlägt, den Heraklit sich zueigen gemacht hatte: „Es ist allen Menschen gegeben, sich selbst zu erkennen und vernünftig zu sein.“ 49 Heraklits aufgeklärte Adelsposition nimmt Bezug auf die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse, denn er lebte zur Zeit der demokratischen Reformen, die sich vom Beginn des sechsten bis zum vierten Jahrhundert vor Christus erstreckten und einen Wendepunkt in der griechischen Gesellschaft bedeuteten. Wesentlich ist, dass sich die vorzivilisatorische Gentilverfassung zu einem Staatsgefüge entwickelte. Die Einteilung des Volkes in Klassen nach Besitzverhältnissen wurde zunächst durch Theseus, später von Solon und Kleisthenes vorgenommen, und die Herausbildung der Klassengesellschaft korrespondiert mit der Einführung der Geldwirtschaft und Herstellung von Münzen in Lydien. Dadurch hatte sich die Naturalwirtschaft von der Gentilverfassung abgelöst und das neue Zahlungsmittel konnte sich über die Ägäis nach Athen, Korinth und die griechischen Kolonien ausbreiteten. Die Entstehung von Heraklits Philosophie fällt in die Epoche beschleunigter Handelsentwicklung im östlichen Raum des Mittelmeeres, das heißt, dass einerseits der zunehmende Warenverkehr mit der Herausbildung einer Kaufmannsklasse bei steigender Verwendung von Sklavenarbeit verbunden war, wodurch andererseits die Entfaltung der freien Arbeit behindert wurde. 50 Auf dem Rücken dieser untersten Klasse des frühzivilisatorischen Proletariats bildete sich die erste charismatische Propheten-, Priester- und Intellektuellenschicht heraus, zu der auch Heraklit gezählt werden kann. 51 Die Folgen dieser Entwicklung der frühgriechischen Gesellschaft sind bei Friedrich Engels zu klassischer Darstellung gelangt. Er hatte diese kulturelle Entwicklungsstufe, basierend auf Lewis Henry Morgans Untersuchung „Ancient Society“ (1877), als Beginn der Zivilisation klassifiziert: „Die Stufe der Warenproduktion, womit die Zivilisation beginnt, wird ökonomisch bezeichnet durch die Einführung 1. des Metallgeldes, damit des Geldkapitals, des Zinses und Wuchers; 2. der Kaufleute als vermittelnder Klasse zwischen den Produzenten; 3. des Privateigentums und der Hypothek, und 4. der Sklavenarbeit als herrschende Produktionsform.“ 52 Die Schlussfolgerung, die sich ergibt, zielt in die Richtung, dass die Entstehung der Philosophie des Heraklit mit dem Wachstum der Warenproduktion in ursächlichen Zusammenhang gebracht wird. Diese Position wurde etwa zeitgleich zu Heideggers Metaphysik-Vorlesung von Alfred Sohn-Rethel vertreten, wenn er sagt: „Wir vertreten die Hypothese, dass die Ausprägung der Geldform mit der Ausbildung der gewerblichen Sklavenarbeit zusammengehangen haben muß. Der Sklave ist ein Gebrauchswert, dessen in es eingeschlossene Eigenschaft es ist, zur Arbeit da zu sein. Wo Warenproduktion mit Sklavenarbeit betrieben wird, ist das Verhältnis 70 des Geld-Waren-Besitzers zur Produktion durch bloße Tauschwertbeziehungen vermittelt.“ 53 Bezogen auf die Logos-Interpretation, die mit der Frage nach der Existenz des Menschen im Seinsgrund zusammenfällt, würde sich eine andere Lesart ergeben, da Heidegger die historischen Determinanten von Heraklits Philosophie systematisch ausblendet. Dass der Logos nach Herrschaft strebt, wie Heidegger sagt, erklärt sich nicht allein aus Heraklits Gegnerschaft zur Demokratie, sondern daher, weil er ihre inneren Widersprüche gesehen hatte, die als Abbild klassenmäßiger Gegensätze im Logos verkörpert erscheinen. Die Herausbildung der Warenproduktion korrespondiert mit Formen des abstrakten Denkens (der Besitzer von Waren ist von der Praxis der Herstellung getrennt) und bedingt das Verstehen und oder Nicht-Verstehen dieses Prozesses in Bezug auf die Spaltung der Gesellschaft in Klassen. Der Logos, den die Menschen vernehmen, teilt sich in drei Gruppen auf. Diejenigen, die das Wort als privilegierte Geistesarbeiter gehört und verstanden haben, diejenigen, die es erstmals vernehmen, aber noch nicht begreifen, weil sie als Kaufleute mit Dingen wie dem Handel beschäftigt sind und diejenigen, die das Wort aufgrund ihrer ausgepowerten Arbeitskraft als Sklaven nicht vernehmen können, da ihnen die Konzentrationsfähigkeit und Muße abhanden geht. Kurzum: im Seinsgrund des Logos hat sich die Wertform der Waren eingeschoben, indem sie als Verdinglichung das Verstehen der Menschen untereinander erschwert. Engels’ und Sohn-Rethels Gesellschaftsanalysen, die den historischen Ansatz zum Verständnis der Logos-Vorstellung liefern, mussten von Heidegger negiert werden, weil sich seine Argumentation auch gegen Hegels Flüssigkeitsmetapher des menschlichen Lebens richtete, die von Heraklits Fragmenten beeinflusst war. 54 Nach dem gescheiterten Rektorat suchte Heidegger nach einem gangbaren Weg, um das Sklaven- und Ausbeuterprogramm der nationalsozialistischen Diktatur mittels Heraklits Philosophie ontologisch zu unterfüttern. Der Logos als das Versammeltsein des Seins ist als Formcharakter zu betrachten; die historisch bestimmbaren Forminhalte, die Heidegger nicht für sein Heraklit-Verständnis benötig, müssen daher auf der Strecke bleiben. Insofern ist diese bloß formale Logos-Deutung präsent, als er durch Marcuse brieflich 1947 zur Rede gestellt wurde. Heidegger bezeichnete zwar in seiner Antwort die Rektoratsrede als „Entgleisung“, aber brauchte von den zwei Jahre später formulierten Gedanken der Metaphysik-Vorlesung nicht Abstand zu nehmen, weil der Logos als quasi wertfreie Kategorie betrachtet wurde. Positiv festzuhalten ist Heideggers Einsicht, dass das Vernehmen der Rede immer abhängig ist von den intellektuellen Voraussetzungen, die jeder einzelne Mensch auf unterschiedliche Weise mitbringt. Der Logos lässt sich nicht gewaltsam aufzwingen, denn seinem Wesen nach ist er frei zugänglich und greift auf etwas Bedeutendes über sich selbst hinaus, da seine Wirkung nicht vorhersehbar ist. Diese Perspektive lässt sich in Bezug auf Heidegger ideenhistorisch vermitteln, wenn man Webers religionssoziologische Analyse der alt-orientalischen Gesellschaft hinzuzieht und den Heraklitschen Logos als das Hervortreten eines persön- 71 lich-göttlichen oder menschlich-göttlichen Erlösers betrachtet. 55 So verstanden, erscheint der Logos bei Heidegger als Träger einer heilsgeschichtlichen Erlösungsidee, die sich an die Volksmassen richtet. Heideggers Bemerkung, dass im Neuen Testament, „nicht wie bei Heraklit“, 56 der Logos „ein besonders Seiendes, nämlich Gottes Sohn“ 57 sei, weist daraufhin, dass ihm die Verwandlung als „Verkündigung vom Kreuz“ 58 in der Passion Christi bewusst ist. Durch dieses figurale Verständnis des Logos als „Logos der Erlösung“, 59 der im Dekalog die Festlegung auf den Gesetzestafeln der altisraelischen Gemeinde erfahren hatte, sind zugleich Handlungsanleitungen lebensnotweniger Grundregeln reflektiert, wie sie bei 5. Mose 5, 6-21 hervortreten. Aus dieser Perspektive kann man Heidegger keinen offenen Antisemitismus unterstellen; sicherlich aber das eschatologische Jonglieren mit dem Begriff, um sich letztlich einer geschichtsphilosophischen Auslegung im Hinblick auf das Ausbleiben der Parusia zu entziehen. Dass diese Art des theologischen Lavierens etwa zeitgleich mit Heideggers dichterischer Metaphernbildung korrespondiert, fiel dem Kölner Psychologen Robert Heiß auf; er war mit Hugo Friedrich befreundet und wurde 1943 auf einen philosophischen Lehrstuhl in Freiburg berufen; am 20.5.1938 schreibt Heiß an Friedrich, der wenig später in Heidegger einen Gesprächspartner über Mallarmés moderne Lyrik finden sollte: „Er [Heidegger, M. V.] hat immer psalmodiert. Schon komisch, wie die verkappte Theologie doch hinter mancher Philosophie spukt.“ 60 Insofern verstellt das Herumspuken theologischer Denkungsart die materialistische Deutung des Logos, die sich in der Metaphysik-Vorlesung auf Heraklits Theorie des Feuers hätte beziehen müssen, um die darin hervortretende Grundanschauung vom Waren- und Äquivalentenaustausch darzulegen. Heraklit gibt bildhaft zu erkennen: „Alles ist austauschbar gegen Feuer und Feuer gegen alles wie Waren gegen Gold und Gold gegen Waren.“ 61 Das Feuer tritt als sinnbildlicher Urstoff der Kosmologie hervor, das als Gegensatz den Elementen des Wassers und der Qualität der Luft entspricht sowie auf den Kreislauf wechselnder Naturprozesse als fortwährenden Kampf der Gegensätze hinweist. Somit zeigt sich im Logos das Verhältnis, indem sich die Elemente austauschen und Materie durch einen sich selbst regelnden Kreislauf ständig umgebildet wird. Das Verhältnis, welches Heraklit zwischen dem Verbindungs- und Austauschprozess des Feuers mit anderen Naturstoffen betont, stellt zudem den Widerschein einer auf der Warenproduktion beruhenden Gesellschaft dar: das Gold ist von den Waren abstrahiert, um als allgemeines Äquivalent dienen zu können, was die Schlussfolgerung nahe legt, dass das Denken Heraklits durch die Entwicklung und Herausbildung der Warenproduktion mitbestimmt worden war. 62 Zum Abschluss der Briefdiskussion ist hervorzuheben, dass Heidegger zwar auf Marcuses Erinnerung an die Judenmorde reagierte, aber das altisraelische Gebot „Du sollst nicht töten“ (5. Mose 5, 17) relativierte: Zu den schweren berechtigten Vorwürfen, die Sie aussprechen ‘über ein Regime, das Millionen von Juden umgebracht hat, das den Terror zum Normalzustand gemacht hat und alles, was ja wirklich mit dem Begriff Geist und Freiheit u[nd] Wahrheit verbunden 72 war, in sein Gegenteil verkehrt hat’, kann ich nur hinzufügen, dass statt ‘Juden’ ‘Ostdeutsche’ zu stehen hat und dann genauso gilt für einen der Alliierten, mit dem Unterschied, dass alles, was seit 1945 geschieht, der Weltöffentlichkeit bekannt ist, während der blutige Terror der Nazis vor dem deutschen Volk tatsächlich geheimgehalten wurde.63 Heidegger suggeriert, dass die millionenfachen Verbrechen der Nazis nicht Verbrechen der Nazis waren, sondern stattdessen auf dem Konto des Klassenfeindes verbucht werden sollen. Marcuse hatte diese „Umfälschung“ erkannt und befragte Heidegger am 13. Mai 1948 noch einmal, indem er insistiert: „Stehen Sie nicht mit diesem Satz außerhalb der Dimension, in der überhaupt noch ein Gespräch zwischen Menschen möglich ist - außerhalb des Logos? “ 64 Hier war keine Solidarität zwischen Lehrer und einstigem Schüler verhandelbar. Die Diskreditierung der Vernunft und ihre Auslieferung an den Irrationalismus sowie die historische Perspektive, die Heidegger, bezogen auf die peinvollen Vertreibungen und Umsiedlungen aus Osteuropa vornimmt, konnte Marcuse nicht mittragen. Heideggers Destruierung historischen Denkens deutet auf eine Verschiebung der Geschichtsperspektive hin, worin zur Geltung kommt, dass er die Deutschen weniger als ein Tätervolk wahrnimmt, sondern sie vielmehr als Opfervolk betrachtet. 65 Nimmt man noch Heideggers Äußerung zur Bestimmung der modernen Agrarindustrie hinzu - „Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernährungsindustrie, im Wesen das Selbe wie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagern, das Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Ländern, das Selbe wie die Fabrikation von Wasserstoffbomben“ 66 - so lässt sich unter ethischer Perspektive die eigene Rede von der „Entgleisung“ kaum aufrechterhalten. Stattdessen muss man von einer Kontimuität des Denkens ausgehen, denn im Wesen sind Agrarindustrie und Holocaust in Bezug auf die Produktion von Etwas „Das selbe“. Diese Bemerkung korrespondiert mit dem planetarischen Wesen der Technik, die Heidegger Mitte der dreißiger Jahre in den Vorlesungen zur „Einführung in die Metaphysik“ tätigte. Das erlaubt nicht, zu schließen, Heidegger müsse vom Bauern als Massenmörder sprechen, obwohl er seine Felder mit chemischen Düngemitteln und Maschinen bestellt. 67 Schon deshalb nicht, weil der industriell organisierte Massenmord des jüdischen Volkes und anderer Opfergruppen auf dem rassistischen Ausplünderungs- und Vernichtungswillen der Nazis und zustimmenden Duldung der Mehrheit des deutschen Volkes beruhte. Aber die strukturell jederzeit mögliche Umkehr der Zweck- Mittel-Relation hat zur Voraussetzung die Industrialisierung als kapitalistischen Formcharakter, der genauso rational ausgerichtet ist wie der Vernichtungswille menschlichen Lebens. Argumentativ ergibt sich durch Heideggers Vergleich die von ihm selbst gar nicht beabsichtigte Parallele zu Horkheimers und Adornos dialektischer Position, dass rationales Denken durch „Selbstzerstörung der Aufklärung“ 68 zu zivilisatorischen Katastrophen führen muss. 73 V. „Falsche Bewusstseinsbildung“ im Proletariat und ihre Negation durch ästhetische Transformation Zurück zu Hellweg, dem durch seine Bekanntschaft mit Hans Georg Gadamer diese Zusammenhänge bekannt waren. 69 Die Ebene, die als „falsche Bewusstseinsbildung“ im Proletariat angesprochen wurde, hängt mit dem Mangel in der Vermittlung der theoretischen Grundlagen des Sozialismus zusammen. Das heißt, dass die Not und das Unrecht, die das Proletariat an sich selbst erfährt, keinen Maßstab für die richtige Erkenntnis bildet: „Da das Proletariat nur als Gattungswesen bestand, so konnte zumeist der einzelne Proletarier als Individuum nicht daran denken, die richtige Position einzunehmen. Er suchte bei der ersten Gelegenheit seiner Klasse zu entfliehen.“ 70 Hiermit wird auf die anthropologische Seite innerhalb der marxistischen Theoriebildung verwiesen, die in Heideggers Philosophie explizit keine Rolle spielt. Schon in „Sein und Zeit“ fehlt im Hegel-Kapitel die Schärfe, um den Begriff der „Negation“ als Aufhebung der Zerrissenheit des Subjekts und Resultat seiner durch Arbeit bedingten Entäußerung aufzuhellen, 71 der in Hellwegs Marx-Interpretation als bekannt vorausgesetzt wird. Marx geht es darum, die freie Entwicklung individueller Fähigkeiten als das Bedürfnis des Menschen nach Selbstverwirklichung zu unterstreichen: die menschliche Tätigkeit ist als Selbstzweck zu verstehen. Diese bei Hellweg nicht näher ausgeführte Diskussion des subjektiven Faktors in Marx’ Philosophie wurde nach dem Erscheinen der „Philosophisch-ökonomischen Manuskripte“ von Herbert Marcuse untersucht. 72 Dem Ansatz von Marx spricht Marcuse das Verdienst zu, anthropologische Fragestellungen erst ermöglicht zu haben, indem Marx die Bedingungen für eine „freie Entfaltung des Daseins in seinen wahren Möglichkeiten“ 73 durch die Bestimmung des Gattungswesens Mensch herausgearbeitet habe. Die „falsche Bewusstseinsbildung“ des Proletariats jedoch resultiert nach Hellweg aus seinem Mangel an theoretischer Durchdringung und verweist auf die manipulative Anfälligkeit der Arbeiterklasse, sich durch Anreize der fetischisierten Warenwelt infizieren zu lassen. Obwohl Hellweg den Begriff Arbeiterklasse nicht benutzt, läuft seine Kritik darauf hinaus, dass von einer Nicht-Identität von Proletariat und Arbeiterklasse zu sprechen sei. Jedoch bleibt der Begriff Proletariat als marxistische Bezeichnung für die Arbeiterklasse aufrechterhalten, wonach das Proletariat ja keine Klasse dieser Gesellschaft ist. Dieses veraltete Verständnis trifft auf die spätkapitalistische Arbeiterklasse, besonders nach den Veränderungen von 1989 und 2001, nicht mehr zu, weil die alte Arbeiterklasse als Proletariat im hoch entwickelten Kapitalismus keineswegs die Mehrheit der Bevölkerung bildet. Hellweg lässt außer Acht, dass sich durch die Trennung von körperlicher und geistiger Arbeit der Arbeitsprozess in eine zunehmende Intellektualisierung verwandelt hat; durch diese Intellektualisierung der Arbeit hat sich die Anzahl der manuell Arbeitenden deutlich reduziert. Im weitesten Sinne sollte man von einer erweiterten Arbeiterklasse sprechen, wodurch sich die große Mehrheit der Bevölkerung in der fortgeschrittenen Industrie- und Computergesellschaft bestimmen lässt. 74 Weil Hellwegs Argumentation hier etwas unsicher wird (er bemerkt die Integration des Proletariats in den Kapitalismus, aber hat keine Begriffsbildung für diesen Prozess), gelangt in der abschließenden Interpretation nicht das Subjekt der Revolution als Kollektiv in den Blickpunkt, sondern der einzelne Mensch. Hellweg will keinen orthodoxen Absolutheitsvorschlag unterbreiten und sagt deshalb: „in Zukunft wird es darum gehen müssen […] eine sehr intensive Arbeit an der Herausbildung von Individualitäten zu leisten und darüber hinaus die Bildung von Eliten zu fördern, die einmal im Stande sein können, den ‘realen Humanismus’ in einer ‘realen Demokratie’ zu verwirklichen.“ 74 Der Vorschlag zur Elitebildung bezieht sich nicht auf die Herausbildung von Eliteuniversitäten, wie dies heute durch die unreflektierte Übernahme des amerikanischen Taylorismus-Modells geschieht, sondern Hellweg schwebt die Förderung der begabten Köpfe aus dem proletarischem Milieu vor. Nur dadurch sei eine geschichtliche Korrektur des Kapitalismus zu erhoffen, das heißt, dass er an unabhängige Individuen denkt, die in der Lage wären, die befreiende Kraft der Negation bewusst in den Aufbau einer demokratischen Gesellschaft zu überführen. Das Moment des Dialogs zwischen allen Akteuren der Nachkriegsgesellschaft spielt dabei eine wesentliche Rolle, denn die Absicht besteht darin, „eine wirkliche, nicht nur taktische Begegnung zwischen den verschiedenen geistigen Positionen herbeizuführen.“ 75 Wie Hegel und Marx, betrachtet auch Hellweg in der Macht des Negierens das Lebenselement des menschlichen Geistes, in der sich die leitende Vernunft für das Handeln entwickelt. Die Analyse zur Bestimmung des Proletariats bei Marx ist philosophisch grundiert und verfolgt das Ziel, mit den Mitteln der Dialektik sowohl die gegebene Tatsache der Niederlage des Nationalsozialismus wie auch den sich neu konstituierenden Kapitalismus begreiflich zu machen. Die Marxsche Idee des Proletariats als Negation der kapitalistischen Gesellschaft hat durch den Verweis auf den subjektiven Faktor nicht ausgedient, aber aufgrund der kenntlich gemachten intellektuellen Schwäche seiner kollektiven Trägerschaft an Schlagkraft verloren. Versteht man den Begriff der „Heimatlosigkeit“ in einem sozial-ökonomischen Sinne, dann sind durch die internationale Fluktuation der Märkte viele Individuen zu Nomaden degradiert worden. Die Fluchtbewegungen aus Afrika und Asien entsprechen dem Fluss des Kapitals, das keine Grenzen kennt und bedingt die Freisetzung von Menschen, die täglich um das nackte Überleben kämpfen. Das Prinzip der Konkurrenz, die sich als Konkurrenz zwischen Stadt und Land und Nation und Nation manifestiert, entspricht der inneren Logik des Kapitals, das zur Maximierung der Profitrate drängt. 76 Regionale Produktionsstätten werden so immer häufiger dorthin ausgelagert, wo billigere Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Die Konsequenz, die Evo Morales durch die Aufhebung des Privateigentums als Verstaatlichung der Ölindustrie in Bolivien gezogen hat, ist ein Beitrag, der zeigt, dass dem Prozess der Verelendung regionaler Zonen auch Einhalt geboten werden kann. 77 Hellwegs eingangs formulierte Kritik an Heideggers Ontologie verwies auf die Frage der Anpassung des Denkens an gegebene Umstände, die sich zu einer 75 Frage auf Leben und Tod zuspitzte. Opportunismus als philosophische Denkhaltung lehnte Hellweg strickt ab und konzentriert seine Argumentation auf die Präformierung von selbständig denkenden Individuen, die sich nicht der Gefahr einer neuen Mobilmachung der Gesellschaft freiwillig unterwerfen. Dieser Gegenentwurf zur kapitalistischen Gesellschaft, der in vielerlei Hinsicht einige Grundgedanken von Herbert Marcuses Hauptwerk „Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft“ (1964) vorwegnimmt, klingt ganz zum Schluss mit Hellwegs Hinweis auf Alexander Bloks Gedicht „Die Zwölf“ (1918) ästhetisch aus. Er liebte dieses später von Paul Celan übersetzte Gedicht, in dem Jesus Christus eine Gruppe von revolutionären Soldaten anführt, die nach der Revolution in St. Peterburg durch den Dreck einer sich auflösenden Weltordnung hindurchgeführt werden. Hellweg hatte auf die Möglichkeit der Begegnung zwischen Christentum und Marxismus aufmerksam machen wollen und ein Passionsmotiv eingeführt, das den Erlösungswunsch vom Leiden an der Welt ausdrückt. Interessant ist nun, dass diese ästhetische Position mit dem Ausgang von Peter Weiss’ Roman „Die Ästhetik des Widerstands“ korrespondiert, wo die Liquidation der Widerstandsgruppe um Harro Schulze-Boysen geschildert wird. Weiss hatte während eines Besuches bei Hans Coppi Junior (i. e. der in Berlin-Plötzensee geborene Sohn des im Roman auftretenden Widerstandskämpfers) im Mai 1976 diverse Archivmaterialien erhalten, 78 die er durch erzähltechnische Griffe des Weiterdichtens in den Roman eingeflochten hatte. Entscheidend für Weiss ist, dass die Passion Christi selbst ein Beispiel für das Verständnis des Opfers im Widerstand darstellt, wodurch sich die Identifikation der lesenden Arbeiter ergibt, die Dante und andere christliche Künstler im Hinblick auf ihren eigenen Leidensprozess befragen. Schrittweise entwickelt sich ein säkular-passioniertes Gegenleiden, das in eine antifaschistische Lebenspraxis umschlägt und die zentrale Frage nach der politischen Qualität ästhetischer Erfahrungen im Handlungsrahmen des Romans positioniert. Das geschilderte Ende der Widerstandsgruppe, in der Hellweg und Krauss durch den Einbau der von Weiss benutzen Quellen mitbedacht sind, bedeutet jedoch nicht, dass die politische Konzeption des Sozialismus obsolet geworden ist, sondern vielmehr, dass dessen intellektuelle Bewusstseinsform noch nicht voll entwickelt war. Dieser Aspekt ist wesentlich für Hellwegs Kritik am Nachkriegsproletariat, das noch an den Kontaminationen des Nationalsozialismus zu leiden hatte. Bei Weiss wird zum Schluss des Romans mittels der von Willy Brandt im Stockholmer Exil 1945 vertretenen Position der Einheit der deutschen Arbeiterbewegung verdeutlicht, dass der politische Neuanfang unter Berücksichtigung von Marx’ „Kommunistischen Manifest“ (1848) und Rimbauds Dichtung zu konzipieren sei; zum Ausgang des Romans heißt es: „Und Heilmann würde Rimbaud zitieren, und Coppi das Manifest sprechen […].“ 79 Der Selbstbefreiungsprozess der Arbeiterklasse sei nur in einem geeinten Deutschland vorstellbar, wobei durch Rimbauds Dichtung der Blick von den Klassenkämpfen der Vergangenheit in die Zukunft gerichtet wird, wenn man Weiss’ utopische Perspektive so versteht, dass sie auf die 76 „Lettres du Voyant“ zurückverweisen, wo es programmatisch heißt: „Cet avenir sera matérialiste, vous le voyez […].“ 80 Diese Perspektive Rimbauds entspricht dem utopischen Ausklang, den Hellweg in seiner Schrift über das Proletariat mit dem zitierten Gedicht „Die Zwölf“ von Alexander Blok setzte, denn die von Jesus Christus angeführten revolutionären Soldaten schreiten „in eine unbekannte Ferne“. 81 Der eschatologische Gedanke, der hier anklingt, erinnert an das Ausbleiben der Parusie als Heilsversprechen. Versteht man die russische Revolution als säkularisierte Form des Heilsversprechens, dann wäre Rimbauds materialistische Zukunftserwartung als der Raum zu betrachten, der Bloks Dichtung als „unbekannte Ferne“ präfigurieren würde. Aber die russische Revolution von 1917 schlug bald in eine nur noch zum Schein aufrechterhaltene Fassade um, hinter der sich eine Konterrevolution zur Konsolidierung des Staatskapitalismus vorbereitete hatte. 82 Ein Intellektueller wie Walter Benjamin, der Moskau im Winter 1926/ 27 bereiste, hatte diesen Prozess selbst mit eigenen Augen beobachtet: In Gesprächen mit Reich habe ich ausgeführt, wie zwiespältig zur Zeit die Lage Russlands ist. Nach außen sucht die Regierung den Frieden, um Handelsverträge mit imperialistischen Staaten zu führen; vor allem aber sucht sie im Innern, den militanten Kommunismus zu suspendieren, sie strebt einen Klassenfrieden auf Zeit einzusetzen, das bürgerliche Leben zu entpolitisieren, soweit das nur möglich ist. Andererseits wird in ‘Pionierverbänden, im Komsomolz die Jugend ‘revolutionär’ erzogen. Das bedeutet, das Revolutionäre kommt ihr [der Jugend, M. V.] nicht als Erfahrung, sondern als Parole zu. Man macht den Versuch, die Dynamik des revolutionären Vorgangs im Staatsleben abzustellen - man ist, ob man will oder nicht, in die Restauration eingetreten, will aber dem ungeachtet revolutionäre Energie in der Jugend wie elektrische Kraft in einer Batterie aufspeichern. Das geht nicht.83 Solche Binnenansichten waren kein Einzelfall. Intellektuelle wie Benjamin, Krauss und Hellweg hatten sich gegenüber der drohenden Gefahr des Nationalsozialismus schon vor 1933 zur marxistischen Erkenntniskritik bekannt, weil sie aufgrund ihrer philosophischen Grundlage die einzige humanistische Alternative zur Rassenideologie der Nazis darstellte. Deshalb hatte Hellweg nach der Zerschlagung der deutschen Arbeiterbewegung und Stalinisierung Osteuropas genauso wie Lukács und Weiss darauf bestanden, dass die Frage des Sozialismus und einer humanen Gesellschaftsordnung nicht von der politischen Tagesordnung verschwinden darf. Die eingesetzten Mittel der Ästhetik spielen für diesen politischen Prozess eine sehr wichtige Rolle, über die weiter gestritten werden darf. VI. Hellwegs zweite Tarnkappe und das späte Wiedersehen mit Krauss Martin Hellweg hatte sich nach der Veröffentlichung seiner Proletariatsschrift nie wieder zu theoretischen Fragen des Sozialismus öffentlich zu Wort gemeldet. Er fürchtete von den gleichen politischen Kräften nach 1945 an den Pranger gestellt zu werden, die 1938 dafür sorgten, dass ihm die existentielle Grundlage zum Le- 77 ben entrissen wurde. Seine Angstgefühle waren so stark ausgeprägt, dass er aufgrund dieser Besorgnis einer Partei beitrat, in deren Wiederaufbauprogrammatik seine eigenen Vorstellungen wohl am ehesten ausgedrückt erschienen; gleich zu Beginn des Programms heißt es: Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch kann nur eine Neuordnung von Grund auf erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen des deutschen Volkes sein.84 Mit diesen Worten beginnt nicht etwa der Grundsatzentwurf zur Vergesellschaftung des Privateigentums an Produktionsmitteln der westdeutschen KPD, sondern das „Ahlener Wirtschaftsprogramm für Nordrhein-Westfalen“, das die CDU im Februar 1947 vorgelegt hatte. Für Hellweg stellte diese Programmatik den äußersten Kompromiss dar, um sich im Nachkriegsdeutschland, der beginnenden Ost-West-Konfrontation sowie der ideellen und politischen Spaltung Deutschlands - gedeckt durch die Fassade der Christlich-demokratischen Union - der Sicherung seiner Existenz zuzuwenden. Auf diese Weise brauchte er sich nicht dem Verdacht einer erneuten politischen Verfolgung als Staatsbeamter im Schuldienst ausgesetzt fühlen. Während unserer Gespräche hatte ich Hellweg auf diese Entscheidung angesprochen und er gab mir zur Antwort: „Sie verstehen schon, dass erst nach meinem Tod darüber gesprochen werden sollte.“ 85 Der Parteieintritt in die CDU ist jedoch nicht als Kotau vor der sich neu formierenden politischen Machtkonstellation zu verstehen, sondern belegt, dass man psychische Kohärenz und innere Freiheit und Würde bei Nichtpreisgabe der Persönlichkeit bewahren kann. Bedingt durch diese Überlebensmaßnahme, die sich an dem von Baltasar Gracián in seinem „Handorakel“ (1647) entwickelten Maximen einer erhabenen Morallehre zur inneren Lebensbewältigung orientiert, war es Hellweg, wenn auch sehr spät, wenigstens noch vergönnt an die frühere, durch die Zeitumstände bedingte Unterbrechung seiner Universitätskarriere wiederanzuknüpfen: von 1970 bis 1976 lehrte er Methodik und Didaktik für den neusprachlichen Unterricht und anglo-amerikanische Literatur im Fachbereich Amerikanistik der Universität Freiburg, wo er seinem alten Freund Werner Krauss im Rahmen eines Vortrages wieder begegnen sollte. Dieses späte Zusammentreffen, das sich im Herbst 1975 ereignete, kam auf Einladung von Erich Köhler zustande, der seinen Lehrer Krauss für einen Beitrag der gerade gegründeten „Romanistischen Zeitschrift für Literaturgeschichte“ gewinnen wollte. Köhlers Absicht bestand darin, das schon 1950 dargelegte Konzept des literaturgeschichtlichen Auftrags 86 gegenüber dem sich an westdeutschen Universitäten ausbreitenden Strukturalismus zu reaktivieren. Henning Krauß, der Mitbegründer dieser neuen Zeitschrift wurde, sagte zu Krauss, dass man seinem literaturkritischen Ansatz „in der Bundesrepublik eine Heimstatt“ 87 schaffen wolle. Der alte Krauss, der eigens von seinem Ruhesitz in Berlin-Hessenwinkel nach Freiburg 78 anreiste, sprach zum Thema „Die Anthropologie in der französischen Aufklärung“ - zu einem noch nicht etablierten Forschungsgegenstand, der Martin Hellweg aufgrund vormaterialistischer Prämissen interessierte. In umfänglich ausgearbeiteter Form erschienen Krauss’ Vortragsgedanken in dem posthum veröffentlichten Spätwerk „Zur Anthropologie des 18. Jahrhunderts“, 88 wo er die sozialen Bedingungen untersucht, die zur Herausbildung der französischen Aufklärungsliteratur geführt hatten. Hellweg dürfte sich beim Zuhören von Krauss’ Vortrag an seinen zur Klärung von Rousseaus Denken herangezogenen Aphorismus erinnert haben: „Wenn Rousseau die Kultur angreift, so will er damit die Gesellschaft treffen.“ 89 Zu Martin Hellwegs Memorabilie „Erinnerungen an Werker Krauss“ (2000), die im Anhang zum Abdruck gelangt, ist noch anzumerken: die berichtete Anekdote, dass Krauss im Frack seines Vaters zur Antrittsvorlesung erschien, mag aus dem psychologisch nachvollziehbaren Antrieb resultieren, sich selbst in die durch den Vater vorgegebene Familientradition einzuordnen. Rudolf Krauss (1861-1945), seines Zeichens Geheimer Archivrat und Gymnasiallehrer in Stuttgart, war als Verfasser einer Mörike-Monographie, eines Schauspielführers, einer schwäbischen Literaturgeschichte und Herausgeber von Mörike- und Hauff-Ausgaben hervorgetreten. Das Thema der Antrittsvorlesung lautete übrigens „Deutschland als Thema der französischen Literatur“ 90 und wurde von Werner Krauss am 29. Februar 1932 gehalten. 91 Hellweg hatte in seinem Begleitbrief zur Memorabilie durch die Formel „tempi passati“ auf die Bilder vom vergangenen Fluss der Zeit hingewiesen, die ihm wiederauferstanden waren und „auch schmerzliches“ bei der Niederschrift ausgelöst hatten. Diese Schmerzen, die sich auf das erlittene Unrecht zur Zeit des Nationalsozialismus beziehen, sollten durch diesen Nekrolog in Erinnerung gerufen und wach gehalten werden. Dass sich Hellweg der Mühe des Schreibens aussetzte, spricht für das feste, nie zerrissene Band der Freundschaft, das sich zwischen ihm und Werner Krauss entwickelte. Bis zuletzt hatte diese Freundschaft eine große Rolle im Leben Hellwegs gespielt; sie drückt sich auch darin aus, dass sein Freund die Patenschaft von Hellwegs Sohn Thomas übernahm. Dass Hellwegs „Erinnerungen an Werner Krauss“ sein letzter zu veröffentlichender Text sein sollte, ist in erster Linie Michael Nerlich und Wolfgang Asholt zu verdanken, die sich beide von dem historischen Charakter des Dokuments angetan zeigten. Ich danke ihnen beiden, dass dieser Aufsatz und Hellwegs Text als Ergänzung zu dem in dieser Zeitschrift veröffentlichten Werner Krauss-Dossier erscheinen können. 92 VII. Zusammenfassung Junge Romanistinnen und Romanisten, aber auch Geistes- und Sozialwissenschaftler, die Zweifel oder Unmut an einer fachübergreifenden Geschichtsschreibung hegen, mag vielleicht durch diese Darstellung bewusst geworden sein, dass Philologie als Bereich allgemeiner Kulturforschung gerade erst beginnt, sich durch die Wiederentdeckung und Edition von entlegenen Texten und Briefen als solche 79 zu entfalten. Man kann noch viele nicht bearbeitete Gegenstände und archivarische Quellen entdecken, die darauf warten, ihre zu revitalisierenden Inhalte auf soziale und kulturelle Bedeutungskomplexe zu beziehen. Eine so verstandene historisch-philologisch orientierte Kulturwissenschaft als zugleich philosophisch grundierte Grundlagenwissenschaft kann in die Lücken zwischen den geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen eindringen und eine vermittelnde Funktion übernehmen. In diesem Sinne drückt Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft die Wissenschaft vom menschlichen Sein und den alltäglichen Entäußerungsformen des Lebens aus, die ohne Emphase und Suggestion nicht vorstellbar ist. An der Seite von Erich Auerbach, Karl Löwith und Werner Krauss, die, neben Ernst Cassirer, 93 als Begründer der neueren Kulturforschung gelten, stand Martin Hellweg. Alle genannten Forscher berühren sich dadurch, dass ihrem Leben durch die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht heilbare Wunden zugefügt wurden, die als verarbeitete Geschichtserfahrung in ihren Werken sichtbar geworden sind. Das Festhalten am substantiellen Erbe der antiken, christlichen und modernen Tradition bewahrte sie vor dem Absturz in die Geschwätzigkeit und trug dazu bei, die eigene Zeit zu verstehen und sich selbst darin zu erkennen. Der Prozess des Tradierens stellt also keine starre Angelegenheit dar, sondern ist einer ständigen Modifikation unterworfen. Heute jedoch ist diese Bildungstradition als Kulturüberlieferung vom Ausverkauf bedroht, wodurch die Einlösung der in ihr verborgenen Hoffnungen erschwert wird. Durch Martin Hellwegs Tod haben wir den letzten Marburger Zeugen einer der fruchtbarsten deutsch-jüdischen Wissenschaftssymbiosen verloren, die zum Ende der Weimarer Republik bestanden hatte. Er war durch die freundschaftliche Beziehung zu seinem Doktorvater Erich Auerbach an der Emanzipation deutscher Staatsbürger jüdischer Konfession beteiligt, als sie als Produkt einer nicht zu Ende geführten Säkularisierung zum Holocaust führte. Von diesem Zivilisationsbruch und der damit verbundenen Vertreibung deutsch-jüdischer Wissenschaftler hat sich die deutsche Geisteswissenschaft bis heute nicht erholt. Hellweg war ein Intellektueller, der gegen diesen Zivilisationsbruch durch seine Kritik an Martin Heideggers Fundamentalontologie opponierte und existentiell doppelt abgestraft wurde: als Gegner des Nationalsozialismus verlor er seine Assistentenstelle 1938 und wurde nach 1945 nicht auf einen ihm eigentlich zustehenden Lehrstuhl berufen. Die Heidegger-Diskussion belegt, dass trotz des Gebrauchs existentialistischer Kategorien vereinzelt Elemente einer Gesellschaftskritik aufblitzen, die darauf hindeuten, dass Heidegger vor 1933 und nach 1945 Marx’ Schriften bekannt waren. Der auf den Briefwechsel mit Marcuse bezogene Exkurs und seine Rückführung auf Heideggers Rektoratsrede sowie die Vorlesungen zur „Einführung in die Metaphysik“ verdeutlichten, dass Heidegger eine formale und deshalb enthistorisierende Deutung des Logos als philosophische Grundkategorie praktizierte. Hierin besteht ein Widerspruch seines Denkens, denn er erkennt den Logos als Gesammeltheit des Seins an, welches formal auf die sprachlich sich entäußernde Bewusstseinsstruktur einwirkt und diese mitbildet. Hellwegs Kritik brachte die damit 80 verbundenen Auslassungen und Entstellungen im Kontext von Hegels, Marx’ und Löwiths gegensätzlichen Grundauffassungen zum Ausdruck. Aufgrund der Korrespondenz mit Auerbach und Krauss wird deutlich, dass Hellweg Zeit seines Lebens an der von ihnen vermittelten Ideenwelt festgehalten hatte. Nicht alle Widersprüche in seinem Leben wie der Parteieintritt in die SA und CDU lassen sich auflösen. Hellweg war, trotz der Brüche der Zeit, die durch ihn hindurch gegangen sind, kein gebrochener Mensch. Im Gegenteil: Martin Hellweg war ein progressiver Traditionalist, der in seiner Rousseau- und Marxschrift darlegte, dass er von der Möglichkeit und Kraft der Veränderung des Menschen - seiner Fähigkeit zur Entwicklung eines moralischen Charakters - überzeugt blieb. Wie sein Lehrer Auerbach sah auch Hellweg in Hegels Philosophie eine Kraft zur Vernunft verkörpert, die „ihre Lust […] in der Hervorbringung des Wohls der Menschheit sucht.“ 94 1 Zur intellektuellen Konstellation zwischen Heidegger und Marcuse, vgl. John Abromeit: Herbert Marcuses Auseinandersetzung mit der Philosophie Martin Heideggers (1927- 1933), in: Peter-Erwin Jansen (ed.): Zwischen Hoffung und Notwendigkeit. Texte zu Herbert Marcuse, Frankfurt/ Main: Verlag Neue Kritik 1999, 151-168 und Richard Wolin: The Frankfurt School revisited and other Essays on Politics and Society, New York, London: Routledge 2006, 61-81. 2 Seyla Benhabib: Marcuse und Heidegger. Die Vorgänge um Marcuses Habilitation. Der Briefwechsel [1947-48], in: Tüte. Zur Aktualität von Herbert Marcuse. Politik und Ästhetik am Ende der Industriegesellschaft, Tübingen: Tübinger Termine Verlags GmbH 1989, 71- 73, hier: 71 f. Der Briefwechsel ist auch ins Englische übersetzt worden, vgl. Heidegger and Marcuse: A Dialogue in Letters [1947-48], in: Douglas Kellner (ed.): Herbert Marcuse: Technology, War and Fascism. Collected Papers of Herbert Marcuse. Volume One, London, New York: Routledge 1 1998, 263-267. 3 Ebd., 72. 4 Ebd. 5 Ebd. 6 Ebd. 7 Ebd. 8 Ebd. 9 Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, München: Carl Hanser Verlag 1994, 484. Erstaunlicherweise sagt Safranski, dass sich Heidegger genauso wenig wie Adorno nicht verweigert habe, „’Auschwitz zu denken’.“ Diese Parallelisierung trifft nicht zu, hatte doch Heidegger zur Aufarbeitung der NS-Verbrechen des Nationalsozialismus keine nennenswerte Analyse beigebracht. 10 Paul Hühnerfeld: In Sachen Heidegger. Versuch über ein deutsches Genie, München: Paul List Verlag 1961, 11. 11 Ebd., 102. 12 Ebd., 112. 13 Ebd., 96 ff und 121. 14 Vgl. Martin Heidegger: Einführung in die Metaphysik [1935], Tübingen: Max Niemeyer Verlag 4 1976, 8. Der gesamte NS-Kontext wird noch einmal aufgerollt im Interview, das Rudolf Augstein am 23. September 1966 führte (es durfte erst nach Heideggers Tod ver- 81 öffentlicht werden), vgl. Spiegelgespräch mit Martin Heidegger [„Nur noch ein Gott kann uns retten“, in: Der Spiegel, 30. Jg., Nr. 23, 31. Mai 1976], zitiert nach: Günther Neske/ Emil Kettering (eds.): Antwort. Martin Heidegger im Gespräch, Tübingen: Verlag Günther Neske 1998, 81-114. Heideggers Argumentation verläuft ähnlich wie im Briefwechsel mit Marcuse; der Unterschied besteht darin, dass die Frage nach dem Wesen vom Gestell-Charakter in den Vordergrund tritt. Bezweifelt wird, dass das System der Demokratie politische Sicherheit zum Missbrauch der Technik bereitstellen könne. 15 Heidegger: Einführung in die Metaphysik, 16. 16 Ebd., 28. 17 Ebd. 18 Ebd., 29. 19 Ebd., 34. Vgl. Friedrich Nietzsche: Götzen-Dämmerung oder wie man mit dem Hammer philosophiert [1889], in: Ders.: Kritische Studienausgabe. Herausgegeben von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1988, 55-161, hier: 140 ff (§ 39). 20 Heidegger: Einführung in die Metaphysik (Anm. 14), 34. 21 Ebd., 35. 22 Ebd., 35 f. 23 Vgl. Karl Marx: Philosophisch-ökonomische Manuskripte aus dem Jahre 1844, in: Werke (Anm. 14, Teil 1), Bd. 40, 465-588, hier: 574: „Er [Hegel, M. V.] sieht nur die positive Seite der Arbeit, nicht ihre negative. […] Die Arbeit, die Hegel allein kennt und anerkennt, ist die abstrakt geistig (Hervorhebung im Original, M. V.).“ 24 Hegel: Phänomenologie des Geistes (Anm. 15, Teil 1), 362 f. 25 Vgl. Karl Marx: Kritik des Gothaer Programms [1875], in: Werke (Anm. 14, Teil 1), Bd. 19, 11-32, hier: 21. 26 Vgl. Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte, in: Werke (Anm. 14, Teil 1), Bd. 40, 465-588, hier: 539. 27 Friedrich Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen [1795], in: Ders.: Sämtliche Werke. Herausgegeben von Gerhard Fricke und Herbert G. Göpfert, München: Carl Hanser Verlag 7 1984, 570-669, hier: 583. 28 Ebd. 29 Ebd., 584. Vgl. ferner Ulrich von Bülow (ed.): Martin Heidegger: Übungen für Anfänger. Schillers Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen. Wintersemester 1936/ 37. Seminar-Mitschrift von Wilhelm Hallwachs. Mit einem Essay von Odo Marquard, Stuttgart: Deutsche Schillergesellschaft Marbach am Neckar 2005. Dass ästhetische Erziehung den Weg durch das Politische zu beschreiten habe, wird nicht als zentrale Problemstellung Schillers wahrgenommen. Heidegger unterstellt Schiller die „Missdeutung des Absoluten“ (123) und sagt, dass die Briefe den „Gegenschlag gegen die französische Revolution“ (130) darstellen und Schillers „Vernunftideal“ dem „Nihilismus“ (131) entspreche - bedenkliche Deutungen, auf die ich hier nicht weiter eingehen kann. 30 Vgl. Friedrich Engels: Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen [1876], in: Werke (Anm. 14, Teil 1), Bd. 20, 440-455. 31 Max Horkheimer und Theodor W. Adorno: Aufzeichnungen und Entwürfe, in: Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente [1944/ 47]. Gesammelte Schriften. Herausgegeben von Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1998, Bd. 3, 235-296, hier: 267. 82 32 Im Neuen Testament (Mt. 10, 34; Mt. 26, 52 und Lk. 22, 24-30) figuriert die Schwertmetapher als Sinnbild der Verfolgung das Martyrium Christi. 33 Horkheimer/ Adorno: Dialektik der Aufklärung (Anm. 31), 267. 34 Heidegger: Einführung in die Metaphysik (Anm. 14), 152. 35 Heidegger: Einführung in die Metaphysik (Anm. 14), 36 ff (Hervorhebung im Original). Zum Nachweis des Selbstzitates, vgl. Martin Heidegger: Die Selbstbehauptung der deutschen Universität [1933], in: Ders.: Gesamtausgabe. I. Abteilung: Veröffentlichte Schriften 1910-1976, Bd. 16: Reden und andere Zeugnisse eines Lebensweges. Herausgegeben von Hermann Heidegger, Frankfurt/ Main: Vittorio Klostermann 2000, 107-112, hier: 112. 36 Georg Friedrich Wilhelm Hegel. Weltgeist zwischen Jena und Berlin. Briefe. Herausgegeben und ausgewählt von Hartmut Zinser, Frankfurt/ M., Berlin, Wien: Ullstein Verlag 1982, 58 (Hegel an Niethammer: 13. Oktober 1806). 37 Hegel: Phänomenologie des Geistes (Anm. 15, Teil 1), 40. 38 Ebd., 34. 39 Heidegger: Die Selbstbehauptung der deutschen Universität (Anm. 35), 113. 40 Ebd. 41 Ebd. 42 Ebd., 114 (kursiv im Original). 43 Heidegger: Einführung in die Metaphysik (Anm. 14), 81 f. 44 Heraklit: Aus Apollodors ‘Chronik’ [ca. 480 v. Chr.], in: Die Vorsokratiker I. Auswahl der Fragmente, Übersetzung und Erläuterungen von Jaap Mansfeld (Griechisch/ Deutsch), Stuttgart: Philipp Reclam Jun. 1999, 244-283, hier: 245 (Fragment 2). 45 Heidegger: Einführung in die Metaphysik (Anm. 14), 98. 46 Ebd., 101 f. 47 Heraklit: Aus Apollodors Chronik (Anm. 44), 247 (Fragment 7). 48 Ebd., 275 (Fragment 105). 49 Ebd., 255 (Fragment 33). 50 Vgl. George Thomson: Die ersten Philosophen [The First Philosophers, 1955]. Ins Deutsche Übertragen von Hans-Georg Heidenreich und Erich Sommerfeld, Westberlin: Verlag das europäische Buch 1968, 227-241. 51 Vgl. Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Mächte. Nachlaß. Teilband 2: Religiöse Gemeinschaften [1913]. Herausgegeben von Hans G. Kippenberg in Zusammenarbeit mit Petra Schlimm unter Mitwirkung von Jutta Niemeier, Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 2005, hier: 47-81. 52 Friedrich Engels: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats. Im Anschluß an Lewis H. Morgans Forschungen [1884], in: Werke (Anm. 14, Teil 1), Bd. 21, 25-173, hier: 170. Im Kontext der Erörterung der demokratischen Revolution des Kleisthenis (116) kommt Engels zu folgendem Ergebnis: „Nicht die Demokratie hat Athen zugrundegerichtet, sondern die Sklaverei, die die Arbeit des freien Bürgers ächtete.“ Zum gleichen Resultat gelangt Michael Rostovtzeff: Geschichte der Alten Welt [A History of the Ancient World, 1927]. Deutsch von Hans Heinrich Schaeder, Erster Band. Der Orient und Griechenland, Wiesbaden: Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung 1941, 197-214. 53 Alfred Sohn-Rethel: Zur kritischen Liquidierung des Apriorismus. Eine materialistische Untersuchung [1937], in: Ders.: Warenform und Denkform. Aufsätze, Frankfurt/ Main: Europäische Verlagsanstalt 1971, 27-85, hier: 38. 54 Vgl. Heidegger: Einführung in die Metaphysik (Anm. 14), 93 und 102. 55 Vgl. Weber: Religiöse Gemeinschaften (Anm. 51), 59 f. 56 Heidegger: Einführung in die Metaphysik (Anm. 14), 103. 83 57 Ebd. 58 Ebd. 59 Ebd. 60 Zitiert nach: Frank-Rutger Hausmann: Martin Heidegger, Hugo Friedrich und Stéphane Mallarmé, in: Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte, Jg. 30, Heft 3-4, 2006, 377-394, hier: 378 f. 61 Heraklit: Aus Apollodors Chronik (Anm. 44), 263 (Fragment 63). 62 Vgl. Thomson: Die ersten Philosophen (Anm. 50), 233 ff. 63 Marcuse und Heidegger: Der Briefwechsel (Anm. 2), 73 (Heidegger an Marcuse: 20. Januar 1948). 64 Ebd. 65 Rückblickend erscheint Heideggers Argument als Stichwort für den Historikerstreit und die Tendenz zur Revision der NS-Verbrechen und ihrer Geschichtsschreibung. 66 Martin Heidegger: Das Ge-Stell [1949], in: Ders.: Bremer und Freiburger Vorträge. Gesamtausgabe, Bd. 79. Herausgegeben von Petra Jäger [1994], Frankfurt/ Main: Vittorio Klostermann Verlag 2 2005, 24-45, hier: 27. 67 Das Insektizid DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan) ist seit den 70er Jahren verboten. 68 Vgl. Horkheimer/ Adorno: Dialektik der Aufklärung (Anm. 31.), 12. 69 Hellweg berichtete mir, dass er sich mit Gadamer gelegentlich brieflich austauschte. 70 Hellweg: Proletariat (Anm. 56, Teil 1), 28. 71 Vgl. Heidegger: Sein und Zeit (Anm. 17, Teil 1), 428-436 (§ 82). Hier geht es vielmehr um die Bestimmung der Zeit, in der die „Selbstoffenbarung“ des Geistes sich konstituiere. Die theologische Implikation deutet auf die Paulus-Briefe hin und wurde durch Gespräche mit Rudolf Bultmann angeregt. 72 Vgl. Herbert Marcuse: Über die philosophischen Grundlangen des wirtschaftswissenschaftlichen Arbeitsbegriffs [1933], in: Ders.: Kulturkritik und Gesellschaft 2, Frankfurt/ Main: Suhrkamp Verlag 1 1965, 7-48. 73 Ebd., 39. 74 Hellweg: Proletariat (Anm. 56, Teil 1), 29. 75 Ebd., 31. 76 Vgl. Karl Marx/ Friedrich Engels: Die deutsche Ideologie (Anm. 14, Teil 1), Bd. 3, 50-61. 77 Vgl. zur aktuellen Debatte die Marburger Abschiedsvorlesung von Frank Deppe: Krise und Erneuerung marxistischer Theorie. Anmerkungen eines Politikwissenschaftlers. Supplement der Zeitschrift Sozialismus 3/ 2007, hier: 18-24. 78 Vgl. Peter Weiss: Notizbücher 1971-1980, Frankfurt/ Main: Suhrkamp Verlag 1981, Bd. 2, 499. 79 Peter Weiss: Die Ästhetik des Widerstands [1975/ 81], Frankfurt/ Main: Suhrkamp Verlag 1988, Bd. 3, 267. 80 Arthur Rimbaud: Lettres du voyant [1871]. Übersetzt und herausgegeben von Werner von Koppenfels, Mainz: Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung 1990, 8-45, hier: 32. 81 Hellweg: Proletariat (Anm. 56, Teil 1, 31. 82 Vgl. Georg Lukács: Brief über den Stalinismus [1962], in: Ders.: Autobiographische Texte und Briefe. Herausgegeben von Frank Benseler und Werner Jung unter Mitarbeit von Dieter Redlich (Georg Lukács: Werke, Bd. 18), Bielefeld: Aisthesis Verlag 2005, 449-465. Lukács hatte hier seine Ideologiekritik am Stalinismus formuliert, dessen repressive Formen er seit den Blum-Thesen (1928) bekämpfte. Er postuliert, dass sich nur durch eine „Deorganisierung der Bourgeoisie“ beständige Formen der Demokratie entwickeln könnten. Vgl. Georg Lukács: Thesen über die politische und wirtschaftliche Lage in Ungarn 84 und über die Aufgaben der Kommunistischen Partei Ungarns [Blum-Thesen, 1928], in: Ders.: Schriften zur Ideologie und Politik. Ausgewählt und eingeleitet von Peter Ludz, Neuwied, Berlin: Hermann Luchterhand Verlag 1967, 290-322, hier: 308 f. 83 Walter Benjamin: Moskauer Tagebuch [1926/ 27], in: Ders.: Gesammelte Schriften. Herausgegeben von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt/ Main: Suhrkamp Verlag 2 1986, Bd. VI., 292-409, hier: 338. 84 Ossip K. Flechtheim (ed.): Dokumente zur politischen Entwicklung in Deutschland nach 1945, Bd. 2: Programmatik der deutschen Parteien (Erster Teil), Berlin: Dokumente-Verlag Herbert Wendler 1963, 53. 85 Dies waren seine Worte während meines letzten Besuches in Köln Ende Februar 2002. 86 Vgl. Werner Krauss: Literaturgeschichte als geschichtlicher Auftrag [1950], in: Ders.: Literaturtheorie, Philosophie und Politik. Herausgegeben von Manfred Naumann, Berlin, Weimar: Aufbau Verlag 2 1987, 7-61 (Das wissenschaftliche Werk 1). 87 Krauss: Briefe (Anm. 52, Teil 1, 936 (Krauß an Krauss vom 6. September 1975). 88 Werner Krauss: Zur Anthropologie des 18. Jahrhunderts [1976], in: Das Wissenschaftliche Werk 6, 61-247. Vgl. dazu Werner Röhr: Werner Krauss und die Anthropologie, in: Ottmar Ette/ Martin Fontius/ Gerda Hassler/ Peter Jehle (eds.): Werner Krauss. Wege - Werke - Wirkungen, Berlin: Berlin Verlag Arno Spitz 1999, 191-216. 89 Hellweg: Gewissen (Anm. 11, Teil 1), 31. 90 Werner Krauss: Deutschland als Thema der französischen Aufklärung [1933], in: Ders.: Gesammelte Aufsätze zur Literatur- und Sprachwissenschaft, Frankfurt/ Main: Vittorio Klostermann Verlag 1949, 430-450. 91 Hellweg hatte in seinen „Erinnerungen“ irrtümlich dieses Thema mit der von Auerbach betreuten Habilitationsschrift Werner Krauss: Über die ästhetischen Grundlagen des spanischen Schäferromans (Marburg, 1932, Maschr., 185 Blätter, Staatsarchiv Marburg) verwechselt; die Antrittsvorlesung fand nicht 1931, sondern 1932 statt. Die biographischen Daten der im Text genannten Personen sind folgende: Franco Lombardi (1906- 1989), italienischer Philosoph und Lektor in Marburg von 1933-1942, heiratete die Marburger Gymnastiklehrerin Elisabeth Braun, war seit 1943 Professor in Rom und hatte sich dem italienischen Widerstand gegen den Faschismus angeschlossen. Gonzales Vicen (1908-1991), spanischer Philosoph und Rechtshistoriker, Schüler von Ortega y Gasset, mit Krauss und Hellweg befreundet; hatte in den dreißiger und vierziger Jahren Vorträge in Marburg und Berlin gehalten; war später Professor der Universität de la Laguna (auf Teneriffa) und Übersetzer von Ernst Blochs „Prinzip Hoffnung“. 92 Vgl. In Memoriam. Zum 30. Todestag von Werner Krauss, in: Lendemains, 31. Jg., Heft 124, 2006, 109-131. 93 Vgl. Herbert Kopp-Oberstebrink: Humanistische Begründung der Geschichte. Ernst Cassirers Konzeption von Philosophie- und Wissenschaftsgeschichtsschreibung während der Exilzeit, in: Gerald Hartung/ Kay Schiller (eds.): Weltoffener Humanismus. Philosophie, Philologie und Geschichte in der deutsch-jüdischen Emigration, Bielefeld: Transcript Verlag 2006, 53-70. 94 Hegel: Phänomenologie des Geistes (Anm. 15, Teil 1). 276 (Hervorhebung im Original). Ich danke dem Philosophen Jan Müller (Universität Stuttgart) für kritische Anregungen. Erratum Im Teil 1 dieses Aufsatzes muss die Seitenangabe zu Fußnote 12 (Karl Löwiths Text über Karl Marx und Max Weber) richtig heißen: 324-407. 85 Martin Hellweg Erinnerungen an Werner Krauss (25.03.2000) Als einer der wenigen noch lebenden Bekannten, Weggefährten und Freunde von Werner Krauss aus den dreißiger Jahren bis zur Nachkriegszeit möchte ich die Bitte von Martin Vialon erfüllen, dies Grußwort an Sie mit einigen persönlichen Erinnerungen an Werner Krauss zu verbinden. Über die wissenschaftlichen Leistungen des großen Gelehrten und Forschers werde ich nicht sprechen; es wird Ihre Aufgabe sein, sein umfangreiches, bedeutendes Lebenswerk nach den verschiedenen Seiten hin zu durchleuchten - auch zu entschlüsseln. Ich will nur über meine persönliche Beziehung zu ihm berichten, und nach so vielen Jahren kann das auch nur eine sehr lückenhafte Darstellung sein. Ich war bei seiner Antrittsvorlesung im Jahr 1931. Das Thema über die Darstellung der Arbeitswelt in der frühen spanischen Literatur interessierte mich sehr. Noch in Erinnerung ist mir geblieben, daß Krauss den väterlichen Frack trug, der durch die Ösen für die Ordensschnallen zu erkennen war. Im Jahr 1933 oder 1934 traf ich ihn zum ersten Mal zu einem längeren persönlichen Gespräch. Frau Braun, die spätere Frau des damaligen italienischen Lektors, späteren Professors in Neapel, Franco Lombardi, hatte das Treffen vermittelt. Sie wohnte in demselben verwunschenen Haus am Renthof wie ich. Bei dieser Begegnung merkten wir bald, daß eine große Affinität in unseren wissenschaftstheoretischen Auffassungen bestand. Wir besprachen die Problematik meines Dissertationsthemas, das ich Prof. Auerbach vorgeschlagen hatte und das er mit Zustimmung und großem Beifall angenommen hatte: „Der Begriff des Gewissens bei J.-J. Rousseau“. Krauss gab mir dazu weitere Anregungen und nützliche Hinweise. Nach dem Rigorosum erhielt ich die Assistentenstelle am Romanischen Seminar. Prof. Auerbach hatte mir in Aussicht gestellt, daß er mich habilitieren wollte, in der trügerischen Hoffnung, daß er in Deutschland werde bleiben können. Werner Krauss hatte für mich bereits Quartier auf dem Rotenberg 28 A gemacht, und so wohnte ich in den folgenden zwei Jahren Wand an Wand mit seiner Wohnung. Wir diskutierten sehr viel miteinander, oft fast täglich über all die Fragen, die uns bewegten, und das in einer offenen und freundschaftlichen Form. Ich hatte niemals den Eindruck, daß wir uns im Inneren gefragt hätten: Wie schätzt mein Gegenüber mich eigentlich ein? Was hat er an mir gefunden? Man hat es eben. In dieser Selbstverständlichkeit und Unmittelbarkeit im gegenseitigen Verstehen und Verhalten, und daß man sich ohne wenn und aber annimmt, darin besteht wohl das Geheimnis und das Glück der Freundschaft. Werner Krauss war ein unermüdlicher Arbeiter, der häufig nachts bis in die Morgenstunden hinein las und schrieb - unersättlich in seiner Wißbegier, dabei sehr anregend im Gespräch. Und doch ergaben 86 sich immer wieder Gelegenheiten zu abendlichen Radfahrten in die bezaubernde Umgebung Marburgs. Manchmal kam er in mein Zimmer und fragte, ob ich Lust auf ein echtes Pilsener Bier hätte. Da es in Marburg keins gab, setzten wir uns aufs Rad und fuhren nach Gießen, wo wir das gewünschte Bier zum Abendessen in einem Gartenlokal genossen. Mit dem Nachtschnellzug fuhren wir wieder zurück. Bis zu seiner Verhaftung standen wir in brieflicher Verbindung. Auf den Reisen in den Urlaub besuchte ich ihn auch in Berlin. Kurz vor seiner Verhaftung warnte er mich noch: ich solle ihm nicht mehr schreiben, er sei in Gefahr. Diese kurze Notiz habe ich nicht aufbewahrt, auch er hat meine Briefe wohl verbrannt, um mich nicht zu belasten. Bei einem späteren Aufenthalt in Berlin rief ich Felipe Gonzales Vicén an, er schien über meinen Anruf überrascht zu sein - er wußte nur, daß Werner Krauss zum Tode verurteilt war, aber nicht, ob er noch am Leben war oder nicht. Ich selbst war bis zum Kriegsende fest davon überzeugt, daß wir uns wiedersehen würden. Das traf auch im August 1945 zu. Werner Krauss hatte sich schon mit meiner Frau in Verbindung gesetzt, und ich besuchte ihn auf dem Rotenberg - er war gezeichnet von den Leiden der Gefangenschaft. Trotzdem war er unermüdlich tätig, in der Hoffnung, seine Visionen in die Wirklichkeit umsetzen zu können. Unsere Verbindung ist nach seinem Weggang nach Leipzig abgebrochen, durch die damaligen Verhältnisse. Ich habe ihn noch einmal in Freiburg wieder getroffen, wo er auf Einladung seines Schülers, Prof. Köhler, einen Vortrag hielt. Er war durch seine Krankheit körperlich gebrochen und ein in seinem Verhalten veränderter Mensch, der kurz danach von uns gegangen ist. - Ich wünsche Ihnen, den Vortragenden und Hörern während dieses Kongresses einen erfolgreichen Verlauf und eine anregende und fruchtbringende Begegnung mit dem so vielschichtigen Werk von Werner Krauss und bedauere, nicht dabei sein zu können. Aber: In absentia praesens sum. Der handschriftliche Begleitbrief zu diesem Dokument lautet folgendermaßen: Köln, am 25. 3. 00 Lieber Martin Vialon! Anbei meine kurz gefaßten „Erinnerungen“. Sie sind länger geworden als gedacht und angegeben. Wenn Sie sie als nicht angemessen befinden, lassen Sie sie weg. Mir hatte die Niederschrift heute einiges abverlangt, weil damit auch schmerzliches verbunden war - tempi passati. Ich würde Ihnen dankbar für eine maschinengeschriebene Kopie sein, durch die Schreibmaschine verkürzt sich das Gesagte. Mir geht’s nicht besonders gut - diese lästigen Anfälle von Gastritis dauern nun schon lange. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei dem Kongress! Mit herzlichen Grüßen Ihr Martin Hellweg 3: 34 87 Ottmar Ette „Vivre dans une autre langue, une autre réalité.“ Entretien avec Amin Maalouf Ile d’Yeu, 15 septembre 2007 Après un voyage qui marque bien la distance entre le continent et le monde des îles, le bateau entre lentement dans le joli port de Port-Joinville. Je descends avec la foule de touristes partis très tôt de Fromentine et enthousiastes de leur visite à l’Ile d’Yeu. Un week-end ensoleillé s’annonce, il commence déjà à faire chaud. Souriant, Amin Maalouf m’attend. Il m’accompagne à sa voiture, garée près du port sur un quai bordé de cafés et de restaurants. Ce n’est qu’un bout de chemin très court qui nous sépare de sa maison: une fois sur l’île, toutes les distances sont minimes. Dans la voiture, sans préambules, on commence à parler de grands voyages et de l’écriture. Une fois arrivés à la maison de l’écrivain, pendant quelques minutes, on ne descend pas de la voiture: on préfère le dialogue qui déjà s’est entamé, tout naturellement. Enfin, on se décide. On quitte la voiture et on entre dans la maison, une modeste maison de pêcheur, gracieuse et accueillante. Amin Maalouf me montre sa table de travail et sa bibliothèque, le lieu que l’auteur de Léon l’Africain s’est créé pour écrire pendant les longs mois d’été au cours desquels il se retire ici avec son épouse qui m’accueille, elle aussi, avec une hospitalité spontanée et toute naturelle. Tout de suite, on se sent à l’aise ici. On s’installe dans une cour qui donne sur un vieux jardin, une cour dont l’atmosphère me capte immédiatement. Nous ne nous sommes jamais rencontrés avant, mais nous ne trouvons aucune difficulté à nous parler. Et déjà, on entre dans le vif du sujet, le voyage n’a fait que commencer. Ottmar Ette: Dans votre premier roman, Léon l’Africain, à un moment donné, Christophe Colomb entre en scène: la chute de Grenade se combine avec la découverte et la conquête d’un nouveau monde et l’histoire de Léon l’Africain prend son essor. Dans vos romans, vous esquissez une autre histoire de la mondialisation. Quel serait ce croisement entre Orient et Occident? Amin Maalouf: Il est vrai que l’année 1492 est assez symbolique de ce point de vue. On pourrait difficilement trouver des dates qui marquent aussi fortement une rupture entre deux époques. La découverte de l’Amérique, c’est le moment où, pour la première fois, on prend la dimension du monde - même si l’Australie n’est pas encore découverte. Et l’extension planétaire de l’Europe devient une réalité. 1492, c’est la chute de Grenade et la fin de la présence musulmane en Europe occidentale, la fin de la civilisation andalouse qui fut le lieu d’une rencontre privilé- 88 giée entre le monde musulman, le monde chrétien et le monde juif, même s’il est vrai que les grands moments de cette civilisation étaient déjà passés deux ou trois siècles plus tôt. Symboliquement, il y a là une ère qui s’achève et une autre qui commence. Cette frontière qui s’établit au sud de l’Espagne, qui passe par le détroit de Gibraltar, elle avait été traversée une première fois dans un sens, puis retraversée dans l’autre sens, mais désormais elle allait s’installer durablement, et jusqu’à nos jours elle demeure l’une des grandes frontières du monde. 1492, c’est aussi le début de ce qu’aujourd’hui nous appelons la mondialisation, ou la globalisation. A notre époque, ce phénomène est caractérisé par une très grande accélération. On a parfois l’impression que c’est à une toute autre mondialisation que nous assistons depuis une vingtaine d’années. Depuis la chute du mur de Berlin, un monde différent est en train d’apparaître, dont nous ne connaissons pas encore tous les contours, même si nous en mesurons déjà les périls. Mais le phénomène de mondialisation était déjà clairement à l’œuvre, dans tous ses aspects, à la fois enthousiasmants et inquiétants, dès 1492. La chute de Grenade et la conquête de l’Amérique - maintenant nous avons assez de recul historique pour pouvoir le dire -, c’étaient deux bouleversements simultanés et inséparables. D’un côté, il est clair que l’Europe a construit dans les Amériques une extension remarquable de sa civilisation, au nord comme au sud du nouveau continent, ce qui a changé la face du monde. Mais il est clair aussi que cela s’est fait en anéantissant brutalement d’autres civilisations. S’il est normal de le souligner et de s’en émouvoir, je pense qu’il est honnête et raisonnable pour un observateur qui vit et réfléchit au début du XXI e siècle de ne pas porter de jugement sur des événements si lointains. Il ne sert à rien de dire, après un demi millénaire, ceci était bien et ceci était mal. Il faut simplement dire: voilà comment les choses se sont passées. L’Europe a conquis le monde pour le meilleur et pour le pire. Le meilleur nous est venu avec le pire, et nous sommes tous - quelles que soient nos origines - porteurs de cet héritage, comme bénéficiaires et comme victimes à la fois. C’est vrai que l’Europe a beaucoup contribué au développement des diverses sociétés humaines, et en même temps, il est clair aujourd’hui, au début du XXI e siècle, qu’un problème sérieux se pose concernant les rapports entre l’Occident et le reste du monde. O. E.: Donc dès le début il y aurait quelque chose comme une espèce de faille, d’erreur dans le système de ladite mondialisation, quelque chose qui bloque aussi la communication entre l’Orient et l’Occident dans cette expansion européenne qui est en même temps l’imposition d’une seule logique? A.M.: Je pense qu’il y a toujours eu depuis le début une contradiction entre deux aspects de la civilisation occidentale: l’aspect universel et l’aspect particulier. Par certains côtés, la civilisation occidentale s’est répandue dans le monde et on trouve les traces de ses sciences, de ses idées, de son mode de vie, dans pratiquement toutes les sociétés humaines. Ce phénomène, qui n’a aucun équivalent à travers l’Histoire, s’est effectivement déroulé, grosso modo, à partir de la fin du XV e siècle, et il n’a cessé de s’accélérer, jusqu’à ce jour. S’il y a une civilisation globale 89 qui est en train de se mettre en place, elle est principalement occidentale. En même temps, l’Occident n’a pas fait du reste du monde un autre Occident, il n’a pas réussi à transmettre un certain nombre de choses. Non parce que les autres peuples n’étaient pas prêts à les recevoir, mais parce qu’il y a toujours eu une ambiguïté dans l’attitude de l’Occident entre sa volonté de „civiliser“ le monde et sa volonté de le dominer. Civiliser le monde, si on prend la logique jusqu’au bout, c’est permettre aux peuples conquis de se comporter librement, de choisir librement leur destin. Civiliser le monde, c’est lui permettre d’avoir des institutions démocratiques et une vie sociale et politique comparable à celle de l’Occident. Celuici ne l’a jamais voulu. Il y a toujours eu un hiatus entre l’objectif annoncé de civiliser les autres, d’œuvrer pour leur avancement, et la volonté évidente, constante, il y a 500 ans et encore aujourd’hui, de les dominer. Si on a l’intention d’imposer sa propre volonté à un peuple plus pauvre, ou plus faible, on ne voudra pas laisser se développer en son sein des Thomas Jefferson ou des Voltaire. L’Occident, pendant toute sa période coloniale et même jusqu’à ce jour, n’a jamais dépassé cette contradiction. La France était en Algérie pendant 130 ans, elle a transformé l’Algérie en une série de départements français, mais elle n’a jamais donné aux Algériens les mêmes droits qu’aux citoyens français. Les Bretons, on leur a enlevé leur langue, mais on leur a donné en échange une citoyenneté totale. Les Algériens, on a enlevé leur langue, on a écrasé leur culture, et on ne leur a pas donné la contrepartie. On est arrivé à cette chose étrange d’un pays colonisateur qui proclame chez lui la séparation de l’Eglise d’avec l’Etat, mais qui appelle les Algériens des „Français musulmans“. Cela veut dire quoi, les Français musulmans pour un pays laïque? Je cite cet exemple, mais il y en a bien d’autres. Les ouvriers mexicains en Californie du sud et les ouvriers marocains en Espagne du sud, c’est exactement le même problème dans la vie quotidienne, ce sont les mêmes préjugés qui opèrent. Avec pour résultat qu’aujourd’hui, le monde est de plus en plus occidentalisé, par certains côtés, mais il est également en rage contre l’Occident. O.E.: Revenons un peu en arrière. Léon l’Africain développe une situation à différentes strates, à différents niveaux temporels. C’est une structure souple qu’on retrouve dans tous vos livres, y inclus Origines. Déjà le protagoniste de votre premier roman est un personnage qui traverse différentes cultures, qui vit dans un monde où la convivance, la façon de convivre entre différentes cultures est hautement conflictuelle. En plus, bien sûr, il n’écrit pas dans sa langue maternelle. Quelle serait donc la fonction de la littérature, quel serait le savoir spécifique de la littérature dans ce panorama de différentes cultures et chronologies évoquées dans vos romans? A.M.: Il me semble que la littérature peut transmettre une connaissance de l’Autre que les autres approches ne peuvent pas saisir avec les mêmes nuances. Moi, j’ai vécu dans une société où il y avait des gens qui appartenaient à des traditions religieuses différentes, qui avaient des histoires communautaires différentes, et cette expérience de vie, ce côtoiement quotidien de l’Autre, j’essaie toujours de le trans- 90 mettre parce qu’il me semble qu’il manque beaucoup dans le monde d’aujourd’hui. Je ne sais pas si j’y parviens un peu, mais j’ai le sentiment que je ne transmets qu’une partie infime de ce que je voudrais transmettre. Or nous sommes dans un monde où ce côtoiement intime entre des cultures qui sont ou apparaissent en conflit est une chose essentielle. Etre capable de vivre dans une société où il y a des gens qui appartiennent à des communautés chrétiennes orientales, à des communautés musulmanes ou juives, c’est là une expérience malheureusement rare, de plus en plus rare, dans le monde d’aujourd’hui. Le moment de coexistence que j’ai moi-même connu dans le Beyrouth des années 1960, et qui me paraissait à l’époque tout à fait normal, peut-être même immuable, est déjà révolu. Révolu au Liban, et révolu ailleurs, à Sarajevo comme à Alexandrie. Pourtant, cette expérience du côtoiement quotidien, cette capacité de connaître l’autre intimement, et de manière quasiment instinctive, connaître ses sentiments, sa sensibilité, c’est aujourd’hui une chose fondamentale et qui fait cruellement défaut. Nous sommes dans un monde où l’écrasante majorité des gens, qu’ils soient éloignés les uns des autres ou qu’ils vivent côte à côte, ne se connaissent que par des représentations approximatives, stéréotypées, et de l’extérieur. Alors qu’on a plus que jamais besoin d’une connaissance précise, juste, subtile, et de l’intérieur. On en a besoin pour pouvoir appréhender le monde, et aussi pour savoir gérer sereinement nos propres sociétés. Or, pour transmettre cette connaissance subtile et intégrale de l’Autre, je ne connais pas, pour ma part, un meilleur instrument que la littérature. O.E.: Cette connaissance, dès le début, occupe un lieu mobil dans vos livres, l’écriture est en mouvement. Et en même temps, cette écriture - l’écriture sur un bateau, peut-être aussi l’écriture sur une île - a un lieu à la fois extérieur et intérieur, un espace créé en traversant. On pourrait dire qu’un espace n’est jamais un territoire mais plutôt la somme des mouvements qui le traversent. Alors, en quel sens le fait de traverser différentes langues produit une sensibilité spécifique pour une littérature capable de transporter et transmettre un savoir sui generis sur ce défaut, ce manque que vous avez signalés? A.M.: Pour moi, la question linguistique est fondamentale. On ne peut pas véritablement connaître l’Autre si on ne désire pas connaître sa langue. Bien entendu, aucune personne ne peut apprendre toutes les langues, mais toute personne devrait faire un effort afin qu’il y ait, au sein de chaque peuple, un certain nombre de personnes capables de s’exprimer dans chacune des langues de la planète. Je suis par exemple profondément sceptique quant à la capacité des Etats-Unis de jouer le rôle qu’ils se sont assignés dans le monde s’ils ne se mettent pas à l’étude des langues des autres. Vouloir influencer le destin d’un peuple sans avoir été vers lui, sans avoir cherché à le connaître, sans avoir pris la peine d’apprendre sa langue, ne peut que conduire à des malentendus désastreux, comme on vient de le voir en Irak. Aujourd’hui, il y a aux Etats-Unis un timide mouvement pour étudier l’espagnol parce que c’est une langue qui commence à devenir présente sur le territoire américain, mais je pense qu’un grand pays comme celui-là devrait avoir 91 des contingents entiers qui parlent toutes les langues du monde. Les populations du Sud ont souvent étudié les langues du Nord pour des raisons de nécessité économique, ou parce qu’elles leur ont été transmises pendant la période coloniale, et parfois pour d’autres raisons encore. En Occident, on a perdu l’habitude d’apprendre les langues du Sud, et l’on a eu tort de céder ainsi à la facilité, et peut-être un peu aussi à la suffisance. Les missionnaires américains qui venaient en Orient au XIX e siècle et au début du XX e siècle s’efforçaient d’étudier la langue du pays, ils se faisaient même un devoir de pouvoir écrire dans cette langue, ce qui leur valait l’estime de la population locale. Aujourd’hui, cela devient un phénomène extrêmement rare, exotique, quasiment incongru. Il y a des dizaines, des centaines de millions de gens du Sud qui connaissent l’anglais, le français, l’espagnol, le portugais, l’allemand, le néerlandais, et toutes les langues du nord. Alors que pour les Occidentaux, la connaissance de l’arabe, du turc ou du persan est réservée à quelques spécialistes. C’est, me semble-t-il, un déséquilibre grave, je ne sais pas s’il est possible d’y remédier, mais à mon avis c’est un symptôme de l’incompréhension qui existe aujourd’hui, et elle est génératrice de tensions. Par ailleurs et sur un autre plan, je crois que l’on fait fausse route quand on pense que l’on peut priver impunément les gens qui viennent des pays du Sud de leur langue identitaire, je pense qu’une des raisons pour lesquelles les gens affirment de manière outrancière leur appartenance religieuse, c’est parce qu’ils ne sont pas en mesure d’exprimer leur appartenance culturelle et linguistique. Je crois que les immigrés notamment devraient avoir la possibilité d’apprendre leur langue d’origine, de promouvoir la culture qui est liée à cette langue, de sentir que cette culture a sa place dans la société d’accueil où ils ont choisi de vivre, et je pense que cela leur permettrait d’avoir une approche de cette société qui soit une approche d’ouverture et de compréhension mutuelle, alors que la privation de leur langue ne peut que gonfler l’importance de l’autre facteur essentiel d’identité, qui est la religion. Il y a des pays qui, pour des raisons historiques - je pense notamment à la France - insistent toujours sur la nécessité d’une langue unificatrice. Il y a eu des siècles de centralisme qui visaient entre autres à éteindre toutes les langues locales pour que tout le monde se retrouve autour d’une nation unie par la langue. C’était peut-être justifié pendant des siècles, et il me paraît toujours nécessaire d’avoir une langue commune pour tous; mais lorsqu’on en tire pour conséquence qu’il faut dépouiller les immigrés de leur langue identitaire pour faciliter leur intégration, on fait fausse route et l’on aboutit à l’effet inverse. Quelqu’un qui n’est pas à l’aise avec sa langue d’origine ne peut pas être à l’aise avec la langue du pays d’accueil, il a l’impression de trahir sa langue d’origine et sa culture d’origine, et il en éprouve une forte culpabilité, ce qui l’amène à compenser par une affirmation appuyée de son appartenance religieuse. On est même arrivé un jour à une situation risible, mais un peu triste aussi, quand on a décidé qu’on allait expulser les enfants qui étaient en situation irrégulière „sauf s’ils ne connaissaient pas la langue du pays d’origine“; dans ce cas ils n’étaient plus expulsables. Ainsi, le fait de connaître la langue de leurs parents mettait en péril leur séjour en France. Un en- 92 fant devait donc faire semblant de ne pas connaître sa langue d’origine pour pouvoir rester dans le pays. How terribly misguided! O.E.: Je voudrais aussi qu’on parle du lieu de notre rencontre aujourd’hui. Pendant l’été, vous avez donc échangé l’Ile de France pour l’Ile d’Yeu, autrement dit vous oscillez entre l’Ile de France et l’Ile d’Yeu. Vous êtes en même temps à l’intérieur de l’hexagone et aussi - jusqu’à un certain point - à l’extérieur de l’hexagone. Quelle est la relation entre ce mouvement oscillatoire et votre position en tant qu’écrivain de langue française face au problème de la francophonie, face au problème d’une littérature française hexagonale? A.M.: Il y a là de nombreuses questions en une seule. D’abord, pour l’ubiquité entre Paris et l’Ile d’Yeu, je crois que ce que j’ai fait, à vrai dire, c’est de renouer avec une très ancienne tradition libanaise. Au Liban, dans ma jeunesse, nous avions l’habitude de passer l’été à la montagne et l’hiver à Beyrouth, où nous étions scolarisé. Une pratique liée au climat - en été, l’air est lourd dans la capitale, et léger en altitude -, mais liée aussi aux réalités sociologiques du pays. Je me souviens que nous arrivions à Beyrouth début octobre, et que nous en repartions dans les tout derniers jours de juin pour passer les trois mois d’été au village; celui-ci n’était pas très loin, tout juste à 40 kilomètres de Beyrouth, mais il était à 1200 mètres d’altitude, et il paraissait très éloigné ou en tout cas la vie y était complètement différente de celle de la capitale. Au Liban, les gens demandent souvent les uns aux autres: „De quel village es-tu? “ C’est souvent la toute première phrase dans une conversation. Quand je suis arrivé en France il y a plus de trente ans, j’avais l’habitude de demander aux gens que je rencontrais d’où ils étaient. Puis j’ai compris que cela ne se faisait pas, et qu’il fallait plutôt demander aux gens quelle était leur profession. Pour en revenir à l’île d’Yeu, j’y ai donc reproduit le schéma libanais. Au lieu de passer l’hiver à Beyrouth et l’été au Mont-Liban, je passe l’hiver à Paris et l’été du côté de l’Atlantique. Un rythme qui convient fort bien à mon activité littéraire. A Paris j’arrive à écrire, mais il y a toujours toutes sortes de choses dans une grande ville qui font qu’il y a un degré de concentration qu’il n’est pas facile d’atteindre, et j’ai besoin de revenir chaque printemps à l’Ile d’Yeu; dès que j’y arrive, je sais beaucoup mieux où j’en suis dans le livre que je suis en train d’écrire. Les mois que je passe ici - c’est parfois trois mois, parfois cinq mois, quelquefois même plus de huit - sont des mois de travail intense où chaque jour j’avance dans mon livre. J’apprécie tellement le fait de travailler ici, que j’ai souvent envie de ne plus en bouger. Mais il y a d’autres considérations pour lesquelles je continue à faire l’aller-retour. Je pense que le fait d’être sur une île crée aussi une rupture psychologique: je le sens très fort: lorsque je viens ici, plus je m’éloigne de Paris, plus je sens que toutes les préoccupations que j’avais là-bas sont en train de s’évanouir; à l’inverse, lorsque je repars d’ici, plus je m’approche de Paris - qui est environ à 500 kilomètres - plus je sens que tous les soucis reviennent m’assaillir, que tous les problèmes à régler reviennent me hanter, et à certains moments j’ai l’impression de suffoquer. (Rires) 93 O.E.: Et par rapport à la littérature hexagonale? A.M.: Par rapport à la francophonie, je me pose depuis quelques années un certain nombre de questions. Il me semble que le mot „francophonie“ devrait être réservé à un usage politique et stratégique, parce qu’en matière de littérature, il pose problème. L’idée de ceux qui ont forgé le mot de „francophonie“, c’était de créer un concept qui regroupe tout ceux qui, pour des raisons historiques, ont le français en partage... O.E.: Comme ceux qui ont l’espagnol en partage. A.M.: Absolument. Et généralement - à part la France et quelques zones européennes voisines comme la Wallonie, la Suisse romande, ou le Luxembourg -, l’espace francophone rassemble principalement les anciennes possessions françaises, de vieilles colonies comme le Québec mais surtout les possessions bien plus récentes d’Afrique du nord, d’Afrique noire, ou d’Indochine; à quoi il faudrait peut-être ajouter certains pays qui, en Europe, ont conservé une tradition francophone remontant à l’époque où la langue française était la plus sérieuse des candidates à devenir la lingua franca - par exemple la Roumanie. Regrouper des pays du Nord et du Sud, de l’Ouest et de l’Est, à travers un lien linguistique et culturel m’apparaît une idée féconde et une idée d’avenir. Donc, de ce point de vue, je trouve que le regroupement des francophones, - ou des hispanophones, ou des lusophones -, est une excellente idée. Là, où il y a eu dérapage, c’est quand on a commencé à parler de „littérature francophone“, parce qu’alors les vieilles habitudes discriminatoires se sont réintroduites, et l’idée s’est imposée selon laquelle il y aurait d’un côté „la littérature française“ proprement dite, et de l’autre une littérature „francophone“ regroupant Belges, Québécois, Marocains, ou Sénégalais dont la seule caractéristique commune est d’être allogène. Soudain, le terme qui était censé rassembler est devenu un instrument de discrimination. Et selon des critères douteux, difficilement avouables. Ainsi, un écrivain d’origine russe qui arrive à Paris, et qui commence à écrire en français, n’est jamais traité d’écrivain francophone. Alors qu’un écrivain d’origine algérienne et de nationalité française, qui a toujours vécu en France, est classé „francophone“ du seul fait qu’il porte un prénom arabe. C’est absurde, c’est stupide, et c’est profondément malsain. Un écrivain des Antilles qui est de nationalité française depuis quatre générations, est réputé „francophone“. Pour cela, je dis: attention! Le mot de „francophonie“, si l’on veut le préserver dans le sens où l’avaient conçu ses inventeurs, tel le président Léopold Sédar Senghor, on devrait le réserver exclusivement à la sphère politique et diplomatique. Pour le reste, prenons l’habitude de dire simplement „de langue française“. En anglais, l’ambiguïté n’existe plus parce qu’il y a d’un côté le pays d’origine de la langue, qui est l’Angleterre, et de l’autre côté le plus grand pays de la langue anglaise, c’est-à-dire les Etats-Unis; auxquels il faudrait ajouter plusieurs autres pays qui ont traditionnellement leur importance dans le domaine littéraire, comme l’Irlande, le Canada, l’Australie, l’Inde évidemment, et puis le Nigeria, 94 l’Afrique du Sud, les Antilles, etc. La littérature de langue anglaise est devenue véritablement mondiale, c’est une littérature qui prospère, et qui s’épanouit sans complexe. En France, le fait que le pays d’origine de la langue soit en même temps le principal pays de langue française, ajouté au fait que la plupart des pays qui partagent cette langue sont des anciennes colonies, qui exportent vers la France des immigrés dont elle cherche à se protéger, des pays dont la culture ne bénéficie pas d’une très grande estime auprès de la population française, tout cela est bien handicapant pour le rayonnement de la langue française. C’est peut-être pour cela que l’on a involontairement laissé glisser le mot „francophonie“ vers une signification qui, malheureusement, intègre tous ces éléments malsains, et c’est pour cela qu’il faudrait prendre l’habitude de dire „littératures de langue française“, au pluriel ou au singulier, peu importe: et qu’il faudrait dire aussi „écrivains de langue française“, plutôt qu’écrivains francophones, une expression qui a été dénaturée au point que beaucoup la trouvent aujourd’hui offensante. O.E.: Or, pour revenir une dernière fois sur ce mouvement entre l’Ile de France et l’Ile d’Yeu, vous avez choisi le français comme langue d’expression littéraire principale: est-ce que l’idée d’une littérature sans résidence fixe serait aussi un concept où vous vous retrouveriez? A.M.: Qu’est-ce que vous entendez par „sans résidence fixe“? O.E.: C’est-à-dire une littérature un peu comme celle du protagoniste de Léon l’Africain, rédigeant son texte sur le bateau, ou comme dans Les échelles du Levant, entre différents ports (pas seulement Port-Joinville), bref, une littérature très consciente des espaces culturels qu’elle traverse, mais en même temps une littérature qui va au-delà disons d’un concept national, territorial, sans pourtant se diluer dans une littérature mondiale tout court: donc un entre-deux qui permet de définir très clairement quels sont les espaces culturels et linguistiques qu’on traverse, quel est l’héritage d’un monde et d’une littérature qui parle français et qui en même temps sont ouverts vers d’autres espaces: Cuba, l’Amérique latine, évidemment le monde arabe, mais aussi d’autres mondes culturels. Donc, une littérature qui n’est pas territorialisée dans ce sens. A.M.: En ce qui me concerne, trois langues ont joué un rôle important dans mon parcours personnel et familial. L’arabe, qui est ma langue maternelle et qui a une signification particulière dans ma famille. Je viens d’une famille de lettrés arabes, de gens qui ont toujours été très fiers de leur connaissance de cette langue. Il y a eu mon père et beaucoup d’autres avant lui qui étaient poètes ou essayistes de langue arabe, et c’est vrai que, d’une certaine manière, c’était un peu étrange que moi, leur descendant, choisisse d’écrire dans une autre langue. Notre deuxième langue familiale, c’était l’anglais, parce que les premiers des nôtres à avoir fait des études universitaires, tel mon arrière-grand-père puis mon grand-père, sont allées dans des écoles fondées par des missionnaires protestants venus des Etats-Unis. De ce fait, il était incongru que leur descendant ait fait ses études non chez les 95 Américains, mais chez les jésuites français. Dans nos dîners familiaux, on parlait constamment de l’Université, et il était entendu que c’était l’Université américaine de Beyrouth. On parlait de tel professeur, de tel dean, ou du Board of Trustees, quand on disait „le président“, c’était toujours le président de l’Université américaine. Les conversations tournaient autour de ça, parce que bien des gens dans mon entourage étaient professeurs après avoir été étudiants de l’Université américaine. Moi seul je n’ai pas fait mes études là parce que ma mère, qui est farouchement catholique, tenait à ce que mes sœurs et moi nous fassions nos études dans des écoles religieuses catholiques, qui au Liban sont généralement françaises. De ce fait, j’ai fait mes études en français, puis écrit en français, puis émigré vers la France, mais l’anglais est resté très présent dans ma vie quotidienne. Quand je suis les informations à la radio, à la télévision, c’est surtout en anglais. (Rire) Quand je lis, c’est presque toujours en anglais. Toute la littérature étrangère, je la lis en anglais, sauf évidemment la littérature française. Mais la littérature russe, la littérature espagnole, ou la littérature allemande, je les lis toutes en anglais. S’agissant de l’arabe, je le pratique malheureusement beaucoup moins depuis que je me suis installé en France en 1976. Quand je vivais au Liban, je travaillais dans un journal de langue arabe. Les seules choses que je n’écrivais pas en arabe, je les écrivais en anglais, dans un bulletin édité par le même journal et qui analysait en profondeur certaines questions de politique internationale ou d’économie. Le français était pour moi à l’époque une langue strictement intime, puisque je ne la parlais ni à la maison, ni au bureau, ni dans la rue. Simplement, j’avais un petit carnet sur lequel je notais quelques idées, et je le faisais généralement en français. Quand je suis venu en France, le français est devenu, du jour au lendemain, omniprésent. Pour pouvoir travailler, comme à l’hebdomadaire Jeune Afrique, j’avais besoin du français. Dans la rue, les gens parlaient évidemment cette langue, et ainsi, elle a complètement envahi ma vie. Et quand j’ai commencé à écrire, je dois dire que c’est venu tout naturellement que j’écrive en français, parce que j’avais envie de vivre pleinement dans ce pays, et non en marge. Je n’avais pas envie de rester quelqu’un d’extérieur. De toute manière, j’ai toujours aimé la France, sa qualité de vie, et l’air de liberté qu’on y respire. Et je m’étais toujours intéressé à tout ce qui s’y passais. Même quand j’étais au Liban, je suivais de près les élections françaises, et quelquefois je m’enthousiasmais comme si ce pays était le mien, alors qu’en ce temps-là je ne songeais pas du tout à m’y installer. Une fois installé en France, j’ai eu envie de m’exprimer dans la langue des gens au milieu desquels je vivais. Ecrire en français m’est donc venu spontanément, mais je n’ai jamais été un enthousiaste de tout ce bruit que l’on a fait à propos des écrivains francophones. Cela ne m’a jamais amusé ni intéressé. (Rire) Moi, j’avais mon parcours individuel propre, j’avais mes trois langues que j’assume chacune dans sa fonction et je les aime bien toutes les trois. Dans chaque livre que j’écris, il y a des mots qui me viennent naturellement en arabe, d’autres qui me viennent en anglais, ces deux langues sont constamment présentes. Ce qui m’intéresse profondément, en revanche, c’est la diversité linguistique. Je crois qu’il est essentiel de préserver la 96 diversité linguistique et culturelle de la planète, et je pense que la véritable vocation de la langue française - après avoir abandonné son rêve hégémonique du XVIII e siècle - c’est d’être, si je puis m’exprimer de par une parabole, „le plus puissant des agneaux plutôt que le plus faible des loups“. Je veux dire par là qu’elle doit se battre pour que toutes les langues du monde aient véritablement leur place. Je pense qu’il y a un appauvrissement extraordinaire quand les gens se mettent tous à baragouiner une lingua franca qu’ils connaissent de manière très approximative; c’est affligeant. Toute personne a absolument besoin d’une langue qu’elle maîtrise pleinement et dans laquelle elle puisse exprimer toutes les nuances de sa pensée et de ses sentiments. Et toute personne a également besoin que sa langue identitaire soit respectée dans le monde, parce que cela fait partie de sa propre dignité. Si je vous livrais le fruit de ma réflexion dans ce domaine, je vous dirais que toute personne devrait avoir trois langues: une langue identitaire, une langue de communication internationale - généralement l’anglais -, et une „langue personnelle adoptive“, qui serait en quelque sorte sa langue de cœur, apprise intensément, avec passion, et qui peut avoir été choisie pour toutes sortes de raisons, liées aux affinités culturelles ou affectives, aux choix professionnels, au parcours personnel ou familial, etc. Dans mon cas, cette langue de cœur est le français. O.E.: Mais il y a un double mouvement: un choix et, en même temps, une transformation. Vous avez choisi le français, mais vous le transformez aussi, vous créez un français à partir de ce choix. A.M.: Je crois qu’il est important de s’investir pleinement dans cette langue adoptive, avec passion, de s’y plonger sans retenue, bien qu’avec lucidité. Et il faut aussi avoir le désir d’apporter quelque chose à cette langue, à sa culture, comme à ses locuteurs... O.E.: Et une langue qui est traversée par d’autres langues, une langue traversée par d’autres cultures. A.M.: Absolument. Je souhaite que l’époque que nous vivons connaisse non pas une marginalisation des langues au profit d’une seule, mais au contraire un épanouissement de toutes les langues. L’un des moyens pour y parvenir, c’est que l’on établisse en Europe une règle dont chacun devrait bénéficier, et selon laquelle les relations bilatérales entre les pays devraient principalement se passer dans les langues de ces deux pays plutôt que dans une langue tierce mal maîtrisée comme c’est trop souvent le cas aujourd’hui. A titre d’exemple, il serait normal que les relations entre le Portugal et l’Italie soient gérées en priorité par des Portugais qui connaissent l’italien et par des Italiens qui connaissent le portugais. C’est de cette manière que l’on peut maintenir la raison d’être de toutes les langues européennes, et je pense qu’on aurait tort de vouloir uniformiser, parce que cela serait un appauvrissement. Et là, l’Europe est le grand laboratoire. Si elle arrive à gérer convenablement sa grande diversité, et si elle réussit à fonder son identité commune sur la diversité, elle offrirait au monde entier un modèle de référence dont il a cruellement besoin. 97 O.E.: J’aimerais rester dans cet horizon, dans ces parages. Quand vous parlez de l’Europe, de quelle Europe parlez-vous? Le mythe d’Europe est, par ses origines grecques, extraterritorial par rapport à ce qu’on entend aujourd’hui par l’Europe ou par la Communauté Européenne. Ce mythe d’origine se situe, à un niveau purement géographique, au-delà de ce territoire politique. Or, l’on sait bien que les anciens Grecs ne se sont pas vus en tant qu’Européens: ils habitaient plutôt à cheval sur plusieurs continents. L’Europe, pour vous, est-ce l’espace de la Communauté Européenne, est-ce l’espace de Les Echelles du Levant, est-ce l’espace que vous désignez par les différentes routes qui traversent Origines? Quelle est donc votre vision de l’Europe? A.M.: Quand on passe en revue l’histoire des dernières décennies, il y a un événement politique majeur qui ouvre des perspectives pour l’humanité entière, c’est la réconciliation entre les Européens et la construction d’une Europe unie. J’irai même jusqu’à dire que les deux facteurs les plus positifs de l’histoire humaine en notre temps, c’est l’accélération du progrès scientifique, et la construction européenne. Pour moi, l’influence de cet événement va bien au-delà des frontières de l’Europe. Nous arrivons à une période de l’histoire humaine où il y a des décisions importantes qui doivent être prises si l’on veut survivre; il faut changer nos habitudes de pensée, changer nos habitudes de consommation, changer notre perception des autres comme de nous-mêmes, et changer aussi notre conception de l’identité. Et le lieu où cela peut s’élaborer le moins difficilement, c’est encore l’Europe. O.E.: Et la littérature, n’est-ce pas? A.M.: Oui, c’est exactement cela. La littérature, comme instrument pour réinventer le monde, et l’Europe comme lieu géographique de l’expérience la plus prometteuse. La réussite de l’Europe, c’est-à-dire la réussite de la cohabitation de peuples différents, ayant une histoire différente, la réussite de la préservation harmonieuse des différences, la réussite de la cohabitation entre toutes les populations qui viennent de tous les coins du continent et aussi l’extérieur de l’Europe. Hélas, on n’est pas sur le chemin de la réussite. La réussite de l’Europe en tant qu’entité capable d’introduire un élément de „sanité“ dans la vie du monde, c’est pour moi essentiel. J’ajouterais, mais je ne m’étendrai pas là-dessus, qu’il me semble parfois que les peuples d’Europe ne sont pas prêts à assumer le rôle capital qui leur incombe dans le monde d’aujourd’hui. On sent une lassitude, et un désintérêt, moins chez les responsables, d’ailleurs, que dans l’opinion. Il me semble que les personnes qui viennent d’ailleurs ont probablement plus de „eagerness“ pour voir ces choses-là se faire que les Européens eux-mêmes, notamment les jeunes à qui l’on répète à longueur de journée que leur bien-être individuel est la seule chose qui compte, sans leur préciser que ce bien-être serait lui-même menacé si le monde entier se précipitait dans l’abîme comme cela pourrait malheureusement être le cas dans les décennies qui viennent. Les Européens ont changé, ce qui est 98 une excellente chose. Mais le monde entier n’a pas changé de la même manière, et il est important que les Européens voient le monde tel qu’il est réellement, et non comme ils aimeraient qu’il soit. O.E.: Chaque culture développe son propre savoir vivre ensemble. L’Islam, par exemple, a développé pendant un temps historique très large un savoir vivre ensemble très sophistiqué. A.M.: Qui a fonctionné pendant quelques siècles, mais qui a cessé de fonctionner, hélas. Je pense que ce que l’Islam avait apporté au VII e siècle en matière de tolérance était un progrès. Evidemment, l’application n’en a pas toujours été rigoureuse, elle n’a jamais été égalitaire, elle s’est toujours accompagnée d’un certain degré d’assujettissement et parfois d’humiliation de ceux qui n’étaient pas musulmans; mais par rapport à l’époque, c’était certainement ce qui se faisait de plus avancé; le monde musulman est demeuré en avance en matière de tolérance pratiquement jusqu’au XV e siècle. Ce n’est pas par hasard que les juifs expulsés d’Espagne en 1492 sont allés principalement dans les pays musulmans, en Afrique du nord ou bien à Constantinople, en même temps que vers quelques pays européens, tels les Pays-Bas. Le choix effectué par les communautés juives permet une bonne évaluation du degré de tolérance religieuse qu’il y avait à cette époquelà dans les diverses sociétés. Depuis, malheureusement, les choses se sont dégradées. Elles se sont dégradées premièrement parce que ce qui était un progrès au VII e siècle ou au X e siècle ou même au XV e siècle, ne pouvait plus être considéré comme un progrès au XX e siècle. Le fait de dire aux gens: „Vous serez tolérés à condition que vous restiez dans une position de soumission“, ce n’est plus acceptable. Moi qui suis un minoritaire, je n’ai aucune envie d’être toléré par qui que ce soit, je veux être un citoyen à part entière et je rejette tout système discriminatoire. L’avancée qui aurait dû se produire, vers une véritable intégration des minorités, c’est-à-dire leur association véritable à la vie des pays, ne s’est pas faite. Pire encore, dans de nombreux pays musulmans, on est même revenu en arrière par rapport à ce qui se pratiquait autrefois. Pour ceux qui, comme moi, admirent cette civilisation, c’est profondément affligeant, profondément déprimant... O.E.: Il y aurait donc une perte de ce savoir-vivre ensemble… A.M.: Dans de nombreux pays, c’est tout simplement un désastre, dont les victimes sont aussi bien les minorités non musulmanes que les communautés musulmanes elles-mêmes. Il suffit d’observer les massacres quotidiens qui se déroulent en Iraq entre sunnites et chiites. Pour ma part, je n’ai jamais rien vu de similaire et, à ma connaissance, il n’y a jamais eu dans l’histoire du monde musulman un phénomène aussi dégradant. Non, j’ai beau passer en revue les ouvrages d’Histoire que j’ai lus, je ne connais aucune période où les sunnites et les chiites se soient massacrés de cette manière. Pour les minorités non musulmanes, c’est également un désastre. Les minorités juives, qui étaient importantes dans certains pays musulmans, ont pratiquement disparu. Les minorités chrétiennes périclitent... 99 O.E.: Et l’Occident non plus n’a su développer vraiment - et c’est là un défaut majeur dans le système de la mondialisation dès la fin du XV e siècle - un savoir vivre ensemble. On a plutôt concentré toutes les énergies dans un savoir comment dominer. A.M.: En Occident, le problème ne se pose pas de la même manière. Alors que dans le monde musulman, on assiste à une véritable régression, ce n’est pas le cas en Occident où, dans une perspective à long terme, on a tout de même évolué vers une plus grande tolérance, vers moins de persécution, moins de discrimination. Le problème, c’est que l’atmosphère politique et intellectuelle dans le monde s’est tellement détériorée que les progrès réalisés en Occident ne suffisent plus à assurer une coexistence harmonieuse entre populations locales et populations migrantes. S’agissant de l’Europe, il est clair qu’elle est confrontée à un flux migratoire important qu’elle ne sait pas gérer, parce qu’à l’inverse du continent américain ou de l’Australie, elle ne s’est jamais perçue comme une terre d’immigration. Alors qu’elle l’est bel et bien devenue. Ce qui implique chez elle des attitudes nouvelles, inventives, qui ne sont pas faciles à formuler ni à faire entrer dans les mœurs. Or, ce problème n’est pas passager, il est permanent, et on peut déjà prévoir qu’il sera encore plus important dans les années et les décennies à venir. Faire face à un tel phénomène, notamment lorsqu’il concerne des immigrés venant du monde musulman, alors qu’il y a une telle méfiance entre ces deux ensembles culturels, voilà le véritable défi. Je résumerai donc en disant que dans le monde arabo-musulman, il y a une régression de la coexistence; dans le monde occidental, il y a un progrès, mais les défis sont si gigantesques que ce progrès ne suffit plus du tout. Il est nécessaire et même urgent de réfléchir sereinement à ces questions, et de trouver des solutions imaginatives pour apprendre à coexister avec l’Autre. Il faudrait notamment poser un tout autre regard sur la culture de l’Autre, et il faut même, me semble-t-il, redéfinir la notion d’identité. En un mot, il faudrait un „contrat de coexistence“ dans le sens où l’on a parlé jadis d’un „contrat social“. Oui, il faudrait concevoir une nouvelle règle du jeu. On en est très loin malheureusement, et le temps presse; mais les sociétés européennes commencent à prendre conscience de l’ampleur de ce problème, et je crois qu’elles ont encore la possibilité d’y faire face. Mais peut-être suis-je trop optimiste, soudain... O.E.: Dans Les identités meurtrières vous avez développé, pour ainsi dire, un modèle qui s’inscrit dans différentes traditions de vivre ensemble, et vous avez signalé en même temps toute l’importance de la diversité des appartenances pour ne pas permettre qu’une seule identité meurtrière s’installe et domine une communauté entière, une société entière, tout un monde culturel, etc. Or, en quel sens, selon vous, le concept même de l’identité pourrait-il exclure cette pluralité souhaitée des appartenances? Vous avez introduit une différence entre d’un côté des identités meurtrières qui privilégient une seule appartenance, qui privilégient une seule logique, qui éliminent pratiquement l’autre et tout ce qui reste en dehors de 100 l’appartenance préférée, et de l’autre côté une identité positive. Ne croyez-vous pas que le concept de l’identité lui-même pourrait être meurtrier? A.M.: Il pourrait effectivement s’avérer meurtrier si on s’y prend de manière maladroite, et si l’on enferme les gens dans leurs appartenances communautaires. Dans les sociétés occidentales on dit parfois: „Puisque nous avons à présent des communautés musulmanes, nous allons traiter avec elles en tant que communautés“. En apparence, c’est le bon sens. Dans la réalité, il faut se demander si, en liant les personnes à leurs communautés, en mettant leur sort entre les mains de dirigeants communautaires, on est en train de résoudre le problème ou bien de l’aggraver. De mon point de vue, et pardon de dire les choses crûment, à partir du moment où l’on ne traite pas les immigrés comme des citoyens individuels ayant les mêmes droits et les mêmes devoirs que les autres, on est en train de les trahir, et de trahir aussi les valeurs que porte l’Occident. Le rôle des autorités des pays d’accueil doit être libérateur. Elles doivent offrir aux immigrés la liberté, la démocratie, l’égalité des droits, la dignité de l’être humain, homme, femme ou enfant. Mon leitmotiv est simple: diversité des expressions culturelles, universalité des valeurs fondamentales. Les immigrés doivent être encouragés à s’épanouir, à s’exprimer, à promouvoir leurs langues et leurs cultures d’origine; ils doivent être poussés à s’instruire, à travailler, à acheter leurs maisons, à créer leurs entreprises, à s’enrichir, sans aucune discrimination liée à la couleur, à la religion, à la langue qu’ils parlent ou aux noms qu’ils portent; mais dans le strict respect des valeurs universelles ainsi que des lois en vigueur. Tous les droits, et tous les devoirs. Les gens n’appartiennent pas à une communauté comme les serfs appartenaient à une terre. Femmes ou hommes, ils doivent être traités comme des citoyens indépendants. Il est dangereux de les associer automatiquement à des communautés et de les livrer à des dirigeants communautaires, à des organisations, etc. Je ne crois pas au droit des communautés, je crois au droit des citoyens. Je pense que le premier devoir d’une société européenne, c’est de dire à chaque personne, indépendamment de ses origines, indépendamment de son sexe, indépendamment de toute considération de couleur ou autre, qu’elle sera traitée comme un citoyen, tout simplement, avec les libertés qui vont avec, les devoirs, les droits etc. Je ne connais pas d’autre attitude saine et bénéfique, tant pour les immigrés que pour leur société d’adoption. Ce que l’Occident a raté lors de sa période coloniale, il peut encore le réussir à cet „examen“ de rattrapage. L’Histoire lui a peut-être donné une seconde chance. Il n’y en aura pas une troisième. O.E.: A un moment donné, le narrateur dans Origines, en première personne, dit après être arrivé à La Havane - je crois que c’est au cours d’une des toutes premières soirées passées à Cuba - qu’il a l’impression d’être né dans cette ville aussi. Ici nous nous trouvons dans un lieu presque magique, de toute façon nous sommes ici dans une cour qui est traversée par des forces créatrices, et j’aimerais donc vous poser une dernière question: est-ce que sur cette île, dans cette cour, dans cette maison, vous avez quelque fois l’impression d’être né ici aussi? 101 A.M.: Oui, très fortement, très fortement. Je pense que je dois avoir, comme beaucoup d’errants, un désir profond et permanent de sentir que les lieux où je me pose sont des lieux auxquels j’adhère pleinement et depuis beaucoup plus longtemps que les dates ne me le disent. C’est vrai qu’il y a des lieux - ici par exemple, dans cette maison de l’île d’Yeu, dans cette petite cour - où je me sens pleinement chez moi. Je sens que j’ai pu être arrivé ici depuis très longtemps et j’ai envie d’y rester indéfiniment. Il est vrai que je suis souvent à l’affût de ce sentiment. Peutêtre que par rapport à La Havane, j’essayais plutôt de susciter en moi les sentiments qu’avaient éprouvés mes ancêtres. Au cours de ce voyage, j’avais essayé d’imaginer à chaque étape ce que les miens avaient pu penser ou ressentir. Surtout mon grand-père, parce que je sens un lien très fort depuis que j’ai ses papiers, son écriture: je me sens très proche de lui. Je l’imagine, lui qui souffrait d’être dans son pays, qui souffrait de la domination ottomane, et qui souffrait d’être minoritaire, même s’il évitait d’en parler explicitement. Il était doublement minoritaire, parce qu’il appartenait à une confession minuscule, et aussi parce qu’au sein de cette confession, il avait des idées que les autres ne partageaient pas. Il se sentait donc très seul, très incompris, et un jour il a décidé de partir. C’est ce que son frère le poussait à faire dans ses lettres. Il lui disait: viens, quitte cette terre ingrate à laquelle tu es attaché, oublie tout et viens me rejoindre ici, Dieu nous a donné une nouvelle patrie, Cuba. Il me semble que tous les migrants ont envie de trouver au bout de leur quête un lieu où ils puissent se poser en disant: „Me voici arrivé à une nouvelle patrie, joviale et accueillante“. Bien souvent, la quête se poursuit la vie entière sans jamais aboutir. Ce fut notamment le cas pour mon grand-père, qui n’a trouvé la sérénité ni à Cuba ni au Liban ni ailleurs. Je suis, pour ma part, infiniment plus chanceux. En un sens, cette île où je me suis établi correspond à mes attentes. Je voulais être dans un lieu paisible, serein, et où je puisse me consacrer à l’écriture. Je ne demande pas grand-chose de plus. Pendant très longtemps, l’endroit auquel je m’identifiais le plus, c’était le village de ma famille dans la montagne libanaise. Et j’y suis toujours très attaché, mais en même temps, c’est une relation qui est devenue lointaine. J’y pense souvent mais je n’y vais pratiquement jamais. Je m’intéresse beaucoup à tout ce qui se passe au Liban, je m’occupe même à distance de ma maison du village, mais je ne sens pas que je pourrais à nouveau être assis, comme nous sommes assis aujourd’hui, dans mon village, avec la même sérénité. Je pense que c’est quelque chose que j’ai perdu à jamais et que je ne retrouverai jamais, nulle part. Sauf peut-être ici, et il est vrai que lorsqu’il fait beau comme aujourd’hui, que l’air est si doux, que je me sens entouré de mes propres murs, je ne me sens plus envahi par la férocité du monde, et j’ai un peu le sentiment de me retrouver dans mon village d’autrefois. Oui, je commence à éprouver en ce lieu un sentiment d’appartenance. O.E.: Merci beaucoup. A.M.: A vous aussi. 102 Markus Meßling Disziplinäres (Über-)Lebenswissen Zum Sinn einer kritischen Geschichte der Philologie 1. Literaturwissenschaft als Lebenswissenschaft In seiner Streitschrift über „Literaturwissenschaft als Lebenswissenschaft“ (2007) hat Ottmar Ette seine 2004 dargelegte These von der Funktion der Literatur als Speicher eines „(Über-)Lebenswissens“ programmatisch erneuert. Diese These hat zwei Stoßrichtungen: Einerseits will sie das dominante biowissenschaftliche Konzept vom Menschen um eine kulturelle Dimension des Wissens vom Leben ergänzen. Andererseits fordert sie mit dem Rückbezug der Literatur zum Leben für die Literaturwissenschaft eine gesellschaftliche Relevanz wieder ein, welche die Philologien in großem Maße aus sich selbst verbannt haben, indem sie der bürgerlichen Vorstellung der Autonomie der Kunst ein ästhetizistisches Konzept von Literatur als vorwiegend selbstreferentiellem System an die Seite gestellt haben. Auf diese fachpolitisch sicher explosivere, literaturtheoretische Dimension der Etteschen These hat Wolfgang Asholt (2007: 222-224) hingewiesen. Ottmar Ette propagiert damit keine simplizistische materialistische Literaturtheorie, mit der die „gewachsene Einsicht in die Komplexität [literarischer und literaturtheoretischer Wissensproduktion] und den Eigen-Sinn, die Eigen-Logik dieses Gartens des Wissens“ (Ette 2007: 8) zerstört würde. Sehr wohl aber rückt er mit dem Anspruch einer textbasierten kulturwissenschaftlichen Erforschung des Lebens die historischen und sozio-ökonomischen Bedingtheiten von Literatur und auch ihrer Theorie wieder in den Fokus der Betrachtung. 1 Es geht also letztlich um nicht weniger als um eine Resozialisierung des Literaturbegriffs. Diese aber ist dringend erforderlich, wollen die Philologien nicht ein selbstgenügsames Spiel sein, sondern als Teil der Sciences humaines ihr Wissen über das menschliche Leben in die gesellschaftliche Diskussion korrigierend einbringen. Hier wird deutlich, wie sehr die beiden Dimensionen von Ottmar Ettes These sich gegenseitig bedingen. Eine so verstandene Philologie, die die Literatur als dynamisches Archiv des Lebens begreift, produziert also ein Wissen, dessen Natur jene eines historisch und sozial strukturierten Erfahrungswissens ist. Wie sollte dieses aber relevant sein ohne ein selbstkritisches Hinterfragen seiner Entstehung und also der (Entwicklung der) Methoden und Theorien seiner Produktion? 2 Die damit verbundenen erkenntnistheoretischen Fragen drängen sich schon deshalb auf, weil die Philologie selbst seit der Zeit ihrer wissenschaftlichen Ausprägung im 19. Jahrhundert nicht vor der 1 Vgl. Ette 2007: 9 f. 2 Vgl. Asholt (2007: 221). 103 Gefahr des Biologismus und Positivismus (etwa bei Schlegel, Schleicher und Gobineau), ebenso wenig aber vor der Gefahr eines kulturalistischen Relativismus und Essentialismus (etwa bei Renan oder im Neuhumboldtianismus) gefeit gewesen ist. Sie drängen sich aber noch mehr auf, wenn man bedenkt, dass die Verbindung dieser beiden Ansichten gravierende ideologische Folgen gehabt hat. Edward W. Said hat daraus in seinem berühmten Buch Orientalism. Western Conceptions of the Orient (1978) bekanntlich die Schlussfolgerung gezogen, dass die europäische Philologie in der Nachfolge Friedrich Schlegels in ihrem Kern rassistisch gewesen sei und eine zentrale ideologische Funktion für den Kolonialismus erfüllt habe. Folgt man diesem Anwurf Saids zumindest in seinem diskursanalytischen Gehalt, so erscheint kritische Wissenschaftsgeschichte zu einem dringlichen Prozess der theoretischen Bewusstseinsbildung zu werden. Spitzen wir die Problematik ruhig zu: Sind die europäischen Philologien nicht eine moralisch stark verbrauchte Wissenschaft, deren Aussagekraft über die sprachlichen Grundlagen und kulturellen Formen des menschlichen Lebens nachhaltig diskreditiert ist? Und an welche Tradition will dann eine Literaturwissenschaft anknüpfen, deren Anspruch es ist, in den sprachlichen, insbesondere literarischen Produktionen ein Wissen vom Leben als „(Über-)Lebenswissen“ ans Licht zu bringen? 2. Eurozentrismus und Rassismus: Das Problem der europäischen Philologie(n) Diese Fragen führen uns zurück in die Geschichte der europäischen Philologie(n). Das Problem der Repräsentation symbolischer Formen fremder Kulturen, insbesondere ihrer Sprachen, wird nicht erst im 19. Jahrhundert virulent. Mit der Eroberung Mittel- und Südamerikas durch die Spanier und Portugiesen stellt sich für die verwaltenden Kolonialeinheiten, vor allem aber für die Missionen, dringlich die Frage, wie die Sprachen der oftmals illiteraten indianischen Völker funktionieren und wie sie verschriftlicht und systematisiert werden können. Der wichtigste Ausdruck dieser Sprach-Arbeit sind die so genannten „Missionars-Grammatiken“. 3 Die zwei großen Aspekte sprachlich-kultureller Repräsentation - die Erfahrung der differenten Repräsentationen von Welt in den Sprachen einerseits; die Problematik der adäquaten Repräsentation der Sprachen andererseits - sind also spätestens seit der Neuzeit praktische Probleme einer kulturellen Praxis der Aufzeichnung und Klassifikation. Doch diese Fragen sollten im Umbruch vom 18. zum 19. Jahrhundert eine neue Qualität erhalten. Innerhalb eines neu-historischen Denkens entsteht eine „positi- 3 Mit der Einschätzung der Spezifik und epistemologischen Leistung der frühneuzeitlichen Kolonialgrammatiken beschäftigt sich der Bereich 6 des SFB 573 „Pluralisierung und Autorität in der Frühen Neuzeit (15.-17. Jh.)“ an der LMU München. Vgl. zu diesem Problemfeld den stark theoretisierenden Aufsatz von Wulf Oesterreicher (2005). 104 vistische“ Wissenskultur, die sich als empirische Ethnographie und historisch-vergleichende Sprachforschung äußert und als philologische Wissenschaft institutionalisiert. Diese tritt mit einem neuem methodischen Selbstverständnis und einem neuen Welterklärungsanspruch auf. Innerhalb der europäischen Gesellschaften wird die Philologie (Sprach- und Textwissenschaft) zu einem ‘Ort’ der Erklärung menschlicher Dispositionen und Kulturproduktionen von herausragender Autorität. Es hat daher seinen guten Grund, dass der amerikanisch-palästinensische Intellektuelle Edward W. Said in seinem berühmten Buch über den Orientalismus mit dem Umbruch zum 19. Jahrhundert beginnt. Es geht ihm um das Problem der Repräsentation im Nukleus der sich als aufgeklärt verstehenden europäischen Kultur, um die Beschreibungsmacht der modernen Wissenschaft. Die von Edward W. Said in Orientalism vertretene These ist - das muss heute kaum mehr ausgeführt werden - äußerst wirkmächtig in allen textbasierten kulturwissenschaftlichen Disziplinen gewesen. 4 Said suchte die subtile intellektuelle Vermessung der östlichen Kulturen anhand eurozentrischer Kriterien aufzudecken, in der er eine gedankliche Vorbereitung und ideologische Grundlage für die kartographische Vermessung der ‘orientalischen’ Welt und ihrer Kolonialisierung sah. 5 Dabei arbeitete er diskursanalytisch und zielte auf die epistemologischen (ideologischen) Implikationen der Texte und deren selbstreferentieller Repräsentation und Reproduktion und nicht auf ihre politische Intentionalität. In seinem machtanalytischen Denken folgt Orientalism dann auch eher Michel Foucault und nicht Gramsci, der die Bedeutung der Fülle individuellen Materials stets betont hat - und dies, obwohl Said Gramscis Position in seinen theoretischen Erwägungen für zentral erachtete. 6 Wenn Michel Foucaults Erkenntnis von den epistemischen Grundlagen unserer europäischen Gesellschaft(en) einerseits historische Bruchstellen archäologisch freilegt, so hat diese Erkenntnis Foucault andererseits dazu gedient, die Ausprägung von Diskursen - wie der historisch-vergleichenden Sprachforschung im 19. 4 Dementsprechend heftig und grundsätzlich war auch die Kritik an Said. Vgl. für einen Überblick Macfie (Hg. 2000) und Castro Varela/ Dhawan (2005: 37-49). 5 Für die Konstruktion der ausgerechnet in der aufgeklärten Wissenschaft produzierten kulturellen Hegemonie des ‘Westens’ schrieb Said daher auch den zunächst nicht unmittelbar in den Kolonialismus verwickelten deutschsprachigen Denkern eine erhebliche Relevanz zu: „Yet what German Orientalism had in common with Anglo-French and later American Orientalism was a kind of intellectual authority over the Orient within Western culture. This authority must in large part be the subject of any description of Orientalism, […]“ (Said 1978: 19). 6 „Yet unlike Michel Foucault, to whose work I am greatly indebted, I do believe in the determining imprint of individual writers upon the otherwise anonymous collective body of texts constituting a discursive formation like Orientalism. The unity of the large ensemble of texts I analyze is due in part to the fact that they frequently refer to each other: Orientalism is after all a system for citing works and authors“ (Said 1978: 23). Vgl. auch Said (1997: 412 f.), wo dieser auch zur Relevanz Antonio Gramscis für sein Denken Stellung bezieht. 105 Jahrhundert - und vor allem ihre Durchsetzung zu erklären. 7 Dabei tritt die Vielfalt der Möglichkeiten von Diskursmodellierungen und von Abweichungen und Widerständen weitgehend in den Hintergrund. Bei Foucault ist das Programm. Nachdem er - vor allem aufgrund der systematischen Kritik Jacques Derridas - seinen Versuch als gescheitert ansehen musste, mit Folie et déraison. Histoire de la folie à l’âge classique (1961) den Wahnsinn als Repräsentation einer außerhalb des rationalen Vernunftdiskurses stehenden anderen Vernunft erfassen zu können, war sein Denken deutlich vom Machtpessimismus geprägt. 8 Ihn interessiert fortan - zumindest den ‘Foucault’ im zeitlichen Umfeld von Surveiller et punir. Naissance de la prison (1975) - das Hegemoniale und die ‘dahinter’ liegenden Machtinteressen. 9 Da aber, wo der hegemoniale Diskurs als solcher nicht gekennzeichnet ist, sondern als allumfassende Äußerungs-Tradition erscheint, da tritt genau jene Gefahr der „invertierten Teleologie“ auf, die Wulf Oesterreicher thematisiert: Wenn man das ‘Neue’ dagegen kurzerhand mit dem sich durchsetzenden ‘Wandel’ identifiziert, werden die historischen Situationen inhärenten konkreten Möglichkeiten, die in durchaus unterschiedlichen, konkurrierenden Innovationsgestalten liegen, verkannt - historische Erkenntnis wird damit unmöglich gemacht. (Oesterreicher 2005: 33- 34) Dies ist vor allem dann problematisch, wenn es, wie in Edward W. Saids Foucaultbasiertem Buch, um Kernbereiche europäischer Kultur in der Moderne geht, die zweifelsohne einen entscheidenden ideologischen Anteil am Imperialismus hatten. Gewiss, Edward W. Said hat zurecht den Anteil aufgezeigt, den die Philologie als prestigereichste Wissenschaft des 19. Jahrhunderts an der Herausbildung und Ausprägung des rassistischen Diskurses hatte. Und vermutlich hat Said sogar Recht, wenn er in dem von ihm als Orientalismus bezeichneten Diskurs den hegemonialen Diskurs Europas über die Anderen und das Andersartige ausmacht. Die historische Evidenz ist viel zu groß, um dem zu widersprechen. Problematisch ist nur, dass Said diesen hegemonialen Diskurs nicht ausreichend als solchen gekennzeichnet hat und dieser so zum grundsätzlichen Vorbehalt wird, der jedes europäische Reden über andere Menschen, Sprachen, Kulturen und Texte vom 19. Jahrhundert an zum Orientalismus, wenn nicht Rassismus werden lässt - und somit einer „invertierten Teleologie“ unterwirft, in der alles vom dominanten Diskursgeschehen alternativlos mitgerissen wird. 10 Saids „totalisierender Impetus des prä- 7 Vgl. vor allem Foucault (1966 u. 1969). 8 Vgl. Boyne (1990: 53 f.). 9 Allerdings hat Foucault auch, wie im Falle des „discours de la lutte des races“, den Machtinteressen zuwiderlaufende Gegendiskurse herausgearbeitet (vgl. Foucault 1976: 51-74). Dabei wäre jedoch zu diskutieren, ob Foucaults Interesse daran nicht letztlich auch der Kraft ihrer Durchsetzung geschuldet ist. 10 Gegen solch undifferenzierte Lesarten europäischer Denker, vor allem Herders und Humboldts, hat Jürgen Trabant immer wieder argumentiert; vgl. vor allem Trabant (1990: 235- 241 u. 2003: 162-165). 106 sentierten Arguments“ (Castro Varela/ Dhawan 2005: 38) lässt zu wenig Raum für das Denken von Widerständen und Heterogenitäten. Die individuellen Momente bleiben in Orientalism letztlich Spielarten, sind Varianten und Erweiterungen der Merkmale des orientalistischen Diskurses, insofern Said weit über „die Einstellung einzelner Subjekte zum Fremden […]“ hinaus „die Haltung einer gesamten Zivilisation, der modernen europäischen, zu dem, was sie für ihr Gegenteil hält“ (Osterhammel 1997: 599) aufdecken will. Das ist in der Forschung auch gesehen worden - allerdings beinahe ausschließlich für einen breiteren kulturellen Imaginationsraum wie ihn vor allem Literatur, Lyrik und Reiseberichte bieten, deren kritische Funktion gegenüber dem politischen Orientdiskurs betont worden sind (vgl. etwa Clifford 1988, Porter 1993, Polaschegg 2005, zuletzt Goer/ Hofmann (Hg.) 2007). Im Zentrum der Betrachtung aber müsste die Frage der wissenschaftlichen, insbesondere philologischen Repräsentation stehen, doch hier besteht noch immer erheblicher Forschungsbedarf. Die von Said dargelegte Betrachtungsweise ist aber natürlich nur von einem Standpunkt aus möglich, der die Erfahrungen der Katastrophen und Traumata des Imperialismus und des Totalitarismus reflexiv verinnerlicht und in der Geschichte Gründe für das zivilisatorische Scheitern sucht. Dabei müssten gerade vor dem Hintergrund solcher Erfahrungen auch die Alternativen des Nachdenkens über fremde Kulturen und den ‘Anderen’ in den Blick geraten. Dafür eignet sich die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgrund der Entstehung des philologischen Systems der Repräsentation als Wissenschaft von den Sprachen, Texten und Kulturen besonders. War die Hegemonie des von Edward W. Said beschriebenen Diskurses dabei alternativlos und unumgänglich? Diese Frage rückt nun das Individuelle wieder in den Blick, also die von Gramsci stets betonte Inkonsistenz des Materials 11 sowie alternative Muster und Praktiken des Denkens, wie sie bei einer individualistischen Konzeption von Texten hervortreten. 3. Die Notwendigkeit einer kritischen Reperspektivierung der Fachgeschichte In den großen Ideengeschichten des modernen Rassismus, die die ‘Verwissenschaftlichung’ des Rassebegriffs im 19. Jahrhundert beleuchten - etwa in Arendt (1951), Mosse (1978), Poliakov (1981) - spielt die Philologie zwar eine gewisse Rolle, aber doch eher eine der Anthropologie nebengeordnete. So gibt es jenseits von Einzelstudien bisher nur äußerst wenige grundsätzliche Arbeiten zu dem Thema: Dazu ist zunächst Saids (1978) Studie über den Orientalismus selbst zu zählen. Maurice Olender hat sich seit dem von ihm herausgegebenen Sammelband Le Racisme: mythes et sciences. Pour Léon Poliakov (1981) mit dem Verhältnis von Wissenschaft und Rassismus beschäftigt und in seinem Buch Les lan- 11 Zur Problematik der Mannigfaltigkeit des Materials und der besprochenen Gegenstände bei Gramsci vgl. Bochmann (1984: 22 f.). 107 gues du Paradis. Aryen et sémites: un couple providentiel (1989) die religiöse Dimension des in der Philologie des 19. Jahrhunderts produzierten Schismas zwischen „Ariern“ und „Semiten“ herausgearbeitet. Ruth Römer schließlich hat mit Sprachwissenschaft und Rassenideologie in Deutschland (1985) eine gewichtige Studie über den rassistischen Diskurs vorgelegt, gegen die jedoch zwei Einwände zu erheben sind. Einerseits setzt die Arbeit zu sehr auf eine beinahe teleologische Tradition des Rassismus in der Philologie und zeichnet einen Diskurs, der deutlich von den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts geprägt ist. 12 Andererseits ist die Beschränkung der Arbeit auf Deutschland problematisch, weil das Problem rassistischer Implikationen in der Philologie keine Frage nationaler Eigenheiten, sondern - wie in anderen Disziplinen auch - über die Grenzen hinweg abhängig von jeweiligen wissenschaftlichen Positionierungen gewesen ist. Das lässt sich am Austausch zwischen deutschen und französischen Forschern bestens zeigen. 13 Das Enjeu besteht also darin, die Inkonsistenz und innere Widersprüchlichkeit des philologischen Diskurses aufzuarbeiten. Nicht um Saids These zu revidieren - der Beitrag der europäischen Philologie zum Rassismus ist nicht zu leugnen und bleibt die schmerzhafte ‘Ursünde’ unseres Faches -, sondern um aufzuzeigen, dass gerade in der Zeit einer innerlichen Verquickung von Sprach-, Text- und Kulturstudium mit einem eurozentrischem Denken durchaus Alternativen erdacht wurden, von differierenden Forschungsprojekten bis hin zu offener Kritik der philologischen Praxis. Wilhelm von Humboldt etwa tauscht sich mit dem Pariser Asienwissenschaftler Eugène Vincent Stanislas Jacquet über ein Projekt aus, das Kurt Mueller-Vollmer (1993: 68) eine „Linguistik der Befreiung“ genannt hat. Dabei geht es genau um das Problem der ideologischen Repräsentation der Sprachmaterialien in den Missionars-Grammatiken und um deren angemessenen Gebrauch. 14 Der Terminus der Befreiungslinguistik erhält seine Bedeutung aber nicht nur in dieser Hinsicht, sondern auch in Bezug auf die aufziehende historisch-vergleichende Sprachforschung, die die Sprachen in eine neue Abhängigkeit vom eurozentrischen Blick führen sollte, und zwar durch die mit der genetischen Fragestellung oftmals unmittelbar einhergehende Bewertung von Sprachen und Sprachgruppen nach Kriterien der indoeuropäischen Sprachfamilie. So hat Wilhelm von Humboldt gegenüber dem ‘Indien’-Projekt der Romantiker erhebliche Vorbehalte geäußert. 15 12 Zur unseligen Rolle der philologischen Disziplinen (Linguistik und Literaturwissenschaft) im „Dritten Reich“ vgl. die Arbeiten von Hutton (1999, 2005) sowie Hausmann (2000, 2003). 13 Vgl. etwa Wilhelm von Humboldts Position, die stark durch den Austausch mit französischen Forschern bedingt ist (vgl. Messling 2008, Kapitel 6 u. 7). Zum deutsch-französischen Transfer in den Philologien allgemein vgl. etwa Espagne/ Werner (Hg. 1988 sowie 1990). 14 Vgl. Jacquet (1831), Humboldt (1832) sowie die unveröffentlichte Korrespondenz zwischen den beiden Gelehrten, die in der Bibliothèque Nationale de France aufbewahrt wird. 15 Vgl. hierzu Messling (2008: 243-250) sowie Messling (im Druck). 108 Der erste große europäische Sinologe schließlich, Jean-Pierre Abel-Rémusat, sollte nicht nur das Chinesische - auf argumentativ beinahe verquere Weise - auf Augenhöhe der weithin bevorzugten indoeuropäischen Sprachfamilie heben, sondern eine klarsichtige politische Kritik der europäischen Philologie in Zeiten ihrer ideologischen und gesellschaftlichen Ermächtigung vortragen, die zahlreiche Aspekte der Saidschen Kritik im Grunde schon vorweggreift. 16 Oder - um ein drittes Beispiel zu nennen - August Friedrich Pott, der Gobineaus sozial-biologische Wende der Sprachenfrage bissig kritisierte. 17 Es geht also nicht darum, die wichtige Errungenschaft Foucaults, ideologische und formative Kräfte von Diskursen zu erkennen, in Frage zu stellen - und insofern kann eine Geschichte der Philologie in ideologischer Hinsicht stets nur im Anschluss an Said verstanden werden. Es soll aber der mit dem postmodernen Machtpessimismus einhergehende Eindruck der Optionslosigkeit dahingehend relativiert werden, dass das Individuelle und damit die historischen Alternativen, die durchaus bestanden, ebenso zur Sprache gebracht werden. Diese historische Aufarbeitung Saids ist überfällig, denn in ihr liegt zugleich eine relevante systematische Dimension: Die zentrale Frage dabei ist nämlich, ob in den individuellen Abweichungen des von Said beschriebenen Diskurses nicht Ansätze zu einem philologischen Gegendiskurs liegen, nämlich jenem der Anerkennung der Alterität, der sich zwar viel später erst durchsetzen sollte, sich aber in der Zeit der eurozentrischen Ermächtigung der Philologie bereits manifestiert. Wie anfangs betont, erscheint diese Frage umso dringlicher, wenn die Literaturwissenschaft - m.E. zu Recht - als eine „Lebenswissenschaft“ (Ette 2007) aufgerufen wird, in der die philologische Arbeit als eine Arbeit am literarischen Reservoir eines Wissens vom Menschen gesehen wird. Denn es stellt sich die Frage, wie eine Philologie, die sich der historischen Alternativen zu ihrer eurozentrisch strukturierten Vergangenheit nicht oder nur rudimentär bewusst ist, sich selbst überhaupt als ‘Ort’ der Genese eines nicht-zynischen Wissens über das Leben begreifen kann? Kritische Wissenschaftsgeschichte wird hier schlicht zum eigenen „(Über-)Lebenswissen“. 16 Vgl. Abel-Rémusat (1843). 17 Vgl. Römer (1985: 138 ff.). 109 Literatur: Abel-Rémusat, Jean-Pierre (1843): „Discours sur le génie et les mœurs des peuples orientaux“. In: Ders.: Mélanges posthumes d’histoire et de littérature orientales. Paris: Imprimerie Royale: 221-251. Arendt, Hannah (1951): Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. 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Am Anfang meiner Überlegungen steht daher mein herzlicher Dank an die Zeitschrift lendemains, den Gunter Narr Verlag, die Herausgeber der Zeitschrift und allen voran Wolfgang Asholt, diese Diskussion so engagiert über den Zeitraum eines gesamten Jahres angeregt und dokumentiert zu haben. Alle Diskussionsbeiträge zeigten, daß es in den genannten lendemains- Heften um Grundfragen von Literatur und Lebenswissen, von Literaturwissenschaft und Lebenswissenschaft und damit um hochaktuelle Probleme philologischer Grundlagenforschung geht. Denn daß die am 12. April 2007 im Simón Bolívar-Saal des Ibero-Amerikanischen Instituts unweit des Potsdamer Platzes in Berlin veranstaltete Vorstellung der Programmschrift zu einer - wie Toni Tholen im Titel seines Beitrags (H. 128) formulierte - „anhebenden Debatte“ werden würde, konnte man angesichts des so zahlreich erschienenen und diskussionsfreudigen Publikums allenfalls erhoffen oder erahnen. Gewiß hatte es seit der Veröffentlichung einiger auf Vorträge im April 2002 zurückgehender Aufsätze des Jahres 2003 1 sowie zweier Bände über Lebenswissen in den Jahren 2004 und 2005, 2 der Einrichtung des im Oktober 2005 1 Vgl. Ette, Ottmar: Erich Auerbach oder Die Aufgabe der Philologie. In: Estelmann, Frank/ Krügel, Pierre/ Müller, Olaf (eds.): Traditionen der Entgrenzung. Beiträge zur romanistischen Wissenschaftsgeschichte. Frankfurt am Main - Berlin - New York: Peter Lang, 2003, 21-42; Alexander von Humboldt: Perspektiven einer Wissenschaft für das 21. Jahrhundert. In: Hamel, Jürgen/ Knobloch, Eberhard/ Pieper, Herbert (eds.): Alexander von Humboldt in Berlin. Sein Einfluß auf die Entwicklung der Wissenschaften. Beiträge zu einem Symposium. Augsburg: ERV, 2003, 281-314; Das verdoppelte Leben. Hannah Arendts „Rahel Varnhagen“. In: Plocher, Hanspeter/ Kuhnle, Till R./ Malinowski, Bernadette (eds.): Esprit civique und Engagement. Festschrift für Henning Krauß zum 60. Geburtstag. Tübingen: Stauffenburg Verlag, 2003, 125-143. 2 Vgl. Ette, Ottmar: ÜberLebenswissen. Die Aufgabe der Philologie. Berlin: Kulturverlag Kadmos, 2004; sowie ZwischenWeltenSchreiben. Literaturen ohne festen Wohnsitz. Berlin: Kulturverlag Kadmos, 2005. 112 an den Universitäten von Potsdam und Frankfurt/ Oder gestarteten DFG-Graduiertenkollegs „Lebensformen & Lebenswissen“ oder auch beim Eröffnungsvortrag der Ringvorlesung der Mainzer Universitätsgespräche zum Themenschwerpunkt „Lebenswissen: vom Umgang mit Wissenschaft“ an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz am 18. April 2007 viele positive Reaktionen gegeben. Doch war zunächst nicht absehbar gewesen, wie spannend sich die Diskussion der Programmschrift in der Folge entwickeln würde. Am Anfang schon war es ein großes Anliegen gewesen, nicht nur die Frage nach dem Lebenswissen mit den Lebenswissenschaften, sondern auch die Frage nach der Literaturwissenschaft mit der Literatur diesseits und jenseits der Romania zu verbinden - und dies, ohne die Literatur zu einem simplen Vehikel der Literaturtheorie zu degradieren. Die nicht nur im deutschsprachigen Raum vielfach preisgekrönte Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar hatte mit ihrer Lesung u.a. aus ihrem Roman Das Leben ist eine Karawanserei wie mit ihren Anmerkungen schon die Präsentation der Programmschrift literarisch ungeheuer bereichert. Mit seiner am 25. Mai 2007 gehaltenen Rede zur Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Potsdam trug Jorge Semprún, der Autor von L’écriture ou la vie, unter dem Titel „Philosophie als Überlebenswissenschaft“ (H. 128) zentrale Aspekte aus dem Überkreuzungsbereich von Literatur und Philosophie bei. Und schließlich gewährte Amin Maalouf, der Verfasser von Les Identités meurtrières, am 15. September 2007 auf der Ile d’Yeu ein ausführliches Interview, das unter dem Titel „Vivre dans une autre langue, une autre réalité“ Teil des vorliegenden Dossiers geworden ist. Den genannten Schriftstellerinnen und Schriftstellern gilt mein Dank ebenso wie allen Autorinnen und Autoren, die sich mit einem schriftlichen Beitrag an der Diskussion in der Zeitschrift lendemains beteiligt haben. Am Begriff Eines der wichtigsten Ziele der Programmschrift war es gewesen, eine von der Romanistik ausgehende Diskussion anzustoßen, die nicht auf die Romanistik begrenzt bleiben sollte. Bereits bei der vom Ibero-Amerikanischen Institut großzügig unterstützten und von Jürgen Freudl (Narr-Verlag) moderierten Auftaktveranstaltung waren neben der von Wolfgang Asholt (Osnabrück) vertretenen Romanistik mit Ansgar Nünning (Gießen) und Christoph Menke (Potsdam) Vertreter der Anglistik und der Philosophie auf dem Podium präsent (vgl. H. 126/ 127). Wie sehr die jeweiligen Disziplinen innerhalb wie außerhalb der Philologien von jeweiligen fachgeschichtlichen und fächerspezifischen Eigen-Logiken bestimmte Standpunkte innerhalb dieser Debatte entwickeln, zeigte sich spätestens in dem von Wolfgang Adam (Osnabrück) aus der Perspektive der Germanistik beigesteuerten Beitrag, der neben den Ausführungen der Romanistin Stephanie Bung (Berlin) ebenfalls gleich im ersten Diskussions-Forum abgedruckt werden konnte. Denn Wolfgang Adam verwies auf die Tatsache, daß sich ein germanistischer Literaturwissenschaftler „aufgrund der Geschichte seines Faches“ (H. 126/ 127, 227) schwer tue, den Begriff der Lebenswissenschaft zu verwenden, hatte ihn doch Walther Linden 1933 113 in seiner Konzeption der „Deutschkunde als politischer Lebenswissenschaft“ unter nationalsozialistischen Vorzeichen verwendet. 3 „Natürlich“, so Adam, bestünde „zwischen Ettes Programm und der völkischen Vision eines Linden oder Pongs nicht die geringste Verbindung“, doch stoße man hier auf „ein in der deutschen Wissenschaftskultur immer wieder zu beobachtendes Problem“, daß nämlich „mit NS- Bedeutung aufgeladene“ Begriffe „nicht mehr oder nur mit Erklärungen im aktuellen wissenschaftlichen Diskurs benutzt werden können“ (ebda.). Es überrascht aus dieser Perspektive nicht, daß auch die beiden anderen germanistischen Kollegen, die sich an der Debatte beteiligten, also Klaus-Michael Bogdal (Bielefeld) und Toni Tholen (Hildesheim), auf diese Schwierigkeit verwiesen, wobei alle drei germanistischen Beiträger gleichzeitig in der Sache das Anliegen der Programmschrift unterstützten und kritisch weiterdachten. Am Begriff entzündete sich folglich eine Diskussion, die vor dem Hintergrund der Fachhistorie leicht nachvollziehbar ist. Doch sollte man zunächst nicht aus den Augen verlieren, daß der Begriff „Lebenswissenschaft“ selbstverständlich älter ist als seine Aneignung durch die geisteswissenschaftlichen Barbaren des Nazi-Regimes. Der Terminus findet sich - wie der dem Begriff ebenfalls skeptisch gegenüberstehende Christoph Markschies in seiner Berliner Antrittsvorlesung auf dem Lehrstuhl für Ältere Kirchengeschichte im Mai 2005 nachwies - spätestens an der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert. 4 Denn Christoph Meiners schon bediente sich ab dem Jahre 1800 des Begriffs der „Lebens-Wissenschaft“, um ihn bei seinem Versuch, eine Phänomenologie des gelebten Lebens auf den Weg zu bringen, an die Stelle des Begriffs der Ethik zu setzen. 5 Das Aufkommen dieses Begriffes läßt sich leicht mit der in der Programmschrift signalisierten und von Michel Foucault in Les mots et les choses analysierten Emergenz des Lebensbegriffs in den verschiedensten Disziplinen zwischen 1775 und 1795 in Verbindung bringen. 6 Auch wenn wir derzeit noch über keine detaillierte Geschichte des Begriffs „Lebenswissenschaft“ verfügen und es nicht unwahrscheinlich ist, daß Meiners keineswegs der Schöpfer dieses Terminus ist, sondern sich seinerseits bei früheren Autoren bediente, ist doch deutlich, daß der Begriff, den sich die germanistischen 3 Vgl. Linden, Walther: Deutschkunde als politische Lebenswissenschaft - das Kerngebiet der Bildung! In: Zeitschrift für Deutschkunde (1933), 337-341; sowie ders.: Aufgaben einer nationalen Literaturwissenschaft. München: C.H. Beck-Verlag, 1933. 4 Vgl. Markschies, Christoph: Ist Theologie eine Lebenswissenschaft? Einige Beobachtungen aus der Antike und ihre Konsequenzen für die Gegenwart. Hildesheim - Zürich- New York: Georg Olms Verlag, 2005, 5. 5 Vgl. Meiners, Christoph: Allgemeine kritische Geschichte der ältren und neuern Ethik oder Lebenswissenschaft nebst einer Untersuchung der Fragen: Gibt es denn auch wirklich eine Wissenschaft des Lebens? Wie sollte ihr Inhalt, wie ihre Methode beschaffen seyn? 2 Bde. Göttingen, 1800-1801; sowie ders.: Grundriß der Ethik oder Lebens-Wissenschaft. Hannover, 1801. 6 Vgl. Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Aus dem Französischen von Ulrich Köppen. Frankfurt/ Main: Suhrkamp, 1974, 279-283. 114 Nazi-Schergen während der Jahre des totalitären Hitler-Regimes dienstbar machten, aus einem philosophiegeschichtlichen Kontext stammt und dem Bereich der Ethik eng verbunden ist. Nun läßt die Programmschrift, in deren terminologischem Kern die Begriffe „Lebenswissen“, „Überlebenswissen“ und „Zusammenlebenswissen“ stehen, keinen Zweifel daran, daß sie sich auf jenes Begriffsverständnis bezieht, das - an Konzept und Praxis der Life Sciences orientiert - spätestens seit dem Jahr 2001, dem „Jahr der Lebenswissenschaften“, in Deutschland dank der Massenmedien höchst populär geworden ist. Bereits der Untertitel der Programmschrift spielt auf dieses Faktum an - und nicht zuletzt auch auf die Tatsache, daß das medizinisch-biotechnologische Fächerensemble der „Lebenswissenschaften“ wenig zu jenen Ereignissen zu sagen hatte, die ab dem 11. September 2001 zumindest in der Öffentlichkeit jedwede weitere Diskussion um die so konzipierten „Lebenswissenschaften“ zum Verschwinden brachten. „Literaturwissenschaft als Lebenswissenschaft“ unternimmt als Teil einer Doppelstrategie den Versuch, die semantische Reduktion des Lebensbegriffs im Sinne von gr. bios sichtbar zu machen und Gegenstrategien zu entwickeln, um der Entwendung des Lebensbegriffs durch rein biowissenschaftlich verstandene „Lebenswissenschaften“ konzeptionell entgegenzuwirken. Die Arbeit am Begriff ist folglich zentral. Gerade auch aus romanistischer Sicht gehört es ohne jeden Zweifel zu den philologischen Pflichten, im Sinne von Werner Krauss’ 1943 im Zuchthaus Plötzensee begonnenen und 1944 im Wehrmachtsgefängnis der Lehrter Straße 61 abgeschlossenen Roman PLN 7 und vielleicht mehr noch Victor Klemperers der Lingua Tertii Imperii gewidmeten Band LTI, 8 aber auch im Sinne einer aktuellen Aufarbeitung nationalsozialistischer 9 bzw. totalitärer Verstrickungen unserer jeweiligen Fachgeschichten an die menschenverachtenden Entstellungen vieler Fachtermini zu erinnern. Dies gilt innerhalb des hier erörterten semantischen Feldes nicht nur für den Begriff der „Lebenswissenschaft“, sondern - denkt man nur an die NS-Experimente in Medizin und Biologie - den des Lebens überhaupt. Es gehört aber auch zu den Pflichten von Philologen, die jeweiligen aktuellen Kontexte der Verwendung derartiger Begrifflichkeiten klar herauszuarbeiten und damit kontaminierte Termini nicht einfach kampflos aufzugeben, sondern für neue Fragestellungen zurückzugewinnen. Wie sonst könnten wir künftig nicht nur auf Begriffe wie „Leben“ oder „Lebenswissenschaften“, sondern auch auf termini wie „Raum“ oder 7 Vgl. Krauss, Werner: PLN. Die Passionen der halykonischen Seele. Roman. 2., durchgesehene Auflage. Frankfurt/ Main: Vittorio Klostermann, 1983. 8 Vgl. Klemperer, Victor: LTI. Notizbuch eines Philologen. Leipzig: Verlag Philipp Reclam jun., 2 1968. 9 Vgl. etwa die grundlegenden Arbeiten des Romanisten Hausmann, Frank-Rutger: „Vom Strudel der Ereignisse verschlungen.“ Deutsche Romanistik im „Dritten Reich“. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann 2000; ders.: Anglistik und Amerikanistik im „Dritten Reich“. Frankfurt/ Main: Vittorio Klostermann, 2003. 115 „Forschungsgemeinschaft“, „Kulturwissenschaft“ oder „Germanistik“ wissenschaftlich klar begründet zurückgreifen? Es wäre daher gewiß möglich - und sicherlich auch wünschenswert - gewesen, von philologischer Seite eine reduktionistische Verwendung des Begriffs „Lebenswissenschaft“ und eine damit einhergehende dominant biotechnologische Entwendung des Lebensbegriffs durch die sogenannten Life Sciences zu kritisieren. Die von germanistischer Seite ins Feld geführte Begriffskritik scheint mir daher das Vorhaben, Literaturwissenschaft als Lebenswissenschaft zu begreifen und wissenschaftssystematisch neu auszurichten, zusätzlich zu befördern, ist es doch notwendig, das Begriffsfeld von gr. bios nicht länger im wahrsten Sinne stillschweigend Wissenschaften zu überlassen, deren eigene Begriffsverwendung und Wissenschaftspraxis in den Jahren des Nationalsozialismus ebenso wenig verschwiegen werden dürfen. Wie problematisch in vielen Sprachen und Ländern der Begriff und die Begrifflichkeiten des Lebens sind, mag auch das Beispiel der USA zeigen, wo man - wie mir ein ungeheuer ermutigendes Faculty Seminar mit Vertretern unterschiedlichster natur- und kulturwissenschaftlicher Disziplinen an der Vanderbilt University zum Thema „Philology as Life Science“ zeigte - selbstverständlich außerhalb der terminologisch scheinbar immunisierten Life Sciences sehr genau darauf achten muß, durch die Verwendung des Begriffs „life“ nicht mit den ultrakonservativen und an vielen Orten proliferierenden Abtreibungsgegnern der pro-lifers in Verbindung gebracht zu werden. Deren politische Agitation und Propaganda hat den Lebensbegriff zum gegenwärtigen Zeitpunkt in den Vereinigten Staaten stark affiziert. Reduktionismen und Totalitarismen das Feld zu überlassen, ist keine Alternative, sondern ein Grund mehr, den Begriff des Lebens wieder für den Bereich der Geistes- und Kulturwissenschaften fruchtbar zu machen. Die unterschiedlichsten Literaturen der Welt haben den Begriff des Lebens nicht verbannt. Die Philologien tun folglich gut daran, ihn aus der Falle der semantischen Reduktion durch die Life Sciences zu befreien und vor der Kontamination und Indienstnahme durch totalitäre Ideologien und politische Agitationen zu schützen. Auf diese Weise können die komplexen Beziehungen zwischen Literatur, Leben und Wissen literaturtheoretisch entfaltet und gesellschaftlich relevant gemacht werden. Am Ziel? In diesem Sinne scheint mir auch die von Ansgar Nünning (Gießen) und Hans Ulrich Gumbrecht (Stanford) gleichermaßen zustimmend geäußerte Kritik hilfreich, derzufolge die in der Programmschrift abgesteckten Positionen letztlich eine Selbstverständlichkeit signalisierten, der man als Literaturwissenschaftler nur beipflichten könne. Dankbar bin ich dafür, daß diese „Selbstverständlichkeit“ von beiden nicht nur angesprochen, sondern in ihren Beiträgen auch flankierend herausgearbeitet wurde. Denn oft ist es das Selbstverständlichste, was zu tun unterlassen wird. Eben dies scheint mir hier der Fall zu sein: Wir sind nicht am Ziel, bevor wir überhaupt aufbrachen. Denn wo spielen Fragen des Lebenswissens innerhalb der aktuellen Forschungen in den verschiedenen Philologien theoretisch reflektiert tat- 116 sächlich eine Rolle? Nur schwerlich wird man für derartige Initiativen Beispiele benennen können. Es dominiert, so scheint mir, vielmehr ein eher ratloses Schweigen, sobald in der Literatur der Begriff des Lebens fällt. So analysiert - um nur ein aktuelles Beispiel unter so vielen herauszugreifen - Jochen Hörisch in seinem neuen Buch Das Wissen der Literatur ausführlichst und lesenswert die Ars Poetica des Horaz, indem er dem berühmten Vers 333 („Aut prodesse volunt aut delectare poetae“) in seiner Untersuchung den oft unterschlagenen Vers 334 („Aut simul et iucunda et idonea dicere vitae“) folgen läßt. Er führt durchaus Gerd Herrmanns Übersetzung („Helfen wollen die Dichter oder doch uns erfreuen / Oder beides: die Herzen erheitern und dienen dem Leben“) an, 10 doch spielt das in Versendstellung besonders betonte vitae in seiner Deutung leider keinerlei Rolle. Das Leben scheint philologisch so selbstverständlich zu sein, daß es schlicht verschwindet oder im Diskurs zu Begriffen wie „Realität“ oder „Gesellschaft“ mutiert. Dies aber, mit Verlaub, ist weder dasselbe noch selbstverständlich. Die von Ansgar Nünning mit Recht (und ganz im Sinne der Programmschrift) betonte Eigen-Logik der Literatur und insbesondere ihrer narrativen Dimension wird von Pablo Valdivia Orozco (Potsdam) aufgenommen und in seinen Reflexionen über „Lebensform und Narrative Form“ anhand des Begriffs des „narrativen Wissens“ ausgeführt (H. 128). Markus Meßling (Hamburg) zeigt seinerseits die Relevanz der von der Programmschrift aufgeworfenen Fragestellung ebenso für die Fachgeschichte wie für die Beschäftigung mit außereuropäischen bzw. kolonialen Problematiken. Wenn Christoph Menke Kritik an einer aus seiner Sicht nicht-konfrontativen Strategie gegenüber den Ansprüchen und Selbstverständlichkeiten der Life Sciences äußert, dann scheint mir diese Kritik aus der Perspektive der Philosophie, die schon seit geraumer Zeit gerade auf dem Gebiet der Ethik in Dialog und Wettbewerb, nicht selten aber auch offener Konfrontation mit den biotechnologischen „Lebenswissenschaften“ steht, nur allzu verständlich und überlegenswert zu sein. Doch ist aus meiner Sicht - wie in der Programmschrift erläutert - eine Doppelstrategie erfolgversprechender, erlaubt sie es doch, kritisch Begrifflichkeiten und Definitionen, wie sie die Life Sciences entwickelt haben und entwickeln, transdisziplinär auf die Literaturwissenschaften zu beziehen und zu sehen, welche Differenzen, Konfliktlinien und Entwicklungsmöglichkeiten im fächerübergreifenden, aber nicht bloß interdisziplinären Dialog entstehen. Ein Rückzug in ästhetizistisch geschützte Zonen und in kurzfristig ausgemachte „Kernbereiche“ des Faches hilft nicht: Es gilt, das Wissen der Philologien weiter zu spezialisieren und auszuweiten, zugleich aber Einzeldisziplinen querend zu vernetzen und zu demokratisieren. Wir sind nicht am Ziel, wir stehen am Anfang. Am Ende, am Anfang Längst ist der Raum, den mir die Herausgeber der Zeitschrift für einige abschließende, im Grunde aber öffnende Überlegungen zugestanden haben, überschritten. 10 Hörisch, Jochen: Das Wissen der Literatur. München: Wilhelm Fink Verlag, 2007, 25ff. 117 Viele Aspekte, die in den erwähnten wie in anderen Beiträgen beleuchtet wurden, gilt es noch aufzugreifen und weiter zu diskutieren. Doch hat die bisherige Debatte, für die ich dankbar bin, gezeigt, daß bei den beteiligten Fachvertretern und Disziplinen eine große Offenheit besteht, sich nicht auf die vorgebliche Autonomie eines bestimmten Teilfelds bzw. auf einen theorieinternen Standpunkt zurückzuziehen. Die sich fortsetzende Debatte kann dazu beitragen, ein Bewußtsein dafür zu entwickeln, die Erforschung der Eigen-Logiken und des Eigen-Sinns der Literatur wie auch der jeweiligen Disziplinen auf die wohl zentrale Herausforderung der Philologien zu beziehen: auf die (nicht wirklich selbstverständliche) Notwendigkeit, nach dem Nutzen und Nachteil der Literatur wie der Literaturwissenschaften für das Leben zu fragen. Jenseits einer Reduktion der Philologien auf ministerielle Nützlichkeitserwägungen, auf die Zweckrationalität gesellschaftlich erforderlicher Ausbildungen künftiger Lehrer oder des eigenen wissenschaftlichen Nachwuchses kann die Frage nach dem spezifischen Wissen und Lebenswissen der Literatur einen Prozeß in Gang setzen, der die Relevanz der Literatur, aber auch einer sich als Lebenswissenschaft verstehenden Literaturwissenschaft nicht zuletzt darin erkennt, viel-logische, polylogische Strukturen zu entwickeln und zu durchdenken. Die Fähigkeit der Literatur, in verdichteter Form unterschiedliche Sprachen und verschiedenartige Logiken gleichzeitig zu Gehör zu bringen und miteinander zu verschränken, kann in ihrer Bedeutung für das individuelle wie für das kollektive Leben schwerlich überschätzt werden. Literatur ist das Ergebnis und das Erlebnis einer ebenso transgenerationellen wie transkulturellen Tätigkeit, die gewiß zu den komplexesten und kreativsten Aktivitäten gehört, die sich Menschen unterschiedlichster Herkunft bislang geschaffen haben. Kulturen und Gesellschaften entwickeln zu bestimmten Zeiten und innerhalb bestimmter Kontexte ein Zusammenlebenswissen, das sich nicht nur immer weiter anreichern, sondern auch in mehr oder minder starkem Maße verloren gehen kann. Eine am Lebenswissen der Literaturen der Welt ausgerichtete Literaturwissenschaft vermag die Vielfalt der literarisch geschaffenen polylogischen Strukturen nicht nur zu analysieren, sondern für eine individuelle wie gesellschaftliche Entwicklung fruchtbar zu machen, die von möglichst komplexen, verschiedene Kulturen und Diskurse querenden Denkweisen geprägt ist. Ein derartiges Wissen ist für unsere Gesellschaften überlebensnotwendig. Ein Jahr nach der Vorstellung der Programmschrift schließt sich der Kreis: Wir sind am Ziel, ohne am Ziel zu sein. Mit diesem Dossier soll die Debatte in lendemains einen vorläufigen Abschluß finden, gerade weil alle Zeichen darauf deuten, daß die Diskussion weiter an Fahrt aufnimmt. Vieles wird davon abhängen, ob es gelingt, die Debatte auch in andere Sprachen und kulturelle wie fachspezifische Kontexte zu übersetzen und nicht nur mit anderen Worten, sondern mit den Worten des Anderen auf neue Horizonte hin zu öffnen. Erste Reaktionen aus dem englisch-, spanisch- und französischsprachigen Raum sind mehr als ermutigend. Die Philologie blickt, anders als Charles Percy Snow es wollte, nicht nur historisch ins Vergangene zurück, sondern wendet sich zugleich dem Künftigen zu: Sie hat - wie 118 die Naturwissenschaften - the future in their bones. 11 Auch für diese künftigen Debatten gilt, was gleich am Anfang dieses Dossiers für Amin Maaloufs Literatur ohne festen Wohnsitz, aber auch für ein sich fortentwickelndes Zusammenlebenswissen von so entscheidender Bedeutung ist: Vivre une autre langue, une autre réalité. 11 Snow, C.P.: The Two Cultures. With Introduction by Stefan Collini. Cambridge: Cambridge UP, 1993, 10. 3: 28 119 Christoph König Ungebärdiges Lesen Laudatio für Jean Bollack 1 ‘Maîtriser la matière’ lautet ein Kennwort Jean Bollacks: ‘den Gegenstand bemeistern’, und es ist ein Wort, das in seiner Werkstatt der Sinnfindung einen eigenen Sinn erhält. Das Wort anerkennt den monarchischen Anspruch des großen Kunstwerks, von dem Paul Valéry spricht; 2 diesem Anspruch des Dichters, seine Welt zu beherrschen, gilt die Solidarität des Philologen Bollack, der das Wort ‘maîtriser’ sich aneignet, den Anspruch als Wissensanspruch anerkennt: Der artistische Wille sei der Maßstab für die Philologen, die in ihrem Metier, strikt außerhalb der Kunst, ihm gerecht werden mögen. Doch nur im ‘Interesse’, ein zweites Kernwort aus Bollacks Werkstatt, könne man jenen Anspruch erkennen und sich ihm hingeben. Wo findet man heute, lautet daher seine Frage, noch dieses Interesse - an der Universität, oder vielleicht doch eher im Theater, bei den Psychoanalytikern, und schließlich bei den Dichtern? Wie wäre dann zwischen Literatur und Philologie zu trennen und zu vermitteln? Auch meint ‘maîtriser’ die Arbeit, die ständige philologische Tätigkeit (‘Sitzfleisch’ sagt Jean Bollack gern und zitiert einen Satz seines Freundes Gershom Scholem, gemünzt auf Jacob Taubes: „Gescheit sind wir alle, Sitzleder muß man haben“), eine Tätigkeit, ohne die jeder Anspruch rhetorisch bleiben muß; die Aufgaben seien immens, man habe es mit einer der schwierigsten Wissenschaften überhaupt zu tun. Weiterhin gilt, daß der ganze Arbeitsaufwand nur dann an die große Dichtung als Gegenstand heranführe, wenn zuvor der Interpret von einer unkritischen Begeisterung für die Sache, einem spontanen, persönlichen ‘engagement’ (wieder leihe ich Bollack meine Stimme) hinweggetragen worden ist, dem er sich entgegenzustellen vermag, vertrauend auf das Werk, das in der Reflexion des ‘afflux’ (Bollack), der anfänglichen Spontaneität in der Sprache entsteht. Darauf kommt es Jean Bollack zuletzt und zuerst an: auf die dem Werk gemäße Subjektivität des Interpreten, die nichts mit dem Wort ‘subjektiv’, aber alles mit der Stellungnahme eines Subjekts zu tun hat, mit einem (bemeisternden) Eingriff, der der eigenen, ersten Lesepraxis gilt und in der Reflexion darauf zum wissenschaftlichen Resultat führt. Dieser Vorgang konnte in der Geschichte seiner Disziplin, der Klassischen Philologie, oft genug von außen gestört werden, weil die Gelehrten zwischen außen und innen, zwischen ihrer Institution und der Kultur, in der sie leben, nicht recht trennen wollten. Außen standen nicht nur die Politik und ihre normativen, lange Zeit nationalen Ansprüche, außen standen auch andere Fächer, die Philosophie etwa, die Soziologie, oder eine Ästhetik und Literaturtheorien, auf die philologisch zuzugreifen sei. Die wissenschaftshistorische Kritik gestörter Interpretationen, dient Jean Bollack, als eine Art ‘Hysteresis’, im Sinn der verzögerten Erkenntnis, seinen Resultaten. Der ‘Agon’, der wissenschaftliche Streit 120 prägt sein Leben. Wie könne man sich auf Interpretationen einigen, die nicht standhalten? Wie die Vorgänger im Fach wollen die Kollegen heute - aus korporativen Interessen oder um vertraute Traditionen zu verteidigen - sich in ihren Anschauungen von Werk und Dichter um keinen Preis beirren lassen. Insofern Bollack in diesem Agon ein gemeinsames intellektuelles Interesse voraussetzt, bleibt der Streit oft genug eine Fiktion, verläuft im Leeren, doch lasse er sich rekonstruieren und also ‘retten’. Und erklären: Darin liegt für Jean Bollack das ‘Potential’ einer an die Gegenwart angebundenen Wissenschaftsgeschichte. Heute trete an die Stelle des normativen, bestimmten Außenanspruchs die modische Meinung, der literarische Gegenstand sei eine Sache, die disponibel bleiben soll. Dem hält Bollack freilich entgegen: „Allein durch den Eingriff eines kritischen Subjekts wäre die Sache der Verfügbarkeit entzogen.“ 3 Die Zensur beginne heute, wo alles, jede Interpretation zugelassen ist. Die programmatische Offenheit, die von außen kommt, richtet sich gegen das sich selbst konstituierende Individuum, im aufgeklärten Sinn eben jenes Worts - ‘maîtriser’. Von dem Vorgang werden die Wörter selbst erfaßt, mit denen Bollack über sich spricht: maîtriser zuerst, afflux, engagement, Sitzfleisch, Interesse dann, auch Hysteresis, Agon, Zensur und Subjekt. Sie gehören zu seinem beweglichen Vokabular und erhalten ihren Sinn nach Maßgabe ihres jeweiligen reflexiven Gebrauchs. Selbst sie können ihn, weil ihnen das Begriffliche entzogen ist, nicht beherrschen. Von Meisterschaft zu sprechen steht einer Laudatio gut an, die indes der Gestalt, der Menschengestalt des Geehrten gilt und daher - umgekehrt - nicht der Hybris verfallen darf, ein Meisterlebenswerk vorzuführen. Einzelne Züge, die sich - wie der Charakter im Daimon - immer wieder bemerkbar machen, möchte ich zeigen und Erkenntnisstationen, durch die Jean Bollack, dank jener Züge, stets hindurchgegangen ist. ‘Durchgänge’ lautet der Titel seiner großartigen autobiographischen Erinnerung an die Zeit in Basel. 4 Doch was charakterisiert Jean Bollack? Einige Pinselstriche mögen vorerst genügen, ich nenne: Die Hingewandtheit zu Menschen, denen er in Freundschaft eine große Treue hält, wie auch zu Themen, die er erneut und erneut prüft; die unerhörte Arbeitskraft, von seiner unablässigen Kritik beflügelt; seine Begeisterungsfähigkeit, und die Kompromißlosigkeit, die ihm die Treue zu seinen Einsichten abverlangt. In den ‘Durchgängen’ schreibt er, als er sich im Jahr 1945 für Paris und das - im Vergleich zur Universität in Basel - andere, strengere und geschlossenere, französische Bildungssystem entschieden hat: „Ich half mir damit, daß ich mir meine nun schon alte [Basler] Erfahrung der Marginalität zunutze machte.“ 5 So hatte Bollack sich in Paris „etwas künstlich in persönlicher Kontinuität einen aufgeschlosseneren und freieren Raum der Wissenschaft eingerichtet, der sich über den institutionell festgelegten lagerte. Darin ließ sich leben, aus diesem konnte ich wieder hinauskommen.“ 6 Die ungebärdige ‘Subjektivität’ ist der Sinn dieser Beweglichkeit, die zu großen Resultaten und nicht zu einem System - weder im Leben, noch im Werk - geführt hat. Jean Bollack, geboren 1923 in einer jüdischen Familie im Elsaß, hat - während des Zweiten Weltkriegs - in Basel bei Peter Von der Mühll die große exklusive Tra- 121 dition der deutschen Klassischen Philologie, namentlich der Gräzistik kennengelernt. „Die Philologie, die klassische, war eine Welt für sich, sie war etwas Höheres, das Hingabe verlangte, wie im Georgekreis, mit dem er [Von der Mühll] nichts zu tun hatte, das Leben in der Kunst.“ 7 Im Gymnasium (Peter Michael Landmann war sein Lehrer) und zuhause, wo Bollacks Mutter, die er bis heute hoch achtet, unter den vielen Gästen auch Dichter und die Lehrer ihres Sohns empfing, oder in der Stadt, wo er oft Edith Landmann traf, die Freundin Stefan Georges, war Bollack auf die Literatur, in der man leben konnte und wo die Ansprüche denen der Universität glichen, schon vorbereitet worden. Albert Béguin, der gleichfalls in Basel, auf einem Lehrstuhl für französische Literatur, lehrte und mit Schriftstellern der Résistance in enger Verbindung stand, akzentuierte Bollacks starkes Interesse an der modernen Literatur und auch an der deutschen, vor allem aber an deren kritischer rationaler Ausrichtung, die damals weniger beachtet wurde; durch George, der zur intellektuellen Umgebung zählte, ging Bollack wie durch Rilke, der zu ihm persönlich zu sprechen schien, hindurch, während Mallarmé bis heute zählt. Seither sucht er die philologische Praxis mit der Frage nach der Aktualität klassischer literarischer Werke zu verbinden. Dabei hielt Jean Bollack an der Einsicht fest, daß nur in der Wissenschaft der Forscher eine Freiheit gewinnen könne, die der des Autors gewachsen sei. „Die wirkliche Esoterik war doch etwas Individuelles, und so war das Verständnis der Werke doch nicht ohne Wissenschaft zu erreichen.“ 8 Nicht zuletzt Béguin, Linkskatholik und militant darin, wußte ihm zu bedeuten, daß die Brücke ethisch, genauer: von der Kreatur, und noch persönlicher: von der jüdischen Exklusion her allein möglich war. „Eines Tages, wohl 1944, kam Béguin auf mich zu und fragte mich, ob ich wüßte, daß Kafkas drei Schwestern in den Vernichtungslagern umgekommen seien. Meine Gesichtszüge erinnerten ihn an Photographien Kafkas; er wollte mir damit sagen, daß er in jener Stunde auch eine jüdische Solidarität hatte (oder daß ich meine nicht genügend äußerte? ).“ 9 1945 entschied Bollack sich für Paris als Lebensmittelpunkt, wo er unter der Leitung des Gräzisten und Linguisten Pierre Chantraine seine Habilitation über Empedokles in vier Bänden schrieb. 1953 organisierte der Leiter des deutsch-französischen Instituts in Ludwigsburg - über Vermittlung des FAZ-Korrespondenten Nikolas Benckieser in Paris - für Bollack eine Vortragstour durch Deutschland, er mußte über das französische Schulwesen sprechen und kam so auch nach Berlin, das ihm seither für Deutschland steht. 1955 bis 1958 lehrte er als Gastdozent an der Freien Universität und nochmals 1966 auf Einladung von Peter Szondi an dessen Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft (über den Pindarismus in der europäischen Literatur). Nach Szondis Tod 1971 gab Bollack die Schriften und Vorlesungen des Freundes heraus. 10 Inzwischen war er in Lille, nicht in Paris, Professor geworden (und blieb das bis 1992), wo er mithilfe der Soziologie Pierre Bourdieus, des Weggefährten in Lille, die eigene Wissenschaftskritik schärfte. Die Frage galt der inneren, das heißt institutionellen Notwendigkeit der falschen Anschauungen. Streitbar begründete er das Centre de Recherche philologique, die Liller Schule, ein Zentrum, doch - gerade aufgrund der inzwischen me- 122 thodisch genutzten Streitbarkeit - am Rande. In den sechziger Jahren leitete Bollack, Berater im S. Fischer Verlag für die Geisteswissenschaften, die große Reihe ‘Fischer Weltgeschichte’, 1970/ 1 wurde er an das Institute for Advanced Study in Princeton, 1982/ 3 an das Wissenschaftskolleg zu Berlin berufen. Das alles wider die institutionelle Wahrscheinlichkeit. Nur von außen (mag es ein anderes Land, mag es das kulturell-intellektuell-literarische Leben, mag es ein Einzelner sein) konnte Unterstützung kommen für einen, der die Wissensansprüche der Universität (der alten deutschen, deren Ideal er in Basel entwerfen konnte) gegen ihre Insassen verteidigte; zuerst gegen die Traditionalisten unter den Professoren, dann 1968 auch gegen die Studenten, deren Kritik ihm nicht radikal genug schien, da sie die Universität leichtfertig zur Gesellschaft hin öffneten. Bollack forderte sie auf, nach den gesellschaftlichen Ursachen zu suchen, warum die Universität sich von innen längst schon aufgegeben habe. Im Zeichen des ‘Interesses’, das er bei den Fachkollegen nicht mehr fand, wandte er sich in den letzten fünfundzwanzig Jahren zusehends dem Theater zu (Ariane Mnouchkine griff auf seine Übersetzungen zurück, ebenso wie zuletzt Marcel Bozonnet an der Comédie française für die ‘Bakchen’ des Euripides), er diskutierte mit den Psychoanalytikern über die antiken Tragödien (damit der Sinn und so auch dessen Verbergen ins Spiel kamen), er arbeitete in der - oft genug persönlichen - Nähe zu Schriftstellern (neben Paul Celan waren es Dichter wie André Frénaud oder André du Bouchet). Mit anderen Worten: Jean Bollack erneuerte und nobiliterte die in Deutschland weitgehend geschwächte Philologie zu einer intellektuellen Instanz, die keine Gegenliebe mehr fand, als sie an den Ort ihrer Herkunft zurückkehren wollte, nach Deutschland. Verändert Bollack doch auf allen seinen Gebieten die Forschung, sei es die griechische Literatur und die griechische Philosophie, oder die Hermeneutik, die Wissenschaftsgeschichte und schließlich die moderne (deutsche und französische) Literatur. Dieses Paradox im Wissenschaftstransfer führt unmittelbar an unseren Anlaß heran: Eine Ehrenpromotion ehrt die Universität, die sie vergibt, und die Universität versichert damit dem Geehrten ihre Solidarität. Diese Solidarität soll Bollack gegenüber darin bestehen, die Voraussetzungen, die verloren gegangen sind, unter dem „Akut des Heutigen“ (Celan in seiner ‘Meridian’-Rede 1960) 11 zu erneuern, damit seine philologische Praxis auch hierzulande umfassender verstanden werde. Meine Damen und Herren: Sprach ich von einer ungebärdigen ‘Subjektivität’, die den Sinn von Bollacks Beweglichkeit, besser: Bewegungen ausmacht, so zeigt dieser erste Durchgang durch seine intellektuelle Biographie nun deutlicher, daß Bollacks Ungebärdigkeit sich als Treue zu einer Entscheidung für das Partikulare erweist, die den Lektüren vorangeht und die Freundschaften prägt. Bollack achtet die Freiheit des Autors, sich von seiner Tradition abzusetzen, und interpretiert die Eigenart von Werken, die in diesem Sinn entstanden sind. Jener Freiheit entspreche die Freiheit des gegenwärtigen Interpreten, der in eine neue Distanz treten und sich seinerseits von der Tradition des Verständnisses, in der er steht, lösen muß, um den idiomatischen Gebrauch der Sprache (und nicht nur derer) erkennen zu können. Im Sinn einer Desakralisierung des Philologen als Person. 123 Ein großes Beispiel für diese Treue gibt die Freundschaft zwischen Celan, Szondi und Bollack seit 1959. Lange nach Celans Tod im Jahr 1970 griff Bollack die Experimente in Szondis ‘Celan-Studien’ (1972 von ihm postum herausgegeben) 12 auf und trieb sie entschieden und auch prinzipiell voran. Zwei große Monographien hat er ihm jüngst gewidmet (die in deutschen Übersetzungen vorliegen: ‘Poetik der Fremdheit’ 2000, 13 ‘Dichtung wider Dichtung. Paul Celan und die Literatur’ 2006). 14 Im Rückblick erläutert Bollack 2003 den zeitlichen Aufschub, wieder eine Art Hysteresis: „Damals wäre ich nicht fähig gewesen zu verstehen, was Celan mir zu lesen gab. Es war nötig, daß eine gewisse Zeit verging. Was passierte, war ein Aufschub, etwas Nachträgliches. Für mich selbst habe ich es als eine Verpflichtung empfunden, das Nicht-Stattgefundene doch noch einzulösen.“ 15 Der Ton, den er Celan, dem Freund, gegenüber anschlug, war von vornherein anders als der schmerzlich artistische zwischen Celan und Szondi, die sich über hundert Briefe schrieben: Bollack sprach direkter, einfacher, unverstellter mit ihm. 16 Auch wenn er sich nur mit Verzug den Gedichten zuwandte, so wirkte sich aus, was seine gleichzeitige Beschäftigung mit der großen griechischen Literatur und Philosophie methodisch bestimmte: Bollack suchte weniger ein literarisches Verhältnis zu seinen Gegenständen zu gewinnen und erhob auch nicht den Anspruch auf ein privilegiertes, zugespitztes Verhältnis, das zwischen seiner Person und der Dichtung hermeneutisch vermitteln könnte. Statt dessen konstruierte er die innere Logik der Werke. Zunächst galt die Analyse allein der Person Celans und ihrer ‘Kohärenz’. Er und seine Frau Mayotte hatten Celan oft zu Besuch in der Rue de Bourgogne, und zuletzt, als Celan immer wieder hospitalisiert wurde, war er regelmäßig ihr Gast, in engem Ratschlag mit Gisèle Celan-Lestrange. Bollacks Bericht an Szondi vom 7. Januar 1961 ist ein Muster der „reinen Vernunft“, die Bollack Celans Klagen entgegenhielt: Man habe Wichtigeres zu tun; den Hintergrund bilden Szondis Kampf gegen die ungerechtfertigten Plagiatsvorwürfe, die Claire Goll Celan gegenüber erhoben hatte, und die Verteidigungsschritte seitens Walter Jens’: [...] Ich habe Paul versprochen, niemals auf das Gerede über ihn zu hören, das seinen ‘Fall’ durch eine mit diversen Namen belegte Gestörtheit erklärt. / Es ist aber nicht weniger richtig, daß er von seinen Freunden erwartet, daß sie für ihn handeln und für ihn zeugen, und fast nur dieses eine. Sogar die Urteile, die er über die Werke fällt, erklären sich aus dieser Haltung ... Mayotte erzählte mir gestern, daß der kleine Eric in der Schule sich davor hütet, die Klassenkameraden, die er als seine Feinde betrachtet, zu attackieren, und sich in seine „Vorsicht“ hüllt (wie er das nennt und wie es ihm vorgesagt wird); hingegen erwarte er, daß seine Freunde das für ihn besorgen. / Nein, ich werde niemals von Paul sagen, daß er „gestört“ sei - auch wenn ich gezwungen wäre, so zu denken -, aber gehetzt, das ist er gewiß, und wacht eifersüchtig über sein Verfolgtsein, und er bezieht aus einer belagerten Verschanzung - die in Wahrheit sorgfältig gehütet und bewußt abgegrenzt ist - die Ansprüche einer richterlichen Hoheit.17 Eine Analyse in mehreren Schritten: Der realen Verteidigung durch Walter Jens begegne Celan mit Argwohn; aber Bollack lehnt es ab, von einer „Gestörtheit“ zu 124 sprechen; die er dann doch wieder integriert, um ihr in seinem Argument einen Stellenwert zu geben: Denn sie diene dem Argwohn und dieser der Kreativität. Celan „wache eifersüchtig über sein Verfolgtsein“, und daraus ergebe sich schließlich aus seiner Sicht eine einzige Form, die seine Freunde (und Interpreten) ihm gegenüber wählen könnten: „daß sie für ihn handeln und für ihn zeugen“. Die Treue gilt einer zur Form gewordenen Entscheidung, die vom Interpreten verlangt, von den Vorurteilen, die zu Lebzeiten des Dichters und in der Forschungsgeschichte nach ihm kursieren, Abstand zu nehmen. Man folge nur der Reflexion des Dichters. Noch einmal: Celan benutze seine ‘Gestörtheit’, und diese blieb verbunden mit der Bewegung, seiner Arbeit am Sinn. Den Sinn, der seine Gedichte prägt, gelte es zu rekonstruieren. Das läßt allgemeine Schlüsse für die philologische Praxis Bollacks zu. Vom Nichtverstehen, das sich ergibt, wenn der Dichter vom gemeinhin verständlichen ‘Gestörtsein’ (als Vorurteil) sich fortbewegt, um die Störung auf die Reflexion zu übertragen und so zu radikalisieren, sei auszugehen, und die Arbeit des Interpreten bestehe darin, über die vom Dichter so geschaffene Schwierigkeit Klarheit zu gewinnen. Sie zu verteidigen. Nicht der Vereinfachung redet Bollack das Wort, wenn er von Klarheit spricht. Folgt die Entzifferung dem dichterischen Prozeß, steigt der Schwierigkeitsgrad, doch der Interpret redet nur dem Schein nach dunkel. „Die Änigmatisierung schafft selbst die Klarheit; im Vorgang der Entzifferung [der zur Änigmatisierung führt, und den das Werk vollzieht] gibt sich die Reflexion als solche zu erkennen.“ 18 Diese Praxis, die in der Entzifferung ihre ganze Denkkraft aufbietet, ist die Voraussetzung für die Resultate, die in ihrer schlichten Erratik die Forschung buchstäblich vor den Kopf stoßen. Mehr als alles andere beeindruckt die Entzifferungs-, die Lesefähigkeit Jean Bollacks. Szondi schrieb ihm: „J’ai été ravi à la lecture de tes notes: tu es un ange et un lecteur admirable à la fois.“ 19 Die Entzifferung ist ein spontanes, aber kein naturhaftes Vermögen, wenn sie auch Begeisterung auslöst. Das Vermögen hat nichts mit einem romantischen Mysterium des Augenblicks zu tun, noch preßt Bollack die neuen Einsichten aus scholastischen, szientifischen Begriffen. Auch die Ethik allein genügt nicht. Läßt sich dann solche Kreativität, die eine Nähe zum Fernen schafft, überhaupt kalkulieren? Und wie sind ihre Einsichten wissenschaftlich zu begründen? Die Einfälle, so scheint mir, verdanken sich der permanenten Reflexion auf Lektüren, die Bollack, im Ärger oder im Enthusiasmus, mitreißen. In einer Art objektivem Tagebuch entstehen täglich knappe, aphoristische Betrachtungen (sie sind durchnumeriert und tragen den Namen ‘X’, der sich aus dem Aufbau von Bollacks wissenschaftlichem Archiv ergibt); die Aufzeichnungen gelten anderen Forschern und ihren Aufsätzen, Buchbesprechungen in der täglich analysierten ‘Frankfurter Allgemeinen Zeitung’, auch den Leserbriefen dort, Gesprächen mit Gästen; sie gelten ebenso den Gedanken ‘ad se ipsum’: die Versuche, sich selbst zu verstehen, werden ihrerseits zum Material der philologischen Praxis. Bollacks Archiv in seinem Landhaus im Süden Frankreichs (er hat es für Forscher geöffnet, die mit Bett und Schreibtisch zwischen den Regalen rechnen dürfen) birgt un- 125 zählige Mappen mit ‘notes’ in thematischer Ordnung; und die Reflexion schlägt sich in Briefen nieder, denen die Anrede oft fehlt und die als Briefe allein durch ein nachgeführtes ‘J.’ (für Jean) erkennbar sind. Ständiges Inventarisieren und Ordnen, unablässiges Bedenken von Aufgaben und Projekten gehören gleichfalls hierher. Bollack bereitet also seine Praxis durch eine Reflexionskultur des Außen, des Fremden vor: Der glückliche Einfall beim Interpretieren setzt handwerkliches Können voraus, und gleichfalls die perennierende Kritik an jenen Vorurteilen, auch den eigenen über sich selbst, die die Freiheit gefährden, von der man ausgeht. Und wie - nochmals gefragt - gewinnen die Lektüren wissenschaftliche Dignität? Bollack vertritt eine diskursive Auffassung von Wahrheit: Es gilt, was sich im Gespräch, in der Auseinandersetzung, im Vergleichen durchsetzt, und nur solange, als es sich durchsetzt. ‘Lecture à plusieurs’, Lesen, besser: Auseinandersetzung zu mehrt, heißt eines seiner Bücher. 20 Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir schließlich von den Resultaten, so umstößlich sie in Bollacks Augen auch sein mögen, drei Exempel zu geben. Das erste Beispiel gilt der philologischen Rekonstruktion einer Philosophie. Als es Bollack nicht gelingt, das Weltsystem Heraklits aus den überlieferten (sogenannten) Fragmenten zu rekonstruieren, zieht er - in seinem Buch ‘Héraclite ou la séparation’ (1972), 21 das er mit Heinz Wismann schrieb - den Schluß, es gebe diese Kosmologie gar nicht, auch wenn sie das Bild Heraklits bis hin zu Heidegger bestimmt hat. „Die Reflexivität hatte keine Chance, wahrgenommen zu werden. Die Positivität zählte.“ 22 Damit war der Weg frei für die Entdeckung, daß Heraklit keines der ‘Urworte’, für die man ihn verehrte, aus sich selbst heraus gesagt hatte, sondern nur das - in seiner Sprache - durchleuchtete, was die Zeitgenossen formulierten. Eklektisch dokumentierte Heraklit Meinungen der Zeit. Man hat es nicht mit Fragmenten zu tun, sondern mit Aphorismen: mit geschlossenen Einheiten, die einzelne Wissensformen ihrerseits kritisch analysieren und die nun jeweils für sich zu interpretieren seien. Das zweite Beispiel zeigt den Grundstein einer materialen Hermeneutik. Angelpunkt von Bollacks Lektüren ist die Vorstellung, daß „die Dichtung - auf einer breiten Grundlage von Spontaneität - sich ihrer eigenen Vorgehensweise bewußt ist.“ 23 Einer Spontaneität, die nicht minder konstruiert sei: Sakrale Ansprüche an die Literatur finden hier keinerlei Gehör und fallen in sich zusammen. Die Auslegung im Werk selbst wird zur Bedingung der Interpretation und zu ihrem Leitfaden. ‘Textus interpres sui’: Der Text ist sein eigener Interpret, lautet das Losungswort. Damit sind die Gedanken gemeint, mit deren Hilfe das Werk seine Voraussetzungen: die Spontaneität, sein Wissen und den eigenen Kanon meistert. Die Interpretation folgt dem, was das Werk über sich denkt und äußert, und ist nur insofern möglich. Im dritten Beispiel wird deutlich, wie ein Werk selbst seinen Zugriff, sei es auf die Sprache, sei es auf das Biographische, regelt. Die Syntax fixiert frei einen Sinn über die allgemeine Struktur der Sprache hinaus, sie legt fest, wer Subjekt und Objekt ist, und sie regiert, in einem weiteren Sinn, die Abfolge der Gedanken in den 126 Texten. „Man entgeht der Syntax nicht.“ 24 Sie schafft den (autointerpretativen) Sinn, auf den die Interpretation zielt. Mithilfe seiner Syntax reflektiert Paul Celan; er ‘liest’, wie die Gedichte mit ihrer Spontaneität umgehen. Das gehört zu den aufregendsten Einsichten Bollacks: Durch das Verhältnis von Ich und Du in den Gedichten stellt Celan diesen Prozeß ausdrücklich dar. Ein künstlich konstruiertes Subjekt (‘Ich’: es gibt sich als das ‘natürliche’, das historische Individuum, ähnlich der Position des Erzählers im Werk von Marcel Proust), das außerhalb der Sprache stehe, bedient sich eines ‘Du’, das sich hingibt und schreibt und sich dabei vom ‘Ich’ beobachtet weiß. „Der Autor liest, indem er schreibt, oder er schreibt das, was er liest. Das ist der höchste Grad an Genauigkeit.“ 25 Diese Philologie entzieht jeder philosophischen Hermeneutik (Hans-Georg Gadamers etwa) den Boden, die den Dichter zum Sprachrohr des ‘Menschlichen’ oder eines Diskurses macht und damit übergeht, daß der Dichter genau mittels der konkreten Schriftlichkeit schon gegen diese Mißachtung protestiert hat. Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Würdigung von Jean Bollack hat sich selbst einem kleinen Experiment unterzogen. Nichts legt einen Geehrten mehr fest als Begriffe, die ihm seine Besonderheit nehmen und damit den Anlaß selbst in Frage stellen können. Wozu ausgerechnet ihn? Also gehe ich nochmals meine Rede durch und stelle fest, daß man ohne Begriffe auskommt, will man über Bollack sprechen. Allein für seine Gegner mußte man von ‘Diskurs’, ‘Philosophischer Hermeneutik’, ‘System’ sprechen; ihm selbst genügen jene Wörter, von denen ich ausging, und in deren Gebrauch selbst die Begriffe sich dem Individuellen, dem Subjekt, das seine Traditionen meistert, anbequemen. Eine andere Wendung, die Bollack gern benutzt, stehe daher am Schluß: ‘Je m’amuse’ meint er gelegentlich, wenn die Ansprüche seiner Wissenschaft unerträglich werden, die Ansprüche einer ‘Zwangswissenschaft’, wie er auch sagt. 26 Das Lächeln angesichts des nicht zu Leistenden gibt die Leichtigkeit, Ansprüche zu erfüllen. 1 Anläßlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde des Fachbereichs Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Osnabrück am 7. Juni 2007. 2 Vgl. Peter Szondi: Über philologische Erkenntnis, in: ders., Schriften, hg. von Jean Bollack u.a., Frankfurt/ Main, 1978, Bd. 1, 263-286, hier 275. 3 Jean Bollack: Sinn wider Sinn. Wie liest man? , Gespräche mit Patrick Llored, aus dem Französischen von Renate Schlesier, Göttingen, 2003. 4 Jean Bollack: Durchgänge, in: Zeitenwechsel. Germanistische Literaturwissenschaft vor und nach 1945, hg. von W. Barner und C. König, Frankfurt/ Main, 1996, 387-403. 5 Ebd., 402. 6 Ebd., 403. 7 Ebd., 394. 8 Ebd., 399. 9 Ebd., 397. 10 Peter Szondi: Studienausgabe der Vorlesungen, hg. von Jean Bollack, Bd. I: Die Theorie des bürgerlichen Trauerspiels im 18. Jahrhundert: der Kaufmann, der Hausvater und der 127 Hofmeister, Bd. II: Antike und Moderne in der Ästhetik der Goethezeit, Hegels Lehre von der Dichtung, Bd. III: Von der normativen zur spekulativen Gattungspoetik, Schellings Gattungspoetik, Bd. IV: Das lyrische Drama des Fin de siècle, Bd. V: Einführung in die literarische Hermeneutik, Frankfurt/ Main, 1975. Peter Szondi: Schriften, Bd. I: Theorie des modernen Dramas (1880-1950), Bd. II: Satz und Gegensatz, Lektüren und Lektionen, Celan-Studien, Anhang: frühe Aufsätze, Frankfurt/ Main, 1978. Peter Szondi: Celan-Studien, hg. von Jean Bollack, Frankfurt/ Main, 1980. Peter Szondi: Über eine „Freie (d. h. freie) Universität“. Stellungnahmen eines Philologen, hg. von Jean Bollack, Frankfurt/ Main, 1973. 11 Paul Celan: Der Meridian. Endfassung - Entwürfe - Materialien, hg. von Bernhard Böschenstein und Heino Schmull unter Mitarbeit von Michael Schwarzkopf und Christiane Wittkop, Frankfurt/ Main, 1999 (Werke. Tübinger Ausgabe). 12 Siehe Anm. 9. 13 Jean Bollack: Paul Celan. Poetik der Fremdheit, aus dem Französischen von Werner Wögerbauer, Wien, 2000. 14 Jean Bollack: Dichtung wider Dichtung. Paul Celan und die Literatur, aus dem Französischen von Werner Wögerbauer unter Mitwirkung von Barbara Heber-Schärer, Christoph König und Tim Trzaskalik, hg. von Werner Wögerbauer, Göttingen 2006. 15 ‘Sinn wider Sinn’ (siehe Anm. 3), 177. 16 Vgl. Paul Celan, Peter Szondi, Briefwechsel. Mit Briefen von Gisèle Celan-Lestrange an Peter Szondi und Auszügen aus dem Briefwechsel zwischen Peter Szondi und Jean und Mayotte Bollack, hg. von Christoph König, Frankfurt/ Main, 2005. 17 Ebd., 171f. 18 Jean Bollack: Die Dichtung und die Religion. Zu Mallarmés Toast funèbre, in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, Januar 2006, Heft 51/ 1, 103-114, hier 104. 19 Peter Szondi: Briefe, hg. von Christoph König und Thomas Sparr, zweite Auflage, Frankfurt/ Main, 1994, 335. 20 Jean Bollack, Jean-Marie Winkler und Werner Wögerbauer: Sur quatre poèmes de Paul Celan: une lecture à plusieurs, in: Revue des sciences humaines, 223, 1991. 21 Jean Bollack und Heinz Wisman: Héraclite ou la séparation, zweite Auflage mit neuem Vorwort, Paris, 1995. 22 Jean Bollack in einem Brief an den Verfasser. 23 ‘Sinn wider Sinn’ (siehe Anm. 3), 23 . 24 ‘Sinn wider Sinn’ (siehe Anm. 3), 70. 25 ‘Sinn wider Sinn’ (siehe Anm. 3), 97. 26 Vgl. Jean Bollack: Juden in der Klassischen Philologie vor 1933, in: Jüdische Intellektuelle und die Philologien in Deutschland 1871-1933, hg. von Wilfried Barner und Christoph König, Göttingen, 2001, 165-185, hier 181. 128 Roland Höhne Politischer Bruch oder mediale Inszenierung? Nicolas Sarkozy und die Zwänge französischer Modernisierungspolitik Nicolas Sarkozy versprach während seines Präsidentschaftswahlkampfes den „Bruch“ mit der Ära Chirac. Nach seiner Wahl brach er vor allem mit dem Stil seines Vorgängers und agierte in einer Weise, die allen Geflogenheiten der V. Republik zuwiderlief. Er präsidialisierte das Regierungssystem, degradierte den Premierminister zum bloßen Koordinator und behandelte seine Minister als reine Exekutanten. Er ist hyperaktiv, omnipräsent, egoman. Noch nie hat sich ein Präsident der V. Republik so in die Tagespolitik eingemischt wie er. Er inszenierte sich permanent in den Medien und transformierte die Politik so in ein Medienspektakel. Seine Vorgänger wahrten die Würde des Amtes und legten Wert auf staatliche Repräsentation. Sarkozy scherte sich dagegen nicht um die Etikette, wichtig war ihm, was die Masse von ihm denkt. Auch auf dem internationalen Parkett hielt er sich nicht an die traditionellen Spielregeln. Er duzte die meisten Staats- und Regierungschefs, als wären sie seine Kumpel und machte auch Diktatoren und Autokraten seine Aufwartung. Wo de Gaulle die Distanz gewahrt und Chirac den Handschlag verweigert hätte, ließ er rote Teppiche ausrollen und öffnete weit die Arme. Sein Lebensstil bricht ebenfalls mit den republikanischen Sitten. Er führt sich auf wie ein Star und hält mit seinen Liebesgeschichten die Boulevardpresse in Atem. Nach dem Ehedrama mit Cécilia die Affäre mit Carla Bruni. Seine Vorgänger trennten strikt Amtsführung und Privatleben. Charles de Gaulle, der nicht reich war, ließ alle Auslagen privat begleichen, die nicht unmittelbar mit seinen Dienstpflichten zu tun hatten, selbst Chirac, der ziemlich großzügig mit öffentlichen Geldern umging, bezahlte seine Rechnungen selbst. Sarkozy aber läßt sich von Milliardären zu Privatreisen einladen und verbringt seine Ferien auf Yachten und in Luxushotels. Aber trotz des demonstrativen Stilbruchs ist es noch immer unklar, wohin die Reise eigentlich gehen soll. Was will Sarkozy erreichen, welches Frankreich will er schaffen, von welchen Vorstellungen läßt er sich leiten? Will er lediglich den Reformstau der Ära Chirac überwinden und Frankreich verstärkt der Globalisierung anpassen oder strebt er darüber hinaus eine neue Ordnung an? Wie ist er politisch-weltanschaulich einzuordnen? Als neoliberaler Konservativer, als autoritärer Etatist, als konservativer Pragmatiker? Sarkozy gibt noch immer Rätsel auf. Um dieses Rätsel zu lösen, reicht es nicht aus, nur seine Diskurse zu analysieren, denn diese sind stets zweckgerichtet. Vielmehr muß man auch die sozio-kulturellen Kräfte untersuchen, die sein Denken geprägt haben sowie die Interessen aufzeigen, die sein Handeln bestimmen. 129 Herkunft und Sozialisation Als drittes Kind eines ungarischen Immigranten 1955 geboren, wurde Nicolas Sarkozy seit seinem vierten Lebensjahr von seiner Mutter, Andrée Mallah, erzogen. 1 Sie ist die Tochter eines jüdischen Arztes aus Saloniki, der in den dreißiger Jahren vor antisemitischen Ausschreitungen nach Frankreich floh, zum Katholizismus konvertierte und sich einbürgern ließ. Sie wurde katholisch erzogen, studierte Jura und arbeitete später als Anwältin. Nach der Trennung der Eltern 1959 übernahm der Großvater die Vaterrolle. 1973 zog die Familie nach Neuilly. Die Einkünfte der Mutter waren bescheiden, erlaubten jedoch eine bürgerliche Existenz. Nicolas Sarkozy besuchte das katholische Gymnasium Saint Louis de Morceau und machte dort 1973 Abitur. Er gehörte als Schüler weder einem privaten Freundeskreis (rally) 2 noch einer Jugendorganisation an. Nach dem obligatorischen Wehrdienst studierte er Jura an der Universität Paris X (1975-1978) und anschließend zwei Jahre Politische Wissenschaften am IEP de Paris (1979-1981). Sein Studium beendete er mit einer Maîtrise in Privatrecht (1978) und einem DEA in Sciences Politiques (1981). Im Gegensatz zu seinen Vorgängern Giscard d’Estaing und Chirac besuchte er jedoch nicht die ENA, sondern wurde Anwalt. Nach Herkunft und Sozialisation ist er somit weder ein „Erbe“ noch ein „Stipendiat“, d.h. er gehört weder zum bürgerlichen Geldadel noch zur republikanischen Geisteselite, sondern ein Angehöriger der akademisch gebildeten Mittelschichten, die ihren gesellschaftlichen Status vor allem ihren sprachlich-kulturellen Fähigkeiten verdanken. Er übernahm daher auch nicht die normativen Kriterien des Sozialmodells der traditionellen Eliten, sondern die der bürgerlichen Aufsteiger. Dies erklärt teilweise sein Mißtrauen gegenüber der traditionellen Führungsschicht sowie seinen privaten Lebensstil. Die politische Sozialisation Sarkozys erfolgte vor allem im bürgerlichen Milieu seiner Heimatstadt. Neuilly bildete zu jener Zeit einen Mikrokosmos zwischen Paris und dessen westlichen Vororten im Departement Hauts-de-Seine. In diesem gingen Geschäftswelt, Politik und Medien eine enge Bindung ein. Der soziale Aufstieg erfolgte in ihm nicht nach dem traditionellen Modell der Hauptstadteliten über Concour und Kooptation, sondern nach neoliberalen Mustern über Netzwerke und Freundeskreise im Vereinswesen, in der Geschäftswelt oder in der Politik. 3 Nicolas Sarkozy integrierte sich in diese durch sein Engagement bei den Gaullisten. Seither unterhält er enge Beziehungen zur Geschäftswelt und zu den Medien. Erhellend für das Verständnis seiner politisch-sozialen Weltsicht jener Jahre ist seine Biographie des nationalrepublikanischen Liberalen Georges Mandel, in der er besonders dessen patriotisches und republikanisches Engagement in der III. Republik würdigte. 4 130 Politische Karriere Nicolas Sarkozy begann seine politische Karriere 1974 mit 19 Jahren in der Jugendorganisation der gaullistischen UDR. Dort stieg er rasch in nationale Führungspositionen auf und konnte so wichtige Kontakte knüpfen. 1978 wurde er Nationaldelegierter, 1979-1981 Leiter des nationalen Komitees der gaullistischen Jugend für die Unterstützung der Präsidentschaftskandidatur des Parteivorsitzenden Jacques Chirac. Dank seiner rhetorischen Begabung, seines Organisationstalents und seines Arbeitseifers gewann er dessen Vertrauen und wurde von diesem bis zu ihrem Bruch 1995 gefördert. 1992 wurde er stellvertretender Generalsekretär des RPR, 1995 Mitglied des Parteivorstands (bureau politique) und Parteisprecher, 1998 Generalsekretär. Als der RPR-Vorsitzende Philippe Séguin mitten im Europawahlkampf von 1999 zurücktrat, übernahm er im April 1999 kommissarisch die Parteiführung sowie gemeinsam mit dem Rechtsliberalen Alain Madelin die Spitzenkandidatur der RPR/ DL-Gemeinschaftsliste. Diese erhielt aber nur 12,8%, die europakritische Dissidentenliste Pasqua/ de Villiers dagegen 13,1%. Dadurch verlor er die Chance, zum Parteivorsitzenden gewählt zu werden, und mußte in das zweite Glied zurücktreten. Während der nun folgenden Zwangspause konnte er sich auf der regionalen Parteiebene behaupten. Am 3. Mai 2000 wurde er zum Vorsitzenden des Departementskomitees Hauts-de-Seine gewählt. Als Chiracs Vertrauter und ehemaliger Premierminister Alain Juppé wegen der Verwicklung in eine Korruptionsaffäre (illegale Parteifinanzierung) vom UMP-Vorsitz zurücktreten mußte, wurde Sarkozy am 29. November 2004 auf dem UMP-Parteitag trotz des heftigen Widerstandes der Chirac-Anhänger mit 85,1% der Stimmen zum UMP-Vorsitzenden gewählt. Innerhalb von dreißig Jahren gelangte er so über die „Ochsentour“ an die Parteispitze. Damit hatte er die wichtigste Machtbasis für die angestrebte Präsidentschaftskandidatur gewonnen. Parallel zu seiner Parteikarriere verfolgte Sarkozy auch zielstrebig seinen Aufstieg in der Kommunal-, Regional- und Staatspolitik. Er begann ihn 1974 als Mitarbeiter des gaullistischen Bürgermeisters von Neuilly und Abgeordneten des dortigen Wahlkreises (1947-1983), Achille Peretti. 5 Durch die Ehe mit dessen Enkelin, Marie-Dominique Culiolo, heiratete er in dessen korsischen Clan ein. Besonders eng gestaltete sich seine Zusammenarbeit mit dem „Festlandskorsen“ Charles Pasqua. Dieser gehörte in jenen Jahren zum gaullistischen Führungspersonal und war Abgeordneter von Clichy-Levallois (Hauts-de-Seine). Er propagierte eine konservative Modernisierungspolitik, die sich am amerikanischen Modell orientierte. So gründete er u.a. im Departement Hauts-de-Seine eine Universität nach dem Vorbild amerikanischer Business-Schulen, die ohne „unnötigen Theorieballast“ auf wirtschaftliche Tätigkeitsfelder vorbereiten sollte. Er wollte Bürgermeister von Neuilly werden, um wie sein Rivale, der RPR-Vorsitzende Jacques Chirac im benachbarten Paris, eine kommunale Basis für seine nationalen Ambitionen zu gewinnen. Er sorgte dafür, daß Sarkozy 1977 mit 22 Jahren auf einer RPR/ UDF-Gemein- 131 schaftsliste in den Gemeinderat von Neuilly gewählt wurde. Damit erhielt dieser Zugang zu den politischen Honoratioren der Stadt. Diese kooptierten ihn rasch, da er sich an ihren Habitus und ihre Mentalität anpaßte. Wenn Pasqua auf die Loyalität und Dankbarkeit Sarkozys gehofft hatte, wurde er herb enttäuscht. Dieser ließ sich nach dem Tode Perettis im Jahre 1983 mit Hilfe von Chiracs Anhängern zum Bürgermeister von Neuilly wählen und durchkreuzte damit die Pläne seines Mentors. Dies war seine erste große Illoyalität, weitere sollten folgen. Obwohl erst 29 Jahre alt und ohne administrative Erfahrung, gelang es Sarkozy rasch, die städtische Verwaltung zu kontrollieren und sich politisch in der Stadt durchzusetzen. So sicherte er seine Wiederwahl und gewann auch Einfluß auf der departementalen und regionalen Ebene. 1983-1988 war er Regionalrat der Île de France, 1986-1988 Vizepräsident, 2004/ 2005 Präsident des Generalrats des Departements Hauts-de-Seine. Die lokalen und regionalen Ämter dienten ihm als Sprungbrett für seine nationale Karriere. 1988 wurde er zum ersten Mal zum Abgeordneten der Nationalversammlung im Departement Hauts-de-Seine gewählt. In den folgenden Jahren gelang es ihm, bei allen Haupt- und Nebenwahlen seinen Wahlkreis erfolgreich zu verteidigen. Er gehörte daher bis zu seiner Wahl zum Präsidenten im Mai 2007 der Nationalversammlung an. Unterbrochen wurde seine Abgeordnetentätigkeit lediglich durch seine Amtszeiten als Minister. In den Jahren 1993-1995 war er in der Regierung Balladur zuständig für Haushalt und Kommunikation, in den Jahren 2002-2004 in der Regierung Raffarin sowie 2005/ 2007 in der Regierung Villepin für Inneres, vom März bis Oktober 2004 auch für kurze Zeit für Haushalt, Wirtschaft und Finanzen. Seine Karriere schien ernsthaft gefährdet, als er im Präsidentschaftswahlkampf von 1995 die Kandidatur von Edouard Balladur gegen die Jacques Chiracs unterstützte. Letzterer hat ihm diesen „Verrat“ nie verziehen und ihn nach seiner Wahl zum Präsidenten bei der Regierungsbildung nicht mehr berücksichtigt. 6 Anfang 2002 holt er ihn jedoch in sein Beraterteam, da er ihn für die Vorbereitung seiner zweiten Präsidentschaftskandidatur brauchte. Dank seiner Machtstellung in der Partei war er unumgehbar geworden. Seit dem Wahlsieg der republikanischen Rechten vom Frühjahr 2002 betrieb Sarkozy systematisch seine eigene Präsidentschaftskandidatur. Für diese benötigte er die Unterstützung der Regierungspartei, denn nur diese konnte ihm die erforderlichen Ressourcen für den Wahlkampf sichern. Angesichts des Popularitätsverlustes Chiracs mußte er sich aber auch deutlich von diesem unterscheiden, wenn er die Mehrheit der Wähler gewinnen wollte. Er bemühte sich daher einerseits um die Unterstützung seines Lagers, andererseits aber grenzte er sich von Chirac ab, indem er sich als junge, dynamische Kraft profilierte, die fähig sei, den innergesellschaftlichen Reformstau zu überwinden und das internationale Ansehen Frankreichs zu mehren, ohne mit den Werten und Grundvorstellungen der republikanischen Rechten zu brechen, der er seit dreißig Jahren angehörte. Damit 132 stellte er seine Kandidatur unter die Devise „Bruch und Kontinuität“ bzw. „ruhiger Bruch“ in Anlehnung an den Wahlslogan Mitterrands „la force tranquille“ von 1981. Sarkozys Präsidentschaftsambitionen führten zu einem harten Machtkampf mit Chirac. Dieser fürchtete, daß ein Erfolg seines Herausforderers ihm nicht nur alle Chancen für eine eventuelle Wiederwahl nehmen, sondern auch sein Lebenswerk gefährden würde. Er bemühte sich daher nach Kräften, Sarkozys Kandidatur zu verhindern. Er band ihn in die Regierungsverantwortung ein, überließ ihm jedoch nicht die Regierungsführung und versuchte nach dem Scheitern des europäischen Verfassungsreferendums im Mai 2005, seinen neuen Premierminister Dominique de Villepin als Gegenkandidat aufzubauen. Er scheiterte jedoch damit, da dieser rasch an Popularität verlor und es Sarkozy gelang, die Unterstützung der Partei für seine Kandidatur zu gewinnen. Diese sah in ihm den neuen Hoffnungsträger, der ihr auch nach der Amtszeit Chiracs die Macht sichern könnte. Leistungsbilanz Als Bürgermeister von Neuilly und Präsident des Regionalrates der Hauts-de- Seine gelang es Sarkozy rasch, die Verwaltung mit Hilfe der Personalpolitik sowie von Aktenstudium, Anweisung und Erfolgskontrolle zu beherrschen und sie für seine Ziele einzusetzen. Er reduzierte die Ausgaben, indem er besonders die Subventionen für Verbandsaktivitäten kürzte, bediente aber reichlich seine Klientel in Politik und Wirtschaft und konnte sich so deren Unterstützung sichern. Als Minister profilierte er sich vor allem auf den Gebieten innere Sicherheit, Einwanderung, Integration und Wirtschaft. Während seiner ersten Amtsperiode als Innenminister 2002-2004 bekämpfte er vor allem die Straßenkriminalität und den Drogenhandel und bemühte sich um die Wiederherstellung der Rechtssicherheit in den sozialen Brennpunkten der städtischen Ballungsgebiete. Dabei orientierte er sich am New Yorker Modell der „Null-Toleranz“. 7 Er entsprach damit dem weitverbreiteten Sicherheitsbedürfnis der unmittelbar betroffenen Bevölkerung. Im Interesse der politischen und sozialen Integration der islamischen Bevölkerung schuf er im Mai 2003 einen Islamrat, den Conseil Français du Culte Musulman (CFCM) als oberste Vertretung des Islams in Frankreich. Ihm gehören alle wichtigen islamischen Organisationen und Vereine Frankreichs an. 8 Die französischen Muslime können damit erstmals ihre Interessen direkt gegenüber dem Staat vertreten. Dadurch erhoffte sich Sarkozy ihre allmähliche Integration in die republikanische Ordnung und so die Herausbildung eines französischen Islam, der wie der Katholizismus, Protestantismus und Judaismus die Trennung von Staat und Religion akzeptiert. 9 Im Interesse dieser Zielsetzung plante er auch ein Ergänzungsstudium für zugewanderte Imame an französischen Universitäten, das diesen die Werte und Traditionen der französischen Gesellschaft vermitteln sollte und befürwortete die finanzielle Unterstützung der Moslems beim Bau von Gemeindezentren, die sie von ausländischen Geldgebern unabhängig machen sollte. 10 133 Seine Pläne scheiterten jedoch am erbitterten Widerstand der militanten Laizisten, die darin eine Verletzung der strikten Trennung von Staat und Religion sahen. 11 Gleichzeitig setzte er sich aber für eine Begrenzung der (nichteuropäischen) Einwanderung ein. An der Stelle der „erduldeten Einwanderung“ (immigration subie) sollte die „ gewählte Einwanderung“ (immigration choisie) treten. Auf sein Betreiben verabschiedete die Nationalversammlung im Mai 2006 mit den Stimmen der UMP ein neues Einwanderungsgesetz. Es begünstigt den Zuzug von Personen, die in Frankreich gebraucht werden, z.B. Mediziner, Informatiker, Kranken- und Altenpflegerinnen etc., begrenzt aber die Familienzusammenführung. 12 Während seiner zweiten Amtszeit als Innenminister ging er hart gegen Bandenbildung und Kriminalität in den Vororten der städtischen Ballungsgebiete vor. Als Reaktion auf den Tod eines Kindes bei einer Schießerei zwischen rivalisierenden Banden in La Courneuve im Juni 2005 erklärte er, er wolle die Vororte mit dem Kärcher reinigen. Dies trug ihm im linken Meinungsspektrum die Bezeichnung „sarko-facho“ ein, machte ihn jedoch zum Idol der ordnungsliebenden Bürger. Sein Ruf als „Mann der Ordnung“ verstärkte sich noch durch sein hartes Vorgehen gegen revoltierende Jugendliche in den Vororten der städtischen Ballungsgebiete im Oktober/ November 2005. Er bezeichnete die jugendlichen Unruhestifter als „Gesindel“ (racaille) und forderte eine härtere Bestrafung von jugendlichen Gewalttätern. Auch diese Äußerung weckte in der Öffentlichkeit ein unterschiedliches Echo. Sarkozy gelang es, die Sicherheit in den Banlieues vorübergehend zu erhöhen, aber auch er konnte dort die Gewalttätigkeit nicht merklich eindämmen. 13 Schon bei kleineren Zusammenstößen zwischen Jugendlichen und der Polizei flackern die Unruhen wieder auf. 14 Dies tat jedoch seinem Ruf als Garanten der Ordnung keinen Abbruch. Die Zahl der Rückführung illegaler Migranten verdoppelte sich während seiner Amtszeit als Innenminister, die illegale Einwanderung aber blieb ein Problem. In seiner kurzen Zeit als Wirtschafts- und Finanzminister 2004 bemühte er sich um eine Reduzierung des Haushaltsdefizits sowie um eine Einhaltung der Maastrichter Stabilitätskriterien. Seine Bemühungen scheiterten allerdings am Widerstand Chiracs. Ferner begann er mit der Privatisierung von France Télécom und der Teilprivatisierung der Gruppe Areva. Er rettete Alstom durch Staatskredite vor der Pleite und begünstigte die Übernahme des deutsch-französischen Pharmaunternehmens Aventis durch Sanofi-Synthélabo. Er profilierte sich so als Wirtschaftsliberaler, der vor dirigistischen Maßnahmen nicht zurückschreckt, wenn sie ihm im nationalen Interesse notwendig erscheinen. Nachhaltige Spuren hat er als Wirtschafts- und Finanzminister jedoch nicht hinterlassen. 134 Wahlkampf 2007 Sarkozy führte seinen Präsidentschaftswahlkampf überwiegend mit rechten Themen: Sicherheit, Einwanderung, Identität, Autorität, Arbeit, Leistung, Erfolg. Ganz in der gaullistischen Tradition beschwor er die Größe und die universelle Mission Frankreichs. Wie die nationalistische Rechte verteidigte er aber auch die französische Kolonisierung Nordafrikas und machte das kulturelle Erbe des Mai 68 für die Misere der öffentlichen Bildung, die Jugendkriminalität und den Zerfall der Autorität verantwortlich. Wirtschaftspolitisch vertrat er dagegen eine neoliberale Programmatik, betonte jedoch auch die soziale Schutzfunktion des Staates. Zur Legitimation seiner Positionen berief er sich auf Jules Ferry und Charles de Gaulle, aber ebenfalls auf Jean Jaurès und Léon Blum. Auf diese Weise gelang es ihm, sich im ersten Wahlgang mit 33% der Stimmen für den zweiten Wahlgang zu qualifizieren und in diesem die Sozialistin Ségolène Royal klar mit 53 zu 47% der Stimmen zu schlagen. Er besitzt daher für französische Verhältnisse eine starke demokratische Legitimation. Politische Ideen und Programmatik Als Angehöriger des Jahrganges 1955 ist Nicolas Sarkozy politisch weder durch den Gaullismus und die Entkolonisierung noch durch die Kulturrevolution des Mai 68 geprägt worden. Bestimmend für sein politisches Weltbild waren vielmehr der kulturelle Katholizismus des Elternhauses und der Schule, der soziale und wirtschaftliche Liberalismus der oberen Mittelschichten, der Republikanismus der herrschenden politischen Kultur sowie die jüdische Erinnerung des Großvaters. In seinen politischen Diskursen bekennt sich Sarkozy ausdrücklich zum Katholizismus, zur katholischen Kultur, zur katholischen Tradition und zur katholischen Kirche, auch wenn er nur ein sporadischer Kirchgänger ist. 15 In seiner Rede in der Lateranbasilika vom 20. Dezember 2007 befürwortete er eine Rückbesinnung Frankreichs auf sein christliches Erbe und eine stärkeren Einbindung der Religionen in das öffentliche Leben. Ähnliche Ansichten hatte er bereits 2004 in seinem Gespräch mit dem Philosophen Thibaud Collin und dem Dominikanermönch Philippe Verdin geäußert. 16 Damit rüttelte er an den Grundfesten des Laizismus, der auf einer strikten Trennung von Staat und Religion beruht. Er begründete seine Position mit dem Argument, daß die Wertvorstellungen der Laizität nicht das Streben nach der Unendlichkeit befriedigen können, das jedem Menschen innewohne. Ihre Festigkeit sein daher relativ. Dies könne allein die Religion. Die laizistische Republik habe deshalb ein Interesse daran, von Bürgern getragen zu werden, deren Werte religiös verankert sind. Eine laizistische Moral laufe immer Gefahr, sich zu erschöpfen, weil sie nicht an eine Hoffnung geknüpft sei, die das Streben nach Unendlichkeit erfülle. Die auf der kritischen Vernunft beruhenden Werte seien „den historischen Gegebenheiten ausgesetzt und letztlich der Leich- 135 tigkeit“. Die Republik laufe damit in ethischen Fragen Gefahr, „nicht mehr zu machen, was sie machen muß, sondern zu machen, was sie machen kann.“ Damit begründete Sarkozy seine Forderung nach einer „positiven Laizität“, „die zwar die Glaubens- und Gedankenfreiheit schützt, aber die Religionen nicht als Bedrohung betrachtet, sondern als Trumpf.“ 17 Nach den heftigen Protesten der Verteidiger des Laizismus versicherte er jedoch, er wolle das Trennungsgesetz von 1905 nicht ändern 18 und ließ durch seinen Sprecher Martinon erklären, er habe nur deutlich machen wollen, daß der Staat die Religionen nicht (mehr) bekämpfe. Die Anerkennung der religiösen Gefühle sei genauso Bestandteil des republikanischen Paktes wie das Erbe der Aufklärung. In einer befriedeten und brüderlichen Republik sollten alle Bürger Respekt vor allen Überzeugungen haben, auch wenn sie diese nicht teilten. Die Werte der Vielfalt, der Toleranz, der Verständigung und des Respekts seien die Grundlage seines Handelns. 19 Sarkozy stellt somit die Trennung von Staat und Religion nicht grundsätzlich in Frage, wohl aber will er die Religion in den Staat als eine soziale und ethische Kraft integrieren. Zwischen Republik und Religion sieht er keinen strukturellen Gegensatz, da beide unterschiedliche Funktionen erfüllten. Die Republik organisiere die zeitliche Dimension des Lebens, die Religion versuche, ihm einen Sinn zu geben. Die Republik sei die beste Form des menschlichen Zusammenlebens. Sie sei jedoch nicht die Finalität des Menschen. Nur die Religionen könnten die Sinnfrage des Lebens beantworten. Sarkozy reagierte mit seinem Konzept der „positiven Laizität“ auf die zunehmende Säkularisierung der französischen Gesellschaft, die er als Gefahr für die politische und soziale Ordnung betrachtet. Bereits während der Auseinandersetzungen um das Tragen des islamischen Kopftuchs in öffentlichen Schulen hatte er gesagt, eine von islamischen Wertvorstellungen geprägte Vorstadtjugend sei ihm lieber als eine Jugend, die an gar nichts mehr glaube. Diese Überzeugung wiederholte er in seiner römischen Rede. „Ein Mensch, der glaubt, ist ein Mensch, der hofft. Und das Interesse der Republik ist es, das es viele Männer und Frauen gibt, die hoffen.“ 20 In den westlichen Wohlstandsgesellschaften mit ihrem ungezügelten Konsum trete jeden Tag stärker zutage, daß materielles Wohlergehen nicht das tiefe Streben der Menschen befriedige. „Es ist offensichtlich, daß der Mensch eine Hoffnung über das Diesseits hinaus braucht.“ 21 Trotz seines kulturellen Katholizismus ist Sarkozy jedoch weder ein Christdemokrat wie François Bayrou noch ein Nationalkatholik wie Philippe de Villiers. Seine sozialen und wirtschaftlichen Vorstellungen werden nicht von der katholischen Soziallehre, sondern vom (Neo-) Liberalismus, seine politischen Vorstellungen nicht vom katholischen Integrismus, sondern vom konservativen Republikanismus geprägt. Auch in seinem Privatleben läßt er sich nur bedingt von christlichen Moralvorstellungen leiten. Nach zwei Ehen und vielen Affären hat er nun erneut geheiratet. Sein Katholizismus entspricht daher eher dem der oberen Mittelschichten, die ihre Kinder auf katholische Privatschulen schicken, an kirchlichen Feiertagen 136 die Messe besuchen, politisch konservative, sozial und wirtschaftlich aber liberale Positionen vertreten. Wie stark Sarkozy politisch durch das bürgerliche Milieu geprägt ist, in dem er sozialisiert wurde, zeigen seine wirtschafts- und sozialpolitischen Vorstellungen. Ihren ideologischen Kern bilden die Sozialfiguren des Unternehmers, des Mannschaftstrainers und des Animateurs. 22 Der „Unternehmer“ verkörpert den für sich selbst sorgenden, selbstverantwortlichen Menschen, der seines eigenen Glückes Schmied ist. Entscheidend für ihn ist der Wille zum Erfolg und das Vertrauen in sich selbst. Niederlagen sind für ihn keine unabwendbaren Schicksalsschläge, sondern nur Ansporn zu neuen Leistungen. Er wägt genau zwischen Kosten und Nutzen, zwischen Risiko und Chance seines Tuns ab. Im Leben erfolgreich sein, bedeutet für ihn nicht einfach, ein selbstgestecktes Ziel zu erreichen, sondern entsprechend einer positiven Kosten- Nutzen-Rechnung zu handeln. 23 Gesellschaftlich bedeutet dies die Individualisierung der Lebensrisiken. Da jeder für sein Leben selbst verantwortlich ist, kann er nicht darauf vertrauen, daß die Gesellschaft ihn vor diesen schützt. An die Stelle der sozialen Solidarität tritt die individuelle Verantwortung. Diese voluntaristische Erfolgsethik entspricht dem sozialen Leitbild der neuen bürgerlichen Mittelschichten, die ihren Aufstieg vor allem ihren eigenen Anstrengungen verdanken. Die Übertragung des neoliberalen Marktmodells auf die Gesellschaft droht diese zu atomisieren. Im Interesse ihres Zusammenhalts müssen deshalb die miteinander konkurrierenden Individuen zusammengeführt werden. Dies soll durch den „Mannschaftstrainer“ geschehen. In Analogie zum Sport soll er die Individuen zu einer Mannschaft zusammenschweißen und so die Leistungsbilanz jedes Einzelnen optimieren. Der Mannschaftstrainer definiert die gemeinsamen Ziele und beteiligt sich aktiv an ihrer Verwirklichung. Er garantiert so den kollektiven Erfolg. Wichtiger als der „Mannschaftstrainer“ ist jedoch der „Animateur“. Er integriert nicht nur, sondern er motiviert auch die Mitglieder der Mannschaft zu Höchstleistungen. Er ist Anleiter, Führer, Motivator, Moderator, Manager zugleich. Er ist Vorbild für die Mannschaft, gleichzeitig aber auch ein Teil der Mannschaft. Sarkozy verkörpert alle drei Sozialfiguren. Zu ihrer Popularisierung bedient er sich vor allem des Fernsehens. Dieses ist für ihn nicht nur ein Kommunikationsmittel, sondern auch eine Bühne zur Selbstdarstellung. Durch seine Worte und Gesten vermarktet er sein eigenes Image als treibende und bestimmende Kraft des politischen Geschehens. 24 Entsprechend seinem neoliberalen Menschen- und Gesellschaftsbild bekannte sich Sarkozy im Wahlkampf zum privaten Unternehmertum und zur Marktfreiheit, zur Arbeit und zur Leistung. Wer wagt, der soll auch gewinnen, wer mehr arbeite, soll auch mehr verdienen. Als Finanzminister kombinierte er aber den neoliberalen Marktradikalismus mit staatlichem Dirigismus, wie dies bereits seine Vorgänger getan haben. Er ist zwar ein Anhänger des Wirtschaftsliberalismus, gleichzeitig aber auch des wirtschaftspolitischen Voluntarismus. Seine Auffassung der wirtschaftlichen Rolle des Staates ist autoritär, nicht liberal. Der Staat soll sich nicht auf 137 die Schaffung von wirtschaftsfreundlichen Rahmenbedingungen beschränken, sondern aktiv in das Wirtschaftsgeschehen eingreifen. Damit steht auch Sarkozy trotz aller liberaler Bekenntnisse in der Tradition des französischen Etatismus. Die sozialen Probleme will Sarkozy vor allem durch eine moralische und materielle Aufwertung der Arbeit lösen. Durch die moralische Aufwertung wird die Arbeit zu einem sozialen Wert. Sie ist nicht mehr ein notwendiges Übel, eine Last, ein Mittel zur Existenzsicherung, sondern Lebensinhalt. Der arbeitende Mensch ist ein Unternehmer, der sich seine soziale Welt selbst schafft. Für seinen sozialen Aufstieg ist er nicht mehr auf die Solidarität einer Gruppe, den Schutz der Gewerkschaften oder die Hilfe des Staates angewiesen, sondern nur noch auf sich selbst. Dadurch wird er aus allen Formen der sozialen Beziehungen herausgenommnen, in denen er im sozialistischen Denken steht. Arbeit ist nicht mehr mit den sozialistischen Werten Gleichheit, Gerechtigkeit, Brüderlichkeit, Solidarität, sondern mit den kapitalistischen Werten Verdienst (mérite), Anstrengung (effort) und Risikobereitschaft (goût de risque) verbunden. Sie wird so zu einem zentralen Element der neoliberalen Marktgesellschaft. Durch die materielle Aufwertung der Arbeit erhält der Arbeitende die Möglichkeit, mehr zu verdienen und so seine soziale Situation zu verbessern. Soziale Probleme werden auf diese Weise individuell und nicht mehr kollektiv gelöst. Das hat nicht nur soziale, sondern auch kulturelle Folgen. Der säkulare Trend zur Verkürzung der Arbeitszeit und zur Ausdehnung der Freizeit wird umgekehrt, der Einzelne arbeitet wieder mehr, kann sich aber auch mehr leisten. Auch hier bildet Sarkozy das Beispiel. Er ist hyperaktiv und fleißig, verbringt aber seine Freizeit auf Reiterhöfen und Segelyachten, in Luxushotels und Freizeitparks. Er stilisiert sich nicht als Bauer, der im Schweiße seines Angesichts sein Brot verdient, oder als Soldat, der das Vaterland rettet, sondern als Manager, der viel arbeitet, viel verdient und viel ausgibt. Auch im Habitus ähnelt er weder Pétain noch de Gaulle, sondern eher Kennedy oder Berlusconi, wenngleich ohne dessen Vulgarität. Die Aufwertung der Arbeit soll strukturell durch die Flexibilisierung der Arbeitsgesetzgebung (35-Stunden-Woche, Kündigungsschutz, etc.), quantitativ durch die Einbeziehung von Studenten und Rentnern in die Arbeitswelt erfolgen. Dies würde sowohl die individuelle Arbeitszeit verlängern als auch das gesamtgesellschaftliche Arbeitsvolumen erhöhen. Den Nutzen hätten sowohl die Einzelnen als auch die Gesamtheit. Die Aufwertung der Arbeit bildet damit eine neoliberale Alternative zu sozialistischen Gesellschaftskonzeptionen. An die Stelle kollektiven bzw. staatlichen Handels tritt individuelles Agieren. Entscheidend für die Lösung sozialer Probleme ist der Wille des Individuums. Tout est possible, man muß nur wollen. Die strukturellen Probleme der Arbeit bzw. der Arbeitslosigkeit werden dabei ignoriert. Wenn die Nachfrage nach Arbeit größer wird als das Angebot von Arbeit, dann kommt es zum Verdrängungswettbewerb zwischen den Arbeitswilligen. Wer fleißiger, williger, billiger ist als der Konkurrent, gewinnt. Die Gewinne der einen gehen auf Kosten der anderen. Wer keine Arbeit findet, hat eben Pech. Die Solidarität 138 bleibt auf der Strecke. Die neoliberale Arbeitswelt des Nicolas Sarkozy kennt nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer. Die Aufwertung der Arbeit ist aber auch eine neoliberale Antwort auf die Herausforderung der Globalisierung, insbesondere auf die Konkurrenz der Billiglohnländer. Im globalen Wettbewerb soll sich Frankreich nicht nur qualitativ durch eine Erhöhung der Produktivität, sondern auch quantitativ durch eine Erhöhung des Arbeitsvolumens behaupten. Es wäre dann nicht allein von der technologischen Entwicklung und vom Kapitaleinsatz abhängig. Der wirtschaftliche und soziale Liberalismus ist bei Sarkozy mit einem konservativen Republikanismus verbunden. Dessen Kern bildet ein autoritäres Staatsverständnis. Die primäre Aufgabe des Staates besteht für ihn in der Wahrung der Ordnung als Voraussetzung des menschlichen Zusammenlebens. Er ermöglicht so seinen Bürgern, in Ruhe und Sicherheit ihren Geschäften nachzugehen und in freier Entscheidung ihr Schicksal selbst zu bestimmen. Ohne sie würde die Gesellschaft in Chaos und Anarchie versinken. 25 Der Staat bildet jedoch auch im konservativen Republikanismus eine Einheit mit der Demokratie, der Republik und der Nation. Sarkozy beschwor in seinen Diskursen immer wieder diese Einheit und betonte seine enge emotionale Bindung an Frankreich. 26 Gewiß haben solche Beschwörungen besonders im Wahlkampf instrumentalen Charakter, aber sie scheinen einer starken Identifikation mit dem republikanischen Frankreich zu entspringen, das seinen jüdischen Großvater und seinen ungarischen Vater aufnahm, und in dem er frei und gleichberechtigt aufwuchs. 27 Wie stark die jüdische Erinnerung des Großvaters ihn geprägt hat, läßt sich aus seinen Diskursen nur schwer entnehmen. Während seines Staatsbesuches in Algerien im Dezember 2007 berichtete er, sein Großvater habe die Deutschen gehaßt. Als Anhänger de Gaulles habe er jedoch dessen deutsch-französische Verständigungspolitik akzeptiert. 28 Sein Enkel scheint diese Haltung zu teilen, denn in seinen Diskursen lassen sich keine antideutschen Ressentiments feststellen. Zu Israel hat Sarkozy dagegen ein enges Verhältnis. So engagiert er sich insbesondere stark für dessen Existenzrecht und Sicherheit. 29 Aber das taten auch seine Vorgänger. Aufgrund des bestimmenden Einflusses des kulturellen Katholizismus, des autoritären Republikanismus und des wirtschaftlichen Liberalismus auf sein politisches Denken ist Sarkozy ein wirtschaftsliberaler Konservativer, der die Anpassung Frankreichs an die Globalisierung unter Wahrung seines kulturellen Erbes und seiner gesellschaftlichen Grundstrukturen anstrebt. Innerhalb der republikanischen Rechten unterscheidet er sich so sowohl von den Nationalrepublikanern und Altgaullisten, die ein nationalstaatliches Projekt verfolgen als auch von den konservativen Liberalen, die vor allem auf das Individuum und die Gesellschaft vertrauen. Von Chirac trennt ihn weltanschaulich vor allem seine positive Haltung zur Religion und sein ausgeprägter Autoritarismus. 139 Das persönliche Herrschaftssystem Bei der Durchsetzung seines Modernisierungsprogramms stand Sarkozy vor einem Dilemma. Die institutionellen Strukturen der V. Republik bieten dem Präsidenten zwar erhebliche Handlungsmöglichkeiten, beschränken diese aber auch durch die Vetopositionen der Regierung, des Parlaments und der bürokratischen Apparate. Selbst wenn präsidentielle und parlamentarische Mehrheit übereinstimmen, ergeben sich daraus in der Praxis oft erhebliche Schwierigkeiten bei der Machtausübung. Um diese möglichst zu vermeiden, schuf sich Sarkozy ein persönliches Herrschaftssystem, das seine Position innerhalb der Institutionen stärken und so seine Handlungsmöglichkeiten erweitern sollte. Wesentliche Elemente dieser Machtstruktur bilden die weitere Präsidentialisierung des Regierungssystems, die Öffnung gegenüber der Linken sowie eine permanente Medienpräsenz. In der Verfassungspraxis der V. Republik bestimmt der Präsident die Richtlinien der Politik, wenn er über eine parlamentarische Mehrheit verfügt, überläßt aber deren Ausführung der Regierung. Sarkozy hatte bereits im Wahlkampf erkennen lassen, daß er diese Arbeitsteilung innerhalb der bizephalen Exekutive so nicht akzeptieren werde. Ein Präsident sei für eine bestimmte Politik gewählt worden und daher auch für ihre Durchführung verantwortlich. Nach seiner Wahl griff er daher permanent in die Amtsführung der Regierung ein. Die V. Republik wurde dadurch noch weit stärker als bereits unter de Gaulle de facto zu einer Wahlmonarchie, in welcher der direkt gewählte Präsident alle zentralen Fragen allein entscheidet und über die Ausführung seiner Entscheidungen wacht. Als Kompensation für die Entmachtung des Premierministers versprach Sarkozy, die Rolle des Parlaments zu stärken. Seine Kontrollrechte sollen erweitert werden, die Abgeordneten ihre Tagesordnung, die bisher von der Regierung festgelegt wurde, künftig selbst bestimmen können. Damit das Parlament wieder zum Austragungsort gesellschaftlicher Konflikte wird, soll auch die Opposition ein Statut erhalten. Im Vorgriff auf dieses wurde auf Drängen Sarkozys ein Sozialist Vorsitzender der Kommission für Haushalt und Finanzen. Allerdings soll der Präsident in Zukunft auch seine Politik direkt in der Nationalversammlung vertreten können. Er würde damit zum unmittelbaren Gegenspieler des Parlaments bzw. der parlamentarischen Opposition. Die Präsidentialisierung des Regierungssystems würde dadurch weiter vorangetrieben, der Premierminister noch stärker zum bloßen Koordinator der präsidentiellen Politik degradiert. Sarkozys präsidentielle Praxis funktioniert allerdings nur so lange, wie es keinen ernsthaften Konflikt zwischen ihm und dem Premierminister gibt und wie die parlamentarische Mehrheit ihn unterstützt. Er wählte daher einen getreuen Gefolgsmann, François Fillon, als Premierminister 30 und besetzte die Schlüsselministerien mit führenden Vertretern von UMP und NC. Er betraute aber auch Sozialisten 31 und Vertreter der Zivilgesellschaft 32 mit Ministerposten, berief sie in Regierungskommissionen 33 oder nominierte sie für internationale Führungspositionen. 34 Es handelte sich dabei um einseitige Entscheidungen des Präsidenten, nicht um Koa- 140 litionsabsprachen mit der Opposition. Die „Ralliés“ repräsentieren nur sich selbst, nicht ihre Partei, aus der sie teilweise ausgeschlossen wurden. Die „Öffnung“ zur Linken ist somit keine institutionelle Anerkennung des gesellschaftlichen Pluralismus, sondern eine Strategie der politischen Hegemonie. Sie beseitigt nicht die politischen Spaltungen der Gesellschaft, sondern verwischt nur ihre Konturen und erschwert so die Austragung der politischen Gegensätze innerhalb der Institutionen. Sarkozy begründete die „Öffnung“ mit dem Argument, er wolle „qualifizierte Männer und Frauen für gemeinsame Projekte unabhängig von ihrer politischen Orientierung vereinen.“ Qualifikation sollte somit an die Stelle von Parteizugehörigkeit treten. Er übernahm damit formal das Projekt des Zentristen Bayrou, veränderte aber grundlegend dessen Inhalt. Ihm ging es nicht um die Erneuerung der Mitte als bestimmende Kraft der französischen Politik, sondern um die Festigung seiner Dominanz. Er folgte dabei allerdings nicht nur seinem eigenen Machttrieb, sondern auch politischen Zwängen. Sarkozy repräsentiert als Staatsoberhaupt die gesamte Nation, wurde aber im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen nur von einem Drittel der Stimmbürger gewählt. Erst das Wahlrecht sorgte dafür, daß er im zweiten Wahlgang auch die absolute Mehrheit der Stimmen erhielt. Will er regieren und nicht nur repräsentieren, dann muß er sich um eine breitere Zustimmung für seine Politik bemühen. Die Öffnung zur Linken und zur Zivilgesellschaft soll die Akzeptanz seiner Politik auch durch Bürger sichern, die ihn nicht gewählt haben, aber auf einigen Politikfeldern seine Ansichten teilen. Parlamentarisch stützt sich Sarkozy auf die gleichen politischen Kräfte, auf die sich auch Chirac stützte. 35 Ein Bruch mit dessen Politik scheint mit ihnen nur bedingt möglich, da unter ihnen die Beharrungskräfte überwiegen. Die Besetzung von Regierungsposten mit Sozialisten und Repräsentanten der Zivilgesellschaft begrenzte den personellen und damit politischen Einfluß der Regierungsparteien, stärkte aber gleichzeitig seinen eigenen, denn die sozialistischen und zivilgesellschaftlichen Kabinettsmitglieder sind völlig von ihm abhängig, da sie keine eigene parlamentarische Hausmacht besitzen. Die von Sarkozy angestrebten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen werden sicherlich auf den Widerstand der davon negativ betroffenen gesellschaftlichen Gruppen stoßen. Zu deren Sprecher könnten sich wie bereits während der Amtszeit Chiracs die Oppositionsparteien machen. Dies könnte sie bei Zwischenwahlen begünstigen und eventuell bei den nächsten Hauptwahlen zu einem Machtwechsel führen. Sarkozy wollte sie daher dauerhaft schwächen. Die „Öffnung“ entzieht dem zentristischen Projekt Bayrous die Grundlage, und sie behindert die Erneuerung der Sozialistischen Partei. 36 Der parlamentarischen Opposition erschwert sie so die Neuaufstellung. Die Schwächung der Zwischeninstanzen - Regierung, Parlament, Parteien - durch die weitere Präsidentialisierung des Regierungssystems zwingt Sarkozy zur verstärkten Legitimierung seiner Politik durch den direkten Appell an das Volk. Entsprechend den Gesetzen der Mediendemokratie benutzt er dazu vor allem das 141 Fernsehen. 37 Aber auch die Printmedien dienen ihm zur Legitimitätssicherung mittel Selbstdarstellung. Schon als Bürgermeister von Neuilly hatte er Kontakte zu Unternehmern aus der Rüstungs-, Flugzeug-, Bau-, Kommunikations- und Werbebranche geknüpft, die heute einen starken Einfluß auf die französischen Medien ausüben, so Francis Bouygues (Bau), Arnaud Lagardère (Rüstung und Medien), Bernard Arnault (Medien), Serge Dassault (Flugzeug und Rüstung) sowie Vincent Bolloré (Kommunikation und Werbung). Sie kontrollieren Zeitungen wie Journal du Dimanche, Nice- Matin, La Provence, Le Figaro, Les Echos, Wochenmagazine wie Paris-Match, Radiosender wie Radio Classique, Verlage wie Fayard, Grasset und Stock sowie Gratiszeitungen. 38 Mit ihrer Hilfe kann Sarkozy die politische Berichterstattung erheblich beeinflussen und unliebsame Journalisten disziplinieren. Als der Chefredakteur von Paris Match, Alain Genestar, Fotos seiner damaligen Frau Cécilia und ihres damaligen Liebhabers auf die Titelseite des Magazins brachte, erzwang er seine Entlassung. Einige Journalisten, die ihm unliebsame Fragen stellten, versuchte er mit den Worten einzuschüchtern: „Komisch, ich kenne alle eure Arbeitgeber“. Auf seiner Pressekonferenz vom 10. Januar behandelte er die anwesenden Berichterstatter wie Schuldkinder und machte unliebsame Fragesteller lächerlich. 39 Die Medien funktionieren so nicht als Vermittlungsorgane zwischen Staatsgewalt und Volk oder gar als Gegenmacht, sondern als Selbstdarstellungsbühne des Präsidenten. Dem medialen Appell an das Volk entsprach auch die Absicht Sarkozys, die Kommunalwahlen vom März 2008 zu einem Plebiszit über seine Politik zu machen. Er griff deshalb Ende Januar direkt in den Wahlkampf ein. 40 Auf Anraten seiner Ratgeber aber zog er sich dann überraschend aus dem Wahlkampf zurück. Wahrscheinlich fürchtete er aufgrund sinkender Popularitätswerte bei Meinungsumfragen eine Niederlage und damit einen Prestigeverlust. 41 Auch die öffentliche Inszenierung seines Privatlebens dient der Herrschaftssicherung. Mit ihr erreicht Sarkozy über die Klatsch- und Regenbogenpresse, über Boulevardblätter und Glanz-Magazine Bevölkerungskreise, die er mit seinen politischen Diskursen und Aktionen nicht erreicht. Sie soll unpolitischen Menschen suggerieren, er sei so wie sie. Sein Herrschaftsanspruch legitimiert sich nicht durch die Identifikation mit Frankreich wie bei de Gaulle, sondern durch die Identifikation mit dem Volk (im soziologischen Sinne). Ich bin einer von euch, ich kann euch führen. Damit folgt Sarkozy auch in der privaten Selbstdarstellung den Gesetzen der Mediendemokratie. Wirtschaft Sarkozy versprach im Wahlkampf, die französische Wirtschaft grundlegend zu modernisieren. Verkrustete Strukturen sollten aufgebrochen, der Arbeitsmarkt liberalisiert, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen gestärkt, das Wirtschaftswachstum durch eine Kombination von neoliberaler Angebots-, klassischer Nachfrage- 142 politik und Industriepolitik belebt werden. 42 Den Kern seiner wirtschaftspolitischen Programmatik bildeten klassische neoliberale Maßnahmen: Senkung der Steuern- und Abgaben, Reduzierung der öffentlichen Defizite, Abbau der Bürokratie, Reform der sozialen Sicherungssysteme. Einen zentralen Platz in seiner wirtschaftspolitischen Programmatik nahm die Forderung nach Erhöhung des Arbeitsvolumens durch Mehrarbeit ein. Die von den Sozialisten zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit eingeführte 35-Stunden-Woche sollte zwar nicht direkt abgeschafft, aber durch die Befreiung der Überstunden von Steuern und Abgaben ausgehöhlt werden. So sollte ein Anreiz zur Mehrarbeit geschaffen werden. Diese würde die Kaufkraft erhöhen und so die Binnennachfrage stärken. Bei der Umsetzung seiner Wirtschaftsprogrammatik ging Sarkozy bisher jedoch eher zögerlich vor. Die Steuern wurden geringfügig gesenkt, die Überstunden von Steuern und Sozialabgaben befreit, die Verhandlungsautonomie der Sozialpartner erweitert, die Rentensysteme in den Staatsunternehmen reformiert, die Eigenbeteiligung im Gesundheitswesen angehoben, die Forschung steuerlich entlastet sowie Investitionen in den Mittel- und Kleinunternehmen gefördert. Die gesetzliche Begrenzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden tastete er jedoch nicht an, mit den Gewerkschaften schloß er auf dem Gebiet des Arbeitsrechts nach langen Verhandlungen einen Kompromiß. 43 Auch die sozialen Transferleistungen wurden nur geringfügig gekürzt, so daß die Ausgaben der Sozialkassen weiterhin die Einnahmen übersteigen. Das Haushaltsdefizit wurde nicht abgebaut, sondern durch Steuervergünstigungen weiter erhöht. Die angekündigte Wende in der Wirtschafts- und Sozialpolitik blieb daher aus. Im Gegensatz zu neoliberalen Marktradikalen wie Margaret Thatcher scheut Sarkozy die offene Auseinandersetzung mit den Gewerkschaften. Statt dessen sucht er den sozialen Dialog mit ihnen. Der Unterschied zum radikalen Marktliberalismus einer Margaret Thatcher zeigt sich auch in der Haltung zur Globalisierung. Sarkozy will zwar die französische Wirtschaft verstärkt in die Weltwirtschaft integrieren, er will sie jedoch ebenfalls vor deren negativen Folgen schützen. So übte er wiederholt Kritik am „Dumping“ mancher Länder ( gemeint war China) und forderte die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit französischer Unternehmen durch staatliche Maßnahmen. Damit steht er ganz in der Kontinuität französischer Wirtschaftspolitik. Einwanderung Sarkozy befürwortet zwar eine stärkere Integration der französischen Wirtschaft in den Weltmarkt und damit einen größeren Austausch von Waren und Kapital, er will jedoch gleichzeitig die außereuropäische Einwanderung stärker kontrollieren und die nationale Identität verteidigen. Mitten im Wahlkampf verkündete er daher seine Absicht, im Falle seines Wahlsieges ein Ministerium für Einwanderung und nationale Identität zu schaffen. Nach seiner Wahl hat er diese Absicht umgesetzt und 143 seinen langjährigen Mitarbeiter Brice Hortefeux mit der Leitung des neuen Ministeriums betraut. Die Verbindung von Einwanderung und Identität begründete Sarkozy mit dem Argument, der Staat habe historisch die Nation geschaffen und er sei daher auch für die Verteidigung ihrer Identität verantwortlich. Dieses Argument entspricht der republikanischen Staatsauffassung, impliziert aber die Annahme, daß die außereuropäische Einwanderung eine potentielle Gefahr für die nationale Identität bildet. Damit steht sie im Gegensatz zu liberalen Auffassungen, welche die nationale Identität nicht als eine stabile Größe, sondern als eine permanente Schöpfung betrachten. 44 Die neue Einwanderungspolitik besteht vor allem in einer stärkeren Steuerung der Einwanderung, im Kampf gegen die illegale Einwanderung und in der beschleunigten Integration der bereits Eingewanderten. Die Steuerung der Einwanderung bilde die Voraussetzung für eine bessere Integration der bereits Eingewanderten. In Zukunft sollen vor allem Personen einwandern dürfen, für die auf dem französischen Arbeitsmarkt ein Bedarf besteht, Personen aber, welche nur die französischen Sozialsysteme belasten, sollen dagegen ferngehalten werden. 45 Zur Steuerung der Einwanderung gehört auch die konsequente Ausweisung von illegalen Einwanderern. Die neue Einwanderungspolitik orientiert sich somit vor allem an den Bedürfnissen der französischen Gesellschaft, nicht an universalistischen Werten. Außen- und Europapolitik Auch außenpolitisch versprach Sarkozy im Wahlkampf einen „Bruch“ mit der Ära Chirac. Er wolle sich weltweit für die Wahrung der Menschenrechte einzusetzen und keine Kompromisse mit Diktatoren eingehen. Scharf wandte er sich gegen den „kulturellen Relativismus“, wonach einige Völker für die Demokratie ungeeignet seien, und zögerte nicht, die innenpolitische Entwicklung Rußlands als „besorgniserregend“ zu bezeichnen. China forderte er auf, „Fragen über den Respekt der Meinungs- und Versammlungsfreiheit“ zuzulassen. Die korrupten Netzwerke in Schwarzafrika wollte er abschaffen und ein neues Kapitel in der französischen Afrikapolitik aufschlagen. Er betonte aber auch den Großmachtsanspruch Frankreichs und dessen weltweite Interessen. Damit stellte er sich in die Kontinuität bisheriger französischer Außenpolitik. Allerdings setzte er auf einigen Gebieten neue Akzente. So befürwortete er in den atlantischen Beziehungen eine Wiederannäherung an die Vereinigten Staaten und plädierte in der EU für die Schaffung einer Führungsgruppe aus Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Italien, Spanien und Polen. Ferner schlug er die Gründung einer Mittelmeerunion vor. Ähnlich wie auf anderen zentralen Politikfeldern entsprach die Praxis bisher aber nur teilweise den großen Ankündigungen. Nach seiner Wahl berief er den hu- 144 manitären Interventionisten Bernard Kouchner zum Außenminister und schuf ein Staatsekretariat für Menschenrechtsfragen, das er als Zeichen der universellen Mission Frankreichs mit einer dunkelhäutigen Französin, Rama Yade, besetzte. In seiner Rede vor den französischen Botschaftern am 28. August 2007 bekräftigte er noch einmal die Bindung der französischen Außenpolitik an die universellen Werte der Menschenrechte, des Humanismus und des humanitären Engagements, betonte jedoch gleichzeitig seine Absicht, den internationalen Rang Frankreichs zu wahren. Die sich daraus ergebende Spannung zwischen Idealismus und Realismus, zwischen Werten und Interessen suchte er durch eine Kombination von Interessen- und Wertepolitik zu überbrücken, wo immer dies ihm opportun erschien. Dabei dominierte jedoch in der Praxis mehr und mehr die Interessenwahrung. Kurz nach Amtsantritt erwirkte er die Freilassung der bulgarischen Krankenschwestern aus libyscher Gefangenschaft, lud aber gleichzeitig den libyschen Diktator zu einem Besuch nach Paris ein und schloß mit ihm Milliardenverträge über nukleare Zusammenarbeit und Rüstungsverkäufe. In Moskau forderte er Putin zur Beachtung der Menschenrechte in Tschetschenien auf, gratulierte ihm aber später zum Erfolg seiner Anhänger in den manipulierten Dumawahlen. Bei seinem Besuch Chinas ließ er seine Menschenrechtsbeauftragte Rama Yade zu Hause und sprach nur sehr allgemein von den Menschenrechten. Bei seinen Reisen durch die Staaten des Mittleren Ostens hofierte er deren Herrscher, engagierte sich aber nicht für deren Demokratisierung. Frankreich sei nicht nur eine Handelsbilanz, meinte Rama Yade, und erhielt prompt Redeverbot. Seine Außenpolitik bleibt damit der traditionellen Interessenpolitik weit stärker verhaftet, als er es im Wahlkampf angekündet hatte. Aber auch in der Verfolgung französischer Interessen wahrte Sarkozy weit stärker die Kontinuität, als es die mediale Inszenierung seiner Außenpolitik vermuten läßt. Dies gilt besonders für seine Europa- und Deutschlandpolitik. Entsprechend seiner Ankündigung im Wahlkampf engagierte er sich nach seinem Amtsantritt an der Seite der damaligen europäischen Ratspräsidentin Angela Merkel für den Abschluß eines neuen EU-Vertrages als Ersatz für den gescheiterten europäischen Verfassungsvertrag. Er demonstrierte so die große Bedeutung, die auch für ihn die EU als internationale Grundlage der französischen Außenpolitik besitzt. Sein europäisches Engagement schließt jedoch die robuste Vertretung französischer Interessen nicht aus. Im Wahlkampf hatte er der Europäischen Zentralbank vorgeworfen, ihr Stabilitätskurs behindere das Wirtschaftswachstum und der hohe Wechselkurs des Euro benachteilige den französischen Export. Er wollte deshalb die Autonomie der EZB durch eine europäische Wirtschaftsregierung einschränken. Angesichts des Widerstandes der europäischen Partner, insbesondere Deutschlands, verzichtete er (vorläufig) darauf, forderte aber weiter eine aktive Geldpolitik zur Förderung des (französischen) Wirtschaftswachstums. Ferner kritisierte er im Vorfeld der Kommunalwahlen 2008 scharf die europäische Fischereipolitik. Die EU-Fangquoten benachteiligten die französischen Fischer und müßten deshalb 145 abgeschafft werden. Offensichtlich will er damit die französischen Fischer gewinnen, die mehrheitlich gegen den europäischen Verfassungsvertrag 2005 gestimmt hatten. 46 Ähnlich ambivalent ist die Haltung gegenüber Deutschland. Einerseits beschwört auch Sarkozy die deutsch-französische Freundschaft, 47 andererseits hat er seine Idee eines europäischen Direktoriums keineswegs aufgegeben. Die Unterstützung der Kandidatur des ehemaligen britischen Premierministers Tony Blair für den Posten des europäischen Ratspräsidenten sowie die Bemühungen um eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit Italien und Spanien 48 lassen dies vermuten. Auch in der Frage eines türkischen EU-Beitritts folgte Sarkozy weitgehend der bisherigen französischen Linie. Im Wahlkampf hatte er diesen noch kategorisch abgelehnt, da die Türkei geopolitisch und kulturell nicht zu Europa gehöre. Nach seiner Wahl hielt er zwar prinzipiell an dieser Position fest, stimmte jedoch einer Fortsetzung der bereits unter Chirac begonnenen Beitrittsverhandlungen zu, um einen offenen Konflikt mit der Türkei zu vermeiden, der wahrscheinlich eine türkische Mitgliedschaft in der geplanten Mittelmeerunion verhindern würde. Diese hat jedoch bereits mehrmals erklärt, sie werde diese als Ersatz für eine EU-Vollmitgliedschaft nicht akzeptieren. Sarkozy wird sich daher früher oder später in der Frage des türkischen EU-Beitritts klar entscheiden müssen. Neue Akzente setzte Sarkozy dagegen in den atlantischen Beziehungen, im Nahen und Mittleren Osten, im Mittelmeerraum und in Schwarzafrika. Entsprechend seiner Ankündigung im Wahlkampf bemühte er sich um eine Wiederannäherung an die Vereinigten Staaten. Bei seinem Besuch Washingtons betonte er die traditionelle Verbundenheit mit der westlichen Führungsmacht und erklärte seine Bereitschaft, in die integrierte Militärstruktur des Atlantischen Bündnisses zurückzukehren, falls Frankreich einen strategischen Führungsposten in dieser erhalte. Eine ähnliche Haltung hatte bereits Chirac zu Beginn seiner ersten Amtszeit eingenommen, war aber von dieser wieder abgerückt, da die Amerikaner sich weigerten, den Posten des NATO-Oberbefehlshabers Süd mit einem Franzosen zu besetzen. Sarkozy Annäherung an die Vereinigten Staaten bedeutet jedoch nicht ein Verzicht auf die eigenen weltpolitischen Ambitionen. Im Gegensatz zu Chirac will er diese jedoch nicht gegen, sondern gemeinsam mit Amerika verfolgen. So griff er die Idee einer europäischen Verteidigungsidentität auf, will diese aber innerhalb der NATO verwirklichen. Erste konkrete Auswirkungen der Wiederannäherung an die Vereinigten Staaten zeigten sich in der französischen Haltung gegenüber dem Iran, dem Libanon- und dem Palästinakonflikt sowie gegenüber Afghanistan. Im Konflikt um das iranische Atomwaffenprogramm unterstützte Sarkozy die amerikanische Forderung nach neuen Sanktionen. Ein Iran, der Nuklearwaffen besitze, sei für Frankreich nicht akzeptabel. Nur durch ein konsequentes Vorgehen lasse sich die „katastrophale Alternative“ vermeiden: „die iranische Bombe oder die Bombardierung des Irans“, d.h. die Hinnahme der iranischen Atomrüstung oder ihre Beendigung durch eine Bombardierung der atomaren Forschungs- und Rüstungsanlagen. Gegenüber den 146 übrigen Staaten des Mittleren Ostens aber bot sich Sarkozy als Partner an. Mit mehreren Staaten der Region schloß er nukleare und militärische Kooperationsabkommen, mit dem Emirat Abu Dhabi vereinbarte er die Errichtung eines Marinestützpunktes, des ersten außerhalb des ehemaligen französischen Kolonialreiches seit Ende des II. Weltkrieges. Selbst im Irak ist es bereit, sich am Wiederaufbau des Landes zu beteiligen. Der Besuch von Außenminister Kouchner in Bagdad unterstrich diese Bereitschaft. Im Nahen Osten verteidigte Sarkozy die Unabhängigkeit des Libanon, sprach sich aber für Gespräche mit Syrien aus, falls dieses dessen Konsolidierung nicht weiter gefährden sollte. Im Palästinakonflikt bekräftigte er das Existenzrecht Israels, befürwortete jedoch gleichzeitig die Schaffung eines palästinensischen Staates. Er hofft so, im Windschatten der USA für Frankreich neuen Einfluß zu gewinnen. Aber auch in Afghanistan will er die französischen Truppen verstärken und so einen größeren Beitrag im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus leisten. Die Wiederannäherung an die Vereinigten Staaten beeinflußte auch Sarkozys Haltung gegenüber Rußland, China und Indien. Während seines Besuches in Moskau bemühte er sich um ein gutes Verhältnis zu Putin und betonte die traditionell guten französisch-russischen Beziehungen, verschwieg jedoch nicht die Gegensätze in bezug auf den Iran, das Kosovo und Tschetschenien. Ihm ging es primär um die Intensivierung der wirtschaftlichen, nicht der politischen Beziehungen. Mit einer Erneuerung der kontinentaleuropäischen Achse Paris, Berlin, Moskau des Jahres 2003 oder gar einer französisch-russischen Allianz, wie sie einst de Gaulle vorschwebte, ist vorerst nicht zu rechnen. Auch in China und Indien sprach Sarkozy vor allem über die Intensivierung der wirtschaftlichen und nukleartechnologischen Zusammenarbeit. Er befürwortete die Aufnahme beider Staaten gemeinsam mit Brasilien und Mexiko in die G 8 sowie die Mitgliedschaft Indiens im UN-Sicherheitsrat, schmiedete aber keine politischen Bündnisse. Die Zeiten, da de Gaulle die Volksrepublik China völkerrechtlich anerkannte, um den USA seine Unabhängigkeit zu demonstrieren, sind längst vorbei. Das Kernstück der neuen Außenpolitik Sarkozys bildet jedoch das Projekt einer Mittelmeerunion. Diese soll alle Anrainer des Mittelmeers einschließlich Israels und der Türkei sowie Mauretaniens, Jordaniens und Portugals umfassen und sich vor allem mit Fragen der Sicherheit, der Migration, des Terrorismus, der Wasserversorgung und der Wirtschaftsentwicklung befassen. Sie soll ein eigenes Generalsekretariat besitzen und analog der G 8 unabhängig von bestehenden internationalen Organisationen, also auch der EU, funktionieren. Sie würde so mit dem Barcelona- Prozeß der EU konkurrieren. Die deutsche Bundeskanzlerin hat deshalb auf dem Euopa-Konvent der UMP in Paris gefordert, alle EU-Staaten an einer Intensivierung der Zusammenarbeit im Mittelmeerraum zu beteiligen. 49 Ob ihre Forderung Gehör findet, ist fraglich, denn offensichtlich will Sarkozy mit der geplanten Mittelmeerunion ein Gegengewicht zum wachsenden deutschen Einfluß in Ostmitteleuropa schaffen. Seine Bemühungen stoßen jedoch auf erhebliche Schwierigkeiten. Wahrscheinlich wird die Mittelmeerunion irgendwann gegründet werden, aber auf- 147 grund der unterschiedlichen Interessenlagen bzw. Interesseninterpretationen der potentiellen Mitglieder dürfte ihr Wert bescheiden sein. Neue Akzente will Sarkozy auch in der französischen Afrikapolitik setzen. An die Stelle des postkolonialen Paternalismus soll eine echte Partnerschaft treten. 50 Bisher sind dieser Ankündigung aber noch keine Taten gefolgt, das frankophone Afrika bleibt aber ein Schwerpunkt französischer Interessenwahrung. Dialog statt Inszenierung Durch den Bruch mit dem Politikstil seines Vorgängers war es Sarkozy möglich, strukturelle Blockaden aufzubrechen und der französischen Politik neue Impulse zu geben. Der große Durchbruch ist ihm jedoch bisher nicht gelungen. Dies war auch nicht zu erwarten. Die Anpassung Frankreichs an die Globalisierung unter Wahrung seiner staatlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Grundstrukturen erfordert Zeit. Hier aber liegt das Problem. Sarkozy wird es kaum gelingen, sich mit seinem medialplebiszitären Politikstil dauerhaft die mehrheitliche Unterstützung der Bevölkerung zu sichern, wenn der erhoffte Erfolg ausbleibt. Bereits jetzt hat er erheblich an Popularität verloren. 51 Ohne ausreichende Politikunterstützung aber droht ihm das gleiche Schicksal wie einst Chirac, der an dem zähen Widerstand korporativer Interessen scheiterte. Wenn er diesem Schicksal entgehen will, dann wird er seinen Politikstil ändern und eine seriöse Dialogpolitik verfolgen müssen. Auf Dauer werden die Franzosen kaum seine Eskapaden ertragen. 1 Cf. Frédéric Charpier, Nicolas Sarkozy. Enquête sur un homme de pouvoir, Paris, Presses de la Cité, 2006; Ghislaine Otteinheimer, Le Sacre de Nicolas, Paris, Le Seuil, 2007. 2 Informelle Freundeskreise von Jugendlichen aus „gutem Hause“, in denen unter der Anleitung von Erwachsenen die sozio-kulturellen Verkehrsformen der Oberschicht eingeübt und nützliche Kontakte für die spätere Karriere geknüpft werden. 3 Cf. Michael Foessel/ Olivier Mongin, Les mises en scène de la réussite. Entreprendre, entraîner, animer, in: Esprit, Nov. 2007, 22-42. 4 Nicolas Sarkozy: Georges Mandel. Le Moine de la politique, Paris, Grasset 1994. Georges Mandel war ein enger Mitarbeiter von Clemenceau und Tardieu. In den dreißiger Jahren verteidigte er die parlamentarische Demokratie gegen die Angriffe der nationalistischen Rechten und stimmte im Juni 1940 gegen die Machtübertragung an Marschall Pétain. Er wurde von den Deutschen interniert, 1944 von der französischen Miliz ermordet. 5 Dieser stammte aus Korsika, hatte sich 1940 der gaullistischen Widerstandsbewegung angeschlossen und nach dem Krieg bei den Gaullisten engagiert. 6 Chirac hatte bei den Präsidentschaftswahlen von 1974 ähnlich gehandelt. Er hatte die Präsidentschaftskandidatur des Rechtsliberalen Giscard d’Estaing gegen die des Gaullisten Chaban-Delmas unterstützt und so entscheidend zu dessen Erfolg beigetragen. 7 Cf. F. Charpier, Nicolas Sarkozy, op.cit., 47-63. 148 8 Beherrscht wird er von der radikalislamischen Union des Organisations Islamiques de France, die das laizistische Staatsmodell ablehnt, aber stark im islamischen Einwanderungsmilieu der Vororte verankert ist. 9 Cf. Nicolas Sarkozy, La République, les religions, l’espérance, Paris, Les Editions du Cerf, 2004. 10 Eine führende Rolle spielt unter diesen Saudi Arabien. 11 Cf. Jean-Louis Schlegel, La question religieuse: relier la politique et l’espérance? , in: Esprit, November 2007, 156-158, ferner Le Monde, 30.01.08. 12 Cf. Nouvel Observateur, 4-10. Mai 06, 22. 13 2007 wurden in Frankreich 46 8000 Fahrzeuge durch Brandstiftung zerstört. Dies waren 2800 mehr als 2006 und 1200 mehr als 2005. Rechnerisch gingen damit 2007 an jedem Tag 128 Autos in Frankreich in Flammen auf. Etwa zwei Drittel der Fahrzeuge wurden von Jugendlichen angezündet. Cf. FAZ, 17.01.08. 14 So im November 2007 in Villiers-le-Bel. 15 „Je suis de culture catholique, de tradition catholique, de confession catholique. Même si ma pratique religieuse est épisodique, je me reconnais comme membre de l’Eglise catholique“, zit. in: Nouvel Observateur, 4-10. Mai 2006, 22, ferner Interview in La Croix, 4.04.2007. 16 In: La République, op.cit.. 17 Le Monde, 21.12.07. 18 So beim Neujahrsempfang der Vertreter der Religionsgemeinschaften im Elysée-Palast am 17.01.07, Le Monde, 19./ 20.01.07. 19 Cf. Ibid. 20 Le Monde, 21.12.07. 21 Le Monde, 21.12.07 22 Cf. Michael Foessel/ Olivier Mongin: Les mises en scène de la réussite. Entreprendre, entraîner, animer, Esprit, November 2007, 22-42. 23 Cf. M. Foessel/ O. Mangon, Entreprendre, op. cit., 31sq. 24 Cf. Marc-Olivier Padis: Manipulation ou saturation médiatique? , in: Esprit, November 2007, 43-53. 25 „Losqu’il n’y a plus de règle, plus de loi commune, plus de norme, plus de valeurs partagées, il n’y a plus rien pour endiguer le mal qui est en l’homme, pour canaliser la violence, les instincts, les pulsions, la loi de la force, la loi des bandes, la loi des voyous.“, Zitiert in Nouvel Observateur; 4.11.04, 41. ferner in der Sendung A vous de juger, France 2, 30.11.06. 26 So erklärte er 2004, er fühle sich französischer als viele Franzosen, die bereits seit zehn Generationen in Frankreich leben. Zitiert in Nouvel Observateur; 4.11.04, 41. 27 Cf. besonders Nicolas Sarkozy: Témoignage, Paris 2006, 9. 28 Cf. Le Monde, 0 6.12.07 29 In seiner Rede vor den französischen Botschaftern vom 28. August 2007 erklärte er: „J’ai la réputation d’être l’ami d’Israël et c’est vrai. Je ne transigerai jamais sur la sécurité d’Israël“ zit. nach Joseph Maïla, Entre diplomatie de puissance et diplomatie des valeurs. Chantiers de politique extérieure, in: Esprit, November 2007, 102. 30 Cf. Kurzbiographie von Fillon FAZ, 8.05.07/ 10. 31 Bernard Kouchner, Jean-Marie Bockel 32 Unter ihnen die farbige Rama Yade (Staatssekretariat für Menschenrechte) und die aus dem nordafrikanischen Einwanderungsmilieu stammende Fadela Amara, (Gründerin und 149 Präsidentin der Frauenbewegung „Ni Putes ni Soumises“) (Staatssekretariat für Städtewesen im Wohnungsbauministerium). 33 U.a. Jacques Attali, Jack Lang, Michel Rocard. 34 So Dominique Strauss-Kahn, Internationaler Währungsfond. 35 UMP und UDF. Die UDF distanzierte sich zwar ab Frühjahr 2004 immer mehr von der Regierungspolitik, betrachtete sich jedoch bis zum Schluß der Legislaturperiode als Teil der präsidentiellen Mehrheit,. 36 Cf. zur Entwicklung der PS Alain Bergounioux/ Gérard Grunberg: Parti socialiste: l’heure des choix, in: Esprit, November 2007, 182-202. 37 Cf. François Jost/ Denis Muzet: Le Téléprésident. Essai sur un pouvoir mediathique. Paris, L’Aube, 2008. 38 Cf. FAZ, 11.01.08. 39 Cf. Le Monde, 11.01.2008. 40 So am 19.01.08 in Boulogne-sur-Mer, cf. Le Monde, 21.01.08. 41 Cf. FAZ, 1.02.08. 42 Cf. Henrik Uterwedde, Sarkozys Wirtschaftspolitik. Eine Reformagenda à la française? in: Dokumente 3/ 07, 10-14. 43 Cf. FAZ 14.01.08, 13. 44 Cf. Catherine Wihtol de Wenden, Immigration: une politique contradictoire, in: Esprit, November 2007, 83-87. 45 Cf. das Gesetz über die Einwanderung und die Integration vom 24. Juli 2006. 46 Cf. Le Monde, 21.01.08. 47 So auf dem Europa-Konvent der UMP in Paris am 30.01.08. Cf. Le Monde, 1.02.08. 48 Cf. Le Monde, 11.01.08. 49 Cf. FAZ, 31.01.08. 50 Cf. seine Rede von Dakar. Cf. Jean-Pierre Chrétien, Le discours de Dakar. Le poids idéologique d’un „africanisme“ traditionnel, in: Esprit, November 2007, 163-181. 51 Seine Popularitätswerte lagen bei verschiedenen Meinungsumfragen Ende Januar 2008 zwischen 41 und 49%. Das entsprach etwa den Popularitätswerten Chiracs nach der großen Streikwelle im Herbst 1995. Cf. FAZ, 1.02.08. 150 Sabine Ruß „Je voulais être marin, missionnaire ou brigand“ (Abbé Pierre) 1 Abschied vom unorthodoxen Propheten der laizistischen Republik Frankreich, „älteste Tochter“ der katholischen Kirche, gehört heute zu den säkularisiertesten Ländern Europas. Und doch war es jahrzehntelang ein katholischer Priester, den die Franzosen am meisten verehrten: Abbé Pierre, mit bürgerlichem Namen Marie Joseph Henri Grouès, der im Januar 2007 mit 94 Jahren starb. Ihm wurde ein nationales Gedenken zuteil. Die Menschen applaudierten dem Trauerzug und im Trauergottesdienst in der Kathedrale Notre-Dame - was (auch) in Frankreich ungewöhnlich ist. Politiker des linken wie rechten Lagers erwiesen dem Pater ihre Reverenz. Laurent Fabius, ehemaliger Premierminister einer sozialistischen Regierung und streng laizistisch gesinnt, schlug gar vor, Grouès im Heiligsten der Republik zur Ruhe zu betten: im Panthéon. Ins kollektive Gedächtnis der Republik war der Abbé jedoch schon zu Lebzeiten längst aufgenommen. Eine erste Voraussetzung dafür bildete sein Verhalten während des Krieges: Zu „Abbé Pierre“ war Henri Grouès, der aus einer frommen katholischen Familie des wohlhabenden Lyoner Bürgertums stammte, nämlich während seiner Zeit in der Résistance geworden. Damals war er Vikar in Grenoble und musste unter dem Decknamen „Abbé Pierre“ in die Illegalität abtauchen, nachdem verraten worden war, dass er Juden und anderen Verfolgten der Nationalsozialisten half. 2 Nach dem Krieg ging er wie andere Widerständler zunächst in die Parteipolitik. Von 1947 bis 1950 war er Abgeordneter der christdemokratisch ausgerichteten MRP, aus der er jedoch aus Protest gegen Repressionsmaßnahmen der Regierung gegen in Brest demonstrierende Arbeiter austrat. Politik sollte er erst danach wirklich auf effiziente Weise machen - außerhalb der Parteien an der Seite von Protestbewegungen und als charismatischer Fürsprecher der Armen und Organisator von Vereinigungen des sozialen Sektors. Zur allseits bekannten Stimme des Gewissens der Franzosen wurde Abbé Pierre nach dem Krieg: Angesichts des Kältetodes von Obdachlosen im extrem harten Winter 1954 griff der Pater zum Mikrophon und richtete über Radio France und Radio Luxemburg einen dramatischen Solidaritätsappell an die Franzosen: „Freunde, zu Hilfe“ 3 - diese ersten Worte hallen noch heute im nationalen Gedächtnis nach und waren Auftakt zur ersten humanitären Medien-Kampagne. 4 Das Echo war überwältigend. Es kam zu Spenden in nie zuvor dagewesenem Umfang. Schulen, Rathäuser und Metrostationen wurden geöffnet. Regierungschef Pierre Mendes-France reagierte unmittelbar mit einer Verdoppelung der Mittel für den so- 151 zialen Wohnungsbau, in den Folgejahren wurden Gesetze erlassen, die Wohnungsräumungen in den Wintermonaten untersagten, Enteignungen zu Bauzwecken erleichterten und die unter dem Kürzel „ZUP“ bekannten städtebaulichen Großmaßnahmen einführten, mit denen insgesamt sechs Millionen Wohnungen geschaffen wurden. Schon 1957 hat Roland Barthes Abbé Pierre als „Ikone der Nächstenliebe“ analysiert. Das Erscheinungsbild des Paters ließ ihn als zeitgenössische Inkarnation des Heiligen Franz von Assisi wirken. Entscheidend freilich war, dass er in dieser Rolle Glaubwürdigkeit besaß, die er 1949 durch die Gründung der sogenannten Emmaüs-Gemeinschaften - heute gibt es davon 120 weltweit - erworben hatte, in der ehedem Wohnungslose als Selbsthilfe-Genossenschaft zusammenleben und als Lumpensammler mit Recycling ihren Lebensunterhalt verdienen. Im Rahmen der Hilfskampagne von 1954 organisierte er dann Freiwillige als „Compagnons d’Emmaüs“. Die begeisterte Bereitwilligkeit breiter Kreise, Abbé Pierre geradezu als modernen Medien-Heiligen zu kanonisieren, ließen bei Roland Barthes die Frage aufkommen, „ob das rührende Bild des Abbés nicht ein Alibi ist, die Zeichen der Nächstenliebe der Wirklichkeit der Gerechtigkeit vorzuziehen“. 5 Wie berechtigt diese Überlegung war, zeigen die Reaktionen auf eine Kampagne des Paters in den achtziger Jahren, in der er angesichts der „Neuen Armut“ in Frankreich nicht nur die ersten Lebensmittelbanken ins Leben rief, sondern dies zum Anlass nahm, zu einem völligen Überdenken der Lebensweise aufzurufen. Angesichts der großen Spendenmengen rief er: „Merci pour l’argent. Tout reste à faire“. Dass damit nicht karitative Hilfe, sondern die gesellschaftliche Umkehr gemeint war, wurde, wie Umfragen zeigen, vom öffentlichen Bewusstsein kaum registriert. 6 Die Öffentlichkeit nahm ihn als warmherzigen Bruder der Armen wahr, doch er war ebenso der zornige Prophet, der der (Welt)gesellschaft die Ungerechtigkeiten zwischen Arm und Reich, zwischen armen und reichen Ländern vorhielt. Abbé Pierre selbst waren die Tücken und Vorteile seines Berühmtseins bewusst. Er wollte seine Prominenz als „Waffe“ im Dienste der Armen ohne politische Stimme nutzen. Mit seiner demonstrativen Weigerung, die ihm 1992 angetragene Ehre eines Großoffiziers der Ehrenlegion anzunehmen, engagierte er sich für die Beschlagnahmung ungenutzten Wohnraums und setzte letztlich die von ihm geforderte Einrichtung eines unabhängigen nationalen Rates zur Wohnversorgung von Benachteiligten durch. 2004 schließlich erhielt er als „Stimme der Menschen ohne Stimme“ (Präsident Jacques Chirac) den höchsten Orden Frankreichs, das Große Kreuz. Sein Gespür für symbolische Politik und öffentliche Auftritte war außergewöhnlich. Im Zusammenhang mit seiner Gründung von Lebensmittelbanken für Bedürftige tat er sich mit dem Kabarettisten Coluche zusammen, der 1980/ 1 mit seiner anarchistischen Kandidatur „für alle Außenseiter“ bei den Präsidentschaftswahlen für viele junge Leute zu einem Idol geworden war und mit den von ihm 1985 gegründeten „Restos du cœur“ konkrete Hilfe leisten wollte. Dieses merkwürdige Ge- 152 spann aus einem charismatischen Pater und einem oft provozierend vulgären Medienclown brachte 1992 die zu diesem Zeitpunkt modernste Form der Philanthropie in Frankreich zuwege: Die in diesem Jahr gegründete Stiftung Abbé Pierre gehört zu den wenigen wirklich privat finanzierten Stiftungen in Frankreich. Doch Abbé Pierre nutzte die „Waffe“ seiner Popularität nicht nur zugunsten der von ihm (mit)gegründeten oder geleiteten Initiativen, sondern unterstützte unzählige soziale Protestaktionen 7 - im letzten Winter noch die Zeltstadt der „Kinder Don Quijottes“ am Pariser Canal Saint Martin - nicht nur durch Solidaritätsadressen, sondern durch seine Vermittlung und Präsenz. Auch DAL, die neosyndikalische Initiative für Wohnungslose, die die medienwirksamsten Kampagnen und Mobilisierungen gegen Wohnungsnot in den Neunziger Jahren zustande brachte, 8 hatte ihn als Verbündeten und nennt ihn als geistigen Vater. Illegale Aktionen befürwortete Abbé Pierre ohne weiteres im Sinne des zivilen Widerstands. Landesweite Aufmerksamkeit erzielte seine Anwesenheit bei vielen Hausbesetzungen in Paris, bei denen der Abbé mit seiner körperlichen Zerbrechlichkeit - schon von Jugend an war er immer wieder krank und hatte Lungenprobleme - vor den Fernsehkameras zum medienwirksamen Symbol der (Ohn)macht wurde. Als eine der landesweit aufsehenerregendsten Hausbesetzungen - 1994 wurde ein Haus in der Rue de Dragon mitten im reichen Saint-Germain des Près besetzt - mit einer Räumung zu enden drohte, wurde Abbé Pierre von Unterstützern per Hubschrauber nach Paris eingeflogen und schließlich vom Premierminister Balladur persönlich empfangen, der Schutz gegen Räumung versprach. Der frühere Wohnungsbauminister Besson erinnert sich daran, wie Abbé Pierre als Lobbyist der Armen im Rollstuhl in die Nationalversammlung kam, um - erfolgreich - die Streichung des Gesetzartikels, der Kommunen zu 20 Prozent sozialem Wohnungsbau verpflichtet, zu verhindern. 9 Tatsächlich werden ihm zahlreiche seit Ende der achtziger Jahre zur Bewältigung der Wohnungskrise verabschiedeten Maßnahmen als Verdienst angerechnet, auch wenn Abbé Pierre selbst explizit auf die kollektiven Bemühungen, die dahinter steckten, verwiesen hat. Die Vorschläge kamen aus dem Vereinssektor, er jedoch verlieh der Kritik und den Ideen Stimme und Gesicht. Und so wird das 2007 im Gesetz verankerte einklagbare Recht auf Unterkunft ‘Lex Abbé Pierre’ genannt werden. Praktizierende Katholiken verehrten ihn als jemanden, der die Botschaft des Evangeliums mit Leidenschaft lebte. Alle anderen schätzten sein Engagement für menschenwürdige und gerechte Verhältnisse. Dass Abbé Pierre in Fragen der Sexualmoral (Benutzung von Präservativen, homosexuelle Partner- und Elternschaft), des Zölibats oder der Ordination von Frauen nicht auf der Linie des Vatikans lag, dürfte ihn in kirchenfernen Kreisen noch sympathischer gemacht haben. 10 In seinen späten Jahren allerdings legte sich ein Schatten auf dieses strahlende Vorbild, als Abbé Pierre 1996 das Buch „Gründungsmythen der israelischen Politik“ seines Freund Roger Garaudy, eines zum Islam konvertierten ehemaligen Kommunisten, verteidigte. In diesem Buch vertrat dieser revisionistische Thesen und bezweifelte den von der Geschichtswissenschaft angenommenen Umfang des 153 Holocausts, der von der israelischen Regierung aus politischen Gründen übertrieben werde. Erst auf Drängen unter anderem des Kardinals Jean-Marie Lustiger fand sich Abbé Pierre zu einer Entschuldigung bereit und stellte fest, er habe den Freund und nicht das Buch verteidigen wollen, niemand könne die Realität der Shoah in Abrede stellen. Da war er bereits aus der Internationalen Liga gegen Rassismus und Antisemitismus ausgeschlossen worden. 11 Abbé Pierre soll unter den Auseinandersetzungen um diese Äußerungen bis zuletzt gelitten haben. Seinem Ansehen aber haben sie, wenn man Umfragen glauben darf, in der breiten Öffentlichkeit nicht geschadet. Diese wird die „Stimme der Menschen ohne Stimme“ in Erinnerung behalten. 1 Zitat Abbé Pierre und Buchtitel: Abbé Pierre: Je voulais être marin, missionnaire ou brigand. Carnets intimes inédits, Paris, Le Cherche-Midi, 2002. 2 Näheres zum biographischen Hintergrund bei Oschwald, Hanspeter: Abbé Pierre, Freiburg, Herder, 1995. 3 Der komplette Wortlaut der Erklärung findet sich auf der website der Compagnons d’Emmaüs unter http: / / www.emmaus-france.org. 4 Dass dies inzwischen sozusagen legendär geworden ist, zeigt auch die Tatsache, dass die Hilfskampagne 1989 als Vorlage zu einem Spielfilm „Hiver 1954“ von Denis Amar diente, in dem Claudia Cardinale und Lambert Wilson mitspielen. 5 Barthes, Roland: „L’Iconographie de l’Abbé Pierre“, in: Ders.: Mythologies, Paris, Seuil, 1957, 54-56. 6 Gaullaud, Patrice/ INED, zit. nach Lunel, Pierre: L’abbé Pierre. L’insurgé de Dieu, Paris, Edition n°1, 1989, 443. 7 Darunter finden sich auch so umstrittene Aktionen wie sein Einsatz für die nach Frankreich geflüchteten Mitglieder der italienischen Roten Brigaden Anfang der Achtziger Jahre. 8 Ausführlich zum Kampf gegen Armut und Wohnungslosigkeit in Frankreich und seinen Trägern siehe Ruß, Sabine: Interessenvertretung als Problemkonstruktion. Schwache Interessen im politischen Kräftefeld moderner Demokratie am Beispiel Wohnungsloser in Frankreich und den USA, Baden-Baden, Nomos, 2005, 204-232, 291-334. 9 Libération vom 23.1.2007, 2. 10 In seinem letzten, 2005 erschienen Buch Mon Dieu - Pourquoi? Paris, Plon (mit Frédéric Lenoir) sprach sich Abbé Pierre für eine Freiwilligkeit des Zölibats aus und gab zu, er habe die sexuelle Enthaltsamkeit selbst nicht immer einhalten können. 11 Einige seiner Äußerungen sind jedenfalls ambivalent. In einem Gespräch mit Bernard Kouchner äußerte er etwa, das gelobte Land sei von den Juden zum Preis des Völkermords der dort bereits ansässigen Völker erlangt worden. Diese Passage wurde - angeblich - aus dem 1993 bei Robert Laffont erschienenen Interview-Buch Dieu et les hommes gestrichen und dann zitiert in: Burnier, Michel-Antoine; Romane, Cécile: Le secret de l’Abbé Pierre; Paris, éd. Mille et une nuits, 1996,11. Einige Kommentatoren - etwa der Nouvel Observateur - interpretierten diese Äußerung als Nachhall der im sozialen Katholizismus vorzufindenden antijudaistischen Elemente und der in der katholischen Kirche der Vorkonzilszeit vorhandenen Vorstellung eines „Kainsmals“ des jüdischen Volkes, das seine Diaspora selbst verschuldet habe. 154 WILLIAM MARX: L’ADIEU A LA LITTERATURE. HISTOIRE D’UNE DEVALORISA- TION. XVIII E -XX E SIECLES. PARIS, EDITIONS DE MINUIT, 2005 (COLLECTION PARADOXE), 234 S. Zur Krise der literarischen Kultur Bremen, den 18. 9. 2007 Lieber Wolfgang Asholt, [...] Ich habe mir gleich nach der Rückkehr aus Münster L’Adieu à la littérature von William Marx vorgenommen, auf das Sie mich aufmerksam gemacht haben. Es wäre einfach, das Buch als Manifest einer offen reaktionären Literaturauffassung hinzustellen. Es gibt Passagen, die einen dazu verleiten können, z. B. wenn der Verfasser in den Prozessen gegen Mme Bovary und die Fleurs du mal unzweideutig die Position des Staatsanwalts ergreift und dessen Schlußplädoyer zustimmt: „Imposer à l’art l’unique règle de la décence publique, ce n’est pas l’asservir, mais l’honorer“ (70). Daß der Amoralismus von Flaubert und Baudelaire, wie Marx behauptet, die Gesellschaft traumatisiert habe, wird man wohl als einen freilich recht gewaltsamen Versuch lesen müssen, die übliche Betrachtungsweise umzukehren, die vom Leiden des Schriftstellers an der Gesellschaft ausgeht. Die Schwäche dieses Versuchs besteht nicht nur darin, daß sich das unterstellte kollektive Trauma nicht nachweisen läßt, sondern darin daß die moralische Empörung des bourgeois immer auch gespielte Empörung ist. Trotzdem hat die Umkehrung der herkömmlichen Betrachtungsweise zumindest den Wert einer Provokation (der Kritiker bzw. „wir“ als Kritiker wissen uns immer - im Nachhinein, versteht sich - auf der richtigen Seite, der des angegriffenen Autors. Diese angenehme Gewißheit stellt Marx in Frage). Vor einer vorschnellen Verurteilung des Buches möchte ich aber vor allem deshalb warnen, weil dieses doch unser Problem behandelt: die Entwertung der Literaturwissenschaft, der critique littéraire, die der Autor als Teil einer Entwertung der Literatur verständlich zu machen sucht. Nostra res agitur! Die Weise, wie er das tut, hat nun freilich wiederum den Charakter einer Provokation. Statt, wie man es erwarten würde, auf gesellschaftliche Prozesse als Ursache der Entwertung der Literatur zu verweisen (z. B. die neuen Medien, die das Interesse der Jüngeren und nicht nur deren Interesse von der Literatur abziehen), bemüht sich Marx um eine Erklärung, die ganz abhebt auf die immanente Entwicklung des Literaturbegriffs seit der Veröffentlichung einer französischen Übersetzung des antiken Traktats Über das Erhabene durch Boileau im Jahr 1674. Marx sieht hierin den Anstoß zu einem Paradigmenwechsel dessen, was man bald Ästhetik nennen wird, den 155 Wechsel von einer der raison verpflichteten Kunstauffassung zu einer des sentiment. Die neue Ästhetik des Erhabenen rücke die Dichtung in die Nähe der Religion und führe mit der deutschen Romantik zu einer Sakralisierung des Dichters wie der Dichtung. Diese „Überbewertung“ der Literatur wiederum erscheint zusammen mit der Autonomiesetzung als Ursache einerseits einer Anmaßung der Literatur, die Gesellschaft nicht nur spiegeln, sondern ihr ein ideales Bild ihrer selbst vorhalten zu wollen, andererseits aber einer zunehmenden Abschließung besonders der Dichtung und der Sprache der Dichtung gegenüber der Wirklichkeit, die schließlich in Mallarmés Trennung von poetischer Sprache und Alltagssprache einmünde, ein Verhängnis, das im 20. Jahrhundert auch auf die Prosagattungen übergreife. Die These läuft darauf hinaus, daß die Vorstellung der Intransitivität der literarischen Sprache, ihrer Unfähigkeit, das Wirkliche zu bezeichnen, auf die Dauer dazu führen mußte, daß die Gesellschaft der Literatur den Rücken kehrt, weil diese ihr nichts mehr sie Betreffendes zu sagen hat. Vieles von dem, was der Autor in oftmals skizzenhafter Weise andeutet, ist von einer methodisch reflektierten historisch-soziologischen Literaturwissenschaft in Detailstudien in den 70er und 80er Jahren dargestellt worden. So hat z. B. Christa Bürger in mehreren Aufsätzen gezeigt, welche Folgen die Durchsetzung der Autonomiedoktrin durch Goethe und Schiller („Xenienkampf“) auf die literarische Öffentlichkeit in Deutschland gehabt hat. Sie hat nämlich dazu geführt, daß die Erörterung von Problemen des alltäglichen Lebens in die durch die Autonomiesetzung der Literatur als Kunst erst entstehende Trivialliteratur abgedrängt und das Rezeptionsinteresse vom Werk auf die Person des Autors verschoben wurden (vgl. z. B. Ch. Bürgers Einleitung zu dem Band Zur Dichotomisierung von hoher und niederer Literatur, in: Hefte f. kritische Literaturwiss., 3; ed. suhrkamp 1089. Frankfurt/ M., 1982). - Übrigens ist der Autonomiestatus der Literatur nicht erst von William Marx, sondern bereits von den historischen Avantgarden problematisiert worden. Warum hinterläßt die Studie von Marx, obwohl sie vieles Zutreffende konstatiert, dennoch beim Leser einen Eindruck des Unbefriedigenden? Ich denke, es liegt an dem Gestus des Autors. Er sucht Schuldige und findet davon nur zu viele. Die ganze Entwicklung der Literatur und des Literaturbegriffs - der Verfasser trennt die beiden Bereiche nicht scharf voneinander - erweist sich in seiner Darstellung als ein Weg, der folgerichtig zur Entwertung der Literatur und mit ihr der Literaturkritik führen mußte. Selbst noch Jean Paulhans Kampf gegen den „terrorisme littéraire“, den Marx ja aufnimmt, ordnet er schließlich in die zum Desaster der Literatur führende Entwicklungslinie ein. Daß der Autor eine immanente Analyse bevorzugt, würde man ihm nicht verargen, wäre es für ihn nicht ein Anlaß dafür, die soziologische Analyse des Reduktionismus zu bezichtigen (71 f).Was dem Buch von Marx fehlt, ist die Fähigkeit seines großen Namensvetters Karl Marx, der bei Hegel gelernt hat, die einander widersprechenden Seiten einer Sache herauszuarbeiten. Die Entwicklung der europäischen Literaturen seit der Jenenser Romantik ist alles andere als ein gradliniger Prozeß, der notwendig in einem Desaster enden mußte; es ist ein von Widersprü- 156 chen durchzogener Prozeß, der notwendige Vereinseitigungen hervorgebracht hat, die die Kritik dialektisch zu entfalten hätte. Das aber setzt eine andere Perspektive voraus als die Suche nach Schuldigen Eine solche zu entwickeln habe ich in der Prosa der Moderne (Frankfurt: Suhrkamp 1988) versucht. Vergleichbares wäre über die Darstellung der Literaturkritik bei William Marx zu sagen. Der Formalismus ist nicht nur eine Verengung des Blicks auf den literarischen Gegenstand, ihm verdanken wir vielmehr durchaus wertvolle Einsichten in das Funktionieren literarischer Texte, Einsichten, die dann freilich dogmatisch vereinseitigt worden sind. Lassen Sie mich diesen Ausführungen - ach, wie hölzern ist doch unsere Sprache! - noch etwas hinzufügen. Wenn ich das Buch von Marx trotz allem lesenswert finde, so deshalb weil man hinter seiner oftmals polemischen Darstellung eine tiefe Beunruhigung über den Zustand unserer Kultur, soweit sie literarische Kultur ist, zu spüren meint. Vielleicht könnte das Buch Anstoß zu einer Debatte werden, die wir dringend brauchen. Peter Bürger (Bremen) MAXIMILIAN GRÖNE UND FRANK REISER: FRANZÖSISCHE LITERATURWIS- SENSCHAFT. EINE EINFÜHRUNG. TÜBINGEN: GUNTER NARR VERLAG, 2007, 264 S. Den soeben anlaufenden, europaweit standardisierten Bachelor- und Master-Abschlüssen fällt beim derzeitigen Umbau der deutschen Universität eine tragende Rolle zu. Diese auf möglichst raschen Berufseinstieg ausgerichteten Studiengänge mit reduzierter Semesterzahl stehen unter dem Primat der Effizienz, was sich äußert in weitgehender Komprimierung des (nach utilitaristischer Relevanz ausgewählten) Stoffes, hoher Praxisorientierung und strikter Didaktisierung der Lehrveranstaltungen. Das solcherart formal und inhaltlich von Grund auf umgestaltete Studium flankierend, entsteht eine ebenfalls neuartige Einführungs- und Studienliteratur, die der zu besprechende Band aus der Reihe bachelor-Wissen exemplarisch vertritt. 1 Sein augenfälligstes Kennzeichen ist die eng Schulbüchern angelehnte Aufmachung mit einem durch Tabellen, Abbildungen, Marginalien und farbige Unterlegung aufgelockerten Layout; hinzukommen, sehr zeitgemäß, Kontrollaufgaben, deren Lösungen sich auf einer Internetseite abrufen lassen. Da es, wie die Verf. im Vorwort bemerken, im BA-Studiengang weniger um die „Kenntnis von Wissensständen“ (1) als um „die Fähigkeit, das Erlernte selbständig anzuwenden“ (1) geht, heißen die vier Abschnitte dieser Einführung „Kompetenzen“, die sich ihrerseits in kleinere „Einheiten“ untergliedern. Mit insgesamt vierzehn solcher Einheiten ent- 157 spricht, worauf die Verf. explizit hinweisen (vgl. 2), der Band den Sitzungen einer Einführungsveranstaltung und regt die mehr oder minder modifizierte Übernahme durch den Dozenten geradezu an, so daß sich, auch dies ein bemerkenswertes Novum, der Studieneinstieg, eminent wichtig als erste, prägende Begegnung mit der Frankoromanistik, und das dazugehörige Lehrbuch wechselseitig beeinflussen. Die Anlage des Bandes entwickelt sich graduell und läuft auf zwei sich gegenüberstehende Blöcke, Textanalyse und Methodenübersicht, zu. „Kompetenz 1: Literaturwissenschaftlich denken und arbeiten“ (3-58) macht in zwei Einheiten zuerst mit dem Literaturbegriff und seiner medialen Erweiterung (3-20) vertraut und erläutert unter dem Stichwort „Ordnungsmodelle“ (21-40) zentrale Poetiken von der Antike bis zur französischen Klassik sowie Gattungs- und Epochenproblematik und die Funktion von Literaturgeschichten, Literaturkritik und Kanon. Die dritte Einheit „Literaturwissenschaftliches Arbeiten“ (41-58) bietet außer der Charakteristik der BA- und MA-Studiengänge einen Abschnitt zu Berufsfeldern für Absolventen und eine komprimierte Einführung in wissenschaftliches Arbeiten (Wissenschaftsbegriff, Literaturbeschaffung, Abfassen von Hausarbeiten u. a.). Zentraler (und wohl am meisten nachgefragter, da überaus prüfungsrelevanter) Teil ist „Kompetenz 2: Literarische Texte analysieren“ (59-164), der zunächst die gattungsspezifischen Merkmale von Lyrik, Drama und Epik ausführlich darlegt, bevor eine Ko-Einheit die eigentliche Analyse an einem Textbeispiel übt. Als Verfahren dient die am hermeneutischen Zirkel und gleichermaßen, was keinen Widerspruch zu enthalten scheint, Strukturalismus ausgerichtete sogenannte Strukturanalyse, die textimmanent wie interpretatorisch nicht festgelegt operieren und die Basis der eigentlichen Interpretation ergeben soll (vgl. 60-63). Ein Schema erstellt hierzu in neun Schritten den Ablauf von der ersten Lektüre über die Arbeitshypothese bis zu deren Verifizierung bzw. Falsifizierung (vgl. 70f.). Die angekündigte, streng textimmanente Betrachtungsweise können freilich die Verf. selbst nicht aufrechterhalten: Bereits das erste Exempel der Einheit „Lyrik analysieren“, ein Sonett der Louise Labé, erwähnt den Petrarkismus (vgl. 78); anderenorts wird für einen mikroanalytisch untersuchten Textauszug der Inhalt des Père Goriot resümiert (vgl. 150). Letztlich handelt es sich bei dieser mit nicht geringem Aufwand ausgebreiteten Vorgehensweise um ein der an französischen Schulen üblichen explication de texte ähnliches, grundsätzlich methodensynthetisches Procedere, das, gängige Seminarpraxis seit jeher, unter grob-strukturalistischer Prämisse Stilistik, Rhetorik und gegebenenfalls Metrik, inter- und intratextuelle Bezüge und literahistorische Kontextualisierung einbegreift. Das bedauerliche Manko des Bandes ist, selbst wenn man einräumt, daß die wenigsten Teilnehmer der neuen Studiengänge über eine Strukturanalyse hinausgelangen und sich etwa an einer dekonstruktivistischen Lektüre des Etranger versuchen werden, der nicht vollzogene Schritt von der Analyse zur (Muster-)Interpretation, also die Applikation des methodischen Ansatzes auf Texte, was, so der heterodoxe Vorschlag des Rezensenten, der Eingängigkeit wegen in karikaturistischer Überzeichnung hätte geschehen können. Demnach erfüllt das Kapitel „Kompetenz 3: Literarische Texte methodenorientiert interpretieren“ (165-220) trotz dem 158 umfassenden Überblick allenfalls eine passives Wissen vermittelnde Komplementärfunktion. „Kompetenz 4: Texte in anderen Medien analysieren“ (221-260) negiert zwei für Frankreich so bedeutende Medien, Bande dessinée und Chanson, und stellt statt dessen, auf die Arbeitsmöglichkeiten der Absolventen bezogen, Presse (228-232), Hörfunk (232-235) und Internet (235ff.) breit heraus; die letzte Einheit des Bandes widmet sich Film (240-255) und Fernsehen (255-259). Zwei kritische Anmerkungen berühren, beträchtlich über die vorliegende Einführung hinausreichend, grundsätzliche Positionen der (Franko-)Romanistik bzw. des Studiums. Erstens ist der mittelbar propagierte Kanon diskutierenswert. Das von den Verf. aufgestellte Textkorpus verzichtet auf den hier ohnehin nicht zu leistenden kompletten literaturhistorischen Überblick von der Renaissance bis zur Gegenwart und weist gleichfalls die an manchen Universitäten bereits praktizierte und im Rahmen des BA-Studiums durchaus legitime Beschränkung auf das 19. und 20. Jahrhundert zurück. Allerdings bleibt die Auswahl der Texte nicht immer nachvollziehbar: Im Gegensatz zu einem empirischen oder intertextuell wirkenden Kanonverständnis gilt den Verf. als unpräzis-subjektives Kriterium „eine wie auch immer geartete Aussagekraft - und sei es nur im Sinne der literaturgeschichtlichen Tradition“ (39). Im Analyse-Teil divergieren die angeführten Gedichte - zwei Renaissance-Sonette (Labé, Ronsard), ein kaum aussagefähiges Gedicht Hugos, Soleils couchants aus den Feuilles d’automne, und Rimbauds Voyelles - in literarischem Rang (und Schwierigkeitsgrad) erheblich, während das behandelte Drama (Racines Phèdre; zuvor Molière und Corneille, weiter Beaumarchais und Marivaux sowie, als kurzer Exkurs in das Postbellum, Camus’ Les justes ) und die narrativen Texte (Le Père Goriot und Madame Bovary) sämtlich der Höhenkammliteratur entstammen. Einem ohnehin stark reglementierten oder nach Ansicht seiner Kritiker: verschulten Studiengang droht damit Erstarrung bzw. in letzter Konsequenz der Rückfall in eine Mainstream-Literatur musealen Charakters. Um diese von den Verf. keineswegs intendierte Entwicklung schon im Ansatz zu verhindern, schlägt der Rezensent die Einbeziehung angeblich marginaler oder kontrovers bewerteter, dezidiert politischer oder provokativer Autoren sowie der Paraliteratur vor. Zweitens fällt auf, daß die Verf., was gerade in Hinblick auf die im Studium zu erlernenden, sogenannten soft skills von Bedeutung wäre (vgl. 43f.), nirgendwo zum Seminargespräch oder zur Diskussion auffordern, um Argumentation und Kritikfähigkeit zu üben - und gleichzeitig die reine Wissensvermittlung durch den frontal unterrichtenden Dozenten zu unterbrechen. Insbesondere durch diese nicht hoch genug einzuschätzende Möglichkeit des Kommunizierens unterscheiden sich eine Lehrveranstaltung vom Selbst- und Fernstudium und, im weiteren Sinne, die Geistesvon den Technikwissenschaften. Sehr förderliche Fragen wirft der Band genug auf, beispielsweise: Welche literarische Bedeutung hat (der von der deutschen Romanistik ignorierte) Victor Hugo? Warum sprechen die Verf. von „unguten 159 Konnotationen“ (168f.), die das Wort „Rasse“ im Deutschen auslöst? Ist Synästhesie nicht ein rein subjektives Erleben, das sich deshalb der Interpretation entzieht? Mehrere Lapsus hauptsächlich terminologischer Art sind des weiteren anzuzeigen. (1) Titel, Motto, Widmungsangabe, Vor- und Nachwort gehören nicht zum dramatischen Nebentext, sondern sind nach Gérard Genette Paratexte (vgl. 97). (2) Der Ausdruck „Protagonist“ bezeichnet im griechischen Theater den 1. Schauspieler; ein Drama hat demnach lediglich einen Protagonisten (vgl. 99). (3) Es ist in unzulässiger Weise simplifizierend zu behaupten, die „zentrale Aufgabe der Erzähltheorie oder Narratologie“ (Hervorhebung G/ R, 135) sei die „Beschreibung der Strukturen auf jeder der Ebenen [histoire und discours] und des Verhältnisses der beiden zueinander“ (135); Tzevtan Todorov spricht bereits 1969 von der „science du récit“ (Grammaire du Décaméron, 1969: 10). (4) Unter Architextualität sind nicht die „einer großen Gruppe von Texten gemeinsamen literarischen Merkmale [...], die nur noch eine sehr allgemeine Zugehörigkeit zu literarischen Grundformen belegen“ (210) zu verstehen, sondern die Beziehung eines Textes zu seinen sämtlichen Diskurstypen, also das, was Manfred Pfister „generische Systemreferenz“ nennt. 2 (5) Die Ästhetik des Häßlichen begründet Baudelaire keineswegs, wie die Verf. suggerieren (vgl. 90), vielmehr rekurriert er auf die französische Romantik, Hugo und seinen Lehrer Gautier, und den Frühbarock, mithin auf eine manieristische Tradition. Insgesamt offeriert der vorzüglich lektorierte Band einen sehr brauchbaren, auf den BA-Studiengang exakt zugeschnittenen und ihm gemäßen Einstieg in die französische Literaturwissenschaft. 3 Indem alle wichtigen, für eine Einführung bedeutsamen Aspekte der französischen Literaturwissenschaft abgedeckt werden, erhält der Leser das nötige Rüstzeug für die sich anschließenden Module; der Nachdruck, den die Verf. auf das analytische Alltagsgeschäft legen, sucht seinesgleichen. Hervorgehoben sei auch die den Studienanfängern mit ihren geringen Vorkenntnissen angepaßte Darbietungsform: Samt dem die Unterrichtssituation nachbildenden pluralis praeceptoris und der Leseranrede folgen die Verf. insofern den Prinzipien des Lehrbuchs, als sie auf allgemeinverständliche Weise und ohne unnötigen Jargon komplexere Zusammenhänge nachvollziehbar und gut memorierbar erklären. Den im amerikanischen Universitätsmilieu üblichen aufgelockert-witzigen Tonfall mochten die Verf. nicht übernehmen, doch das bleibt eine Geschmacksfrage. 4 Durch den BA-Studiengang, dessen Einrichtung die Verf. recht optimistisch beurteilen (vgl. 1), wird sich die universitäre Lehre an der Universität, auch dafür steht der Band, formal und inhaltlich zu einer Art schulischem Unterricht verändern. Ob damit zugleich eine „qualitative Veränderung der Lehre“ (1) eintritt, die zuvor bei weitem nicht auf so niedrigem Niveau stattfand, wie die Verf. implizieren, bleibt fraglich, vor allem weil einer didaktischen Binsenweisheit nach eigene Studien universitäre Veranstaltungen stets ergänzen und fortführen müssen. Eindeutig zu begrüßen ist hingegen eine andere Entwicklung. Weder die Ordinarien der Nachkriegszeit noch der 68er-Generation legten, sei es aus Überheblichkeit, sei es 160 aus prinzipieller Geringschätzung, besonderen Wert auf die Vermittlung der Grundlagen des Faches und der handwerklichen Fähigkeiten und delegierten derartiges an eine längst Sparzwängen geopferte Hochschuldozentenschaft bzw. an Lehrbeauftragte. Zu Recht beginnt hier eine neue Art von Einführungsliteratur, welche die pragmatische Idee einer erlernbaren Wissenschaft vertritt. Doch macht, für unser Fach gesprochen, die Kenntnis positivistischer Fakten allein einen Romanisten nicht aus. In seiner Gedenkrede auf Ernst Robert Curtius zitiert Hugo Friedrich dessen Wort, es gebe in den Geisteswissenschaften nur eine Methode, nämlich „‘das Zusammenwirken von Instinkt und Intelligenz’“. 5 Obwohl beides laut Curtius vom Katheder aus nicht zu lehren sei, wird man einräumen, daß Intuition und Fingerspitzengefühl - Begriffe, die wir heute dem Instinkt vorziehen - bei intensiver Beschäftigung mit dem Fach und seinen Gegenständen entstehen, daß sich also idealiter ein empathischer Sinn für Literatur im Laufe des Studiums durchaus entwickeln kann. Dieses nicht auf konventionelle Weise lehr- oder lernbare Gespür, Spitzers Ingenium, ist unabdingbar für eine lebendige Wissenschaft. Thomas Amos (Heidelberg) 1 Vgl. ausführlich Thomas Amos: „Der Boom der Studienliteratur. Überlegungen zu einem symptomatischen Phänomen“, in Komparatistik. Jahrbuch der deutschen Gesellschaft für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Heidelberg 2007. (im Druck) 2 Vgl. Ulrich Broich/ Manfred Pfister (eds.): Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien, Tübingen 1985, 56. 3 Ein hier nur ansatzweise zu ziehender Vergleich mit der von Jürgen Grimm, Frank-Rutger Hausmann und Christoph Miething verfaßten, zum Klassiker avancierten Einführung in die französische Literaturwissenschaft (Stuttgart/ Weimar 4 1997 [ 1 1976]) zeigt auf inhaltlicher Seite weitgehende Übereinstimmung, wenngleich Gröne/ Reiser die Situierung Frankreichs in der Romania und ebenso einen historischen Aufriß der deutschen (Franko-)Romanistik unterschlagen. Abgesehen von ihrer anspruchsvolleren Wissenschaftsprosa, veranschaulicht die 151 Titel aufführende Auswahlbibliographie der älteren Einführung (vgl. XIII-XIX) überaus signifikant den Unterschied von neuer Studienliteratur zur old school. 4 Hier ist die deutsche Anglistik naturgemäß weiter fortgeschritten, vgl. z. B. Christof Bode: Der Roman, Tübingen/ Basel 2005. 5 „Ernst Robert Curtius. Gedenkrede zu seinem 80. Geburtstag“, in Hugo Friedrich: Romanische Literaturen I/ II. Aufsätze II: Italien und Spanien, Frankfurt/ Main 1972, 185-195; 186.