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lendemains
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Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/91
2011
36142-143
36. Jahrgang 2011 142/ 143 Michel Houellebecq: Questions du réalisme d’aujourd’hui Stadtkonstruktionen in der Literatur Sommaire Editorial ................................................................................................................. 3 Dossier Jörn Steigerwald, Agnieszka Komorowska (eds.) Michel Houellebecq: Questions du réalisme d’aujourd’hui Jörn Steigerwald, Agnieszka Komorowska: Introduction ....................................... 6 Wolfgang Asholt: Une littérature de risques ou les risques de la modernité? A propos du premier roman de Michel Houellebecq Extension du domaine de la lutte ......................................................................... 18 Agnieszka Komorowska: Comment „restaurer les conditions de possibilité de l’amour“? La représentation des émotions dans Les particules élémentaires de Michel Houellebecq ............................................ 32 Jörn Steigerwald: Histoires d’outre-tombe: Plateforme de Michel Houellebecq... 50 Jutta Weiser: Posthumane Menschenprüfer. Michel Houellebecqs La possibilité d’une île und die Moralistik............................................................. 70 Bruno Viard: La Carte et le Territoire, roman de la représentation: entre trash et tradition .......................................................................................... 87 Dossier Gisela Febel, Karen Struve (eds.) Stadtkonstruktionen in der Literatur Gisela Febel, Karen Struve: La ville imaginée - L’imaginaire de la ville. Einleitende Überlegungen zu Stadtkonstruktionen in der französischen Literatur vom Mittelalter bis zur Romantik............................................................ 96 Elisabeth Tiller: Christine de Pizans Städtebau ................................................. 109 Jean-Christophe Abramovici: La ville invisible: des problèmes de représentation du réel dans le roman de l’âge classique................................... 129 Karen Struve: Stadt-Wissen: Überlegungen zu Stadkonstruktionen in der Encyclopédie ou Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers (1750-1772) .................................................................. 136 Sommaire Susanne Greilich: Stadträume der Romantik. Repräsentationen, Perspektiven und Funktionen der Stadt in den literarischen Reisetexten Gérard de Nervals . 149 Romana Weiershausen: Paris als theatraler Schauplatz in deutschen Texten über die Französische Revolution: Joachim H. Campe, Christian A. Vulpius und Ernst K. L. Ysenburg von Buri..................................................................... 164 Gisela Febel: Überlegungen zur Ikonographie der Stadt vom Mittelalter bis zur Romantik ................................................................................................ 179 Actuelles Roland Höhne: Sarkozy und die arabische Politik Frankreichs ......................... 199 Discussion Andreas Rittau: Pour une étude des symboles franco-allemands ..................... 209 Arts & Lettres Ina Pfitzner: L’érotique entre exorcisme et canular: J’irai cracher sur vos tombes par Vernon Sullivan/ Boris Vian ................................................. 232 XUAN Jing: Le spectre de 93 - Der Kopf des Königs und der Realismus: Stendhal, Flaubert, Barthes............................................................. 248 Comptes rendus K. H. Götze: Süßes Frankreich? Mythen des französischen Alltags (M. Delon) ...................... 278 K. H. Götze: Süßes Frankreich? Mythen des französischen Alltags (H. Thoma) ...................... 281 H. van den Berg/ W. Fähnders (eds.): Metzler Lexikon Avantgarde (H. Ehrlicher) .............. 284 Manuskripte sind in doppelter Ausführung in Maschinenschrift (einseitig beschrieben, 30 Zeilen à 60 Anschläge) unter Beachtung der Lendemains-Normen einzureichen, die bei der Redaktion angefordert werden können. Manuskripte von Besprechungen sollen den Umfang von drei Seiten nicht überschreiten. Auf Computer hergestellte Manuskripte können als Diskette eingereicht werden, ein Ausdruck und die genaue Angabe des verwendeten Textverarbeitungsprogramms sind beizulegen. Prière d’envoyer les typoscripts (30 lignes à 60 frappes par page) en double exemplaire et de respecter les normes de Lendemains (on peut se les procurer auprès de la rédaction). Les typoscripts pour les comptes rendus ne doivent pas dépasser trois pages. Les textes écrits sur ordinateur peuvent être envoyés sur disquettes, avec une version imprimée du texte et l’indication précise du programme de traitement de textes employé. 3 Editorial In den Editorials der letzten Hefte wurde immer wieder der Zustand der deutschfranzösischen Beziehungen beklagt. Wie berechtigt diese Klagen für eine den „Etudes comparées sur la France“ und der „Vergleichenden Frankreichforschung“ gewidmeten Zeitschrift waren, zeigen die jüngsten Entwicklungen. Nicht nur, dass die Fristen zwischen den Krisentreffen immer kürzer, die zur Debatte stehenden Summen immer höher und die Ankündigungen immer vollmundiger werden; über der immer stärkeren Dominanz des Ökonomischen werden die kulturellen und sozialen Beziehungen in Europa und vor allem zwischen Deutschland und Frankreich immer stärker zu einer Marginalie, sozusagen zum Luxus vergangener (oder zukünftiger) besserer Zeiten werden. Nun will Lendemains nicht ein weiteres Mal vor die Klagemauer treten, sondern lieber unter Beweis stellen, welches kulturelle „Lebenswissen“ die Literatur entwickelt und zur Verfügung stellt. Dies geschieht in dem vorliegenden Heft mit zwei umfangreichen Dossiers: einem historischen und einem der Gegenwart gewidmeten, wobei beide von großer Aktualität sind. Gisela Febel und Karen Struve haben das Dossier „La ville imaginée - L’imaginaire de la ville“ koordiniert, das aus einer Sektion des Essener Frankoromanistentages (Herbst 2010) hervorgegangen ist. Den „Stadtkonstruktionen in der französischen Literatur vom Mittelalter bis zur Gegenwart“ gewidmet zeigen die Beiträge zum „Imaginationsraum Stadt“, wie Repräsentationen und Konstruktionen der Stadt die Bedingungen und Möglichkeiten menschlicher Lebensweisen ausloten und wie die Dans les éditoriaux des derniers numéros nous avons, à plusieurs reprises, déploré l’état des relations franco-allemandes. Les développements récents prouvent combien ces plaintes étaient justifiées pour un périodique consacré aux „Etudes comparées sur la France“ respectivement à la „Vergleichende Frankreichforschung“. Non seulement que les délais entre les réunions de crise des gouvernants se raccourcissent de plus en plus, que les sommes dont il s’agit augmentent sans cesse et que les prospectives données deviennent de plus en plus hasardeuses; mais encore la dominance grandissante de l’économie entraîne la dégradation des relations culturelles et sociales en Europe, et particulièrement entre l’Allemagne et la France, qui, elles, deviennent marginales, pour ainsi dire un luxe des temps meilleurs (passés ou à venir). Lendemains ne veut donc pas à nouveau se poster devant le mur des Lamentations, mais préfère démontrer quel potentiel de „science de vie“ la littérature est à même de générer et de mettre à notre disposition. Dans le numéro actuel ceci se manifeste par deux amples dossiers: l’un historique, l’autre du présent, bien qu’ils soient tous les deux de grande actualité. Gisela Febel et Karen Struve ont coordonné le dossier „La ville imaginée - L’imaginaire de la ville“, résultant d’une des sections du Frankoromanistentag à Essen (automne 2010). Consacré aux „Constructions urbaines dans la littérature française du moyen âge à nos jours“, les contributions sur „La ville comme lieu d’imagination“ montrent comment les représentations et les constructions de la ville façonnent les 4 Editorial Stadt in einem solchen Maße zum Projektionsraum der europäischen Zivilisation wird, dass so etwas wie eine „literarische Stadt“ entstehen kann, in der sich individuelle und kollektive Kartografien, moralische Topografien und poetische Soziogramme miteinander verbinden. Wie diese Stadtrepräsentationen sich trotz der nicht nur das umgebende Land aus- und einschließende Mauern dem „Anderen“ und „Fremden öffnen verweist auf die Stadt als Modell eines (auch) heterotopen Raums: solche Perspektiven lassen uns auch die Städte und die Stadtkonstrukte unserer Zeit anders und besser lesen und verstehen. Agnieszka Komorowska und Jörn Steigerwald haben ein Houellebecq- Dossier zusammengestellt, dem es nicht nur gelingt, die (nicht nur deutsche) Houellebecq-Forschung auf eine neue Basis zu stellen. Wenn es anhand des Werkes des als Skandalautor ge- und behandelten Romanciers darum geht, den „Questions du réalisme d’aujourd’hui“ nachzugehen, so wird damit nach einer autor-biographischen, einer dem oder den Skandalen gewidmeten und einer dem Einfluß des „klassischen“ Realismus des 19. Jahrhunderts nachgehenden Phase erstmals die Frage gestellt, inwieweit uns die Romane Houellebecqs mit einer neuen Art des Realismus konfrontieren, und was Literatur und Literaturwissenschaft anhand dieses Werkes über den Ort und die Möglichkeiten dieses Realismus lernen können. Dabei verzichtet der Autor bewusst auf eine umfassende Realismus-Theorie, doch die Fragen, die er und seine Romane stellen, lassen erkennen, welche Möglichkeiten sich für einen andeconditions et les possibilités de modes de vies humaines et la ville devient à tel point l’espace de projection de la civilisation européenne, que quelque chose comme une „ville littéraire“ peut naître, dans laquelle se lient des cartographies individuelles et collectives, des topographies morales et des sociogrammes poétiques. Comment ces représentations urbaines s’ouvrent à „l’autre“ et à „l’étranger“ malgré les murs qui n’incluent ni excluent non seulement la campagne, mais renvoient à la ville comme modèle d’un espace (également) hétérotope: de telles perspectives nous aident aussi à mieux percevoir et reconnaître les villes et les constructions urbaines de notre temps. Agnieszka Komorowska et Jörn Steigerwald ont réuni un dossier sur Houellebecq, qui réussit non seulement à mettre la recherche sur Houellebecq (pas uniquement allemande) sur une nouvelle base. Si dans l’œuvre de ce romancier considéré comme auteur à scandale il s’agit de sonder les „Questions du réalisme d’aujourd’hui“, poursuivant une phase d’auteur-biographie, vouée au ou aux scandale(s) et sous l’influence du réalisme „classique“ du XIX e siècle, il est pour la première fois question combien les romans de Houellebecq nous confrontent à un genre de nouveau réalisme, et combien, à l’aide de cet œuvre, la littérature et les sciences littéraires peuvent apprendre sur le lieu et les possibilités de ce réalisme. L’auteur renonce consciemment à une ample théorie du réalisme, mais les questions que lui-même et ses romans posent, laissent entrevoir quelles perspectives s’ouvrent pour un autre 5 Editorial ren Realismus zwischen dem historischen Modell der „Klassiker des französischen Romans“ und den Ecriture- Abenteuern der Avantgarde (insbesondere des Nouveau Roman) auftun könnten; auch dies ein neben den Houellebecqschen Themen über die Literatur hinaus aktuelles Thema. Neben dem finanzpolitischen Unvermögen zeichnet sich das Feld der Außenpolitik ebenfalls durch mangelnde Koordination und eine fehlende gemeinsame Handlungsperspektive aus. Dies zeigt der Beitrag von Roland Höhne zur divergierenden „arabischen Politik“ beider Staaten und zu deren historischer Genese auf. Wir freuen uns besonders, den Leserinnen und Lesern ausnahmsweise zwei Rezensionen, eine französische und eine deutsche, zu dem jüngst erschienenen Werk Karl Heinz Götzes, Süsses Frankreich (S. Fischer 2010) bieten zu können. Wenn Michel Delon dem Essai einen „sens de la mesure et l’art de l’analyse équilibrée“ attestiert und sich freut, etwas über Frankreich gelernt zu haben, so weist das ebenso auf den Ausnahmecharakter dieser Publikation hin, wie Heinz Thomas Kompliment, es handele sich um einen „vorzüglichen Schreiber und [einen] naturwüchsigen Materialisten“, dessen Verdienst in diesem Buch u.a. darin bestehe, die „Permanenz kultureller Mythen“ verdeutlicht zu haben, deren Kenntnis vielleicht auch in (deutschfranzösischen) Krisen hilfreich wäre. Wolfgang Asholt * Hans Manfred Bock réalisme entre le modèle historique des „classiques du roman français “ et des Ecritures-aventures de l’avant-garde (particulièrement du Nouveau Roman); ceci est aussi - au-delà des thèmes soulevés par Houellebecq - un sujet d’actualité dépassant la littérature. A côté des insuffisances de la politique financière commune, le domaine des affaires étrangères se caractérise également d’un manque de coordination et d’action commune. Ceci démontre la contribution de Roland Höhne sur la „politique arabe“ divergente des deux pays et sur leur genèse historique. Nous sommes particulièrement heureux de pouvoir offrir à nos lectrices et lecteurs exceptionnellement deux comptes rendus, un en français et un en allemand, sur l’œuvre de Karl Heinz Götze, Süsses Frankreich (S. Fischer 2010). Si Michel Delon lui atteste un „sens de la mesure et l’art de l’analyse équilibrée“ et est content d’avoir appris quelque chose sur la France, ceci indique le caractère exceptionnel de cette publication, aussi bien que le compliment de Heinz Thoma qu’il s’agisse d’un „excellent écrivain et matérialiste naturel“, dont les mérites dans ce livre sont, entre autre, d’avoir éclairci les „mythes culturels permanents“, dont les connaissances peuvent peut-être aussi servir en temps de crise (franco-allemande). 6 Dossier Jörn Steigerwald, Agnieszka Komorowska (eds.) Michel Houellebecq: Questions du réalisme d’aujourd’hui Jörn Steigerwald, Agnieszka Komorowska Introduction Michel Houellebecq est actuellement un des romanciers français les plus connus dans le monde entier. Ce degré de notoriété résultait au début de sa carrière moins de sa renommée en tant qu’auteur prestigieux ou écrivain intellectuel que du scandale qu’il provoqua lors de la publication des ses trois romans, à savoir Extension du domaine de la lutte, publié en 1994 aux Editions Maurice Nadeau, Les Particules élémentaires, publié chez Flammarion en 1998 et finalement Plateforme, également publié chez Flammarion en 2001. La réussite de vente de ces trois premiers romans va souvent de pair avec une reconnaissance de la part de la critique littéraire, qui considéra, pour ne mentionner que les prix les plus importants, Les Particules élémentaires comme le „meilleur livre de l’année“ (lauréat du prix Novembre) et donna le prix Interallié au quatrième roman de Houellebecq, La Possibilité d’une île. Cependant, il y eut toutefois une réaction triple de la critique et des lecteurs aux romans de Houellebecq, car la réussite de ses romans auprès du public et même son succès au niveau de la critique littéraire ne connaît pas un effet d’écho semblable auprès de la critique universitaire. On attribue peu de valeur esthétique aux romans de Houellebecq et on les regarde au fur et à mesure comme étant des fictions sociologiques. Cette situation du romancier Houellebecq changea de manière fondamentale avec la publication de son dernier roman, La Carte et le territoire, en 2010, lauréat du prix Goncourt la même année. Ce roman semble à première vue marquer un tournant dans la production romanesque de Houellebecq, car tous les ingrédients des romans antérieurs manquent dans ce dernier, à savoir la description de la vie sexuelle désastreuse des Français moyens et l’observation de la vie banale par des protagonistes désillusionnés etc. S’y ajoute une orientation nouvelle vers la réflexion esthétique dans le roman, qui concerne et la littérature et les arts, représentés par le protagoniste, l’artiste Jed Martin et son homologue, la figure de l’écrivain Michel Houellebecq. De plus, il semblerait que le narrateur ironise consciemment et volontairement les expectations des lecteurs qui attendaient plus un roman nouveau de Houellebecq, notamment un autre roman à scandale et moins un roman qui s’invente d’une nouvelle manière. L’exemple le plus remarquable de 7 Dossier cette mise en scène ironique est probablement la mort brutale de l’auteur Michel Houellebecq dans l’histoire, qui va de pair avec son enterrement encore plus grotesque, car un tel récit ne laisse plus aucune possibilité de substituer l’auteur aux protagonistes des romans, comme beaucoup de critiques avaient l’habitude de le faire. Bref: Au lieu d’un ‘Houellebecq’ nouveau, à savoir un roman dit ‘typique’ de Houellebecq, le dernier roman présente un nouveau Houellebecq, c’est-à-dire un roman qui semble n’avoir aucune relation avec les romans antérieurs. Même si, ou plutôt parce que c’est le roman qui reçut le prix Goncourt, comme un, sinon le roman réaliste de nos jours. Le dernier roman de Houellebecq nous permet en conséquence de poser la question de savoir ce qu’est le réalisme des romans houellebecquiens et elle nous permet par ce biais de nous approcher de la question de savoir ce qu’est le réalisme d’aujourd’hui. C’est le point central sur lequel nous nous concentrons dans la préface ainsi que dans les contributions de ce dossier. En répondant à ces questions, nous essayons de montrer que tous les romans de Michel Houellebecq proposent une réponse à cette question - chacun à sa manière - en problématisant la condition humaine de la civilisation actuelle, ainsi qu’en reflétant les possibilités de l’écriture réaliste. D’où résultent deux questions plus précises: quelle relation y a-til entre le réalisme du XIX e siècle et le réalisme d’aujourd’hui et qu’est-ce qui caractérise le réalisme d’aujourd’hui? Pour mettre en évidence le statut et la réflexion du réalisme dans les romans de Michel Houellebecq, il faut tirer au clair la mise en scène de l’auteur, les histoires des romans et les narrations de ceux-ci. Pour cela, nous suivrons dans un premier temps la démarche de la recherche sur Houellebecq, qui commença par s’intéresser à l’auteur scandaleux, puis s’orienta vers l’auteur des romans scandaleux et se caractérise actuellement par son intérêt pour les stratégies narratives des romans. Dans un deuxième temps, nous nous concentrerons sur la publication des romans, c’est-à-dire sur les mises en scène des romans de Houellebecq en analysant les différents frontispices du roman Les particules élémentaires. Pour finir, nous nous focaliserons sur la description des choses dans La Carte et le territoire en tant que moment fondamental du réalisme qui oscille entre effet de réel et ‘epiphany’. 1. La recherche sur les romans de Houellebecq La recherche s’intéressa à Michel Houellebecq dès le moment de la publication de son premier roman, L’extension du domaine de lutte en 1994. Cependant, on s’occupa dans un premier temps moins de son roman en tant que fiction et plus de la personne de l’auteur. D’où résulte une concentration sur le „phénomène Houellebecq“ voire le „cas Houellebecq“, car ceux-ci permettent d’analyser les règles dans le champ littéraire de nos jours. 1 Ils s’ensuivent les questions de savoir quels sujets peuvent provoquer un scandale pour qu’on puisse obtenir l’attention des 8 Dossier médias et par ce biais du grand public; comment un auteur doit se présenter pour attirer l’attention du public, quelles possibilités a un éditeur voire une maison d’édition pour présenter un roman au public afin qu’un scandale éclate etc. La deuxième étape de la réception des romans de Michel Houellebecq, qui montre encore actuellement son efficacité, commença déjà avec la publication du premier roman, mais éclata de manière remarquable lors de la publication des Particules élémentaires et se concentra dès le début sur le roman scandaleux écrit par Houellebecq. Ce ‘scandale Houellebecq’ consiste selon la critique en son observation impartiale et cynique de la société contemporaine. Le premier roman, Extension du domaine de la lutte, décrit selon l’éditeur „l’odyssée désenchantée d’un informaticien entre deux âges, jouant son rôle en observant les mouvements humains et les banalités qui s’échangent autour des machines à café. L’installation d’un progiciel en province lui permettra d’étendre le champ de ses observations, d’anéantir les dernières illusions d’un collègue - obsédé malchanceux - et d’élaborer une théorie complète du libéralisme, qu’il soit économique ou sexuel“. 2 De plus, ce livre fut considéré par François Busnel dans L’EXPRESS comme „[…] un bouche à oreille obstiné qui, lentement mais sûrement, fait de l’ouvrage un objet messianique: c’est LE livre que toute une génération attendait“. 3 La gloire de Michel Houellebecq est alors le produit de sa compétence à observer les processus de sa société et - de plus - à tirer les conséquences de ses observations en donnant des analyses précises, mais désenchantantes. D’où résulte le fait qu’on doive le considérer comme l’auteur de sa génération, même si ses romans n’ont aucune valeur esthétique. 4 Or, ce sont exactement les déclarations choquantes qui provoquèrent le ‘scandale Houellebecq’ et qui attirèrent l’attention de la critique littéraire et du public. La constatation du narrateur dans le roman Extension du domaine de la lutte que „[l]a sexualité est un système de hiérarchie sociale“, 5 devint par la suite et selon une partie de la critique le théorème central des protagonistes houellebecquiens ainsi que de l’auteur. Partant de cette base socio-anthropologique, qui met l’accent sur le capital sexuel de l’homme, les romans suivants ne font qu’augmenter le „scandale Houellebecq“ en y ajoutant d’autres champs de batailles intellectuels: Soit qu’on trouve dans Les particules élémentaires l’idéologie d’une sexualité posthumaine qui s’oppose à notre culture sexuelle et aux mœurs corrompues de la société post-soixante-huitarde, ce qui conduit à la situation qu’on fit de l’auteur un préconisateur de l’eugénisme. Soit qu’on considérait Plateforme comme une description exacte, mais cynique du tourisme sexuel et par ce biais comme une analyse d’une société mondialisée et néo-libérale en se basant sur les paroles sexistes et racistes des figures masculines, qui se concentrent - encore une fois - sur la sexualité pitoyable des Européennes en la comparant à celle prometteuse des Asiatiques. Ce scandale nouveau provoqua toutefois des suites plus graves pour l’auteur, car les énonciations des protagonistes furent comprises comme étant celles de l’écrivain - qui avait fait des déclarations publiques semblables -, ce qui lui a valu d’être poursuivi en justice. 6 9 Dossier La considération de Michel Houellebecq comme auteur de romans à scandale met par conséquent moins l’accent sur l’écrivain, et s’intéresse plus au contenu de ses romans. Pourtant, dans bien des cas, l’intérêt pour le contenu soi-disant scandaleux 7 l’emporte sur celui des spécificités littéraires. Négligeant le discours de la narration au détriment de son histoire, une confusion entre littérature et écriture scientifique, notamment sociologique, s’installe. De cette manière, les romans sont lus à titre d’explication théorique de la société contemporaine. Tendance dont témoigne un article dans la revue des sciences humaines Le Débat, qui justifie son compte-rendu des Particules élémentaires en avançant qu’„[i]l arrive que la littérature en dise plus sur l’esprit du temps et sur le mouvement de la société que bien des ouvrages de sociologie.“ 8 Une sélection aléatoire de quelques revues, dans lesquelles ont été publiés des articles sur les romans de Houellebecq, confirme cette tendance: Revue Discours social; 9 Le Philosophoire 10 ou bien même Z - Zeitschrift Marxistische Erneuerung. 11 Ce qui pourrait être considéré comme un effet remarquable mais négligeable, à savoir la réception du roman contemporain dans le champ des sciences humaines, devient plus intéressant si on regarde de près la recherche littéraire sur les romans de Houellebecq. Un grand nombre de critiques s’occupe plus de l’écrivain que des fictions ou substitue l’auteur aux narrateurs et même aux protagonistes de ses romans, en analysant le monde houellebecquien comme une mise en scène lucide, mais cynique de notre société mondialisée et de notre civilisation néo-libérale. On examine ce monde en étudiant Houellebecq, sperme et sang, ou Le Monde de Houellebecq ou juste Houellebecq à la Une pour ne nommer que quelques études. 12 Ce qui unit ces études, c’est l’approche socio-politique voire socio-anthropologique qui met en relief la relation encore fixe et stable entre l’homme et l’œuvre, ce qui se fait voir de manière évidente si on envisage les titres des études qui se présentent soit comme „Houellebecq et …“ ou de „… et Houellebecq“. 13 La troisième étape de la recherche sur les romans de Houellebecq commence juste après l’année 2000 et se concentre dès le début sur la question du réalisme, ou pour être plus précis: on examine les romans houellebecquiens en tant que fictions qui s’inscrivent dans la tradition du réalisme voire du naturalisme du XIX e siècle, ou en tant que modèles romanesques d’un renouveau réaliste après le déclin de l’école du Nouveau Roman. 14 Ce regard permet de poser les questions de savoir dans quelle mesure les romans de Houellebecq doivent être considérés comme des fictions réalistes voire naturalistes, et non pas comme des romans de thèse socio-anthropologique d’un côté, et comment les romans sont construits d’un autre côté. S’y ajoutent les études qui posent la question de savoir à quelles traditions littéraires renvoient les romans de Houellebecq - la science fiction, la dystopie etc. - et de quelles techniques littéraires et narratives se servent les narrateurs des fictions - le regard moraliste, la non-fiabilité etc. 15 D’où résulte qu’on focalisait la différence mais aussi le rapport entre le niveau de l’histoire et celui de la narration dans les romans, une différence qui p. ex. est fondamentale pour Les Particules élémentaires. Ce roman se base sur la narration 10 Dossier d’un narrateur hétérodiégétique-intradiégétique, qui décrit en 2079 la situation lamentable des Français autour de 2000 pour légitimer la substitution de l’homme ancien par un nouvel être humain, reproduit d’une manière uniforme et génétique. 16 Néanmoins, cette approche des romans houellebecquiens se caractérise surtout par un regard rétrospectif, car on se pose plus la question de savoir comment on peut positionner ces romans dans les traditions du réalisme voire du naturalisme et on se demande moins si les romans de Houellebecq peuvent nous aider à nous approcher des questions du réalisme d’aujourd’hui. Cela nous semble être non seulement nécessaire, mais aussi fondamental pour la compréhension de l’histoire du roman français du XX e siècle, car ce roman se base sur le roman réaliste du XIX e siècle, même si ou surtout parce que les auteurs de XX e siècle s’opposent à ce modèle de fiction. Mais chaque opposition met aussi en relief la valeur et le pouvoir du réalisme. De plus, le succès du Nouveau Roman ou plus précisément du modèle de Robbe-Grillet du Nouveau Roman dans la critique universitaire, et par ce biais dans l’histoire littéraire, conduit à la situation que la discussion entre Alain Robbe-Grillet et Michel Butor sur les fictions d’Honoré de Balzac et sur le statut du réalisme, 17 datant des années 50 et 60, se déploie actuellement de nouveau, mais aussi de manière plus radicale. Bref: Les questions du réalisme d’aujourd’hui nous confrontent à notre perspective et à notre compréhension de la littérature du XX e , mais aussi du XIX e siècle. Mais elles mettent aussi en relief et la position que Houellebecq tentera d’obtenir dès son premier roman, et, ce qui est plus important, ce qu’il propose comme modèles du réalisme d’aujourd’hui, à savoir sa contribution à la question. 2. De la publication des romans houellebecquiens La publication d’un roman par un auteur s’effectue, on le sait bien, à divers niveaux: l’auteur donne un roman au public, il se rend public par l’acte de la publication, et il essaie d’obtenir une position dans le public. 18 Sauf qu’il faut faire attention, car Houellebecq est un des auteurs qui savent très bien, sinon trop bien ce qu’il faut faire pour attirer l’attention du public et - ce qui est plus important - comment on peut jouer avec les attentes du public voire des lecteurs. Or, Houellebecq se sert de la mise en scène de la vie privée telle qu’on la connaît dans l’autofiction sans l’adopter dans ses romans, car il écrit des romans et non pas des autofictions. 19 Mais il joue avec l’attente du lecteur voire du critique, ce qui émerge de manière visible si l’on regarde les frontispices des éditions des Particules élémentaires. La première édition chez Flammarion a le frontispice suivant: Publié chez le grand éditeur littéraire Flammarion, après un début chez Maurice Nadeau, le frontispice signale le 11 Dossier capital culturel voire symbolique de l’auteur qui vient de ces éditions, et souligne cet effet par la mise en forme presque classique de la couverture. S’y ajoute la déclaration qu’il s’agit d’un roman - et non pas d’un essai ou d’un récit socio-anthropologique - qui renvoie le lecteur à la fiction romanesque et non pas à la description de la réalité. Cependant, la réception du roman prit une autre voie qui fonda la renommée de Houellebecq en tant qu’auteur scandaleux. L’édition de poche de ce même roman, publiée en 2001, c’est-à-dire la même année que la première publication de Plateforme, stylise le roman et surtout l’auteur du roman d’une autre manière: Le frontispice met sous les yeux du lecteur une mise en scène spécifique qu’on pourrait désigner comme un piège tendu par la médiatisation de l’auteur. La couverture du roman affiche une photographie de l’auteur qui devint par la suite presque iconique. Il s’agit d’une image de l’auteur avec un sac plastique au bras et une cigarette à la bouche, mettant en relief la situation appauvrie et désastreuse du Français moyen, décrite dans le roman d’un côté, mais signalant l’observation consciente et cynique de sa part d’un autre côté. S’y ajoute l’inscription ‘Nouvelle Génération’ qui met l’accent sur l’actualité du roman et du romancier, qui représentent selon l’éditeur la génération actuelle des auteurs et réfléchissent ainsi à la situation actuelle de la société française. Cela allait de pair avec une attitude que l’auteur poursuivit dans de nombreuses interviews pour la presse écrite et la télévision en se présentant comme l’écrivain de sa génération. La publication du livre-débat Ennemis publics (2008) en collaboration avec Bernard-Henri Lévy marqua un point culminant de cette mise en scène de l’auteur et dénota en même temps une prise de position ironique vis-à-vis de ce jeu avec les médias. 20 L’édition actuelle de ce même roman, c’est-à-dire l’édition qui est publiée juste après la publication de son dernier roman La Carte et le territoire, a encore une fois un nouveau frontispice: Le changement est plus que visible: Au lieu d’une image de l’auteur Michel Houellebecq, on voit une scène stylisée qui rassemble deux personnes dans la même chambre, même si les deux sont séparées par le même espace. Si on considère la couverture comme une ‘illustration’ de la situation basale du roman, on remarque une mise en scène qui focalise les deux frères-protagonistes, Bruno et Michel, et leur vie dans une culture de la froideur. Le frontispice suggère une relation proche entre la narration du roman et l’esthétique de la Neue Sachlichkeit et sa Kult der Kälte, mise en évidence par une couverture qui fait plus qu’allusion à la peinture d’Oskar 12 Dossier Schlemmer. Reste la question de savoir dans quelle mesure cette couverture se réfère au roman et non pas à l’esthétique du dernier roman, La carte et le territoire, qui renvoie à plusieurs niveaux à cette esthétique de la Neue Sachlichkeit. 21 Bref, s’il y a un auteur qui rend absolument nécessaire la différenciation entre auteur et narrateur, c’est bien Michel Houellebecq: Car il n’est ni Bruno ni Michel, comme le suggère le frontispice de l’édition de poche de 2001, mais il n’est pas non plus le narrateur de ce même roman. Cependant, les trois couvertures du livre ne montrent pas seulement une connaissance des courants esthétiques du XX e siècle et des stratégies du self-fashioning de l’écrivain, mais aussi une conscience du problème du réalisme qui oscille entre description littéraire d’une réalité et création littéraire d’une réalité, à savoir une conscience des questions du réalisme d’aujourd’hui. 3. La description des choses Il nous semble assez remarquable que la critique universitaire qui se concentre sur la littérature contemporaine et par ce biais sur la question du réalisme d’aujourd’hui, ne s’occupe presque pas des romans de Michel Houellebecq. Le regard sur ‘le retour au réel’ et non pas sur le ‘retour au réalisme’ provoque une approche spécifique de cette littérature qui suit les traces du Nouveau Roman et de la Nouvelle Critique d’un côté et qui exclut tous les romans qui s’inscrivent dans la tradition soit du réalisme social soit du réalisme créaturel. L’étude détaillée La littérature française au présent. Héritage, modernité, mutations de Dominique Viart et Bruno Vercier peut nous servir d’exemple: 22 Viart se penche dans les chapitres „écrire le monde“ et „écrire le réel“ sur les textes des auteurs comme François Bon et Olivier Rollin et avance qu’ils parviennent „à trouver les moyens d’écrire le réel sans sacrifier […] aux illusions ni aux faux-semblants de l’esthétique réaliste“. 23 Il semble considérer le réalisme comme une tradition littéraire du XIX e siècle qui se porte sur la description d’un monde réel et qui sert à expliquer la société et la condition humaine d’une certaine époque et non pas comme un modèle de la représentation de la réalité dans la littérature. D’où résulte une concentration sur l’effet de réel (Barthes) et l’aventure de l’écriture romanesque (Robbe-Grillet). Viart mentionne le nom de Houellebecq seulement une seule fois dans ce chapitre et de façon succincte, car il le considère comme un exemple plutôt négatif qui représente un „réel malade“ 24 et un „cynisme“. 25 Or, Viart et Vercier discutent l’œuvre de l’auteur dans un chapitre sur „Les individualismes contemporains“ 26 et non pas sous la perspective d’un retour au réel. Cet approche s’explique par la description plutôt prescriptive sinon normative 27 qu’ils donnent du retour au réel dans le roman contemporain qui exclut explicitement tout retour des romans à thèse de la tradition de Sartre. 28 Wolfgang Asholt et Bruno Blanckeman s’approchent des romans houellebecquiens de la même manière en focalisant le retour du réel d’un côté, mais ils les regardent d’un autre côté comme des exemples de la recherche des formes roma- 13 Dossier nesques: ils évaluent ainsi positivement ces romans. Asholt prend p. ex. le soin de mesurer la distance qui sépare ce retour dans les récits de François Bon, qui suivent les traces du Nouveau Roman, et dans les romans de Houellebecq, qu’il désigne par le terme d’„hyperréalisme“. 29 C’est dans une perspective semblable, que Bruno Blanckeman compte Michel Houellebecq parmi les auteurs „néo-réalistes“ qui „revisitent […] sur un mode critique les grands paradigmes de la tradition réaliste“. 30 Selon lui, la technique du „patchwork“ des discours publicitaires et scientifiques dans Les Particules élémentaires témoigne d’une recherche de „nouvelles stratégies mimétiques“ 31 qui insiste sur le souci de la forme. Cependant, les questions de savoir comment parler du réalisme d’aujourd’hui et comment définir le statut de l’effet de réel dans ce réalisme restent ouvertes. S’y ajoute le problème du réalisme qui connaît selon Erich Auerbach deux modèles diverses, notamment le réalisme social et le réalisme créaturel, et qui produisent deux manières différentes de la représentation du monde dans la littérature: Deux manières qui se font surtout voir dans la technique de la description littéraire. Or, la description des choses désigne un des pilastres du réalisme moderne, car elle sert à mettre en évidence l’effet de réel, décrit de manière magistrale par Roland Barthes. Selon Barthes, la description d’un détail ‘négligeable’ mais vraisemblable dans un espace précis produit un effet de réel. Cet effet désigne pour sa part un élément d’un texte littéraire, dont la fonction est de donner au lecteur l’impression que le texte décrit le monde réel et non pas un monde fictif. D’où résulte la différence catégoriale mais problématique entre description réaliste et description du réel. Néanmoins, cet effet de réel décrit par Barthes, connaît une tradition respectable, car il vient des romans de Gustave Flaubert, et une présence valable, car il fut une des bases textuelles pour le modèle du Nouveau Roman de Robbe-Grillet. Or, dans le dernier roman La carte et le territoire, les protagonistes Jed Martin et Michel Houellebecq abordent la question du réalisme d’aujourd’hui par la question de savoir comment on devrait décrire une chose. Il nous semble assez remarquable que c’est la figure de l’écrivain Houellebecq qui prend la parole pour réfléchir sur la description et sur le réalisme d’aujourd’hui, car il prolonge de cette manière sa stratégie de la mise en scène de l’auteur en changeant le niveau textuel: Au lieu de se présenter sur la couverture du roman, il entre en tant que figure fictive dans la narration. C’est dans un débat avec le héros du roman, l’artiste Jed Martin, que le protagoniste Michel Houellebecq s’explique sur les possibilités de la représentation du monde dans l’art et dans la littérature. Choisissant l’exemple d’un objet très banal et dépourvu de tout intérêt littéraire, à savoir un radiateur, l’artiste Martin avance la thèse que la littérature touche à des limites de représentation: Vous, je ne sais pas si vous pourriez faire quelque chose, sur le plan littéraire, avec le radiateur“ insista Jed. „Enfin si, il y a Robbe-Grillet, il aurait simplement décrit le radiateur… Mais, je ne sais pas, je ne trouve pas ça tellement intéressant…32 A première vue, la situation semble être claire: L’allusion au porte-parole du Nouveau Roman et l’invitation implicite à se positionner vis-à-vis de ce courant litté- 14 Dossier raire, provoquent d’abord une hésitation distanciée suivie d’un refus définitif de la part de l’écrivain: „Oublions Robbe-Grillet“. 33 De plus, le protagoniste Houellebecq préfère à une discussion théorique imaginer une esquisse d’un roman sur un radiateur qui puise dans le répertoire du roman de gare et conteste ainsi l’avantgarde littéraire. Il s’enthousiasme à l’idée d’„un thriller“ 34 avec une histoire stéréotypée et finit ses propos par l’exclamation: „Voilà un sujet magnifique, foutrement intéressant même, un authentique drame humain! “ 35 Comme le suggère le passage en italique, cette expression pourrait passer pour une citation digne d’une phrase de Balzac semblable à la fameuse exclamation finale du Père Goriot: „A nous deux maintenant! “. L’opposition entre Robbe-Grillet d’une part, et Houellebecq incarnant l’auteur réaliste du XIX e siècle, ennemi déclaré de ce type du Nouveau Roman, 36 d’autre part, met le décor en place. Or, même si l’auteur semble ironiser sur cette dichotomie entre réalisme historique et écritures dites d’avant-garde, c’est notamment dans cet écart que la discussion du réalisme chez Houellebecq se joue. Cela se fait voir encore plus précisément si on lit la scène plus attentivement. Selon la figure Houellebecq, Robbe-Grillet „aurait simplement décrit le radiateur“, pour qu’il puisse produire un effet de réel dans sa narration, un effet qu’il utilise pour problématiser le regard du narrateur voire du protagoniste et la dimension psychologique que constitue ce regard - comme le montrent les narrations des romans Le Voyeur et La jalousie de manière exemplaire. La constatation qu’il faut oublier Robbe-Grillet renvoie par contre à la distance entre ce modèle de l’écriture réaliste et celui auquel s’intéresse l’écrivain, mais aussi à l’artiste Jed Martin. Ils focalisent tous les deux les dimensions de la chose à décrire pour qu’elle devienne „un sujet magnifique, foutrement intéressant même, un authentique drame humain! “. D’où résulte un climax, qui part de la chose simple en essayant de comprendre la beauté de l’objet, suivie par l’analyse de la beauté de l’objet et finissant par la réflexion sur la relation entre la chose et l’homme, voire sur la prise de conscience de l’objet par et pour l’homme. Bref, la description des choses ne sert pas à produire un effet de réel, mais un effet d’épiphanie, décrit de manière fondamentale par James Joyce dans son roman A portrait of an artiste as a young man, mais aussi dans sa collection des récits Dubliners. 37 S’y ajoute une autre dimension de cette discussion entre les deux protagonistes, car elle se situe aussi sur un arrière-plan de l’histoire de la littérature française du XX e siècle. Il s’agit alors d’un renouveau de la discussion des années 50 et 60 sur le Nouveau Roman, menée entre Robbe-Grillet et Butor, qui se concentrait sur le réalisme de Balzac ainsi que sur la description des choses. C’est Butor, et non pas Robbe-Grillet, qui démontra qu’il vaut mieux ne pas réduire l’œuvre de Balzac à son roman Le Père Goriot, mais comprendre son œuvre comme un monde de fiction, ou presque comme un univers fictif, qui combine des récit historiques à des histoires réalistes et des narrations spirituelles ou fantastiques. 38 De plus, Butor souligne la valeur d’une description des choses qui porte moins sur l’effet de réel 15 Dossier et plus sur l’effet d’épiphanie, une approche qu’il suit à sa manière dans son récit Degrés. 39 Michel Houellebecq reprend la question du réalisme des années 50 et la radicalise en posant non seulement la question de savoir ce qu’est le réalisme, mais en mettant en relief qu’il vaut mieux se concentrer sur les questions du réalisme et surtout sur les questions du réalisme d’aujourd’hui. Et ses romans, nous semble-til au moins, sont ses approches de ces questions et non pas ses réponses. Au lieu de donner une ‘théorie’ du réalisme, comme le faisait Robbe-Grillet, il préfère modéliser ses romans réalistes chacun d’une manière diverse pour poser les questions du réalisme d’aujourd’hui et non pas pour y répondre explicitement. 1 Voir Thomas Steinfeld (ed.): Das Phänomen Houellebecq. Köln 2001; Jochen Mecke: „Der Fall Houellebecq: Zu Formen und Funktionen eines Literaturskandals“, dans: Giulia Eggeling, Silke Segler-Messner (ed.): Europäische Verlage und romanische Gegenwartsliteratur, Tübingen, 2003, 194-217. 2 Verso de la couverture du roman dans l’édition J’ai lu, Paris 2005. 3 Ibid. 4 Cette considération de l’œuvre de Houellebecq en tant que sociologie littéraire va souvent de pair avec une approche de l’auteur voire du narrateur. Selon de nombreux critiques, on n’a pas besoin de respecter la différence entre auteur et narrateur, car Houellebecq ne le fait pas non plus. 5 Michel Houellebecq: Extensions du domaine de la lutte. Paris 1994, 93. 6 Jérôme Meizoz: „Le roman et l’inacceptable: polémiques autour de Plateforme de Michel Houellebecq“, dans: Etudes de lettres 264, Vol. 4 (2003), 125-148. 7 Voir aussi Heinz Thoma: „‚Amertune’. Postmoderne und Ressentiment im Werk von Michel Houellebecq (mit Seitenblick auf Vorläufer: Huysmans, Céline, Drieu de la Rochelle)“, dans: Heinz Thoma, Kathrin van der Meer (eds.): Epochale Psycheme und Menschenwissen - Von Montaigne bis Houellebecq, Würzburg, 2007, 255-278, surtout 255. 8 Voir Pierre Varrod: „De la lutte des classes au marché du sexe. A propos de Les Particules élémentaires de Michel Houellebecq“, dans: Le Débat 102 (1998), 182-190, cité d’après Wolfgang Asholt: „Deux retours au réalisme? Les récits de François Bon et les romans de Michel Houellebecq et Fréderic Beigbeder“, dans: Lendemains 107-108 (2002), 42-53, 49. 9 Voir Jean-François Chassay: „Apocalypse scientifique et fin de l’humanité: Les Particules élémentaires de Michel Houellebecq“, dans: Revue Discours social. Nouvelle Série 8 (2002), 171-188. 10 Voir Lucas Degryse: „Violence et transformation génétique de l’humain: Une approche socio-biologique“, dans: Le Philosophoire 13 (2001) sans pages. 11 Michel Zander: „Sexualität und Ökonomie in der Kampfzone“, dans: Z - Zeitschrift Marxistische Erneuerung 42 (2000), 120-131. 12 Murielle Lucie Clément: Houellebecq, sperme et sang. Paris 2003; Gavin Bowd: Le Monde de Houellebecq. Glasgow 2006; Michel Houellebecq à la Une. Sous la direction de Murielle-Lucie Clément & Sabine van Wesemael. Amsterdam 2011. 13 Voir p. ex. la table des matières du volume Michel Houellebecq à la Une, rassemblant de nombreux articles qui soulignent cet intérêt en analysant des sujets ‘chez Houellebecq’, 16 Dossier ‘de Houellebecq’, ou examinent simplement une relation ‘avec Houellebecq’, sans parler de ‘et Houellebecq’. Néanmoins, il émerge dans ce même volume la nouvelle tendance de la recherche sur Houellebecq qui s’occupe moins de l’homme et plus des œuvres voire de ses romans. Voir p. ex. les études de Sandra Berger: „Les discours (pseudo-) scientifiques dans l’œuvre houellebecquienne“ et de Sébastien Sacré: „Désirs frustrés, aliénation et souci d’autrui: les rapports de l’éthique et de la morale dans les romans de Michel Houellebecq“. 14 Voir Rita Schober: „Weltsicht und Realismus in Michel Houellebecqs utopischem Roman Les Particules élémentaires“, dans: RZLG 25 (2001), 177-211; idem: Auf dem Prüfstand: Zola - Houellebecq - Klemperer, Berlin 2003; idem: „Vision du monde et théorie du roman, concepts opératoires des romans de Michel Houellebecq“, dans: Le roman français au tournant du XXI e siècle, dir. Par Bruno Blanckeman et al. Paris 2004, 505-515, et Wolfgang Asholt: „Die Rückkehr zum Realismus? Ecritures du quotidien bei François Bon und Michel Houellebecq“, dans: Der französischsprachige Roman heute: Theorie des Romans - Roman der Theorie in Frankreich und der Francophonie, dir. par Andreas Gelz/ Ottmat Ette, Tübingen 2002, 93-110, et idem: Deux retours au réalisme? , op. cit. 15 Voir p. ex. George Chabert: „Michel Houellebecq, lecteur d’Auguste Comte“, dans: Revue Romane 37, 3 (2002), 187-204, Walburga Hülk: „Mythographien des Lebens 1900-2000. Zolas ‘Docteur Pascal’ und Houellebecqs ‘Les Particules élémentaires’“, dans: Walburga Hülk, Anne Amend, Kirsten Dickhaut et al. (eds.): Das Schöne im Wirklichen - Das Wirkliche im Schönen. Festschrift für Dietmar Rieger, Heidelberg 2002, 423-431; Sandra Berger: „Comment les choses en étaient arrivées là? - Michel Houellebecq et la morale“, dans: Lendemains 32 (2007), 136-143; Julia Pröll: Das Menschenbild im Werk Michel Houellebecqs. Die Möglichkeit existenzorientierten Schreibens nach Sartre und Camus. München 2007; Aurélien Bellanger: Houellebecq écrivain romantique. Paris 2010. 16 Voir Jörn Steigerwald: „(Post-)Moralistisches Erzählen: Michel Houellebecqs Particules élémentaires“, dans: Lendemains 138/ 139 (2010), 191-208. 17 Voir pour les deux approches diverses des nouveaux romanciers d’Honoré de Balzac et du réalisme Alain Robbe-Grillet: Pour un nouveau roman. Paris 1963 et Michel Butor: Répertoire I. Paris 1960. 18 Voir De la publication, entre Renaissance et Lumières, dir. par Christian Jouhaud/ Alain Viala. Paris 2002. 19 Même si quelques protagonistes des romans houellebecquiens portent le nom ‘Michel’, à savoir le frère scientifique des Particules élémentaires et le narrateur-protagoniste de Plateforme, tous ces récits sont désignés comme des romans et non pas comme des autofictions. 20 Michel Houellebecq, Bernard-Henri Lévy: Ennemis publics, Paris 2008. 21 Voir Helmut Lethen: Neue Sachlichkeit 1924-1932. Studien zur Literatur des Weißen Sozialismus. Stuttgart 1975; idem: Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen. Frankfurt/ Main 1994; Sabina Becker: Neue Sachlichkeit, 2 Vol. Köln 2000. 22 Voir Dominique Viart, Bruno Vercier (eds.): La littérature française au présent. Héritage, modernité, mutations. Paris 2008. 23 Ibid., 211. 24 Ainsi le titre du sous-chapitre traitant entre autres de Houellebecq, 346-364. 25 Ibid., 230: „le profond mal-être qui traverse le corps social peut être traité par certains écrivains, Michel Houellebecq entre autres, avec cynisme […]. D’autres en revanche tentent une écoute plus généreuse.“ 26 Ibid., 346-364. 17 Dossier 27 Pour une discussion des normes dans le roman français contemporain voir Wolfgang Asholt, Marc Dambre (eds.): Un retour des normes romanesques dans la littérature contemporaine. Paris 2010. 28 Voir p. ex.: „L’une des grandes caractéristiques du ‘réalisme’ était de porter un regard informé sur le réel et d’inscrire celui-là dans une réflexion sous-jacente. Il y a chez Balzac, chez Zola, comme dans le ‘réalisme social’, une ‘idéologie’ du réel. C’est ce dont la littérature contemporaine entend se dépouiller.“ Dominique Viart, Bruno Vercier (eds.): La littérature française, 220. 29 Wolfgang Asholt: Deux retours au réalisme? , op. cit., 53. 30 Bruno Blanckeman: „Le souci de société (sur quelques écritures néoréalistes)“, dans: Michel Collomb (ed.): L’Empreinte du social dans le roman depuis 1980, Montpellier 2005, 25-34, 28. 31 Ibid., 29-30. Il approche Houellebecq même de la recherche formelle qui marque des textes comme Penser / / classer de Georges Perec. 32 Houellebecq: La carte et le territoire, Paris, 2010, 141. 33 Ibid., 141. 34 Ibid., 142. 35 Ibid., 143. 36 Néanmoins, il faut le dire, Robbe-Grillet se sert de Balzac dans sa collection d’essais Pour un nouveau roman pour s’opposer aux romans de Jean-Paul Sartre, surtout à La nausée, car selon lui, ces romans existentialistes ne peuvent pas être considérés comme des fictions, mais comme des romans à thèse. 37 Stephen Daedalus explique sa position - et non pas sa théorie - esthétique et son concept de l’‘epiphany’ la première fois après avoir entendu une conversation simple d’un couple amoureux (The portrait, chapitre 4) et la déploie encore plus précisément en discutant le statut d’une chaise pour la connaissance de l’homme („Is a chair finely made tragic or comic? “ (idem, chapitre 5). Voir aussi Zack Bowen: „Joyce and the Epiphany Concept: A New Approach“, dans: Journal of Modern Literature, Vol. 9, N° 1 (1981-1982), 103-114 et John McGowan: „From Pater to Wilde to Joyce: Modernist Epiphany and the Soulful Self“, dans: Texas Studies in Literature and Language, Vol. 32, N° 3, Artistic Tensions: Tradition, Society, Memory, and Gender (FALL 1990), 417-445. 38 Voir surtout l’essai Balzac et la réalité de Michel Butor, publié pour la première fois en 1959, puis intégré dans la collection d’essais Répertoires I en 1960. 39 Voir p. ex. Emily Zants: „The Relation of Epiphany to Description in the Modern French Novel“, dans: Comparative Literature Studies, Vol. 5, N° 3 (Sept. 1968), 317-328. 18 Dossier Wolfgang Asholt Une littérature de risques ou les risques de la modernité? A propos du premier roman de Michel Houellebecq Extension du domaine de la lutte „La littérature de l’étrange, de l’horreur et du surnaturel lance un tonitruant NON au monde tel qu’il est et à la réalité telle que le monde voudrait qu’elle soit.“ 1 (Stephen King) En 1994 paraît le premier roman de Michel Houellebecq, Extension du domaine de la lutte (EdL), chez Maurice Nadeau et en 1998 son deuxième roman, Les particules élémentaires (PE), chez Flammarion. Si encore dans cette année même paraît un article consacré à l’auteur et à son œuvre dans la revue de référence en sciences humaines qu’est Le Débat, introduit par un commentaire de la rédaction, donc de Pierre Nora lui-même, c’est un signe qu’il ne s’agit pas d’un début romanesque ordinaire. Houellebecq semble avoir réussi à se faire remarquer par l’opinion publique à un tel degré que cela vaut la peine pour cette revue de lui consacrer un article et ce faisant à la littérature: „Il arrive que la littérature en dise plus sur l’esprit du temps et sur le mouvement de la société que bien des ouvrages de sociologie. Ce qui justifie qu’une revue, dont l’objet n’est ni la littérature ni la critique littéraire, en traite, à sa manière. Le Débat“ 2 Ecrire en tant que revue de sciences humaines en 1998 „Il arrive que…“, donc accorder à la littérature un savoir de/ sur la société qui va plus loin ou voit plus clair que les disciplines respectives, donc „histoire, politique, société“, sous-titre du Débat, fut à ce moment plus exceptionnel (ou plus anachronique) que ce ne l’est aujourd’hui. Paul Ricœur avait déjà constaté au cours des années 1980 concernant les relations entre littérature et histoire: „l’intentionnalité historique ne s’effectue qu’en incorporant à sa visée les ressources de fictionnalisation relevant de l’imaginaire narratif, tandis que l’intentionnalité du récit de fiction ne produit ses effets de détection et de transformation de l’agir et du pâtir qu’en assumant symétriquement les ressources d’historicisation que lui offrent les tentatives de reconstruction du passé effectif.“, pour en tirer la conclusion: „Le quasi-passé de la fiction devient ainsi le détecteur des possibles enfouis dans le passé effectif“, 3 mais à ce moment l’idéal de l’autonomie et de l’autoréférentialité régnait encore à tel point dans les études littéraires que la littérature même ne voulait pas reconnaître ses propres capacités et c’est encore partiellement le cas une dizaine d’années plus tard, quand paraît la critique du Débat. Depuis le début des années 2000, la situation semble changée. Il me semble significatif qu’en 2008 les sociologues et géographes David Lewis, Dennis Rodgers et Michael Woolcock (London School of Economics et Banque mondiale) aient pu publier un article voulant 19 Dossier montrer que la littérature peut avoir un savoir spécifique sur leurs sujets scientifiques. Dans leur article, „The Fiction of development: Literary representation as a source of authoritative knowledge“, qui a eu un certain retentissement, ils arrivent à la conclusion: „Many of the fictional accounts of developmental-related issues which exist […] may sometimes do a ‘better’ job in conveying complex understandings of development in certain respects.“ 4 Et les débats autour de la conception des études littéraires comme sciences de la vie (Literaturwissenschaft als Lebenswissenschaft), lancés depuis 2007 par un article d’Ottmar Ette 5 ont montré que la littérature possède une capacité extraordinaire de développer un tel savoir, comme en témoigne aussi dernièrement d’une autre manière le livre de Dominique Rabaté: Le roman et le sens de la vie. Je vais revenir à cette perspective dans l’appréciation du roman de Houellebecq. 6 Il est donc de nouveau possible de proclamer que la littérature en dit plus sur l’esprit du temps et sur le mouvement de la société que bien des ouvrages de sociologie ou d’histoire. Cette découverte de la compétence et du savoir de la littérature par la critique littéraire est précédée par des changements importants dans le champ littéraire en France. Il est caractéristique que nombre de travaux ont été consacrés depuis une quinzaine d’années aux changements intervenus dans le champ romanesque à partir du début des années 1980, constatant un „retour au récit“, et après les „jeux formels“ des années 1960 et 1970 se manifeste de nouveau un intérêt pour le „réel“ qui avait déserté la littérature. De l’autre côté, on observe le phénomène que depuis la parution des PE, les études consacrées à Houellebecq augmentent presque exponentiellement. 7 Il est cependant significatif que les études consacrées aux changements littéraires des trente dernières années ne s’occupent qu’anecdotiquement ou de manière marginale et parfois plutôt gênée de Houellebecq et que les travaux consacrés à Houellebecq n’essaient presque jamais de le situer dans les champs romanesques de son époque. Il en résulte que la singularité de l’auteur et de son œuvre est ainsi soulignée des deux côtés, ce qui ne peut que servir la stylisation de l’auteur comme figure de scandale et de son œuvre comme scandaleuse et hors des mesures valables pour le reste de la littérature. Et pourtant, ce que Le Débat soulignait comme l’exceptionnalité de Houellebecq (Il arrive que…) représente plutôt une tendance générale du roman contemporain qu’il ne renvoie à une singularité de l’œuvre romanesque de notre auteur. Si Dominique Viart distingue dans sa Littérature française au présent trois courants majeurs dans le roman contemporain (Les écritures de soi; Ecrire l’histoire; Ecrire le monde) et si le troisième courant est fortement imprégné par ce qu’il appelle „Ecrire le réel“, Houellebecq participe certainement à cette tendance, même si les pages qui lui sont consacrées sont réunies sous le titre „Cyniques, pamphlétaires et imprécateurs“. 8 Si le narrateur de l’EdL est désigné par Viart comme „observateur désabusé d’un monde dominé par le matérialisme économique et régi par des rapports de consommation“ et si celui-ci „constate que le sexe a pris la place du sentiment“ 9 il est clair que ce narrateur décrit le monde et que c’est une écriture du réel, indépendamment de l’exactitude de l’observation et de la vérité, notion reven- 20 Dossier diquée par Houellebecq, et qu’il présente un constat concernant l’esprit du temps et le mouvement de la société (Le Débat). Le diagnostic par ce narrateur d’une société de plus en plus et incurablement malade est partagé par nombre de narrateurs d’autres auteurs romanesques (voir „Le réel malade“ chez Viard 10 ). Viard voit la spécificité de Houellebecq dans son „cynisme“, mais il n’est pas sûr que ce cynisme ne cache pas une certaine sentimentalité et une tendance à l’autocompassion. La singularité de Houellebecq est donc moins à voir dans une lucidité exceptionnelle vis-à-vis de notre époque - d’autres découvrent un esprit du temps analogue et constatent une perspective analogue du mouvement de la société. Ce qui fait de Michel Houellebecq un cas exceptionnel de la littérature contemporaine est plutôt l’amalgame de la dimension sociale avec celle de la sexualité, développant une perspective inconnue ou étonnante sur la vie quotidienne d’aujourd’hui et un amalgame de postures romanesques, esthétiques et quasi-philosophiques souvent inconciliables qu’il serait inadéquat de décrire par des formules comme l’intertextualité. Je vais donc dans une première phase me consacrer à la dimension sociale du premier roman de Houellebecq pour analyser ensuite les postures littéraires développées par cette œuvre pour voir finalement si elle nous donne accès à un savoir de la vie (quotidienne) peu ou pas abordé dans le reste de la littérature et les sciences humaines et en quoi consiste le scandale (littéraire, esthétique et moral) déclenché par ce roman. 1. Cynisme social ou en dire plus que la sociologie? Nombre de chapitres des trois parties du roman sont partiellement ou intégralement consacrés à la situation sociale contemporaine, même s’il s’agit d’un milieu finalement limité: le monde des cadres moyens des entreprises informatiques (vente et après-vente). Le choix de ce milieu spécifique présente deux avantages: en situant son narrateur dans ce milieu professionnel, l’auteur peut se référer à ses propres connaissances, ce qui a pour conséquence un narrateur homoet parfois autodiégétique, et du côté de la réception, les lecteurs de 1994 apprécient ce milieu à juste raison comme celui de l’avenir, lui accordant ainsi une certaine représentativité. La plupart des chapitres abordant la situation sociale contemporaine se situent dans ce monde professionnel spécifique, partiellement déjà avec le chapitre d’ouverture, 11 mais largement à partir du chapitre 4 de la première partie („Bernard, oh Bernard“). Souvent avec des chapitres consacrés à des cas individuels qui en plus portent en général les noms des collègues de travail d’Houellebecq dans la section informatique du ministère de l’agriculture, ce qui renforce l’ambiguïté entre les narrateurs autoet homodiégétiques, le narrateur crée l’illusion d’une synthèse sociale de ce milieu. Le chapitre dédié à Bernard montre l’informaticien qui s’identifie complètement avec son travail; celui qui porte le titre „Catherine, petite Catherine“ (chap. 7) en donne la version féminine qui en plus est 21 Dossier sexuellement frustrée, et le troisième chapitre avec un nom réel, „Les degrés de liberté selon J.-Y. Fréhaut“ (chap. 10) aborde l’idéologie d’un monde complètement informatisé, rendant possible une infinité d’interconnexions et donc „le maximum de libertés“ (46). Il est à noter que le narrateur appelle un chat un chat: il utilise les noms de personnes que Houellebecq a réellement rencontrées dans son travail et n’hésite pas, par exemple avec Catherine Lechardoy, à évoquer des détails physiques désavantageux („En plus des dents gâtées elle a des cheveux ternes […] Pas de seins ni de fesses perceptibles. Dieu n’a vraiment pas été très gentil avec elle.“ (33)) et à montrer toute l’étendue de sa solitude sociale et sentimentale. Ces situations sociales individualisées sont complétées et élargies par des chapitres consacrés à des réunions de travail, produisant une image tout aussi désastreuse mais plus représentative. Qu’il s’agisse d’une réunion au ministère de l’agriculture (chap. 9), des pots de départ d’un collègue (chap. 10 et chap. 11) ou d’une réunion à la direction départementale de l’agriculture, chaque fois la pauvreté du niveau des sujets abordés et de leur discussion est à la hauteur de l’insipidité des personnages présents. Le cas de figure emblématique, à côté de Catherine Lechardoy, est celui de Raphaël Tisserand, la figure centrale de la deuxième partie du roman, présenté aussi bien de manière individualisée que lors de réunions de travail, et dont la vie, les échecs et le quasi-suicide personnifient le théorème de l’extension du domaine de la lutte vers la vie sexuelle. En général, la réalité sociale se réduit au monde du travail, à l’exception du narrateur. En ce qui le concerne, nous le rencontrons à plusieurs moments brièvement dans la quotidienneté de sa vie privée, souvent le dimanche („Plus tard dans la soirée, ma solitude devint douloureusement tangible“ (13) ou „La journée était douce, mais un peu triste, comme souvent le dimanche à Paris […]“ [147]). Ce quotidien privé se situe surtout dans la troisième partie du roman, car le protagoniste-narrateur ne travaille plus. Le décalage temporel entre l’avant-dernier et le dernier chapitre du roman n’a pas la même valeur que celui à la fin de L’Education sentimentale, mais le fait que, sur la vie du narrateur entre la sortie, un 26 mai, de la clinique psychiatrique à la fin du chapitre 5 („Pour le reste c’était, désormais, à moi de me prendre en charge.“ [175]) et le début du chapitre 6: „Le 20 juin de la même année, je me suis levé à six heures“ (176), nous n’apprenons littéralement rien, confirme qu’une vie privée en tant que telle n’existe pas; à une exception près. Cette exception est liée au séjour dans l’hôpital de Rouen après l’accident de la péricardite qui a lieu après un week-end passé dans la ville normande (voir plus bas). L’ouvrier qui partage la chambre d’hôpital du narrateur et qui reçoit la visite de sa femme présente l’exemple d’une autre vie, certes anachronique et seulement encore possible en province: „J’ai vu sa femme, elle avait l’air très gentille; ils en étaient même touchants, de s’aimer comme ça, à cinquante ans passés.“ (90). Le narrateur vit pour la première fois dans une sorte de communauté: „je voyais les gens autour de moi qui bavardaient, qui se racontaient leurs maladies avec cet intérêt fébrile, cette délectation qui paraît toujours un peu indécente à ceux qui sont en bonne santé; je voyais aussi leurs familles, en visite.“ (89). Bref, l’hôpital 22 Dossier se révèle être un lieu exemplaire de communication sociale, et les adieux entre l’ouvrier et le narrateur, qui peut enfin quitter l’hôpital pour rentrer à Paris, sont presque touchants. Qu’une vie sociale ‘normale’ ne puisse plus avoir lieu qu’à l’hôpital, au moins pour le protagoniste, en dit presque plus long sur sa situation sociale que ses expériences professionnelles ou privées. Et l’hôpital, où tout est pris en charge („il abdiquait toute volonté, il déposait son corps, ravi, entre les mains de la science. Du moment où tout était organisé.“ (90)) représente en même temps une préfiguration de la société future des PE, résolvant les contradictions individuelles et sociales. Le contre-modèle social de l’hôpital, qui en relativise la représentativité, se situe aussi à Rouen. C’est d’un côté la mort d’un client dans le libre service des Nouvelles Galeries, une mort peu digne qui n’empêche pas que les affaires continuent et quand le mort est sorti du magasin, il ressemble à une marchandise enveloppée. Cette perspective économique est généralisée sur le plan social et urbanistique dans le chapitre dédié au „Jeu de la Place du Vieux-Marché“ (Deuxième partie, chap. 3), un samedi après-midi. Le champ sémantique „observer - observation“ plusieurs fois répété montre que le narrateur entreprend une enquête sur le terrain. Le constat est sans appel: non seulement „Tout est sale, crasseux, mal entretenu, gâché par la présence permanente des voitures, le bruit, la pollution.“ (79), pire encore: „J’ai observé ensuite que tous ces gens semblent satisfaits d’eux-mêmes et de l’univers; c’est étonnant, voire un peu effrayant. […] „ tous communient dans la certitude de passer un agréable après-midi, essentiellement dévolu à la consommation, et par là même de contribuer au raffermissement de leur être.“ (81) Il n’est pas étonnant que le narrateur observe aussi sa différence par rapport à ce comportement collectif, régi par la marchandisation des relations humaines. Mais vu sa propre situation, cette observation renforce encore le constat de vivre dans une société sans perspective et sans issue: la réaction individuelle est la péricardite du lundi suivant, donc une maladie quasi-bénigne, accompagnée des symptômes d’un infarctus. Aussi bien l’individu que la société représentent donc tous les symptômes d’une maladie généralisée, et, à la différence de la péricardite, ce n’est pas une maladie dont on ne peut pas mourir. Cette pathologie sociale et individuelle renvoie implicitement au modèle du naturalisme zolien et à sa base „scientifique“ de la médecine expérimentale. Bien sûr, Houellebecq ne veut pas écrire l’histoire d’un individu (sans famille! ) sous la Cinquième République de la dernière décade du XX e siècle, mais la pathologie généralisée nous montre une société non moins malade que celle décrite par Zola, un siècle et demi plus tôt. Les phénomènes sociaux évoqués par le narrateur ne sont certes pas inconnus pour les „ouvrages de la sociologie“. Mais c’est le style de Houellebecq, ce que j’ai appelé ces postures littéraires, accompagné d’une attitude qui se veut cynique, qui en souligne la dimension désespérée et sans issue, rendant possible que „le quasi-présent de la fiction devient ainsi le détecteur des possibles enfouis (voir plus haut) dans le présent effectif“, pour citer une nouvelle fois Paul Ricoeur. 23 Dossier 2. Un style scandaleux ou la mise en scène de la marginalité? 2.1. La question des références intertextuelles De nombreuses références ont été évoquées en comparaison avec l’EdL. C’est probablement Olivier Bardolle qui va le plus loin en posant la question de ce qu’il y a dans la littérature française après Proust et Céline pour donner la réponse: „il [Houellebecq] est le seul lisible après Proust et Céline […] Lui seul reflète l’époque avec la même justesse que Proust et Céline en leur temps, jusqu’à l’incarner.“ 12 Et c’est certainement Thomas Hübener (dans une thèse de presque 500 pages consacrée uniquement à l’EdL) qui trouve le plus de références intertextuelles (par exemple: „Georg Büchners Lenz und die Ausweitung der Kampfzone“). La gratuité de telles comparaisons est illustrée par l’étude de Sabine van Wesemael, Michel Houellebecq. Le plaisir du texte, qui compare les romans de notre auteur non seulement au Fin de siècle mais aussi à Constant, à Freud, à Fuentes ou à Loti pour en tirer la conclusion que „Le plaisir du texte [est] le plaisir du rire“, 13 mais on est loin de l’interpénétration de la littérature et de la théorie littéraire dans l’intertexte de Roland Barthes. 14 Toutes ces tentatives d’établir l’intertextualité de l’œuvre de Houellebecq sont plutôt un symptôme du malaise provoqué par ses textes qu’une grille de lecture, permettant une interprétation à partir de références historiques. C’est bien différent dans l’article de Jörn Steigerwald, „(Post-)Moralistisches Erzählen: Michel Houellebecqs Les particules élémentaires“, qui donne une nouvelle perspective aux études sur Houellebecq en établissant dans le deuxième roman non seulement une référence implicite aux modèles du moralisme classique mais aussi une refondation de l’écriture moraliste, partiellement déjà décelable dans EdL. 15 Et, presque exclusivement consacré à notre roman, l’article de Heinz Thoma, „‘Amertume’. Postmoderne und Ressentiment im Werk von Michel Houellebecq (mit Seitenblicken auf Vorläufer: Huysmans, Céline, Drieu La Rochelle)“, montre que le grand roman du Fin de siècle, A Rebours de Joris K. Huymans, représente un modèle privilégié des observations et des expérimentations du narrateur-protagoniste d’EdL, et que ce roman participe en même temps à la tradition de l’„amertume“ romanesque, de Drieu la Rochelle (Gilles), en passant par le Céline du Voyage jusqu’au Camus de L’Etranger. Quelque cinquante ans après le roman de Camus, l’amertume et la dépression du protagoniste-narrateur réagissent donc au phénomène de la modernisation qui avait déjà déclenché l’amertume, parfois cynique, des écrivains de la fin du XIX e et de la première moitié du XX e siècle. Mais là où ceux-ci dégageaient les premiers signes des conséquences sociales et psychiques d’un capitalisme brutal, le héros de Houellebecq nous confronte avec les conséquences désastreuses d’une omniprésence du capitalisme néolibéral tout en ne pouvant pas quitter ou dépasser cette situation sociale, ce qui mène Thoma à parler d’une „latenter Komplizenschaft mit der Gesellschaft, gegen die er opponiert.“ 16 24 Dossier Un autre intertexte implique des dimensions stylistiques aussi bien qu’éthiques et sociales. Une première fois au début de la deuxième partie („Aux approches de la passe de Bab-el-Mandeb…“ (59)) et plus tard dans une fiction animalière, le narrateur se sert du modèle du Maldoror de Lautréamont. 17 Dans son livre sur Lovecraft, Houellebecq mentionne Lautréamont, dont le héros maléfique et malheureux est devenu une figure emblématique de la littérature moderne et dont l’œuvre fut redécouverte par les surréalistes. Le passage d’ouverture cité ne mentionne pas seulement les requins qui sont au centre du Deuxième Chant de Maldoror, à „un affleurement rougeâtre“ (59) chez Houellebecq correspond aussi „la surface de la crème rouge“ chez Lautréamont. 18 Le passage de EdL se termine dans une allusion aux „beaux comme“ de Lautréamont qui sera reprise plus explicitement plus tard („Heureusement, par une singulière compensation du ciel, le temps est toujours beau, excessivement beau, et l’horizon ne se départi jamais de cet éclat surchauffé et blanc que l’on peut également observer dans les usines sidérurgiques, à la troisième phase du traitement du minerai de fer“ (59/ 60). 19 Le „roman“ de Lautréamont commence avec un „Plût au ciel“ et son Chant Premier trouve son apogée dans une salutation-éloge du vieil océan; les analogies entre le texte et son hypotexte sont donc nombreuses. Mais l’hypotexte concerne aussi les réflexions philosophiques et esthétiques des „Fictions animalières“. Distribuées de manière systématique (une par partie) dans le roman de Houellebecq, elles correspondent aux récits qui rythment les Chants chez Lautréamont, par exemple celui du grand discours de Maldoror dans le Chant Deuxième, ou le discours de la folle dans le Chant Troisième, qui lit un manuscrit retrouvé par hasard comme c’est le cas pour la fiction animalière des Dialogues d’un teckel et d’un caniche dans EdL, un récit intercalé d’EdL qui développe le théorème de la sexualité comme système de hiérarchie sociale. 20 Au début de cette fiction, pour souligner encore plus cette analogie, le narrateur au deuxième degré qu’est celui qui a écrit ce manuscrit n’évoque pas seulement sa propre „poitrine“, mais surtout la beauté des „deux globes ocracés constituant une poitrine déjà plus que naissante“ (98) d’une jeune femme, évoquant ainsi une des comparaisons de Lautréamont devenus proverbiales: „beau comme la loi d’arrêt de développement de la poitrine chez les adultes“. 21 Le protagoniste homodiégétique de Lautréamont qui s’adresse au début de son texte de la même manière à ses lecteurs que celui d’Houellebecq (dans le chapitre 3 qui devait originellement ouvrir le roman), représente selon moi un des modèles du narrateur-protagoniste de l’EdL. Héros maudit comme Maldoror, qui va cependant beaucoup plus loin dans sa mise en question du monde et de la société, se révoltant autant contre Dieu qu’il hait autant les hommes, le protagoniste de l’EdL vit dans une société sécularisée et post-religieuse. Il ne peut donc plus que constater l’absurdité de toute révolte et trouver un dernier refuge dans l’amertume et le cynisme. 22 Mais le protagoniste-narrateur d’Houellebecq est un Sous-Maldoror: il souffre plutôt du mal jusqu’à s’identifier avec lui, mais il n’en devient pas le représentant dépassant les limites comme le protagoniste de Lautréamont. Et ce 25 Dossier manque de véritable transgression a des conséquences stylistiques: la poésie de la cruauté devient la morne cruauté du quotidien et la fantasmagorie se transforme en amertume résignée. Là où Maldoror acceptait les risques de la modernité et les poussait à l’extrême, le héros d’Houellebecq les accepte comme inévitables et trouve un refuge dans la maison de repos psychiatrique. 2.2. Le siècle du positivisme comme référence théorique? Dominique Noguez a raison de souligner que „la seule référence stylistique explicite de Michel Houellebecq à un autre auteur concerne l’inventeur de la médecine expérimentale“: 23 „Cette phrase est digne de Claude Bernard, et je tiens à la lui dédier.“ (108). L’apologie suivante du „savant inattaquable“, mentionnant entre autre l’importance de l’observation 24 et celle du „protocole expérimental qu’avec une rare pénétration en 1865 tu [Claude Bernard] définissais“ (108), n’attire pas seulement l’attention par ses exagérations ironiques. En proclamant ne rien vouloir faire „qui puisse si peu que ce soit abréger la durée de ton [Claude Bernard] règne“ (108), le narrateur évoque presque plus qu’implicitement Le Roman expérimental (1880) de Zola, où celui-ci se réfère avec le même enthousiasme au grand médecin que le prétend Houellebecq. Il y a donc chez lui (ou chez son narrateur) un jeu avec la conception du naturalisme zolien et comme chez Zola, le roman doit aussi représenter une recherche sociologique. Dans ce sens-là, Rita Schober avait raison de poser la double question „Renouveau du réalisme? Ou de Zola à Houellebecq? “ 25 Comme nous le savons, c’est Zola qui a introduit les protocoles expérimentaux dans la littérature et tout en supposant que Houellebecq ne procède pas de la même manière, il ne renonce pas pour autant à un diagnostique „scientifique“ de la société de son époque. Ceci est confirmé par son appréciation du positivisme de Comte, comme en témoigne l’article cité qu’il lui a consacré. Indirectement, par l’intermédiaire de Taine, beaucoup plus lu et apprécié par Zola, le naturalisme de Zola témoigne donc de l’influence de Comte, et „Il n’en demeure pas moins que Zola, sans trop s’être donné la peine de consulter les textes, n’a pas hésité à se réclamer du positivisme en plusieurs occasions.“ 26 L’éloge de Comte et du positivisme par Houellebecq concerne aussi bien „la disparition de la métaphysique“ que „l’établissement de la religion“, titres des deux parties des „Préliminaires au positivisme“. Houellebecq, tout en appréciant Comte, lui atteste une erreur d’appréciation historique qui pourrait aussi valoir pour Zola: „Considérant comme acquis le passage à l’état positif des sciences de la matière et de la vie, Comte se proposait de l’étendre aux sciences sociales; toute sa philosophie n’est en somme rendue possible que par une gigantesque erreur d’appréciation historique.“ 27 Sans beaucoup exagérer, on peut supposer qu’un siècle et demi plus tard, Houellebecq tient le passage à l’état positif pour envisageable dans les sciences sociales, et son œuvre doit contribuer à progresser dans cette perspective, 28 une entreprise comparable au programme du naturalisme zolien. 26 Dossier Sans y être le moins du monde obligé, Houellebecq se sert du double modèle de la scientificité d’Auguste Comte et de Claude Bernard et renvoie donc clairement au contexte du naturalisme. D’un côté, c’est certainement par provocation, en se servant d’un modèle maintes fois condamné comme anachronique au cours du XX e siècle. Mais d’autre part, et les deux aspects sont liés, il proteste avec cette référence contre le modèle présenté comme dominant dans la littérature contemporaine: „Le roman finit par se tourner vers sa seule, son ultime planche de salut: l’„écriture“. Et il en donne son appréciation directement après: „Par exemple, dans une conversation littéraire, lorsque le mot d’„écriture“ est prononcé, on sait que c’est le moment de se détendre un peu.“ 29 La référence (ironique? ) au positivisme sert donc à se „marginaliser“ encore plus dans le champ littéraire d’aujourd’hui. Mais malgré les professions de foi (positiviste), l’optimisme positiviste (partagé par le naturalisme de Zola) s’est transformé en amertume et cynisme, au moins dans l’EdL. 2.3. Un roman „théorique“ ou une „théorie“ du roman? La théorie romanesque d’Houellebecq et ses conséquences stylistiques Houellebecq développe à de nombreuses occasions sa propre théorie romanesque. Dans le premier texte (qui sert d’introduction) du volume Interventions, réunissant des articles et des interviews, il donne son appréciation générale du roman: „Isomorphe à l’homme, le roman devrait normalement pouvoir tout en contenir.“ et ce „tout“ comprend aussi bien ce „qu’il faut bien - faute d’un meilleur terme - qualifier de [questions] philosophiques“ que la théorie en général: „Les „réflexions théoriques, par conséquent, m’apparaissent comme un matériau romanesque aussi bon qu’un autre; et meilleur que beaucoup d’autres. Il en est de même des discussions, des entretiens, des débats…“ 30 Et dans un entretien avec Valère Staraselski il précise sa méthode: „J’ai l’impression qu’on peut procéder par injection brutale dans la matière romanesque de théorie et d’histoire.“ 31 Cette „brutalité“ qui déclare directement ses intentions, caractérise aussi les réflexions métalittéraires ou théoriques intercalées dans EdL. Cela concerne les „fictions animalières“, une sorte de réécriture de dialogues philosophiques et de fables didactiques, qui sont introduits sans aucune contextualisation: le lecteur doit se débrouiller avec cette séquence hétéroclite et dérangeante. Mais cela concerne aussi les autoqualifications génériques. Quand le narrateur déclare dans le troisième chapitre de la Première partie: „Les pages qui vont suivre constituent un roman; j’entends, une succession d’anecdotes dont je suis le héros. Ce choix autobiographique n’en est pas réellement un: de toute façon, je n’ai pas d’autre issue.“ (18/ 19), on ne voit pas trop en quoi ce qui suit se distingue de ce qui précède concernant leur statut romanesque. Qualifier le genre comme „autobiographique“ est d’une importance autrement importante. En premier lieu, c’est le narrateur, jusque là homodiégétique, mais maintenant s’autoqualifiant d’autodiégétique, qui revendique une sorte de „pacte autobiographique“. 32 Mais peut-on être sûr que c’est le moi du narrateur qui parle ou est-ce qu’il ne s’agit pas (au moins partiellement) d’une autofiction impliquant 27 Dossier l’auteur? 33 Cette ambiguïté voulue par l’auteur est une des raisons du „scandale“ déclenché par le roman, scandale renforcé par le fait que l’auteur Houellebecq partage les opinions de son protagoniste et fait des déclarations qui reprennent les propos de celui-ci. Le narrateur interrompt cependant assez rapidement le début du récit autobiographique („Je viens d’avoir trente ans. etc. (19)), pour exposer sa théorie romanesque, d’abord par la négative („Mon propos n’est pas […] Je n’ambitionne pas […] On ne me comptera pas […] pure foutaise.“ (20), et ensuite positivement, indiquant ainsi au lecteur ce qui l’attend et comment il veut être lu. „Pour atteindre le but, autrement philosophique, que je me propose, il me faudra au contraire élaguer. Simplifier. Détruire un par un une foule de détails.“ (21) Cette simplification ne concerne pas seulement le style (voir plus bas) mais aussi l’argumentation ou pour le dire avec les mots d’Houellebecq, l’“injection brutale dans la matière romanesque de théorie et d’histoire“. Le passage lui-même est un exemple de ce procédé: l’auteur ne proclame pas seulement une certaine „théorie“ romanesque: il la pratique de manière performative. Ce procédé emprunté aux avant-gardes historiques donne au texte un arrière-fond de manifeste provoquant sinon les lecteurs au moins une partie de la critique littéraire. Mais la combinaison de la dimension autobiographique avec celle de la „théorie“ montre aussi que pour le narrateur (pour l’auteur? ), la littérature dispose d’un savoir de la vie qui dépasse la simple observation; une des justifications données pour la „simplification“ est le fait que „Les relations humaines deviennent progressivement impossibles, ce qui réduit d’autant la quantité d’anecdotes dont se compose une vie.“ (21). Le savoir de la vie influence donc le style de la narration. Une autre parenthèse métalittéraire aborde les questions du style proprement dit. A propos de „l’effacement des relations humaines“ (auquel il semble beaucoup tenir), le narrateur pose la question de savoir comment le roman doit réagir à cette situation nouvelle - nous avons vu (2.1., Thoma) que cette découverte n’est pas si originelle que ça. La solution est pour ainsi dire „simple“: „La forme romanesque n’est pas conçue pour peindre l’indifférence, ni le néant; il faudrait inventer une articulation plus plate, plus concise et plus morne.“ (49) Dominique Noguez 34 a bien remarqué que cette „indifférence“ pourrait rapprocher Houellebecq de ce que Barthes a appelé une „écriture blanche“, mais Houellebecq est à l’opposé de cette notion, pas seulement à cause de son aversion pour le concept d’“écriture“. „Le style de l’absence qui est presque une absence idéale de style“ 35 constate Barthes qui voit „inaugurée“ l’écriture blanche par Camus. Cette écriture ne peut pas convenir à Houellebecq parce qu’il en résulterait une certaine homogénéité, inacceptable pour lui. Dans son Lovecraft, il souligne l’extravagance stylistique de l’auteur qui se manifeste surtout dans les „passages d’explosion stylistique“. 36 Et c’est la combinaison de simplification et d’injection brutale qui produit les „explosions“ qui caractérisent le style de Houellebecq. S’il recommande dans l’introduction, qualifiée de „méthode“ de Rester vivant, „Mettez le doigt sur la plaie, 28 Dossier et appuyez bien fort. […] Soyez abjects, vous serez vrai.“, 37 il donne donc une (auto-)appréciation de son style. Une autre particularité stylistique, directement liée avec ce qu’Houellebecq appelle „théorie et histoire“ est la présence des résultats de l’observation dans la forme de ce que Noguez, à l’exemple de la récurrence de l’expression „en fait“, désigne ainsi: „C’est en quoi on pourrait dire que l’œuvre de Michel Houellebecq est un immense „en fait“ tantôt de désublimation, tantôt de certitude attristée - mais instituant, dans tous les cas, un discours de vérité.“ 38 Ce sont les „faits“ dont le statut dans une fiction ne semble pas se distinguer des faits dans la vie réelle, qui doivent „conduire à une zone de vérité“. Mais ce ne sont pas n’importe quels faits. Dans la perspective indiquée par la référence à Maldoror, ce sont les faits qui dérangent et qui montrent les points faibles de la société, ce qu’on aurait appelé les contradictions antagonistes: „Toute société a ses points de moindre résistance, ses plaies. Mettez le doigt sur la plaie, et appuyez bien fort. Creusez les sujets dont personne ne veut entendre parler. […] Soyez abjects, vous serez vrai.“ 39 Chez Lautréamont, mettre les doigts dans les plaies rend possible la poésie du mal, chez Houellebecq les plaies garantissent un factualisme qui est la condition nécessaire de l’objectivité et du discours de vérité revendiqués. Dans cette perspective aussi, Houellebecq semble jouer le jeu du positivisme tant apprécié et se situe au centre des „questions du réalisme d’aujourd’hui“. 3. Où est le scandale? Jochen Mecke a distingué dans une étude consacrée à Houellebecq, qu’il apprécie comme figure de proue du „social dans tous ses états“, un „style de l’indifférence“ de „l’indifférence du style“. Il ne critique pas seulement Houellebecq pour faire perdre au „roman sa position privilégié d’observateur de la société“, donc l’autonomie acquise au XIX e siècle, il lui reproche aussi „un mépris affiché pour le travail de la forme en général“. Je crois avoir montré qu’il s’agit beaucoup plus d’un mépris affiché qui veut provoquer la critique littéraire que d’une véritable absence du travail de la forme. Et les analyses précédentes montrent aussi que le „Ecrire le réel“ de Houellebecq fait seulement semblant de „se référer de manière directe à la réalité“ et d’entreprendre une „intervention directe dans le champ social“. 40 Le savoir littéraire de la vie peut bien jouer dans la tradition des avant-gardes historiques avec la limite distinguant l’art et la vie. Mais l’enseignement de cette grande tentative de reconduire l’art dans la vie, comme l’a formulé Peter Bürger, a été l’impossibilité d’une transgression réelle et durable de cette limite. Houellebecq, il est vrai, joue d’une manière provocante avec cette limite, surtout en se référant au positivisme et, au moins indirectement, à un naturalisme tenu pour historiquement dépassé. Mais que ce soit son (post-)moralisme, déjà sensible dans ce premier roman, ses références au courant romanesque de l’indifférence ou l’instrumentalisation du Maldoror de Lautréamont pour son narrateur-protago- 29 Dossier niste autobiographique: tous ces procédés littéraires montrent un travail sur la forme qu’on peut tenir pour un échec mais dont on ne devrait pas contester l’existence et, vu la réception, un certain succès. Dans ses conseils pour apprendre à devenir poète, Houellebecq recommande: „Au sujet de la forme, n’hésitez jamais à vous contredire. Bifurquez, changez de direction autant de fois que nécessaire.“ 41 C’est cette auto-contradiction, cette coincidentia oppositorum, pratiquée d’une toute autre manière par le dadaïsme, qui dérange la littérature et la critique littéraire jusqu’à faire de Houellebecq un auteur scandaleux. Est-ce qu’il nous en dit dans l’Extension du domaine de la lutte „plus sur l’esprit du temps et sur le mouvement de la société que bien des ouvrages de sociologie“ comme le suggérait la rédaction du Débat? Peut-être dans le sens de la devise de Stephen King, en l’appliquant à l’œuvre de l’auteur auquel il se réfère. A de nombreuses occasions, Houellebecq revendique un refus radical du monde tel qu’il est et ce rejet en bloc de la société d’aujourd’hui n’est peut-être pas original en soi, mais sa véhémence étonne et surprend. Il constate donc l’échec du projet de la modernité dont les risques l’ont emporté complètement sur les promesses. 42 Cela ne veut pas dire que l’EDL nous en dise plus sur l’esprit du temps, mais en tout cas, Houellebecq le dit autrement et avec une telle intensité qu’il a réussi maintenant à faire partie de cet „esprit du temps“, sans pourtant pouvoir ou vouloir le transformer. Revendiquer une telle „action directe“ dans le champ social, serait en demander trop au savoir et au pouvoir de la littérature, mais réussir à faire remarquer ce refus est peut-être le maximum de ce qu’on peut demander à une œuvre littéraire aujourd’hui. 43 1 Stephen King: „Préface“, dans: Michel Houellebcq: H.P. Lovecraft. Contre le monde, contre la vie, Eds. Du Rocher 2005, s. p. (p. X). 2 Pierre Varrod: „De la lutte des classes au marché du sexe. A propos de Les Particules élémentaires de Michel Houellebecq“, dans: Le Débat n° 102 (nov./ déc. 1998), 182-190; ici 183. 3 Paul Ricoeur: Temps et récit. Le temps raconté, Seuil Points Essais 1995, 185 et 347. 4 Lewis, David/ Rodgers, Dennis/ Woolkock, Michael: „The Fiction of development: Literary representation as a source of authoritative Knowledge“, dans: Journal of Developmental Studies 2 (2008), 198-216; ici: 208-209. 5 L’article et (une partie de) la discussion ont été publiés dans: Wolfgang Asholt/ Ottmar Ette: Literaturwissenschaft als Lebenswissenschaft. Programm - Projekte - Perspektiven, Tübingen: Narr 2010 (edition lendemains n° 20). 6 Dominique Rabaté: Le roman et le sens de la vie, José Corti 2010. 7 Le catalogue de la BnF n’énumère pas moins de trente publications indépendantes (monographies et œuvres collectives) dont la plupart ont paru depuis 2005. Pas moins de cinq ont été publiées en Allemagne, dont une thèse de pas moins de 476 pages consacrée exclusivement à L’Extension du domaine de la lutte: Thomas Hübener: Maladien für Millionen: eine Studie zu Michel Houellebecqs „Ausweitung der Kampfzone“ (Hannover: Wehrhahn 2007) qui est basée sur la traduction allemande du texte. 8 Dominique Viart/ Bruno Vercier (eds.): La littérature française au présent, Bordas ²2008, 357-360. 30 Dossier 9 Viart, op. cit., 358. 10 Viart, op. cit., 230-234. 11 Demonpion relate que ce fut Maurice Nadeau qui recommande à l’auteur de remplacer le chapitre prévu pour l’ouverture (maintenant le chapitre 3), les „considérations d’ordre philosophique acides, aiguës, féroces, du début“, par une entrée „medias in res“, donc la soirée chez un collègue de travail. L’“enquête“ de Denis Demonpion est une biographie critique extrêmement bien documentée et irremplaçable pour la compréhension du „système“ Houellebecq (Denis Demonpion: Houellebecq non autorisé. Enquête sur un phénomène, Seuil 2005, 181). 12 Olivier Bardolle: La littérature à vif. (Le cas Houellebecq), L’Esprit des péninsules 2004, 46 et 47. 13 Sabine van Wesemael: Michel Houellebecq. Le plaisir du texte, L’Harmattan 2005, 181-207. 14 Voir la „Présentation du texte“ de Ottmar Ette dans: Roland Barthes: Die Lust am Text, Frankfurt: Suhrkamp 2010, 150-389. 15 Jörn Steigerwald: „(Post-)Moralistisches Erzählen: Michel Houellebecqs Les particules élémentaires“, dans: Lendemains 138/ 39 (2010), 191-208. 16 Heinz Thoma: „‘Amertume’. Postmoderne und Ressentiment im Werk von Michel Houellebecq (mit Seitenblicken auf Vorläufer: Huysmans, Céline, Drieu La Rochelle)“, dans: ib./ Kathrin van der Meer (eds.): Epochale Psycheme und Menschenwissen. Von Montaigne bis Houellebecq, Würzburg: Königshausen & Neumann 2007, 255-278, ici: 275. 17 Dominique Noguez a observé cette relation intertextuelle, tout en remarquant: la „description dont le lien avec le récit en cours reste assez énigmatique.“, dans: Dominique Noguez: Houellebecq, en fait, Fayard 2003, 3. 18 Lautréamont (Isidore Ducasse): Œuvres complètes, Livre de poche 1963, 159. 19 La „singulière compensation“ se trouve chez Lautréamont comme „triste compensation“ (début du Chant cinquième) etc. 20 Cela va jusqu’aux allusions géométriques: „un rouleau de papier“ (183) chez Lautréamont et „le bureau à cylindre“ (97) chez Houellebecq. 21 Lautréamont, 275. 22 Houellebecq va introduire la dimension religieuse dès son deuxième roman et prévoit dans un article sur Auguste Comte: „on aura intérêt, le moment venu, à se replonger dans Comte. Car son vrai sujet, son sujet majeur, c’est la religion.“ (Michel Houellebecq: „Préliminaires au positivisme“, dans: Auguste Comte: Théorie générale de la religion, Mille et une nuits 2005, 5-13, ici: 11. 23 Noguez, op. cit., 104. 24 Concernant l’observation qui joue aussi un rôle important pour le „Roman expérimental“ de Zola, je renvoie à mon article: „Die Rückkehr zum Realismus? Ecritures du quotidien bei François Bon und Michel Houellebecq“, dans: Andreas Gelz/ Ottmar Ette (eds.): Der französischsprachige Roman heute. Theorie des Romans - Roman der Theorie in Frankreich und der Frankophonie, Tübingen: Stauffenburg 2002, 93-110, ici: 103-104. 25 Rita Schober: „Renouveau du Réalisme? Ou de Zola à Houellebecq? Hommage à Colette Becker“, dans: ib.: Auf dem Prüfstand. Zola - Houellebecq - Klemperer, Berlin: Tranvía 2003, 195-207 (d’abord 2002). 26 Roger Ripoll: „Zola et le modèle positiviste“, dans: Romantisme vol. 8 (1978), 125-135, ici: 125. 27 Houellebecq: „Préliminaires au positivisme“, op. cit., 8. 28 C’est surtout dans la partie consacrée à la religion que Houellebecq se voit comme continuateur de Comte: 31 Dossier „L’établissement de l’immortalité physique, par des moyens qui appartiennent à la technologie, sera sans doute le passage obligé qui rendra, à nouveau, une religion possible; mais ce que Comte nous fait entrevoir, c’est que cette religion, religion pour les immortels, restera presque autant nécessaire.“ (op. cit., 13). 29 Michel Houellebecq: „Lettre à Lakis Proguidis“, dans: Interventions, Flammarion 1998, 53; une variante plus avenante de la citation attribuée à Goebbels: „Quand j’entends prononcer le mot „culture“, j’enlève le cran de sûreté de mon revolver“. 30 Michel Houellebecq, op. cit., 7. 31 Michel Houellebecq: „Entretien avec Valère Staraselski“ (L’Humanité, 5/ 7/ 1996), dans: Houellebecq: Interventions, op. cit., 119. 32 D’autant que ce passage est suivie d’une apologie de la lecture, ironisant le Sartre des Mots. 33 Le fait mentionné des protagonistes portant leurs noms réels (et qui avaient travaillé avec Houellebecq) indique que le narrateur de l’EdL est au moins partiellement identique avec l’auteur. 34 Nouguez, op. cit., 98. 35 Roland Barthes: „L’écriture et le silence“, dans: Le degré zéro de la littérature, Seuil Points 1972, 58-61, ici: 60. 36 Houellebecq: Lovecraft, op. cit., 90. 37 Michel Houellebecq: Rester vivant. La poursuite du bonheur, Flammarion 1997, 33. 38 Noguez, op. cit, 150. Dans une lettre à lui, Houellebecq confirme ce constat: „La remarque selon laquelle mon œuvre n’est qu’un gigantesque „en fait“ est si juste qu’elle devrait normalement me paralyser.“ (ib., 259). 39 Houellebecq: Rester vivant, op. cit., 32/ 33. 40 Jochen Mecke: „Le social dans tous ses états: le cas Houellebecq“, dans: Michel Collomb (ed.): L’empreinte du social dans le roman depuis 1980, PU Montpellier 2005, 47-64, citations des pages 62, 59, 60 et 64. Le texte allemand de cet article avait paru auparavant sous le titre: „Der Fall Houellebecq: Zu Formen und Funktionen eines Literaturskandals“ dans: Guilia Eggeling/ Silke Segler-Messner (eds.): Europäische Verlage und romanische Gegenwartsliteraturen. Profile - Tendenzen - Strategien, Tübingen: Narr 2003, 194-217. 41 Houellebecq: Rester vivant, op. cit., 20. 42 Dans ce sens, il n’est pas sans ironie qu’il base sa perspective d’une issue de cette situation bloquée dans son prochain roman justement sur les promesses d’une manipulation génétique qui représenter elle-même un résultat et un risque de cette modernité. 43 Pierre Varrod arrive dans cet article à une autre conclusion, suggérée déjà par le titre („De la lutte des classes au marché du sexe“). De la dominance „du sexe de stade oral à l’exclusion de toute autre forme“ dans l’œuvre de Houellebecq, Varrod conclut à une régression infantile et fantasmatique. Une analyse d’ensemble du/ des roman(s) d’Houellebecq devrait évidemment tenir compte de l’omniprésence de la sexualité dans l’œuvre, le sujet qui devait provoquer plus encore que le scandale littéraire. 32 Dossier Agnieszka Komorowska Comment „restaurer les conditions de possibilité de l’amour“? 1 La représentation des émotions dans Les particules élémentaires de Michel Houellebecq Les romans de Michel Houellebecq sont habités par des antihéros qui oscillent entre insensibilité extrême et dépression. Même s’ils connaissent des rares moments de joie, surtout de nature sexuelle, ce bonheur n’est jamais durable. La pauvreté affective des protagonistes traverse l’œuvre de l’auteur comme un fil conducteur. Le narrateur de son premier roman, L’extension du domaine de la lutte (1994), est un informaticien dépressif, 2 et le héros du titre le plus récent, La carte et le territoire (2010), est un artiste dont la vie affective ressemble à la „froideur objective“ de ses tableaux. 3 Mais c’est surtout dans Les particules élémentaires (1998), fiction qui dépeint un univers marqué par „la solitude et l’amertume“, 4 que cet échec émotionnel connaît son apogée. Les deux protagonistes principaux, les demi-frères Bruno Clément et Michel Djerzinski, sont également marqués par une détresse affective: Bruno, professeur de lettres au lycée, voue sa vie à la quête d’un sentiment d’amour, qui lui est pourtant impossible d’éprouver. Pour sa part, Michel, biologiste moléculaire, sait déjà depuis l’âge de dix-sept ans qu’il ne sera jamais capable d’aucune implication émotionnelle. L’incapacité d’éprouver des émotions profondes n’est pourtant pas à confondre avec l’indifférence. Elle est pour les protagonistes source de tristesse et de dépression. De cette manière, ils ressemblent aux héros du roman moderne, que Martin von Koppenfels décrit comme des narrateurs-protagonistes ‘immunisés’. A travers des lectures de textes clés de la littérature française du 20 e siècle, von Koppenfels analyse la manière dont le manque d’émotion lui-même provoque une réaction affective, qu’il nomme „[d]as Gefühl der Gefühllosigkeit“. 5 Or, le roman de Houellebecq se caractérise par une double démarche par rapport à ce sentiment de manque d’émotion. D’abord, la représentation des émotions est attachée à une quête de sens. Les protagonistes et le narrateur partent de l’hypothèse que les relations humaines sont marquées par un échec sur le plan affectif et ils tentent de s’expliquer cet échec, désigné comme „suicide occidental“ (PE 237), en réfléchissant sur la condition humaine. Ensuite, la forme narrative complique cette recherche anthropologique: le roman est composé d’un récit encadrant, constitué du prologue et de l’épilogue, qui se déroule en l’an 2079, et d’un récit enchâssé dont l’histoire se passe principalement dans les années 1990. 6 33 Dossier S’il est important de différencier les propos du narrateur de ceux des protagonistes, la position du narrateur vis-à-vis de l’histoire reste délibérément vague dans le récit enchâssé. Cette confusion est renforcée, car les protagonistes se servent souvent des mêmes explications que lui. Ce n’est qu’à la fin de la narration que l’écart entre les deux niveaux est explicite et que le narrateur dévoile sa nature de post-humain. Ses interprétations préalables de la situation du monde occidental à la fin du 20 e siècle apparaissent alors sous un nouvel angle en tant que légitimation de sa propre existence. D’où résulte que le lecteur se voit obligé de revisiter la fiabilité du détachement prétendu de son guide. Si le roman de Houellebecq s’inscrit dans une tradition littéraire de ‘l’immunité’, il est en même temps en dialogue avec son époque. Face au désordre affectif des protagonistes, le narrateur du roman puise dans la discussion contemporaine sur le statut des émotions en se demandant: „[…] est-ce une question d’éducation, de connexions neuronales ou quoi? “ (PE 235). Ainsi, il confronte les deux perspectives centrales que la narration déploie vis-à-vis des émotions: les sciences humaines et les sciences naturelles, deux systèmes d’interprétation en compétition pour le savoir sur l’Homme. Pourtant, la représentation des émotions dans Les particules élémentaires a surtout été abordée comme une partie mineure de l’image que ce roman peint de la condition humaine. 7 L’attention se concentre souvent sur la validité de cet image et moins sur les émotions des protagonistes. Dans les pages qui suivent, je voudrais proposer une lecture du roman concentrée sur les stratégies textuelles qui caractérisent la représentation des émotions. Il s’agit en l’occurrence de s’interroger d’une part sur les différents concepts d’émotion mis en scène dans le roman et d’autre part sur leur fonction dans le discours de la narration. L’article part de l’hypothèse que le roman entre dans un dialogue à double tranchant avec les différentes conceptions des émotions du 20 e siècle. D’abord, il semble contribuer à une épistémologie des émotions et s’inscrire ainsi dans la tradition du roman réaliste voire naturaliste du dialogue fructueux entre sciences et littérature. Ensuite, il constitue une remise en question de ces discours et confronte la relation entre savoir et émotion. Je voudrais avancer la thèse que la narration contourne la possibilité de représenter et de comprendre les émotions par une stratégie textuelle basée sur a) une juxtaposition qui va jusqu’à une manipulation des notions et des terminologies et b) l’insistance sur un savoir culturel sous-jacent à toute conception scientifique. I. Littérature et émotion Avant de proposer une lecture du roman houellebecquien, j’aimerais situer la réflexion à venir dans le contexte des recherches actuelles sur les émotions dans la littérature. Il s’agit moins d’adapter une de ces approches, que d’avancer que la représentation des émotions dans Les Particules élémentaires reflète les différents concepts d’émotion contemporains. Pendant que les sciences tentent une appro- 34 Dossier che systématique, le texte littéraire joue consciemment avec ces concepts et propose une histoire socioculturelle des émotions à rebours. Il confronte deux approches historiquement différentes, comme seulement la littérature peut l’imaginer: une contemporaine et une future. Vis-à-vis de la mode persistante d’un emotional turn dans les sciences humaines qui vient s’ajouter à maints autres courants de ce genre 8 et qui proclame un nouvel intérêt pour les émotions, il semble opportun de rappeler que la recherche s’est toujours intéressée à la représentation des émotions dans les œuvres littéraires. Il suffit ici de mentionner l’intérêt pour la rhétorique des affects 9 ou bien les lectures psychanalytiques des émotions. Cela dit, il faut noter que l’attention particulière pour les émotions depuis les années 1990 va de pair avec une remise en question des anciennes catégories d’analyse, et dans bien des cas avec une nouvelle revendication systématique, qui s’avère très fructueuse. Si on peut différencier les approches d’une recherche littéraire sur les émotions concernant leur concentration sur la production, la réception, le texte et le contexte, 10 trois aspects semblent dominer la discussion récente. 1) D’une part, les lettres engagent un dialogue avec les sciences naturelles, notamment les neurosciences. S’inspirant des résultats des recherches cognitives, par exemple de la découverte des neurones miroirs, 11 certaines études revisitent les notions de l’empathie et de la sympathie et s’interrogent sur la réception émotionnelle d’un texte littéraire par son lecteur. 12 2) D’une perspective plutôt historique et socioculturelle, d’autres études s’inspirent des travaux dans le domaine de l’histoire des mentalités, notamment de l’école des Annales autour de Marc Bloch et Lucien Febvre 13 ou des travaux de Norbert Elias. 14 Ces approches s’intéressent aux évaluations et systématisations morales, religieuses et sociales que les différentes émotions ont subies dans les divers discours et genres. 15 3) Enfin, le concept de ‘code’, terme clé du modèle de communication de Roman Jakobson 16 et de l’étude Liebe als Passion: Zur Codierung von Intimität (1982) de Niklas Luhmann, est de grande influence quand il s’agit d’analyser les stratégies textuelles de la représentation des émotions. 17 Mon analyse des Particules élémentaires s’appuie sur un modèle proposé par l’étude nuancée Kodierte Gefühle (2003) de la germaniste Simone Winko. Une telle approche me semble fructueuse, car elle permet d’aborder trois moments centraux du roman: 1) une conception des émotions comme façon d’organiser et de communiquer un savoir culturel, 2) l’interdépendance entre concept de réalité et représentation des émotions et 3) l’intérêt pour les différents codes et leur mise en scène. Le roman de Michel Houellebecq, on le sait, est particulièrement lié au savoir culturel de son époque et donc préalable à une analyse de ses codes socioculturels sous-jacents. Il s’agira de montrer que la représentation des émotions est basée sur une double stratégie textuelle, qui met à nu les différents codes pour les remplacer par d’autres. Dans une approche qui unit théorie des systèmes et sémiotique, Winko comprend les émotions comme une façon de gérer les informations et faciliter leur jugement à l’aide des conventions culturelles. 18 Si, d’une part, les émotions forment 35 Dossier un code qui organise les informations, d’autre part, elles sont elles-mêmes codées, c’est-à-dire intégrées dans des systèmes d’informations plus complexes. Les codes représentent le savoir collectif, qui varie historiquement et culturellement. En rapport aux préoccupations d’une société ou d’un groupe, nous rencontrons certains prototypes émotionnels caractéristiques d’une culture et d’une société. 19 Ces prototypes sont soumis à des changements sociaux et mènent à des nouveaux modes de perception de la réalité. Il s’agit ici d’une influence réciproque: une nouvelle perception de la réalité crée des nouveaux codes d’émotions, qui à leur tour vont influencer les modèles de réalité. 20 Winko affirme que les auteurs et les lecteurs, au moins s’ils sont des contemporains, partagent un savoir concernant les émotions, leur déroulement, les situations qui les provoquent et les façons adéquates de les exprimer. A travers ce savoir commun, nommé „Kode-Wissen“, qui est la base de toute communication émotionnelle, il est possible de coder et de décoder les représentations des émotions - surtout s’il s’agit des situations et des actions émotionnelles ‘prototypiques’. 21 Or, la structure narrative des Particules élémentaires a un double enjeu: Contrairement à une analyse de codes et des codifications située sur l’axe synchronique, comme la propose Winko, le roman joue avec les axes temporels. D’une part, le roman confronte le lecteur avec son savoir concernant différents codes et codifications d’émotion qui lui sont familiers: la représentation du deuil dans une chanson de Charles Aznavour, la communication amoureuse par minitel rose etc. D’autre part, il remet en question la validité de ce savoir contemporain dans l’épilogue lorsque le lecteur reconnait que le narrateur, qui lui servait de guide à travers ce monde familier, est un membre d’une société post-humaine et donc pas familière du tout. La narration adopte par conséquent la perspective diachronique et manipule ainsi la relation entre savoir contemporain et science fiction. En adoptant la perspective de Winko sur le rapport entre modèle de réalité et représentation des émotions, nous pouvons intégrer notre problématique dans la discussion du réalisme chez Houellebecq. Il faut pourtant noter que le roman a un statut particulier. Non seulement les modèles que nous venons d’esquisser peuvent être invoqués pour une analyse du roman, mais ils y sont de plus mis en scène: perspective biologique sur les émotions, discussion des différents concepts historiques des émotions et mise à nu de leurs codifications culturelles et esthétiques font écho dans les propos du narrateur et des protagonistes. De cette manière, la représentation des émotions implique toujours une réflexion de différentes possibilités de leur interprétation. II. L’illusion douloureuse qu’est le ‘moi’ A la recherche d’une réponse et d’un remède contre „la solitude et l’amertume“ (PE 7), qui marquent les rapports humains, le narrateur et les protagonistes puisent dans le savoir anthropologique et scientifique du 20 e siècle et ont recours aux 36 Dossier sciences humaines (psychologie, sociologie et lettres) aussi bien qu’à la biologie moléculaire et la physique. Parmi les différents modèles, que le récit enchâssé met en scène, les modèles psychologique et psychanalytique constituent des approches qui visent l’individu et sa vie affective. Ils établissent une pratique d’introspection, que la logique de la narration présente comme douteuse à cause de ses prémisses sous-jacentes: l’existence d’un ‘moi’ et de son ‘histoire’- deux notions qui seront remises en question par les sciences naturelles. L’opposition consiste en une juxtaposition des concepts et s’opère à travers les protagonistes au niveau de l’histoire: Pendant que Bruno incarne l’intellectuel qui fait une analyse, Michel représente le scientifique qui fait des expériences. Dans une sorte de crise de la quarantaine prématurée, à 33 ans, Bruno se décide à consulter un psychiatre pour confronter les humiliations et déceptions qui le hantent et lui raconte quelques incidents clés de son enfance et son adolescence: des moments de désir, la quête de l’amour, le sentiment de honte. Son premier psychiatre ressemble à une caricature de Freud („je crois qu’il était barbu - mais je confonds peut-être avec un film“, PE 188) et donne l’impression de mépriser son patient. Le deuxième psychiatre consulté convient mieux à Bruno: il y a des Paris Match dans la salle d’attente et le cabinet n’est pas loin des peep-shows que Bruno aime visiter après les séances (PE 188). En outre, le médecin semble surtout s’intéresser aux anecdotes des relations familiales de son patient, de préférence si elles concernent des incidents de nature incestueuse, et se contente de conseiller à Bruno de faire du sport. Avec cette représentation schématique et stéréotypée, qui ne prend pas le soin de différencier psychologie, psychanalyse et médicine, la narration dresse un tableau ironique dans lequel les analystes sont décrits comme des „employé(s)“ que Bruno paye pour qu’ils l’écoutent (PE 73). Hormis cette écoute, ils ne peuvent fournir aucune solution aux problèmes de leur patient - incapacité qui est renforcée vers la fin de la narration, quand Bruno se décide à passer la fin de ses jours dans une clinique psychiatrique. Vis-à-vis de leur patient complètement dépressif, les médecins se contentent de le laisser écrire des récits et scénarii de films de science fiction et de lui donner des médicaments (PE 259). L’approche psychologique voire psychanalytique, qui dans la logique de la narration se résume à écouter le patient et par ce biais l’encourager à exprimer ses expériences dans une narration, est de plus dévalorisée par la position scientifique de Michel. A propos des souvenirs douloureux de Bruno, que les séances de thérapies n’ont pas réussi à adoucir, Michel le renvoie au modèle des histoires consistantes du physicien Griffiths. Faisant parti des travaux de la mécanique quantique, la notion ‘histoire’ est employé ici pour „relier les mesures quantiques dans des narrations vraisemblables“ (PE 65). Les mots ‘histoire’ et ‘narration’ prennent donc une signification très différente des modèles connus par le professeur de littérature et le patient des analyses psychologiques qu’est Bruno. Michel applique les lois de la physique moderne aux événements qui ont marqué la vie de son frère: 37 Dossier Tu as une conscience de ton moi; cette conscience te permet de poser une hypothèse: l’histoire que tu es à même de reconstituer à partir de tes propres souvenirs est une histoire consistante, justifiable dans le principe d’une narration univoque. En tant qu’individu isolé, persévérant dans l’existence un certain laps du temps, soumis à une ontologie d’objets et de propriétés, tu n’as aucun doute sur ce point: on doit nécessairement pouvoir t’associer une histoire consistante de Griffiths. (PE 66) Les explications scientifiques de Michel réduisent le ‘moi’, concept si cher aux sciences humaines et si difficile à cerner, à un vecteur ou une mesure voire un électron. La réponse de Bruno révèle l’écart entre les deux frères: „J’aimerais penser que le moi est une illusion; il n’empêche que c’est une illusion douloureuse…“ (PE 66). Michel ne sait quoi répondre à son frère („[l]a conversation n’était pas facile […].“ PE 66), et malgré le recours aux mêmes termes (histoire, narration), sciences humaines et sciences naturelles ne semblent pas être compatibles. En proposant une définition de „narration“ et d’„histoire“ sur la base de la mécanique quantique, Michel s’attaque à deux termes centraux de la conception psychanalytique de l’homme. Ils sont au centre de la fameuse „talking cure“ de Josef Breuer et de la narration du corps qu’est la scène hystérique - scène que la psychanalyse essaie de traduire dans un récit de cas. 22 De façon analogue et en se référant à la psychanalyse, certaines théories d’émotion soulignent l’importance des modèles narratifs dans la conception des émotions. 23 L’insistance de Michel sur la définition physique de la narration constitue un refus et une remise en question de ces modèles d’interprétation. Pourtant Michel reste aussi hanté par cette expérience douloureuse du moi, malaise du scientifique dont témoigne un de ses rêves - rêve qui renforce la position ironique que la narration prend vis-à-vis de la psychanalyse: En face de lui, il y avait un miroir. Au premier regard dans le miroir, l’homme avait eu l’impression de tomber dans le vide. […] il avait considéré son image en elle-même, comme une forme mentale indépendante de lui, communicable à d’autres […]. Mais qu’il détourne la tête pendant quelques secondes, tout est à refaire; il devait de nouveau, péniblement, comme on procède à l’accommodation sur un objet proche, détruire ce sentiment d’identification à sa propre image. Le moi est une névrose intermittente, et l’homme était encore loin d’être guéri. (PE 235-236) L’image de l’homme qui se regarde dans le miroir à la recherche d’un moi, renvoie le lecteur à la fameuse intervention du psychanalyste français Jacques Lacan en 1949 au Congrès psychanalytique international intitulé Le stade du miroir comme formateur de la fonction du „Je“. 24 Il est bien connu que Lacan s’y intéresse au moment du développement de l’enfant, où celui-ci se reconnaît dans le miroir d’un geste jubilatoire, mais aussi trompeur car cette unité corporelle perçue dans le reflet s’avérera imaginaire. Le rêve de Michel manque visiblement de toute jubilation et se concentre sur le moment de la déception que la compréhension de l’inaccessibilité d’un moi cohérent implique. De toute façon, ce n’est pas à cette unité que Michel aspire, mais au dépassement du moi, qui ne s’avère être qu’une mode passagère. Dans cette perspective, la psychanalyse, qui participe largement 38 Dossier à la propagation de cette mode, est en partie responsable de cette illusion douloureuse. La seule façon envisageable de confronter ce moi serait, selon Michel, de le représenter par une „forme mentale indépendante de lui, communicable à d’autres“, projet que la logique du roman lègue à la sociologie. Le concept du ‘moi’, qui est d’une grande importance pour l’interprétation psychanalytique des émotions, se voit rejeté à l’instar des notions de ‘narration’ et d’’histoire’. Ce refus constitue une stratégie narrative qui démontre que ces termes sont des codes culturels. Pourtant, ces codes sont influents car ils façonnent la perception de soi et du monde. L’homme se perçoit comme un individu et cherche à intégrer les éléments de sa vie dans une narration cohérente. Face à cette tâche, dans le rêve de Michel, il ressemble à Sisyphe, car dès qu’il détourne la tête „tout est à refaire“. 25 Pour se distancier de cette illusion douloureuse, qu’est le moi, la narration opère un changement des codes et des codifications au profit des sciences naturelles, qui de leur côté semblent baser leur concept de réalité sur des expériences vérifiables. III. Une sociologie des émotions Si l’approche psychologique se repose selon la logique de la narration sur des bases peu fiables, l’approche sociologique y est présentée comme une possibilité d’obtenir un savoir positif sur les émotions. A ce sujet, la représentation des émotions surpasse le ‘moi’ douteux et par ce biais l’individualité. Elle est abordée d’une perspective de la collectivité, qui rend les états affectifs descriptibles. L’analyse sociologique des émotions est surtout centrée sur le sentiment de l’amour. La narration place la quête de l’amour au centre de l’histoire et reprend ainsi un des motifs majeurs de la littérature. En accord avec la tradition littéraire, cette quête est dès le départ vouée à l’échec. Si Houellebecq reprend ainsi une codification littéraire prototypique, il le remodèle à sa manière. Dans une sorte d’éducation sentimentale de la fin du 20 e siècle, le protagoniste Bruno rencontre dès la petite enfance des désillusions et déceptions sentimentales. Ainsi, c’est lors d’un jeu à l’école maternelle qu’il apprend l’impossibilité d’une communication amoureuse. L’institutrice avait expliqué aux garçons du groupe comment fabriquer un collier de feuilles pour les filles, tâche qui s’avère trop difficile pour Bruno: Il n’avançait pas, les feuilles cassaient, tout se détruisait entre ses mains. Comment leur expliquer qu’il avait besoin d’amour? Comment leur expliquer sans le collier de feuilles? Il commença à pleurer de rage […]. (PE 38) Cette scène constitue „[l]e premier souvenir“ de l’adulte et reste gravée dans sa mémoire comme „le souvenir d’une humiliation“ (PE 38). L’échec emblématique du petit garçon est vite dépouillé de son caractère individuel et anecdotique. Il est ex- 39 Dossier pliqué par un bouleversement dans le concept de l’amour attribué à la libération sexuelle des années 60. Dans la logique de la narration, l’incapacité de Bruno à aimer résulte entre autres de la dissolution des rapports familiaux dont témoigne le divorce de ses parents et leur négligence totale vis-à-vis de leur fils. Les parents sont décrits par le narrateur comme des „précurseurs“ (PE 53) des nouvelles valeurs émotionnelles et sexuelles qui propagent un individualisme hédonistique et libertin. Le rôle de l’amour dans ce changement de valeurs est expliqué par Bruno lui-même dans un chapitre intitulé „Tout est la faute de Caroline Yessayan“ (PE 51). Cette Caroline était la cible de la première tentative de séduction de Bruno dans son adolescence. L’indicent fatal eut lieu en 1970 un après-midi de cinéma durant lequel Bruno avait mis sa main sur la cuisse de la jeune fille assise à côté de lui. Comme la fille portait une mini-jupe, la main de Bruno se posait sur une cuisse dénudée ce qui rendait son geste inapproprié. Pour l’adulte Bruno, c’est justement la mini-jupe, nouvelle mode des années 60 et 70, qui fit échouer cette tentative (PE 53). A partir de ce constat et des propos de Bruno, le narrateur peint un tableau des mœurs marquées par deux forces antagonistes décrites dans les termes d’un „conflit idéologique“ (PE 54). Il affirme que „la génération précédente avait établi un lien d’une force exceptionnelle entre mariage, sexualité et amour“ (PE 53) rendu possible par des facteurs écologiques et démographiques comme l’„extension progressive du salariat“ (PE 53) et „la disparition concomitante des communautés villageoises“ (PE 54). Cette discussion aboutit à la conclusion suivante: C’est donc sans arbitraire que l’on peut caractériser les années cinquante, le début des années soixante comme un véritable âge d’or du sentiment amoureux - dont les chansons de Jean Ferrat, celles de Françoise Hardy dans sa première période peuvent encore aujourd’hui nous restituer l’image. (PE 54) A cet âge d’or de l’amour s’oppose un courant qui apparait en même temps, mais qui propage un modèle opposé décrit comme „la consommation libidinale de masse d’origine nord-américaine (chansons d’Elvis Presley, films de Marylin Monroe)“ introduisant entre autre „le modèle comportemental du flirt adolescent“ (PE 54). Cette explication a tout d’une approche sociologique: d’abord, elle décrit l’amour comme un phénomène culturel qui change de signification à travers les époques. L’expérience individuelle de l’amour, et même les possibilités de le ressentir dépendent donc du cadre collectif et culturel. L’amour apparait dans ce contexte comme une pratique culturelle, qu’on peut retracer dans des pratiques de la vie quotidienne (flirt adolescent), dans la mode (mini-jupe) et dans des œuvres culturelles comme le cinéma et les chansons populaires. Le narrateur décrypte les codifications culturelles et esthétiques et procède comme un historien des émotions pour expliquer la signification de l’amour à une certaine époque. A l’aide de ce mo- 40 Dossier dèle il démontre comment l’apparence des nouveaux codes dépasse l’ancien concept de l’amour et le rend impossible. Dans les deux aspects principaux de la représentation de l’amour par le narrateur - conception de l’émotion comme pratique culturelle collective et analyse de cette pratique à travers des codifications culturelles et esthétiques - le roman rejoint des études sociologiques de son temps. En adaptant un des discours dominants du 20 e siècle, le narrateur post-humain se sert d’une terminologie contemporaine pour l’inscrire dans sa téléologie et pour l’adapter à sa manière. Publiée un an avant Les particules élémentaires, l’étude Consuming the Romantic Utopia: Love and the Cultural Contradictions of Capitalism (1997) de la sociologue Eva Illouz arrive p.ex. tout d’abord aux résultats semblables de la narration concernant les changements de la conception de l’amour. De plus, elle a recours aux mêmes méthodes. A travers une analyse des publicités, des magazines féminins, des chansons populaires et des films parus aux Etats-Unis depuis les années 1930, Eva Illouz s’intéresse à la question de savoir comment l’expérience de l’amour romantique a été traduite dans des pratiques économiques et comment, en revanche, des pratiques économiques ont été traduites dans une structure d’émotion. 26 Elle émet la thèse qu’une consommation hédoniste („hedonist consumption“) ouvrait la voie à une condition romantique postmoderne („a postmodern romantic condition“). 27 De façon analogue, le narrateur du roman fait appel aux explications économiques pour comprendre les changements dans la vie affective. Mais contrairement à Illouz il va jusqu’à suggérer que l’émergence du modèle d’une „compétition narcissique“ (PE 64) effaça les possibilités d’amour au détriment de la sexualité. A l’aide de l’histoire individuelle de Bruno, qu’il décrit comme „représentatif de son époque“ (PE 63), le narrateur soumet la thèse que celui-ci appartient à une génération qui, élevée dans une situation financière stable et donc sans nécessité de vraie compétition économique, rapportait néanmoins le modèle de compétition sur le champ de la sexualité suivant les mêmes lois du marché: le but reste ici d’accumuler des capitaux, des expériences sexuelles. Dans ce contexte, il n’est plus question d’amour. Cette explication permet au narrateur d’insinuer un déterminisme auquel l’Homme ne pourra échapper qu’en créant une nouvelle société avec des nouvelles lois voire une société post-humaine. La connexion entre émotion et économie est un sujet récurrent dans les analyses sociologiques contemporaines, où elle est entre autres étudiée par Anthony Giddens et Luc Boltanski. 28 Ces analyses s’appuient à cette fin sur des textes littéraires comme documents. En tant que texte littéraire, Les particules élémentaires abordent le chemin inverse: ici, ce n’est pas la sociologie qui exploite la littérature comme une source pour une histoire des émotions, mais la littérature qui se sert des méthodes sociologiques pour discuter à la fois les possibilités de représentations des émotions et les limites d’une histoire culturelle des émotions. De nouveau, cette discussion se déroule au travers d’une opposition, qui cette fois-ci n’est pas d’ordre terminologique mais concerne la causalité. Vers la fin du 41 Dossier roman Bruno, désormais interné dans une clinique psychiatrique, se retourne contre la sociologie, dont il avait jusqu’à présent été le porte-parole. Dans une dernière rencontre avec son frère, qui les réunit autour de leur mère agonisante, Bruno proteste contre les réflexions de Michel sur la philosophie d’Auguste Comte: Tu me fais penser à ces sociologues qui s’imaginent que le culte de la jeunesse est une mode passagère née dans les années cinquante, ayant connu son apogée au cours des années quatre-vingt, etc. En réalité l’homme a toujours été terrorisé par la mort […]. „Si Christ n’est pas ressuscité“, dit saint Paul avec franchise, „alors notre foi est en vaine.“ Christ n’est pas ressuscité; il a perdu son combat contre la mort. (PE 258) Imprégné par l’expérience de la mort, le suicide de Christine l’ayant plongé dans une vie médicalisée, et dans l’attente de la fin, Bruno se tourne vers une vision anthropologique dont l’idée de la mort confronte l’homme à une peur qui fait depuis toujours partie de sa condition humaine. Sous cet angle, l’insistance de la sociologie sur le caractère historique du culte de la jeunesse passe à côté de cette compréhension et peut même être comprise comme une tentative de masquer la lutte éternelle de l’Homme contre la mort - lutte dont témoigne pour Bruno le christianisme, qui a développé une des anthropologies le plus anciennes. Ainsi, la relation entre savoir et émotion se trouve renversée. Dans la plus grande partie du récit, la sociologie est présentée comme un modèle d’explication des émotions voire comme un modèle scientifique qui explique leurs causes et leurs déroulements. A travers les propos de Bruno, le savoir et la recherche du savoir prennent leur source dans une émotion, notamment la peur de la mort. Cette peur devient comme une sorte de moteur de toutes les anthropologies qui tentent d’expliquer l’Homme. 29 Vers la fin du récit enchâssé, le thème de la mort domine la narration. Après la mort de leurs amantes, les deux frères se retrouvent pour enterrer leur mère. Mais au lieu de conclure par la mort, la narration conclut par une résurrection qui met en scène la téléologie du narrateur: Même si le Christ n’est pas ressuscité, l’homme le sera grâce à une connexion entre la littérature et les sciences qui se montre créatrice dans tous les sens du terme: la littérature crée une utopie, les sciences créent un nouvel homme, et cet homme sera un frère génétique du narrateur. IV. Les modèles littéraires Dans un premier temps, Bruno et Michel s’avèrent être des lecteurs assez différents: L’un emphatique (Bruno), l’autre distancié (Michel). La solitude et la honte que Bruno éprouve dans son adolescence lui sont difficiles à comprendre. Sans amis et presque sans contact avec ses parents, le jeune garçon est seul et sans mots face à son désarroi. A ce sujet, la lecture de Kafka est vécue comme une révélation qui lui fait comprendre son propre malaise: 42 Dossier Dès son premier séjour chez sa mère, Bruno se rendit compte qu’il ne serait jamais accepté par les hippies; il n’était pas, il ne serait jamais un bel animal. […]. Vers la même époque, il commença à lire Kafka. La première fois il ressentit une sensation de froid, de gel insidieux; quelques heures après avoir terminé Le Procès il se sentait encore engourdi, cotonneux. Il sut immédiatement que cet univers ralenti, marqué par la honte, où les êtres se croissent dans un vide sidéral, sans qu’aucun rapport entre eux n’apparaisse jamais possible, correspondait exactement à son univers mental. L’univers était lent et froid. (PE 60-61) Pour l’adolescent que Bruno fut à l’époque de la découverte de Kafka, la littérature fournit une représentation de la condition humaine qui résiste aux changements des temps. Ainsi, les humiliations que K., le protagoniste du Procès, doit subir dans un univers marqué par la bureaucratie et la dépersonnalisation, sont reflétées dans la froideur des relations humaines de la génération post-soixante-huit. Face aux codes comportementaux des hippies, Bruno se sent aussi impuissant et exclu que K. dans un système judicaire incompréhensible. La lecture a un effet fort sur lui: elle fournit une compréhension immédiate, ressenti même dans le corps qui s’engourdit, et elle s’avère être une lecture emphatique exemplaire. La représentation de la honte et de la peur dans Le Procès peut être décodée par Bruno, car elle puise dans une conception de la subjectivité moderne. Sa lecture correspond à un modèle traditionnel de la lecture comme communication intersubjective entre deux sujets qui, de cette façon, se servent du même langage. En revanche, Michel, qui dans son adolescence avait aussi cherché des réponses dans „différents romans tournant autour du thème de l’absurde, du désespoir existentiel“ (PE 121), n’arrive pas à s’identifier à ces textes: „cette littérature extrémiste ne l’avait que partiellement convaincu.“ (PE 121) Adulte, le biologiste ne voit aucune ressemblance entre le monde contemporain et les mondes littéraires: Mais il ne vivait pas dans un monde absurde: il vivait dans un monde mélodramatique composé de canons et de boudins, de mecs top et de blaireaux; c’était le monde dans lequel vivait Bruno. De son côté Michel vivait dans un monde précis, historiquement faible, mais cependant rythmé par certaines cérémonies commerciales - le tournoi de Roland-Garros, Noël, le 31 décembre, le rendez-vous bisannuel des catalogues 3 Suisses. (PE 122) Les vies quotidiennes de Bruno et Michel sont décrites selon des modèles narratifs qui ne ressemblent plus aux romans du début du 20 e siècle: mélodrame, événements télévisés, consommation et publicité. La notion d’absurde pourrait pourtant s’appliquer à des vies dénudées d’autre sens que la compétition narcissique (Bruno) ou la consommation (Michel). Mais ce terme semble démodé, même un peu trop grandiloquent pour décrire la vie des deux frères. L’incompréhension de Michel face à une littérature de l’absurde est signifiante pour mesurer l’écart qui sépare la culture de l’après-guerre et la culture d’aujourd’hui. La conception de l’absurde, terme clé de l’existentialisme et du théâtre de l’absurde, repose sur une confrontation douloureuse de l’homme avec le monde. Dans la littérature existentialiste, l’homme est marqué par l’expérience du ‘délais- 43 Dossier sement’ 30 - expérience qui lui est accessible à travers des émotions fortes comme la nausée. 31 Dans cette perspective, les émotions ont une valeur positive, car elles orientent l’homme dans sa quête du sens et lui permettent une prise phénoménologique sur le monde. En revanche, les textes de Beckett, dont Michel abandonne la lecture avant la fin, sont loin de croire à la conception d’un sujet libre et autonome comme le proclame Sartre. Tout au contraire, ils dépeignent la dissolution douloureuse de la subjectivité dans une écriture remettant en question toute possibilité de représentation cohérente. Michel, pour sa part, vit dans un monde qui se prête plus à la dépression qu’à la révolte et à la nausée. Et il cherche la réponse à ses problèmes dans des nouveaux modes narratifs d’inspiration scientifique. Le biologiste croit à la représentation abstraite de la réalité et comme le montrent ses recherches génétiques, il croit aussi que l’homme peut la changer de façon significative. Ainsi, il part d’une différente conception de la subjectivité et par ce biais d’un modèle différent de lecture. Pourtant, c’est bien autour d’une lecture commune, notamment de Brave New Word d’Aldous Huxley, que les deux frères développent leurs visions du monde et que la narration démontre le besoin de changer ce monde sur un modèle de science fiction. Lors d’une visite de Bruno chez Michel, le professeur de lettres propose une interprétation du roman de Huxley, qui va à contre-courant de l’opinion générale. Généralement le roman est lu comme une dystopie mettant en scène les dangers des développements scientifiques et culturels de son temps, car il décrit un monde futur en l’an 2540, où règne une culture de consommation et des loisirs, et où la sexualité ne sert plus à la procréation mais à la recréation. Bruno, cependant, lit le roman comme une utopie à laquelle le monde contemporain aspire et cherche à se rapprocher: La société décrite par Brave New World est une société heureuse, dont ont disparu la tragédie et les sentiments extrêmes. La liberté sexuelle y est totale, plus rien n’y fait obstacle à l’épanouissement et au plaisir. Il demeure de petits moments de dépression, de tristesse et de doute; mais ils sont facilement traités par voie médicamenteuse, la chimie des antidépresseurs et des anxiolytiques a fait des progrès considérables. „Avec un centicube, guéris dix sentiments.“ C’est exactement le monde auquel aujourd’hui nous aspirons, le monde dans lequel, aujourd’hui, nous souhaiterions vivre. (PE 156-157) Bonheur rime ici avec plaisir physique qui est la source des états émotionnels fiables. Tous sentiments forts, dits „extrêmes“, sont jugés dangereux et dès qu’une émotion déplaisante apparaît, un traitement médical aide à la faire disparaître. La formule de Brave New World suivant laquelle les sentiments constituent un obstacle au bonheur et sont perçus comme une maladie dont le patient doit guérir, est présentée par Bruno comme une formule de son époque. De cette perspective, il ne s’agit plus vraiment de comprendre les émotions, mais de les supprimer. De son point de vue scientifique, Michel souscrit à l’interprétation de son frère et constate que l’écrivain Aldous Huxley dépeint dans son roman ce que son frère Julien Huxley, un biologiste, propageait avant lui au niveau scientifique. 32 Mais 44 Dossier d’après Michel, le romancier anglais aurait fait une erreur dans son esquisse utopique en y sous-estimant les effets négatifs que la dissociation de la sexualité et de la procréation pouvait avoir dans une société qui n’a pas su surpasser l’individualisme. A ce sujet Michel avance: La compétition sexuelle […] n’a plus de raison d’être dans une société où la dissociation sexe-procréation est parfaitement réalisée; mais Huxley oublie de tenir compte de l’individualisme. Il n’a pas su comprendre que le sexe, une fois dissocié de la procréation, subsiste moins comme principe de plaisir que comme principe de différenciation narcissique […]. […] la mutation métaphysique opérée par la science moderne entraîne à sa suite l’individuation, la vanité, la haine et le désir. En soi le désir - contrairement au plaisir - est source de souffrance, de haine et de malheur. Cela, tous les philosophes - non seulement les bouddhistes, non seulement les chrétiens, mais tous les philosophes dignes de ce nom - l’ont su et enseigné. (PE 160-161) En s’appuyant sur une longue tradition de réflexion métaphysique occidentale et de l’Extrême-Orient, le biologiste pose une équation assez simple: si l’Homme est marqué par l’individualisme, il est voué à une vie qui sur le plan émotionnel est caractérisée par la haine, la souffrance et le malheur. La logique de l’argumentation insinue que pour avoir une vie affective stable, il faut trouver l’accès à un autre mode de vie et une autre condition humaine. Il faut surmonter ce qui hante l’Homme depuis des siècles: le désir, symbole d’un moi narcissique qu’il faut détrôner. Les thèses du biologiste sur le désir font allusion aux modèles anthropologiques du 17 e siècle (notamment les moralistes français) 33 jusqu’au 20 e siècle (la psychanalyse). Ses conclusions ne sont pourtant pas d’ordre métaphysique, mais d’ordre scientifique. D’après Michel, les sciences modernes ont déjà provoqué une „mutation métaphysique“, mais elles ont pris la mauvaise voie. Il ne peut pourtant pas être question d’un retour, mais plutôt d’une nouvelle direction. Dans ce but, la compréhension de l’interaction entre individualisme et désir d’une part, et de métaphysique et physique d’autre part, que Michel a obtenu à la fois de ses recherches scientifiques, de ces observations de la société et des conversations avec son frère, mène à une nouvelle définition de l’Homme. Mais c’est surtout le modèle de science fiction, présenté dans Brave New World, qui lui sert de modèle pour le projet d’une nouvelle société. La relation entre réalité et fiction se trouve renversée: là où le savoir culturel sur la condition humaine ne peut proposer aucune solution, la fiction prend sa place et devient le modèle central pour la transformation de la réalité. V. „illimité émotionnel“ La plus grande partie du récit enchâssé coïncide avec l’année sabbatique de Michel, qui a pris congé de ses recherches pour pouvoir réfléchir - période pendant laquelle il lit, observe les hommes et subit une dépression. Après la mort de son amie d’enfance, Annabelle, il reprend de nouveau son travail, cette fois en Irlande, 45 Dossier inspiré par ses observations et surtout par cette rencontre avec son ancienne amie. Le biologiste sort avec deux convictions de cette époque: le monde va mal et manque d’amour. Mais comme le montre l’exemple d’Annabelle, l’amour est possible. C’est dans cette voie qu’il oriente ses recherches, dont le but est résumé dans le titre de la troisième partie du roman: „illimité émotionnel.“ (PE 265). Après avoir terminé son travail, Michel envoie ses résultats au journal Nature et à l’Académie des Sciences à Paris et disparaît sans laisser de trace. Son protagoniste principal disparu, l’histoire fait un grand saut dans le temps pour arriver à l’année 2079. A cette époque, le narrateur peut retracer les recherches de Michel, qui furent réalisées á partir de l’an 2029 grâce à la promotion de Frédéric Hubczejak, biologiste de deuxième rang, mais „extraordinaire agitateur d’idées“ (PE 309- 310). Elles ont abouti à la suppression de l’Homme comme nous le connaissons au profit des post-humains avec des caractéristiques remarquables: ils ont tous le même code génétique, ils sont asexués et de plus immortels. Ils surpassent les hommes décrits dans Brave New World, qui visiblement était leur modèle littéraire: sans ce modèle, ils n’existeraient pas. Ainsi, dans l’épilogue les différents fils conducteurs de la narration se rejoignent: le dépassement du ‘moi’ et de l’individualité, le dépassement de la mort, et la création d’un nouvel homme d’après les indications de la science et de la science fiction. En même temps, l’épilogue marque un point culminant dans la confusion et manipulation des concepts et des codes. Si à première vue, la création des hommes génétiquement reproduits semble indiquer une hégémonie des sciences naturelles, ce n’est pourtant pas le cas. La méthode de recherche de Michel, qui l’a conduit à préparer les possibilités de la reproduction génétique, mérite l’attention, car elle est presque aussi remarquable que les nouveaux hommes. Michel s’est inspiré d’une part d’un modèle qui se base sur le dévouement et l’amour féminin illimité à travers Annabelle et d’autre part de la lecture du Book of Kells, décrit comme „manuscrit enluminé“ (PE 300), réalisé par des moines irlandais au septième siècle et constitué des trois évangiles et maintes illustrations et calligraphies ornementales. Selon Hubczejak cette lecture constitue pour Michel „un moment décisif de l’évolution de sa pensée“ (PE 300), et c’est grâce à la „contemplation prolongée de cet ouvrage“ (PE 300) qu’il est arrivé à formuler ses hypothèses scientifiques. Ainsi, la nouvelle réalité est basée sur trois modèles littéraires: une science fiction, un mythe romantique de la femme et une mystique. C’est inspiré par les formes ornementales et infinies des illustrations dans le Book of Kells, et en tant que philosophe que Michel prend la parole dans le texte „Méditation sur l’entrelacement“ (PE 301), publié à part des ses autres œuvres. Il y dresse un tableau mystique de l’amour: […] l’amant entend l’appel de son aimée, par-delà les océans et les montagnes; pardelà les montagnes et les océans, la mère entend l’appel de son enfant. L’amour lie, et il lie à jamais. La pratique du bien est une liaison, la pratique du mal une déliaison. […] Il n’existe en effet qu’un entrelacement magnifique, immense et réciproque. (PE 302) 46 Dossier Cette représentation poétique de l’amour comme „pratique du bien“ et „entrelacement magnifique“ est très loin du ton neutre des descriptions sociologiques de „l’âge d’or du sentiment de l’amour“. Elle fait plutôt penser à la communication mystique, basée sur un pacte entre initiés, qui dépasse les significations habituelles des termes et les remplace par un savoir qui provient de l’illumination. 34 Les hommes de l’ère post-humaine portent ce pacte et ce savoir dans leurs gènes. Poésie et biologie se rejoignent quand la notion d’entrelacement est appliquée aux lois de liaison de la physique quantique. A première vue, le résultat est surtout de l’ordre scientifique: Michel peut „par le biais d’interprétations il est vrai un peu hasardeuses des postulats de la mécanique quantique, restaurer les conditions de possibilité de l’amour“ (PE 302). Mais de quel ordre est cet amour s’il résulte des expériences physiques? De nouveau, la stratégie narrative est basée sur une manipulation des notions. Les posthumains n’arrivent plus à comprendre les significations des termes „de liberté individuelle, de dignité humaine et de progrès“ tellement défendus par leur prédécesseurs, les hommes (PE 309). De même, face au nouveau „sens de la collectivité, de la permanence et du sacré“ (PE 314), concepts clés de l’idéologie des posthumains qui font allusion à leur identité génétique, le lecteur est obligé à revisiter sa compréhension de ces notions. 35 Le roman conclut ainsi par une mise à nu de toute conception de la réalité: si l’Homme se sert des termes d’amour, de fraternité et du sacré pour désigner et comprendre le monde dans lequel il vit, c’est lui-même qui fabrique ce monde et qui, par conséquent, peut le changer à son gré. Dans son Méditation, Michel écrit: „Au milieu de l’espace, espace humain, nous effectuons des mesures; par ces mesures nous créons l’espace […].“ (PE 301-302) En revanche, dans ses tentatives de changer le monde, l’Homme s’appuie sur des discours et des codes culturels qui façonnent son savoir et sa langue. Un tel constructivisme semble caractériser le roman, car même la société future des post-humains a recours à des modèles très anciens pour concevoir et pour désigner son nouveau monde. Leur conception de l’amour n’est pas basée sur des termes neurologiques, mais sur un idéalisme qui semble s’inspirer de Platon, d’un vieux concept de la bonté féminine, et du mysticisme du Book of Kells. Dans cette perspective, on pourrait avancer que malgré sa réputation de promouvoir les sciences naturelles, la narration insiste sur le pouvoir d’un savoir littéraire et culturel qui puise dans une longue tradition métaphysique. Ainsi, toute science est basée sur un savoir socioculturel et sur un travail d’interprétation. Cette position est promue entre autres par la philosophie contemporaine et par la recherche littéraire sur les émotions, qui avancent que l’attribution de certaines émotions à certains processus physiologiques et biologiques ne peut pas se passer des schémas d’interprétations culturellement fixés. Pour attribuer le rougissement au sentiment de honte, chaque chercheur, peu importe sa discipline, s’appuie sur une conception préalable de la honte. De cette manière, la ‘réalité’ décrite par les sciences naturelles doit se soumettre aux concepts culturels. 36 Si 47 Dossier nous interprétons la fin du roman et son insistance sur les modèles anthropologiques traditionnels dans cette lumière, l’écriture de Houellebecq reste fidèle à deux éléments majeurs de l’écriture réaliste: le travail sur le savoir littéraire et le travail sur la réalité. Malgré l’importance des sciences dans le roman, l’Homme est toujours fasciné par des mythes littéraires et par la quête de bonheur, même si les définitions de ces notions peuvent changer et provoquer ainsi le lecteur. Pour le narrateur des Particules élémentaires, le concept de l’individualité est une narration qu’il s’agit de démonter en faveur d’une autre, celle du „illimité émotionnel“. 1 Michel Houellebecq: Les particules élémentaires. Paris: Flammarion 2007, 302. 2 Sur la dépression chez le narrateur voir Thomas Hübener: Maladien für Millionen. Eine Studie zu Michel Houellebecqs Ausweitung der Kampfzone. Hannover: Wehrhan, 2007, 55-71. 3 Voir Michel Houellebecq: La carte et le territoire. Paris: Flammarion, 2010, 189, 196. Plateforme, centré autour de l’amour du couple Michel-Valérie, semble former une exception. Avec la mort brutale de Valérie, tuée dans un attentat islamiste, cet amour ne s’avère pourtant pas durable et Michel finit ses jours seul et triste. Au sujet de l’amour dans Plateforme voir Julia Pröll: Das Menschenbild im Werk Michel Houellebecqs. Die Möglichkeit existenzorientierten Schreibens nach Sartre und Camus. München: Meidenbauer, 2007, 410-428. 4 Michel Houellebecq: Les particules élémentaires. 7. Dans ce qui suit PE avec les numéros de page. 5 Ainsi le titre de l’introduction (10). Dans l’introduction à son étude, von Koppenfels cite un passage des Particules élémentaires (10). Martin von Koppenfels: Immune Erzähler. Flaubert und die Affektpolitik des modernen Romans. München: Wilhelm Fink, 2007. 6 Pour la position du narrateur vis-à-vis de l’histoire voir Rita Schober: „Weltsicht und Realismus in Michel Houellebecqs utopischem Roman Les Particules élémentaires“, dans: RZLG 25 (2001), 177-211, Jörn Steigerwald: „(Post-)Moralistisches Erzählen. Michel Houellebecqs Particules élémentaires“, dans: Lendemains 138/ 139 (2010), 191-208 et Agnieszka Komorowska, Jörn Steigerwald: „Schöne neue Menschen. Zu Michel Houellebecqs Particules élémentaires“, dans: Anna Sieben, Katja Sabisch-Fechtelpeter, Jürgen Straub: Menschen machen. Die hellen und die dunklen Seiten humanwissenschaftlicher Optimierungsprogramme. Bielefeld: Transcript (à paraître). 7 Voir Eric Fassin: „Le roman noir de la sexualité française“, dans: Critique 627-638 (2000), 604-616, Liesbeth Korthals Altes: „Persuasion et ambiguïté dans un roman à thèse postmoderne (Les particules élémentaires).“ In: Sabine van Wesemael (ed.): Michel Houellebecq. Amsterdam/ New York: Rodopi, 2004, 29-45. Constanze Alt: „Elementarteilchen“, dans: idem: Zeitdiagnosen im Roman der Gegenwart. Bret Easton Ellis American Psycho, Michel Houellebecqs Elementarteilchen und die deutsche Gegenwartsliteratur. Berlin: Trafo, 2009, 161-276. 8 Voir à ce sujet Doris Bachmann-Medick: Cultural turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2006. 9 Voir pour une perspective sur ces approches: Rüdiger Campe: Affekt und Ausdruck. Zur Umwandlung der literarischen Rede im 17. und 18. Jahrhundert. Tübingen: Niemeyer 1990; Ullrich Port: Pathosformeln. Die Tragödie und die Geschichte exaltierter Affekte (1755-1888). München: Wilhelm Fink, 2005. 48 Dossier 10 Cette division est proposée par Simone Winko: Kodierte Gefühle. Zu einer Poetik der Emotionen in lyrischen und poetologischen Texten um 1900. Berlin: Erich Schmidt, 2003, 31-109. 11 Voir Giacomo Rizzolatti, Corrado Sinigaglia: Les neurones miroirs. Paris: Editions Odile Jacob, 2007. 12 Voir Katja Mellmann: Emotionalisierung - Von der Nebenstundenpoesie zum Buch als Freund. Eine emotionspsychologische Analyse der Aufklärungsepoche. Paderborn: Mentis Verlag 2006, Katja Hettich: „Sympathetisches Bangen und ästhetischer Genuss. Zur emotionalen Leserlenkung in Emile Zolas La Curée“, 67-83. Dans: Stephan Leopold; Dietrich Scholler (eds.): Von der Dekadenz zu den neuen Lebensdiskursen. Französische Literatur und Kultur zwischen Sedan und Vichy. München: Wilhelm Fink, 2010, Robin Curtis, Gertrud Koch (eds.): Einfühlung. Zur Geschichte und Gegenwart eines ästhetischen Konzepts. München: Wilhelm Fink, 2009. Comme la littérature y est abondante, je renvoie au résumé de Thomas Anz: „Kulturtechniken der Emotionalisierung. Beobachtungen, Reflexionen, Vorschläge zur literaturwissenschaftlichen Gefühlsforschung.“ In: Karl Eibl, Katja Mellmann, Rüdiger Zymner (eds.): Im Rücken der Kulturen. Paderborn: Mentis, 2007, 207-239. 13 Voir Schnell 221-222. Lucien Febvre: „Comment reconstituer la vie affective d’autrefois? La sensibilité et l’histoire“, dans: Annales d’histoire sociale 3 (Janvier-Juin 1941) 5-20 et André Burguière: „La notion de ‘mentalité’ chez Marc Bloch et Lucien Febvre. Deux conceptions, deux filiations“, dans: Revue de synthèses, 3. Ser, 111-112 (1983), 333-348. 14 Voir Norbert Elias: Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. 2 Bd. Basel/ München: Francke 1969. 15 Voir Rüdiger Schnell: „Historische Emotionsforschung. Eine mediävistische Standortbestimmung“, dans: Frühmittelalterliche Studien 38 (2004), 174- 276, 246. 16 Roman Jakobson: „Closing Statements: Linguistics and Poetics“, dans: Thomas A. Sebeok (ed.): Style in Language. Cambridge, MA: MIT Press, 1960, 350-377. 17 Pour une discussion des différents concepts du terme ‘code’ voir Rüdiger Schnell, op. cit., 174-192 18 A ce sujet Winko s’appuie sur Heinz-Günter Vester: Emotion, Gesellschaft und Kultur. Grundzüge einer soziologischen Theorie der Emotionen. Wiesbaden: VS, 1991. voir Simone Winko, op. cit., 84. Notre description des codes suit le modèle de Winko, 84-87. 19 Simone Winko, op. cit., 86. Voir à ce sujet aussi le terme de „epochale Psycheme“ avancé par Heinz Thoma et Kathrin van der Meer (eds.): Epochale Psycheme und Menschenwissen - Von Montaigne bis Houellebecq, Würzburg, 2007. 20 Voir Simone Winko, op. cit., 87-88. 21 Ibid. „Autoren und zumindest zeitgenössische Leser teilen ein Wissen darüber, wie Emotionen verlaufen, in welchen Situationen sie entstehen und wie sie angemessen auszudrücken sind, und über dieses gemeinsame Wissen funktioniert das Kodieren wie das Dekodieren auch der indirekten Formen literarischer (ebenso wie nicht-literarischer) Gestaltung von Emotionen.“ (141) 22 Voir Martin von Koppenfels, op. cit., 37-97. 23 Voir Christiane Voss: Narrative Emotionen. Eine Untersuchung über Möglichkeiten und Grenzen philosophischer Emotionstheorien. Berlin: Walter de Gruyter, 2003 et Burkhard Meyer-Sickendiek: Affektpoetik. Eine Kulturgeschichte literarischer Emotionen. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2005. Meyer-Sickendiek s’appuie sur un modèle des scénariiclé de Roland de Soussa. 24 Jacques Lacan: „Le stade du miroir comme formateur de la fonction du Je, telle qu’elle nous est relevée dans l’expérience psychanalytique“, dans: Jacques Lacan: Ecrits, Paris: 49 Dossier Seuil, 1966, 93-101. L’analyse du stade de miroir de Lacan fait écho dans la Nouvelle Autobiographie et dans l’autofiction. Ce n’est pas par hasard, que Houellebecq ironise sur un concept si cher au Nouveau Roman. Voir Alain Robbe-Grillet: Le miroir qui revient, Paris: Editions de Minuit, 1985, et Georges-Arthur Goldschmidt: Le miroir quotidien, Paris: Editions du Seuil, 1981. 25 L’homme, qui apparaît dans le rêve de Michel, fait écho à la figure mythologique de Sisyphe, devenue emblématique de la condition de l’Homme moderne à travers l’existentialisme d’Albert Camus. Voir Albert Camus: Le mythe de Sisyphe. Paris: Gallimard, 1942. 26 Voir Eva Illouz: Consuming the Romantic Utopia: Love and the Cultural Contradictions of Capitalism. Berekley: University of California Press, 1997, 25. 27 Eva Illouz: Consuming the Romantic Utopia, 47. 28 Voir Anthony Giddens: The Transformation of Intimacy. Sexuality, Love and Eroticism in Modern Societies. Stanford: Stanford University Press, 1992, Luc Boltanski: La souffrance à distance. Morale humanitaire, médias et politique. Paris: Editions Métailié, 1993, Andreas Reckwitz: Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne. Weilerswist: Velbrück, 2006. 29 Voir Philippe Ariès: L’Homme devant la mort, Paris: Editions du Seuil, 1977 et Jean Delumeau: La peur en Occident (XIV e -XVIII e siècle). Paris: Hachette, 2003. 30 Voir Jean-Paul Sartre: L’être et le néant. Essai d’ontologie phénoménologique. Paris: Gallimard, 1943. 31 Pour une lecture de l’œuvre de Houellebecq dans une perspective existentialiste, voir Julia Pröll, op.cit. 32 Selon Jörn Steigerwald les frères Michel-Bruno et Julian-Aldous font référence au modèle platonique de Prométhée et d’Epiméthée. Voir Jörn Steigerwald: (Post-)Moralistisches Erzählen, 195. 33 Pour une interprétation de l’œuvre de Michel Houellebecq sous la perspective des moralistes français du 17 e siècle voir: Jörn Steigerwald: „(Post-)Moralistisches Erzählen“. Et l’article de Jutta Weiser dans ce dossier. 34 Pour la communication mystique et le pacte du ‚volo’ voir Michel de Certeau: La fable mystique I, XVI e -XVII e siècle. Paris: Gallimard, 2007, 227. 35 Voir Agnieszka Komorowska, Jörn Steigerwald: „Schöne neue Menschen. Zu Michel Houellebecqs Particules élémentaires“, op. cit. 36 Voir Rüdiger Schnell: „Die Zuschreibung von bestimmten Gefühlen an bestimmte physiologisch-biologische Prozesse (z.B. Erröten in einer Situation) kommt nicht ohne kulturell vorgegebene Deutungsschemata aus. Allein schon die Zuordnung des Affektschemas ‘Scham’ oder ‘Angst’ zu einem physiologischen oder neurobiologischen Befund stützt sich auf vorgegebene kulturelle Konzepte von ‘Scham’ oder ‘Angst’. Das heißt, die naturwissenschaftlich beschriebene ‘Realität’ muß sich letztlich kulturellen Konzepten unterordnen.“ Rüdiger Schnell, Historische Emotionsforschung, 231. Voir aussi Michael Quante: „Ein stereoskopischer Blick? “ dans: Dieter Sturma (ed): Philosophie und Neurowissenschaften. Frankfurt/ Main: Suhrkamp, 2006, 124-145. 50 Dossier Jörn Steigerwald Histoires d’outre-tombe: Plateforme de Michel Houellebecq 1 Le roman Plateforme fut le grand succès de la rentrée littéraire de l’année 2001, mais ceci, surtout à cause du scandale qu’il provoqua. 2 La critique le considéra dès sa publication comme un, sinon le roman qui porte sur le tourisme sexuel et reflète par ce biais la situation désastreuse de la France actuelle sur les plans social, culturel et anthropologique. L’auteur Michel Houellebecq redoubla cette vue de la critique sur le roman en présentant son œuvre nouvelle dans des clubs échangistes et en y donnant des interviews. Ainsi, il multiplia l’attraction du roman par son propre comportement et donna l’occasion à pas mal de critiques d’identifier le narrateur Michel avec l’auteur Michel Houellebecq. 3 Même si cette superposition de l’auteur et du narrateur de Plateforme ne marque qu’un épisode, même digne d’attention, de la recherche sur ce roman, les traces que l’auteur lança après la publication devinrent les pistes majeures de la recherche jusqu’à aujourd’hui: soit qu’on s’occupe du tourisme sexuel décrit dans le roman, soit qu’on analyse les réflexions des figures sur la société mondialisée et sur le néolibéralisme. 4 Toutefois, ces approches du roman se concentrent surtout sur l’histoire du roman et en négligent ainsi la narration. C’est d’autant plus remarquable que le roman se base sur une narration spécifique, le narrateur Michel racontant son histoire d’amour avec sa femme adorée Valérie après la mort de celle-ci, et au moment où il est prêt de disparaître complètement du monde. A cela s’ajoute la polyphonie de la narration qui combine la voix de plusieurs figures, qui expliquent de différentes manières la condition actuelle du monde et de la société contemporaine, avec le récit du narrateur qui décrit sa vie de manière mélancolique sinon nostalgique. Or, c’est juste vers la fin de la deuxième partie du roman que le narrateur devient un protagoniste au sens propre en prenant la parole au niveau de l’action et en participant à la création du club Eldorado Aphrodite. Mais ce processus qu’il initie est aussi celui qui provoque la fin lamentable de sa propre histoire, car il mène à la visite du club Eldorado Aphrodite en Thaïlande, qui finira brutalement avec l’attentat des terroristes islamiques et la mort de la femme adorée, Valérie. De plus, le narrateur met dès le début la relation entre son histoire et l’Histoire de son temps en relief, et se stylise en tant qu’être exemplaire de la société française et de l’histoire contemporaine. Cette double mise en scène de l’histoire va de pair avec la réflexion sur le statut de l’année 2000 qui signale une mutation au niveau épistémologique ainsi qu’une transformation fondamentale au niveau de la politique. Une transformation qui mène selon le narrateur à une nouvelle société globalisée qui se base exclusivement sur l’échange des capitaux, le capital du 51 Dossier corps et du sexe inclus. La seule exception à ce processus social et politique se trouve dans la figure de Valérie, qui est, selon le narrateur, l’idéal de la femme dite naturelle et la promesse du bonheur pour les hommes, ou, du moins, pour le narrateur lui-même. D’où résulte une configuration triple qui renvoie à l’histoire exemplaire d’un homme, à L’Histoire de son temps et à l’idéal de la femme imaginé par l’homme. Le narrateur se situe ainsi dans une tradition littéraire qui vient des Mémoires d’outre-tombe de Chateaubriand ou, pour être plus précis, la narration se montre comme une réécriture à rebours de la quatrième partie des Mémoires d’outre-tombe. 5 C’est le point central sur lequel je me concentrerai dans cet article qui s’interroge sur le rôle et la fonction de l’histoire du protagoniste ainsi que de l’Histoire dans le roman Plateforme que le narrateur utilise pour modeler son apperception subjective du monde comme une description qui prétend être objective. En répondant à cette question, j’essaierai de montrer que Houellebecq prit le modèle littéraire des Mémoire d’outre-tombe d’une manière distanciée, mais productive, pour l’adapter aux conditions d’une société mondialisée au tournant de l’époque. Houellebecq présente son roman par conséquent non seulement comme un roman contemporain au sens strict, car l’histoire du roman se déroule exactement entre l’année 1999 et l’année 2001, la date de la publication du roman, mais il reflète aussi les transformations sociales, culturelles et économiques d’une société globalisée en situant l’histoire du roman autour de l’année 2000. C’est-àdire que l’histoire du roman a lieu à un moment zéro de notre Histoire, dans lequel l’ancienne époque du monde traditionnel disparaît sans qu’on sache encore ce qui arrivera dans la nouvelle époque à venir. Il s’ensuit une relation complexe entre description et commentaire, voire essai d’expliquer la situation actuelle que le narrateur ainsi que la majorité des figures donnent au courant de l’histoire. Le roman se présente alors comme une socioanthropologie de la société mondialisée au niveau de l’histoire, et montre en même temps au niveau de la narration que chaque description anthropologique ou explication sociologique n’est rien d’autre qu’un récit qui veut représenter le monde réel mais ne présente qu’une vision du monde; une vision qui produit par la description du monde un monde réaliste, voire fictive. Or, Plateforme met en relief que le réalisme d’aujourd’hui se base sur la relation insoluble de l’histoire du sujet et de l’Histoire du monde et renvoie par ce biais à une anthropologie littéraire qui est à la fois contemporaine et historique. Pour mettre en évidence le statut et la fonction de l’histoire et de l’Histoire dans Plateforme, il faut tirer au clair le modèle de Chateaubriand et son adaptation houellebecquienne. Pour cela, je me référerai d’abord à la Préface testamentaire de Chateaubriand en analysant sur cet arrière-plan la relation entre histoire individuelle et Histoire européenne voire mondiale dans Plateforme. Dans un deuxième temps, je me concentrerai sur les opinions des figures ainsi que sur les aspirations et les idées du narrateur, qui mettent en relief les interprétations critiques de leur réalité d’un côté, mais qui mettent aussi en scène le rêve de l’homme de retrouver 52 Dossier sa propre nature à travers le bonheur d’un autre côté. Pour finir, je me focaliserai sur la représentation des figures féminines et leur prétendue lisibilité allégorique, à savoir sur le statut poétique des figures féminines. 1. La vie solitaire de Michel ou la relation entre biographie et Histoire Autour de 1800, deux modélisations de l’autobiographie émergèrent qui obtinrent - chacune à sa manière - un rôle fondateur de la littérature moderne: les Confessions de Rousseau (1782) et Dichtung und Wahrheit de Goethe (1811-1833). 6 Ces deux formes d’autobiographie mettent l’accent sur la formation du sujet voire de l’individu, en problématisant le statut précaire du récit, car il pose la question de savoir comment l’individu peut décrire sa propre histoire à un moment auquel les différences entre mémoire, histoire et fantaisie deviennent de plus en plus instables. Ce problème s’aggrave encore une fois si l’on regarde la revendication de l’auteur de ces autobiographies qui veulent se présenter dans leur propre représentation en tant que narrateur fiable et individu authentique. Néanmoins, une telle perspective sur la tradition de l’autobiographie néglige une troisième modélisation de l’autobiographie qui fut publiée seulement peu de temps après, à savoir celle que François-René de Chateaubriand proposa avec la publication de ses Mémoires d’outre-tombe (1848). 7 C’est à travers la narration de sa propre existence que Chateaubriand décrit le temps historique qu’il a vécu, incluant toutes les grandes révolutions et transformations politiques et sociales en tant que témoin et acteur. Une première parallèle évidente entre les Mémoires d’outre-tombe et Plateforme découle de ce récit, car les deux protagonistes s’y considèrent comme des acteurs politiques et des écrivains qui ont une fonction sociale, car ils possèdent la compétence de comprendre les structures de leur société en mouvement et de les réorganiser selon leur idée: soit directement au niveau politique comme le faisait Chateaubriand de son temps, soit au niveau de l’industrie du tourisme en tant que dispositif socio-économique de la société contemporaine comme le fait le narrateur Michel. De plus, le protagoniste des Mémoires d’outre-tombe présente au lecteur son destin comme le destin exemplaire de sa génération. Il décrit une génération qui se vit confrontée à l’effondrement de l’ancien monde, voire de l’Ancien Régime, et le commencement du monde nouveau qui connaît pour la première fois une perspective vraiment globale. Le narrateur de Plateforme reprend ce chemin en se montrant comme le protagoniste d’une histoire exemplaire de sa génération et par ce biais de sa société mondialisée. 8 Les deux narrateurs des Mémoires et de Plateforme s’opposent alors aux narrateurs des Confessions et de Dichtung und Wahrheit, en ce que les premiers se considèrent comme des caractères exemplaires de leur culture et de leur société, tandis que les derniers se modélisent en tant que caractères singuliers et par conséquent élevés de leur société. 53 Dossier Reste la différence entre les deux narrateurs des histoires d’outre-tombe. Elle se fait voir à trois niveaux divers: 1) Elle consiste en leur représentation de soi, car la narration des trois carrières de Chateaubriand se distingue évidemment de la narration des échecs permanents de Michel. 9 2) Elle se réfère à leur situation dans leur monde respectif qui met en contraste un monde en révolution permanente chez Chateaubriand et un monde qui subit de plus en plus un déclin sur tous les niveaux possibles chez Michel. 3) Elle renvoie à leur position envers le futur voire la mort - l’attente du bonheur éternel chez Dieu après la mort chez Chateaubriand et la conscience d’un futur vide de sens et de sécurité chez Michel au moment de sa disparition proche. 10 Cependant, ces différences catégoriales au niveau de l’histoire et de l’Histoire entre les Mémoires d’outre-tombe et Plateforme ne devaient pas entrainer un lecteur à méconnaître les parallèles au niveau de la narration, qui met sous les yeux la relation intrinsèque entre les événement politiques et historiques dont un sujet exemplaire témoigne et la vie privée voire intime de ce même sujet. En racontant son histoire, le narrateur dévoile alors ses aspirations personnelles et les idéaux ou, du moins, les rêves et les désirs de sa société. Chateaubriand présente cette conception d’une narration historique et intime en même temps, surtout dans la Préface testamentaire qui lui servit à concrétiser sa modélisation en tant qu’auteur et sa position en tant qu’acteur politique: J’ai fait de l’histoire, et je pouvais l’écrire. Et ma vie solitaire, rêveuse, poétique, marchait au travers de ce monde de réalités, de catastrophe, de tumulte, de bruit avec les fils de mes songes, Chactas, René, Eudore, Aben-Hamet; avec les filles de mes chimères, Atala, Amélie, Blanca, Velléda, Cymodocée. En dedans et à côté de mon siècle, j’exerçais peut-être sur lui, sans le vouloir et sans le chercher, une triple influence religieuse, politique et littéraire.11 Après avoir nommé tous les personnages éminents de l’Histoire à la page précédente, Chateaubriand se concentre dans ce paragraphe sur la relation entre histoire et littérature et met en relief sa position spécifique, car son écriture de l’histoire renvoie à trois niveaux divers qui se trouvent rassemblés dans ses œuvres: L’histoire de sa vie réelle, l’histoire de ses songes, à savoir l’histoire de ses aspirations, et l’histoire de ses chimères, notamment l’histoire de ses fantaisies qui se rendent visibles dans ses créations des femmes imaginées. S’y ajoute le fait que la narration de Chateaubriand produit par conséquent des figures et des événements qui sont concrets d’un côté, mais qui se basent sur des statuts ontologiques divers d’un autre côté. Selon Chateaubriand, sa vie se distingue en une vie solitaire, une rêveuse et une poétique qui vont de pair. De plus, ces trois vies forment une configuration triple qui exerce probablement une influence „religieuse, politique et littéraire“. D’où résulte une relation entre la vie solitaire et la religion, la vie rêveuse et la politique et la vie poétique et la littérature. Mais Chateaubriand n’en reste pas là: Il présente à la page suivante sa conception des Mémoires d’outre-tombe en tant que narration d’une histoire exemplaire: 54 Dossier Si j’étais destiné à vivre, je représenterais dans ma personne, représentée dans mes mémoires, les principes, les idées, les événements, les catastrophes, l’épopée de mon temps, d’autant plus que j’ai vu finir et commencer un monde, et que les caractères opposés de cette fin et de ce commencement se trouvent mêlés dans mes opinions.12 Suivant l’argumentation de Chateaubriand, il vaut bien de considérer sa personne comme une personne exemplaire, car elle intègre en elle-même tous les principes, idées et événements de son temps, ce qui fait qu’il constitue sa personne exemplaire moins comme un individu spécifique et plus comme un intermédiaire de son époque. Cela va de pair avec une narration de cette personne qui présente une réflexion intersubjective sur cette même époque. Les Mémoires d’outre-tombe combinent alors la vie solitaire, rêveuse et poétique d’une personne exemplaire pour mettre sous les yeux du lecteur une figure concrète, mais fictive, qui réfléchit et reflète son temps en tant que personnification de l’histoire et de l’Histoire. 13 Cette reconstruction abrégée de la conception littéraire des Mémoires d’outretombe me permet de m’approcher plus précisément de la narration de Plateforme, qui suit la modélisation des premières à plusieurs niveaux: La vie solitaire de Michel sert de base à une narration qui focalise la description sociologique voire socio-anthropologique de sa société, et substitue ainsi la problématisation d’un sujet croyant sub specie aeternitatis par la réflexion d’un sujet désillusionné dans un monde d’un ‘être-sans-abri-transcendantal’. On pourrait considérer cette transformation soit comme une adaptation aux constitutions du monde contemporain, ce qui implique une perspective négative sur ce monde, ou comme une modélisation littéraire qui met plus l’accent sur le fait que le sujet se trouve à côté de son siècle et moins dedans, ce qui renvoie à une perspective plus neutre sur ce monde. La vie rêveuse et la vie poétique de Michel par contre se concrétisent de manière plus évidente, car la vie rêveuse se réfère aux aspirations de Michel, c’est-à-dire à son projet de club Eldorado Aphrodite en tant que solution pour le malheur du siècle, tandis que la vie poétique se dirige vers sa création de la femme naturelle, incorporée par Valérie, et par ce biais vers sa restitution du bonheur (masculin). Je voudrais me concentrer sur trois épisodes exemplaires pour mettre en relief comment Michel présente sa vie solitaire: la mort du père au début du roman, et les deux fins du roman. Le début du roman se présente à première vue comme une réécriture de L’étranger d’Albert Camus, en prétendant citer la première phrase, mais se montre, si on le regarde de plus près, comme une mise en scène différente: Mon père est mort il y a un an. Je ne crois pas à cette théorie selon laquelle on devient réellement adulte à la mort de ses parents; on ne devient jamais réellement adulte. Devant le cercueil du vieillard, des pensées déplaisantes me sont venues. Il avait profité de la vie, le vieux salaud; il s’était démerdé comme un chef. „T’as eu des gosses, mon con… me dis-je avec entrain; T’as fourré ta grosse bite dans la chatte à ma mère.“ Enfin j’étais un peu tendu, c’est certain; ce n’est pas tous les jours qu’on a des morts 55 Dossier dans sa famille. J’avais refusé de voir le cadavre. J’ai quarante ans, j’ai déjà eu l’occasion de voir des cadavres; maintenant, je préfère éviter. C’est ce qui m’a toujours retenu d’acheter un animal domestique.14 Si on ne se laisse pas choquer par l’apostrophe agressive du père par le protagoniste, on remarque facilement une structure temporelle assez complexe sinon contradictoire. La première phrase constate d’abord la mort du père qui advint un an avant le début de la narration. La deuxième phrase par contre change du passé composé au présent et présente une réflexion critique du protagoniste sur une explication de la dimension anthropologique du décès des parents pour leurs enfants. La transition du premier au deuxième paragraphe reprend le passé composé de la phrase initiale en accentuant un autre regard sur la situation: tandis que la constatation de la date de la mort du père souligne la distance - au moins - temporelle entre cet événement et la narration, la première phrase du deuxième paragraphe représente la situation du protagoniste à l’occasion de cet événement, à savoir dans un lieu et à un moment précis, car il raconte les „pensées déplaisantes“ qui lui sont venues à l’esprit quand il était devant le cercueil de son père. Cette mise en scène est assez remarquable si on prend en considération la situation du narrateur quand il commence à écrire son histoire: Il se trouve complètement seul à Pattaya Beach, loin de la France et plus d’un an après la mort de son père, si on suit la course de sa narration. La narration sert par conséquent à rendre présent un événement passé et par ce biais à revivifier par la mémoire et/ ou par l’imagination une expérience vécue qui initie l’histoire qui suivra. De plus, les „pensées déplaisantes“ prennent une double connotation si on considère la différence entre le temps raconté et le temps de la narration, car dans le premier cas, ces pensées ne montrent qu’un homme plus au moins furieux qui insulte son père, tandis que dans le deuxième cas, l’apostrophe du père obtient une autre connotation: dans ce cas, on reconnaît plutôt une forme de complicité entre père et fils - soulignée par „l’entrain“ du discours - et non pas un antagonisme. S’y ajoute le fait que le protagoniste parle „des gosses“ de son père, à savoir des femmes au pluriel, ce qui va parfaitement de pair avec la découverte que le père avait eu des relations sexuelles avec sa femme de ménage, une découverte que le fils fait juste après avoir été auprès du cercueil. 15 La structure temporelle est complètement bouleversée dès la phrase qui commence avec „J’avais refusé“, c’est-à-dire avec une constatation au plus-queparfait, qui est suivie par une phrase au présent „J’ai quarante ans“. La situation semble assez complexe, même illogique, car le changement de temps qu’on lit dans l’incipit semble en dehors de toute logique temporelle. Cela s’aggrave encore une fois si l’on regarde l’histoire du protagoniste, car il avait 40 ans au début de l’histoire, mais il a 42 au moment où il commence la narration, ce qui produit un autre problème de logique au niveau de la narration. Reste la question de savoir comment s’explique la structure temporelle de l’incipit. Une possibilité émerge si l’on essaie de reconstruire la narration en commençant avec la phrase suivante: „J’ai quarante ans, j’ai déjà eu l’occasion de voir des 56 Dossier cadavres; maintenant, je préfère éviter.“ Cette phrase combine trois constatations qui renvoient à trois niveaux divers de la narration: La première partie se réfère au début de l’histoire de la narration, quand le narrateur avait quarante ans; le présent doit alors être considéré comme un présent historique. La deuxième partie de la phrase renvoie par contre à une situation après l’attentat des terroristes dans laquelle Valérie mourut aussi, et se situe alors un peu plus d’an après la mort du père. 16 La troisième partie, qui commence avec l’adverbe temporel „maintenant“, met encore une fois la situation présente du narrateur en relief, même si elle est la seule situation qui renvoie vraiment à la présence historique. Bref: c’est justement dans ce moment de la présence que le narré et la narration coïncident dans l’autodiégèse du narrateur-protagoniste. Ce qui unit les parties de la phrase est alors la rhétorique de l’évidence, la capacité de la narration à mettre visiblement ces moment sous les yeux du lecteur - mais aussi du narrateur - et de les rendre encore une fois présents par ce biais; même si les moments qui forment cette image datent de différentes strates historiques. La narration énergétique - évoquée par l’“entrain“ au niveau de l’histoire - provoque une situation dans laquelle l’imagination créatrice du narrateur et du lecteur développe ses effets plus que visibles. 17 L’incipit se présente donc à première vue en tant que renouveau d’un roman existentialiste dans lequel la condition absurde de l’homme est décrite. Il se montre par la suite par contre comme la mise en scène littéraire d’une configuration triple qui est en même temps l’héritage des Mémoire d’outre-tombe et le début d’une narration réaliste et contemporaine. Une configuration qui lie étroitement la mort, le bonheur sexuel et l’histoire revivifiée par la narration. Au lieu d’une histoire réelle, le narrateur présente au lecteur une histoire réaliste dans laquelle il combine non seulement sa biographie avec l’Histoire, mais dans laquelle il vise aussi à la construction historique et imaginée de sa propre époque. Cela se fait voir pendant toute la narration, mais éclate de nouveau à la fin de l’histoire ou pour être plus précis, aux deux fins de l’histoire. Ces deux fins sont d’un côté complémentaires, car elles décrivent la situation du narrateur à la fin de sa vie quand il arrive à Pattaya Plage, mais ils mettent l’accent sur l’écriture et sur la mémoire de deux manières diverses d’un autre côté. Le narrateur décrit sa décision de commencer à narrer son histoire à la fin du quatrième chapitre de la troisième partie: Il ne me restait plus grand-chose à faire, dans l’existence, en général. J’achetai plusieurs rames de papier 21 x 29,7 afin d’essayer de mettre en ordre les éléments de ma vie. C’est une chose que les gens devraient faire plus souvent avant de mourir. Il est curieux de penser à tous ces êtres qui vivent une vie entière sans avoir à faire le moindre commentaire, la moindre objection, la moindre remarque. Non que ces commentaires, ces objections, ces remarques puissent avoir un destinataire, ou un sens quelconque; mais il me semble quand même préférable, au but du compte, qu’ils soient faits.18 57 Dossier Le chapitre finit par analogie à l’incipit du roman concernant la structure temporelle: Les deux premières phrases sont écrites à l’imparfait, tandis que le narrateur utilise le présent dès la troisième phrase. Cependant, ce changement de temps irrite, car selon la logique de la narration, les deux étapes ont lieu en même temps, c’est-à-dire dans le passé. Le présent de la constatation du narrateur doit être considéré par conséquent comme un présent historique qui donne une dimension transhistorique à la réflexion qu’il eut à ce moment. En faisant cela, le narrateur n’insiste pas seulement sur la nécessité de la réflexion - soit commentaire, soit objection, soit remarque - mais renvoie aussi à deux niveaux divers de la narration. Il se réfère à la mise en scène des opinions que Chateaubriand présente dans sa Préface testamentaire d’un côté et renvoie de l’autre le lecteur à sa conception de la narration. Cette narration que le lecteur vient de finir consiste alors dans ses commentaires, objections et remarques et non pas dans le récit de son histoire réelle. Il s’agit plus précisément d’une combinaison - initiée par Chateaubriand - qui unit la mise en ordre des éléments de la vie, à savoir de l’histoire d’une personne exemplaire, et les opinions de cette même personne pour donner un tableau de la société contemporaine. La narration du roman relate un regard moraliste avec une description de l’Histoire actuelle au tournant des époques. La deuxième et dernière fin du roman suit les traces de la première, mais y ajoute encore une dimension nouvelle qui se dirige vers la vie rêveuse et la vie poétique du narrateur: Contrairement à d’autres peuples asiatiques, les Thaïs ne croient pas aux fantômes; et éprouvent peu d’intérêt pour le destin des cadavres; la plupart sont enterrés directement à la fosse commune. Comme je n’aurai pas laissé d’instructions précises, il en sera de même pour moi. Un acte de décès sera établi, une case cochée dans un fichier d’état civil, très loin de là, en France. Quelques vendeurs ambulants, habitués à me voir dans le quartier, hocheront la tête. Mon appartement sera loué à un nouveau résident. On m’oubliera. On m’oubliera vite.19 Cette fin semble à première vue être la fin lamentable d’une vie désastreuse, qui ne connaît rien d’autre que des échecs et une disparition complète à son aboutissement. Néanmoins, il reste la question de savoir pourquoi le narrateur raconte son histoire s’il craint vraiment qu’on l’oublie après sa mort. Une réponse à la question pourrait être qu’il met l’accent moins sur l’oubli - craint ou non - et plus sur la situation de la mort proche. Pour être plus précis: le narrateur met en relief dans ce paragraphe sa situation d’être dans l’outre-tombe ou du moins, d’être près de l’outre-tombe. Cela va de pair avec une réflexion sur le statut de l’art que le narrateur présente au début de son récit, c’est-à-dire une réflexion qu’il formule juste au début de sa journée à Pattaya Beach quand il commence à écrire son histoire: „Ma conclusion, dorénavant, est certaine: l’art ne peut pas changer la vie. En tout cas pas la mienne.“ 20 Même si cette réflexion se situe dans un contexte dans lequel le narrateur raconte sa vie professionnelle dans le milieu de l’art, le présent utilisé renvoie encore une fois à la situation du narrateur, à savoir sa situation après son histoire, se trouvant à Pattaya Beach, et présente ainsi son opinion sur 58 Dossier l’art en général et sur la littérature en particulier. Selon lui, l’art ne peut pas changer la vie, surtout pas la sienne, car sa vie s’est déjà déroulée et tout le bonheur de sa vie, c’est-à-dire sa relation amoureuse avec Valérie, est définitivement passé. Dans ce sens, l’art ne peut pas du tout changer la vie. Mais il a une autre capacité, car il rend les personnes aimées encore une fois présentes en les vivifiant par et dans la narration. Même si les Thaïs ne croient pas aux fantômes des morts, le narrateur y croit et c’est pourquoi il raconte son histoire d’outre-tombe en y décrivant sa vie solitaire, sa vie rêveuse et sa vie poétique. 2. La vie rêveuse de Michel ou la relation entre opinion et Histoire La vie rêveuse de Michel, c’est-à-dire sa vie des aspirations et des actions, s’engage au sens propre dès son voyage en Thaïlande, au début du troisième chapitre de la première partie. Le narrateur met en scène ce commencement avec une narration déictique et énergique en même temps: „Et maintenant j’étais là, seul comme un connard. A quelques mètres du guichet Nouvelles Frontières.“ 21 La construction incorrecte de la phrase au niveau grammatical déploie son sens si on regarde la structure déictique de cette même phrase, car il s’agit d’une construction exemplaire de la deixis, voire de ‘ego’, ‘hic’ et ‘nunc’, sauf que le ‘nunc’ précède le ‘ego’ dans ce cas. Mais ce faisant, le narrateur souligne de nouveau le caractère décidément littéraire de sa narration et met aussi en relief l’incipit d’une nouvelle époque pour lui: Incipit vita nuova… Il reste alors la question de savoir qu’est-ce qui caractérise cette époque nouvelle et en quoi consistent ses aspirations nouvelles. Si l’on considère la structure du roman, c’est-à-dire la répartition de la narration, on remarque facilement une série d’étapes. Le narrateur se montre dans la première partie en tant qu’observateur de la société mondialisée, ce qui va de pair avec son statut plus au moins passif. Dans la deuxième partie, par contre, il prend l’initiative et essaie de façonner le monde selon sa vision et avec les possibilités du tourisme sexuel. Dans la première partie, on remarque tout d’abord que le narrateur n’agit presque pas, et qu’il réagit plutôt, s’il réagit même. L’exemple de sa relation avec Valérie pendant les vacances en Thaïlande montre évidemment l’incompétence du narrateur à opérer volontairement et consciemment, ou du moins à agir concrètement avec un autre individu. Il connait par conséquent à cette époque de sa vie seulement des relations distanciées voire des contacts superficiels avec une autre personne. La seule exception, qui n’en est pas vraiment une, est sa vie sexuelle, qui se limite à des contacts avec des prostituées. Le narrateur ne considère pas en conséquence la prostituée respective comme un individu spécifique, mais comme un, sinon son sujet de désir, qui est plus proche d’une marchandise que d’un vrai sujet indépendant. Ce qui caractérise plus la première étape de sa vie nouvelle est alors l’observation de la société contemporaine, voire sa propre opinion et celle des autres sur cette société. Le circuit de voyage en Thaïlande permet au narrateur de présenter 59 Dossier son point de vue sur le monde actuel, mais aussi de raconter ses conversations avec les autres participants du circuit et leurs opinions. C’est surtout la discussion de Michel avec Robert qui peut attirer l’attention, car le narrateur y met en scène une double discussion, une au niveau des arguments, et l’autre au niveau des porte-paroles. La conversation clé entre les deux hommes se déroule dans un salon de massage nommé ‘Pussy Paradise’ et présente Robert de manière remarquable: Depuis le début du voyage, je l’avais noté, il s’imaginait que j’étais de gauche, et attendait l’occasion favorable pour entamer une conversation avec moi; je n’avais aucune intention de me laisser prendre à ce petit jeu. J’allumai une cigarette; il me toisa avec sévérité. „Le bonheur est chose délicate, prononça-t-il d’une voix sentencieuse; il est difficile de le trouver en nous, et impossible de le trouver ailleurs.“ Au bout de quelques secondes, il ajouta d’une voix sévère: „Chamfort“.22 Le narrateur insiste ici sur deux moments qui caractérisent la figure de Robert: celui-ci se montre avec toute la sévérité possible et se présente en plus en tant qu’héritier des moralistes classiques, ou, pour être plus précis, il prétend être un tel héritier. Il prend l’habitus d’un moraliste moderne en ajoutant à sa sévérité un regard intense sur le monde et sur les autres, mais il fait également voir qu’il lui manque l’érudition voire la formation nécessaire à un tel habitus. Or, la sentence que Robert cite est citée de manière incorrecte, car elle s’appelle correctement: „Le bonheur n’est pas chose aisée, il est très difficile de le trouver en nous et impossible de le trouver ailleurs.“ De plus, Robert cite plus probablement Schopenhauer, qui cite lui-même Chamfort au début de ses Aphorismen zur Weltweisheit, et non pas Chamfort, car c’est plutôt à la position pessimiste du premier que Robert renvoie et non pas à celle de Chamfort. 23 D’où résultent deux conséquences: la figure de Robert met en relief la position obsolète d’un regard moraliste traditionnel, car il ne s’agit plus d’un regard adéquat sur le monde actuel, mais d’un regard anachronique. Or, les sentences moralistes se transforment en un assemblage d’idées reçues. Suivant la logique de la narration, la question n’est plus de savoir si la citation est correcte, mais seulement à quelle opinion elle se réfère ou plus précisément pour la description de quelle opinion voire de quelle figure est-elle utilisée. L’exemple de Robert sert alors à la mise en scène d’un moraliste traditionnel, devenant obsolète dans la société contemporaine. Cela se montre encore plus visiblement dans le même épisode, quand Robert explique son point de vue sur l’égalité de l’homme, car la réaction du narrateur consiste seulement en la question de savoir quelle autorité Robert citera - probablement La Rochefoucauld? 24 Un tel regard moraliste ne sert plus à rien et, pire encore, ne permet pas la compréhension nécessaire du monde actuel, car il se base seulement sur l’habitus voire la geste moraliste: une geste qu’on devrait classifier plutôt comme une geste moralisatrice. Dans la deuxième partie du roman par contre, le narrateur décrit sa vie rêveuse en racontant non seulement ses interventions sur le marché touristique qu’il réalise 60 Dossier avec l’invention du Club Eldorado Aphrodite, mais aussi en expliquant son point de vue sur la situation historique et sociale du monde contemporain. Cependant, la première action que le narrateur effectue consciemment et volontairement se déroule dans sa vie privée. Après son retour à Paris, Michel contacte Valérie et lui rend visite: Cette visite marque le début de leur relation sexuelle et par ce biais de leur histoire. Il est digne d’attention que la sexualité et le tourisme vont de pair dès le premier moment de l’histoire de Michel et de Valérie, car leur première rencontre n’est rien d’autre qu’un contact sexuel suivi directement par une conversation sur le comportement des touristes européens. Selon Valérie, le contact sexuel n’existe plus dans les vacances des Français contemporains, c’est-à-dire que l’époque des bronzés est passée sans qu’on sache pourquoi et comment. 25 Prendre l’initiative implique pour le narrateur ainsi une activité double, au niveau de la pratique sexuelle et au niveau de la pratique commerciale, car les deux activités se réunissent dans la personne de Valérie. Il y a quand même une série d’aspirations voire d’actions du narrateur qui soulignent la transformation de sa réflexion en une explication et finalement en son action réelle qui mène à son invention du Club Eldorado Aphrodite. Au début se trouve la lecture qui sert de base au narrateur pour se situer précisément dans sa société et son monde, car il eut „besoin d’une théorie quelconque qui [l’] aiderait à faire le point sur [s]a situation sociale“, et cette lecture consiste d’abord en le Cours de philosophique positive d’Auguste Comte. 26 Après la lecture du Cours, le narrateur prend conscience qu’il faut prendre une décision, même s’il ne s’agit pas de la meilleure décision: la réflexion devient ainsi plus concrète et produit en outre de premiers résultats. 27 Mais c’est le voyage à Cuba que Michel entreprend avec Valérie et Jean-Yves qui désigne le point tournant, car il marque la différence entre la réflexion et l’activité du narrateur-protagoniste. Pendant leur séjour à Baracoa, Michel explique d’abord sa théorie sur l’attraction sexuelle des femmes asiatiques sur les hommes européens et des hommes noirs sur les femmes européennes. 28 Cette explication de la vie sexuelle lui porte à prendre la décision de présenter ses idées d’un tourisme nouveau et prometteur de succès en demandant à Jean-Yves: „Tu veux vraiment trouver une formule nouvelle qui te permette de sauver tes hôtes-club? “ 29 Après la réponse positive, Michel commence à expliquer sa ‘formule’: Je balayai l’objection d’un geste de la main. „Moi non plus je ne sais rien, mais ce n’est pas le problème; ça ne sert à rien de chercher les causes du phénomène, à supposer même que l’expression ait un sens. Il doit certainement se passer quelque chose, pour que les Occidentaux n’arrivent pas plus à coucher ensemble; c’est peut-être lié au narcissisme, au sentiment d’individualité, au culte de la performance, peu importe. Toujours est-il à partir de vingt-cinq ou trente ans, les gens ont beaucoup de mal à faire des rencontres sexuelles nouvelles; et pourtant ils en éprouvent toujours le besoin, c’est un besoin qui ne se dissipe que très lentement. Ils passent ainsi trente ans de leur vie, la quasi-totalité de leur âge adulte, dans un état de manque permanent.30 61 Dossier La formule que Michel présente à Jean-Yves n’est pas selon ses propres mots une explication au sens strict, mais une formule pour instrumentaliser les données de la situation actuelle. Il me semble assez remarquable que le narrateur Michel se présente dans cette scène comme un héritier appauvri d’Auguste Comte - sans qu’il le sache et sans qu’il s’en rende compte - et qu’il se situe ainsi dans une position analogue à Robert dans la première partie. Selon le Cours de philosophie positive - le livre de Comte que Michel lut avant mais ne lit plus dans cette période - seuls les phénomènes observables sont des objets de la recherche scientifique, car eux seuls permettent à l’observateur de reconstruire les règles qu’ils suivent. 31 L’exigence des sciences est alors la reconstruction des rapports des phénomènes pour avoir une base positive qui sert à formuler les lois qui règlent et les phénomènes et leurs rapports. Michel, par contre, ne s’intéresse ni aux lois ni aux rapports, mais seulement aux phénomènes: au lieu de reconstruire un savoir positif, il s’occupe des faits bruts ou, pire encore, de ses idées. 32 De plus, il est digne d’attention de regarder les notions de près: Michel parle d’abord de sa ‘formule’, puis de l’’objection’ de Jean-Yves. Ainsi, il met de manière évidente son opinion selon laquelle l’homme doit faire des commentaires, des objections et des remarques en scène, qu’il présente à la fin de sa narration. Cependant, il souligne en même temps la différence entre des commentaires voire des remarques d’un côté et des explications approfondies d’un autre côté: la première ne décrit que des phénomènes, la deuxième explique les règles qui produisent les phénomènes. Il s’ensuit deux résultats contradictoires: 1) Un pragmatisme au niveau de l’action qui mène à la construction d’une „plateforme globale“ du tourisme qui concrétise parfaitement les aspirations de Michel. 33 Le premier produit de cette vie rêveuse est la formule: „Eldorado Aphrodite: parce qu’on a le droit de se faire plaisir“. 34 2) Un malentendu complet de la situation qui provoque des suites assez graves - soit pour le narrateur lui-même, soit pour son concept de tourisme. Michel ne comprend ni les règles de la pratique sociale ni celles du tourisme, et ne regarde pas non plus la réalité sociale qui l’entoure. 35 Le concept du double-bind est en dehors de sa connaissance et peut-être aussi de sa compréhension, même si ce double-bind de la pratique sociale des touristes produit des conséquences fondamentales pour lui et ses idées. 36 Michel ne regarde que le désir du touriste français voire européen et ne respecte pas l’interaction entre le touriste étranger et l’habitant d’un autre lieu qui produit des effets rétrogrades à cause de leurs cultures et mœurs différentes. C’est exactement l’actionnisme de Michel qui provoque son malheur au niveau de l’histoire et explique parfaitement son incompréhension des règles de la société mondialisée. Donc, c’est en voyageant au nouveau Club Eldorado Aphrodite, c’est-à-dire à son utopie sexuelle réalisée, que le destin du narrateur - qui n’en est pas un - commence à s’accomplir, car le voyage en Thaïlande devient un voyage au bout de la vie rêveuse qui finit avec l’attentat des terroristes. 62 Dossier 3. La vie poétique ou la relation entre figure allégorique et histoire La vie poétique de Chateaubriand est consacrée selon ses propres paroles à ses filles imaginaires, d’Atala à Velléda, mais elle inclut aussi les femmes réelles qu’il a rencontrées pendant sa vie. De plus, la quatrième partie des Mémoires d’outretombe renvoie à une situation spécifique entre le narrateur et sa vie poétique que Chateaubriand exprime dans la formule „Amour et vieillesse“, servant aussi de titre à un texte complémentaire de cette partie. 37 D’où résulte une configuration triple qui combine la situation de l’homme âgé avec son regard rétrospectif sur sa vie poétique d’un côté et avec les images de ses femmes aimées d’un autre côté. Le narrateur de Plateforme suit les traces de celui des Mémoires d’outre-tombe à sa manière: En racontant son histoire d’amour avec Valérie, il reprend le chemin de ‘Chateaubriand’ en stylisant la figure imaginée de la femme aimée, mais il présente ses propres idées sur la femme désirée. La reprise au niveau de la construction va de pair avec une différence catégoriale au niveau du statut voire de la signification de la femme. Ce qui reste, c’est l’image de Valérie que Michel se construit d’elle, et non pas la réalité de Valérie. Cette construction poétique de la femme aimée émerge pour la première fois dans le sixième chapitre de la première partie, dans laquelle on trouve un récit de l’histoire de la jeune Valérie. Au niveau de la narration, ce chapitre dénote une analepse, car cette histoire de la jeunesse de Valérie se situe avant l’histoire narrée. Cependant, il reste la question de savoir qui raconte cette histoire. Cette question est d’autant plus importante qu’à ce moment de l’histoire, le narrateur n’est pas encore en contact intime avec Valérie: Au moment du bac, elle [i.e. Valérie] avait à peu près complètement arrêté [d’avoir des contacts sexuels]. Dix ans plus tard, elle n’avait pas vraiment repris, songea-t-elle avec tristesse en se réveillant dans sa chambre du Bangkok Palace. Le jour n’était pas encore levé.38 Deux problèmes de la narration émergent ici: 1) le problème de la focalisation 2) le problème de la diégèse. Le ‘songea-t-elle’ de la deuxième phrase renvoie nécessairement à une focalisation interne, car le narrateur a seulement dans ce cas la possibilité de raconter tout ce que pense la personne narrée. Sauf que Michel ne peut pas avoir un tel point de vue, car il est un narrateur intradiégétique qui se situe au même niveau que Valérie, ce qui exclut une telle focalisation. Ce serait juste dans le cas d’une focalisation zéro que le narrateur pourrait avoir une telle perspective - ce qui n’est pas donné. Au niveau de la diégèse émerge alors une construction double: dans ce chapitre, et seulement dans ce chapitre, le narrateur se montre en tant que narrateur extradiégétique hétérodiégétique, tandis qu’il est pendant tout le reste du roman un narrateur intradiégétique homodiégétique. 39 On pourrait facilement considérer une telle construction narratologique comme une construction défectueuse, mais il me semble qu’un tel regard méconnaît la construction esthétique de ce passage: Le narrateur met en relief sa volonté de 63 Dossier former voire de créer sa femme aimée dans sa narration, même s’il a besoin soit d’inventer des faits dont il n’avait pas connaissance, soit d’esquisser une vie antérieure de Valérie purement imaginée. 40 Ainsi, il se stylise en tant qu’héritier de Pygmalion qui avait modelé sa femme désirée et souligne son désir de revivifier la femme aimée morte de nouveau dans sa narration. Il lui donne non seulement vie, il raconte aussi l’histoire de sa vie - mais, à sa manière. Cette volonté de créer une femme désirée et désirante se montre encore plus visiblement dans le neuvième chapitre de la première partie, à l’occasion d’une rencontre de Valérie et de Michel à la plage: Elle était jolie, comme ça, avec ses longs cheveux noirs ébouriffés. Elle n’enlevait pas son soutien-gorge, c’était dommage; j’aurais bien aimé qu’elle enlève son soutiengorge. J’aurais bien aimé voir ses seins, là, maintenant.41 La stratégie rhétorique voire esthétique reste la même, elle insert une double deixis - ‘hic’ et ‘nunc’ - dans la narration de manière grammaticalement incorrecte, qui sert à rendre de nouveau présente l’image de la femme désirée de manière esthétique. Cette image se concentre surtout sur l’aspect sexuel de la femme et sur le désir qu’elle excite dans le narrateur. Elle n’est encore rien d’autre qu’une promesse de bonheur, un bonheur qui sera concrétisé juste après le retour de ce voyage en Thaïlande. Le bonheur que le narrateur trouve en Valérie se résume de manière assez simple: elle est tout d’abord une femme désirante, c’est-à-dire une femme qui désire et une femme qui provoque le désir d’un autre. 42 De plus, elle est une femme qui connait le plaisir et qui aime donner du plaisir, ce qui la rend exceptionnelle mais aussi exemplaire, comme le lui explique Michel: C’est justement ça qui est étonnant chez toi: tu aimes faire plaisir. Offrir son corps comme un objet agréable, donner gratuitement du plaisir: voilà ce que les Occidentaux ne savent plus faire. Ils ont complètement perdu le sens du don. Ils ont beau s’acharner, ils ne parviennent plus à ressentir le sexe comme naturel. Suivant l’argumentation du narrateur, Valérie est une femme naturelle parce qu’elle aime faire plaisir, offrir son corps gratuitement et ressentir le sexe comme quelque chose de naturel. La nature de la femme inclut selon lui qu’elle ressente le sexe comme naturel, car le sexe fait partie de sa nature et de son naturel. Cependant, le narrateur ne présente rien d’autre qu’une logique tautologique qui ne connaît pas la différence entre un langage de l’objet et un métalangage et ne respecte pas non plus les discussions sur la construction voire la constitution du sexe et du genre. Pour lui, la nature de l’homme et surtout la nature de la femme sont simples: les êtres humains sont nés pour le bonheur et pour le plaisir; ce qui unit les deux, c’est leur nature sexuelle. L’apothéose de cette création poétique de Valérie émerge au moment où les deux protagonistes rendent pour la dernière fois visite aux parents de Valérie: C’était une bonne fille, me dis-je, une fille affectueuse et attentionnée; c’était aussi une amante sensuelle, caressante et audacieuse; et elle serait probablement, le cas 64 Dossier échéant, une mère aimante et sage. „Ses pieds sont d’or fin, ses jambes comme des colonnes du temple de Jérusalem.“ Je continuais à me demander ce que j’avais fait, au juste, pour mériter une femme comme Valérie. Probablement rien. Le déploiement du monde, me dis-je, je le constate; procédant empiriquement, en toute bonne fois, je le constate; je ne peux rien faire d’autre que le constater.43 Deux moments sont dignes d’attention dans ce paragraphe: la structure temporelle et la citation prétendue voire la phrase en italique. Le temps de la narration semble être un passé simple au début du paragraphe, ce qui va de pair avec la structure temporelle: À ce moment donné, il pensa cela. Mais la dernière phrase montre d’une manière évidente que le récit du narrateur se fait au présent et non pas au passé simple: la répétition du „je le constate“ ainsi que la forme „je ne peux rien faire“ ne laissent aucun doute sur le temps utilisé. D’où résulte qu’il ne s’agit pas d’une pensée que le narrateur avait eue à ce moment passé, mais qu’il a au moment de l’écriture de cette scène quand il décrit ce moment dans sa narration. S’y ajoute l’usage de l’imparfait et du conditionnel présent, car dans ce moment narré, c’est-à-dire dans le passé, Valérie est une amante sensuelle et non pas était une amante sensuelle comme dit le narrateur. Mais l’usage du conditionnel présent le souligne clairement, elle ne sera jamais une mère aimante, car elle meurt avant d’avoir la possibilité de le devenir. Reste la citation en italique qui n’est pas une citation au sens propre. Le ton pathétique marque à première vue un certain goût pour le kitsch pseudo-romantique, qui va de pair avec la description précédente de Valérie comme fille, amante et mère. Or, la citation renvoie aussi à deux textes bibliques, à savoir au Cantique des cantiques de Salomon de l’Ancien Testament et à l’Apocalypse du Nouveau Testament. C’est dans le cinquième Cantique des cantiques qu’on trouve un dialogue entre deux époux pendant lequel l’époux demande à sa femme si elle est bien aimée en la stylisant comme la plus belle des femmes. En donnant sa réponse, la femme décrit son bien-aimé en disant que „Ses jambes sont des colonnes de marbre blanc“. 44 Le narrateur change ainsi la situation du dialogue, car c’est lui qui décrit ainsi la femme aimée et non plus la femme qui décrit son bien-aimé, mais il se réfère de manière allusive à un scénario qui se base sur une relation d’amour entre époux, à savoir à un scénario que Michel imagine aussi pour lui-même. La deuxième référence par contre donne un ton différent à la ‘citation’, car elle renvoie à l’Apocalypse 10: „Et je vis un autre ange, puissant, descendant du ciel enveloppé d’une nuée, un arc-en-ciel au-dessus de la tête son visage était comme le soleil et ses jambes comme des colonnes de feu“. 45 Cette citation se réfère à deux niveaux divers de la narration, car c’est le septième ange qui annonce la fin prompte du monde dans ce chapitre de l’Apocalypse d’un côté, mais c’est aussi ce même ange qui donne un livre à Saint Jean pour qu’il le mange. C’est un livre qui sera doux comme miel dans la bouche, mais amer dans les entrailles et qui sert à Saint Jean à prophétiser „sur beaucoup de peuples, de nations, de langues, et de rois“. 46 Autrement dit: la prophétie et l’Ecriture du livre vont de pair avec les auspices d’une apocalypse à venir. 47 65 Dossier Ce qui unit les deux références, c’est leur ton poétique voire le statut ‘littéraire’ du texte dans lequel elles sont intégrées. En alludant ces références, le narrateur ne renvoie pas seulement à deux dimensions bibliques de son histoire, mais il essaie aussi d’intégrer un ton poétique voire un certain lyrisme à sa narration. Reste une différence importante entre ces textes bibliques et la narration de Michel: la lecture des textes de l’Ancien Testament, mais aussi celle de l’Apocalypse se basent dans la culture chrétienne sur l’allégorèse, à savoir sur une lecture allégorique du texte. Une telle lecture présuppose que chaque élément, soit figure, soit nom, soit événement connaisse plusieurs niveaux de lecture qui permettent d’expliquer raisonnablement un texte qui semble être à première vue incompréhensible. Le narrateur suit d’une certaine manière cette approche des lieux, des événements et surtout des noms, en donnant son explication, mais aussi son interprétation des choses. Mais en faisant cela, il met aussi en relief la relation arbitraire entre les mots et les choses, car se sont ses explications et ses interprétations des signes qu’il présente dans son récit. Or, au lieu d’une représentation d’une chose par un signe voire un mot, le narrateur présente son idée de la chose par ses mots. L’exemple de Valérie, mais aussi celui des autres figures féminines, le montre bien: elles renvoient à beaucoup de références sans qu’elles se réfèrent à un sens précis ou même à plusieurs dimensions sémantiques identifiables. Elles sont présentées dans la narration comme des fantaisies masculines, à savoir des figures créées et interprétées par le narrateur, sans avoir une référence fixe et stable à la réalité sociale et/ ou historique. Leur sens littéral est ainsi transformé en un sens littéraire. 48 Une conséquence logique d’une telle construction narratologique est le désastre final de l’histoire d’amour de Michel et de Valérie qui sépare définitivement les deux amants et provoque de plus l’adieu éternel du narrateur à la France, car il le mène à Pattaya Beach où il commence à raconter ses histoires d’outretombe. C’est justement dans cette situation au bout du monde que Michel devient un nouveau Pygmalion, en créant et en revivifiant sa femme aimée dans sa narration, qui lui permet de la rendre présente de nouveau et de l’avoir sous ses yeux. Les deux narrations d’outre-tombe, à savoir les Mémoires d’outre-tombe du narrateur Chateaubriand et les histoires d’outre-tombe de Michel, présentent ainsi une configuration triple de la vie qui combine la vie solitaire à la vie rêveuse et la vie poétique des narrateurs. Ils se présentent tous deux en tant que personnes exemplaires de leur époque et d’un monde au tournant de l’histoire. Ils essayent de refléter la condition humaine et la constitution de la société par le récit de leur histoire, par leurs opinions sur la société et par leur Histoire vécue. Restent encore deux différences fondamentales entre les deux narrations d’outre-tombe: Chateaubriand donne ses Mémoires à la génération suivante, tandis que Michel parle de ses souvenirs. En faisant cela, le narrateur de Plateforme met en évidence la dimension subjective de sa narration ainsi que la dimension créatrice voire inventive de celle-ci - avant tout dans sa présentation de Valérie. 49 De plus, Chateaubriand présente sa vie poétique dans ses Mémoires d’outre-tombe en se stylisant comme l’auteur romantique par excellence, tandis que le narrateur Michel raconte sa vie prosaïque - dans tous les sens du terme - et reflète ainsi la question du réalisme d’aujourd’hui. 66 Dossier 1 Cité d’après Michel Houellebecq: Plateforme, Paris: Flammarion 2001. La recherche pour cet article m’a été rendue possible par une bourse Heisenberg de la DFG. 2 Voir aussi Jérôme Meizoz: Le Roman et l’inacceptable: Polémiques autour de ‘Plateforme’ de Michel Houellebecq. Etudes de Lettres 2003, 4, 125-148. 3 C’est p.ex. le cas de Pierre Assouline, cité d’après David Lehardy Sweet: „Absentminded Prolepsis: Global Slackers before the Age of Terror in Alex Garland’s The Beach and Michel Houellebecq’s Plateforme“, dans: Comparative Literature, printemps 2007, 59 (2), 158-176, 166. 4 Le roman Plateforme a jusqu’à maintenant moins attiré l’attention de la recherche que les autres romans de Houellebecq. Voir: Rita Schober: „Aimez-vous... Houellebecq? Der Autor und sein Roman Plateforme“, dans: Lendemains, 2001, 26 (101-102,) 216-232. Loingsigh Aedin: „Tourist Traps Confounding Expectations in Michel Houellebecq’s Plateforme“, dans: French Cultural Studies, février 2005, 16, 73-90, Stephan Leopold: „Michel Houellebecq et la question de l’autre: Plateforme - eine Eroberungsreise in Zeiten des Neokolonialismus“, dans: PhiN 31 (2005), 14-28, Emer O’Beirne: „Navigating Non- Lieux in Contemporary Fiction: Houellebecq, Darrieussecq, Echenoz, and Augé“, dans: Modern Language Review, avril 2006, 101 (2), 388-401, Steffen Schneider: „Das Populäre ist nirgendwo. Massenkultur, Wunscherfüllung und ästhetische Reflexion in Michel Houellebecqs Plateforme“, dans: Christian Huck, Carsten Zorn (eds.): Das Populäre der Gesellschaft. Systemtheorie und Populärkultur. Wiesbaden 2007, 97-116, Aurélien Bellanger: Houellebecq écrivain romantique, Paris 2010, Martina Stemberger: „Tourismen, Terrorismen oder Die Unmöglichkeit einer Insel: Die Neuvermessung der Welt nach Houellebecq“, dans: PhiN 56 / 2011, 66-102. 5 Les Mémoires d’outre-tombe furent publiées à Paris en 12 volumes entre 1848 et 1850, c’est-à-dire après la mort de Chateaubriand en 1848. Cité d’après l’édition suivante: François de Chateaubriand: Mémoires d’outre-tombe. Nouvelle édition établie, présentée et annotée par Jean-Claude Berchet, Paris: Garnier 1989-1998 (4 vol.). 6 Voir p.ex.: Günter Niggl (ed.): Die Autobiographie. Zu Form und Geschichte einer literarischen Gattung, Darmstadt, 1989, Philippe Lejeune: Pour l’autobiographie. Chroniques, Paris 1998, James Olney: Memory & Narrative: The Weave of Life-Writing, Chicago, 1998, Sébastien Hubier: Littératures intimes. Les expressions du moi, de l’autobiographie à l’autofiction, Paris 2003, Martina Wagner-Egelhaaf: Autobiographie, Stuttgart ²2005. 7 Voir surtout les études récentes de Jean-Christophe Cavallin: Chateaubriand et „l’homme aux songes“. L’initiation à la poésie dans les „Mémoires d’outre-tombe“, Paris 1999, idem: Chateaubriand mythographe. Autobiographie et allégorie dans les „Mémoires d’Outre-Tombe“, Paris 2000. Voir aussi Henri Guillemin: L’homme des „Mémoires d’outretombe“. Avec des fragments inédits des „Mémoires“, Paris 1965, Jean Mourot: Le génie d’un style, Chateaubriand. Rythme et sonorité dans les „Mémoires d’outre-tombe“, Paris 1969, Fabienne Bercegol: La poétique de Chateaubriand. Le portrait dans les „Mémoires d’outre-tombe“, Paris 1997, Anne Roret: Les lieux de mémoire dans les „Mémoires d’outre-tombe“ de Chateaubriand, Lille 1998. 8 Le narrateur réfléchit même sur son exemplarité en parlant d’une prétendue singularité à laquelle il oppose son histoire: „Il est faux de prétendre que les être humains sont uniques, qu’ils portent en eux une singularité irremplaçable; en ce qui me concerne, en tout cas, je ne percevais aucune trace de cette singularité. C’est en vain, le plus souvent, qu’on s’épuise à distinguer des destins individuels, des caractères. En somme, l’idée d’unicité de la personne humaine n’est qu’une pompeuse absurdité. On se souvient de sa 67 Dossier propre vie, écrit quelque part Schopenhauer, un peu plus que d’un roman qu’on aurait lu par le passé. Oui, c’est cela: un peu plus seulement.“ Houellebecq: Plateforme, 189. 9 Il vaut bien de souligner la différence entre les trois premières parties et la quatrième, car les trois premières servent à présenter les trois carrières de Chateaubriand, tandis que la dernière présente une histoire de vie de plus en plus problématique, Voir la Conclusion de la Quatrième partie, chapitre 10-18, 575-608. 10 Voir les derniers mots du narrateur de Chateaubriand: „Il ne me reste qu’à m’asseoir au bord de ma fosse; après quoi je descendrai hardiment, le crucifix à la main, dans l’éternité.“ Chateaubriand: Mémoires d’outre-tombe, IV, XLII, 18, 607-608. 11 Chateaubriand: Mémoires d’outre-tombe, I, 757. 12 Ibid., 758. 13 Voir p.ex.: „Ce n’est pas que j’en veuille le moins du monde à ces révolutions politiques; en me rendant à la liberté, elles m’ont rendu ma propre nature. J’ai encore assez de sève pour reproduire la primeur de mes songes, assez de flamme pour renouer mes liaisons avec la créature imaginaire de mes désirs. Le temps et le monde que j’ai traversé n’ont été pour moi qu’une double solitude où je me suis conservé tel que le ciel m’avait formé. Pourquoi me plaindrais-je de la rapidité des jours, puisque je vivais dans une heure autant que ceux qui passent des années à vivre? “ Chateaubriand: Mémoires d’outre-tombe, IV, XXXV, 14, 161. 14 Houellebecq: Plateforme, 11. Même si la première phrase semble renvoyer à l’incipit fameux de L’étranger, „Maman est morte aujourd’hui, ou peut-être hier.“ c’est juste la référence au père voire à la mère du protagoniste qui pourrait unir les deux incipits. 15 Il est au moins intéressant que le narrateur Chateaubriand commence son récit par la description de son père, comme le fait le narrateur de Plateforme, même si les contenus des descriptions diffèrent complètement: „Commençons donc, et parlons d’abord de ma famille; cela est essentiel, parce que le caractère de mon père a tenu en grande partie à sa position et que ce caractère a beaucoup influé sur la nature de mes idées en décidant du genre de mon éducation.“ Chateaubriand: Mémoires d’outre-tombe, I, 62. 16 Il est assez intéressant de suivre la substitution du cadavre du père, alors un cadavre au singulier, par les cadavres que le protagoniste a vus. S’y ajoute l’utilisation du passé composé qui souligne le fait qu’il vit cette scène une fois, et non pas plusieurs fois pendant sa vie. 17 Cela se voit encore plus sensiblement quelques pages après, quand le narrateur se trouve dans l’appartement de son père: „Je ne savais pas allumer la chaudière, je n’avais pas envie d’essayer, maintenant mon père était mort et j’aurais dû m’en aller tout de suite.“ Houellebecq: Plateforme, 15. La combinaison de l’imparfait avec l’adverbe temporel ‘maintenant’ est grammaticalement incorrecte, mais renvoie à la dimension déictique de la narration, à savoir à la capacité de la narration de rendre présent de nouveau quelqu’un ou quelque chose. 18 Ibid., 364. 19 Ibid., 370. 20 Ibid., 24. 21 Ibid., 34. 22 Ibid., 117. 23 La ‘citation’ de Chamfort se trouve sur le frontispice des Aphorismen zur Weltweisheit. Voir Arthur Schopenhauer: Werke III, Parerga und Paralipomena. Kleine philosophische Schriften I, Darmstadt, 1989, 373. Cette ‘citation’ de Chamfort ne se trouve pas par contre dans l’édition des Maximes et pensées de Chamfort. Voir Nicolas Chamfort: 68 Dossier Maximes et pensées de Chamfort suivies de Dialogues philosophiques. Texte revu sur l’édition originale et publié avec des notes et un index par Ad. Van Bever, Paris 1923. 24 „La notion d’égalité n’a nul fondement chez l’homme“, continua-t-il en dressant à nouveau l’index. Je crus un moment qu’il allait citer ses sources - La Rochefoucauld, ou je ne sais qui - mais finalement non.“ Houellebecq: Plateforme, 120. 25 Voir ibid., 147-148. Ce phénomène ‘historique’ est constaté par plusieurs figures à multiples reprises. Voir pour l’époque passée des bronzés p.ex. idem, 175 ou 232. 26 Ibid., 186. 27 „J’avais vite compris qu’il n’est pas forcément nécessaire de prendre la meilleure décision, mais qu’il suffit, dans la plupart des cas, de prendre une décision quelconque, à condition de la prendre rapidement; enfin, si on travaille dans le secteur public.“ Ibid., 191. 28 Voir ibid., 243-244. Il est assez curieux de lire comment le narrateur essaie de comprendre les mystères de la sexualité humaine avant qu’il présente son explication à Valérie: „Après tout il suffisait peut-être de branler correctement, l’érection pouvait sans doute avoir un caractère purement mécanique; des biographies des prostitués auraient pu me renseigner sur ce point, mais je ne disposais que du Discours sur l’esprit positif.“ Idem, 242. Le positivisme et les biographies des prostitués servent - chacun à sa manière, à comprendre la vie sexuelle des européens. 29 Ibid., 250. 30 Ibid., p.250 31 Il me semble assez remarquable que Michel préfère la lecture du Discours sur l’esprit positif, car ce Discours appartient à la deuxième étape du positivisme de Comte, à savoir au positivisme religieux et non plus au positivisme philosophique qui se concentre sur l’utopie d’une mère vierge, c’est-à-dire sur un rêve masculin et romantique par excellence. 32 Voir: „- Ouais, des idées…“ J’avais la tête qui tournait un peu, je n’arrivais même plus à distinguer les danseuses; je finis mon cocktail d’un trait. „J’ai des idées, peut-être, mais je suis incapable de me plonger dans un compte d’exploitation, d’établir un budget prévisionnel. Alors, ouais, j’ai des idées.“ Houellebecq: Plateforme, 253. Voir aussi idem, 289, ou il décrit son „idée théorique“ de „décrypter le monde, et de comprendre ses évolutions, en laissant de côté tout ce qui avait trait à l’actualité politique, aux pages société ou à la culture“, car selon lui „il était possible de se faire une image correcte du mouvement historique uniquement par la lecture des informations économiques et boursières“. 33 Voir: „Dans un état d’excitation un peu irréelle, nous établissions une plateforme programmatique pour le partage du monde. Les suggestions que j’allais faire auraient peutêtre pour conséquence l’investissement de millions de francs, ou l’emploi de centaines de personnes; pour moi c’était nouveau, et assez vertigineux. Je délirai un peu toute l’aprèsmidi, mais Jean-Yves m’écoutait avec attention“. Ibid., 259. La narration ne met pas seulement en relief la vie rêveuse de Michel, mais souligne davantage cet état en citant les notions clés de l’esthétique moderne - du vertige au délire. 34 Ibid., 266. 35 Un signe évident de ce manque de Michel qui ne s’occupe pas de la réalité sociale se fait voir dans sa narration dans laquelle il raconte les luttes des bandes dans la banlieue même, où il est en train d’organiser sa plateforme globale selon ses idées. Voir ibid., 259. 36 Voir ibid., 320. Dans cette situation, Valérie décrit la situation du touriste qui ne veut pas être touriste en l’étant en même temps. S’y ajoute le problème de l’indigène qui regarde les touristes comme des intrus dans sa culture et non pas comme des hôtes invités que ni Valérie ni Michel ne reflètent. 69 Dossier 37 Chateaubriand: Mémoires d’outre-tombe, IV, 695-703. 38 Houellebecq: Plateforme, 65. 39 Pour être plus précis: c’est juste au début de ce chapitre, à savoir aux pages 60-65 que le narrateur se présente ainsi. L’alinéa qui suit souligne cette exception, car elle recommence avec une voix intradiégétique et homodiégétique: „Nous quittâmes l’hôtel à sept heures.“ Ibid., 65. 40 Il est possible que Valérie raconta son histoire après avoir eu un contact intime avec Michel, ce qui fait que la narration de l’histoire de Valérie ne peut pas être qualifiée d’infidèle. 41 Houellebecq: Plateforme, 101. 42 Voir aussi le passage suivant qui met en relief la fantaisie masculine que personnifie Valérie pour Michel: „Je vivais l’intérieur d’un jeu, un jeu excitant et tendre, le seul jeu qui reste aux adultes; je traversais un univers de désirs légers et de moments illimités de plaisir“. Ibid., 217. Il est digne d’attention que le narrateur parle ici de soi-même, de ses désirs, mais non pas d’un ‘nous’ ou de ‘nos désirs’. Au lieu d’une expérience divisée, il souligne l’expérience séparée pour lui. 43 Ibid., 295. 44 Cantique des Cantiques 5, 15. 45 Apocalypse, 10, 1. 46 „Et la voix, que j’avais entendue du ciel, me parla de nouveau, et dit: Va, prends le petit livre ouvert dans la main de l’ange qui se tient debout sur la mer et sur la terre. Et j’allai vers l’ange, en lui disant de me donner le petit livre. Et il me dit: Prends-le, et avale-le; il sera amer à tes entrailles, mais dans ta bouche il sera doux comme du miel. Je pris le petit livre de la main de l’ange, et je l’avalai; il fut dans ma bouche doux comme du miel, mais quand je l’eus avalé, mes entrailles furent remplies d’amertume. Puis on me dit: Il faut que tu prophétises de nouveau sur beaucoup de peuples, de nations, de langues, et de rois.“ Apocalypse, 10, 8-11. 47 La providence d’une fin apocalyptique se trouve plusieurs fois dans la deuxième partie, surtout vers la fin de celle-ci. Voir p.ex.: „Ma grande distraction, pendant les absences de Valérie, consistait à observer le mouvement des nuages par la baie vitrée. D’immenses bancs d’étourneaux se formaient, en fin d’après-midi, au-dessus de Gentilly, et décrivaient dans le ciel des plans inclinés et des spirales; j’étais assez tenté de leur donner un sens, de les interpréter comme l’annonce d’une apocalypse“. Houellebecq: Plateforme, 308. 48 Regardant la structure narratologique, les figures féminines, surtout Valérie, peuvent être considérées par conséquent comme des métaphores continues et non pas comme des allgorieae totae, c’est-à-dire comme des métaphores qui initient la notion du bonheur et l’histoire d’amour de Michel et de Valérie. Bref: La figure de Valérie est une allégorie de l’allégorie et non pas une allegoria tota. 49 Voir p.ex. la description suivante: „A ce moment le soleil perça entre deux nuages, l’éclairant [i.e. Valérie] de face. La lumière resplendit sur ses seins et ses hanches, faisant scintiller l’écume sur ses cheveux, ses poils pubiens. Je demeurai figé sur place pendant quelques secondes, tout en prenant conscience que c’était une image que je n’oublierais jamais, qu’elle ferait partie de ces images qu’on revoit défiler, paraît-il, durant les quelques secondes qui précédent la mort“. Houellebecq: Plateforme, 220-230. 70 Dossier Jutta Weiser Posthumane Menschenprüfer. Michel Houellebecqs La possibilité d’une île und die Moralistik „Qui, parmi vous, mérite la vie éternelle? “ 1 lautet das Motto, das auf dem grellen Buchdeckel von Michel Houellebecqs viertem Roman La possibilité d’une île prangt. Mit dieser inquisitorischen Frage, die gleich auf der zweiten Textseite nach Art einer Sentenz in typographisch vom Kontext abgehobener Form erneut begegnet, wird dem impliziten Leser mit einer spannungsgeladenen Geste der Spiegel vorgehalten. Das Motto scheint anzukündigen, daß das Buch jedem einzelnen auf den Zahn fühlt, so als stünden wir vor dem Jüngsten Gericht, bei dem unsere Tugenden und Laster auf zwei Waagschalen verteilt werden. Damit bewegen wir uns im Bereich der Moralistik. Dieselbe Frage nach dem Verdienst des ewigen Lebens versinnbildlichte bereits die Allegorie des Mérito, die im Schlußkapitel von Baltasar Graciáns El Criticón (1651/ 55) das Eingangstor zur Isla de la Inmortalidad bewacht und die dort Gestrandeten einer moralischen Prüfung unterzieht. Houellebecq greift in seiner Zukunftsvision sowohl auf das Inselmotiv (zumindest im Titel) 2 als auch auf den archaischen Wunsch der Menschheit nach Unsterblichkeit zurück. Was verbindet Houellebecqs 2005 erschienenen Science-Fiction-Roman mit der Tradition der klassischen Moralistik, die im Renaissance-Humanismus wurzelt? Der historische Spagat erscheint doch zunächst recht groß. Übereinstimmungen finden sich gewiß auf den ersten Blick in einem kritischen und desillusionierenden Menschenbild sowie in den psychologischen Analysen einer prekären Zwischenmenschlichkeit. Für die Moralistik sind die empirische Beobachtung des Menschen, seiner Sitten und Gewohnheiten sowie die Reflexion auf die literarische Darstellungsform charakteristisch. Die science morale, so Hugo Friedrich, „bezeichnet das empirisch-detaillierte Wissen von den Lebensformen, Bräuchen, Arten der verschiedenen Menschen und Völker sowie das Ziel, aus diesen Stoffen zu erfahren, was der Mensch sei.“ 3 Den Träger dieses Wissens nennt man im Französischen moraliste, was Nietzsche mit „Menschenprüfer“ 4 ins Deutsche übertragen hat. Diese „scharf zielenden Schützen“ 5 bringen die Erkenntnisse über die menschliche Natur im Modus des Partikularen, Kasuistischen und Kontingenten ans Licht, ohne sich dabei auf ein apriorisches ethisches, anthropologisches oder ontologisches Fundament berufen zu können, so daß ihre Aussagen zwar „immer und immer wieder ins Schwarze treffen“, 6 wie es Nietzsche formuliert hat, in ihrem Kern jedoch zahlreiche Widersprüche und Unbeständigkeiten bergen. Das menschliche Wesen erweist sich vor diesem Hintergrund als ein in seiner Ganzheit unerforschliches Gebiet, auf dem der Moralist durch gezielte Probebohrungen im 71 Dossier Rahmen experimenteller Praktiken zu punktuellen Erkenntnissen gelangen kann. Dieser Tatbestand ist unter dem von Karlheinz Stierle geprägten Schlagwort der ‚negativen Anthropologie‘ in die Moralistik-Forschung eingegangen. 7 Mit seiner gegenwartsbezogenen Analyse des Menschen und der Gesellschaft liegt Houellebecq zwar im Trend der unter dem Stichwort des retour au réel zusammengefaßten Tendenzen der französischen Gegenwartsliteratur, 8 dabei hat er jedoch wie kein anderer Schriftsteller seiner Generation die Moralistik wiederbelebt und - wie zu zeigen sein wird - an die posthumanistische Ausgangslage angepaßt. Das auf die Beobachtung menschlicher Gewohnheiten gründende moralistische Schreiben prägte schon seinen ersten Roman Extension du domaine de la lutte (1994), in dem vom beobachtenden und experimentierenden Ich-Erzähler generelle Urteile über die Sehnsüchte des Menschen angesichts des zunehmenden Werte- und Emotionsverlustes gefällt werden. Hinzu kommt in Les particules élémentaires und noch prononcierter in La possibilité d’une île die Dimension des Menschenexperiments respektive der gentechnologischen Manipulation des Humanum, welche die Moralistik und die literarische Anthropologie vor gänzlich neue Herausforderungen stellt. 9 Aus einer nunmehr posthumanen Perspektive wird in La possibilité d’une île, wie ich im folgenden darstellen möchte, jene grundlegende Frage nach der ambivalenten Stellung des Menschen zwischen Unfreiheit und Selbstermächtigung neu verhandelt, welche seit jeher die Humanisten und Moralisten, später dann die Anthropologen beschäftigt hat. Es soll gezeigt werden, inwiefern Houellebecq durch eine kritisch-dekonstruktive Auseinandersetzung mit humanistischen Belangen wie Fortschritt, menschlicher Würde oder Individualität letztlich deren Umwertung vollzieht. Auf der Basis einer Neumodellierung und Umkodierung der tradierten Diskurse begründet Houellebecq ein literarisches Genre, das sich als posthumanistische Moralistik apostrophieren ließe. Mit diesem Terminus bezeichne ich eine Menschenkunde nach der Verabschiedung des Humanismus, 10 welche vom poststrukturalistisch geprägten Anti-Humanismus der 1960er Jahre vollzogen wurde und im berühmten Schlußsatz von Michel Foucaults Archäologie der Humanwissenschaften auf die Prognose vom Ende der Menschheit zugespitzt wird: Daß der Mensch verschwinde „wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand“, heißt es bekanntlich an exponierter Stelle in Les mots et les choses. 11 Der Posthumanismus verabschiedet den vom Humanismus kultivierten Anthropozentrismus und reduziert die Menschheitsgeschichte auf eine historische Etappe innerhalb der Entwicklung unterschiedlicher Lebensformen. Die komplette Diskreditierung des philosophischen Denkens im Anschluß an die kritischen Auseinandersetzungen mit dem Humanismus durch den Poststrukturalismus prognostiziert Houellebecqs posthumane Erzählinstanz im Epilog der Elementarteilchen: Le ridicule global dans lequel avaient subitement sombré, après des décennies de surestimation insensée, les travaux de Foucault, de Lacan, de Derrida et de Deleuze ne devait sur le moment laisser champ libre à aucune pensée philosophique neuve, mais 72 Dossier au contraire jeter le discrédit sur l’ensemble des intellectuels se réclamant des „sciences humaines“; la montée en puissance des scientifiques dans tous les domaines de la pensée était dès lors devenue inéluctable. 12 Entsprechend der zitierten Prognose verschiebt sich die posthumanistische Moralistik zunehmend vom humanwissenschaftlichen in den naturwissenschaftlichen Bereich. Von besonderer Relevanz sind dabei die aktuellen molekularbiologischen und gentechnologischen Forschungen, welche die Möglichkeit einer technischen Optimierung der conditio humana in Aussicht stellen. Die „Anthropotechnik“ 13 - der von Peter Sloterdijk in seiner berüchtigten Elmauer Rede lancierte Neologismus scheint hier passend - tritt an die Stelle der verabschiedeten Anthropologie, welche als humanwissenschaftliche Disziplin die von Montaigne begründete Moralistik beerbt hat. 14 In Houellebecqs Zukunftsvisionen Les particules élémentaires und La possibilité d’une île ist die Ablösung des homo sapiens durch höher entwickelte posthumane Wesen bereits vollzogen. So äußert etwa der aufstrebende Biochemiker Frédéric Hubczejak in Les particules élémentaires: „l’humanité devait disparaître; l’humanité devait donner naissance à une nouvelle espèce, asexuée et immortelle, ayant dépassé l’individualité, la séparation et le devenir.“ 15 Der wesentliche Unterschied zwischen der alten humanistischen Moralistik qua literarischer Anthropologie und der neuen posthumanistischen Moralistik besteht somit im Aspekt der anthropotechnischen Manipulation und des performativen Eingriffs in das Menschenbild. Die posthumanistische Moralistik bleibt nicht auf die Menschenbeobachtung beschränkt, sondern beruht darüber hinaus zu weiten Teilen auf dem Menschenexperiment. 16 Im folgenden sollen die Rückwirkungen des neuen, posthumanistischen Menschenwissens auf die tradierten Parameter des moralistischen Diskurses beleuchtet werden. Letztere können angesichts der veränderten Ausgangslage nach dem ‚Verschwinden des Menschen‘ nicht mehr vorbehaltlos adaptiert werden, so daß wir von einer Neumodellierung des moralistischen Diskurses ausgehen können. Nach einer kurzen Zusammenfassung des Romaninhalts soll diese Umkodierung anhand von vier Gesichtspunkten untersucht werden, welche für die Moralistik kennzeichnend sind: erstens die Problematik der menschlichen Leidenschaften als thematischer Bezugspunkt, zweitens die literarische Form und Perspektivik, drittens die empirische Beobachtung und viertens die negative Anthropologie. Von Menschen und Neomenschen: Zur inhaltlichen Problematik des Romans Das Herzstück des Romans bildet der Lebensbericht des Komikers Daniel1, der in Form von politischen, rassistischen und sexistischen Gags eine bitterböse Gegenwartsbilanz vorträgt, mit der er sein Publikum zum Lachen bringt und horrende Geldsummen verdient. Während es ihm an Geld und Luxus nicht mangelt, wird sein Liebesleben von schweren Krisen erschüttert, die an das Problem seines fortschreitenden Alters gekoppelt sind: Von seiner ersten Frau trennt er sich, als diese 73 Dossier ein Kind von ihm erwartet; seine langjährige Liebesbeziehung mit Isabelle, Redakteurin bei einem französischen Mode-Magazin, scheitert an sexueller Frustration und an der Langeweile des gemeinsamen Älterwerdens; die 25 Jahre jüngere, vergnügungssüchtige Spanierin Esther, die eine zeitlang all seine erotischen Begierden zu befriedigen versteht, richtet ihn schließlich zugrunde, indem sie ihn nicht zuletzt aufgrund seines Alters verläßt. Seine ‚Midlife-Crisis‘ führt den Endvierziger auf die Insel Lanzarote, den Hauptsitz der elohimitischen Sekte, welche eine freie, ungebundene Liebe auf ihre Fahnen schreibt und ihren Mitglieder durch künstliche Reproduktion der DNA die Unsterblichkeit in Aussicht stellt. Diese soll dadurch erreicht werden, daß ein gealterter, ‚ausrangierter‘ Körper immer wieder durch den neuen, jugendlichen Körper eines Klons mit identischem Erbmaterial ersetzt wird. Mittels einer in regelmäßigen Abständen erneuerten Körper-Hülle erlangt der Mensch das ewige Leben. Nachdem Daniel den Elohimiten sein Vermögen vermacht hat und seine DNA konserviert wurde, nimmt er sich im Vertrauen auf seine spätere Auferstehung in der Gestalt eines achtzehnjähigen Klons das Leben. Rund zweitausend Jahre später realisiert sich die prophezeite Reinkarnation: Daniel24 und Daniel25, zwei weitere Ich-Erzähler des Romans, deren Berichte im Textverlauf mit denen unseres Zeitgenossen Daniel1 alternieren, sind im Jahr 4005 lebende gentechnisch hergestellte Duplikate des Komikers. Die neomenschliche Spezies ist von allen Unannehmlichkeiten und Makeln befreit, unter denen ihre Vorgänger einst litten: Sexualität, Liebe und Fortpflanzung, Hunger und Durst, Geburt, Kindheit, Altern und Sterben. In isolierten Wohnzellen lebend kommunizieren die néo-humains untereinander nur via Internet und verbringen ihre Zeit mit der meditativen Rekonstruktionen jener ‚schönen alten Welt‘, in der ihre nicht minder frustrierten Prototypen immerhin noch eine Vorstellung von Liebe, Glück und sexuellem Begehren entwickeln konnten. Mit den aufgeworfenen Problemfeldern setzt Houellebecq in seinem Science- Fiction-Roman eine thematische Reihe fort, die mit seinem Erstlingsroman Extension du domaine de la lutte (1994) eröffnet und in Les particules élémentaires (1998) und Plateforme (2001) weitergeführt wurde: 17 Im Zentrum stehen dabei die fortschreitende Liebes- und Bindungsunfähigkeit des Menschen, die gesellschaftliche Überbewertung von jugendlicher Attraktivität und die daraus resultierende Ausgrenzung all jener, die diesem Schönheitsideal nicht oder nicht mehr entsprechen. Als Lösungsvorschlag für die aufgezeigten Probleme unserer Gegenwartsgesellschaft entwirft Houellebecq ein Zukunftsszenario, in dem der Mensch einer neuen Spezies das Feld räumt, die allen Nöten des sexuellen Wettbewerbs, des körperlichen Verfalls sowie des Sterbens entledigt ist. In La possibilité d’une île ist die posthumane Welt Teil eines Dekadenz- und Degenerationsprozesses, so daß Klonierung und Unsterblichkeit nur vordergründig als Lösung unserer aktuellen gesellschaftlichen Probleme - insbesondere desjenigen der ‚Vergreisung‘ - erscheinen, in Wirklichkeit jedoch nur eine weitere Verfallsstufe der menschlichen Gefühlskultur repräsentieren. Obwohl die Neomenschen vor allen potentiellen Krisenherden des Lebens bewahrt sind, schätzen sie sich 74 Dossier nicht glücklicher als ihre genetischen Vorfahren. Gegen Ende des Romans bilanziert Daniel25: „Daniel1 revit en moi, son corps y connaît une nouvelle incarnation, ses pensées sont les miennes, ses souvenirs les miens; son existence se prolonge réellement en moi, bien plus qu’aucun homme n’a jamais rêvé se prolonger à travers sa descendance.“ 18 Wenngleich die Überbietung der herkömmlichen generativen Nachkommenschaft als Erfolg verbucht werden kann, so kommt der Klon-Erzähler dennoch zu der ernüchternden Einsicht: „Ma propre vie pourtant, j’y pense souvent, est bien loin d’être celle qu’il aurait aimé vivre.“ 19 Richtet der Leser seinen prüfenden Blick auf die récits de vie von Menschen und Neomenschen, so könnte er zunächst annehmen, daß die Darstellung eines weitaus trostloseren Menschenbildes, nämlich desjenigen der Neomenschen, auf eine implizite Aufwertung unserer heutigen Konsum- und Spaßgesellschaft hinausläuft. Eine solche Schlußfolgerung aber würde Houellebecq vermutlich mißfallen. Vielmehr überbietet er noch die düstere moralistische Gegenwartsdiagnose, indem er ein Zukunftsszenario ausmalt, das vor dem Hintergrund aktueller gentechnologischer Forschungen im Anschluß an die Entschlüsselung des menschlichen Genoms durchaus nicht als realitätsfern abgetan werden kann. Innerhalb der Genese des perfekten Übermenschen, den die Elohimiten mit ihren wissenschaftlichen Bestrebungen anvisieren, stellen Houellebecqs Neomenschen allerdings selbst nur ein Übergangsstadium dar: Sie sind lediglich Platzhalter für die Futurs, eine optimierte Klon-Spezies, und bereiten deren Ankunft vor. Dieser Aspekt ist nicht unwichtig, insofern er eine Entsprechung in christlichen Erlösungsvorstellungen findet: Die Hoffnung auf das Kommen des Erlösers ebenso wie die Menschwerdung des Gottessohnes im Anschluß an die Unbefleckte Empfängnis bilden zentrale Inhalte der christlichen Glaubenslehre. Die Entkoppelung von Reproduktion und Sexualität in der Klongesellschaft ist im Mythos der Jungfrauengeburt bereits vorgeprägt. Eine weitere Affinität zum Neuen Testament liegt zweifellos im Auferstehungsglauben der Elohimiten. Auf die biblischen Reminiszenzen in La possibilité d’une île - insbesondere die Bedeutung des Propheten Daniel, dessen Namen der Protagonist nicht zufällig trägt - haben die unlängst erschienene Studien von Aurélien Bellanger und Katharina Chrostek bereits verwiesen. 20 Christine Ott hat darüber hinaus überzeugend die intertextuellen Bezüge zu Dantes Commedia herausgearbeitet. 21 Offensichtlich rekurriert Houellebecq auf kulturhistorisch weit zurückreichende Traditionen, die im Christentum wurzeln. 22 Mit der aus dem Renaissance-Humanismus geborenen Moralistik fokussiert die nachfolgende Analyse einen Traditionsstrang, der nicht nur an christliche, sondern auch an antike Leitbilder anschließt. Menschliches, Allzumenschliches: Daniel 1-25 und La Rochefoucauld Im Mittelpunkt des Romans steht die realistisch-moralistische Darstellung unserer gegenwärtigen Lebenswelt durch Daniel1, der sich selbst als „observateur acéré 75 Dossier de la réalité contemporaine“ 23 vorstellt und durch eine besondere Menschenkenntnis und Misanthropie auszeichnet. Obwohl er als Medienstar selbst ein Repräsentant jener depravierten Unterhaltungskultur ist, die er kritisiert, stellt er sich in eine geistige Nähe zu zwei großen Menschenprüfern: „je me voyais fréquemment comparé à Chamfort, voire à La Rochefoucauld.“ 24 So überrascht es auch nicht, daß Daniels Einsichten in die notwendige Gebundenheit von Liebe und sexueller Erfüllung an Jugend und Schönheit auch schon in einigen Maximen La Rochefoucaulds zu finden sind: Les jeunes femmes qui ne veulent point paraître coquettes, et les hommes d’un âge avancé qui ne veulent pas être ridicules, ne doivent jamais parler de l’amour comme d’une chose où ils puissent avoir part.25 Dans la vieillesse de l’amour comme dans celle de l’âge on vit encore pour les maux, mais on ne vit plus pour les plaisirs.26 La vieillesse est un tyran qui défend sur peine de la vie tous les plaisirs de la jeunesse.27 L’enfer des femmes, c’est la viellesse.28 Die posthumanen Erzähler Daniel24 und Daniel25 transzendieren das Modell der moralistischen Gegenwartsdiagnose, indem sie aus der Zukunftsperspektive einen Blick auf die im Verfall begriffene Gefühlskultur ihrer menschlichen Vorfahren zurückwerfen. Es handelt sich um kühle Beobachter zweiter Ordnung, die im Unterschied zu ihren Prototypen von vornherein nicht zur Selbstanalyse fähig sind. Ihnen stehen die Lebensberichte zur Verfügung, aus denen sie entnehmen können, daß das Altern eines der universellen Probleme der Menschheit gewesen sein muß, ein Problem, das die posthumanen Wesen selbst nicht mehr tangiert: Le nombre de récits de vie humains est de 6174, ce qui correspond à la première constante de Kaprekar. Qu’ils proviennent d’hommes ou de femmes, d’Europe ou d’Asie, d’Amérique ou d’Afrique, qu’ils soient ou non achevés, tous s’accordent sur un point, et d’ailleurs sur un seul: le caractère insoutenable des souffrances morales occasionnées par la vieillesse.29 Über das Studium der Lebensberichte und Kommentare bemühen sich die Neomenschen indes vergeblich, die einstige humane Gefühlswelt zurückzugewinnen, die damit auch schon wieder ein wenig von ihrer Schwärze verliert, in die sie der Moralist der Konsum- und Spaßgesellschaft (Daniel1) getaucht hatte. Bezeichnenderweise handelt es sich bei den menschlichen Eigenschaften, die die Klone mit großer Anstrengung nachzuempfinden versuchen, um genau jene Laster, an denen sich nicht nur Daniel1 sondern auch bereits die klassischen Moralisten abarbeiteten: die alles beherrschenden Leidenschaften, allen voran die Liebe. So äußert sich beispielsweise La Rochefoucauld am Beginn einer Maximenserie über diesen Gegenstand: 76 Dossier Il est difficile de définir l’amour. Ce qu’on en peut dire est que dans l’âme c’est une passion de régner, dans les esprits c’est une sympathie, et dans le corps ce n’est qu’une envie cachée et délicate de posséder ce que l’on aime après beaucoup de mystères.30 Daniel25 verkehrt La Rochefoucaulds Einschätzung über die Definition der Liebe in ihr Gegenteil, wenn er behauptet: „L’amour est simple à définir, mais il se produit peu - dans la série des êtres.“ 31 Und weiter heißt es: Aucun sujet n’est davantage abordé que l’amour, dans les récits de vie humains comme dans le corpus littéraire qu’ils nous ont laissé; l’amour homosexuel comme l’amour hétérosexuel sont abordés, sans qu’on ait pu jusqu’à présent déceler de différence significative; aucun sujet non plus n’est aussi discuté, aussi controversé, surtout pendant la période finale de l’histoire humaine, où les oscillations cyclothymiques concernant la croyance en l’amour devinrent constantes et vertigineuses. Aucun sujet en somme ne semble avoir autant préoccupé les hommes; même l’argent, même les satisfactions du combat et de la gloire perdent en comparaison, dans les récits de vie humains, de leur puissance dramatique. L’amour semble avoir été pour les humains de l’ultime période l’acmé et l’impossible, le regret et la grâce, le point focal où pouvaient se concentrer toute souffrance et toute joie.32 Der posthumane Kommentator äußert sich über ein zentrales Phänomen des menschlichen Affekthaushalts, das ihm selbst fremd ist und er nur über die autobiographischen Hinterlassenschaften seiner menschlichen Ahnen rekonstruieren kann. Mit dem antithetischen Aufbau („le regret et la grâce“, „toute souffrance et toute joie“) rücken seine Aussagen auch stilistisch in die Nähe der La Rochefoucauldschen Maximen. 33 Moralistische Form und Perspektivik Übereinstimmungen mit dem moralistischen Schreiben finden sich jedoch nicht nur in der Themenwahl und den Stilmitteln, sondern auch die Form und der Aufbau des Romans tragen entscheidend zu einem Perspektivismus bei, wie er für den moralistischen Diskurs kennzeichnend ist. Mit La possibilité d’une île schreibt Houellebecq keinen Essay, keine Aphorismen oder Maximen und bedient sich damit nicht der literarischen Gattungen, welche die klassischen Moralisten von Montaigne bis Chamfort bevorzugten. Houellebecq exponiert seine posthumanistische Menschenkunde in Form eines dreiteiligen Romans, der sich aus den Kommentaren von Daniel24 und Daniel25 sowie einem Endkommentar zusammensetzt. Der Bericht des Komikers Daniel1 findet sich in die rund zweitausend Jahre später entstandenen Kommentare seiner genetischen Zwillinge eingebettet. Damit sind die Auszüge des überlieferten récit de vie wie Zitate in die Narrative der beiden posthumanen Erzählinstanzen eingelassen, ohne daß diese dem Anspruch gerecht werden könnten, die gelesene Erlebnis- und Gefühlswelt ihres Vorfahren vollständig aufzuarbeiten, geschweige denn adäquat zu beurteilen. Augenscheinlich neh- 77 Dossier men Daniel24 und 25 als Exegeten einer überkommenen Lebensform gegenüber dem Bericht von Daniel1 einen privilegierten Standort ein. Durch den formalen Aufbau wird unsere Aufmerksamkeit auf das Verhältnis des jeweiligen Beobachter-Ichs zur beobachteten Lebenswelt gelenkt. Mit welchem Blickwinkel positioniert sich der jeweilige Ich-Erzähler zum Gegenstand der Analyse? Das moralistische Subjekt spaltet sich auf in drei Daniels mit identischem Erbgut aber unterschiedlicher emotionaler und zeitlicher Distanz zur Menschenwelt. Mit aufsteigender Namensziffer wächst automatisch der Abstand zum beobachteten Gegenstand. Damit wird das optische Dispositiv der Moralistik 34 in temporäre Dimensionen verlagert: Nicht durch die verschiedenen räumlichen Standorte kommt die Vielperspektivik zustande, sondern durch die unterschiedliche zeitliche Situierung des jeweiligen Beobachter-Ichs in der Zukunft respektive der Gegenwart. Ähnlich wie Montaigne zurückgezogen in seiner Turmstube seine Menschenbeobachtungen für die Nachwelt niederschreibt, wendet sich Daniel24 einsam schreibend an seinen Klon-Nachfolger, der in absehbarer Zeit sein Domizil bewohnen und seinen Platz einnehmen wird: „Regarde les petits êtres qui bougent dans le lointain; regarde. Ce sont des hommes.“ 35 Der posthumane Moralist erscheint als unbeteiligter Beobachter eines nunmehr archaisch anmutenden Menschengeschlechts, dessen letzte Exemplare als wilde Kannibalen in den Bergen leben. Die Besonderheit der multiperspektivischen Konstellation besteht darin, daß im Roman zwei grundverschiedene Modelle des Menschenwissens kontrastiert werden: Auf der einen Seite zeichnet der Bericht von Daniel1 ein desolates Porträt unserer gegenwärtigen Konsumgesellschaft, deren Körperkult und Schönheitsideale dem Protagonisten, der die Vierzig bereits weit überschritten hat, zunehmend zum Verhängnis werden und dessen Ausschluß vom Sexualleben schließlich besiegeln. Auf der anderen Seite zeigt die dystopische Lebenswelt der beiden Klon-Erzähler die Konsequenzen auf, welche die Befreiung des Menschen von sämtlichen Leidenschaften und sämtlichem Konsum einschließlich der Nahrungsaufnahme und der Prokreation zeitigt. Insofern sich die Neomenschen nicht glücklicher schätzen als ihre genetischen Vorfahren und sogar jedweder Vorstellung vom Glück verlustig gegangen sind, wird genau genommen ein noch schwärzeres Bild vom posthumanen Menschsein gezeichnet als vom Werteverlust unserer gegenwärtigen Gesellschaft. Trotz oder gerade wegen der zunehmenden Entfernung der geklonten Wesen zur einstigen Menschenwelt besteht die vordringliche Lebensaufgabe der néo-humains in der Exegese der überlieferten Autobiographien in Ergänzung zum partiellen molekularen Transfer der Gedächtnisstrukturen. Während der Körper durch die Reproduktion der DNA geklont wird, muß die memoria von den Neo-Menschen mit Hilfe der Lektüre der récits de vie erst noch ausgebildet werden. Vom Studieren des Menschen hängen mithin das kognitive Profil und die spezifische Prägung der Persönlichkeit ab. 36 78 Dossier Vor diesem Hintergrund wird die Form des an die Nachwelt adressierten autobiographischen Schreibens als humanistische Reminiszenz sinnfällig. Das Verfassen der Lebensberichte nimmt seinen Ausgangspunkt bei Daniels Bedürfnis, seine Erlebnisse bei den Elohimiten schriftlich zu fixieren. Der in die Zukunft gerichtete gentechnologische Entwurf wird folglich kombiniert mit einem Rückgriff auf alte (humanistische) Formen: „Ainsi, cette avancée logique majeure allait curieusement conduire à la remise à l’honneur d’une forme ancienne, au fond assez proche de ce qu’on appelait jadis l’autobiographie.“ 37 Zudem deckt sich das Ansinnen der Sœur suprême, des Oberhauptes der Neomenschen, mit dem Ziel der Humanisten, ein Menschtum von seelischer und geistiger Vollkommenheit zu erlangen. Der philosophische Leitgedanke von La possibilité d’une île ist nahezu identisch mit der von August Buck formulierten „Kardinalfrage der humanistischen Moralistik“, 38 der Bestimmung des summum bonum: Wie kann der Mensch ein Höchstmaß an Glück erreichen? Die distanzierte Perspektive der neomenschlichen Moralisten birgt allerdings auch eine Inversion der klassischen Moralistik: Oberstes Gesetz des Moralisten ist die Wahrung einer größtmöglichen Distanz zum Objekt der Beobachtung. Mit anderen Worten: Er darf sich vom Gegenstand seiner Analyse nicht infizieren lassen. Ungeachtet der erkenntnistheoretischen Problematik, die dieses Postulat zweifellos birgt, sollte der Moralist den Anschein erwecken, selbst völlig affektfrei und von den anthropologischen Mängeln, die er beschreibt, ausgenommen zu sein. Die posthumanen Existenzen schreiten den Weg der Erkenntnis in umgekehrter Richtung ab: Sie sind von Natur aus mit einem distanzierten, emotionsleeren und mithin moralistischen Blick ausgestattet und arbeiten nun im Gegenteil daran, eine gewisse Empathie zu erlernen und sich in ihre menschlichen Vorfahren einzufühlen, um schließlich nachvollziehen zu können, was Daniel1 mit Liebe, sinnlicher Begierde und sexueller Lust gemeint haben könnte. Während die Aneignung menschlicher Autobiographien durch den Klon auf eine Idee der Elohimiten zurückgeht, besteht der Plan der ‚Höchsten Schwester‘ darin, das Humanum im Anschluß an die Identifikation durch eine kritische Distanz zu überwinden: „Si nous voulions préparer l’avènement des Futurs nous devions au préalable suivre l’humanité dans ses faiblesses, ses névroses, ses doutes; nous devions les faire entièrement nôtres, afin de les dépasser.“ 39 Die Lektüre der Lebensberichte soll bei den Klonen in erster Linie negative Gefühle und eine ablehnende Haltung hervorrufen und schließlich in eine Verachtung der espèce humaine münden: Il n’est généralement pas d’usage d’abréger les récits de vie humains, quels que soient la répugnance ou l’ennui que leur contenu nous inspire. Ce sont justement cette répugnance, cet ennui qu’il convient de développer en nous, afin de nous démarquer de l’espèce.40 79 Dossier Daß eine solche Prozedur auch fehlschlagen kann, zeigt die Kritik von Daniel25 an seinem Vorgänger, dem offensichtlich nur die Identifikation, nicht aber die anschließende kritische Distanzierung gelungen sei: […] à force de se plonger dans la biographie, à la fois ridicule et tragique, de Daniel1, mon prédécesseur s’était peu à peu laissé imprégner par certains aspects de sa personnalité; ce qui était, dans un sens, exactement le but recherché par les Fondateurs; mais, contrairement aux enseignements de la Sœur suprême, il n’avait pas su garder une suffisante distance critique.41 Die Abfolge von Empathie und Loslösung, die sich durchaus im Sinne des aristotelischen Tragödienkonzeptes als ein Erzeugen von Jammern und Schaudern mit dem Ziel der Katharsis begreifen läßt, gestaltet sich offensichtlich als ein diffiziler Balanceakt zwischen affektiver Hingabe und kritischer Distanzierung. Empirische Beobachtung vs. sammelnde Lektüre Ein augenfälliger Unterschied zwischen den posthumanen und den klassischen Moralisten besteht fernerhin im Aspekt des sozialen Rahmens. Das klassische Modell der Menschenanalyse und Lebenskunst setzt ein einheitliches gesellschaftliches Zentrum voraus: die rinascimentalen Höfe in Italien, den spanischen Königshof oder die Hofgesellschaft im französischen Absolutismus. Demgegenüber sind die Neomenschen vom gesellschaftlichen Verkehr vollends entbunden, sie leben in vollständiger Isolation und kommunizieren untereinander nur via Internet. Das höfische Sozialmodell als Ursprungsort der klassischen Moralistik wird somit außer Kraft gesetzt, denn das posthumane Alternativmodell basiert auf vollkommen anderen Interaktionsformen als denjenigen, auf die die klassischen Moralisten ihr Augenmerk richteten: das höfische Werben um die Gunst des Monarchen, die Klugheitsstrategien des discreto oder der vom amour-propre angeleitete commerce des honnêtes gens. Dennoch wird gerade die Sehnsucht nach Emotionalität zur Triebfeder neomenschlichen Handelns, so daß die moralistischen Beobachtungen zum gesellschaftlichen commerce zwar aus einer neuen Perspektive, nämlich derjenigen des sozial Isolierten, zur Darstellung gebracht werden; 42 dabei zeigt sich jedoch einmal mehr, daß die Bestimmung des Menschen als zoon politikon kaum an Gültigkeit verloren hat und der Rückzug aus dem Sozialgefüge - wie ihn Houellebecq in seinen Romanen immer wieder experimentell durchexerziert - folglich keine befriedigende Lösung darstellt. Der posthumanistische Menschenentwurf mündet somit in eine Aporie, die den Gesellschaftsbezug als conditio sine qua non des alten moralistischen Diskurses in letzter Konsequenz bekräftigt. Die Beobachtung des posthumanen Menschenprüfers kann indes aus zweierlei Gründen keine empirische sein: Erstens hat er selbst an keiner menschlichen Gemeinschaft teil, deren Mitglieder er beobachten könnte, und zweitens trennt ihn eine zeitliche Distanz von zweitausend Jahren vom Gegenstand seiner Beobach- 80 Dossier tung. Sein Menschenwissen bezieht er allein über die Analyse der Berichte und Kommentare. Der geklonte Moralist wäre somit kein empirischer Menschenprüfer im Sinne Nietzsches; vielmehr steht er einem wuchernden anthropologisch-moralistischen Diskurs gegenüber, der mit seinem eigenen Kommentar weiter anwächst. Die ständig fortgeführten und kommentierten Lebensberichte stellen eine Akkumulation von Menschenwissen bereit, das in das individuelle und kollektive Gedächtnis eingespeist wird. Das mit der Klonierung prekär gewordene Generationsmodell wird durch die kontinuierliche schriftliche Wissensanhäufung zu einem großen Buch, welches das Gedächtnis sämtlicher Klon-Generationen speichert: „Nous pouvons dire aussi, pour reprendre les paroles de la Sœur suprême, que nos générations se succèdent ‚comme les pages d’un livre qu’on feuillette‘.“ 43 Ziel dieses sich akkumulierenden Diskurses ist jedoch nicht der Vorstoß zu einer neuen conditio posthumana ‚nach dem Neomenschen‘ - diese bleibt den sogenannten Futurs vorbehalten und gehört in die Domäne des Glaubens -, sondern die Wahrung eines tradierten Wissens, so daß neben der körperlich-genetischen Inkarnation auch eine geistige Résurrection des Prototypen möglich wird. Die Ausbildung der neomenschlichen Persönlichkeiten gewinnt offensichtlich entscheidende Impulse aus der Idee der humanistischen Memorialtopik, der copia rerum et verborum im Sinne einer Sammlung enzyklopädischen Wissens zum Zweck der Weitertradierung an nachfolgende Menschheitsgenerationen. 44 Die Lebensaufgabe der Neomenschen, die einsame Lektüre von Autobiographien sowie das Verfassen entsprechender Kommentare zur Weitergabe an die Nachwelt, kann folglich in Anlehnung an einen humanistischen Topos gelesen werden, wie dieser sich etwa - um nur wenige bekannte Beispiele zu nennen - in Senecas otium cum litteris findet, in Petrarcas Leitbild des homo solitarius, der sich zwecks Pflege der eigenen Persönlichkeit aus der Welt zurückzieht und auf das Beten und Studieren konzentriert, oder auch in der Leseransprache der Essays von Montaigne, der seinen Nachkommen ebenso autobiographisch geprägte wie aus dem Wissen antiker Autoren gespeiste Texte hinterlassen hat. Negative Anthropologie oder Anthropotechnik? Wir haben bereits gesehen, daß Houellebecq das tradierte Spektrum der kasuistischen Menschenprüfung um den zentralen Aspekt des Menschenexperiments im Sinne einer Substitution des Humanum durch dessen eigene technische Erzeugnisse erweitert. Von dieser Warte aus erscheint der unsondierbare Abgrund des menschlichen Wesens als ein überwunden geglaubtes Auslaufmodell, dem ein künstliches Posthumanum als vergleichbare Größe zur Seite gestellt wird. Damit gewinnt die von Karlheinz Stierle lancierte ,negative Anthropologie‘ der Moralistik im Sinne eines letztlich inkommensurablen Erkennens einer instabilen menschlichen Natur scheinbar einen positiven Bezugspunkt, der als transparente Orientierungsmarke eingesetzt werden könnte. Daß sich der Mensch in einem promethei- 81 Dossier schen Akt selbst zum Schöpfer erhebt, steht zwar quer zur theologischen Sündenordnung, mit der die klassische Moralistik trotz ihrer mondänen Ausrichtung noch weitgehend konvergierte, aber damit scheint doch zugleich auch die Instanz des Deus absconditus, dessen Heilsplan und Gnadenentscheid im Verborgenen bleiben, als basale Voraussetzung der negativen Anthropologie überwunden. Auch wenn man also zunächst an die kognitive Überlegenheit der neuen künstlichen Menschen glauben könnte, vermitteln die posthumanen Erzählinstanzen ganz im Gegenteil eine Affirmation der negativen Anthropologie. Zum Beispiel äußert Daniel24 eine gewisse Befremdung angesichts der menschlichen Qualitäten: „La bonté, la compassion, la fidélité, l’altruisme demeurent donc près de nous des mystères impénétrables […].“ 45 Diese mystères impénétrables des menschlichen Wesens ließen sich allein dadurch lüften, daß die Klone ihre Einsamkeit vor dem Bildschirm preisgäben und Anschluß an eine menschliche respektive neomenschliche Gesellschaft suchten. Die von Daniel24 problematisierte Unbestimmbarkeit menschlicher Regungen und das anthropologische Nichtwissen der Klone stellen somit im Grunde eine radikale Erweiterung der negativen Anthropologie dar. Die vergebliche Fixierung einer anthropologischen Substanz aus der unhintergehbaren Unbeständigkeit der menschlichen Natur, die Unsondierbarkeit der menschlichen Abgründe und die Probebohrungen, die der Moralist auf dem weiten Feld der terra incognita vornimmt, ohne dabei jemals das gesamte Terrain erschließen zu können, sind Aspekte, die sich in der posthumanistischen Moralistik in einer erweiterten, zugespitzten Form wiederfinden. In dieser Radikalisierung liegt indes zugleich auch eine Absurdität, die sich als Ironie interpretieren ließe, denn in Anbetracht der Verabschiedung des Menschen zugunsten künstlich erzeugter Wesen erweist sich die anthropologische Frage letztlich als obsolet: Wenn die Klone nach moralistischer Manier die menschliche Natur zu erfassen versuchen und damit die negative Anthropologie affirmieren, so geschieht dies nur auf der Basis ihrer eigenen Artifizialität. Die Anthropotechnik ist der Anthropologie somit logisch vorgeschaltet. Fazit Abschließend komme ich noch einmal auf meine Ausgangsfrage nach der Neuverhandlung der seit jeher als ambivalent gekennzeichneten Stellung des Menschen zurück. Was leisten Houellebecqs Entwurf eines Menschenbildes ‚nach dem Menschen‘ und seine Verarbeitung der humanistisch geprägten Moralistik im Hinblick auf eine posthumanistische Anthropologie? Wir haben feststellen können, daß Houellebecqs Darstellung des ‚neuen Menschen‘ teilweise auf einer Umkehrung der gesellschaftlichen, erkenntnistheoretischen und medialen Voraussetzungen beruht, teilweise aber auch auf einer Fortführung und Radikalisierung der humanistisch geprägten Moralistik und einem Streben nach der Wiederherstellung der alten Ordnung. Die posthumanistische 82 Dossier Moralistik, wie Houellebecq sie betreibt, setzt sich kritisch-dekonstruktiv mit dem humanistischen Menschenbild auseinander. Nicht zu Unrecht ist Daniel1 vielfach als alter ego des Autors ausgewiesen worden: Die Charakterisierung der Komiker- Figur als „humaniste grinçant“ 46 durch dessen Publikum könnte auf der Basis unserer Untersuchungsergebnisse schließlich auch als Selbstcharakterisierung des Autors Houellebecq verstanden werden. Jenseits der Apokalypse und der Zukunftsversprechen der elohimitischen Sekte zeichnet Houellebecq ein vor dem Hintergrund der gentechnologischen Debatte durchaus realitätsnahes Bild des Menschen nach dem Menschen, das den Vorstellungen des Molekularbiologen Lee M. Silvers vom „geklonten Paradies“ 47 nahekommt. Die ebenso faszinierende wie unheimliche Fabrikation des Posthumanum mit Hilfe anthropotechnischer Manipulationen ist in der heutigen Zeit fraglos möglich, wenn auch ethisch umstritten. Die aktuellen Tendenzen der Reproduktionsgenetik (von der Präimplantationsdiagnostik über die Klonierung bis zum Designerbaby) rufen unweigerlich die im Humanismus zusammenlaufenden Leitfragen der Antike und des Christentums erneut auf den Plan: die Fragen nach dem prekär gewordenen Stellenwert von humanitas und dignitas. 48 Die molekularbiologischen und humangenetischen Forschungen des 21. Jahrhunderts stellen die literarische Anthropologie vor vollkommen neue Bedingungen. Die posthumanistische Moralistik, welche auf einer Neubearbeitung tradierter Diskurse basiert, läßt sich sowohl als Erweiterung als auch als Inversion des traditionellen moralistischen Spektrums präzisieren: Die Aufgabe des Posthumanisten besteht nicht allein in der Ausleuchtung der facettenreichen Abgründe der menschlichen Natur, sondern überdies in der Erprobung hochmoderner Anthropotechniken, die zum Zwecke einer wie auch immer gearteten Optimierung des Humanum verändernd in die menschliche Natur eingreifen. Die Menschenbeobachtung wird um das Experiment ergänzt, dessen Verlauf und Resultate dann wiederum beobachtet und literarisch umgesetzt werden. 49 Bezeichnenderweise vollzieht sich die Optimierung des Menschen in La possibilité d’une île nicht allein über einen gentechnischen Eingriff in die conditio humana, sondern auch über dezidiert literarische Operationen: Sowohl bei Daniel1 als auch bei seinen geklonten Nachfolgern handelt es sich um ambitionierte Leser und Schreiber; sie eignen sich das Gelesene an, verfassen Kommentare und schreiben Autobiographien. Auf elektronischem Weg tauschen Daniel24 und Marie23 Gedichte aus, darunter dasjenige über die titelgebende Möglichkeit einer Insel, welches Marie23 sogar dazu bewegt, ihren Standort zu verlassen und sich auf die Suche nach weiteren Artgenossen zu begeben. Die Literatur, die hier an die Stelle der Humantechnologie tritt, schließt nachgerade die Kluft zwischen dem homo sapiens und dem künstlich erzeugten Neomenschen, indem letztere über die Dichtung und das Menschenstudium die notwendigen Kenntnisse erwerben, um ihr emotionsleeres Dasein wieder der überkommenen conditio humana annähern zu können. Wir kommen zu dem Ergebnis, daß Houellebecqs Roman das negative Menschenbild, wie es der moralistischen Tradition inhärent ist, zum einen affirmativ 83 Dossier ausstellt, zum anderen aber aus Sicht der Klone entschieden relativiert. Damit steht der Mensch zwar nach wie vor im Fokus des Interesses, aber zugleich scheint die Menschheitsgeschichte an ein Ende gelangt zu sein. Der Mensch, dem zunächst der geklonte Neomensch und danach eine Art Übermensch folgen werden, erscheint nunmehr als ein historisches Stadium innerhalb komplexer Entwicklungen. In der posthumanistischen Moralistik werden somit zwar die alten Fragen des Humanismus und der Anthropologie noch einmal neu aufgelegt, vor dem Hintergrund der aktuellen gentechnologischen Entwicklungen gewinnen diese jedoch vollkommen neue Konturen: Die Provokation der von Houellebecq vorgetragenen Thesen besteht darin, daß die humanistischen Werte (Individualität, Würde, Fortschritt) zu Ursachen von Problemen umgemünzt werden, die sich nun nicht mehr durch geistige Werte, sondern allenfalls mittels technischer, d.h. humangenetischer Eingriffe lösen lassen. Bei alldem stellt Houellebecq keine bessere Welt in Aussicht. Indem er eine deskriptiv-moralistische Erzählhaltung privilegiert, bleibt seine eigene Position ambivalent: Die wertneutrale, distanzierte Beschreibung des Menschen verweigert eine eindeutige moralische Stellungnahme - wie sie in einem wichtigen Referenzwerk Houellebecqs, nämlich Aldous Huxleys Erfolgsroman Brave New World, noch klar bezogen wird. Die von Jochen Mecke mit Bezug auf die Literaturskandale, die dem Erscheinen von Les particules élémentaires und Plateforme folgten, geäußerte Annahme, daß „nicht die provokanten Thesen Houellebecqs allein, sondern erst die explosive Mischung aus diesen Thesen und der literarischen Form“ 50 Aufsehen erregt hat, läßt sich gleichermaßen für La possibilité d’une île geltend machen: Die These einer selbstevolutiven Ablösung des Menschen ist weder originell noch anstößig und kann sich auf eine Reihe literarischer und philosophischer Vorbilder stützen. Neu allerdings ist die Präsentation dieser These im Modus einer moralistischen, d.h. sich jedweder moralischer Stellungnahme enthaltenden Schreibweise. Houellebecqs Rückgriff auf die Moralistik läuft somit auf eine Provokation hinaus: Nicht der Inhalt seines Romans ist skandalverdächtig, sondern die Form der neutralen empirischen Beschreibung und der Verzicht auf moralische Bevormundung. 1 Michel Houellebecq: La possibilité d’une île, Paris: Fayard 2005, 10. 2 Dabei handelt es sich um eine Anspielung auf Aldous Huxleys utopischen Roman Island (1962), der ein Gegenmodell zu Brave New World (1932) darstellt. 3 Hugo Friedrich: Montaigne, Tübingen/ Basel 3 1993 ( 1 1949), 167. 4 Friedrich Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches, in: Werke in drei Bänden, hrsg. von Karl Schlechta, 1. Bd., München 1954, 838. 5 Ebd., 476. 6 Ebd., 476 f. 7 Vgl. Karlheinz Stierle: „Die Modernität der französischen Klassik. Negative Anthropologie und funktionaler Stil“, in: Fritz Nies/ ders. (eds.): Französische Klassik. Theorie - Literatur - Malerei, München 1985, 81-128; sowie neuerdings auch ders.: „Was heißt Moralistik? “, 84 Dossier in: Rudolf Behrens/ Maria Moog-Grünewald (eds.): Moralistik. Explorationen und Perspektiven, München 2010, 1-22. 8 Zu den Tendenzen der französischen Gegenwartsliteratur vgl. Wolfgang Asholt/ Marc Dambre (eds.): Un retour des normes romanesques dans la littérature française contemporaine, Paris 2011 (hier insbesondere den „Avant-propos“ der Herausgeber, 11-17). Zur Infragestellung des intransitiven Schreibens seit den 1980er Jahren als Bedingung für den ‚Mythos Houellebecq‘ vgl. auch Wolfgang Asholt: „Neue Mythologie? Houellebecqsche Mythen oder der Mythos Houellebecq“, in: Claudia Jünke/ Michael Schwarze (eds.): Unausweichlichkeit des Mythos. Mythopoiesis in der europäischen Romania nach 1945, München 2007, 251-263, hier: 260 ff. 9 Vgl. dazu Jörn Steigerwald: „(Post-)Moralistisches Erzählen: Michel Houellebecqs ,Les particules élémentaires‘“, in: Lendemains 138/ 139 (2010), 191-208. Steigerwald hat die „post-moralistische“ Modellierung des Humanum überzeugend am Beispiel der Elementarteilchen nachgezeichnet und dabei das multiperspektivische Beobachten und Experimentieren der narrativen Instanzen als „Neubegründung des moralistischen Schreibens“ (200) deklariert, welche durch die neuen Möglichkeiten der Manipulation des menschlichen Genoms bedingt ist. Das Moralistische in der französischen Gegenwartsliteratur, u.a. am Beispiel von La possibilité d’une île untersucht auch Till Kuhnle: „Moralistik - ein ethischer Stachel im Zeitalter der Globalisierung? Der französische Gegenwartsroman zwischen Defätismus und Skandal“, in: Susanne und Christian Krepold (eds.): Schön und gut? Studien zu Ethik und Ästhetik in der Literatur, Würzburg 2008, 97-130. 10 Den Begriff des Posthumanismus verwende ich in einem kulturkritischen Sinn in Anlehnung an Stefan Herbrechter: Posthumanismus. Eine kritische Einführung, Darmstadt 2009. Damit unterscheiden sich auch die beiden Adjektive posthumanistisch (‚nach dem Humanismus‘) und posthuman (‚nach dem Menschen‘). Letzteres bezieht sich auf den geklonten, künstlichen Menschen (die sog. néo-humains bei Houellebecq). Eine andere geläufige Verwendung des Posthumanismus-Begriffs wäre dessen Gleichsetzung mit dem ‚Transhumanismus‘ und somit die Bezugnahme auf eine Ideologie, die die Ersetzung des homo sapiens durch überlegenere posthumane Intelligenzen und die Verschmelzung von Mensch und Technik zum Ziel hat. Zur Begriffsbestimmung vgl. Christopher Coenen: „Transhumanismus“, in: Eike Bohlken/ Christian Thies (eds.): Handbuch Anthropologie. Der Mensch zwischen Natur, Kultur und Technik, Stuttgart/ Weimar 2009, 268-276; sowie Reinhard Heil: „Trans- und Posthumanismus. Eine Begriffsbestimmung“, in: Annette Hilt/ Isabella Jordan/ Andreas Frewer (eds.): Endlichkeit, Medizin und Unsterblichkeit: Geschichte, Theorie, Ethik, Stuttgart 2010, 127-149. 11 Vgl. Michel Foucault: Les mots et les choses. Une archéologie des sciences humaines, Paris: Gallimard 1966, 398: „[…] l’homme s’effacerait, comme à la limite de la mer un visage de sable.“ 12 Michel Houellebecq: Les particules élémentaires, Paris: Flammarion 1998, 391. 13 Vgl. Peter Sloterdijk: „Regeln für den Menschenpark. Ein Antwortschreiben zu Heideggers Brief über den Humanismus“, in: ders.: Nicht gerettet. Versuche nach Heidegger, Frankfurt a.M. 2001, 302-337. 14 Uwe Lindemann hat Sloterdijks Regeln für den Menschenpark als „deutsche Variante von Houellebecqs Thesen“ bezeichnet, vgl. „Prometheus und das Ende der Menschheit. Posthumane Gesellschaftsentwürfe bei Mary Shelley, H.G. Wells, Aldous Huxley, Michael Marshall Smith, Michel Houellebecq, Peter Sloterdijk und in dem Film ‚Gattaca‘“, in: Monika Schmitz-Emans (ed.): Komparatistik als Arbeit am Mythos, Heidelberg 2004, 237- 254, hier: 249. Eine Diskussion der Thesen Sloterdijks vor dem Hintergrund von Les par- 85 Dossier ticules élémentaires finden sich auch bei Jörn Ahrens: „Die Aufgabe des Sexus: Sexualität als Ennui und Reproduktionsmedizin als Erlösung in Michel Houellebecqs ,Elementarteilchen‘“, in: Nicolas Pethes/ Silke Schicktanz (eds.): Sexualität als Experiment. Identität, Lust und Reproduktion zwischen Science und Fiction, Frankfurt a.M./ New York 2008, 349-366; sowie in Exkursform bei Heidi Lutosch: Ende der Familie - Ende der Geschichte. Zum Familienroman bei Thomas Mann, Gabriel García Márquez und Michel Houellebecq, Bielefeld 2007, 173-180. 15 Houellebecq: Les particules élémentaires, 385. 16 Vgl. dazu auch die von Jörn Steigerwald in bezug auf Les particules élémentaires formulierte These, daß „die Formung des Menschenbildes nicht nur auf der Beobachtung des Menschen aufbaut, sondern auch bzw. vor allem mit dem Eingriff in das Menschenbild einhergeht.“ („[Post-]Moralistisches Erzählen“, 192). 17 Zu den thematischen und formalen Übereinstimmungen der einzelnen Romane Houellebecqs vgl. Rita Schober: „Weltsicht und Romantheorie als Operatoren der Romane Michel Houellebecqs“, in: dies.: Auf dem Prüfstand. Zola - Houellebecq - Klemperer, Berlin 2003, 259-299. 18 Houellebecq: La possibilité d’une île, 414 f. 19 Ebd., 415. 20 Vgl. Aurélien Bellanger: Houellebecq. Ecrivain romantique, Clamecy 2010, hier: Kap. 4 „Examen critique d’une religion nouvelle“, 199-275; Katharina Chrostek: Utopie und Dystopie bei Michel Houellebecq, Frankfurt a.M. 2011, 145 ff. 21 Vgl. Christine Ott: „»Amor, ch’a nullo amato amar perdona«. Biblische und danteske Intertextualität in Michel Houellebecqs ‚La possibilité d’une île‘“, in: Deutsches Dante- Jahrbuch 2009, 133-152. 22 Einer These Walburga Hülks zufolge speisen sich wissenschaftliche Zukunftsentwürfe häufig aus der christlichen Mythologie, wie die Verfasserin am Beispiel von Zolas Le docteur Pascal und Houellebecqs Les particules élémentaires vor Augen führt. Vgl. Walburga Hülk: „Mythographien des Lebens 1900-2000. Zolas ,Docteur Pascal‘ und Houellebecqs ‚Les Particules élémentaires‘“, in: Anne Amend-Söchting, Kirsten Dickhaut, Walburga Hülk, Klaudia Knabel, Gabriele Vickermann (eds.): Das Schöne im Wirklichen - das Wirkliche im Schönen (Festschrift für Dietmar Rieger), Heidelberg 2002, 423-431. 23 Houellebecq: La possibilité d’une île, 21. 24 Ebd., 60. 25 Maxime 418, zitiert nach La Rochefoucauld: Maximes, ed. Jacques Truchet, Paris: Bordas/ Classiques Garnier 1992, 97. 26 Maxime 430, ebd., 99. 27 Maxime 461, ebd., 105. 28 Maxime Posthume 59, ebd. 173. 29 Houellebecq: La possibilité d’une île, 91. 30 La Rochefoucauld: Maxime 68, 22. 31 Houellebecq: La possibilité d’une île, 190. 32 Ebd., 191. 33 Vgl. dazu exemplarisch die zentralen Aussagen über die widersprüchliche Natur des amour-propre im Eingangsaphorismus der Maximen-Erstausgabe: „Il [l’amour-propre] est tous les contraires, il est impérieux et obéissant, sincère et dissimulé, miséricordieux et cruel, timide et audacieux“ (La Rochefoucauld: Maxime I, Première Edition, 284). 34 Zum optisch-perspektivischen Diskurs der Moralistik vgl. Rudolf Behrens: „Zur Geschichte perspektivischer Beobachtung im moralistischen Diskurs (Pascal, Marivaux, Se- 86 Dossier nancour)“, in ders./ Maria Moog-Grünewald (eds.): Moralistik. Explorationen und Perspektiven, München 2010, 303-346. 35 Houellebecq: La possibilité d’une île, 26. 36 Ebd., 27: „La première loi de Pierce identifie la personnalité à la mémoire. Rien n’existe, dans la personnalité, que ce qui est mémorisable (que cette mémoire soit cognitive, procédurale ou affective); c’est grâce à la mémoire, par exemple, que le sommeil ne dissout nullement la sensation d’identité.“ 37 Ebd., 27. 38 August Buck: „Die humanistische Literatur in der Romania“, in ders. (ed.): Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, Band 9, Frankfurt a.M. 1972, 61-81, hier 67. 39 Houellebecq: La possibilité d’une île, 183. 40 Ebd., 102. 41 Ebd., 183. 42 Vgl. im Unterschied dazu etwa die Maxime 279 von Chamfort: „Le sentiment qu’un homme honnête emporte, après s’être livré quelques jours à la société, est ordinairement pénible et triste. Le seul avantage qu’il produira, c’est de faire trouver la retraite aimable.“ (Maximes et pensées. Caractères et anecdotes. Préface d’Albert Camus. Notices et notes de Geneviève Renaux, Paris: Gallimard/ folio classique 1970, 91). 43 Houellebecq: La possibilité d’une île, 168 44 Zum Modell der materialen Topik sowie zur Ablösung der formalen durch die inhaltlichen loci communis im Zuge der Erfindung des Buchdrucks vgl. Wilhelm Schmidt-Biggemann: Topica Universalis. Eine Modellgeschichte humanistischer und barocker Wissenschaft, Hamburg 1983; Michael Cahn: „Hamster: Wissenschafts- und mediengeschichtliche Grundlagen der sammelnden Lektüre“, in: Paul Goetsch (ed.): Lesen und Schreiben im 17. und 18. Jahrhundert. Studien zu ihrer Bewertung in Deutschland, England, Frankreich, Tübingen 1994, 63-77; Heinrich F. Plett: „Rhetorik der Gemeinplätze“, in: Thomas Schirren/ Gert Ueding (eds.): Topik und Rhetorik. Ein interdisziplinäres Symposium, Tübingen 2000, 223-235; Jutta Weiser: Vertextungsstrategien im Zeichen des désordre. Rhetorik, Topik und Aphoristik in der französischen Klassik am Beispiel der ‚Maximes‘ von La Rochefoucauld, Heidelberg 2004, 29-44. 45 Houellebecq: La possibilité d’une île, 79. 46 Ebd., 22. 47 So die deutsche Übersetzung seines populärwissenschaftlichen Bestsellers Remaking Eden. Cloning and Beyond in a Brave New World, New York 1997 (deutsch: Das geklonte Paradies. Künstliche Zeugung und Lebensdesign im neuen Jahrtausend, München 1998). 48 Vgl. dazu auch das Kapitel 5 „Menschenwürde als biopolitische Kategorie“ in: Jörn Ahrens: Frühembryonale Menschen? Kulturanthropologische und ethische Effekte der Biowissenschaften, München 2008, 185-384. 49 Darin liegen nicht zuletzt auch die Parallelen des Houellebecqschen Romans zum Naturalismus Zolas. Vgl. dazu Sandrine Rabosseau: „Houellebecq ou le renouveau du roman expérimental“, in: Murielle Lucie Clément/ Sabine van Wesemael (eds.): Michel Houellebecq sous la loupe, Amsterdam/ New York 2007, 43-51. 50 Jochen Mecke: „Der Fall Houellebecq: Zu Formen und Funktionen eines Literaturskandals“, in: Giulia Eggeling/ Silke Segler-Meßner (eds.): Europäische Verlage und romanische Gegenwartsliteraturen. Profile, Tendenzen, Strategien, Tübingen 2003, 194-217. 87 Dossier Bruno Viard La Carte et le Territoire, roman de la représentation: entre trash et tradition La Carte et le Territoire représente la France dans le contexte de la mondialisation à l’aide du verre grossissant d’une légère anticipation vers les années 2010-2020. Comme ce roman a pour protagonistes un peintre et un écrivain, La Carte et le Territoire est une représentation de la représentation, une représentation au carré. On s’arrêtera successivement sur ces deux niveaux de la représentation: la représentation de la France des années 2010 et suivantes; la représentation de l’art et de l’artiste qui représentent cette France. Ce dédoublement permet au romancier de dire explicitement ce qui était silencieusement à l’œuvre dans les romans précédents. La Carte est donc aussi un art poétique. Mais comme la conception de l’art proposée est figurative, transitive, réaliste, comme on voudra dire, la représentation de l’artiste au sein de son œuvre n’est pas narcissique comme c’est le cas de tant d’œuvres modernes. Jed Martin a été initié à la peinture figurative au lycée et en a gardé le goût, depuis sa première peinture d’adolescent, Les Foins en Allemagne, jusqu’à la série des métiers qui lui apporte la gloire et la fortune (38). 1 S’il a donc consacré son œuvre à la représentation du monde, il est précisé, ce qui est à bien noter, que cette représentation peut contenir critique et ironie (39). On apprend aussi que les romans réalistes firent partie de ses lectures de collégien (77) et on devine que Balzac est au premier rang d’entre eux car Jed est comparé aux jeunes gens qui réussissent avec l’aide des femmes. La notion de réalisme est affinée quand il est précisé que JM fait dans le social et non dans la représentation des corps (150). 2 La plaquette que l’écrivain consacre à la série des métiers indique que JM possède un regard d’ethnologue et qu’il décrit le monde avec détachement et froideur objective (189). Dans ces conditions, même s’il est dit que le tableau de JM consacré à l’écrivain ne prend pas position entre les deux pôles que sont le réalisme et le formalisme (185), on aura compris où vont ses préférences. JM se plaint, enfin, de la tendance consistant à privilégier la manière au détriment du sujet. A l’évocation de ce point de vue formaliste, le romancier est la proie de pensées extrêmement tristes (144). L’attaque portée contre Picasso est cohérente puisque ce dernier peint un monde hideusement déformé (176). Quels sont les enjeux de ce néoréalisme revendiqué et pratiqué par le peintre aussi bien que par les deux Houellebecq? On peut en voir surtout deux. Qu’il photographie des cartes Michelin ou qu’il peigne des métiers, on peut dire que JM représente le monde. Mais deux de ses toiles, Damien Hirst et Jeff Koons se partageant le marché de l’art et Michel Houellebecq écrivain l’entraînent dans une intrigue dont l’enjeu est l’art lui-même, intrigue qui se solde par un meurtre. 88 Dossier Malgré sa simplicité de lecture, La Carte et le Territoire est un roman complexe et nuancé qui a laissé la critique bien perplexe. Une lecture à partir de la question de la représentation permettra-t-elle d’y voir clair? 1. La carte est plus intéressante que le territoire Comment entendre cette phrase écrite en lettres capitales par JM à l’entrée de son exposition (82)? Les photos de JM sont des représentations de représentations. La cartographie repose sur des procédés techniques sophistiqués qui produisent une image à la fois exacte et stylisée de la réalité. Les photos de cartes réalisées par JM sont très travaillées: axe de prise de vue, profondeur de champ, flou de distance (65). En réalité, la photo de JM présentée et légendée à l’entrée de l’exposition est confrontée non à la réalité du terrain (le ballon de Guebwiller) mais à une autre photo de ce lieu, photo satellite celle-là, qui ne fait apparaître qu’une soupe de vert parsemée de tâches bleues. Mais tout semble indiquer que le vrai débat ne se situe pas entre l’œuvre de JM et la photo satellite, mais entre cette œuvre et le territoire lui-même, puisque c’est ce dernier qui sera souvent exploré par JM, que ce soit en compagnie d’Olga, dans ses visites à MH, ou lors de sa retraite finale. La belle technologie Alors pourquoi la carte est-elle plus intéressante que le territoire? Réponse: le territoire a perdu beaucoup de son intérêt parce qu’après les conquêtes industrielles des Trente Glorieuses (1945-1975), l’économie française s’est repliée sur le pastiche du passé et le folklore. Les lecteurs des précédents romans de Houellebecq ne s’y attendaient sans doute pas, La Carte contient un éloge de l’industrie de qualité, telle qu’on la pratiquait dans les années 50 et 60. Jed a ainsi pu photographier 11. 000 objets manufacturés dont 300 pièces de quincaillerie, 3 rendant hommage au travail humain (51), grâce au matériel photographique „d’une qualité de fabrication exceptionnelle“ laissé par son grand-père (40). Les cartes Michelin elles-mêmes, réalisées au 1/ 150 000 sont des merveilles de technologie (54). L’aéroport de Shannon en Irlande, construit vers la fin des années 50, est décrit comme un exemple d’enthousiasme technologique (134). MH repère chez JM „une nostalgie du monde moderne, de l’époque où la France était un pays industriel“ (169) avant de confier ses propres bonheurs de consommateurs, les chaussures Paraboot Marche, le combiné ordinateur portable - imprimante Canon Libris et la parka Camel Legend (170). L’auteur du roman parle en connaisseur des voitures de marque Audi (253) et Mercedes (355) et de leurs mérites respectifs. L’éloge de la belle technologie et du travail bien fait est un thème nouveau chez Houellebecq. Il n’est pas incompatible, au contraire, avec sa critique du capitalisme spéculatif entamée dans ses romans antérieurs, continuée dans La Carte. Le plombier croate s’adonnera à la location de scooters des mers au lieu d’exercer 89 Dossier son artisanat noble (29) comme Jean-Pierre Martin a construit des marina à la con (215) au lieu de faire de la belle architecture. On apprend que Fourier, qui se souvenait de l’Ancien Régime, était conscient que l’amour de Dieu ou l’honneur de la fonction pouvaient être des motifs de bien travailler. C’est l’économie que le roman critique le plus. Dans les grandes surfaces, JD ne communique avec qui ce soit qu’en répondant non aux caissières qui lui demandent s’il possède la carte fidélité (63 et 151). Bien que la chose ne soit pas explicite, on découvre un romancier plus nuancé que jadis, capable de saluer la technique moderne tout en ironisant sur la paupérisation morale à laquelle aboutissent les mécanismes économiques. La satire des programmateurs de l’informatique dans Extension ne faisait pas ce distinguo. 4 L’auteur de La Carte laisse son lecteur faire lui-même le tri et mesurer la part d’ironie de ses pages. L’hypermarché Casino et la station-service Shell du boulevard Vincent-Auriol sont décrits comme des lieux susceptibles de provoquer le désir, le bonheur et la joie (196). Oui, mais des joies solitaires, pense-t-on immédiatement, des joies de pure consommation. Pourtant JM se prend à rêver d’un „hypermarché total qui recouvrirait tous les besoins humains“ et qu’ils visiteraient fraternellement, MH et lui, en se poussant mutuellement du coude. Au lecteur d’évaluer si l’ironie est totale ou si une part d’admiration et de gratitude est accordée aux trésors d’intelligence et de labeur qui ont permis l’existence du moindre rayon de l’hypermarché. L’amour de la France Si le clivage de la belle technologie d’avec les pratiques commerciales modernes et post-modernes qui corrompent tout est essentiel à l’intelligence de ce roman, il est tout aussi important de bien démêler dans le propos du romancier sur la tradition ce qui relève d’une authentique richesse et ce qui n’en est qu’une exploitation falsifiée. La désertification industrielle de la France sous l’effet de la mondialisation, nous dit La Carte, entraîne un repli sur les traditions, le patrimoine et le terroir. Le lecteur découvre un thème complètement nouveau chez son romancier flaubertien et dépressif accoutumé, l’amour de la France et de la culture française. 5 L’autoroute A20, apprend-on, est „une des plus belles de France, une de celles qui traverse les paysages ruraux les plus harmonieux“ (53). Il existe des Russes attachants qui ont appris „à admirer une certaine image de la France - galanterie, gastronomie, littérature [...], à désirer déguster du Pouilly-Fuissé ou visiter la Sainte-Chapelle“ (71). Cette précieuse culture est présentée comme une plante fragile qui fut menacée par la vulgarité du communisme comme elle l’est par celle qu’exporte l’Amérique (ibid.). 6 C’est d’elle que se rapproche l’écrivain quand il coupe du bois devant sa maison comme l’ont fait les populations rurales pendant des générations ou en préparant un excellent pot-au-feu pour son hôte (237). Il n’y a assurément aucune contradiction à chanter successivement la beauté technologique d’une Audi, d’un appareil photographique ou d’un ordinateur, puis 90 Dossier celle des paysages ruraux qui ont produit la gastronomie et la merveilleuse architecture vernaculaire françaises. Houellebecq acquitte sa dette envers les richesses inégalables de cette civilisation. Il se garde d’opposer l’excellence agricole et artisanale de la tradition et l’excellence technologique moderne manifestée dans cent objets magiques de notre vie quotidienne. La même gratitude doit s’exprimer envers les concepteurs d’une chapelle romane ou d’un grand vin de Bordeaux et envers ceux d’un téléphone portable ou de nos merveilleux appareils ménagers. Hommage soit rendu au travail bien fait, à tant de générations de paysans laborieux et subtils et d’ingénieurs intelligents et dévoués! L’éloge appuyé adressé à William Morris, par les voix de MH comme de Jean- Pierre Martin, fait la transition entre l’artisanat traditionnel et la technique moderne. Le socialiste anglais développait le rêve que la civilisation industrielle conserve les antiques vertus de travail transmises par le compagnonnage et les mette au service de tous. Ce rêve s’est partiellement réalisé dans les plus belles réussites technologiques modernes. Il a été balayé par le productivisme et la spéculation. La mondialisation a réglé le problème en délocalisant la production en Chine et dans les autres pays émergents et en assurant à la France une survie provisoire grâce à la promotion de l’art de vivre „franco-français“ (96). L’authentique et le pseudo La belle tradition est fragile. On le pressent quand on apprend que, dans le guide d’Olga, laquelle n’est jamais sortie de Paris, guide au titre anglais, French Touch, „la France apparaissait comme un pays enchanté, une mosaïque de terroirs superbes constellés de châteaux et de manoirs, d’une stupéfiante diversité mais où, partout, il faisait bon vivre“ (94). Comment ne pas sentir pointer le stéréotype, la rêverie flaubertienne que la réalité aura tôt fait de démentir? Beaucoup de lecteurs risquent de rêver avec La Carte comme ils ont rêvé avec Flaubert et avec Proust. On ne comprend souvent l’ironie qu’à la deuxième lecture. Houellebecq se livre à la satire du néo-rustique et du pseudo-ancien avec la même sévérité que Flaubert du bovarysme de ses personnages et Proust du snobisme des siens! Le patrimoine français est désormais donné en pâture à des touristes chinois, russes et indiens. Bien sûr, ce patrimoine est toujours là, il est même superbement restauré, les traditions gastronomiques aussi sont pieusement cultivées. Mais comment des Chinois ou des Russes sentiraient-ils la récupération commerciale lorsque les Français eux-mêmes ne la sentent plus? La Carte, c’est la satire du pastiche, le pastiche du pastiche! Le culte du terroir et du patrimoine, il faut le dire, est souvent bidon, comme le réveillon luxueux et médiatique chez Jean-Pierre Pernaut sur le thème des Provinces de France avec de faux paysans armés de fourches à la porte. La satire des Informations historiques proposées aux touristes par la municipalité de Beauvais est d’un comique excellent. L’une des choses les plus difficiles du monde est de faire la différence entre le modèle et la copie, entre le vrai et le frelaté, entre le chic et le chiqué, entre l’original et le pseudo. L’ironie houellebecquienne consiste à jouer sur la limite, par 91 Dossier exemple quand il décrit le village où MH s’est réfugié: „Ici, on ne plaisantait pas avec le patrimoine. Partout, il y avait des arbustes ornementaux, des pelouses; des pancartes de bois brun invitaient le visiteur à un circuit aventure aux confins de la Puisaye. La salle polyvalente proposait une exposition permanente d’artisanat.“ (255) Tout veut passer pour vrai, mais tout est faux! On le voit de façon plus appuyée ici: „Le village en lui-même avait fait très mauvaise impression à Josselin: les maisons blanches aux bardeaux noirs, d’une propreté impeccable, l’église impitoyablement restaurée, les panneaux d’information prétendument ludiques, tout donnait l’impression d’un décor, d’un village faux, reconstitué pour les besoins d’une série télévisée.“ (280) C’est le même spectacle lorsque JM devenu vieux sort de sa retraite et visite le village de son enfance. William Morris avait d’ailleurs critiqué en son temps la manie de tout restaurer qui perd l’esprit des monuments en croyant le servir. La Carte n’est pas du tout à confondre avec un écologisme ringard hostile aux autoroutes, ni avec un passéisme rêveur replié sur des enjeux dérisoires, encore moins avec un chauvinisme conservateur et frileux: il fait le procès de tout cela. Quand on croit, ou veut, ou veut faire croire qu’on fait les choses à l’ancienne, c’est que le geste authentique est perdu depuis longtemps! Houellebecq critique vertement l’architecture utilitariste et fonctionnaliste de l’après-guerre, le rationalisme monotone et plat où a conduit le Bauhaus. Il a raison. Cela a d’ailleurs abouti à l’un des stéréotypes les plus éculés: „Le moderne, c’est affreux! “ Mais La Carte est consacré avant tout à la critique du contre-pôle: la manie du pseudo-ancien. La vue est donc double. Mais alors, ce romancier n’est jamais content? Il dénigre tout, le moderne comme l’ancien! Encore une fois, son éloge de William Morris montre bien qu’une boussole existe et qu’on est loin d’un négativisme de principe. Ce roman exprime une exigence de qualité à laquelle ne satisfont ni le modernisme de la rentabilité, ni les reconstitutions à l’ancienne. 7 Sous l’effet de la mondialisation, la France est devenue marchandise, voilà le propos de La Carte. Ce propos est simplificateur mais significatif. Cette anticipation sur les années 2020 reste une anticipation. Si le territoire est frelaté, on comprend pourquoi la carte vaut mieux: son symbolisme et sa schématisation édulcorent ce que l’enquête de terrain fait découvrir. Comme Plateforme déjà sur le thème sexuel, La Carte est le roman de la mondialisation puisque c’est dans ce contexte que la France se trouve désindustrialisée et ouverte aux touristes des pays émergents. Ces touristes ont bon goût. Ils ont choisi l’un des pays du monde dont la civilisation est la plus riche. Bien sûr, il a fallu rendre tout cela consommable pour les masses. Le commerce s’en est chargé avec la complicité des institutions et, le plus souvent, c’est du pseudo qui est vendu. Il est clair que l’infrastructure socio-économique qui a produit le patrimoine paysager, architectural, gastronomique, français n’existe plus. La France rurale d’Ancien Régime est loin! Alors, on fait semblant. 92 Dossier 2. Le duel avec l’art contemporain La question de la mondialisation et de la marchandisation de la culture est encore celle du roman si on ne considère plus l’objet représenté, la France, mais le medium lui-même, c’est-à-dire l’art. Dans ses Illusions perdues, en 1836, Balzac avait fait une satire absolue de la marchandisation de la littérature à l’aube du capitalisme. La réputation y était devenue „une prostituée couronnée“. Houellebecq renoue avec la démarche balzacienne et se livre à une critique acerbe de la collusion de l’art avec le capitalisme commercial et financier. Sa démarche vient de loin. Dans Extension du domaine de la lutte, il mettait en parallèle les rivalités professionnelles et les rivalités sexuelles en système libéral, aboutissant, les unes et les autres, à la paupérisation du plus grand nombre. Les parallèles se croisaient dans Plateforme, roman de la prostitution, point d’intersection de l’amour et de l’argent. La Carte décrit deux nouvelles interférences, celle de la France avec l’argent, celle de l’art avec l’argent. La période Michelin de JM traite de la première interférence; sa série des métiers provoque l’art contemporain en duel. Un peintre de génie représente sur toile, à l’huile, les deux grandes vedettes de l’art contemporain, Jeff Koons et Damien Hirst se partageant le marché de l’art. Ce tableau a beau être le soixante-cinquième d’une longue série de chefs d’œuvre, l’artiste n’en vient pas à bout. C’est un tableau raté! Ça vient peut-être du sujet? Dans un moment de fureur, JM crève donc l’œil de Damien Hirst avec un couteau à palette et déchire la toile avant de l’éclabousser de ses vomissures. Il se consacre alors à une nouvelle et dernière représentation, celle d’un authentique artiste, Michel Houellebecq en personne. Le lecteur se heurte ici à une difficulté: il bute sur le meurtre insensé de ce Houellebecq de fiction et le roman dérive vers un développement policier sans rapport apparent avec la question de l’art. Le romancier a eu la malchance de succomber sous les coups d’un chirurgien pervers qui n’a rien à faire avec le sujet du livre. Le lecteur se sent perdu devant ce fait divers incroyable et qui ne fait pas sens à moins de se dire que le meurtre de MH, c’est, de quelque façon, la vengeance de Damien Hirst qui, non content de faire disparaître la toile et de faire assassiner l’écrivain, découpe son corps en lanières, et dispose les débris sur un mur en un pseudo-Pollock (350, 351, 353)! C’est évident! Dans cette œuvre hideuse et morbide, qui prétend remplacer un authentique chef d’œuvre, il est facile de reconnaître la manière habituelle de Hirst, spécialiste du trash et du macabre: veau découpé dans du formol, femme enceinte dépecée, requin en décomposition lente. Le maître du morbide a simplement remplacé une œuvre (le tableau à l’huile) par une autre de sa façon (l’installation de chair humaine). Pas besoin de signature! Le chirurgien n’est qu’un exécutant manipulé. Le romancier semble accréditer l’attribution à Damien Hirst du meurtre de MH quand il indique que le tableau de l’écrivain a „déjà été mêlé à deux meurtres“ (394), entendons le meurtre 93 Dossier symbolique de Damien Hirst et le meurtre réel de MH. Ces mots suggèrent un lien entre les deux meurtres. Mais c’est l’écrivain réaliste qui a le dernier mot car il s’est dédoublé pour donner à voir et sans doute à juger ce duel à mort, expression à prendre au pied de la lettre. Houellebecq a donc osé, dans son dernier roman, prendre à partie les deux vedettes de l’art contemporain, ses deux plus grosses fortunes selon Art Price, Koons et Hirst, en les dépeignant dès la première page se partageant le marché de l’art. Le marché de l’art! Quel oxymore! Si Flaubert entendait cela, lui qui avait tant ironisé sur L’Art industriel d’Arnoux dans son Education sentimentale! Secondairement, Houellebecq semble vouer une plus grande détestation au maître du trash, de la mort et du cynisme (Hirst) qu’à celui du fun, du sexe, du kitsch et de l’innocence (Koons) (208). Normal: Houellebecq a toujours préféré les grands sentiments familiaux à l’individualisme, à la cruauté et au sadisme. „Le marché de l’art est dominé par les hommes les plus riches de la planète.“ (206) Hirst et Koons ne sont pas seulement bénéficiaires de la spéculation financière, ils en sont les organisateurs. A la corruption de l’art par la spéculation financière, Houellebecq oppose l’inspiration passionnée et le métier des artistes authentiques. Son protagoniste, JM, est une sorte d’autiste à qui la fortune a souri bien malgré lui, et qui ne saura faire aucun usage ni de l’argent ni de la femme merveilleuse qui lui sont tombés du ciel. Sa carrière est une suite de coups de foudre et d’entêtements maniaques, jamais un calcul. A l’arrière-fond plane la silhouette de William Morris, le chantre de l’artisanat bien fait, antithèse de l’industrie fonctionnaliste, a fortiori du capitalisme spéculatif. Significativement, JM peint MH après avoir échoué à représenter les maîtres de l’art contemporain. Il renonce à la série des compositions d’entreprise pour revenir, avec son Houellebecq, à la série antérieure des métiers. Le Houellebecq représente un écrivain de métier, mais c’est aussi une œuvre de métier. A l’appât du gain, le père de JM oppose l’honneur de la fonction et souligne que l’œuvre de son fils se situe dans cette tradition (222). Houellebecq attaque donc frontalement Damien Hirst 1en raison de l’obscénité de ses mises en scènes morbides, dont il est directement victime en tant que personnage du roman. 2en raison des spéculations financières auxquels il s’adonne à partir de ses œuvres. 3. Le trash et la tradition La Carte est un roman qui laisse beaucoup à faire au lecteur. Que faire de ce meurtre? On a proposé d’y voir la vengeance de Damien Hirst. Mais aussi: quel rapport entre le thème touristique et le duel avec l’art contemporain? Le roman semble composé de deux parties distinctes mal ficelées ensemble. Quel rapport y a-t-il entre la description ironique de la France des Provinces et la satire du marché international de l’art? On a suggéré que la France comme l’art étaient victimes de la mondialisation économique. Mais quelle raison y a-t-il pour traiter dans le 94 Dossier même roman de l’art contemporain et du destin de la civilisation française? La réponse est contenue dans la question: c’est une antithèse. D’un côté, la France se pastiche elle-même et s’enfonce stérilement dans son passé, d’un autre, elle participe de la fuite en avant d’un art contemporain en rupture avec toute forme d’appartenance et qui se joue du sens au profit ... du seul profit. Entre les deux, rien. Rien qu’un désert moral et affectif. Jean-Pierre Pernaut est le personnage emblématique du retour commercial, médiatique et falsifié à la tradition comme Jeff Koons et Damien Hirst représentaient l’art contemporain dans ses deux tendances kitsch et trash. On voit donc se dessiner le triangle: Pernaut/ Koons/ Hirst, c’est-à-dire: tradition/ kitsch/ trash. Il n’y a aucune communication possible entre la tradition d’une part et le couple kitschtrash d’autre part. Ces tendances se méprisent ou s’ignorent. La critique de l’art contemporain est frontale et brutale. Celle de la tradition est liftée et ironique. Mais il s’agit clairement de pseudo-valeurs dans les deux cas. Autant dire que le triangle qui nous occupe contient un immense vide et que ce roman porte le deuil de la qualité culturelle française et plus généralement de l’activité matérielle bien inspirée et bien faite, que l’objet en soit agricole, artisanal ou industriel. La Carte continue le procès de l’individualisme entrepris dans les romans précédents: les enfants abandonnés, les vieux abandonnés, la famille pulvérisée. Ces thèmes sont toujours bien là. A cela s’ajoutent les églises vides. 8 Ni Jean-Pierre Pernaut, ni Jeff Koons ni Damien Hirst n’apportent le moindre remède à ces maux. Au contraire, ils lâchent la bride à la spéculation financière et ne donnent prise à aucune valeur authentique et vivante. 4. Houellebecq et Balzac Alors, bien sûr, Michel Houellebecq peut bien être dit un romancier réaliste. Comme Plateforme, La Carte est un roman de la mondialisation. Houellebecq est à la société mondialisée ce que Balzac est à la France de la Restauration et de la Monarchie de Juillet. Il a le projet de peindre la société et les flux qui la traversent. Balzac peignait l’avènement de l’économie politique autour de 1830. Houellebecq peint la mondialisation qui fit suite à l’écroulement de l’URSS. Et spécialement la désintégration de la famille, du territoire français et de l’art. On posera sans la résoudre la question de l’objectivité. Balzac et Houellebecq sont-il neutres et objectifs? Car il est clair qu’ils sont, l’un comme l’autre, passionnés et pleins d’amertume envers le monde comme il va, surtout envers la désagrégation de toute chose. Cette hantise a une origine personnelle facilement identifiable, la même chez Honoré et chez Michel: la carence d’amour maternel. Dira-t-on qu’ils sont visionnaires sur le social à cause de l’angoisse qui les travaille ou que cette angoisse fausse la pertinence de leur diagnostic? La question restera ouverte. Il est sûr que leur peinture est engagée, critique, ironique. Leurs œuvres sont des procès. Des procès de l’individualisme centrifuge. La nostalgie du temps 95 Dossier où la famille et la société étaient structurées et hiérarchisées leur est commune ainsi qu’un intérêt prononcé pour les tentatives de restauration de l’organisation. C’est donc sur une question que nous conclurons. La clé du réalisme anti-individualiste de Houellebecq est-elle à chercher dans son œil photographique ou dans les lésions de son affectivité infantile (ou les deux)? 9 1 La Carte et le Territoire est cité en Flammarion, Paris 2010. 2 Il est utile de distinguer le réalisme social dont Balzac est le maître et le réalisme créaturel, pour reprendre l’expression d’Erich Auerbach: à la différence du classicisme, le réalisme créaturel ne craint pas de dépeindre la créature, humaine surtout, dans toutes les vicissitudes de la chair et de la matérialité. 3 Nous avouerons notre hésitation en proposant cette interprétation. A l’instar du Michel des Particules à qui la chaleur de son radiateur tenait lieu, tragiquement, de chaleur humaine ou plutôt féminine (Flammarion, 1998, 202), Jed est un solitaire qu’on surprend à dialoguer davantage avec son chauffe eau qu’avec aucun être humain. La quincaillerie pourrait n’être que le symbole du désert affectif dans lequel il vit, et elle est certainement cela. Notre romancier a cependant pu s’ouvrir à l’ambivalence des choses et saluer les prouesses de la technique tout en continuant sa satire amère de la solitude moderne. 4 On pourra noter de même que le coup de chapeau adressé à Fourier n’empêche pas de qualifier sa prose de galimatias illisible (222) et que l’éloge de William Morris n’empêche pas d’exprimer de la compassion et de l’écœurement devant certaines de ses utopies libertaires (265). 5 Le lecteur d’Ennemis publics (Flammarion - Grasset, 2008) avait vu MH faire l’éloge de la III° République, de ses hussards noirs (120), de la beauté de la langue et des paysages français (124). Un Houellebecq patriote même qui regrettait que les hécatombes de la Grande Guerre aient démoralisé la France. 6 La page 221 renverra, elle aussi, dos à dos communisme et capitalisme, thème déjà évoqué dans La Possibilité d’une île et qui semble dénoter une évolution de l’auteur par rapport à ses précédents romans dont l’antilibéralisme était teinté d’un certain soviétisme. Voir aussi 71. Sans doute cela est-il en rapport avec l’intérêt manifesté pour les socialistes français et anglais prémarxistes. Une évolution parallèle est, enfin, à remarquer dans l’affirmation nouvelle de l’existence d’une différence irréductible et précieuse entre les hommes (176, 232, 320). 7 Mais comme il existe des appareils photo et des voitures au design parfait, n’existe-t-il vraiment pas d’architecture moderne de qualité? Le romancier ne le dit pas. Les œuvres d’art contemporain qu’il a dans son viseur contrastent souvent avec les chefs d’œuvre d’architecture qui les accueillent et qui n’ont rien de standardisé ni de fonctionnaliste. Seulement leur inspiration vient de l’intérieur, du geste du dessinateur, non d’une décoration. Il est reproché à Le Corbusier d’avoir interdit „toute forme d’ornementation“ (228.). C’est là que William Morris est peut-être une référence dépassée. 8 Le romancier n’a pas évoqué le destin des églises de village visitées par des touristes au chapeau visé sur la tête, mais le thème catholique est devenu obsédant (25, 50, 54, 55, 212, 222, 234, 263, 318 et passim). 9 Pour une comparaison plus étoffée entre les deux romanciers, notre livre Houellebecq au laser. La faute de Mai 68, Ovadia, Nice 2008, chapitre 10, Du côté de Balzac et de Rousseau. 96 Dossier Gisela Febel, Karen Struve (eds.) Stadtkonstruktionen in der Literatur Gisela Febel, Karen Struve La ville imaginée - L’imaginaire de la ville. Einleitende Überlegungen zu Stadtkonstruktionen in der französischen Literatur vom Mittelalter bis zur Romantik Seit jeher erkundet der Mensch seinen Lebensraum auch im Raum der literarischen Repräsentationen. Dabei bedingen sich die literarischen Raumkonstruktionen und die Raumwahrnehmungen wechselseitig: Die literarischen Räume werden ebenso von räumlichen Kategorien, Selbstverortungen und Mustern räumlicher wie sozialer Ordnung geprägt wie diese auf die Wahrnehmungsweisen des Raumes und damit die epistemologischen und phänomenologischen Voraussetzungen zurückwirken. Innere und äußere Räume, wie sie im Text selbst konstruiert, wie sie aber auch in ihrer Referenzbeziehung dargestellt werden, so könnte man in einer ersten Annäherung formulieren, hängen immanent zusammen. Die Konstruktion ästhetischer Räume ist, um es mit Ernst Cassirer analog für die Literatur zu konstatieren, „keineswegs ein bloßes passives ‚Nachbilden‘ der Welt; sondern sie ist ein ‚neues‘ Verhältnis, in das sich der Mensch zur Welt setzt.“ 1 In literarischen Texten werden dabei nicht nur wilde oder romantische Landschaften, sondern auch häufig urbane Räume konstruiert, die unterschiedliche Funktionen in Wechselwirkung mit dem menschlichen Selbstentwurf übernehmen. Die Landschaft als „paysage“ ist bekanntlich ein Produkt der europäischen Romantik und der Individualisierung des bürgerlichen Subjektes; 2 die Darstellung einer urbanen Stadtlandschaft und des städtischen Lebens in seiner sozialen Vielfalt scheint zeitgleich bzw. im Zuge des Ausbaus der größeren Städte in der Zeit der Industrialisierung zu einem bedeutsamen Thema der Literatur zu werden. Doch schon seit dem Mittelalter sind Repräsentationen und Konstruktionen von Städten durch literarische Texte wesentliche Teile von Entwürfen eines Gemeinwesens sowie einer Selbstkonstruktion des Subjekts und der Gesellschaft. So fungiert die Stadt - besonders prominent in den literarischen Gestaltungen der Metropole Paris - etwa als Zentrum der politischen Macht und der Begegnung mit dem Fremden, als Allegorie des Fortschritts und der Zivilisation oder als Ort der Gemeinschaft und der Utopie. Die Repräsentationen urbaner Räume stehen folglich nicht nur in einem Wechselverhältnis mit den Selbstkonstruktionen des Individuums, sondern sie bringen die Bindungskraft von Kollektiven zum Ausdruck und fungieren in dieser Funktion 97 Dossier oft als Allegorie moralischer Selbstgestaltung. In dieser Perspektive tritt das Bild der Stadt etwa als ein Ort der Sünde und der menschlichen Abgründe hervor, die Stadt kann den Ort der zivilisatorischen Verderbtheit und der Verkommenheit im Gegensatz zum natürlichen bäuerlichen Leben auf dem Land darstellen. Gleichzeitig ist sie der Ort der Begegnung mit dem Anderen und dem Fremden, der Raum intensiver menschlichen Kontakte per se, in dem ein Zusammenleben mit anderen Menschen, Kulturen und Völkern immer wieder ausprobiert und verhandelt werden muss. Die Stadt nimmt daher auch die Funktion eines Ortes der Humanität in dem Sinne ein, als sie eine Heimstatt, einen Schutzraum bietet, in dem sich Menschen nach egalitärem und tolerantem Prinzip gegenseitig anerkennen und schützen. Alle diese Typen von Stadträumen werden literarisch imaginiert und moralisch aufgeladen. Dieser kurze Überblick macht eine unserer Grundthesen deutlich: Die Stadt in der Literatur ist stets eine imaginierte Stadt, eine „ville imaginée“, - und doch ist sie mit einer Referenz konstruiert, oftmals auf reale Städte wie Paris, Madrid, Rom, Konstantinopel etc., die mit ihrem bekannten Aussehen und ihrer Anlage Sehgewohnheiten und wiedererkennbare Stadtbilder schaffen. Insbesondere aber dienen die Verweise auf die empirisch-konkreten Städte in Verbindung mit den mit ihnen verknüpften symbolischen Werten als Mittel der Herstellung von ethischen und gemeinschaftlichen Räumen. Denn in den frühneuzeitlichen und neuzeitlichen Texten dient die Nennung von konkreten Referenzen häufig und vorrangig einer symbolischen Referenz, wie „das sündige Paris“, oder fungiert im Sinne einer translatio, wie das Anknüpfen an das römische Reich. Betrachtet man die Funktionen solcher Stadtdarstellungen und skizziert eine Typologie, die sich aus den unterschiedlichen textuellen Imaginationen von Städten in der französischen Literaturgeschichte ergeben könnte, so lässt sich von einem Imaginationsraum Stadt - einem „imaginaire de la ville“ - sprechen, der sich für das Ausloten menschlicher Lebensweisen in besonderer Weise anbietet. In der historischen Perspektive zeigt sich die in der Literatur formulierte Stadt - in Anlehnung an die Ausführungen von Elisabeth Frenzel 3 - als Zeichen der Hybris und des Sündenpfuhls, wie sie seit der biblischen Schilderung Babylons oder Sodom und Gomorrhas Eingang in die Literatur gefunden hat. Diese sündhafte Seite der Stadt bearbeiten besonders die Literaturen des Barocks, in besonderer Weise aber auch Le Diable Boiteux (1707) von Alain-René Lesage, 4 der als erster Großstadtroman (mit der Referenz auf Madrid) gilt (Abb.1). Berühmt ist die teuflische oder göttliche Perspektive mit welcher der neugierige Leser in die Intimität aller Häuser von Madrid schauen kann, deren Dächer in der Imagination des indiskreten diabolischen Blickes abgedeckt werden: „... je prétends vous montrer [sagt der Teufel] tout ce qui se passe dans Madrid. […] Je vais, par mon pouvoir diabolique, enlever les toits des maisons, et malgré les ténèbres de la nuit, le dedans va se découvrir à vos yeux.“ 5 98 Dossier Was es also hier in der Stadt zu sehen gibt, ist das Innere, die Intimität der Bewohner, und der Teufel verdeutlicht auch sogleich den moralischen Aspekt dieser ‚Innenschau’ und fährt fort: „Mais ce n’est qu’un amusement frivole. Il faut que je vous le rende utile; et, pour vous donner une parfaite connaissance de la vie humaine, je veux vous expliquer ce que font toutes ces personnes que vous voyez. Je vais vous découvrir les motifs de leurs actions et vous révéler jusqu’à leurs plus secrètes pensées.“ 6 Der Blick in die innere Architektur der Stadt gibt den narrativen Rahmen für eine Reihe von moralischen oder burlesken Bildern vor, und nicht umsonst ist es das pittoreske Madrid des ausgehenden 17. Jahrhunderts, das dem schaulustigen Leser diese voyeuristische Fantasie erlaubt. Es geht nicht um eine konkrete Topografie, wenn der Roman einzelne Orte und Namen nennt, sondern, wie Volker Klotz bereits (speziell mit Blick auf Lesage) in Die erzählte Stadt: ein Sujet als Herausforderung des Romans von Lesage bis Döblin ausführt: „[D]ie Angaben haben keine andere Aufgabe, als […] die reizvoll-fremdartige Atmosphäre der spanischen Hauptstadt vorzuspielen.“ 7 Lokalisierung von Ortsangaben evozieren semantisch keine konkreten Orte, oder zumindest nicht allein, sondern erzeugen einen Rahmen für die angestrebte symbolische Interpretation, hier für eine frivole, exotisierende und zugleich moralistische Lektüre des Stadtraums. Die Kritik der babylonischen Vermessenheit des Menschen und seiner teuflischsündigen Weltauffassung, die Lesage uns zeigt, wird in der Literatur des 17. Jahrhunderts auch auf die Städte Amsterdam und Paris übertragen; auch Rom wird in dieser Weise literarisch gestaltet. Es verwundert im Anschluss an die moralistische Deutungsdimension der Stadtrepräsentationen nicht, dass im Zuge der Rousseau’schen Zivilisationskritik und der entstehenden Romantik die Stadt in der Literatur antithetisch zum Landleben imaginiert wird. Hier tritt in besonderer Weise die oft negative affektive Aufladung städtischer Räume und ihrer Bewohner zu Tage. Der Abwertung städtischen Lebens und dessen niederen Personals, die sich durch Entsetzen und Entrüstung ausdrückt und oft in idyllischen und bukolischen Texten kontrafaktisch bearbeitet wird, schließt sich jedoch oft ein affektiver Gegenpol an, in dem Bewunderung, Stadtverliebtheit und Stolz zu einer Idealisierung der Stadt führen. Neben einer moralisch-abwertenden Darstellung oder einem Imaginarium der städtischen Dekadenz, welches seit dem 17. Jahrhundert entsteht und das 99 Dossier 19. Jahrhundert vermehrt aufgreifen wird, zeigt sich in den literarischen Texten immer auch der Stolz auf die Größe und Macht der Städte. Die Kultur schaffende und zivilisatorische Leistung des Menschen wird in der Intensität der Stadtdarstellungen aufgewertet, und ihre Bedeutung als Utopien von idealer Gemeinschaftlichkeit ist unbestritten. Schließlich ist die Stadt seit den Literaturen des Mittelalters ein Ort des Schutzes und des gemeinschaftlichen Lebens. Hier formieren sich das Selbstverständnis eines „Wir“, das durch die Stadtmauern vor dem und den „Anderen“ geschützt ist. Gleichwohl dringen diese Fremden durch die Stadttore ins Innere der Städte hinein, sodass die Formulierung urbaner Kollektive immer wieder Neudefinitionen, Toleranzgeboten, aber auch Sanktionen unterliegt. Selbstverständlich können die literarischen Darstellungen der wichtigsten französischen Städte wie Paris, Marseille, Bordeaux, Lyon, etc. oder gar der europäischen oder orientalischen Städte wie London, Madrid, Berlin, Genf, Petersburg, Prag, Konstantinopel oder Kairo, um nur einige häufig beschriebene zu nennen, nicht auch nur annähernd repräsentativ auf dem knappen Raum dieses Dossiers untersucht oder exemplarisch analysiert werden. Wir haben jedoch den Weg einer systematischen konstruktivistischen Analyse des Phänomens „Stadt“ oder besser des Imaginariums, das sich mit der Stadt oder der Urbanität verbindet, gewählt, und nicht den der Geschichte der Darstellung. Damit resultiert das Korpus der historischen Texte nicht aus einer historisierenden Lesart. Uns geht es darum, die Besonderheit der Konstruktionen von Stadt und deren Funktionen in der Literatur gerade in jener langen Phase vom hohen und ausgehenden Mittelalter und der frühen Neuzeit bis hin zum Beginn der Romantik in den Blick zu bekommen und nicht auszugehen von den vielfach thematisierten Entwicklungen der industriellen Metropolen und der Stadtdarstellungen im 19. und 20. Jahrhundert. In der Tat ist es auffällig, dass die Forschung zu literarischen Konstruktionen der Stadt - im Übrigen auch zu deren mimetischer Beschreibung oder zu den imaginären Städten der Città invisibili von Italo Calvino 8 - sich stark auf das 19., 20. und nun auf das 21. Jahrhundert konzentriert und hier Stadt immer mehr zu einem Synonym von Megalopolis oder zumindest von Metropole wird. Bei einem wenn auch nur exemplarischen Blick zurück auf die früheren Texte, wie wir ihn in diesem Dossier versuchen, können andere, vielleicht verdrängte oder heute nur weniger sichtbare Funktionen von Stadtkonstruktionen und ihre Verbindungslinien bis in die Gegenwart deutlich werden. So ist die literarische Stadt als „ville“ immer dem Landleben, der „campagne“, entgegengesetzt und gilt noch bei Madame Bovary als Versprechen einer höheren Bildung, einer größeren und feineren Unterhaltung und freieren Lebensform. Die Stadt als Cité, als Gemeinwesen und agonaler Raum, ist zwar zweifellos ein politisches Dispositiv, das auch heute noch in den selbstorganisierten heterotopen Räumen 9 der Banlieues der großen Städte eine wiederkehrende Rolle spielt, aber schon in den ersten Stadtutopien von Christine de Pizan oder in der Abbaye de Thélème bei François Rabelais 10 ein zentrales Modell vorgibt. Die ersten literarischen Städte sind ein Ort der Neu- und Selbstverortung, noch nicht oder 100 Dossier nicht immer der selbstverlorenen Flanerie oder der anonymen Auflösung des Ichs in der Masse. Der bildungshungrige Italienreisende, wie der erschrockene deutsche Bürger, der das Paris von 1789 in Aufruhr erlebt, der romantische Reisende Gérard de Nervals in seiner Imagination der Stadt Konstantinopel, wie später der exotistische Entdeckungsreisende in derselben Stadt bei Pierre Loti etc. - alle diese Figuren verweisen auf subjektive und affektive Verortungen, imaginäre und konkrete „lieux“ hin, noch nicht auf die „non-lieux“ der modernen Großstädte, wie sie Marc Augé beschreibt, 11 in denen der Mensch seine Ortsbindung verloren hat, kein Gemeinwesen mehr örtlich definiert ist und die Spezifik des Ortes hinter einer Austauschbarkeit verschwindet. In den früheren literarischen Stadtkonstruktionen sind, wie die folgenden Beiträge zeigen werden, selbst die utopischen und ganz und gar abstrakten Imaginarien der Stadt niemals austauschbar, weil sie wenngleich nicht topografisch verortet, dennoch eine Identifizierung ermöglichen und eine Bindung an diesen idealen Ort erzeugen, indem sie den strengen Gesetzen einer allegorischen oder symbolischen Deutung entsprechen. Jene imaginierten Städte in der Literatur, unabhängig davon, ob sie konkrete Referenzen als Authentifizierungsstrategie aufweisen oder nicht oder ob sie gar fiktive urbane Räume darstellen, können auf verschiedenen Ebenen analysiert werden, die auch die vorliegenden Beiträge in unterschiedlicher Weise ins Zentrum ihrer Analysen stellen. Zum einen wird die imaginierte Stadt und damit die Stadt als Sujet der Literatur auf inhaltlicher Ebene untersucht. Sie fungiert in den literarischen Texten als Kulisse für menschliche Erfahrungen oder als allegorische Protagonistin. Sie ist Allegorie für den Körper des Menschen wie für den Staats- oder Gesellschaftskörper, Ort der (politischen) Öffentlichkeit, polis, Forum, Marktplatz, Ort der Begegnung mit dem/ den Fremden, Heterotopie, Ort der Geschlechterhierarchien und der Klassenunterschiede, des Gegensatzes von Hof und Stadt wie von Land und Stadt, Ort der Orientierung und Desorientierung, Utopie und Hort der Enttäuschungen. Vor diesem Hintergrund widmen sich die Analysen den thematischen, motivischen, allegorischen oder mythischen Darstellungen der Stadt. Dabei wird nicht nur die Ebene der „histoire“ in den Blick genommen, sondern zum anderen auch jene des „discours“. Hier gerät auch eine gattungstheoretische Perspektive in den Blick. Es stellt sich die Frage, ob die Stadt als Großstadt nur in der Großform Roman vorkommen kann, wie Volker Klotz dies postuliert und dies bspw. in Victor Hugos Notre Dame de Paris nachzuvollziehen wäre. Klotz führt in diesem Sinne aus: „Der Roman hat [...] den geringsten Abstraktionsgrad. Er läutert den Gegenstand zu keiner Idee, verengt ihn auf keinen Einzelaspekt, er sucht vielmehr seinen Aspektreichtum, seine Totalität. [...] Der Gegenstand verfällt nicht unter den poetischen Anstrengungen, die ihn traktieren, er wächst mit ihnen. Denn seine Macht und sein Reichtum beweisen sich eben darin, daß er dem Roman besonders machtvolle und reiche Mittel abverlangt.“ 12 Dieser Aspekt der Gattungsform wird in den folgenden Aufsätzen - die Klotz’sche These damit entschieden erweiternd - vor allem in Bezug auf die Theatralisierung des Stadtraums des revolutionären Paris‘ bei Romana Weiershausen 101 Dossier sowie in Bezug auf die Affinität von Reiseberichten und Stadtpanoramen in der frühen Romantik bei Susanne Greilich und in Bezug auf Wissensformationen im 18. Jahrhundert bei Karen Struve wieder aufgenommen. In diesem Zusammenhang kann man auch die Wechselspiele von Bild und Text, Evokation und Illustration, in der Ikonografie und der neuzeitlichen Literatur, wie sie Gisela Febel in ihrem Beitrag beschreibt, als Gattungs- und intermediale Fragen verstehen. Zum Zweiten kann die Stadt als „imaginaire“ im Sinne eines idealen oder idealisierten Bildes und damit als Konstruktion betrachtet werden. Hier wird auf den Aspekt abgezielt, dass es im literarischen Text nicht um eine mimetische Abbildung einer prädiskursiven Stadt - eines „Vorwurfes“ Stadt, wie Volker Klotz sagt, - geht und gehen kann, sondern dass das, was Stadt ist, erst in der literarischen Gestaltung entsteht. Klotz postuliert in diesem Sinne: „Indes, den Romanen, denen diese Arbeit nachgeht, ist Stadt mehr als ein Schauplatz, wo irgendein Geschehen dauernd oder zeitweilig sich abspielt; und sie ist mehr als eine gesellschaftliche Macht neben anderen, die auf die Personen einwirken. Diese Romane zielen auf die Stadt selber, der sie sich mehr oder minder ausschließlich verschreiben. Wenn sie die Stadt zum Vorwurf nehmen, handeln sie nicht nur davon: ihr Aufbau, ihre Sicht, ihr Stil sind - von Mal zu Mal anders - davon geprägt.“ 13 Damit wird nicht die Stadt in der Literatur, sondern die literarische Stadt im eigentlichen Sinne zum Gegenstand der Untersuchung: Im Vordergrund der Beiträge dieses Dossiers stehen das Imaginarium und die textuelle Konstruktion der vormodernen und frühneuzeitlichen urbanen Räume und der darin geronnenen Lebenserfahrungen und Lebensentwürfe und darüber hinaus der in diesen Stadtdarstellungen implizierte epistemologische Kontext, in dem sich Fragen nach der erkenntnistheoretischen Modellierung bzw. nach Modellen der ästhetischen Aneignung der Stadt auftun. Es geht uns also in den exemplarischen Analysen von literarisch konstruierten Städten um die Verbindung und Verhandlung von imaginären Kartografien (des Subjekts und der Gemeinschaft), moralistischen Topografien (des guten und schlechten Handelns, des Eigenen, des Fremden etc.) oder poetischen Soziogrammen, für die die äußere wie die innere Architektur und die Bewohner der Stadt den Rahmen und die Denkfigur abgeben. Entlang dieser beiden Achsen der literarischen Stadt - der imaginierten Stadt und dem Imaginationsraum Stadt - möchten wir die folgenden Beiträge gruppiert sehen, die angesichts des knappen Raumes natürlich nur für einige der genannten Aspekte exemplarischen Charakter haben können. Obwohl die Beiträge sich in einer losen chronologischen Folge aneinander fügen, soll hier keine Repräsentativität behauptet oder gar eine teleologische, literaturhistorische Entwicklung suggeriert werden. Wir verfolgen nicht das Ziel, Andreas Mahlers literaturhistorische Einteilung zu belegen, der die „Einsicht in einen langgreifenden Wandel textueller Stadtdarstellung“ so formuliert, dass der Wandel „von der allegorischen Wiederholung über die ‚realistische‘ Nachahmung bis hin zur kreativen Befreiung im Zeichen des Imaginären“ verläuft. 14 Ohne diese These grundsätzlich in Frage stellen zu wollen, zeigen die folgenden Beiträge jedoch, 102 Dossier dass die literarischen Stadtrepräsentationen nicht nur allegorische und imaginierte Städte evozieren, sondern stets auf ihren Konstruktcharakter verweisen und oft die Rahmen für ihre Leseweise mit formulieren - auch (oder gerade) wenn sie sich auf reale Städte beziehen und eine mimetische Nähe suggerieren. Auf diese Oszillation zwischen mimetischem Stadtbild und Konstruktivität bzw. Evokation weist auch Miriam Lay Brander hin, die mittels der Diskursivierungsmodelle nach Iser und mit Verweis auf die rhetorischen Verfahren der antiken Rhetorik jene Bewegung zwischen Mimesis und Imagination plausibilisiert. 15 Nach Andreas Mahler zeigen die klassischen Stadtromane ihre Doppelfunktion, d.h. zum einen als „Stadttexte“, also in ihrer Referentialität, und zum anderen als „Textstädte“, also in ihrer semantischen Stadtkonstitution. 16 Da wir den Charakter der imaginären Konstruiertheit in den Vordergrund rücken möchten, scheint uns das Begriffspaar von „La ville imaginée“ und „L’imaginaire de la ville“, das wir für den Titel gewählt haben, besonders geeignet, um diesen Aspekt zu betonen. Wir möchten daher an dieser Stelle einige Bezugslinien zwischen den einzelnen Analysen der nachstehenden Beiträge aufzeigen, die neben der chronologischen auch eine transversale, systematische Lektüre anstoßen sollen. Die Stadt als Imaginationsraum ist ein Ort des idealen Lebens, sie reicht hier von der bei Elisabeth Tiller analysierten Cité des Dames von Christine de Pizan als utopischer, positiv besetzter Raum mit Gender-Konnotation über die bei Romana Weiershausen gezeigten idealen Theaterräume der Französischen Revolution im deutschen Drama bis zu den Beispielen bei Gisela Febel für eine Ikonografie und Kartografie für ideale Städte, die allerdings ab und zu auch gebaut wurden (wie etwa Karlsruhe oder Vichy) und so im Nachhinein auch als mimetische Stadtentwürfe erscheinen mögen. In allen Beiträgen wird die Ambivalenz, dass auch imaginäre Stadtdarstellungen nicht ohne urbane Referenzialität auskommen und andersherum auch referenzielle, mimetische Darstellungen stets imaginativ unterfüttert sind und imaginäre Anteile haben, wiederholt angesprochen. In Rückgriff auf Theoreme des spatial turn zeigt Susanne Greilich, wie weitreichend die mimetisch anmutenden Reiseberichte Nervals und anderer Romantiker von idealen - und kritischen - Modellen von städtischem und ländlichem Raum, Subjektbildung und urbaner Raumerfahrung beeinflusst sind. Die Stadtbeschreibungen von Paris oder Genf, so zeigt Karen Struve, entpuppen sich in dieser Perspektive auch in den zur mimetischen Nachbildung geradezu verpflichteten Einträgen der Encyclopédie als diskursive Konstruktionen der ideal(isiert)en Stadt der Aufklärung. Und auch die gänzlich utopisch-allegorische Stadt von Christine de Pizan erweist sich in mancher Hinsicht, wie Elisabeth Tiller am Rande zeigt, als ein biografisch motivierter Reflex auf städtische und berufliche Lebensbedingungen bzw. Erschwernisse der mittelalterlichen Autorin. Die Stadt als Affektraum zeigt sich im Paradox der „unsichtbaren Stadt“ im âge classique, wie sie Jean-Christophe Abramovici beschreibt, als eine dialogische und diskursive Formation, die als Urbanität mit der räumlichen Architektur und der 103 Dossier baulichen Substanz nur wenig zu tun hat. St adt ist hier einerseits der Horizont und Lebensraum des neuen bürgerlichen Personals im Genre des roman comique und andererseits findet nur zögerlich eine identifizierende und affektive Beschreibung der konkreten und durch sein Personal doch allzu profanen Stadt Platz in den Texten. Andere Beispiele zeigen: Das Stichwort „Selbstverräumlichung des Ichs“ 17 im Bild einer Stadt - und damit ist ein Subjektivität konstituierender Denk- und Affektraum gemeint - verweist auf konkrete Modelle und Erfahrungen von der positiven Utopie eines weiblichen Lebensraumes wie etwa in der von Elisabeth Tiller analysierten Cité des Dames bei Christine de Pizan, die aus einzelnen Viten besteht, oder in den Reaktionen auf die Ängste vor der Revolution und der Terreur im Nachbarland Deutschland in deutschen Reiseberichten und Dramen, in denen Paris als abschreckende und faszinierende „Mördergrube“ erscheint, wie Romana Weiershausen schreibt. Am augenfälligsten erscheint die Stadt als Wissensraum natürlich in den Wissenstexten der Neuzeit, allen voran in der Encyclopédie, die Karen Struve hier untersucht. Stadt ist dabei nicht nur ein Gegenstand von Wissen, sondern auch ein Modell für die Darstellung und Zusammenstellung von Wissen. Die Verweissysteme und die Architektur der Encyclopédie bilden Wissensräume, die denen einer Stadt ähneln und auch ähneln sollen. Die Metaphorik der Verzweigungen und Korrespondenzen bedeutet mehr als eine äußere Ähnlichkeit, sie ist als epistemologische Metapher in der Encyclopédie gleichzeitig Ordnungsprinzip und Leseanweisung. Die Stadt ist aber auch in der Klassik als Wissenssystem der Sozialität im Salon oder im urbanen Zirkel aufzufinden, wie in den Romanen (und teilweise in den Theaterstücken) des 17. Jahrhunderts deutlich wird, und reicht als epistemologisches Muster bis zum Wissenskonzept der Selbstverräumlichung des Subjekts in der Romantik, wie Susanne Greilich es beschreibt. Die Stadt bietet eine klassifizierende Ordnungsmöglichkeit der allegorischen Sammlung von Tugenden und Viten als einzelne Bausteine der Stadt, wie sie Christine de Pizan vornimmt, und liefert zugleich das Modell einer schriftstellerischen Selbstbestimmung als Bauherrin. Urbanismus und Literarität erhellen sich gegenseitig. Ebenso ist auch die „ville imaginaire“ ein zentraler kohärenzstiftender Topos der Ikonographie, wie aus dem Beitrag von Gisela Febel deutlich wird, die ein bildliches Gedächtnis und Wissen über die Modelle von Gemeinschaftlichkeit darstellt. Zu den einzelnen Beiträgen Zu Beginn untersucht Elisabeth Tiller Christine de Pizans Städtebau und zeigt deren innovative Leistung in der Imagination einer idealen Stadt auf. Christine de Pizan (ca. 1364 - ca. 1430) nimmt zu Beginn des 15. Jahrhunderts in ihren Texten immer wieder die Themen Stadt, Stadtbau bzw. das Bauen selbst auf - Themen, die erst Jahrzehnte später in intensiver Form diskursiv ausmodelliert werden sollten. Berühmtester Text der in Venedig geborenen Autorin ist diesbezüglich Le Livre de la Cité des Dames von 1405, innerhalb dessen die Ich-Sprecherin Christine eine Stadt als virtuellen Ausnahmeraum generiert. Dieser utopische Idealraum 104 Dossier ist zwar allegorisch strukturiert, erhält jedoch eine Reihe urbanistischer Merkmale eingeschrieben, die offensichtlich auf realräumliche Erfordernisse von Städtebau und Festungstechnik zurückzuführen sind. Die explizit auf dem Felde der Literatur errichtete Stadt der Frauen ist zudem klar gegendert und übersteigt christlich-symbolische Traditionen im Anschluss an das Himmlische Jerusalem durch die im Kontext der textuellen Aufrichtung der Stadt diskutierte zeitgenössische Stellung der Frau. Dieser Bestandsaufnahme einer eher betrüblichen Situation stellt der Text, wie Elisabeth Tiller zeigt, eine Serialisierung weiblicher Tugendbiografien entgegen, die den unangreifbaren Schutzraum der Stadt transhistorisch produzieren und bevölkern. Utopie und Uchronie überschneiden sich in der Figur dieser uchronotopischen Stadt für Frauen, die einen weiblichen synoikismos imaginiert. Die Produktion dieses an den Topos des Frauenstaates angelehnten Stadtraumes wird dabei nicht nur im Sinne der christlichen Tugendlehre, sondern eben auch urbanistisch semantisiert - und fiktionalisiert eine topografisch-territoriale, strategisch durchdrungene Materialität, die dem realräumlichen Sozialkontext und dessen Gesetzen auf ewig enthoben ist. Der Entwurf Pizans hat daher, wie Elisabeth Tiller zeigt, eine besondere richtungsweisende Kraft, was umso erstaunlicher ist, als sie den Text wenige Jahre vor der linearperspektivischen Wende und der Geometrisierung der Urbanistik, vor der Generierung der frühneuzeitlichen Architekturtheorie, vor der urbanistischen Wende der Renaissance, die bald in Italien ihren Ausgang nehmen sollte, verfasst hat und er daher auch in epistemologischer Hinsicht als erstaunlich zu nennen ist. Jean-Christophe Abramovicis Beitrag zu La ville invisible: des problèmes de représentation du réel dans le roman de l’âge classique behandelt das Paradox von der der präsenten und doch nicht beschrieben Stadt im roman comique des 17. Jahrhunderts. Ausgehend von der Feststellung, dass Romane der Klassik, wie etwa der Roman bourgeois von Antoine Furetière, Le roman comique von Scarron oder La Vie de Marianne von Marivaux, zwar in Städten spielen, der urbane Raum auch unabdingbar für die Handlung und die Figurencharakterisierung ist, sie aber sehr wenig oder so gut wie keine Beschreibung von Städten enthalten, schließt Abramovici auf ein grundlegendes Paradox: Repräsentation der Stadt und ihre Absenz in der Beschreibung gehen Hand in Hand. Der sogenannte „roman moderne“, der zumindest später auch zuweilen schon als frühe Form des „realistischen Romans“ bezeichnet wird, ist ganz ohne Zweifel das Produkt einer städtischen Gesellschaft, seine Handlungen spielen sich in städtischen Umgebungen ab, aber auch seine Lektüre und seine Verteilungsform geschieht in städtischen Lesezirkeln und Salons. Fiktion und Rezeption von solchen Romanen sind urbane Phänomene des 17. und 18. Jahrhunderts. Nichtsdestotrotz erscheint die Stadt kaum in Beschreibungen, sie ist fast transparent und bildet keinen stabilen Hintergrund. Die These: Sie ist ein impliziter Diskursrahmen und/ oder verweist auf ein vorausgesetztes Wissensdispositiv der adligen und bürgerlichen Leserschaft, die ihre eigene Urbanität in der - in den Salons auch oft halb öffentlichen - Lektüre erzeugt und zelebriert. Abramovicis Beitrag erläutert dieses Paradox von der „un- 105 Dossier sichtbaren Stadt“ im Roman des Age classique auch mit der zögerlichen Identifizierung des Autors mit der profanen Bürgerlichkeit der Stadt und den Zwängen des literarischen Genres des bisherigen literarischen Romans, der nach einem Decorum verlangt, das dem Prinzip der schlichten realistischen Beschreibung widerspricht. So dient die unsichtbare Stadt etwa bei Furetière, wie Abramovici zeigt, auch als Folie der literarischen Kritik der „alten“ Stilordnungen . Karen Struves Beitrag Stadt-Wissen: Überlegungen zu Stadtkonstruktionen in der Encyclopédie von Diderot und d’Alembert geht dem Zusammenhang von Wissenskonstruktionen und Repräsentationsformen von Stadt im großen Werk der französischen Aufklärung nach. Die Stadt bietet sich dabei nicht nur als metaphorisches Reservoir für die Erläuterung des enzyklopädischen Projektes und der Architektur der Einträge selbst an, als Wissen als Stadt, sondern sie wird auch selbst zum Thema zahlreicher Artikel, als Wissen über die Stadt. Die Analysen unterschiedlicher Stadteinträge über konkrete, empirische aber auch über fiktive Städte zeigen, dass alle Artikel weniger neutrale oder gar objektive und deskriptive Repräsentationen faktischen Wissens darstellen, sondern von einer diskursiven Konstruktion imaginierter Stadtbilder zeugen, die überdies stets selbstreferentiell auf die politisch-philosophischen Diskurse der Aufklärung verweisen. Susanne Greilich untersucht Heterotopische und utopische Stadträume der Romantik am Beispiel von Gérard de Nerval. Als Spiegel der menschlichen Seele und Fluchtpunkt angesichts der Erfahrungen von Verlassenheit und Vereinzelung des Individuums spielten Naturbetrachtung, -erlebnis und -beschreibung in der Lyrik wie auch in der Reiseliteratur der Romantik unbestreitbar eine zentrale Rolle. Auch ist die Bedeutung der Natur in Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Identität und Definition des Subjekts und seiner Verortung im Raum in der jüngeren Forschung bereits untersucht worden. 18 Dieser Beitrag hingegen fokussiert die Bedeutung der Stadt, genauer: der fremdländischen (d.h. für den französischen Reisenden hier der deutschen und der orientalischen) Stadt, für die französischen Romantiker und untersucht, welche Rolle städtischen Orten im Prozess der „Selbstverräumlichung des Ichs“ in der Gattung des literarischen Reiseberichts zukommt. So verleiht beispielsweise Gérard de Nerval, wie Susanne Greilich zeigt, in der Voyage en Orient seiner Enttäuschung angesichts der konkreten, topografischen Raumerfahrung des Orients Ausdruck, der Ich-Erzähler der Voyage gelangt aber durch die imaginative Vernetzung mit abwesenden, imaginären Räumen zu einer Verortung seiner selbst in einem utopischen Sehnsuchtsort, dem Raum des „Dazwischen“. Die Rolle solcher Räume der Selbstverräumlichung und der Selbstfindung des Ichs kommt, wie der Beitrag ausführt, gerade bei Nerval oft spezifischen Stadträumen zu wie dem Gasthaus, dem Markt bzw. dem Bazar, der Gasse, dem Harem. Susanne Greilich zeigt, inwiefern fremde städtische Räume in der Romantik für die reisenden Erzähler auch als Heterotopien fungieren, die einen Rückzug aus dem Hier und Jetzt versprechen, inwiefern sie imaginativ aufgeladen werden, um sie zu einem utopischen Raum zu machen, der eine Verortung des romantisch-sehnsüchtigen Ichs in einem Raum des Dazwischen ermöglicht. Neben 106 Dossier der Repräsentation der orientalischen Stadt widmet sich der Beitrag der Darstellung der deutschen Stadt in den Reisetexten Gérard de Nervals und Victor Hugos und ihrer Analyse als Räume der Begegnung mit der eigenen Einsamkeit und der Masse, als Räume des beobachtenden Flanierens - und wir sind hier zu Beginn des 19. Jahrhunderts -, durch welche sich das Ich in dieser Wander-Bewegung selbst und dynamisch verortet. Romana Weiershausen führt uns in ihrem Beitrag Paris als theatraler Schauplatz in deutschen Texten über die Französische Revolution: Joachim H. Campe, Christian A. Vulpius und Ernst K. L. Ysenburg von Buri einen Blick von jenseits der Grenzen des Hexagone vor Augen und berührt besonders die Frage der Korrespondenz von Stadtimagination und Gattungsform. Im Zentrum der Untersuchung stehen Texte der 1790er Jahre: Dramen, vor allem Trauerspiele (z.B. Ysenburg von Buris und Ifflands), aber auch Vulpius’ rezeptionswirksame Szenen in Paris, über die die Gattungsfrage noch einmal aus anderer Perspektive reflektiert werden kann. Für die deutsche Dramenkunst des ausgehenden 18. Jahrhunderts bringt, wie die Verfasserin feststellt, das zeitpolitische Thema der Französischen Revolution nicht nur inhaltliche, sondern auch gattungsbezogene Herausforderungen mit sich: Ausdruck dessen sind latente Gattungsüberschreitungen zwischen der hohen Tragödie und dem Bürgerlichen Trauerspiel, in denen die Ständeklausel eine neue Dimension gewinnt. Der Stadt Paris als Schauplatz kommt dabei auf mehreren Ebenen eine besondere Bedeutung zu, wie der Beitrag zeigt. Die konkreten historischen Räume symbolisieren die Aufhebung bisher gültiger gesellschaftlicher Regeln, sodass auch die Ständeordnung ihre Relevanz verliert, (die Bastille oder der Temple verlieren oder verändern ihre symbolische Funktion) oder die eigengesetzlichen ‚Ordnungen’ der jeweiligen Machthaber (der Hofstaat im Versailler Schloss jenseits von Paris bzw. der Nationalkonvent in der Salle du Manège) ihre Rollen neu verteilen. Die öffentlichen Plätze und Straßen von Paris dagegen bilden in den Dramen einen abstrakt bedrohlichen Hintergrund, der über die Figurenrede vermittelt wird und über den metonymisch die Volksmasse in das Handlungsgeschehen eingeholt wird. In den hier analysierten deutschen Dramen über die revolutionären Ereignisse in Frankreich wird überdies die in der Literatur der Zeit bereits eingeführte Entgegensetzung von Stadt und Land von einem nationalen Gegensatz überlagert. Es ist nicht mehr irgendeine Residenz, die Schauplatz höfischen Lasters ist, sondern eine spezifisch französische Residenz, Versailles, und zugleich die Stadt des revolutionären Paris‘, die für die deutschen Dramatiker zum singulären Ort aufgelöster Orientierungen und Werte wird. In diesem Rahmen aber wird das Verhalten der deutschen Protagonisten akzentuiert: In der Auseinandersetzung mit den Zuständen in Paris geht es mehr oder weniger explizit immer auch um eine deutsche Selbstverständigung, das städtische Paris der Revolution wird zu einem exotischen Ort der Selbstreflexion des deutschen Bürgertums. Gisela Febel verknüpft verschiedene Gedankenstränge der vorausgegangenen Beiträge in der Präsentation einer typologischen Reihe von Bildern und Illustratio- 107 Dossier nen zum Thema der Stadt in Text und Bild. In ihrem das Dossier abschließenden Aufsatz zur Ikonografie der Stadt vom Mittelalter bis zur Romantik werden die angesprochenen Aspekte der imaginierten, idealen oder mimetischen Stadt und der Stadt als Wissensform und Modellierung von Lebensweisen und Selbst- Verortungen in wörtlicher Weise augenfällig. Die idealisierenden stadtplanerischen Formen des Kreises, des Zirkels und der Quadratur bilden bis heute Utopien und Entwurfsgrundlagen von realen und allegorischen Städten, in denen ein gelungenes Gemeinwesen seinen Ausdruck finden soll. Die Allegorie des himmlischen Jerusalems und die architektonische Idealstadt von Filarete spielen dabei neben anderen imaginären Konstruktionen eine wiederkehrende zentrale Rolle, die eine erstaunliche Persistenz in der Ikonografie der Stadt darstellt und auch in den Landschaftsmalereien der Romantik noch zu erkennen sind. Die Stadt ist aber auch in extremen Gegensätzen zu beschreiben, wie der Beitrag zeigt; sie ist ideale Cité, aber auch Ort der Revolution und des Terreur, sie ist Allegorie der Apokalypse und ruhiger Rückzugsraum der philosophischen Reflexion etc. Die Ikonografie der Stadt ist in vieler Hinsicht mit dem literarischen Imaginarium der Stadt verknüpft, beide befruchten einander und verweben ihre Legenden der ville imaginée, ihre Sehweisen und Lesarten des imaginaire de la ville. Das vorliegende Dossier ist entstanden auf der Basis einer Sektion, die wir 2010 auf dem deutschen Frankoromanistentag in Essen ausgerichtet haben und deren ausgewählte Ergebnisse wir hier im Rahmen von Lendemains zur Diskussion stellen möchten. Wir bedanken uns bei Wolfgang Asholt für dieses schöne Forum und seine Unterstützung, bei Katia Harbrecht für die zuverlässige Unterstützung bei Korrektur und Redaktion und bei Christel Trouvé für das französische Korrektorat sowie bei Nathalie Crombée für die sorgfältige Redaktion und Herstellung des Textes. 1 Ernst Cassirer: „Mythischer, ästhetischer und theoretischer Raum“, in: Jörg Dünne/ Stephan Günzel (eds.): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a.M., Suhrkamp, 2006 [1930], 485-499, 497. Seit einigen Jahren dringt der Raum als Kategorie der (nicht nur) literaturwissenschaftlichen Analyse unter dem Schlagwort des „spatial turn“ zunehmend in den Vordergrund. Vgl. besonders zum „spatial turn“ in den Literaturwissenschaften von Doris Bachmann- Medick: „Spatial turn“, in: Dies.: Cultural turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek, rowohlt, 2006, 284-328, besonders 308-312. 2 Vgl. Alexander Ritter (ed.): Landschaft und Raum in der Erzählkunst, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1975. 3 Vgl. Elisabeth Frenzel: „Die Stadt“, in: Dies.: Motive der Weltliteratur, Stuttgart, Kröner 1999, 667-681. 4 Alain-René Lesage: „Le Diable Boiteux“, in: Romanciers du XVIIIe siècle, Bd. I, Paris, Gallimard, 1960, 267-490 [1807, erweiterte Endfassung 1726, illustrierte Fassung 1737]. 5 Ibid., 277. 6 Ibid., 278. 108 Dossier 7 Volker Klotz: Die erzählte Stadt. Ein Sujet als Herausforderung des Romans von Lesage bis Döblin, Reinbek/ Hamburg, Rowohlt, 1987 [1969], 24. 8 Italo Calvino: Le Città invisibili, Milano, Mondadori, 1996. 9 Vgl. Michel Foucault: „Von anderen Räumen“, in: Dünne/ Günzel (eds.): op. cit., 317-327, sowie Gisela Febel: „Non-lieux und Heterotopien im französischen Gegenwartsroman und -film“, in: Gesine Müller/ Susanne Stemmler (eds.): Raum - Bewegung - Passage. Postkoloniale frankophone Literaturen, Tübingen, Narr, 2010, 195-204. 10 François Rabelais: „L‘Abbaye de Thélème“ in: Ders.: Gargantua und Pantagruel (das vierte Buch/ Le Quart Livre), Frankfurt a.M., Insel, 1974. 11 Vgl. Marc Augé: Non-lieux. Introduction à une anthropologie de la surmodernité. Seuil 1992. 12 Klotz, 19. 13 Ibid., 10. 14 Andreas Mahler: „Vorwort“, in: Ders. (ed.): Stadt-Bilder. Allegorie, Mimesis, Imagination, Heidelberg, Winter, 1999, 7-8, hier: 7. 15 Miriam Lay Brander: „Diskursive Stadtkonstitution im philologischen Dialog der Frühen Neuzeit“, in: Sabine Heinemann/ Rembert Eufe (eds.): Romania urbana. Die Stadt des Mittelalters und der Renaissance und ihre Bedeutung für die romanischen Sprachen und Literaturen, München, Martin Meidenbauer, 2010, 107-126, bes. 108ff. 16 Vgl. Andreas Mahler, „Stadttexte - Textstädte. Formen und Funktionen diskursiver Stadtkonstitution“, in: Ders. (ed.) Stadt-Bilder. Allegorie, Mimesis, Imagination, Heidelberg, Winter, 1999, 11-36. 17 Vgl. Rudolf Behrens: „Räumliche Dimensionen imaginativer Subjektkonstitution um 1800 (Rousseau, Senacour, Chateaubriand)“ in: Mülder-Bach/ Neumann (eds.): op. cit., 27-63. 18 Vgl. etwa entsprechende Beiträge in: Inka Mülder-Bach/ Gerhard Neumann (eds.): Räume der Romantik, Würzburg, Königshausen & Neumann, 2007. Abbildung 1: Alain-René Lesage: Der hinkende Teufel, Frankfurt a.M., Insel, 1978, S. 372 (Kupferstich-Illustration zu Ausgabe des Diable boîteux von 1756). Résumé: Gisela Febel et Karen Struve présentent dans l’introduction à ce dossier intitulée La ville imaginée - L’imaginaire de la ville leurs réflexions à propos des principes de la construction de la ville dans la littérature française du Moyen Age à l’époque romantique. Le thème de la ville occupe depuis toujours une place de choix dans les textes littéraires de langue française: centre du pouvoir politique et lieu privilégié de rencontre avec l’étranger, la ville y figure comme allégorie du progrès et de la civilisation, comme espace de la communauté et de l’utopie. Tous ces aspects forment un „imaginaire de la ville“ dont les textes littéraires se servent pour construire la ville comme lieu de l’imagination, comme espace affectif et comme espace du savoir. Selon notre hypothèse, la ville littéraire est toujours une „ville imaginée“ qu’elle soit référentielle et bien ancrée dans la ‘réalité’ ou non: de la ville fictive dans Le Livre de la Cité des Dames de Pizan jusqu’à la ville très concrète de Paris dans la littérature allemande des années révolutionnaires, de la ville romantisée par Nerval jusqu’à la disparition de la ville dans le Roman bourgeois de Furetière, de l’idéalisation des villes dans les articles de L’Encyclopédie à la représentation néanmoins artificielle dans l’iconographie urbaine. Un bref parcours à travers les contributions du dossiers donne des clés de lecture pour démontrer ces thèses et conclure cette introduction. 109 Dossier Elisabeth Tiller Christine de Pizans Städtebau 1. Bezugsrahmen Christine de Pizan (ca. 1365 - ca. 1430), 1 ehrgeizige und innovative Autorin im Umkreis des französischen Königshofes, liefert mit dem Livre de la Cité des Dames eine spätmittelalterliche Repräsentation von Stadt, die für den Entstehungszeitraum (zwischen Dezember 1404 und April 1405) in vielerlei Hinsicht bemerkenswerte Qualitäten offeriert. Mit Blick auf die Aspekte und Ebenen des Textes erweist sich nun, im Kontext der aktuellen Diskussionen um die Analysekategorie Raum, insbesondere die raumhistorische Situierung der Cité des Dames als fruchtbar, nachdem während der vergangenen Jahrzehnte vorzugsweise Perspektiven der Women und später der Gender Studies, 2 schließlich historisch-politische Fragestellungen 3 die Pizan-Erschließungen angeleitet hatten. Das Raummodell Stadt, das im Falle literarischer Ausarbeitungen zugleich literarisches Motiv und rhetorische Figur ist, 4 hat aufgrund seiner kulturellen Zentralität in der abendländischen Literatur eine lange Tradition, die bis zu den Gründungstexten des europäischen Literaturkanons zurückreicht. 5 Nämliches gilt für das Motiv der Frauengemeinschaft: 6 Pizans Stadttext kombiniert demzufolge klassische literarische Topoi, die sich im Falle des Livre de la Cité des Dames zu einer Utopie avant la lettre fügen - ein literarisches Genre, 7 das in der Regel mit Stadtmodellen hantiert. Pizan wendet im Rahmen ihres utopischen Stadtgründungstextes 8 den dystopisch unterlegten männlichen Blick auf den als gynäkokratisch desavouierten Amazonen-Topos, wie er in der griechischen Antike geprägt worden war, nun allerdings zur weiblich-eutopisch motivierten Vision einer autonomen, Schutz gewährenden Frauengemeinschaft. Pizan generiert damit eine narrative Plattform, deren Zuschnitt als rundum innovativ bezeichnet werden muss. 9 Diese grundlegenden Eckpunkte des Textes wurden in der Pizan-Forschung bereits vielfach beleuchtet, deshalb an dieser Stelle nur Folgendes: Christine de Pizans Livre de la Cité de Dames ist selbstverständlich als Utopie zu rubrizieren, im Sinne einer raumtheoretischen Kategorie ebenso wie einer literarischen Gattungszuschreibung, gleichwohl die gattungstheoretische Modellbildung in der Regel auf Morus’ spätere Utopia von 1516 referiert. Dass sich die Uneinheitlichkeit der Gattungsbestimmung, sichtbar an den Diskussionen um die Stellung der utopischen Texte der Antike, 10 in der Utopieforschung bis heute nicht verloren hat, muss dabei als inhärentes Moment des Utopischen selbst gewertet werden. 11 Der literaturwissenschaftliche, essentiell räumliche und zugleich über seinen fiktionalen Status entwickelte Utopiebegriff akzentuiert zentral die politische Grundierung des Gen- 110 Dossier res, zum anderen seine sprachliche, mithin imaginäre Natur. Diese sprachlich generierte virtuelle Aktualisierung korrespondiert mit der Konstitution einer konkreten, nach realräumlichen Kriterien formierten (und dabei mehr oder minder narrativ dynamisierten) Räumlichkeit, die prototypisch durch eine Gewährsperson referiert wird. Die utopische Ordnung und der utopische Raum verhalten sich dabei im Medium der Sprache zueinander reflexiv. Eine im vorgestellten Sinne perspektivierte Modellbildung des Utopischen 12 referiert literaturwissenschaftliche Ausdeutungen, die ihrerseits die Virtualität des Modells an einem konkreten Text der frühen Neuzeit festmachen: 13 Morus’ Utopia diskursiviert die ideale Sozialordnung einer fernen, unbekannten Insel, die als Denotation von Abgelegenheit jenseits der in der Regel defizitären Erfahrungswirklichkeit, als atopologische Weltferne eines virtuell-idealen Inselstaates lanciert wird. Das gattungskonstitutive Fehlen einer Ortung im Realraum, das Nirgends des U-Topischen, das sowohl topographisch wie auch topologisch von Bedeutung ist und die vielgestaltige Adaption des Genres ebenso wie dessen essentielle Polysemie begründet, trifft auf Pizans Stadtmodell allemal zu. Pizans Cité des Dames generiert virtuelle Räumlichkeit, also eine Räumlichkeit, die keine Materialisierung im Realraum aufweist, genauer: den nach spätmittelalterlichen Konventionen allegorisch-symbolisch ausgestalteten Raum einer befestigten Idealstadt, deren Gründung, Errichtung und Ordnung expliziert wird. Jede formale Assimilierung an reale Städte unterbleibt, die Raumdarstellung referiert lediglich auf strukturelle Raummodelle (etwa im Sinne topischer Stadtgründungserzählungen). Zudem wird modellkonform kein historisierend-diachronisches Verlaufs-, sondern ein rational begründetes Strukturmodell entwickelt. Die diskursive Etablierung des utopischen Raumes erfolgt genretypisch durch die ausführliche Diskussion seiner normativ begründeten Ordnung, wobei zumeist eine rational abgeleitete und deshalb invariante Idealarchitektur des politisch Denkbaren vorgestellt wird. Pizans Cité des Dames liefert genrekompatibel eine im semantischen Kontext zeitenthobene, invariante Idealstadt als Paradigma des vollkommenen Sozialraumes, die der Herstellung von Harmonie und Glück der Bewohnerinnen dient - aber durchaus räumlich ausdifferenziert wird. Auch dieses Moment entspricht dem literarischen Utopiemodell, das sich an Morus’ ein gutes Jahrhundert später zu Papier gebrachter, nachmals kanonischer Variante orientiert. Morus ruft ja seinerseits im Titel Platons Politeia auf 14 - mithin Verweis auf die gattungskonstitutive, bereits durch die thematische Kongruenz per se begründete Intertextualität, die aus der Antike in die anhebende Neuzeit einfließt. So lässt sich denn auch, zumindest partiell, Pizans explizites Aufgreifen antiker Topoi, Modelle und Verfahren begründen, das jedoch zugleich auf eine italianisierende literarische Praxis verweist, die - abseits der französischen Usancen der Zeit - bereits tiefgreifend von den Innovationsbemühungen der Frühhumanisten des ‘300 geprägt ist: dem Bemühen von Autoren wie Petrarca oder Boccaccio, antike Stoffe, Genera und rhetorische Verfahren wiederzubeleben und zu variieren. 111 Dossier Die Cité des dames, der Titel markiert dies offensiv, ist zudem explizit gegendert. 15 Sprachlich generierter Raum und Erzählperspektive sind geschlechtsspezifisch strukturiert, sind Leitmotiv dieses Textes: Die Cité des Dames wird ausschließlich von Frauen erzählt, geplant, gegründet, erbaut, bewohnt und regiert, ist also auch strukturell und nicht nur metaphorisch weiblich kodiert. Der Text stellt die Cité des Dames als Ausnahme- und Schutzraum dem realräumlichen Territorium normalisierter männlicher Gewalt und Misogynie entgegen, „que les dames et toutes vaillans femmes puissent d’ores en avant avoir aucun retrait et closture de deffence contre tant de divers assaillans“. 16 Errichtet wird eine nach festungsarchitektonischen Gesichtspunkten befestigte Zufluchtstätte, eine urbane Trutzburg: „Quoyqu’elle soit par mains assaulx combatue, elle ne sera point prise ne vaincue“. 17 Diese uneinnehmbare Stadt der Frauen unterliegt einer christlich begründeten gynäkokratischen Ordnung und wird regiert von der Jungfrau Maria, die nach unbefleckter Empfängnis 18 als Gottesmutter den sonst extrakosmischen Gott in sich trug, um diesen dann in die Welt zu entlassen 19 - Maria also, die, durch Schwangerschaft und Gebärakt bereits in der christlichen Heilsgeschichte aller räumlichen Zuordnungen enthoben, auch bei Pizan unkörperlich-uchronotopisch platziert wird. Die Marienfigur als exklusive Ausnahme-Frau der christlichen Weltdeutung dient Pizan als beglaubigte Idealbesetzung für die Regentschaft der Stadt der Frauen und wird gleichsam ,natürlich‘ zur politischen Repräsentantin dieses Staates erhoben. Pizan kreiert folglich einen virtuellen Sonderraum, innerhalb dessen die Gültigkeit von Normen, Konventionen und Gesetzen des realräumlichen Entstehungs-Kontextes, der Pariser Gesellschaft zu Beginn des 15. Jahrhunderts, suspendiert wird, um eine autonome, christlich fundierte Ordnung weiblicher Tugend unter dem Regiment der Gottesmutter zu installieren. Dieser Sonderraum folgt auf einer virtuellen Ebene mithin Kriterien, wie sie Giorgio Agamben für das Dispositiv des Ausnahmezustands beschreibt. 20 Agamben entwickelt seine Theorien zum Ausnahmezustand allerdings in Hinblick auf politische Phänomene des 20. und 21. Jahrhunderts, die - im Vollbild ausgeprägt in der politisch-juridischen Figur des (Konzentrations)Lagers - im Sinne der Entfaltung größtmöglicher staatlicher Souveränität durch Ausweisung von Ausnahmeräumen, welche die Gültigkeit der Gesetzeskraft (der staatlichen Verfassung mit dem Endziel einer bestmöglichen Sorge für das Gemeinwohl) annullieren. Ziel dieser (staats)politischen Strategie ist die Installation von Räumen des rechtsfreien Tötens, in welchen dieser höchste Ausdruck staatlicher Souveränität kulminieren kann. Pizans Cité des Dames als virtueller Sonderraum simuliert eine derartige Operation in diametral-inverser Form, insofern die Stadt der tugendvollen Frauen aus dem Geltungsbereich der sozialen Übereinkunft und deren Gemeinschaftsbildung herausgenommen und in einen raumzeitlichen Sonderstatus der Exterritorialität überführt wird. Dort erlischt (in Agambens Sinn) die Gesetzeskraft des Gesellschaftlichen, die reziproke Bedingtheit von Territorium und Rechtsordnung wird also räumlich durchbrochen. Pizan ist es jedoch darum bestellt, einen virtuellen Raum des freien Lebens zu generieren, der in einer räumlichen Operation männli- 112 Dossier che Gewohnheitsrechte als Basis sozialer Normen außer Kraft setzt und die Macht der weiblich-christlichen Tugend exterritorial und -temporal zu voller Blüte entwickelt. Dieser geschlossene Raum verfügt über ausgeklügelte Inklusions- und Exklusionsmechanismen, die allen Männern und allen nicht ausreichend tugendvollen Frauen für immer den Zutritt zum Raum der Stadt verwehren. Die Cité des Dames findet sich derart zum achronischen Schutzhort gewendet, wie er mustergültig dem symbolischen Raumverständnis des Mittelalters entspricht. Ein leerer, utopischer Ort wird durch Frauen baulich ausdifferenziert und mit einer Ordnung versehen, in einem politischen Akt außerhalb der Zeit konstituiert. Die Bewohnerinnen der Cité des dames sind schließlich, einmal in die Stadt und ihren Rechtsraum eingelassen, gleich ihrer Tugend unsterblich und rekrutieren sich in der Geschichte fort. Pizans weder räumlich noch zeitlich situierte Cité des Dames ist dabei lediglich anteilig Allegorie und gleichermaßen Effekt sozialräumlicher sowie intellektueller Verhältnisse. Pizans Raumfigur pflegt einen immer wieder aufgerufenen Realraum- Bezug, eine stetig evozierte Welthaltigkeit, die auf die Schlechtigkeit der sozialen Abläufe referiert und in ebendiesem Sinne in hohem Grade politisch kodiert ist. Demzufolge wird denn auch reale Lebenswelt - als Nährboden der Ungerechtigkeiten gegen das weibliche Geschlecht - aus dem utopischen Stadtinnenraum, aus dem Stadtkörper 21 verbannt. In dieser Hinsicht folgt Pizans Raumfigur in einem historisch stimmigeren Sinne einer Komplementärfigur des Agambenschen Lager-Paradigmas: der Figur des Asyls, das in den spätmittelalterlichen Gesellschaften noch weite Verbreitung von eminenter sozialer Bedeutung besitzt. Joseph Vogl hat kürzlich die Topologie des Asyls in Hinblick auf das Politische in den Blick genommen, 22 das er typologisch von der wesenhaft räumlich agierenden Politik als „Kunst, einen politischen Körper zu erzeugen“, 23 abgrenzt. Als grundlegendes Problem der Politik scheinen dabei Fragen der Ortung, Ortsverschiebung und Ortlosigkeit (in Bezug auf den Staatskörper) auf, als bedrohliche Prozesse der Dislozierung und der Desintegration, des Heraustretens aus der politischen Ordnung des georteten Gemeinsamen und seiner Prozeduren, der Rechtsförmigkeit - wobei sich das Politische just im Augenblick des (Vertrags)Bruchs offenbare, so Vogl, der Defigurierung, des Übertretens ins Außerhalb des gemeinsamen politischen Körpers. 24 Aus diesem Grunde habe die Politik bereits in der Antike die Institution des Asyls geschaffen, ein territorial verankertes räumliches Korrektiv als rechtsfreien Raum, der Freistatt und Zufluchtsstätte ist: Ort der Sicherheit, der Unverletztheit, der Unantastbarkeit, welcher einen spezifischen politischen, rechtlichen und sozialen Status eingeschrieben erhält. Die griechische Antike gesteht jedem Heiligtum diesen Recht suspendierenden Status zu, der von Verfolgten, Rechtsbrechern, Sklaven in Anspruch genommen werden kann und nicht angetastet werden darf. Es handelt sich um einen Raum, der vor dem Gesetz und seiner Anwendung schützt, an dem Vertriebene und Verfolgte, Delinquenten und Sklaven nicht belangt werden können. 25 Dieser Raum wird zum „Ort der Demarkierung und Demarkation“, zum „Ort der Abtrennung“, zur „Ortschaft, die nichts mit anderen 113 Dossier Orten gemeinsam hat“. 26 Dieser Ort, so Vogl, gerät zum non-lieu in der Polis, 27 zum Ort der Nicht-Zugehörigkeit im Inneren der politischen Gemeinschaft. Deren Bestand soll (nicht nur in der griechischen Antike, sondern ebenso im christlichen Mittelalter) auf ebendiesem Wege gesichert werden, insofern in institutionalisierten Sonderräumen durch interne Suspension des Rechtes dessen gesamtterritoriale Gültigkeit aufrechterhalten werden kann. Pizans politisches Bemühen, ausnehmend tugendvollen, aber missachteten, verstoßenen, geschändeten Frauen einen Ort als bewehrte Stadt einzuräumen, benutzt diesen politischen Topos und geht zugleich über die Figur des Asyls hinaus: Pizan kombiniert den desintegrativen Akt des Politischen als Austritt aus dem Territorium der Gemeinschaft mit der affirmativen politischen Raum- und Rechtsfigur des Asyls - einer klassischen Heterotopie im Sinne Foucaults 28 - wobei der Ausnahmezustand des Asyls in einem politischen Gründungsakt umgehend räumlich und politisch verstetigt sowie mit einer Rechtsordnung ausgestattet, also einem (staats)fundierenden Akt der Gemeinschaftsstiftung unterzogen wird. Der Staat der Frauen allerdings schließt sich ab, selektiert Bewohnerinnen und verweigert Interaktion mit exterritorialen Anderen, verabsolutiert den Ausnahmezustand also zum politischen Idealraum, dessen Komponenten nicht mehr realräumlich verankert, sondern ausschließlich symbolisch relationiert sind. Pizan transponiert den heterotopisch lokalisierten, sozial regulativen Ausnahmeraum des Asyls vielmehr zur diskursiven Komplementärfigur der Utopie, der Stadtutopie: wiederum im Sinne Foucaults, als nicht realräumlich lokalisierte Raumweise, die sprachlich generiert wird und die normative Topographie der politischen Gemeinschaft auf einer narrativen Ebene konstrastiv-exzentrisch übersteigt. Foucault beschreibt dies in der Préface zu Les mots et les choses (1966) wie folgt: „elles [les utopies] sont dans le droit fil du langage, dans la dimension fondamentale de la fabula“, 29 und präzisiert: „Les utopies consolent: c’est que si elles n’ont pas de lieu réel, elles s’epanouissent pourtant dans un espace merveilleux et lisse; elles ouvrent des cités aux vastes avenues, des jardins bien plantés, des pays faciles, même si leur accès est chimérique“. 30 Das Moment des Tröstenden wird zum entscheidenden, weil evasiven Potential dieser „Diskursmodalität“ 31 befördert, als Kontrast zur beunruhigenden, unterminierenden Macht der für die Organisation von Gesellschaft gleichwohl unerlässlichen, strategisch hochcodierten Heterotopien, deren Gehalt an „Politischem“ die virtuelle Harmoniestiftung des Utopischen negiert. Mit Foucault würde Pizan also explizit heterotopisch-heterochronische Raumweisen wie das Asyl und deren politische Potentiale von der realräumlichen Ebene sprachlich ins Virtuelle transferieren und in eine pazifizierende uchronische Utopie verwandeln. Deren narrative Gestalt wird sodann Pracht und Frieden literarisch lokalisieren und als epistemische Figur Weltdeutung, Diskurse und Alltagspraktiken regulierend anleiten. 114 Dossier Abb. 1: Harley MS 4431, British Library, London, 290r Ausschnitt 2. La Cité des Dames Le Livre de la Cité des Dames aus dem Jahre 1405 ist allegorischer Text, ist politischer Text, ist vor allem literarisch-utopischer Stadttext, der in einem konventionellen Sinne dem symbolischen Raumverständnis des Mittelalters entspricht. Dieser Stadttext trägt durch die starke Betonung des konstruktiven Moments der Errichtung der Stadt allerdings bereits klar humanistisch inspirierte, frühneuzeitliche Züge. Pizan operiert zudem verfahrenstechnisch nicht mit einer Traumvision, wie sie zahlreichen Texten des Mittelalters zugrunde liegt, namentlich dem für die Autorin so bedeutenden Roman de la Rose. Vielmehr hält sich die Struktur an das Divina Commedia-Muster der Boten- und Führerfigur, die sich zum Ich-Sprecher als alter ego des Autors gesellt, um eine christlich codierte Erkenntnis-Reise in virtuelle Symbolräume anzutreten. Im Falle des Livre de la Cité des Dames kommen der ob der misogynen Ausfälle der Zeitgenossen niedergeschlagenen Ich-Sprecherin Christine drei himmlische Damen zur Hilfe, „trois dames couronnees, de tres souveraine reverence“, 32 „choses celestielles“, 33 wie es im Text heißt, die, wie sich herausstellen wird, trotz himmlischer Herkunft allesamt vom Fach sind (Abb. 1). Es handelt sich um die Allegorien von Vernunft, Rechtschaffenheit und Gerechtigkeit, welche die Ich-Specherin zur Städtebauerin werden lassen. Dame Rayson, versehen mit dem allegorischen Attribut des Spiegels, der Wesen, Eigenschaften, Verhältnisse und Maße der Stadt enthält, unterweist die Ich-Sprecherin im ersten der drei Bücher der Cité des Dames, vom Grundstein an die Stadtmauern zu errichten. Dame Droitture trägt ein funkelndes Lot mit sich, um im zweiten Buch eine idealgeometrische Stadtanlage aufrichten zu helfen. Dame Justice schließlich besitzt als Attribut eine goldene Waagschale und wird die neu erbaute Stadt im dritten Buch mit geeigneten Frauen bevölkern: „Ainsi, belle fille, t’est [donné] la prerogative entre les femmes de faire et bastir la Cité des Dames, pour laquelle fonder et parfaire, tu prendras et puiseras en nous trois eaue vive comme en fontaines cleres, et te livrerons assez matiere plus forte et plus durable que marbre se elle a cyment ne pourroit estre. Si sera ta cité tres belle sans pareille et de perpetuelle duree au monde“. 34 115 Dossier Diese Schutzstadt wird unter göttlicher Anleitung mit bereitgestelltem Material durch die Ich-Sprecherin als auf ewig uneinnehmbare, auch ästhetisch anspruchsvolle Trutzstadt errichtet, als politischer Akt, der die Ich-Sprecherin (und damit das gesamte weibliche Geschlecht) von ihrer Trübsal erlösen soll. Dieser paradiesisch-urbane Sonderraum wird seine Bewohnerinnen zudem - so der biopolitische Anteil am utopischen Konstrukt - von ihren sozial normierten Körperpflichten, dem Gebären, befreien und erfüllt damit Bedingungen, die für Foucault wesenhaft den Status der Utopie als das Andere des Körpers ausmachen: 35 gründend in der Extra-Normativität der utopischen Ordnung und ihrer Abgelegenheit von der Erfahrungswirklichkeit, die, so Foucault, die Drohung von Schmerz und Krankheit, also den Tod, zu bannen vermag. Fortpflanzung, ein zentraler utopischer Topos, welcher die biopolitische Sorge um die Dauer der utopischen Gemeinschaft in der Zeit betrifft und genretypisch detailliert geregelt wird, entfällt also bei Pizan und markiert in paradoxaler Wendung gerade die Weiblichkeit der Utopie, die Weiblichkeit des utopisch-uchronischen Stadtkörpers. Das weibliche Asyl verspricht Befreiung auch vom Gebärzwang, dessen sozialpolitische Erfüllung den Bewohnerinnen als Moment des Auszugs aus dem männlich dominierten Gewalt- Raum, aus dem normierten Sozialen erlassen wird. Pizans „Wunschraum“, von dem Margarete Zimmermann in Anlehnung an Alfred Doren spricht, 36 referiert vielmehr auf abstrakte christliche Werte, die in der Stilisierung realräumliche Defizite aufwiegen. Der strategisch durchdrungene Raum der Cité des Dames ist also allegorisch verfasst, christlich kodiert sowie radikal gegendert - und wird als leuchtende Bastion weiblicher Tugend innerhalb eines moralischen Registers ästhetisiert. Pizan variiert die Versprechen des Himmlischen Jerusalem der Offenbarung des Johannes, die bereits mit ähnlicher Semantik körperlose Seeligkeit in der virtuellen, der prachtvollen, der weithin leuchtenden Himmelstadt visioniert. Pizans Gedankenexperiment referiert dabei allerdings an zentraler Stelle auf soziale Normen, die das Thema weiblicher Tugend im Sinne des Keuschheitsgebotes abstecken und derart als negatives re-writing des zeitgenössischen Frauenbildes funktionieren. Die ethische Grundlage des Perfektibilitätsgedankens der Cité des dames suspendiert also zugleich in einem heterotopischen Sinne realräumliche männliche Präsenz sowie weltliche Versuchung zur ,Sünde , die im utopischen Registerwechsel durch die Aufrichtung eines von körperlichen Verrichtungen gereinigten Stadtkörpers räumlich-epistemisch annulliert werden. Pizans virtuelle Idealstadt wird nun nicht im Himmel, sondern auf einem Terrain errichtet, das der Ich-Sprecherin wohl vertraut ist, auf dem Felde der Literatur, wie Christine alsbald von ihren Helferinnen erfährt: „Or sus, fille! Sans plus attendre allons ou champ des escriptures: la sera fondee la Cité des Dames en pays plain et fertille, la ou tous fruys et doulces rivieres sont trouvees et ou la terre habonde de toutes bonnes choses. Prens la pioche de ton entendement et fouys fort et faiz grant fosse tout par-tout ou tu verras les traces de ma ligne, et je t’ayderay a porter hors la terre a mes propres espaules“. 37 Die Spitzhacke ihres Verstandes wird die 116 Dossier angehende Baumeisterin in den Stand versetzen, diese paradiesische Logos-Stadt narrativ auszudifferenzieren. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der performative Anteil an der Narration der Cité des dames, also die räumliche Konkretisierung dieser Stadt durch Nacherzählung und Serialisierung von exemplarischen Frauen-Viten, die als Bausteine dienen, zugleich ein intertextuell konstituiertes Archiv generiert, das als lieu de mémoire, 38 als weiblicher Erinnerungsraum fungiert - und derart, so Betsy McCormick, eine „mnemonic city“ 39 generiert. Auch zu diesem Aspekt der Cité sind in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Überlegungen vorgelegt worden: 40 Christine de Pizan produziert mit diesem Text folglich auch einen allegorisch strukturierten Wissensraum, ein gedendertes Geschichts- und Geschichten-Archiv, das aus eben diesen Gründen immer wieder als didaktisches Werk klassifiziert wird - als Biographiensammlung, die zugleich Trostbuch für Frauen sei, Argumentationsanleitung ebenso wie Erziehungsprogramm. Pizans Narrativierungen tugendvoller Frauenviten referieren zudem auf räumliche Strategien, die der klassischen Rhetorik entstammen. Pizan bedient sich offensichtlich der Verfahren der antiken ars memoria und deren architekturgestützter Techniken der Mnemonik. 41 Pizan simuliert diese räumlich-bildlich geschulte Gedächtnismechanik im geringfügig umgedeuteten rhetorischen Modus der Errichtung der Cité des Dames: für welche Biographie auf Biographie erzählt wird, die, durch den Erzählakt allegorisch zu Steinen transformiert, aufeinander geschichtet und von der Wort-Baumeisterin zu Stadtmauern, Toren, Straßen, Plätzen, Palästen, Kirchen und Häusern ausgebildet werden. 42 3. Pizans Baukonzept Christine de Pizan wird 1365 in Venedig als Tochter des nachmaligen französischen Hofastrologen und -astronomen Tommaso da Pizzano geboren und lebt seit ihrem fünften Lebensjahr im Umkreis des französischen Hofes. Ihr bikultureller Horizont fließt immer wieder in ihre Texte ein. Neben dem französischen Literaturkanon sind es die mittelalterlich tradierten antiken sowie die religionsphilosophischen Klassiker, die ihr in der königlichen Bibliothek zugänglich sind. Hervorzuheben ist hier insbesondere Augustinus’ De civitate dei (413-418), eine Apologie des christlichen Glaubens gegen die zeitgenössischen Anwürfe, der Niedergang Roms sei dem erstarkenden Christentum zu danken. Augustinus entwickelt in De civitate dei ein geschichtsphilosophisches Raummodell, das über die heilsgeschichtlich dynamisierten, rückkoppelnden Pole des irdischen Weltstaates (der Eigenliebe und des Bösen) sowie des Gottesstaates (der Liebe und des Glücks) ausgesteuert ist: ein Geschichtsmodell, das fast ein Jahrtausend für das Abendland maßgeblich bleiben und noch Pizans Textstruktur prägen wird. 43 De civitate dei wird im Übrigen zwischen 1371 und 1375 im Auftrag von Charles V von Raoul de Presles unter dem Titel La Cité de Dieu ins Französische übersetzt und exklusiv für die königli- 117 Dossier che Bibliothek ausgestattet. Schließlich dienen Pizan selbstredend italienische Autoren wie Dante sowie die Frühhumanisten Petrarca und Boccaccio als Referenztexte, wobei sie für die Cité vorzugsweise Boccaccios De claris mulieribus (1361/ 1375) als Steinbruch in Gebrauch nimmt. Pizans kompilatorisch-intertextuell generierte Werke, die sie seit 1399 vorlegt, begleiten zeitgeschichtlich den Beginn dessen, was man als frühneuzeitliche Raumrevolution bezeichnen kann: Rezeption und Fortentwicklung der antiken Baukunst, die Erprobung der linearperspektivischen Konstruktionsverfahren durch den Florentiner Architekten Filippo Brunelleschi seit etwa 1400 sowie deren theoretische Systematisierung durch den Humanisten Leon Battista Alberti seit 1435. Pizans letzter bekannter Text entstammt dem Jahre 1429: Die Schaffenszeit der französischen Autorin flankiert also das Anheben der architektonisch-künstlerischen Erprobung der humanistisch inspirierten, antikisch genährten Epistemisierung sowie der linearperspektivisch-geometrischen Systematisierung von Raum - eine (italienische, auch im Flämischen einsetzende) Entwicklung, von der Pizan vor 1429 allerdings kaum ausführliche Kunde haben kann. Der Text der Cité des Dames folgt vielmehr dem dualistischen mittelalterlichen Raumkonzept, auf welches das monistische, homogene physikalische Raumkonzept der Neuzeit folgen wird. 44 Der raumsymbolische Dualismus des Mittelalters geht in der Synchronizität eines auf die Materialität des Realraumes bezogenen Raumkonzeptes und eines spirituellen Raumbegriffes auf, wie es jenseits der augustinischen Prägung prototypisch beispielsweise noch in Dantes Divina Commedia von 1321 anzutreffen ist: bevor die anhebende, just aus diesem Grunde frühneuzeitliche Kunst dieses duale Konzept sukzessive monistisch zersetzen wird. Nach Giotto wird für die Repräsentation von Raum der Realraum zum alleinigen Referenzrahmen der Darstellung erwachsen, christlich codierte und gewichtete Symbolräume verlieren sukzessive an strukturierendem Einfluss. Die Monopolisierung des Realraumes als Referenzkonzept medialer Repräsentationen von Räumen und Raumfiguren markiert ein zentrales Kennzeichen dessen, was kulturhistorisch mit der säkularen Kultur der Renaissance als Beginn der frühen Neuzeit verortet wird. 45 Christine de Pizan ist demzufolge raumhistorisch der Vormoderne zuzuordnen und agiert, wiewohl bereits humanistisch beeinflusst, im mittelalterlichen Raum-Dualismus, der dem Livre de la Cité de Dames einen epistemischen Anker verleiht. Während utopische oder allegorische Stadträume in der Antike in der Regel idealgeometrisch strukturiert sind, auf Matrices wie Kreis und Quadrat referieren und mit realräumlicher Städtebaupraxis interferieren, gilt für Städtedarstellungen im Mittelalter Folgendes: Städtebaulich wird die orthogonale Stadtanlage nach dem Untergang des Römischen Reiches im Abendland erst wieder im 12. Jahrhundert aufgegriffen, in den über tausend europäischen Stadtneugründungen zwischen Mitte des 12. und Mitte des 14. Jahrhunderts jedoch nicht systematisch angewendet. Christine de Pizan referiert mit der Gründung und Errichtung der Cité des Dames also auf ein Motiv, das seit Ende des 12. Jahrhunderts inhärenter Bestandteil 118 Dossier Abb. 2: Harley MS 4431, British Library, London, 323r der Erfahrungswelt mittelalterlicher Gesellschaften ist. Ikonografisch wird dabei Jerusalem als epistemisches Zentrum des christlichen Weltbildes, als Ziel der seit dem 12. Jahrhundert durchgeführten Kreuzzüge, schließlich als terrestrisches Gegenstück des Himmlischen Jerusalem zum Modell idealer Stadtbildlichkeit, zum Zentrum des um den Templum Salomonis konzentrisch angeordneten Erdkreises zugerichtet. Topo- oder ikonografisch bevorzugen mittelalterliche Städtedarstellungen deshalb kreisförmige Umgriffe, legen aber im Gegensatz zu den späteren, frühneuzeitlichen Ausarbeitungen auf idealgeometrische Symbolisierungen oder die mathematisch basierte Ästhetisierung der forma urbis in der Regel keinen ausgeprägten Schwerpunkt. Christine des Pizans Stadtrepräsentation folgt diesen mittelalterlichen Gepflogenheiten, tendiert jedoch bereits in evidenter Weise zur Ausdifferenzierung der Stadtelemente und deren performativer Verbindung, sodass durchaus von einer einsetzenden Ablösung tradierter Darstellungsverfahren gesprochen werden kann - gleichwohl die spätmittelalterlichen Techniken des Imaginären den Textduktus prägen. Die Rahmenfiktion des Livre de la Cité des Dames ruft eingangs eine zeitgenössische Pariser Szenerie auf, eine intellektuelle Konversation zwischen ausnehmend gebildeten und selbstbewussten Frauen, die dialogisch verfasst ist. Aufgegriffen werden höfische Diskurs-Konventionen, die in einer Art Metadiskurs durch fortlaufende Kommentare einer übergeordneten Erzählinstanz angeordnet werden. In den heterodiegetisch kommentierten Dialog werden schließlich metadiegetische Erzählungen eingelagert, die als Diskussions- und Baumaterial den asylschaffenden Stadtkörper konstituieren werden. Die Diskussionen der Rahmenfiktion zwischen der Ich-Sprecherin und den drei edlen Damen kreisen argument- und beispielreich um die männlich suggerierte Schlechtigkeit der Frauen, die zu widerlegen die Diskutantinnen angetreten sind, - das zentrale Moment der „Welthaltigkeit“ dieses Textes, insofern hierbei fortwährend auf die 119 Dossier außertextuelle Erfahrungswirklichkeit der intellektuellen Autorin verwiesen wird. Aspekte der in den (männlichen) Diskursen des Realraumes postulierten weiblichen Minderwertigkeit werden dialogisch problematisiert, von den dames celestes jeweils argumentativ entkräftet und mit Gegenbeispielen aufgewogen, die als exempla, 46 als Viten tugendvoller Frauen, die devalorisierenden Diskurskonventionen des sozialen Raumes narrativ entkräften. Dies bleibt der textinternen Christine überlassen, die jeweils exemplarische Viten zu Erzählungen transformiert, vermittels derer die virtuelle Stadt sich - Stein auf Stein - sprachlich aktualisiert (Abb. 2). Die Ich-Sprecherin Christine überführt also fiktionsintern die fiktionale Mündlichkeit der gelehrten Diskussion in fiktionale Schriftlichkeit, die allegorisch die Stadt der Frauen konstituiert und zugleich, als realer Text, die fiktive Konversation im Realraum materialisiert; so gesehen generiert Pizan also eine zweifach virtuelle Stadt, die lediglich im Denkraum der Rezipienten der Cité des Dames figürlich werden kann: den Komplizen der Autorin, ohne deren Mithilfe der Stadtbau in all seiner Komplexität nicht ins Werden kommt. Das Baumaterial für das Stadtprojekt wird von den dames celestes geliefert, metaphorisch eingeführt als klares Wasser und Baustoff, so dame Rayson, der Marmor und Mörtel zusammen an Härte weit übertrifft: „mortier durable et sans corrupcion a faire les fors fondemens, et les gros murs tout a l’environ lever, haulx, larges, et a grosses tours et fors chastiaulx fossoyés, bastides donnés et vrayes, tout ainsi qu’il appartient a cité de forte [et] durable deffence. Et par nostre devise, tu les asseras en parfont, pour plus durer, et puis les murs sus tant hault esleveras qu’ilz ne craindront tout le monde“. 47 Die sukzessiv vertexteten weiblichen Tugend-Viten werden demzufolge als Baumaterial sich selbst zum ewigen Gemäuer, insofern die narrativ aktualisierten Figuren schließlich die Cité des Dames zeitenthoben bewohnen werden. Zuvor allerdings wird die allegorische Festungsstadt nach realräumlichem Vorbild ausdifferenziert: Gräben werden gezogen, breite und hohe Festungsmauern mit Türmen aufgerichtet, Festungswälle und Bastionen vorgelegt. Der Erzählakt generiert tief im Grund befestigte und hoch aufragende Bollwerke, die durchaus dem zeitgenössischen Stand des Stadt- und Festungsbaus entsprechen und Kriterien berücksichtigen, die im Zuge waffentechnischer Neuerungen in den folgenden Jahrzehnten innerhalb der festungsbautheoretischen Fachdiskurse immer wichtiger werden. Diese zeitgenössisch virulente Problematik ist Christine de Pizan in ihrer militärischen, technischen und politischen Tragweite im Übrigen vollständig zugänglich. In einem wenige Jahre später verfassten Text wird sie diesen Stoffbereich noch einmal explizit aufgreifen, im Livre des Fais d’armes et de chevalerie von 1408/ 09, das sich in kompilatorischer Anlehnung an antike Militärtheoretiker dem Sektor der Kriegskunst und des Festungsbaus, der Befestigung des urbanen Schutzraumes (und dessen Bezwingung) in allen seinen Belangen widmen wird - eine der vielen thematischen Grenzüberschreitungen der Autorin, die offensichtlich planvoll und vielgestaltig mit der zeitgenössischen Rollennorm zu kollidieren beliebt. 120 Dossier Abb. 3: Harley MS 4431, British Library, London, 290r Pizans Stadt der Frauen wird durch eine Bastionär-Umfriedung umfangen, die mit Hilfe der wohl von Pizan selbst inspirierten Illuminationen zum Text als in einem symbolischen Sinne kreisförmig identifizieren dürfen (Abb. 3); der Text selbst schweigt sich zu Grundriss und Stadtstruktur aus. Fehlende geometrische Präzisierung wird jedoch durch wiederholte Verweise auf die Performanz des systemischen Stadtbaus aufgefangen, etwa mit Bezug auf die Aufgabe des Lots der dame Droitture, mit Hilfe dessen der Grundriss der Stadt sowie jedes einzelne Gebäude, die Straßen und Plätze berechnet und vermessen werden: „Sy saches qu’elle [ceste ligne] te servira a l’ediffice mesurer de la cité qui a fayre t’est commise: et bien besoing en aras pour laquelle ditte cité maisonner au par dedens, faire les haulx temples, les palais compasser, les maisons et toutes choses couvenables l’aidier a pueppler. Je suis venue en ton aide, si sera tel mon office. Or ne t’esmayes pour la grant largesce et long circuite de la closture et de la muraille, car, a l’aide de Dieu et de nous, bien et bel la pueppleras et ediffieras, sans riens vague y delaissier, de belles et fortes mensions et heberges“. 48 Nichts also ist dem Zufall überlassen, die drei Damen erweisen sich als erfahrene Stadtplanerinnen, die ein schlüssiges, verdichtetes urbanistisches Konzept vermitteln, das keinerlei Leerräume enthält. Sobald - so der Text - die Zuordnungen stimmig gefügt und die Gebäude, die öffentlichen Straßen und Plätze wohlproportioniert, also ästhetisch ausgewogen und den architekturtheoretischen Vorgaben folgend, allemal aber dem hohen Zweck der Stadt gemäß ausgeführt sind, gewinnt die Cité des Dames schließlich ihre außerordentliche Gestalt: „Des or me semble, tres chiere amie, que bien est avancié nostre ediffice et la Cité des Dames hault maisonnee tout au long de ses larges rues et les palais royaulx fort ediffiez et ses donjons et tours deffensables haulx levez et droiz que de loings ja les puet en veoir“. 49 Durch die Stadt führen breite Straßenachsen, gesäumt von prächtigen Palästen - was keineswegs den zeitgenössischen Gepflogenheiten entspricht, hier dominieren die engen, meist verwinkelten Gassen. Akzentuiert wird, im Rückgriff auf die biblische Ausgestaltung des himmlischen Jerusalem, vielmehr ein urbanistisches Stilmittel, das erst Jahrzehnte später im Zuge der Ausbildung einer klassizistischen Baukunst sowie geometrischer Stadtsystematisierungen in Italien tatsächlich zum Einsatz kommen wird. Pizans Anreicherung der Vision mit Wehrtürmen und Bergfrieden holt die Szenerie allerdings rasch wieder in die spätmittelalterliche Erfahrungswirklichkeit des Realraumes zurück. Die imaginierte Pracht der Cité des Dames konstituiert sich folglich aus städtebaulichen Elementen, 121 Dossier die zum einen der biblisch-antiken Stadtbildlichkeit entstammen, schließlich dem zeitgenössischen Stadtbild entsprechen, zum anderen auf wenige Jahrzehnte später tatsächlich realisierte Entwicklungen vorgreifen, die zwar zu Beginn des 15. Jahrhunderts durch den humanistischen Zugriff auf antike Texte schon denkbar sind, dabei aber dem Nachdenken über die Idealstadt verhaftet bleiben. Die repräsentierte urbane Topographie der Stadt der Frauen ist jedenfalls zukünftiger Schauplatz des narrativ initiierten „nouvel royaume de Femenie“, 50 das durch die Herrschaft der Jungfrau Maria, über der Stadt thronend wie Gott im hellstrahlenden Jerusalem der Apokalypse, ewig währen wird. So ist diese Cité des Dames nicht zuletzt, und didaktisch ist das durchaus schlüssig, da aus klarer, reinster und strahlender Tugend erbaut, auch Spiegelstadt: „si reluysant que toutes vous y povez mirer“, 51 wie das Ende des Textes vermeldet, „de laquelle se puet dire: Gloriosa dicta sunt de te, civitas Dei“. 52 Die derart augustinisch nobilitierte Spiegelmetapher darf durchaus auch auf den Text selbst Anwendung finden: ein Konvolut wirkmächtiger exempla, die gebündelt auf die Leserinnen zurückstrahlen sollen. Auch in diesem Sinne liefert die Cité des Dames das Präludium zu einer Entwicklung, die seit Mitte des 15. Jahrhunderts vor dem dann neuplatonisch motivierten Primat der formalen Perfektion einer Stadt als Widerspiegelung gesellschaftlicher Vollkommenheit zahlreiche Idealstadt-Traktate bebildern wird, schließlich Stadt- und Staatsutopien entstehen lässt. Pizans virtuelle Asyl-Stadt referiert jedoch eher auf Aristoteles, der als politischen Sinn der polis den synoikismos nennt, den Zusammenschluss mehrerer oikoi zur polis, zum Staat, „eine Gemeinschaft der Gleichgestellten zum Zwecke des bestmöglichen Lebens“. 53 4. Autoreferentielle Metaphorik Christine de Pizan diskutiert in der Cité des Dames nicht nur die soziale Stellung der Frau sowie männlich geprägte Diskurse zum Thema, die sie ein weibliches Asyl projizieren lassen, das in der Gründung der tugendleuchtenden weiblichen Idealstadt sprachlich generiert und in Gebrauch genommen wird. Sie problematisiert zudem ausführlich den weiblichen Schreibakt und damit die weibliche Autorschaft, die ja eigentliches Agens dieser Raumproduktion ist. Der Autorin spielt die Bauthematik dabei eine Metaphorik in die Hände, die sie, einmal als selbstbewusst geschmiedeter Fehdehandschuh in den Ring geworfen, auch in anderen Texten reichlich zur Anwendung verbringen wird: das Bauen dient ihr immer wieder als Bildlichkeit der eignen, weiblichen Produktivität, wobei derart auch passgenau das Verfahren der Kompilation umschrieben ist, wie es den literarischen Arbeitsmodus der Zeit kennzeichnet. Nicht zuletzt gereicht der Autorin ganz offensichtlich die Metaphorik des Bauens als semantisches Register, um ihre marginale Position im zeitgenössischen Literaturbetrieb abgestützt zu übersteigen. 122 Dossier Ein kurzer Auszug aus Pizans Livre des fais et bonnes meurs du sage roi Charles V (1404), 54 ein weiteres ihrer Gedächtnisbücher, mag dies abschließend verdeutlichen. Im Abschnitt „La chevalerie“ wird hier explizit die Realisierung eines Textprojektes mit einem Bauvorhaben analogisiert: „[…] tout ainsi comme l’ovrier de architeture ou maçonnage n’a mie fait les pierres et les estoffes, dont il bastist et ediffie le chastel ou maison, qu’il tent à perfaire et où il labeure, non obstant assemble les matieres ensemble, chascune où elle doit servir, selon la fin de l’entencion où il tente, […] tout ainsi vrayement n’ay je mie fait toutes les matieres, de quoy le traittié de ma compilacion est composé; il me souffist seulement que les sache appliquer à propos, si que bien puissent servir à la fin de l’ymaginacion, à laquelle je tends à perfaire“. 55 In diesem frühen Text finden sich bereits thematische Digressionen, die an Aristoteles, Vegetius, Frontinus, Valerius Maximus und andere antike Experten angelehnte Ausführungen zu Militärtechnik, -logistik und Kriegskunst beinhalten. Dies wird erneut und nun in umfassendem Sinne im Livre des Fais d’Armes et de Chevalerie von 1408/ 09 der Fall sein. Christine de Pizan greift im zweiten Buch des Livre des Fais d’Armes et de Chevalerie einmal mehr das Thema Stadt auf, deren Stadtmauern und Befestigungsanlagen für den Kriegs- und Belagerungsfall gerüstet sein müssen. Während die allegorische Stadtutopie der Cité des Dames die Uneinnehmbarkeit der Stadt durch das Material der Stadtmauern, Türme und Tore gewährleisten kann, werden nun reale zeitgenössische Erfordernisse einer Stadtgründung erörtert, die, abgesehen von seit Jahrtausenden tradierten prinzipiellen Vorgaben, insbesondere dem neuesten Stand der Kriegswaffentechnik geschuldet sind. Die versammelten militärisch-bautechnischen Anweisungen zielen auf den militärischen Gebrauch im Realraum und umfassen strategisch-taktische Positionierungsvorschriften für Stadtgründungen, detaillierte militärtechnische Ausführungen zur Stadtbefestigung und Bastionierung, Strategien für den Belagerungsfall - und bilden dergestalt das pragmatische Gegenstück zum virtuellen Stadtbau der Cité des Dames, der literarische Übung war. Die Autorin stellt ihr Expertentum selbstbewusst zur Schau, in dem sie sich im Prolog, unter Ingebrauchnahme des rhetorischen Registers, auf eine Stufe mit der Göttin Minerva verortet. Minerva, Göttin der Waffen und der Kriegskunst, Erfinderin der Schmiedetechniken und damit der Kunst, Rüstungen, Harnische, Helme und Schilde zu verfertigen, gilt als erste Militärtheoretikerin, die Kriegswissen um Schlachtordnungen und -taktiken in die Welt entließ. Allein ihr fühlt sich nun die Ich-Sprecherin Christine verpflichtet: Die Kriegskunst und ihre theoretische Aufarbeitung gerät zum originär weiblichen Geschäft, zur Angelegenheit zweier höchst geistreicher Frauen, die eine weitere Gemeinsamkeit teilen: beider Herkunftsland Italien. War die Ich-Sprecherin Christine in der Cité des Dames noch von höheren Mächten, den Damen Rayson, Droitture und Justice, auserwählt worden, die Stadt der Frauen zu errichten, so hat sich die Autorepräsentationsstrategie im Livre des Fais d’Armes et de Chevalerie um eine weitere Nuance verschoben: die Sprecherin Christine verortet sich selbst nun neben einer jener antiken Gottheiten weiblichen Geschlechts, durch welche der Menschheit erst Zivilisation und Kulturleistun- 123 Dossier gen zugänglich gemacht wurden - untermauert durch eine Genealogie, die sich im gemeinsamen Geburtsland manifestiert: „et je suis“, heißt es im Prolog, „comme toy femme ytalienne“. 56 In just jenem planvollen Sinne, wie er die Baukunst charakterisiert, wird Christine de Pizan also auch zur keineswegs bescheidenen Baumeisterin des eigenen Nachruhmes, der sich nicht von ungefähr vor allem über ihrem heute berühmtesten, dem utopischen Stadttext der Cité des Dames, erhebt. Wir haben somit einen Text vor uns, der die Produktion von Raum im Medium Literatur ehrgeizig, komplex und mehrdimensional rückkoppelnd vorführt: als Bau einer Stadt durch eine Baumeisterin größtmöglicher Modernität. 1 Zu Christine de Pizan sind in den letzten Jahren zahlreiche Publikationen erschienen, etwa Françoise Autrand: Christine de Pizan. Une femme en politique, Paris, Fayard, 2009; Juliette Caluwé-Dor/ Liliane Dulac/ Marie-Elisabeth Henneau (eds.): Christine de Pizan. Une femme de science, une femme de lettres (actes du colloque de Liège, 11-15 janvier 2005), Paris, Champion, 2008; Liliane Dulac et. al. (eds.): Desireuse de plus avant enquerre... Actes du VI e Colloque International sur Christine de Pizan (Paris, 20-24 juillet 2006); volume en hommage à James Laidlaw, Paris, Champion, 2008; Maria Giuseppina Muzzarelli: Un’italiana alla corte di Francia. Christine de Pizan, intellettuale e donna, Bologna, Il Mulino, 2007; Karen Green (ed.): Healing the Body Politic. The Political Thought of Christine de Pizan, Turnhout, Brepols, 2005; Barbara K. Altmann (ed.): Christine de Pizan: A Casebook, New York, Routledge, 2003; Evelyne Morin-Rotureau: Christine de Pizan, Paris, PEMF, 2003; Kate Langdon Forhan: The Political Theory of Christine de Pizan, Ashgate, Aldershot, 2002; Angus G. Kennedy et. al. (eds.): Contexts and Continuities. Proceedings of the IVth International Colloquium on Christine de Pizan (Glasgow 21- 27 July 2000). Published in Honour of Liliane Dulac, Glasgow, University of Glasgow Press, 3 vols., 2002; John Campbell (ed.): Christine de Pizan 2000. Studies on Christine de Pizan in honour of Angus J. Kennedy, Amsterdam u.a., Rodopi, 2000; Hicks, Eric et. al. (eds.): Au champ des escriptures. IIIe Colloque International sur Christine de Pizan, Paris, Champion, 2000. 2 Cf. etwa zuletzt Rosalind Brown-Grant: „Christine de Pizan as a Defender of Women“, in: Altmann, op. cit., 81-100; Rosalind Brown-Grant: „Writing Beyond Gender: Christine de Pizan’s Linguistic Strategies in the Defence of Women“, in: Kennedy, op. cit., vol. 1, 155- 169; Patrizia Caraffi: „Silence des femmes et cruauté des hommes: Christine de Pizan et Boccaccio“, in: Kennedy, op. cit., Bd. 1, 175-186; Christine Clark Evans: „Nicaula of Egypt and Arabia: Exemplum and Ambitions to Power in the City of Ladies“, in: Kennedy, op. cit., vol. 1, 287-300. 3 Cf. etwa zuletzt Cary J. Nederman: „Christine de Pizan’s Expanding Body Politic“, in: ders., Lineages of European Political Thought: Explorations along the medieval/ modern divide from John of Salisbury to Hegel, Washington D.C., Catholic Univ. of America Press, 2009, 248-258; Louise d’Arcens: „Petit estat vesval: Christine de Pizan’s Grieving Body Politic“, in: Green, op. cit., 201-226; Tsae Lan Lee Dow: „Christine de Pizan and the Body Politic“, in: Green 2005, op. cit., S. 227-243; Susan J. Dudash: „Christinian Politics, the Tavern, and Urban Revolt in Late Medieval France“, in: Green, op. cit., 35-59; Fee- Isabelle Rautert: Christine de Pizan zwischen Krieg und Frieden. Die politischen Schriften 1402-1429, Hamburg, Kova , 2005; Michael Richarz: Idealzustand und Krise Frankreichs 124 Dossier in der politischen Theorie der Christine de Pizan (1400-1407), Berlin, Logos, 2004; Blumenfeld-Kosinski, Renate, „Christine de Pizan and the Political Life in Late Medieval France“, in: Altmann, op. cit., 9-24; Lori J. Walters, „Christine de Pizan as Translator and Voice of the Body Politic“, in: Altmann, op. cit., 25-41; Judith L. Kellogg: „The Cité des dames: An Archeology of the Regendered Body Politic“, in: Kennedy, op. cit., Bd. 2, 431- 441; Langdon Forhan: op. cit.; Cary J. Nedermann: „The Expanding Body Politic: Christine de Pizan and the Medieval Roots of Political Economy“, in: Hicks, op. cit., 383-397; Julia A. Nephew: „Gender Reversals and Intellectual Gender in the Works of Christine de Pizan“, in: Hicks, op. cit., 517-532. 4 Zur Figur der Stadt in den Diskursen des 15. Jahrhunderts cf. Elisabeth Tiller: StadtKörper. Diskursfiguren und Raum, Habilitationsschrift 2008 (Drucklegung in Vorbereitung). 5 Cf. etwa Günther Feuerstein: Urban Fiction. Strolling Through Ideal Cities From Antiquity to the Present Day, Stuttgart, Ed. Axel Menges, 2008; Michel Butor: Die Stadt als Text, Graz, Droschl, 1992; Manfred Smuda (ed.): Die Großstadt als ‘Text’, München, Fink, 1992; Edward Timms/ David Kelley (eds.): Unreal City. Urban Experience in Modern European Literature and Art, Manchester, St. Martin’s Press, 1985; Michael C. Jaye/ Ann C. Watts (eds.): Literature and the Urban Experience, New Brunswick, Rutgers Univ. Press, 1981; Burton Pike: The Image of the City in Modern Literature, Princeton, Princeton Univ. Press, 1981; Volker Klotz: Die erzählte Stadt. Ein Sujet als Herausforderung des Romans von Lesage bis Döblin, München, Hanser, 1969. 6 Die Frauengemeinschaft als Variante der (Staats)Utopie hat ihre klassische Genusprägung, meist als Variation des Amazonen-Topos, also einer autonome Gemeinschaft von Frauen, die militärisch expansiv („männerfeindlich“ oder „männergleich“) angelegt ist, bei Autoren wie Homer, Aischylos, Platon und insbesondere Herodot erfahren. Wahlweise diskutiert die Antike Frauenherrschaft, also Gynäkokratie, so Platon, Aristoteles, Apollodor, Aristophanes u.a., je gewendet zum dystopischen konnotierten Frauenstaat. Vgl. hierzu Beate Wagner-Hasel: „‘Das Private wird politisch’. Die Perspektive ‘Geschlecht’ in der Altertumswissenschaft“, in: Ursula A.J. Becker/ Jörn Rüsen (eds.), Weiblichkeit in geschichtlicher Perspektive. Fallstudien und Reflexionen zu Grundproblemen der historischen Frauenforschung, Frankfurt/ Main, Suhrkamp, 1988, 11-50. 7 Zur jüngst wieder aufblühenden Utopie-Forschung cf. Mark Featherstone: Tocqueville’s Virus. Utopia and Dystopia in Western Social and Political Thought, New York, Routledge, 2008; Karin Schönpflug: Feminism, Economics and Utopia. Time Travelling Through Paradigms, London, Routledge, 2008; Elena Zeißler: Dunkle Welten. Die Dystopie auf dem Weg ins 21. Jahrhundert, Marburg, Tectum, 2008; Michael Griffin/ Tom Moylan (eds.), Exploring the Utopian Impuls. Essays on Utopian Thought and Practice, Oxford et al., Peter Lang, 2007; Jost Hermand: Die Utopie des Fortschritts. Zwölf Versuche, Köln/ Weimar/ Wien, Böhlau, 2007; Frederic Jameson: Archeologies of the Future. The Desire Called Utopia and Other Sience Fictions, London, Verso, 2007; Mary G. Kempering/ Willemien H.S. Roenhorst (eds.): Visualizing Utopia, Leuven, Peeters, 2007; Beat Sitter-Liver (ed.): Utopie heute. Zur aktuellen Bedeutung, Funktion und Kritik des utopischen Denkens und Vorstellens, 2 Bde., Fribourg, Academic Press, 2007; Ulrich Raulff (ed.): Vom Künstlerstaat. Ästhetische und poltische Utopien, München/ Wien, Hanser, 2006; Richard Saage: Utopisches Denken im historischen Prozeß. Materialien zur Utopieforschung, Berlin/ Münster, LIT, 2006; Axel Rüdiger (ed.): Dimensionen der Politik. Aufklärung - Utopie - Demokratie. Festschrift für Richard Saage zum 65. Geburtstag, Berlin, Duncker und Humblot, 2006; Chloé Zirnstein: Zwischen Fakt und Fiktion. Die politische Utopie im Film, München, Utz, 2006; Hans-Dieter Bahr: Der babylonische Logos. 125 Dossier Medien, Zeiten, Utopien, Wien, Passagen, 2005; Andreas Heyer: Studien zur politischen Utopie. Theoretische Reflexionen und ideengeschichtliche Annäherungen, Hamburg, Kova , 2005; Jörn Tietgen: Die Idee des ewigen Friedens in den politischen Utopien der Neuzeit. Analysen von Schrift und Film, Marburg, Tectum, 2005; Annett Zinsmeister (ed.): Constructing Utopia. Konstruktionen Künstlicher Welten, Zürich/ Berlin, Diaphanes, 2005; Michael Fehr/ Thomas Rieger (eds.): Thinking Utopia, New York, Berghahn, 2004; Rudolf Maresch/ Florian Rötzer (eds.): Renaissance der Utopie. Zukunftsfiguren des 21. Jahrhunderts, Frankfurt/ Main, Suhrkamp, 2004; Jörn Rüsen/ Michael Fehr/ Annelie Ramsbrock (eds.): Die Unruhe der Kultur. Potenziale des Utopischen, Weilerswist, Velbrück Wissenschaft, 2004. 8 Cf. Christine McWebb: „Female City Builders: Hildegard of Bingen’s Scivias and Christine de Pisan’s Livre de la Cité de Dames“, in: Magistrata. A Journal for Female Spirituality, 9, 1, 2003, 52-72; Claire Le Brun-Gouanvic: „Christine de Pizan et l’édification de la cité éternelle“, in: Etudes françaises. Revue des lettres françaises et canadiennes-françaises, 37, 1, 2001, 51-65; Josette A. Wisman: „D’une cité l’autre: Modernité de Christine de Pizan gynéphile“, in: Romanische Forschungen, 112, 2000, 61-71; Patrizia Romagnoli: La Cité des Dames di Christine de Pizan: La fortezza della scrittura e l’edificazione dell’utopia, Dottorato di ricerca, 1995. 9 In der mittelalterlichen Literatur findet sich gelegentlich, zumeist in Verbindung mit dem Topos der Traumvision, das Motiv der fernen Insel, die ausschließlich von Frauen bewohnt ist, etwa im Kontext der altirischen „echtra“- und „immram“-Tradition, oder aber im Dunstkreis der Artus-Erzählungen: eine Motivtradition, die, allerdings erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, also lange nach Pizans Cité, in den anonymen Text der Isle of Ladies münden wird (cf. Mario Klarer: Frau und Utopie. Feministische Literaturtheorie und utopischer Diskurs im anglo-amerikanischen Roman, Darmstadt, Wiss. Buchgesellschaft, 1993, 21-28). 10 Zur Geschichte der literarischen Gattung Utopie cf. Árpád Bernáth (ed.): Vom Zweck des Systems. Beiträge zur Geschichte literarischer Utopien, Tübingen, Francke, 2006; Richard Saage: Die moderne Utopie und ihre Verhältnis zur Antike, Stuttgart, Hirzel, 2001; Hiltrud Gnüg: Utopie und utopischer Roman, Stuttgart, Reclam, 1999. 11 Mit Blick auf die deutschsprachigen Theoriebildungen cf. Annett Zinsmeister: „Constructing Utopia. Eine kurze Geschichte idealer Konstruktionen“, in: Zinsmeister, op. cit., 7-43. 12 Vgl. hierzu Lucian Hölscher: „Utopie“, in: Otto Brunner/ Werner Conze/ Reinhard Kosellek (eds.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 6, Stuttgart, Klett, 1990, 733-788; Lucian Hölscher: „Der Begriff der Utopie als historische Kategorie“, in: Wilhelm Voßkamp (ed.): Utopieforschung. Interdisziplinäre Studien zur neuzeitlichen Utopie, Bd. 1, Frankfurt/ Main, Suhrkamp, 1985, 402-418. 13 Demgegenüber messen philosophische oder soziologische Begriffsprägungen des Utopischen antiken Grundlagentexten wie beispielsweise Platons Politeia (und damit auch Platons paradigma-Diskussion zum Idealstaat als Gedankenexperiment) ungleich größeres Gewicht zu. 14 De Optimo Reip. Statv, deqve noua insula Utopia, libellus uere aureus, nec minus salutaris quam festiuus […], so der Titel der von Erasmus besorgten Basler Edition von 1517. 15 Cf. Bettina Roß: Politische Utopien von Frauen. Von Christine de Pizan bis Karin Boye, Dortmund, Ebersbach, 1998; Klarer 1993, op. cit.; Mario Klarer: „Frau und Utopie. Zur antiken Tradition moderner Frauenutopien“, in: arcadia, 26, 1991, 113-140. 126 Dossier 16 Christine de Pizan: „Le Livre de la Cité des Dames“, in: Maureen C. Curnow: The Livre de la Cité des Dames of Christine de Pisan: A Critical Edition, Ph.D. Diss. Nashville 1975, vol. 3/ 4, 629 (I, III). 17 Pizan, Cité, in: Curnow, op. cit., 631 (I, IV). 18 Im 15. Jahrhundert beschäftigt die christlichen Theologen diesbezüglich insbesondere die Abklärung der Erbsünden-Problematik, von der die Jungfrau Maria dann tatsächlich im 16. Jahrhundert auf dogmatischem Wege (ganz im Sinne Pizans) dispensiert werden wird. 19 Cf. hierzu Peter Sloterdijk, Sphären II. Globen, Frankfurt/ Main, Suhrkamp, 2 2001, 96sqq. 20 Ich beziehe mich hier insbesondere auf folgende Texte Agambens zum Ausnahmezustand-Dispositiv: Giorgio Agamben: Homo sacer. Il potere sovrano e la nuda vita, Torino, Einaudi, 1995 (dt. Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben, Frankfurt/ Main, Suhrkamp, 2002) sowie Giorgio Agamben, Stato di eccezione, Torino, Bollati Boringhieri, 2003 (dt. Ausnahmezustand, Frankfurt/ Main, Suhrkamp, 2004). 21 Zur topischen Gleichsetzung der rhetorischen Figuren Stadt und Körper in der frühen Neuzeit cf. Tiller, op. cit. 22 Joseph Vogl: „Asyl des Politischen. Zur Topologie politischer Gelegenheiten“, in: Uwe Hebekus/ Ethel Matala de Mazza/ Albrecht Koschorke (eds.), Das Politische. Figurenlehren des sozialen Körpers nach der Romantik, München, Fink, 2003, 23-38. Vogl expliziert dies (in Anlehnung an Agamben und Foucault) folgendermaßen - und auf Pizans Text durchaus übertragbar (ebd.): „Sie [die Politik] ist ein Wissen der Lage, der Einteilung und der Gliederung. Sie ist ein besonderes Verfahren, den verstreuten Körpern, Reden und Dingen einen einzigen Zusammenhang, einen identifizierbaren Ort, einen Platz und eine Stelle zu verschaffen. Politik ist darum Topik und Topologie, Redeordnung und Raumordnung zugleich: einerseits die Kunst eines Diskurses, der Topoi, Gemein-Plätze, Orte des gemeinsamen Sprechens und des gemeinen Wesens erzeugt; und andererseits das Wissen von einem Raum, der sich als Ort des Gemeinsamen und als das Gemeinsame der Orte konstituiert.“ 23 Vogl, op. cit., 23. 24 Weshalb, so Vogl, das Politische in der Politik notwendig zurückgedrängt werde, nur als konsequent Verschwiegenes, Annulliertes aufscheine (cf. Vogl, op. cit., 31/ 32). 25 Vogl (op. cit., 32/ 33) beruft sich hierbei auf Hannah Arendt und ihre Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. 26 Vogl, op. cit., 33. 27 Cf. Vogl, op. cit., 33. 28 Cf. Michel Foucault: „Des espaces autres“ [360], in: Michel Foucault: Dits et Ecrits, vol. IV, Paris, Gallimard 1994, 752-762; dt. „Von anderen Räumen“ [360], in: Michel Foucault: Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits, Bd. IV, Frankfurt/ Main, Suhrkamp, 2005, 931-942. Foucault definiert in diesem ursprünglich 1967 als Vortrag ausgearbeiteten Text Heterotopien und Utopien nicht etwa, wie in Les mots et les choses ein Jahr zuvor, als Diskursmodalitäten (cf. Anm. 21/ 22) oder, ebenfalls 1966 in Radiovorträgen, als körperrelationierte contre-espaces (cf. Anm. 26), sondern als analytische Figuren bezüglich epistemischer/ gesellschaftlicher/ sozialer Raumweisen. In diesem Kontext kategorisiert Foucault das Mittelalter im übrigen als Zeitalter der Lokalisierung (im Gegensatz zur Ausdehnung der âge classique und der Platzierung der Gegenwart). 29 Michel Foucault: Les mots et les choses. Une archéologie des sciences humaines, Paris, Gallimard, 1966, 9. 30 Foucault 1966: op. cit., 9. 127 Dossier 31 Daniel Defert: „Raum zum Hören“, in: Michel Foucault: Die Heterotopien. Les hétérotopies. Der utopische Körper. Le corps utopique. Zwei Radiovorträge, Frankfurt/ Main, Suhrkamp, 2005, 75. 32 Pizan: Cité, in: Curnow: op. cit., 622 (I, II). 33 Pizan: Cité, in: Curnow: op. cit., 627 (I, III). 34 Pizan: Cité, in: Curnow: op. cit., 630 (I, III). 35 Cf. Foucault 2005, op. cit. 36 Margarete Zimmermann: „Utopie et lieu de la mémoire féminine: La Cité des Dames“, in: Hicks, op. cit., 561-578, 565. 37 Pizan: Cité, in: Curnow, op. cit., 639 (I, VIII). 38 Cf. Pierre Nora: Les lieux de mémoire, 7 vol., Paris, Gallimard, 1984sqq. 39 Betsy McCormick: „Building the Ideal City: Female Memorial Praxis in Christine de Pizan’s Cité des Dames“, in: Studies in the Literary Imagination, 36, 1, 2003, 149-173, 152. 40 Cf. Judith L. Kellogg: „Le Livre de la Cité des dames. Reconfiguring Knowledge and Reimagining Gendered Space“, in: Altmann, op. cit., 129-146; Margarete Zimmermann: „Christine de Pizan. Memory’s Architect“, in: Altmann, op. cit., 57-77; McCormick, op. cit.; Liana De Girolami Cheney, „Christine de Pizan’s Collection of Art and Knowledge“, in: Kennedy, op. cit., Bd. 1, 257-286; Sarah Kay: „The Didactic Space. The City in Christine de Pizan, Augustine, and Irigaray“, in: Ursula Peters (ed.): Text und Kultur. Mittelalterliche Literatur 1150-1450, Stuttgart/ Weimar, Metzler, 2001, 438-466; Zimmermann 2000, op. cit. 41 Die in der antiken Rhetorik systematisierte Memorierkunst wurde von Frances A. Yates in The Art of Memory bereits 1966 aufgearbeitet (dt. Gedächtnis und Erinnern. Mnemonik von Aristoteles bis Shakespeare, Berlin, Akademie-Verlag, 3 1994). Griechische und römische Redner erlernen die Kunst des Memorierens langer Redepassagen mit Hilfe von „Erinnerungspalästen“. Real gekannte oder virtuelle Architekturen, die eine geordnete Reihe von Bauteilen besitzen, ermöglichen im virtuellen Passieren entlang architektonisch-piktoraler Merkmale wie Säulen, Architrave, Möbel oder Bilder - die sogenannten loci und imagines -, zugeordnete Redeteile zu memorieren. Als gängigstes mnemonisches System von loci präsentieren Cicero, der auctor ad Herennium und Quintilian, so Yates, ein geräumiges und komplexes Gebäude mit Vorhof, Empfangsräumen, Wohnräumen und Schlafgemächern, jeweils angefüllt mit Möbeln, Bildern und Accessoires (Yates 1994, 12). 42 Cf. Romagnoli, op. cit: Romagnoli klassifiziert Pizans Cité des dames als sichtbare Figur der memoria, als Medium der Einschreibung (bzw. bildgebendes Verfahren) in ein kulturelles Gedächtnis, das derart die glorreiche Vergangenheit des weiblichen Geschlechts auf Dauer stellen wird. Romagnoli nennt in diesem Zusammenhang den Boethius-Dialog De consolatione philosophiae als Referenztext der Pizan. 43 Cf. Lori J. Walters: „La réécriture de Saint Augustin par Christine de Pizan: De la Cité de Dieu à la Cité des Dames“, in: Hicks, op. cit., 197-215. 44 Cf. Margaret Wertheim: Die Himmelstür zum Cyberspace. Eine Geschichte des Raumes von Dante zum Internet, München, Piper, 2002; Tiller: op. cit. 45 In Pizans Zeitgenossenschaft hat insbesondere das ekphrastisch schematisierte Genre Städtelob Konjunktur, es begleitet den Aufstieg der italienischen Kommunen seit dem 13. Jahrhundert: zeitgleich zur Cité des Dames entsteht eines der berühmtesten Beispiele dieses Genres, Leonardo Bruni Aretinos 1403/ 1404 niedergeschriebene Laudatio Florentiae Urbis. Damit relativiert sich auch der Einfluss des Augustinischen Gottesstaates 128 Dossier etwas ins Säkulare: Stadttexte begleiten den humanistischen Umbruch und werden von Pizan auch in humanistischem Sinne rezipiert. 46 Cf. Diane Desrosiers-Bonin: „De l’exemplum antique à l’exemplum vivant dans La Cité des Dames de Christine de Pizan“, in: Sylvie Steinberg/ Jean-Claude Arnoul (eds.): Les femmes et l’écriture de l’histoire 1400-1800, Mont-Saint-Aignan, Publications des Univ. de Rouen et Du Havre, 2008, 299-309. 47 Pizan: Cité, in: Curnow: op. cit., 632, (I, IV). 48 Pizan: Cité, in: Curnow: op. cit., 634 (I, V). 49 Pizan: Cité, in: Curnow: op. cit., 814/ 815 (II, LXVIII). 50 Pizan: Cité, in: Curnow: op. cit., 815 (II, LXVIII). 51 Pizan: Cité, in: Curnow: op. cit., 1032 (III, XIX). 52 Pizan: Cité, in: Curnow: op. cit., 1031 (III, XVIII). 53 Aristoteles: Politik, Stuttgart, Reclam, 1989, 338 [1328a]. 54 Christine de Pizan: Le livre des Fais et bonnes meurs du sage roy Charles V, ed. par Suzanne Solente, vol.1 : Paris, Champion, 1936; vol. 2: Paris, Champion, 1940; jüngst neu ediert als Christine de Pizan: Le livre des fais et bonnes meurs du sage roy Charles V: texte original intégral du manuscrit Bnf.f.fr. 10153, Clermont-Ferrand, Paleo, 2009. 55 Pizan 1936: op. cit., 191. 56 Christine de Pizan: The Book of Fayttes of Armes and of Chyualrye, translated and printed by William Caxton from the French original by Christine de Pisan, edited by A.T.P. Byles, London 1932, Reprint Millwood, N.Y. 1988, 7/ 8 (der Prolog ist in dieser Ausgabe im französischen Original belassen). Abbildungsnachweis Die Illuminationen entstammen dem Harley MS 4431, British Library, London [http: / / www.pizan.lib.ed.ac.uk/ gallery/ index.html: 20.06.2011], dem umfassendsten erhaltenen Manuskript mit Werken der Pizan. Das Kompendium wurde unter Aufsicht der Autorin für Königin Isabeau de Bavière erstellt und ihr 1414 von Pizan überreicht. Résumé: Elisabeth Tiller, La construction de la ville chez Christine de Pizan, analyse la représentation du motif de la cité dans l’ouvrage de Pizan, le Livre de la Cité des Dames (1405). La cité est construite comme un lieu d’asile allégorique et utopique pour des femmes chrétiennes, une communauté riche de vertus, uchronique et néanmoins fermement politique. La construction textuelle d’une cité reproduite selon des aspects spatiaux et urbanistiques réels crée un cadre structurel pour une série d’exempla féminins, qui à leur tour fournissent les matériaux de construction d’une cité idéale suspendant la vie réelle. Ce lieu d’exception fortement stratégique est décrit par la narratrice Christine sous la forme d’une figure épistémique d’interprétation du monde, qui, à la foi manifeste antimisogyne et lieu de mémoire féminin, veut proposer non seulement des discours mais aussi des pratiques quotidiennes. 129 Dossier Jean-Christophe Abramovici La ville invisible: des problèmes de représentation du réel dans le roman de l’âge classique La ville, depuis des décennies, fascine et passionne les historiens comme laboratoire des mutations des sociétés et lieu d’émergence, sinon d’invention, de la modernité. Pour fondamentales qu’elles furent, les évolutions dont la ville fut à la fois le théâtre et le moteur n’eurent rien de linéaire, générèrent des tensions multiples et diverses qui ont modelé la civilisation mondialisée d’aujourd’hui. Les villes de la France de l’âge classique sont un lieu éminemment paradoxal. Les études des historiens 1 qui leur ont été consacrées ont démontré qu’elles perdirent progressivement l’autonomie juridique et administrative qu’elles avaient conquise depuis le Haut Moyen Age, passant sous la coupe d’un pouvoir royal centralisé qui prit le contrôle de leurs finances comme de leurs élections, leur imposa de nouvelles normes culturelles. Pourtant, dans le même temps, la ville conquit une forme d’autonomie symbolique qui ne résulta pas simplement du doublement de la population urbaine en France au cours des XVII e et XVIII e siècles. La valeur de l’éloge qu’Alexandre Le Maître dresse en 1682 des „villes Capitales“, dans sa célèbre Métropolitée, est au moins autant documentaire qu’assertive: les faits ou phénomènes dont il dit rendre compte sont sujets à caution; les métaphores et procédés littéraires qu’il mobilise pour ce faire sont directement parlants, comme cette comparaison filée des pouvoirs du Prince et de la métropole: „Ce que la tête est au Corps, le Prince envers les sujets, le Ciel envers la Terre, une ville Métropolitaine l’est envers les bourgs et les bourgades, les villages et les hameaux. La tête opère pour conserver toutes les autres membres et toutes les parties du corps concourent et agissent de concert, pour entretenir le Chef. Le Prince sacrifie son repos et ses soins, pour protéger l’honneur, la vie et les biens de ses Sujets, qui sont obligés d’immoler au besoin et leurs biens et leur sang pour la vie et la gloire de leur Prince, et sont autant de petites veines, qui découlent dans les trésors leur argent que le Prince fait regorger à gros bouillons sur toutes les parties de ses Etats. Si les revenus des Provinces s’amassent dans la Capitale, qui est le Magasin public et général, et que cette mère de famille en profite, n’est-ce pas pour faire valoir les biens de tous ses enfants? Elle reçoit, mais aussi elle redonne. Elle agit et en même temps elle souffre. Sans elle tout l’Etat serait sans gloire, sans Majesté, sans Pompe et sans Magnificence, à l’abandon, plein de désordre, d’injustice, de rapines, oisif et sombre.“ 2 La traditionnelle métaphore organique qui glisse ici du Prince à la Ville paraît accompagner une forme de transfert de pouvoir symbolique. D’une figure paternelle doublement discréditée par la violence guerrière et la rapine fiscale - dont la 130 Dossier brutalité est soulignée par la métaphore reliant le sang effectivement versé des soldats au contribuable identifié à une „petite veine“ alimentant les caisses du royaume - on passe à une allégorie de la ville capitale en mère aimante, soucieuse („Elle souffre“) et protectrice: on a peut-être là la première d’une longue série de figures féminines symboliques ayant accompagné en France la genèse de la démocratie moderne. Qu’importe ici que le pouvoir de la ville ait sans doute été exagéré au regard de la réalité: qu’une telle opinion ait pu être exprimée et étayée par Le Maître est en soi l’indice d’une idéologie bourgeoise nouvelle et conquérante. Si la ville s’accrût autant dans l’espace réel que mental, la question reste entière de la place effective qu’elle occupe dans la fiction romanesque des XVII e et XVIII e siècles. Parler de „ville invisible“ est certes une affirmation paradoxale quand à l’inverse, comme l’ont bien montré entre autres les études de Volker Klotz, 3 le développement de la littérature romanesque semble consubstantiel à celui de la France urbaine, que l’on considère l’identité socio-culturelle de l’écrivain, ou celle du lecteur: même si réservée à une très mince élite, l’étatisation du mécénat impose alors à tout homme de lettres de vivre en ville, où existait un marché du livre (imprimeurs, libraires-éditeurs) permettant à beaucoup de vivoter; les dépouillements des inventaires après décès laissent par ailleurs apparaître que le lectorat des romans se concentre pour la même période dans les villes, en particulier marchandes. Si l’on ajoute à cela que la majeure partie des intrigues se déroule dans un cadre urbain, nonobstant les rêves de „retraite“ et de „solitude“ campagnarde, la ville semblerait plutôt omniprésente qu’invisible. Il n’empêche. Jusque dans les plus urbains des romans de la période, dire la ville apparaît aux écrivains comme une gageure ou un défi. Témoin l’incipit d’un des plus fameux d’entre eux, Le Roman bourgeois d’Antoine Furetière. 4 Pour le lecteur de 1666, le titre du roman de Furetière a une portée parodique sans doute moins évidente à un regard moderne. Comme dans Le Roman comique de Scarron, 5 „bourgeois“ s’oppose à „Roman“, et annonce une esthétique héroï-comique. Quand le grand „roman“, de tradition chevaleresque ou baroque, mettait en scène des héros élevés socialement traversant campagnes et forêts à la recherche d’aventure, seront ici mis en scène, dans un cadre urbain, des personnages ordinaires. L’originalité du texte de Furetière tient aussi à ce que la narration elle-même peut être qualifiée d’héroï-comique, au sens où le narrateur enfile par moments un masque de poète épique tout en exhibant son absence de prétention esthétique. Et dans cette perspective, à un second niveau de lecture, le titre Roman bourgeois est à entendre „sérieusement“ comme promesse d’une sensibilité nouvelle et d’un regard plus simple et prosaïque porté sur le réel. A la différence des fictions „comiques“ et „critiques“ de Sorel 6 et Scarron, Furetière met la ville au centre de la fiction, dès l’enseigne du titre et la phrase d’ouverture: „Je chante les amours et les aventures de plusieurs bourgeois de Paris, de l’un et de l’autre sexe...“ 7 Ce pastiche de l’exorde de l’Enéide de Virgile sert en fait d’introduction à une charge contre la médiocrité des romanciers de son 131 Dossier temps, répétant les mêmes recettes supposées rentables, peinant à dissimuler une inculture que le narrateur du Roman bourgeois reconnaît pour lui-même et revendique presque. La nouvelle esthétique romanesque est comique en ce qu’elle dénonce les illusions de l’inspiration, met à nu les ficelles de la création littéraire, ébauche une forme nouvelle de captatio benevolentiae reposant non plus sur le partage élitiste de références savantes, mais sur l’exhibition d’une ignorance commune. Au-delà de ce qu’il y a de comique à annoncer vouloir mettre en scène „plusieurs bourgeois de Paris“, la „médiocrité“ sociale des personnages se trouve confortée par la simplicité de la narration: „je vous raconterai sincèrement et avec fidélité plusieurs historiettes ou galanteries arrivées entre des personnes qui ne seront ni héros ni héroïnes, qui ne dresseront point d’armées, ni ne renverseront point de royaumes, mais qui seront de ces bonnes gens de médiocre condition, qui vont tout doucement leur grand chemin.“ 8 „Aller tout doucement son grand chemin“, formule qui, au-delà encore de sa portée satirique - perceptible dans le „tout doucement“ du quotidien, s’opposant à la vitesse et aux ellipses du temps héroïque -, résume la morale et l’esthétique du roman moderne: le „chemin“ que suit le héros bourgeois est métaphorique, il n’a rien du „grand chemin“ sauvage qui fait les aventuriers et les voleurs. S’il peut être qualifié de „grand“, associé à de „bonnes gens“ arpentant chaque jour les mêmes ruelles d’un petit quartier, c’est qu’il est „leur“, symbolise un parcours de vie à la banalité non pas subie mais sereinement acceptée. Et, pour preuve que le narrateur partage bien la condition des personnages dont il va conter l’histoire, Furetière reprend la métaphore du chemin à la fin du paragraphe pour revendiquer une dernière fois son choix original d’un décor urbain: „Pour éviter encore davantage le chemin battu des autres, je veux que la scène de mon roman soit mobile, c’est-àdire tantôt en un quartier et tantôt en un autre de la ville; et je commencerai par celui qui est le plus bourgeois, qu’on appelle communément la place Maubert.“ 9 A l’écart des lieux topiques du roman traditionnel comme des décors uniques ou fonctionnels des scènes théâtrales, le roman nouveau se veut à la fois „réaliste“ - inscrit dans des lieux réels -, „mobile“ - cinématographique avant l’heure 10 -, et résolument urbain. Même si l’article défini qui régit ville („en un quartier et tantôt en un autre de la ville“) a une notoriété de type contextuelle (il reprend „Paris“ de la première phrase du roman), la relative distance avec le début du texte évoque une autre forme de notoriété, culturelle celle-là, suggérant l’association „naturelle“ du roman (nouveau) et de la ville. Après cet exorde qui de nouveau démentirait plutôt l’idée d’invisibilité, venonsen à ce décor urbain paradoxal planté théâtralement par Furetière: Un autre auteur moins sincère, et qui voudrait paraître éloquent, ne manquerait jamais de faire ici une description magnifique de cette place. Il commencerait son éloge par l’origine de son nom; il dirait qu’elle a été anoblie par ce fameux docteur Albert le Grand qui y tenait son école, et qu’elle fut appelée autrefois la place de M e Albert, et, par succession de temps, la place Maubert. Que si, par occasion, il écrivait la vie et les ouvrages de son illustre parrain, il ne serait pas le premier qui aurait fait une digression 132 Dossier aussi peu à propos. Après cela il la bâtirait superbement selon la dépense qu’y voudrait faire son imagination. Le dessin de la place Royale ne le contenterait pas; il faudrait du moins qu’elle fût aussi belle que celle où se faisaient les carrousels, dans la galante et romanesque ville de Grenade. N’ayez pas peur qu’il allât vous dire (comme il est vrai) que c’est une place triangulaire, entourée de maisons fort communes pour loger de la bourgeoisie; il se pendrait plutôt qu’il ne la fît quarrée, qu’il ne changeât toutes les boutiques en porches et galeries, tous les auvents en balcons, et toutes les chaînes de pierre de taille en beaux pilastres. Mais quand il viendrait à décrire l’église des Carmes, ce serait lors que l’architecture jouerait son jeu, et aurait peut-être beaucoup à souffrir. Il vous ferait voir un temple aussi beau que celui de Diane d’Ephèse; il le ferait soutenir par cent colonnes corinthiennes; il rempliroit les niches de statues faites de la main de Phidias ou de Praxitèle; il raconterait les histoires figurées dans les bas reliefs; il ferait l’autel de jaspe et de porphyre; et, s’il lui en prenait fantaisie, tout l’édifice: car, dans le pays des romans, les pierres précieuses ne coûtent pas plus que la brique et que le moellon. Encore il ne manquerait pas de barbouiller cette description de métopes, triglytphes, volutes, stylobates, et autres termes inconnus qu’il aurait trouvés dans les tables de Vitruve ou de Vignoles, pour faire accroire à beaucoup de gens qu’il serait fort expert en architecture. C’est aussi ce qui rend les auteurs si friands de telles descriptions, qu’ils ne laissent passer aucune occasion d’en faire; et ils les tirent tellement par les cheveux, que, même pour loger un corsaire qui est vagabond et qui porte tout son bien avec soi, ils lui bâtissent un palais plus beau que le Louvre, ni que le Sérail.11 A l’image des premières lignes du roman qui brocardaient les imitateurs de Virgile, la non-description de la Place Maubert prolonge, sur le mode de la prétérition, une charge métatextuelle contre les mauvais romanciers qui pratiquaient avant l’heure une forme de „copier-coller“, surchargeant leurs textes de digressions faussement érudites faute de rendre compte de ce qui „est vrai“. En résultaient nécessairement des descriptions non seulement indigestes, inesthétiques („barbouiller“), mais mensongères, qui repeignaient le réel aux couleurs de la romancie. A l’inverse, le narrateur du Roman bourgeois entend promouvoir une autre esthétique, plus morale („honnête“, „sincère“), plus fidèle à la vérité, et pour cette raison moins verbeuse, sans gonflements artificiels. Témoin, le peu de mots décrivant vraiment à l’échelle de notre extrait la vraie place Maubert: „une place triangulaire, entourée de maisons fort communes pour loger de la bourgeoisie“, „boutiques“, „auvents“, „chaînes de pierre de taille“. Dans un premier temps, cette sécheresse pourrait être envisagée comme une forme-sens, une manière elle aussi „fort commune“ de rendre compte d’un lieu modeste et sans prétention. Mais cette description qui frise l’aporie, cette frêle et schématique esquisse traduit aussi d’évidence la difficulté d’un écrivain du XVII e siècle à dire la ville, à s’y loger littérairement; ou, pour le dire autrement, son malaise, son inconfort à s’identifier avec cette „bourgeoisie“ qui est à la fois la cible et le sujet du Roman qui porte son nom. L’esthétique dite „réaliste“ des romans comiques est paradoxale au sens où elle reste dépendante des codes - d’abord ici théâtraux - même qu’elle dénonce. La charge contre le superflu du roman traditionnel passe elle-même ici par une di- 133 Dossier gression, dont la longueur est en partie un moyen de dissimuler la pauvreté de la description „honnête“ de la place Maubert. S’expriment certainement ici les doutes taraudant Furetière à l’égard de la possibilité même de produire un roman moderne, d’atteindre à une esthétique nouvelle reposant sur un rapport plus direct, moins spéculatif au réel, mais qui ne pouvait se passer de la même monnaie d’échange que l’ancienne, ces mots par essence mensongers et trompeurs; une esthétique où l’écrivain n’a d’autre garantie d’être davantage crédible aux yeux du lecteur que la promesse toute rhétorique qu’il lui a faite d’être plus „sincère“ et „vrai“. A la fin de la présentation de la place Maubert, le narrateur renonce d’ailleurs, moitié jeu, moitié aveu d’échec, à peindre l’église des Carmes, renvoyant le lecteur au réel faute d’avoir pu le transcrire en mots: „je ne veux pas même vous dire comment est faite cette église, quoiqu’assez célèbre: car ceux qui ne l’ont point vue la peuvent aller voir, si bon leur semble, ou la bâtir dans leur imagination comme il leur plaira.“ 12 L’incipit du Roman bourgeois d’Antoine Furetière peut être relu comme un témoignage esthétique d’une mauvaise conscience de l’écrivain bourgeois de la fin du XVII e siècle, tiraillé entre désir de reconnaissance et honte de la roture, encore hésitant sur la valeur intrinsèque de la médiocrité et du commun. Peut-être même que l’obsession monétaire du bourgeois trouverait un écho ici dans la conscience qu’a Furetière que toute poétique romanesque repose sur un rapport spéculatif au réel: „dans le pays des romans“ en effet, de Furetière à Zola, „les pierres précieuses ne coûtent pas plus que la brique et le moellon“ … C’est sans doute en partie cette „mauvaise conscience“ du bourgeois qui expliquerait qu’un des points de vue privilégié pour dire le réel demeurera jusqu’à la fin du XVIII e siècle et au-delà le mode picaresque, les voix de mendiants et de gueux de L’Indigent philosophe de Marivaux 13 ou du Neveu de Rameau de Diderot, 14 qu’on pourrait rapprocher, pour le XX e siècle, des grands romans urbains de Céline ou de Jean Cayrol. 15 L’hypothèse de l’„invisibilité“ de la ville demanderait à être confrontée à d’autres époques de l’histoire du roman. Elle se vérifierait pour tous les romans pourtant urbains du XVIII e siècle, du fait des formes narratives qui sont privilégiées alors, romans-mémoires puis romans épistolaires: dans ces récits du „je“, nul besoin réel de décrire la ville, qui est au mieux une toile de fond, un décor vu à hauteur d’homme, invisible pour le lecteur comme pour le citadin d’alors parce que trop familier: qu’on songe à la statue équestre d’Henri IV sur le Pont-Neuf, que le Parisien du XVIII e siècle comme le Paysan parvenu de Marivaux nommaient simplement „le cheval de Bronze“. 16 Pour que la ville se révèle vraiment au regard littéraire, il faudra attendre les voix s’assumant bourgeoises de Rétif et Mercier puis le retour, dans le roman du XIX e siècle, d’une narration hétéro-diégétique, sinon omnisciente, qui, à la différence des romans comiques du XVII e , assumera alors un pouvoir démiurgique, une capacité à dire et faire le vrai. 134 Dossier 1 Voir la synthèse toujours stimulante de Roger Chartier, Guy Chaussinand-Nogaret, Hugues et Emmanuel Leroy-Ladurie: Histoire de la France Urbaine, tome III: La ville classique de la Renaissance aux Révolutions, Paris, Editions du Seuil, 1981; rééd. La Ville des temps modernes, Paris, Editions du Seuil, coll. „Points/ Histoire“, 1998, et plus particulièrement la première partie, „La ville dominante et soumise“. 2 Alexandre Le Maître: La Métropolitée, ou De l’établissement des villes capitales, de leur utilité passive et active, de l’union de leurs parties et de leur anatomie, de leur commerce, etc., Amsterdam, B. Boekholt, pour J. Van Gorp, 1682, 5-6. Comme pour les autres citations de cet article, nous avons modernisé l’orthographe. 3 Cf. Volker Klotz: Die erzählte Stadt. Ein Sujet als Herausforderung des Romans von Lesage bis Döblin. Reinbek/ Hamburg: Rowohlt, 1987 [1969]. 4 Antoine Furetière: Le Roman bourgeois, 1666-1667, éd. Jacques Prévot, Paris, Gallimard, coll. „folio/ classique“, 1981, pour tous les passages que nous commenterons dans la présente étude. Sauf indication contraire, les italiques sont de notre fait. 5 Le Roman bourgeois est d’ailleurs sous-titré „ouvrage comique“. 6 Cf. Charles Sorel: Histoire comique de Francion, Paris, Gallimard, 1996 [édition 1633]. 7 Furetière, 29-31. 8 Ibid. 9 Ibid. 10 La rupture esthétique qu’introduisirent les œuvres des romanciers comiques du XVII e siècle pourrait être comparée à celle que provoqua, dans le paysage du cinéma français, l’irruption des cinéastes de la „Nouvelle vague“. C’est aussi pour donner à entendre et voir la vraie ville qu’ils abandonnèrent l’ambiance feutrée des studios, les décors recréés, le son propre, etc. 11 Furetière, 29-31. 12 Ibid. 13 Pierre de Marivaux: L’Indigent philosophe, in: Journaux 2, éd. Marc Escola, Erik Leborgne, Jean-Christophe Abramovici, Paris, Flammarion, coll. „GF“, 2010. 14 Denis Diderot: Le Neveu de Rameau, introduction Jean-Claude Bonnet, Paris, Flammarion, coll. „GF“, 1983. 15 En particulier: Jean Cayrol: Je vivrai l’amour des autres, 1947, in Œuvre lazaréenne, 1947-1959, Paris, Seuil, coll. „Opus“, 2007. 16 Habitude dont s’offusqueront encore, à la fin du XVIIIe siècle, les auteurs du Dictionnaire historique de la ville de Paris: „Avant que de finir cet article, on remarquera, que quoique la statue d’Henri IV soit parfaitement belle, et que la figure du cheval ait de grands défauts; cependant un usage ridicule fait qu’en parlant de ce monument, on dit toujours le cheval de bronze, sans dire un seul mot de la statue du Grand Henri“ (Pierre-Thomas Hurtaut, Nicolas Magny, Dictionnaire historique de la ville de Paris et de ses environs, art. Place d’Henri IV, Paris, Moutard, 1779, t. IV, 47). Résumé: Jean-Christophe Abramovici, problematisiert in Die unsichtbare Stadt: Zum Problem der Repräsentation des Realen im Roman der Klassik die These von der „Unsichtbarkeit der Stadt“ im Roman des 18. Jahrhunderts, die er anhand von Furetières Le roman bourgeois (1666) verdeutlicht. Dieser Roman ist zentral im Spannungsfeld zwischen bürgerlichem Bewusstsein, literarischer Konvention und Repräsentation des Realen angesiedelt, woraus sich für die Stadtkonstruktion eine paradoxe Situation ergibt. Anhand einiger Passa- 135 Dossier gen über die Stadtbewohner als bürgerliche Protagonisten zeigt Abramovici auf, dass der Autor seine Romanhandlung zwar in Paris auf einem berühmten Platz ansiedelt, sich aber explizit einer konkreten Beschreibung der Schauplätze verweigert. Die Gründe dafür liegen einerseits im literarischen Text selbst, wo die Deskription der realen Stadt im Sinne bürgerlicher Einfachheit und Ehrlichkeit auf die genrebedingte Forderung auf Unterwerfung unter literarische, und hier besonders: theatralische Codes früherer höfischer und dekorativer Ausschmückung trifft, was zum Paradox der allgegenwärtigen aber „unsichtbaren Stadt“ führt. Andererseits sieht Abramovici die Absenz der Stadt in der Repräsentation darin begründet, dass der Autor Furetière zögert, sich mit der literarisch repräsentierten Bourgeoisie zu identifizieren. 136 Dossier Karen Struve Stadt-Wissen: Überlegungen zu Stadkonstruktionen in der Encyclopédie ou Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers (1750-1772) 1. Brisantes Stadt-Wissen Im Winter 1757/ 58 wird das große Wissensprojekt der französischen Aufklärung, die Encyclopédie ou Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers unter der Herausgabe von Denis Diderot und Jean Baptiste le Rond d’Alembert, von einer der schwersten Krisen ihrer Geschichte erschüttert. Auslöser ist der von d’Alembert verfasste Eintrag über die Stadt Genf, welcher hitzige Debatten und zahlreiche empörte Briefe nach sich zieht und beide Herausgeber schließlich entzweien sollte. Warum lässt sich über einen Eintrag in einer Enzyklopädie über die objektive Beschreibung einer realen Stadt so vortrefflich streiten? Der unauflösliche Dissens zwischen Diderot und d’Alembert, der nicht zuletzt von Voltaire ausgelöst und befeuert wird, 1 gründet auf einen ersten Blick auf inhaltlich-faktischen Streitpunkten: Die Herausgeber sind sich über die Qualität und vor allem die Richtigkeit der Aussagen im „GENEVE“-Eintrag über die Priester und Pastoren und die Kunstwelt uneinig. Ein Blick auf die strukturelle Anlage des Disputs zeigt aber vielmehr, dass es hier nicht um objektive oder gar neutrale Beschreibungen geht und selbst der Referent der Stadt Genf weniger disponibel und intelligibel ist, als er zu sein scheint. An dieser Auseinandersetzung lässt sich nachvollziehen, in welchem Maße die Encyclopédie ein Politikum und damit eine intentionale Konstruktion darstellt. Denn selbst in einem Artikel über eine Stadt, welcher vordergründig nicht die philosophischen Kernthemen der Aufklärung behandelt, ist die diskursive Konstruktion des Wissens - und hier: der zeitgenössischen Welt mit ihren Städten - im Rahmen der Encyclopédie als eines der Schlüsselwerke der Aufklärung erkennbar. Die in der Encyclopédie angestrebte Kartografierung (des Wissens) der Welt in einer „mappemonde“ 2 (so d’Alembert in seinem Discours préliminaire), hebt zwar, gestützt durch die geografische Metaphorik, auf die Neutralität und Objektivität der Wissensbeschreibung ab, lässt aber bei genauerem Hinsehen den Konstruktcharakter des Diskurses, d.h. die Bewertungen und diskursiven Ein- und Ausschließungsmechanismen, umso deutlicher aufscheinen. Damit ist die Perspektive des folgenden Beitrags benannt: der diskursive Zusammenhang von Wissens- und Stadtkonstruktionen. 3 Der Zusammenhang von Wissensformationen und Stadtbeschreibungen in der Encyclopédie erschöpft sich dabei keineswegs, wie dies noch anhand des Artikels „GENEVE“ gezeigt wird, in der politisierten bzw. philosophisch-pädagogischen 137 Dossier Schilderung verschiedener Städte der Vergangenheit und Gegenwart. Die Stadt bietet sich überdies als Allegorie für eine bestimmte Systematisierung von Wissen innerhalb des enzyklopädischen Projektes selbst an. Um diese Beschreibung der Herstellung/ Gestaltung von Wissen - Wissen als Stadt -, das mittels urbaner Metaphorik exemplifiziert, aber eben auch plausibilisiert werden soll, wird es im ersten Teil des vorliegenden Beitrags gehen. Im zweiten Teil soll die diskursive Konstruktion von Stadtdarstellungen in der Encyclopédie näher in den Blick genommen werden. Die faktische wie rhetorische Vermittlung des zeitgenössischen Wissens über Stadt wird zunächst anhand der Einträge zu den Lemmata „PARIS“ und „VILLE“ skizziert und strukturell analysiert. Dabei werden die Wissenskonstruktionen in der Encyclopédie nicht als mimetische, objektive oder gar neutrale Abbildungen von Wirklichkeit verstanden, sondern ihre diskursive Gemachtheit in den Blick genommen. In einem weiteren Schritt wird der Artikel zur Stadt Genf herangezogen, um die diskursive Konstruktion des Stadtbildes im Sinne der politischen und aufklärerischen Ziele der Enzyklopädisten aufzuzeigen. Schließlich werden Artikel zu Städten untersucht, die nicht nur selbst Konstruktionen darstellen, sondern sich sogar auf konstruierte, d.h. imaginierte Städte beziehen und die Dimension der Referenzialität als Narrativ von Wirklichkeit im 18. Jahrhundert außer Kraft setzen. 2. Stadt-Wissen: Wissen als Stadt Der Aufbau und die Formierung einer Enzyklopädie, so schreibt Diderot im gleichnamigen Eintrag, sind wie die Planung und Gründung einer Stadt: Il n’en faudroit pas construire toutes les maisons sur un même modele, quand on auroit trouvé un modele général, beau en lui-même & convenable à tout emplacement. L’uniformité des édifices, entraînant l’uniformité des voies publiques, répandroit sur la ville entiere un aspect triste & fatiguant. Ceux qui marchent ne résistent point à l’ennui d’un long mur, ou même d’une longue forêt qui les a d’abord enchantés.4 Interessanterweise folgt Diderot hier nicht den Beschreibungen einer idealen Stadt, die, wie weiter unten ausgeführt wird, auf Symmetrie und Gleichförmigkeit geradezu besteht, sondern betont den Charakter der Abweichung von einem grundlegenden Modell, um die Leserschaft nicht zu langweilen. Neben dem Anspruch den Leser zu unterhalten mag die Ablehnung der Uniformität der Artikel vermutlich auch dem Ziel geschuldet sein, die Encyclopédie nicht wie ein ideales und damit realitätsfernes Projekt aussehen zu lassen, sondern durch eine facettenreiche Rhetorik und Stilistik die Referenzialität zu unterstreichen. Die Diskrepanz zwischen der Stadt als Strukturmodell und der Stadt als partikulare Variante wird in der Analyse der Artikel „VILLE“ und „PARIS“ noch näher untersucht. Die Stadt als Allegorie für die Formierung des Wissens in der Enzyklopädie scheint mir keineswegs willkürlich für die Wissenskonstruktion gewählt; die Meta- 138 Dossier phorik für die Konstruktion des Wissens ist in der Encyclopédie oftmals raumaffin und weist in gewisser Weise „eine Neigung, Segmente des Wissens kartographisch zu umreißen und räumlich darzustellen“ auf, wie Robert Darnton es formuliert 5 - nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der enzyklopädischen Tradition, der Memoria-Lehre bzw. Mnemotechnik. 6 Die Stadt bietet sich in besonderem Maße für die Erläuterung der ‚Architektur des Wissens an, denn sie entstammt zum Ersten der Erfahrungswelt der Leserschaft und zielt damit auf eine allgemeinverständliche Anschaulichkeit. Die Stadt mit ihrer urbanen Lebens- und Arbeitswelt dient folglich als Bildspender: etwa mit ihren sozialen Komponenten der Menschenmasse, der arbeitsteiligen Organisation des Handwerks, der Markt- und Gerichtstätigkeiten etc. Im Besonderen fungiert die Stadt auch als ‚Motor der Zivilisation’ und damit - wie im Falle von Paris - als intellektuelles Epizentrum der französischen und europäischen Aufklärung. Zum Zweiten wird also neben einer soziokulturellen und sozioökonomischen Dimension der ideologische, politische und generell aufklärerische Hintergrund aufgerufen, vor dem die Texte der Enzyklopädie entstehen. Die Allegorie der Stadt bezieht sich folglich auf die intellektuellen Schauplätze der französischen und europäischen Aufklärung, die eben nicht auf dem Lande zu finden sind. Die Stadt verweist zum Dritten auf die im Werk erstmals intendierte Verquickung von handwerklichem und intellektuellem Wissen, d.h. die rationale wie künstlerische Architektur von Menschenhand. Daran metaphorisch anschließend werden auch die ‚Bauprinzipien’ der Artikel innerhalb der Encyclopédie von Diderot und d’Alembert an unterschiedlichen Stellen thematisiert; dabei geht es weitestgehend um den argumentativen Aufbau, die rhetorische Finesse und nicht zuletzt um die thematische Einpassung in dieses Vorzeigeprojekt der Vernunft und des modernen Menschen. Die Stadt-Metaphorik dient neben der Illustration der Wissensvermittlung innerhalb des Enzyklopädieprojektes auch der Erläuterung seiner rhetorischen Stilmittel wie etwa der Metapher selbst (als Figur der Verknüpfung von Wissensinhalten). Während zunächst im Eintrag „METAPHORE“ das Bild des Schlüssels eingeführt wird, um zu erklären, wie vorgelagerte Einsichten („connoissances préliminaires“) zu tieferen Erkenntnissen und zur Wissenschaft („sciences plus profondes“) führen, kommt der Stadt eine ähnliche Bedeutung für den Zutritt und Schutz des Königreichs zu: „On dit aussi d’une ville fortifiée qui est sur une frontiere, qu’elle est la clé du royaume, c’est-à-dire que l’ennemi qui se rendroit maître de cette ville, seroit à portée d’entrer ensuite avec moins de peine dans le royaume dont on parle.“ 7 Hier dringt das aufklärerische Credo abermals durch: Wer Wissen besitzt, kann die Welt erobern. 3. Stadt-Wissen: Wissen über die Stadt Städte- und Stadtbeschreibungen stellen einen nicht zu unterschätzenden Teil des von den Herausgebern als relevant erachteten, zeitgenössischen Wissens dar. Die 139 Dossier Suche nach dem Wort „ville“ führt zu über 50 Einträgen und insgesamt 10.000 Fundstellen in der gesamten Encyclopédie. Die Artikel über europäische (etwa Paris, Amsterdam oder Berlin) oder außereuropäische (etwa Mexiko, Moskau oder Peking) Städte sind dabei insofern aufschlussreich, als sie Wissensbestände und -systematisierungen dokumentieren, die ganz im Zeichen des aufklärerischen Projektes stehen. Dieser Konstruktcharakter ist interessanterweise besonders in jenen Artikeln augenfällig, die sich gerade durch einen starken Realitätsbezug bzw. eine vermeintlich eindeutige Referenzialität auszeichnen. Der Herstellung und Darstellung von Wissen über Städte kann man sich bspw. über den abstrakten Eintrag zum Begriff „Stadt“ nähern. Die Stadt stellt, so im Eintrag „VILLE“ von de Jaucourt, eine von Mauern umgrenzte Entität dar, deren Mauern, Häuser und Plätze, „[p]our qu’une ville soit belle“, 8 Symmetrie und Uniformität einhalten müssen. Diese ästhetischen Kriterien, die unmittelbar am Anfang des Eintrages stehen und in der Folge noch durch Kriterien des römischen Architekten Vitruv ergänzt werden, flankieren die Ausführungen zum idealen und geschlossenen Charakter der Stadt. Der nahezu anachronistische Verweis auf Vitruv, auf den schon Jean Ehrard hingewiesen hat, zeugt einerseits von der Editionsgeschichte der Encyclopédie: Der Band mit dem Artikel „VILLE“ erscheint weit nach vielen anderen alphabetisch vorgängigen Stadt-Artikeln und will daher vermutlich einen gewissen Abstraktionsgrad für sich in Anspruch nehmen. Die ahistorische, abstrakte und synthetisierende Funktion liegt dabei auf der Hand - und weniger eine „anticomanie“ des Autors. 9 Andererseits aber zeigt sich an der vermeintlich zeitlosen Ästhetisierung der Stadt das Projekt der Aufklärung mit seiner utopischen 10 Prägung des Stadtbildes. „[C]’est de myopie intellectuelle qu’il faut parler“, schreibt Ehrard sogar ironisch, „sur l’image réelle de la ville l’Encyclopédie paraît projeter une image mentale, des plus désuètes.“ 11 Diese Überlagerung der Bilder ist m.E. nicht so sehr einer intellektuellen Kurzsichtigkeit geschuldet als vielmehr einer intendierten diskursiven Konstruktion, in der einerseits die Vorstellung eines ‚realen Bildes nicht mehr haltbar ist und andererseits die Stadt unter Verweis auf Vitruv und einer - durchaus auch aus der Ikonografie inspirierten 12 - idealen Architektur als Stadt der Aufklärung generiert wird. Die (Un-)Sichtbarkeit der ‚realen Stadt, die weniger in der notwendigen Komplexitätsreduktion durch die Verschriftlichung begründet ist, sondern vielmehr der Überlagerung mit Stadtbildern einer idealen, aufgeklärten Stadt entspringt, ist analog auch im Eintrag etwa zur Stadt Paris unmittelbar nachzuvollziehen. In den Einträgen zu konkreten Städten generiert sich das Wissen über die Stadt u.a. über ihre geografische Positionierungen und Kartierungen durch die genaue Angabe der Längen- und Breitengrade. Der Positionierung der Stadt Paris wird im gleichnamigen Eintrag allerdings die Beschreibung ihrer Lage in Relation zu anderen europäischen Städten wie etwa Amsterdam, London aber auch Stockholm, Konstantinopel und Moskau hinzugefügt. Auf diese Weise ist Paris aber keineswegs relativ lokalisiert, sondern bildet vielmehr vor dem inneren Auge des Lesers das Zentrum, auf welches in unterschiedlichen Entfernungen andere europäische 140 Dossier Städte schauen. Die Zentralität dieser Perspektive verstärkt sich durch die Fortsetzung des Artikels, in der die historische Verankerung, die bedeutende Bevölkerungsdichte sowie der intellektuelle Einfluss betont werden. Diese Stadt hat nämlich maßgeblich zur Wissensproduktion beigetragen: Als Ort des politischen, intellektuellen bzw. philosophischen und künstlerischen Wissens brachte sie „plus de grands personnages, plus de savans, plus de beaux esprits que toutes les autres villes de France réunies ensemble“ 13 hervor. Damit sind vermutlich auch die Enzyklopädisten selbst gemeint, die zu einem großen Teil in Paris lebten. An der Länge des Artikels sowie der begeisterten Beschreibung der Stadt wird deutlich, dass Paris und das Projekt der Encyclopédie immanent miteinander verbunden sind. Paris ist, so Philip Blom, „die Bühne, auf der die gesamte Geschichte der Encyclopédie spielte“. 14 Im Hinblick auf die diskursive Konstruktion von Paris ist die Studie von Blom insofern interessant, als er für seine Beschreibung der Enzyklopädisten die Schilderung der Zustände in Paris wählt und sich mit dem berühmten Pariser Stadtplan der Zeit, dem „Plan Turgot“ von 1739, auseinandersetzt. 15 Blom zeigt anhand des Stadtplanes, wie augenfällig die Diskrepanz zwischen einer vermeintlich objektiven, mimetischen Darstellung der Straßenzüge und der ländlichen angrenzenden Dörfer auf der Landkarte einerseits und den Schilderungen von Zeitgenossen andererseits ist. Für die im vorliegenden Beitrag angelegte Perspektive auf die Konstruktionen der Stadt ist zwar der Abgleich mit anderen diskursiven Konstruktionen der Stadt in Reiseberichten der Zeit nicht zentral, interessant aber ist die angedeutete Idealisierung der Straßenzüge. Sie drückt sich darin aus, dass diese leuchtend weiß erscheinen und in geschwungener Schrift die Straßennamen darauf zu lesen sind, und die Stadt menschenleer und unbelebt ist. 16 Damit ist hier eine bildliche Darstellung der idealen Stadt gegeben, die vermutlich auch auf die physiokratische Gesinnung des Planers verweist. Blom erklärt, dass der „Plan Turgot“ zwar „das erste umfassende graphische Inventar der Hauptstadt“ 17 darstellt, aber durch diese künstliche Leere und das Feststellen mehr verhüllt als er sich zu zeigen anschickt. 18 Der Konstruktcharakter der Stadtbeschreibung - und damit die Herstellung des idealen Wissens im Gegensatz zu einer Darstellung des erfahrenen Wissens - wird hier ebenso deutlich wie in den textuellen Einträgen zu den einzelnen Städten 19 in der Encyclopédie selbst. 141 Dossier 4. Stadt-Wissen: Politisiertes Wissen im Eintrag „GENEVE“ und vom citoyen Besonders deutlich kommt die Gestaltung, Bewertung und Einordnung von Wissen über Stadt und citoyenneté im bereits erwähnten, brisanten Eintrag zur Stadt „Genf“ zum Ausdruck. Im Folgenden soll und kann die Diskussion um den Eintrag „GENEVE“ nicht rekonstruiert werden, wie sie sich in zahlreichen Briefwechseln etwa zwischen Diderot, d’Alembert, Voltaire oder Rousseau entwickelt; vielmehr wird der Eintrag unter der Perspektive der Wissensrepräsentation der Stadt untersucht. Der Artikel zur Stadt Genf von d’Alembert zeichnet sich zunächst durch seine ungewöhnliche Länge und damit durch die Ausführlichkeit der Stadtbeschreibung aus, ist er doch um ein Vielfaches länger als viele andere Einträge zu Städten oder gar Ländern (der Eintrag zu „FRANCE“ etwa ist nicht einmal ein Fünftel so lang). Bereits zu Beginn des Artikels zeigt sich der kritische, teilweise überhebliche Ton des französischen Enzyklopädisten: d’Alembert erläutert etwa das Stadtwappen und beurteilt die dargestellte Symbolik als falsch tradiert: La ville de Genève a conservé ces armes après avoir renoncé à l’église romaine, elle n’a plus de commun avec la papauté que les clés qu’elle porte dans son écusson ; il est même assez singulier qu’elle les ait conservées, après avoir brisé avec une espece de superstition tous les liens qui pouvoient l’attacher à Rome ; elle a pensé apparemment que la devise post tenebras lux, qui exprime parfaitement, à ce qu’elle croit, son état actuel par rapport à la religion, lui permettoit de ne rien changer au reste de ses armoiries.20 Und ähnlich wie das Wappen erscheint ihm auch die Inschrift auf dem Genfer Rathaus als falsch und nicht mehr zeitgemäß: On voit encore entre les deux portes de l’hôtel-de-ville de Genève, une inscription latine en mémoire de l’abolition de la religion catholique. Le pape y est appellé l’antechrist; cette expression que le fanatisme de la liberté & de la nouveauté s’est permise dans un siecle encore à demi-barbare, nous paroît peu digne aujourd’hui d’une ville aussi philosophe. Nous osons l’inviter à substituer à ce monument injurieux & grossier, une inscription plus vraie, plus noble, & plus simple. Pour les Catholiques, le pape est le chef de la véritable église, pour les Protestans sages & modérés, c’est un souverain qu’ils respectent comme prince sans lui obéir: mais dans un siecle tel que le nôtre il n’est plus l’antechrist pour personne.21 Doch d’Alembert findet für die Stadt nicht nur rügende Worte. Er schildert historische Schlachten um Genf sowie deren Abwehr der militärischen Angriffe, erklärt mit Bewunderung die Unabhängigkeit und Neutralität der Stadt, die sich aufgrund der geografischen Lage und ihres Reichtums zwar in Allianzen mit Frankreich und England ausdrückt, ohne sich jedoch in Konflikte verwickeln zu lassen. Der Autor lobt die demokratische Verfasstheit, beschreibt die rechtlichen Regelungen zu Eheschließungen, Erbrecht und Luxus bzw. Besitztümern. Am Ende des Artikels nimmt d’Alembert schließlich zwei Themenkomplexe in den Blick, die für die eingangs erwähnten Diskussionen mit Diderot, besonders 142 Dossier aber für entschiedene und erboste Kritik unterschiedlichster Parteien sorgt: Er beschreibt die Theateraufführungspraxis und die Religion - allerdings eingebettet in einer recht sprunghaften Argumentationsführung. Gemäß d’Alembert werden in Genf Aufführungen von Komödien unterbunden, so dass er den instruktiven, persönlichkeitsbildenden Charakter der Komödie dagegen in Anschlag bringt. Dabei greift er Genf in einer zivilisationsbzw. aufklärungskritischen Argumentationsfigur an: Une autre considération digne d’une république si sage & si éclairée, devroit peut-être l’engager à permettre les spectacles. Le préjugé barbare contre la profession de comédien, l’espece d’avilissement où nous avons mis ces hommes si nécessaires au progrès & au soûtien des Arts, est certainement une des principales causes qui contribue au déréglement que nous leur reprochons: ils cherchent à se dédommager par les plaisirs, de l’estime que leur état ne peut obtenir.22 Damit kommt d’Alembert zu den Insignien der akademischen Bildung der Stadt, nämlich dem Universitätswesen der Stadt und zur gut ausgestatteten Bibliothek, um direkt im Anschluss auf die grassierende Syphillis hinzuweisen. Wiederum in einem argumentativen Sprung führt der Autor aus, dass die Stadt - und hier ließe sich eine Parallele zur Beschreibung von Paris ziehen - viele „Savans“ und „artistes“ hervorgebracht hat; auch ausländische Denker kommen hier zu Ruhm. Genf hat demnach quelques fois l’avantage de posséder des étrangers célebres, que sa situation agréable, & la liberté dont on y joüit, ont engagés à s’y retirer; M. de Voltaire, qui depuis trois ans y a établi son séjour, retrouve chez ces républicains les mêmes marques d’estime & de considération qu’il a reçûes de plusieurs monarques.23 Der Beschreibung der Uhrenfabriken, der Architektur der Steinhäuser und dem Krankenhauswesen folgt der letzte, besonders heikle Abschnitt über die Ausübung und Definition der Religion in Genf, „c’est la partie de cet article qui intéresse peutêtre le plus les philosophes.“ 24 Der Verweis auf weitere, zur Semantik der Religion gehörige, kontextualisierende Artikel in der Encyclopédie, die Schilderung des Klerus und der Beerdigungsmodalitäten münden schließlich in einer Diagnose der Genfer Gottesmänner, die d’Alembert erbosten Widerstand und vehemente Kritik einbringen sollte: der Sozinianismus. Diese Lehre, nach der die Pastoren der Stadt nicht an die Dreifaltigkeit glaubten, wird von d’Alembert im Folgenden zwar durchaus positiv bewertet, geht sie doch mit einer vorbildlichen und fortschrittlichen Toleranz einher, ist aber für die Genfer Geistlichen ein nicht hinnehmbarer Vorwurf. 25 D’Alembert schließt seinen Artikel mit einer Begründung für dessen Ausführlichkeit. Hier führt er einerseits das Wissensprojekt der Enzyklopädie an, das in seiner Anlage Wissensbestände weder hierarchisch systematisiert noch quantitativ hierarchisiert: „Nous ne donnerons peut-être pas d’aussi grands articles aux plus vastes monarchies ; mais aux yeux du philosophe la république des abeilles n’est pas moins intéressante que l’histoire des grands empires.“ 26 Andererseits stellt d’Alembert nochmals explizit den Vorbildcharakter der Stadt aus: „ce n’est peut- 143 Dossier être que dans les petits états qu’on peut trouver le modele d’une parfaite administration politique.“ Eine Einschränkung stellen allein die Religion dar: „Si la religion ne nous permet pas de penser que les Génevois ayent efficacement travaillé à leur bonheur dans l’autre monde, la raison nous oblige à croire qu’ils sont à-peu-près aussi heureux qu’on le peut être dans celui-ci: O fortunatos nimiùm, sua si bona norint ! “ 27 Anhand dieses Artikels lässt sich sowohl auf der Ebene der Inhalte als auch auf der Ebene der politisierten Rhetorik die Verbindung zwischen der textuellen Gestaltung der Stadt und der Wissenskonstruktion unter den politisierten Zeichen der Aufklärung nachvollziehen. Zwar gibt d’Alembert vermeintlich faktisches Wissen zur städtischen Geschichte, Gerichtsbarkeit, Verwaltung oder wirtschaftlichem Wohlstand wieder, dennoch fallen unmittelbar die wertenden Aussagen ins Auge, die sich besonders in den Bemerkungen um Religionsfreiheit und den Konnex zwischen der Stadt und dem Stadtbewohner, dem Genfer als citoyen, ausdrücken. Damit ist die Stadt nicht nur ein Raum, in dem sich eine spezifisch lokale Geschichte niederschlägt, sondern neben ihrer Kartografierung spielen auch deren Auswirkungen auf die Mentalität der Stadtmenschen eine wichtige Rolle. Insbesondere geht es hier um die Differenzierung zwischen der Stadt als „ville“ und „cité“ und damit um die anthropologische und politische Hinwendung zum Stadtbewohner als Bürger. „Fonder une ville“, heißt es in diesem Sinne bei Ehrard, „c’est créer en même temps une cité, donc des citoyens. 28 Der Zusammenhang zwischen der Stadt und der Bildung und dem Verhalten ihrer Bewohner lässt sich etwa im Eintrag zum Lemma „URBANITE ROMAINE“ nachvollziehen, in dem der Autor Jaucourt nicht mit harscher Kritik an den sprachunbegabten und oberflächlichen Franzosen spart („il est vraisemblable que les François qui examinent rarement les choses à fond, n’ont pas jugé ce mot fort nécessaire“ 29 ). Er betont zudem die synonyme Verwendung des Wortes Urbanität mit der galanten, höflichen, ja edlen Sprache und Haltung der Stadtbewohner (hier: Roms): URBANITE ROMAINE, (Hist. rom.) ce mot désignoit la politesse de langage, de l’esprit & des manieres, attachée singulierement à la ville de Rome. [...] & parmi nous, la politesse n’est le privilege d’aucune ville en particulier, pas même de la capitale, mais uniquement de la cour. [...] Pour me recueillir en peu de paroles, je crois que la bonne éducation perfectionnée par l’usage du grand monde, un goût fin, une érudition fleurie, le commerce des savans, l’étude des lettres, la pureté du langage, une prononciation délicate, un raisonnement exact, des manieres nobles, un air honnête, & un geste propre, constituoient tous les caracteres de l’urbanité romaine.30 In dieser Passage kommt nicht nur die Hypostasierung des antiken Roms zum Ausdruck, sondern Jaucourt betont auch den immanenten Zusammenhang zwischen der Beschaffenheit einer Stadt und der Persönlichkeitsstruktur ihrer Bewohner, die durch Bildung verfeinert und veredelt wird und die stets, so eingangs im Eintrag „CITOYEN“ betont, in einem kollektiven Zusammenhang stehen. 31 Das in der Encyclopédie aufzunehmende Wissen über die Stadt konstruiert diese somit 144 Dossier als „cité“, als Ort des politischen Handelns und der ‚zivilisierten Umgangsformen. Dabei ist diese Akzentuierung durchaus unter aufklärerischen Vorzeichen zu lesen, indem dem citoyen nach Gladstone als „homme de Lumières“ 32 die Möglichkeiten des selbstbestimmten, ratio-geleiteten Lebens zugeschrieben wird und indem er als „un idéal du citoyen, un citoyen modèle“ 33 fungiert. Wie die Stadt wird also auch der konkrete Stadtbewohner von einem idealisierten, imaginierten citoyen überlagert, dessen Bild gar - wie im Falle der Stadt Genf - konträr zu den (Selbst-)Wahrnehmungen und dem Wissen der Beschreibungsobjekte stehen kann. 5. Stadt-Wissen: Fingiertes Wissen und imaginierte Städte Ein weiterer Blick auf Einträge besonderer Städte enthüllt, dass in der Encyclopédie nicht nur Wissen aufgenommen und kartografiert worden ist, das (heutzutage) als gesichert gilt, im Sinne von auf Tatsachen basierend oder ‚real . Das gesamte Wissen der Zeit, das aufgezeichnet werden sollte, beinhaltete durchaus auch Wissen, das imaginären Ursprungs bzw. sogar fiktiven Charakters ist. Denn es haben etwa Einträge zu imaginierten Städten Eingang in die Encyclopédie gefunden, die zwar unmittelbar als fiktiv und damit als in der Realitätswahrnehmung inexistent markiert werden, die aber sehr wohl - nach der Ansicht der Herausgeber und Enzyklopädisten - einen Teil des (mythischen und exotistischen) Imaginariums der Aufklärung darstellen. Drei Einträge seien hier exemplarisch erläutert: jener zur peruanischen, goldenen Stadt „MANAO & DORADO“, jener zur Region des ginnistanischen „SCHADUKIAM“ mit der Hauptstadt sowie jener, der die Tempelanlage „TINAGOGO“ nahe der asiatischen Stadt Meydur beschreibt. Zunächst ist auffällig, dass die drei Einträge unterschiedlichen Wissensgebieten zugeordnet werden. Während „Manoa & Dorado“ als geografischer Begriff ausgewiesen wird, gehört „Schadukiam“ in den Bereich der modernen Geografie; „Tinagogo“ wird indes als „terme de relation“ 34 bezeichnet und nahe der Stadt Meydur im Land Brama verortet. Manoa & Dorado wird als „ville imaginaire“ 35 apostrophiert, die als Zufluchtsort der vor den Kolonialherren geflüchteten Peruaner gilt. Unterhalb des Äquators, am Ufer des Parime-Sees, sollen sie hier eine Stadt errichtet haben, in der sie große Schätze vor den Eroberern verbergen konnten. Diese imaginierte Stadt, deren Dächer und Mauern aus Gold bestehen sollen, wird als Fantasie gekennzeichnet und es wird sogleich ihre Funktion benannt: Sie dient dazu, die Habgier der spanischen Eroberer zu entlarven und ist also eine „chimere fondée sur la soif des richesses“. 36 Während noch 1745 M. de la Condamines Mémoires de l’académie des Sciences, année 1745, Vermutungen über den Ursprung des Mythos anstellt, ist die Stadt zwar in den Erzählungen und in der Fantasie lebendig, aber von allen Karten verschwunden: „Mais enfin cette ville fictive a disparu de toutes les anciennes cartes, où des géographes trop crédules l’avoient fait figurer autrefois, avec le lac qui rouloit sans cesse des sables de l’or le plus pur.“ 37 145 Dossier Während diese Stadt also als kolonialistisch-exotistischer Mythos Eingang in die Encyclopédie findet, stellt die Stadt Schadukiam ein Imaginarium einer menschlichen Sünde dar. Die Übersetzung des aus dem Persischen stammenden Stadtnamens „Schadukiam“ verweist auf die Imagination der menschlichen Sünde: „SCHADUKIAM, (Géog. mod.) c’est-à-dire le plaisir & le désir.“ Diese Gegend entstammt orientalischen Romanen, ist von Feenwesen bewohnt und hat als „royaume des fées, une capitale imaginaire, qu’ils appellent Ghevher-Abad, mot persien, qui signifie la ville des joyaux.“ 38 „Tinagogo“ schließlich wird von Jaucourt als Name einer indischen Götze identifiziert, die der Fantasie Fernand Mendez Pintos entspringt. Hier geht also eine fiktive Gottheit, zu deren Ehren ein prunkvoller Tempel im Königreich Brama in der Nähe der Stadt Meydur errichtet worden ist, auf einen Urheber zurück, der vermutlich aufgrund seiner Berühmtheit als portugiesischer Weltreisender (als ‚Entdecker ) und Schriftsteller nicht weiter eingeführt wird. Bemerkenswert ist dabei zum einen, dass auf Pintos Beschreibungen der Pilger und (die Techniken der) Märtyrer hingewiesen wird, zum anderen wird kritisch angemerkt, dass die Erläuterungen zu eben diesen Praktiken Eingang in eines der Vorläuferprojekte der Encyclopédie gefunden haben. Jene Ausführungen „forment peut-être l’article le plus long & le plus faux du dictionnaire de Trévoux.“ 39 Erneut wird auf die Fiktivität des beschriebenen Ortes hingewiesen: le lieu même de la scène est imaginaire. Les Géographes ne connoissent ni la ville de Meydur, ni le royaume de Brama ; tout ce qu’on sait de cette partie de l’Asie où les Européens n’ont pas encore pénétré, c’est qu’aux extrêmités des royaumes d’Ava & de Pégu, il y a un peuple nommé les Bramas, qui sont doux, humains, ayant cependant quelques loix semblables à celles du Japon; c’est à-peu-près tout ce que nous apprend de ce pays le voyage des peres Espagnac & Duchalz, jésuites.40 Zusammenfassend ist zu bemerken, dass das Wissen über die Stadt und die Stadt als Allegorie für das Wissen in der Encyclopédie diskursiv konstruiert werden und selbstreferentiell an das große Projekt der französischen Aufklärung gebunden sind. Damit dient die Stadt einerseits als Bildspender für den Aufbau der Encyclopédie und die Architektur der Artikel. Die Stadt fungiert andererseits in der Encyclopédie als ville idéale bzw. als Utopie, deren Beschreibungen sich weniger an zeitgenössischen Begebenheiten orientieren als vielmehr an idealisierenden, antiken Vorbildern. Zu diesem Idealbild der Stadt, das sich auch in der Ikonografie der Zeit wiederfindet, gesellt sich das Bild der Stadt der Aufklärung und damit eine politisierte, didaktische Darstellung der Stadt, wie sie sich aus dem Wissen der Menschen generiert. Damit ist die textuelle Repräsentation der Stadt weniger Abbild als Neukonstruktion, die stets den Diskurslogiken der Aufklärung unterliegt und mit deutlichen Wertungen der Autoren einhergeht. Dieses Wissen kann sogar so weit gehen, dass auch fiktive Städte Eingang in die Encyclopédie finden und somit eine Form von imaginiertem Wissen aufgenommen wird. An der Repräsentation der idealisierten Stadt im Artikel „VILLE“, ähnlich wie im Stadtplan von Turgot, der ästhetisierten Imagination im Artikel „PARIS“, an dem politisch-intendierten Eintrag 146 Dossier zur Stadt Genf und schließlich anhand der Artikel zu den fiktiven Städten zeigt sich, dass die diskursive Konstruktion der Stadt stets im Kontext der Aufklärungsdiskurse um die vernunftgeleitete politische und philosophische Emanzipation der Zeit steht. Die Wissenskonstruktionen, beziehen sie sich nun auf konkrete Städte oder auf fiktive, haben in dieser Perspektive weniger mit dem Referenten zu tun als mit den die Texte durchziehenden autoritätskritischen Diskurssträngen. So stehen Stadt und Wissen in der Encyclopédie in einem unmittelbaren Zusammenhang, der sich nicht durch die mimetische Nähe und die Referenzialität erschließt. In diesem Blickwinkel wird auch die Brisanz eines scheinbar so eindeutigen Falles wie dem der Darstellung der Stadt Genf augenfällig: Die Encyclopédie-Einträge stellen (auch und gerade auf der Basis der menschlichen ratio) keine neutral-additiven (und damit universalistischen) Deskriptionen sondern intentional-selektive Konstruktionen in der Zeit der Aufklärung dar. Und um die philosophisch-politische Ausrichtung dieser aufklärerischen Diskursformierung, um das Verhältnis von Wissen und Macht kann und muss sehr wohl gerungen werden. 1 Vgl. dazu bspw. Philipp Blom: Das vernünftige Ungeheuer: Diderot, d’Alembert, de Jaucourt und die große Enzyklopädie, Frankfurt/ M., Eichborn, 2005, S. 291sq. 2 Jean le Rond d’Alembert: Discours préliminaire de l’Encyclopédie (1751). Einleitung zur Enzyklopädie von 1751, hg. und eingeleitet von Erich Köhler, Hamburg, Felix Meiner Verlag, 1955, 86. 3 Dieser Ansatz verwendet eine am Foucault’schen Diskursbegriff geschulte Perspektive, die den Zusammenhang von sprachlicher (Re-)Präsentation und Machtmechanismen - hier im Sinne des aufklärerischen Projekts - in den Blick nimmt. Damit können weitere Diskurse, die die Encyclopédie bedingen bzw. deren textuelle Gestaltung durchziehen, in diesem Rahmen nicht berücksichtigt werden, wie bspw. in den Ausführungen von Thomas Cassirer, der die Stadtdarstellungen in der Encyclopédie zwischen den Diskursen um Luxus und dem Nutzen der Zivilisation einerseits und um die architektonische Verschönerung der Städte andererseits verortet (vgl. Cassirer, Thomas: „Awareness of the City in the Encyclopédie“, in: Journal of the History of Ideas, Vol. 24, N° 3, 1963, 387-396, 387. unter: www.jstor.org/ stable/ 2708214. Stand: 08.06.2011). 4 Denis Diderot: „ENCYCLOPEDIE“, in: Ders./ Jean Le Rond d’Alembert (eds.): Encyclopédie ou Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers, CD-ROM, 2000. 5 Robert Darnton: „Philosophen stutzen den Baum der Erkenntnis: Die erkenntnistheoretische Strategie der Encyclopédie“, in: Ders: Das große Katzenmassaker. Streifzüge durch die französische Kultur vor der Revolution, München, Hanser 1989, 219-290, 222. 6 Die Verbindung von Raum und Wissen ist nicht erst in der Aufklärung so virulent. In der Tradition der Enzyklopädien, die schon im Wort den Kreis und den Raum des Theaters in sich tragen, werden Raumstrukturen, Bilder vom Baum des Wissens oder dem Labyrinth reflektiert (vgl. dazu bspw. Darnton 1989, S. 222ff. oder d’Alembert: Discours préliminaire, S. 84,86); in der Rhetorik ist der Konnex zwischen Raum und Gedächtnis im Sinne der Memoria-Lehre bzw. als Mnemotechnik etabliert. 7 Nicolas Beauzée: „METAPHORE”, in: Denis Diderot/ Jean le Rond d’Alembert (eds.): Encyclopédie ou Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers, CD-ROM, 2000. 147 Dossier 8 Louis de Jaucourt: „VILLE”, in: Denis Diderot/ Jean Le Rond d’Alembert (eds.): Encyclopédie ou Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers, CD-ROM, 2000. Vgl. dazu bereits die Ausführungen von Cassirer 1963, bes. 391. 9 Vgl. Jean Ehrard: „La ville dans l’Encyclopédie: ville fermée, ville ouverte? “, in: Ders. (ed.): Etudes sur le XVIII e siècle, Paris, 1979, 31-39, 32. 10 Vgl. Ibid., 34. 11 Ibid., 32. 12 Vgl. dazu den Beitrag von Gisela Febel in diesem Dossier. 13 Louis de Jaucourt: „PARIS“, in: Denis Diderot/ Jean Le Rond d’Alembert (eds.): Encyclopédie ou Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers, CD-ROM, 2000. 14 Blom 2005, 30. 15 „Plan Turgot”. Kyoto University Library, Documents of French architectures and topography „Plan de Paris“ [19/ 24]. http: / / edb.kulib.kyoto-u.ac.jp/ exhibit-e/ f28/ image/ 01/ f28l0019/ f28l0019_3_2.html. Stand: 14.06.2011 16 Vgl. Blom 2005, 43. 17 Ibid., 30. 18 Vgl. Ibid., 41. Tatsächlich gibt es doch einige Darstellungen von Menschen auf dem Stadtplan: Diese sind allerdings überraschenderweise nur auf den Schiffen und Kähnen auf der Seine zu sehen. 19 In den Kupferstichen der Encyclopédie sind keine zeitgenössischen Stadtdarstellungen zu finden; Stadtansichten sind als antike Bauten (wie bei „ANTIQUITES“), kartografische Beispiele für die Kupferstichkunst bei „GRAVURE“ oder eingebettet in Landschaftsansichten bspw. bei „HISTOIRE NATURELLE“ sind in den Planches vertreten. Vgl. dazu die entspr. Planches in: Denis Diderot/ Jean le Rond d’Alembert (eds.): Encyclopédie ou Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers. CD-ROM, 2000. 20 Jean Le Rond d’Alembert: „GENEVE“, in: Denis Diderot/ Ders. (eds.): Encyclopédie ou Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers, CD-ROM, 2000. Denis Diderot/ Jean le Rond d’Alembert (eds.): Encyclopédie ou Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers, CD-ROM, 2000. 21 Ibid. 22 Ibid. 23 Ibid. 24 Ibid. 25 Vgl. Blom 2005, 289. 26 Jean Le Rond d’Alembert: „GENEVE“, in: Denis Diderot / Ders. (eds.): Encyclopédie ou Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers, CD-ROM, 2000. 27 Ibid. 28 Ehrard 1979, 34. 29 Louis de Jaucourt: „URBANITE ROMAINE“, in: Denis Diderot/ Jean le Rond d’Alembert (eds.): Encyclopédie ou Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers. CD-ROM, 2000. 30 Ibid. 31 Tatsächlich wird im Eintrag „CITOYEN“ nicht die Zugehörigkeit zu einer Stadt als primäres Merkmal des citoyen genannt sondern ihre Einbindung in die Gemeinschaft/ Gesellschaft: „c’est celui qui est membre d’une société libre de plusieurs familles, qui partage les droits de cette société, & qui joüit de ses franchises.“ Diderot, Denis: „CITOYEN“, in: Ders./ Jean le Rond d’Alembert (eds.): Encyclopédie ou Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers, CD-ROM, 2000. Vgl. dazu auch die Ausführungen von 148 Dossier Gladstone, Clovis: „Le citoyen dans l’Encyclopédie“, in: Dix-Huitième Siècle, 42, 2010, 581-597. 32 Ibid., 582. 33 Ibid., 592. 34 Louis de Jaucourt: „TINAGOGO“, in: Denis Diderot/ Jean le Rond d’Alembert (eds.): Encyclopédie ou Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers, CD-ROM, 2000. 35 Louis de Jaucourt: „MANOA & DORADO“, in: Denis Diderot/ Jean le Rond d’Alembert (eds.): Encyclopédie ou Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers, CD-ROM, 2000. 36 Ibid. 37 Ibid. 38 Louis de Jaucourt: „SCHADUKIAM“, in: Denis Diderot/ Jean le Rond d’Alembert (eds.): Encyclopédie ou Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers, CD-ROM, 2000. 39 Louis de Jaucourt: „TINAGOGO“, in: Denis Diderot/ Jean le Rond d’Alembert (eds.): Encyclopédie ou Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers, CD-ROM, 2000. 40 Ibid. Résumé: Karen Struve, Le savoir-ville dans l’Encyclopédie, vise à éclaircir la relation entre la construction du savoir et la représentation de la ville dans l’Encyclopédie de Diderot et de d’Alembert. Dans cet ouvrage-clé des Lumières, la ville remplit plusieurs fonctions: elle sert d’allégorie de la structure des entrées dans l’Encyclopédie même; elle est également représentée dans des articles consacrés à des villes concrètes et imaginées. L’analyse des articles consacrés à la „VILLE“, „PARIS“, „GENEVE“, ainsi que ceux portant sur plusieurs endroits fictifs permet de conclure que l’image de la ville dans L’Encyclopédie est moins une reproduction mimétique et objective d’une ville réelle qu’une production intentionnelle, intégrée dans les mécanismes discursifs philosophiques et politiques du XVIII e siècle. 149 Dossier Susanne Greilich Stadträume der Romantik Repräsentationen, Perspektiven und Funktionen der Stadt in den literarischen Reisetexten Gérard de Nervals „Et puis, pourquoi n’en serait-il pas d’une littérature dans son ensemble, et en particulier de l’œuvre d’un poëte, comme de ces belles vieilles villes d’Espagne, par exemple, où vous trouvez tout: fraîches promenades d’orangers le long d’une rivière; larges places ouvertes au grand soleil pour les fêtes; rues étroites, tortueuses, quelques fois obscures, où se lient les unes aux autres mille maisons de toute forme, de tout âge, hautes, basses, noires, blanches, peintes, sculptées; labyrinthes d’édifices dressés côte à côte, pêle-mêle, palais, hospices, couvents, casernes, tout divers, tous portant leur destination écrite dans leur architecture; marchés pleins de peuple et de bruit […].“1 Victor Hugo, Les Orientales 1. Einleitung Als Spiegel der menschlichen Seele und Fluchtpunkt angesichts der Erfahrung von Verlassenheit und Vereinzelung des Individuums spielten Naturbetrachtung, Naturerlebnis und Naturbeschreibung in der Lyrik, der Erzählwie auch der Reiseliteratur der Romantik unbestreitbar eine zentrale Rolle und sind seit Langem Untersuchungsgegenstand der Forschung. Die Natur als locus amoenus der Romantik ist ein Topos sowohl der populären Wahrnehmung wie auch der kritischen Literatur, demzufolge die ländliche Abgeschiedenheit einer ursprünglichen, gottgegebenen Schöpfung dem romantischen Ich Ruhe, Reinheit, körperliche und seelische Gesundheit, Individualität und Tugendhaftigkeit versprach, wohingegen die Lärm, Schmutz, Krankheit, Vermassung und Sittenlosigkeit verkörpernde Stadt verdammenswert und ablehnungswürdig wäre. 2 Bereits ein Blick auf Victor Hugos Vorwort zu seiner Gedichtsammlung Les Orientales, dem das oben stehende Zitat entnommen ist, lässt indes eine solche Verabsolutierung zweifelhaft erscheinen. Macht Hugo in seinem Roman Notre- Dame de Paris das Paris des späten 15. Jahrhunderts zum Ausgangspunkt eines Entwurfs der Universalstadt, in der eine Konkretisierung der progressiven Universalpoesie Schlegels und ergo der romantischen Poesie zu erkennen ist, 3 so dient ihm die andalusische Stadt mit ihrer mozarabischen Architektur und ihren gotischen Sakralbauten in der Préface zu den Orientales als Metapher für die neue, romantische Dichtkunst und Literatur. Dieser Befund rechtfertigt eine eingehendere 150 Dossier Beschäftigung mit der Rolle der Stadt in der Literatur der französischen Romantik nicht nur, er legt sie vielmehr dringend nahe. Jüngere Analysen haben denn auch das durchaus ambivalente - also keineswegs nur negativ-ablehnende - Verhältnis der europäischen Romantik zur Stadt in den Mittelpunkt des Interesses gerückt und hierbei zum einen die Motivgeschichte des Stadt-Land-Gegensatzes und seine Verhandlung in der Romantik fokussiert, zum anderen die literarische Darstellung von Gegensätzen, die der Stadterfahrung selbst inhärent sind, beleuchtet. 4 Auch sind imaginäre Topographien und utopische Stadtentwürfe, etwa bei Jean Paul oder Gogol, exemplarisch untersucht worden. 5 Vor dem Hintergrund des aus den Geo- und Sozialwissenschaften importierten spatial turn, der inzwischen in besonderer Weise für die Literaturwissenschaft anschlussfähig gemacht worden ist, 6 sind jüngst auch übergeordnete Aspekte der Beziehung zum Raum bzw. der Verhandlung von Raum für die Literatur und Kunst der Romantik beleuchtet worden. 7 Ausgehend von der Prämisse, dass auch für die Romantik Raum, Zeit und Bewegung nicht unabhängig voneinander konzeptualisiert werden können und dem Raum für kollektive wie individuelle Identitätsbildungsprozesse, wie sie in der Romantik als einem „Zeitalter revolutionärer Umwälzungen der politischen und sozialen Systeme und tiefgreifender Umstrukturierungen der kulturellen Ordnung“ 8 wirksam wurden, eine zentrale Bedeutung zukommt, erscheint die Literatur der Romantik als ein geeignetes Objekt, um die neuen Raumkonzepte, wie sie im Gefolge des spatial turn diskutiert werden, zu erproben. Es gilt zu untersuchen, welche Beziehungen zwischen Raum, Zeit und Identitätsbildung bestehen, wie also „Selbstverortung“ in der Romantik stattfindet: 9 Geradezu insistierend wird in literarischen Texten der Romantik die Frage nach der Identität des Subjekts und dem Verhältnis von Gegenwart und Vergangenheit als Frage nach dem ‚Wo‘, nach der Position oder dem Ort in Zeit und Raum formuliert. Denn was sich in temporaler Perspektive als Beschleunigung und Mobilisierung, als Entkoppelung von Tradition und Erwartung und als Umstellung auf Innovation und Zukunftsreferenz umschreiben lässt, wird ‚im Horizont‘ der Zeit auch und entscheidend als ein [...] vollständiger ‚Umsturz‘ der topographischen ‚Ordnung der Dinge‘ verhandelt, der zu euphorischen Erfahrungen der Erweiterung und Entgrenzung ebenso wie zu dysphorischen Zuständen der Dislozierung und Desorientierung führt10 so umreißen Inka Mülder-Bach und Gerhard Neumann in ihrer Einleitung zu Räume der Romantik die zentrale Untersuchungsperspektive. Die Romantik habe, so Mülder-Bach und Neumann weiter, die Raumordnung der aufklärerischen Vernunft nicht nur in ein „dezentralisiertes und instabiles topographisches Gefüge“ transformiert, zugleich habe der Raum auch seine „Selbstverständlichkeit“ eingebüßt, seien Formung und Konstruktion dessen, was einst als Raum fraglos gegeben schien, in den Blick gerückt. 11 Die neueren Untersuchungen zum Raum in der Romantik haben nicht nur die ästhetischen Verfahren der Raumdarstellung, Brechung und Streckung von Perspektiven, Fokussierung und Diffusion, Verdichtung und Dissemination fokussiert, sondern auch den Zusammenhang zwischen Identität und Definition des Subjekts 151 Dossier und seiner Verortung im Raum untersucht. Es hat sich gezeigt, dass moderne Raumtheorien wie die Michel Foucaults zur Heterotopie oder postkoloniale Untersuchungsperspektiven wie Edward Saids imaginative geography für die Beschreibung des Funktionszusammenhangs zwischen Raumkonstruktion und Identitätsverortung fruchtbar genutzt werden können. 12 Das Interesse am Raum in der Romantik schreibt sich hierbei keineswegs nur in die Tradition des spatial turn ein, sondern lässt sich ebenfalls in Relation zu einer neuen Fokussierung auf „Wirklichkeit“ und Körperlichkeit begreifen und untersuchen, so etwa in Hinblick auf die Dialektik zwischen symbolischer Raumkonstruktion und physischer Raumerfahrung. Insbesondere Reiseberichte, die an der Schwelle zwischen fiction und faction stehen - und von denen die Literatur der französischen Romantik bekanntermaßen eine Fülle bereithält -, bergen ein besonderes Potential in Hinblick auf die Vermittlung individueller physischer und symbolischer Raumerfahrungen und der damit verknüpften Identitätsentwürfe. Der Zusammenhang zwischen symbolischer Raumkonstruktion des „Orients“, der physischen Raumerfahrung im Zuge der Orientreise und der Verortung des Ichs wurde an anderer Stelle bereits am Beispiel von Gérard de Nervals Voyage en Orient untersucht. 13 Die Analyse hat gezeigt, dass die konkrete, topographische Erfahrung des symbolisch präfigurierten Raumes „Orient“ für den auteurnarrateur vielfach Enttäuschungen bereitgehalten hat, der Ich-Erzähler der Voyage en Orient aber durch die imaginative Vernetzung mit abwesenden, imaginären Räumen zu einer Verortung seiner Selbst in einem utopischen Sehnsuchtsort des „Dazwischen“ gelangt. Der vorliegende Beitrag schlägt eine Brücke zwischen den skizzierten Forschungsansätzen zum Raum und der neueren Fokussierung auf die Verhandlung der Stadt in der Literatur der Romantik. Er rückt die Bedeutung der Stadt, der heimischen französischen wie der fremdländischen (deutschen, niederländischen, orientalischen) Stadt, in den Reisetexten Gérard de Nervals (Lorely, Voyage en Orient, Promenades et Souvenirs) in den Mittelpunkt und untersucht, welche Rolle der Stadt als Ganzes sowie spezifischen städtischen Orten im Kontext der „Selbstverräumlichung“ 14 des Ichs in der Gattung des literarischen Reiseberichts zukam. Ein besonderer Fokus liegt hierbei auf dem inszenierten physischen Verhältnis des Erzähler-Ichs zur Stadt. Schließlich fragt der Beitrag nach der Stadt als Chiffre für die romantische Ästhetik im Werk Nervals. 2. Blick von oben, Blick von unten: Stadtperspektiven und Stadterfahrungen Stadtbeschreibungen bzw. die Beschreibungen einzelner Stadtviertel und städtischer Orte nehmen in den Reisetexten Gérard de Nervals eine durchaus bedeutende Rolle ein. In Lorely (1852) und Voyage en Orient (1851) verarbeitet Nerval jeweils die Erfahrungen und Eindrücke verschiedener Orient- und Europareisen zu einem Gesamttext. 15 Dutzende kleinerer oder größerer Städte, die er in den Jah- 152 Dossier ren 1838 bis 1852 tatsächlich persönlich bereist hat, werden darin namentlich erwähnt. Darunter erfahren in Lorely die Städte Straßburg, Baden-Baden, Frankfurt, Heidelberg, Weimar, Köln, Brüssel, Antwerpen, Den Haag und Amsterdam eine ausführlichere Betrachtung; in Voyage en Orient werden Konstanz, München und Wien, Kairo, Beirut, Akkon und Konstantinopel eingehender beschrieben, während die Bemerkungen zu Genf, Lausanne und Bern zu Beginn des Textes eher knapp ausfallen. Schließlich rückt Nerval am Anfang seiner Promenades et Souvenirs Paris in den Mittelpunkt. Der Blick, den der Ich-Erzähler in allen Texten auf die Stadt richtet, oszilliert hierbei zwischen einer distanzierten Betrachtung aus der Ferne und von oben und der Erfahrung des städtischen Raums „von unten“. „La journée était superbe, et j’ai pu monter à la citadelle pour juger la ville d’un seul coup d’œil“, 16 eröffnet der Erzähler etwa in Lorely seine Beschreibung des städtischen Panoramas von Liège, bevor er in die Gassen der Stadt zurückkehrt, um die Viertel zu Fuß zu erkunden - „l’occupation la plus amusante que puisse souhaiter un voyageur“. 17 Dem Blick aus der Distanz - sei es der auf Liège oder der auf Frankfurt-Sachsenhausen, Mainz, Konstanz oder Beirut - kommt in den Reisetexten eine spezifische Funktion zu. 18 Er erfasst weniger ein touristisches Panorama, denn eine traumgleiche Vision des Ich-Erzählers, in der die Betrachtung der Stadt aus der Distanz zu einem Instrument wird, um sowohl Gefühle romantischer Erhabenheit heraufzubeschwören wie jene imaginäre Welten des romantischen Deutschlands oder des Orients, die der Erzähler bereits im Vorfeld der Reise entworfen hatte. Die deutsche, niederländische oder orientalische Stadt wird zu einem Bestandteil der „géographie magique“ des Ich-Erzählers, eines „monde fantastique“, 19 dessen Vision in der Erzählung vielfach durch Nebel, das Zwielicht der Morgen- oder Abenddämmerung oder Hitzeschleier als traumhaft markiert wird. So erscheint dem Erzähler Heidelberg, „ville […] riante et brumeuse“, 20 gleichsam als Essenz des Romantischen; Brüssel betrachtet er ebenso im Licht des Sonnenuntergangs wie Frankfurt und Konstanz. Das Bild Konstantinopels schließlich flammt allein bei der Nennung des Namens einer Fata Morgana gleich vor dem inneren Auge des Erzählers auf: „j’entrevoyais déjà, comme en un mirage, la reine du Bosphore parmi ses eaux bleues et sa sombre verdure“. 21 Der traumhaften Erscheinung der Stadt werden die konkreten Erfahrungen des städtischen Raums in den Reisetexten entgegengesetzt. Korrespondiert die Vision der romantischen Stadt mit dem Blick aus der Distanz, so wird die Schilderung erfahrener Realität mit dem Erleben der Stadt aus einer Perspektive der Nähe und „von unten“ verknüpft. Beide Perspektiven, die der Distanz und die der Nähe, alternieren in den Stadtbeschreibungen und erzeugen jenes eigentümliche, zwischen rêve und réalité sich entspinnende Spannungsverhältnis, das nicht nur die lyrischen Texte Nervals, sondern auch seine Reiseberichte kennzeichnet. Die Erkundung der Stadt aus der Nähe bedeutet nämlich in vielen Fällen für den Erzähler eine Enttäuschung angesichts des zuvor Imaginierten - ein Umstand, dessen sich der Erzähler völlig bewusst ist: „[…] à chaque pas que nous faisons dans le monde 153 Dossier réel, ce monde fantastique perd un de ses astres, une de ses couleurs, une de ses régions fabuleuses. Ainsi, pour moi, déjà bien des contrées du monde se sont réalisées, et le souvenir qu’elles m’ont laissé est loin d’égaler les splendeurs du rêve qu’elles m’ont fait perdre“, 22 erklärt er bereits zu Beginn der Lorely hellsichtig. Den Perspektiven-, respektive Fokuswechsel zwischen Ferne und Nähe, Vision und Realität der Stadt verdichtet Nerval in der Beschreibung von Konstanz im Voyage en Orient derart, dass die mit der Veränderung der Perspektive (von oben nach unten), dem Fokus (vom Panorama zum Detail) und der Tiefenschärfe einhergehende Bewusstseinsveränderung des Ich-Erzählers dem Leser nahezu greifbar vor Augen steht: Je t’ai dit comment, en descendant des gorges de montagnes du canton de Zurich, couvertes d’épaisses fôrets, je l’avais aperçus de loin, par un beau coucher de soleil, au milieu de ces vastes campagnes inondées de rayons rougeâtres, bordant son lac et son fleuve comme une Stamboul d’Occident; je t’ai dit aussi combien, en approchant, on trouvait ensuite la ville elle-même indigne de sa renommée et de sa situation merveilleuse. J’ai cherché, je l’avoue, cette cathédrale bleuâtre, ces places aux maisons sculptées, ces rues bizarres et contournées, et tout ce Moyen Âge pittoresque dont l’avaient douée poétiquement nos décorateurs d’opéra; eh bien! tout cela n’était que rêve et qu’invention […].23 Um den städtischen Raum aus der Nähe zu erfahren, erkundet der Ich-Erzähler die Stadtviertel zu Fuß. Er inszeniert sich auf seinen Streifzügen durch Wien, Baden-Baden, Straßburg oder Weimar, Kairo oder Konstantinopel als flâneur, dessen Rolle er von der eines Touristen deutlich unterscheidet: „Je fais ici une tournée de flâneur et non des descriptions régulières“, bemerkt er explizit zu Beginn der Sensations d’un voyageur enthousiaste. 24 Verzichtet er in Europa auf die Benutzung eines Wagens, so lehnt er es auf seinen Streifzügen durch Kairo ab, die für europäische Touristen üblichen Pferde oder Esel zu besteigen; auch hier begibt er sich zu Fuß mitten in die Menge der Händler, Handwerker und Käufer auf den Bazaren: „J’étais rentré dans les rues populeuses, et je fendai la foule étonnée de voir un Franc à pied et sans guide dans la partie arabe de la ville.“ 25 Der Ich-Erzähler ist ein Flaneur im Sinne Walter Benjamins, der die Stadt allein erkundet. 26 Seine Bewegung durch den Raum - ohne Hast, doch stetig vorantreibend - erlaubt ihm einerseits eine detailgenaue, statische Betrachtung städtischer Orte und Architektur aus der Nähe. Andererseits lässt sie ihn wiederholt in Folge der panoramatischen Betrachtung der Stadt aus der Bewegung heraus in einen rauschhaften Zustand gelangen, in dem die Überlastung durch optische Eindrücke dem Erzähler zu einem Rückzug aus der gerade erst entdeckten Realität verhilft. Der Erzähler schließt den Leser in die Erkundung des Raumes sprachlich ein („passons“, „nous tournons à gauche, puis à droite“, „hâtons-nous“, etc.), lenkt den Blick des Lesers, wie auch der Reisende seine Blicke gelenkt hat („Voici à gauche...“, „Voici à droite...“) und lässt ihn an dem durch die Vielfalt der optischen und akustischen Eindrücke ausgelösten Zustand des Rausches, der dem eines Traums 154 Dossier nahekommt, vermittels einer beinahe atemlosen Beschreibung und eines impressionistischen Stils teilhaben: La nuit est tombée: des groupes mystérieux errent sous les ombrages et parcourent furtivement les pentes de gazon des collines. Au milieu d’un vaste parterre entouré d’orangers, la maison de conversation s’illumine, et ses blanches galeries se détachent sur le fond splendide de ses salons. A gauche est le café, à droite est le théâtre, au centre l’immense salle de bal, dont le lustre est grand comme celui de notre Opéra; la décoration intérieure est peut-être d’un style un peu classique, les statues sentent l’académie, les draperies rappellent le goût de l’Empire, mais l’ensemble est éblouissant, et la cohue qui s’y presse est du meilleur ton. L’orchestre exécute des valses et des symphonies allemandes, auxquelles la voix des croupiers ne craint pas de mêler quelques notes discordantes. Ces messieurs ont fait choix de la langue française, bien que leurs pontes appartiennent en général à l’Allemagne et à l’Angleterre. ‘Le jeu est fait, messieurs, rien ne va plus! Rouge gagne! Couleur perd! Treize, noir, impair, et manque! ‘27 Als spezifisch für den städtischen Raum erscheint in diesem Kontext die Erfahrung der Enge und der Masse: die Enge der Gassen der Stadt wie die (moderne) Enge, die durch die Menschenmengen hervorgerufen wird, die - etwa anlässlich eines Festes oder Marktes - in die Stadt strömen oder sich im Wirtshaus versammeln. Zur Einsamkeit, die der Erzähler bei seinen Wanderungen durch das Rheintal, seinen Streifzügen durch die Seitenstraßen der Städte oder als alleiniger Passagier in Postkutschen und Zügen erfährt, stellt die Erfahrung der Enge und des physischen Kontakts mit dem Raum und den ihn im konkreten wie übertragenen Sinne bevölkernden Menschen einen notwendigen Kontrast dar: Hoffmann parle d’un promeneur solitaire qui avait coutume de rentrer dans la ville à l’heure du soir où la masse des habitants en sortait pour se répandre dans la campagne, dans les brasseries et dans les bals […] - Il était forcé alors de s’ouvrir avec ses coudes et ses genoux un chemin difficile à travers les femmes en toilette, les bourgeois endimanchés, et ne se reposait de cette fatigue qu’en retrouvant une nouvelle solitude dans les rues désertes de la ville. Je songeais à ce promeneur bizarre le 9 mai dernier, me trouvant seul dans le wagon de Mons à Bruxelles, tandis que les trains de plaisirs, encombrés de voyageurs belges, se dirigeaient à toute vapeur sur Paris. Il me fallut fendre encore une foule très pressée pour sortir de l’embarcadère du Midi et gagner la place de l’Hôtel-de-Ville.28 Die in den Straßen der Stadt versammelte Menschenmenge, die foule, bietet dem Flaneur Asyl, Schutz, Heimat. Da er sich unter lauter Fremden befindet - Nerval spricht explizit von der „foule que je ne verrai plus“ -, gewährt sie ihm zugleich Anonymität und die Möglichkeit des Rückzugs in sich selbst. 29 Trotz und gerade wegen der Menschenmenge bleibt der flanierende Reisende in der Stadt ein Einzelgänger, ein Individualist. Der Kontakt mit der foule verstärkt die aus der Wahrnehmungsperspektive der Bewegung heraus resultierende optische Reizüberflutung und fügt ihr neben akustischen Reizen im wahrsten Sinne des Wortes sensorische „Ein-Drücke“ auf die Haut hinzu. Zugleich erlaubt es die Beobachtung der Menschenmenge der Gassen und Straßen, Märkte und Wirtshäuser dem Ich-Er- 155 Dossier zähler, sich jenem „wahren“ Orient oder Deutschland anzunähern, die er im Vorfeld der Reise auf der Grundlage der Lektüre anderer Reiseberichte präfiguriert hatte. Erst im zufälligen Kontakt mit der foule der Gassen stellen sich Erlebnisse ein, deren Realisierung sich der Erzähler erhofft hatte und die als zentral für die Identitätsverortung des Ichs erscheinen: die Erfahrung der Sinnlichkeit und Spiritualität des Orients, die Erfahrung des volkstümlichen Deutschlands. „Me voilà en pleines Milles et une nuits“, ruft der Erzähler in der Enge des Bazars begeistert aus, nachdem ihn die verlassen erscheinenden Straßen Kairos zuvor noch in Schwermut versetzt hatten. 30 „Comme tout cela est allemand et romantique! et tout cela est vrai pourtant...“ kommentiert der „voyageur enthousiaste“ im Angesicht Heidelbergs „pleine d’étudiants, de cafés et de brasseries“. 31 Die durch flânerie und foule ausgelöste physische Erfahrung des städtischen Raums erlauben also eine symbolische Rückbindung des Ichs an Deutschland oder den Orient - in diesem Sinne ist es an dieser Stelle tatsächlich präziser wie Behrens von einer „Selbstverräumlichung“ des romantischen Ichs statt von seiner „Verortung“ zu sprechen 32 - eine symbolische Rückbindung, die abermals von der für das Werk Nervals charakteristischen Dualität von Realität und Traum geprägt ist. So wie die foule dem Reisenden nämlich einerseits die Beobachtung landestypischer Gebräuche und volkstümlicher Praktiken im Hier und Jetzt erlaubt, so verstärkt sie andererseits die innere Distanz des Ich-Erzählers zur Realität und führt zum Rückzug in imaginäre Welten. Nicht umsonst wird die Erfahrung der foule im Text mit Passagen ruhiger Einsamkeit alterniert und kommen physischer Kontakt und körperliche Enge verschiedentlich einer Art Initiationserlebnis gleich, an die sich in der Erzählung die Schilderung traumgleicher Erfahrungen anschließt, die dem Hier und Jetzt der Reise deutlich enthoben sind und auf die Imagination verweisen. Zeit (Nacht) oder Ort (Garten) der Handlung markieren die Erzählpassagen zusätzlich als traumhaft. So gelangt der Ich-Erzähler im Voyage en Orient mitten in die Menschenmenge eines Hochzeitszuges, nachdem er ein Labyrinth enger und staubiger Straßen hinter sich gebracht hat. 33 Hier lüften sich erstmals „Maske und Schleier“ - so der Titel des entsprechenden Kapitels im Voyage en Orient - und der Ich-Erzähler kann sich der orientalischen Frau annähern. Auch dem Abenteuer im Besestain-Viertel, bei dem der Erzähler zwei tief verschleierten Frauen vom Bazar zu ihrem Haus folgt und schließlich in das Innere des häuslichen Harems eingeladen wird, geht die Erfahrung der foule voraus. Als ihn in der idyllischen Abgeschiedenheit des Rosetta-Gartens schließlich durch die Begegnung mit einer jungen Koptin die Vision der Vereinigung mit einer idealen, spirituellen Partnerin ereilt, hat er ebenfalls zuvor die anlässlich des koptischen Palmfestes mit Menschenmengen gefüllten Straßen der Stadt durchquert. 34 Der Ich-Erzähler der Reisetexte Nervals ist jedoch nicht nur Flaneur, sondern - wie die Ausführungen bereits angedeutet haben - auch Wandersmann im Sinne Certeaus. 35 Er will die deutsche, holländische, belgische oder orientalische Stadt, will das romantische Deutschland und den romantischen Orient „von unten“ erfahren, in dem Sinne, dass er der Präfiguration von oben, den Topoi und Stereotypi- 156 Dossier sierungen der Prätexte, die ,echte‘ Erfahrung und die Realität entgegensetzen möchte. Dieses Bestreben, das auf den ersten Blick im Widerspruch zum Bemühen des Ich-Erzählers um die romantische Verklärung der deutschen und orientalischen Stadt steht, ist charakteristisch für die Reisetexte Nervals. Die unterschiedlichen Perspektiven und Beziehungen zum städtischen Raum - zwischen der Betrachtung aus der Nähe und der Distanz, zwischen Flanerie und Realität des Wandersmanns - im Werk Nervals gestalten also ein Wechselspiel zwischen Mystifizierung und De-Mystifizierung. Auch in Hinblick auf das in den Reisetexten entworfene Verhältnis zwischen Stadt und Natur lässt sich eine solche Ambivalenz konstatieren. 3. Repräsentationen des städtischen Raumes 3.1 Die Stadt als Dorf Es überrascht zunächst nicht, dass dem Erzähler der Promenades et souvenirs, der Lorely und der Voyage en Orient die Zeichen (früh-)moderner Urbanität Unbehagen bereiten (man denke hier etwa an die Beschreibung Wiens oder an das Bedauern des Erzählers über die Modernisierung Kairos) 36 und sich die Darstellung der Stadt als eine weitgehend durch die Absenz von Urbanität und beginnender industrieller Moderne charakterisierte Beschreibung des Raums liest. Ins Zentrum der Narration geraten jene Orte und Schauplätze innerhalb einer Stadt, die durch ihren ländlich-natürlichen Charakter geprägt sind und in der Erzählung idyllischparadiesische Züge annehmen können. So gemahnt die Beschreibung des Montmartre, auf den sich Nerval nach seiner Deutschlandreise zurückzieht, an eine pastorale Szenerie: il nous reste encore un certain nombre de coteaux ceints d’épaisses haies vertes, que l’épine-vinette décore tour à tour de ses fleurs violettes et de ses baies pourpres. Il y a là des moulins, des cabarets et des tonnelles, des élysées champêtres et des ruelles silencieuses bordées de chaumières, de granges et de jardins touffus, de plaines vertes coupées de précipices, où les sources filtrent dans la glaise, détachant peu à peu certains îlots de verdure où s’ébattent des chèvres, qui broutent l’acanthe suspendue aux rochers. Des petites filles à l’œil fier, au pied montagnard, les surveillent en jouant entre elles.37 Der Rosetta-Garten in Kairo, in dem der Ich-Erzähler auf die junge Koptin trifft, wird als „Eden mystérieux“ charakterisiert, auch der Schlosspark in Weimar wird mit paradiesischen Attributen belegt und erscheint als Rückzugsort inmitten des „mouvement de la cité“, als Ort schöpferischer Inspiration für den Dichter. 38 Dieser Befund bestätigt also zunächst den Topos vom romantischen locus amoenus Natur, der im Kontrast zur Stadt gestaltet wird. Die Beschreibung insbesondere der von Nerval bereisten deutschen und niederländischen Städte gemahnt oftmals nicht an die eines urbanen Zentrums, sondern an die eines Dorfes. „Mme de Staël disait de Weimar: ‚Ce n’est pas une ville, c’est une campagne où il y a des maisons‘“, so ruft Nerval dem Leser - in freier Abwandlung eines Zitats aus De 157 Dossier l’Allemagne - die Charakterisierung der ostdeutschen Stadt durch die französische Autorin ins Gedächtnis. 39 Er schreibt sich damit in die für die Romantik charakteristische Stilisierung dörflicher Gemeinschaft als eines von den Verderbtheiten der Stadt noch unangetasteten Raumes ein. Germaine de Staël weist Weimar, der „literarischen Hauptstadt Deutschlands“, im Originaltext ebenfalls einen solchen moralisch überlegenen, dörflichen Charakter zu. Auch die Beschreibung des Montmartres zu Beginn der Promenades et Souvenirs von Nerval kann als Variation dieses romantischen Motivs bewertet werden. Die ländlich-pastorale Idylle, die Nerval mit Blick auf den Mont de Mars entwirft, wird in der Wahrnehmung des Ich-Erzählers von der sich ausbreitenden Stadt bedrängt, die den letzten Rückzugsort des romantischen Ichs sintflutartig fort zu reißen droht: „Les maisons nouvelles s’avancent toujours, comme la mer diluvienne, qui a baigné les flancs de l’antique montagne, gagnant peu à peu les retraites où s’étaient refugiés les monstres informes reconstruites depuis par Cuvier.“ 40 Trotz der konstatierten Präsenz typisch romantischer Motive wie dem der Natur als locus amoenus und des Dorfes als idyllischer Raum in den Texten Nervals kommt der Stadt nicht nur die Bedeutung eines negativ besetzten Kontrapunkts zur Natur zu. Vielmehr entfaltet die Stadt ihre Funktion hinsichtlich der Verortung des romantischen Ichs auch und insbesondere im harmonischen Wechselspiel und im Einklang mit der Natur. 3.2 Die Stadt als Kristallisationspunkt der impression complète Fällt der erste Besuch des Rheins für den Ich-Erzähler beispielsweise noch eher frustrierend aus - zu seiner Überraschung und Enttäuschung fließt der Rhein nicht etwa direkt durch Straßburg, sondern kann erst nach einem anstrengenden Fußmarsch erreicht werden (und auch dann erhält er eigentlich nur als Grenze zu Deutschland mit seinen Verheißungen eine Bedeutung) - und gestaltet sich auch die Wanderung durch den Schwarzwald weniger aufregend als erwartet - keine Räuber in der Einsamkeit der Wälder, sondern vielmehr beschilderte, gut besuchte Wanderwege, die von ein wenig wunderlichen Zeitgenossen bevölkert werden -, so entfaltet die deutsche Natur, entfalten Flüsse und Wälder erst in Kombination mit der Stadt ihren Zauber. 41 Ganz typisch liest sich etwa die Beschreibung des Blicks auf Frankfurt von der Mainlust aus: Du pavillon élégant qui domine ce jardin on admire une des plus belles perspectives du monde, la vue de Francfort s’étendant sur la rive gauche, avec ses quais bordés d’une fôret de mâts, et du faubourg de Sachsenhausen, situé à droite, qu’un pont immense joint à la ville; des palais aux riantes terrasses, de longues suites de jardins et des restes de vieilles tours embellissent les bords du fleuve, où le soleil couchant se plonge comme dans la mer, tandis que la chaîne du Taunus ferme au loin l’horizon de ses dentelures bleuâtres. C’est une de ces belles et complètes impressions dont le souvenir est éternel; une vieille ville, une magnifique contrée, une vaste étendue d’eau: spectacle qui réunit dans une harmonie merveilleuse toutes les œuvres de Dieu, de l’homme et de la nature.42 158 Dossier Erst im Angesicht der harmonischen Verbindung städtischen und natürlichen Raumes stellt sich ein Gefühl romantischer Erhabenheit ein. Die Beschreibung einer in ihre natürliche Umgebung harmonisch eingebetteten Stadt ist ein ganz charakteristisches Motiv der literarischen Reisetexte Nervals, ähnliche Beschreibungen finden sich etwa von Konstanz, Mainz, Heidelberg, Frankfurt-Sachsenhausen, Liège und Beirut. 3.3 Die Stadt als zeitlich und kulturell markierter Raum Die Stadt entfaltet in der harmonischen Verbindung mit der Natur ihre Bedeutung, tut dieses jedoch auch losgelöst und unabhängig von ihr. Insbesondere als Ort kultureller Praktiken, als durch Bauwerke und Denkmäler zeitlich und kulturell markierter Raum, nimmt die Stadt einen besonderen Stellenwert im Vergleich zur gleichsam zeitlosen Natur ein. Zwei Hauptfunktionen lassen sich der Stadt bzw. spezifischen städtischen Räumen hierbei in Hinblick auf die Selbstverräumlichung des Ichs zuschreiben: Zum einen dient die Stadt mit ihren Bauwerken und Denkmälern als Erinnerungsreservoir der Vergangenheit - sei es die gotische Architektur, wie sie Nerval gerade in den deutschen und niederländischen Städten sucht, das literarische Erbe des deutschen Sturm und Drang, respektive der Romantik oder das Erbe der Antike und die Ursprünge des Christentums, auf deren Spuren er sich anlässlich seiner Orientreise begibt. In der Stadt ist es viel eher als in der Natur möglich die Zeit im Raume zu lesen, um den bekannten Titel von Karl Schlögel zu zitieren, 43 die Enttäuschungen der Moderne durch die Erinnerung an die Vergangenheit zu überwinden: „à chaque pas, on retrouve les souvenirs des grands hommes qui ont aimé ce séjour“ schreibt Nerval beispielsweise mit Blick auf Weimar. 44 Zum anderen entfaltet die Stadt ihre Bedeutung als Ort, an dem kulturelle Alterität erfahren und erlebt werden kann. Insbesondere der fremdländischen Stadt kommt hier eine spezifische Funktion zu. Die von Nerval und einer Vielzahl anderer Schriftsteller der Romantik bereisten Länder sind präfigurierte, mit Imagination aufgeladene Räume. Für Deutschland sind es bekanntlich Mme de Staëls De l’Allemagne, für den Orient Lamartines Voyage en Orient und Chateaubriands Itinéraire de Paris à Jérusalem, die das romantische Deutschland und den Orient als Raum konstruierten und als Sehnsuchtsort entwarfen: Orient wie romantisches Deutschland wurden beide mit der Funktion eines Gegenmodells zur zeitgenössischen französischen Gesellschaft belegt. Die Reisen Nervals, die real durchgeführten wie die literarisch entworfenen, sind Reisen auf den präfigurierten Wegen der literarisch-imaginären Räume de Staëls, Lamartines und Chateaubriands und gestalten sich als eine Suche nach der Erfahrung des „Anderen“, vermittels dessen das romantische Ich sich selbst verorten möchte. Das Andere des romantischen Deutschlands und des Orients manifestiert sich keineswegs nur in der Naturlandschaft der deutschen Wälder und Flusstäler, sondern auch in den deutschen, niederländischen und orientalischen Städten: in der Architektur ihrer Häuser, dem Labyrinth ihrer Gassen („dès qu’on pénètre dans les rues, on retrouve 159 Dossier avec plaisir cette physionomie de ville gothique qu’on a rêvée pour Francfort“), den volkskulturellen Praktiken, die im Gasthaus und Teehaus („C’est dans les brasseries, le dimanche, qu’il faut observer la partie la plus grouillante de la population“), auf dem Bazar und dem Markt („dans les villes anciennes, il faut chercher d’abord le quartier où se tiennent les halles; là est le noyau, l’alluvion de trois siècles, la population caractéristique“ 45 ) beobachtet und erfahren werden können und die während der volkstümlichen Kirmes einen besonderen Höhepunkt finden. 3.4 Die Stadt als Chiffre für die romantische Ästhetik Dient die andalusische Stadt mit ihren engen Gassen und ihrer einem Labyrinth ähnlichen Bebauung, ihren Plätzen und Flüssen, ihrer reichen Flora und ihrer verschiedenen Religionen, unterschiedliche Epochen, Altes und Modernes, Groteskes und Sublimes vereinenden Architektur bei Victor Hugo als Metapher für die Ästhetik der romantischen Poesie, so setzt Nerval in seinen Reisetexten die Erfahrung und Betrachtung genau dieser städtischen Orte durch den Ich-Erzähler ein. Real erlebt und imaginiert, Erfahrungsraum kultureller Alterität und Projektionsfläche der Innerlichkeit, nimmt die Stadt auch bei Nerval jene metaphorische Bedeutung für das Romantische an, wie sie Hugo in den Orientales für die „vieilles villes d’Espagne“ entwirft. Insbesondere in Lorely sind die zahlreichen Verweise auf die Theater- und Opernwelt nicht zu übersehen. Die deutsche, holländische und belgische Stadt ist hierbei beileibe nicht nur bloßer Raum, der Theater- und Opernbühnen beherbergt, an denen deutsche wie französische Produktionen zur Aufführung kommen, vielmehr wird die Stadt selbst für Nerval zur Bühne, ihre Einwohner zu Darstellern in einer Oper. Über Baden-Baden hebt sich der Theatervorhang über der Stadt bei der Ankunft des Ich-Erzählers erst langsam („Une longue allée de peupliers d’Italie ferme, ainsi qu’un rideau de théâtre, cette décoration merveilleuse qui semble être la scène arrangée d’une pastorale d’opéra.“ 46 ) und die Trachten der Elsässerinnen erscheinen dem Erzähler „dignes de figurer dans les opéras“. 47 Die Stadt wird zum Aufführungsort besonderer Spektakel: religiöser Prozessionen (Einzug der Pilgerkarawane aus Mekka in Kairo, Mariä Himmelfahrts- Prozession in Köln) und - allen voran - der Kirmes, die volkstümliches Brauchtum, Groteskes wie Sublimes in sich vereint. Besonderen Eindruck macht auf den Erzähler die Kirmes von Den Haag, die er - es versteht sich von selbst - bei Einbruch der Nacht erreicht. Hier erschafft das Volksfest eine Stadt in der Stadt, tritt die „ville en briques“ mit ihren Theaterbühnen in Konkurrenz zur Budenstadt, der „ville en bois“ der Kirmes, die zur Bühne einer „véritable comédie en plein vent“ wird: „Les grandes rues, les larges places, les promenades, s’effacent pour représenter l’aspect tumultueux d’une capitale immense, - et leur attitude, ordinairement paisible, n’est plus qu’un cadre obscur qui raffermit l’effet de ces décorations inouïes“. 48 Die Budenstadt der holländischen Kirmes kann - wie Hugos andalusische Stadt - analog als Metapher für die romantische Poesie gedeutet werden. 160 Dossier 4. Fazit Eine Lektüre der Reiseberichte Gérard de Nervals unter den Gesichtspunkten der Darstellung des städtischen Raums und seiner Funktion für die identitäre Verortung des Erzählers lässt erkennen, dass der Stadt im Unternehmen der Selbstverräumlichung des Ichs ein besonderer Stellenwert zukommt - ein Befund, der auf den ersten Blick erstaunt, führt man sich den noch immer weitverbreiteten Topos von der Rolle der Natur als locus amoenus und Fluchtpunkt des romantischen Individuums vor Augen. Urbanität und Zeichen großstädtischer Moderne, wie sie sich insbesondere in der veränderten Architektur und im Straßenplan der belgischen Städte, aber zunehmend auch in Kairo oder Beirut finden, erzeugen denn auch beim Erzähler zunächst den (vom Leser der Texte) erwarteten Widerwillen, auch das romantische Motiv vom Dorf als von den Verderbtheiten der Stadt noch unverschonten Raumes findet sich in den Texten Nervals wieder. Ihre zentrale Bedeutung entfaltet die Stadt aber nicht als Gegenpol zur Natur, sondern im harmonischen Einklang mit ihr. Als Kristallisationspunkt der impression complète vermag die in die Natur eingebettete Stadt beim Erzähler Gefühle romantischer Erhabenheit auszulösen und ihn zur rêverie einzuladen. Im Wechselspiel der distanzierten Wahrnehmung der Stadt aus der Ferne und ihrem Erleben aus der Nähe, zugleich als Wandersmann wie als Flaneur, entfaltet sich schließlich das für das nervalsche Werk charakteristische Spannungsfeld von Traum und Realität. Die konkrete Erfahrung der fremden Stadt wird zum Spiel mit den Kategorien des topographischen und des imaginären Raums. Die Erfahrung der fremden Stadt „von unten“ dient dazu, den präfigurierten, mit Topoi und Stereotypen beladenen Räumen des Orients und des romantischen Deutschlands das „Echte“ des eigenen Erlebens entgegenzusetzen - ein Vorhaben, das nicht nur zu einer Korrektur und Distanzierung insbesondere der Orienttopoi verschiedener Prätexte führt, sondern die „géographie magique“ des Ich-Erzählers selbst zum Einsturz zu bringen droht. Zugleich erweist sich der städtische Raum als geeignet und notwendig, den vollständigen Verlust der „géographie magique“ zu verhindern. Dem durch die Gassen und Straßen der europäischen und orientalischen Städte flanierenden Reisenden offerieren sich nicht nur konkrete Möglichkeiten der Erfahrung von kultureller Alterität, von Religiosität und Spiritualität, von volkstümlichem Brauchtum, die Flanerie durch die Stadt erlaubt ihm auch „die Zeit im Raume“ zu lesen und auf den Ruinen der Realität eine neue, imaginäre Stadt zu bauen: „je reconstruisais mon Caire d’autrefois au milieu des quartiers déserts ou des mosquées croulantes! Il me semblait que j’imprimais les pieds dans la trace de mes pas anciens“, 49 heißt es explizit im Voyage en Orient. Die aus der Bewegung der Flanerie resultierende Überflutung mit optischen Eindrücken, die durch die Menschenmassen der Städte zusätzlich verstärkt wird, löst schließlich jenen Rückzug aus der Realität, jene innerseelische Projektion aus, in der das romantische Ich seinen wahren Ort findet. 161 Dossier 1 Victor Hugo: Œuvres poétiques, Bd. I: Avant l’exil 1802-1851, hg. v. Pierre Albouy, Paris, Gallimard, 1964, 19. 2 Vgl. die kritische Bewertung dieses Topos durch Höhne, in: Horst Höhne: Die Stadt der Romantiker. Paradoxien einer Hassliebe. Frankfurt/ Main, Peter Lang, 2005, 9-34. 3 Karlheinz Stierle: „Progressive Universalpoesie und progressive Universalstadt. Friedrich Schlegel und Victor Hugo“, in: Gerhart von Graevenitz (Hg.): Die Stadt in der europäischen Romantik, Würzburg, Königshausen & Neumann, 2000, 183-194, 190sq. 4 Vgl. hierzu etwa: Höhne, op. cit.; Graevenitz, op. cit., insbesondere die darin enthaltenen Aufsätze von Patricia Oster: „George Sand, une ‚Paysanne de Paris’. Stadterfahrung zwischen Idylle und Moderne“, 195-213, und Aleida Assmann: „Die Stadt zwischen Erlebnisraum und Alptraum. Thomas de Quinceys Streifzüge durch London“, 215-225. 5 Vgl. die Beiträge in Graevenitz, op. cit. von: Heinz Brüggemann: „Luftbilder eines kleinstädtischen Jahrhunderts. Ekstase und imaginäre Topographie in Jean Paul: Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch“, 127-182, und Renate Lachmann: „Stadt als Phantasma. Gogols Petersburg- und Romentwürfe“, 227-250. 6 Vgl. insbesondere: Wolfgang Hallet/ Birgit Neumann (Hg.): Raum und Bewegung in der Literatur. Die Literaturwissenschaften und der spatial turn, Bielefeld, transcript, 2009; Verena Dolle/ Verena Neumann (Hg.): Zum „spatial turn“ in der Romanistik, München, Michael Meidenbauer, 2009; Gesine Müller/ Susanne Stemmler (Hg.): Raum - Bewegung - Passage. Postkoloniale frankophone Literaturen, Tübingen, Gunter Narr, 2009. 7 Vgl. Inka Mülder-Bach/ Gerhard Neumann (Hg.): Räume der Romantik, Würzburg, Königshausen & Neumann, 2007; Walter Pape (Hg.): Raumkonfigurationen in der Romantik. Eisenacher Kolloquium der Internationalen Arnim-Gesellschaft, Tübingen, Niemeyer, 2009; Jörn Steigerwald/ Rudolf Behrens (Hg.): Räume des Subjekts um 1800. Zur imaginativen Selbstverortung des Individuums zwischen Spätaufklärung und Romantik, Wiesbaden, Harrassowitz, 2010. Zum gleichen Thema fand ferner vom 7.-8. Mai 2010 in Regensburg eine Table Ronde unter dem Titel „Die (Neu-)Vermessung romantischer Räume: Raumkonzepte der französischen Romantik vor dem Hintergrund des spatial turn“ (veranstaltet v. D. Schmelzer, M. Hertrampf) statt, der der vorliegende Beitrag wertvolle Anregungen verdankt. 8 Mülder-Bach/ Neumann, op. cit., 7. 9 Wenngleich Michel Foucault in Des espaces autres bekanntermaßen die mit der Romantik einsetzende Episteme der Geschichte als primär zeitfokussiert betrachtet und erst für die (Post-) Moderne eine raumdominante Episteme der Lage („emplacement“) postuliert, verweist auch Foucault im weiteren Text bereits darauf, dass - wie Dünne formuliert - „das historische Apriori […] de facto immer schon auf einer räumlichen (wie auch zeitlichen) Grundlage zu verstehen“ ist (vgl. Jörg Dünne: Einleitung, in: Dünne/ Günzel, op. cit., 292). Explizit heißt es bei Foucault: „Il faut cependant remarquer que l’espace qui apparaît aujourd’hui à l’horizon de nos soucis, de notre théorie, de nos systèmes n’est pas une innovation; l’espace lui-même, dans l’expérience occidentale, a une histoire, et il n’est pas possible de méconnaître cet entrecroisement fatal du temps avec l’espace.“ Vgl.: Michel Foucault: „Des espaces autres“, in: Architecture, Mouvement, Continuité, n° 5, octobre 1984, 46-49, zitiert nach: Michel Foucault: Dits et écrits 1954-1988, t. IV: 1980- 1988, hg. von Daniel Defert, François Ewald, Jacques Lagrange, Paris, Gallimard, 1994, 752-762, 753sq. 10 Mülder-Bach/ Neumann, op. cit., 7. 11 Ibid. 162 Dossier 12 Vgl. beispielsweise: Christian Schmitt: „In der Kutsche: Heterotoper Raum und heterogene Gemeinschaft in Achim von Arnims »Isabella von Ägypten«“, in: Pape, op. cit., 223- 235; Susanne Greilich: „Imaginativer und imaginärer Raum. Der Orient Gérard de Nervals“, in: Müller/ Stemmler, op. cit., 33-47, sowie: Barbara Thums: „Das Kloster als imaginierte Heterotopie um 1800“, in: Steigerwald/ Behrens, op. cit., 37-51. 13 Vgl. Greilich, op. cit. 14 Den Begriff entleihe ich bei Rudolph Behrens: „Räumliche Dimensionen imaginativer Subjektkonstitution um 1800 (Rousseau, Senancour, Chateaubriand)“, in: Mülder-Bach/ Neumann, op. cit., 28-63, 28sq. 15 So basiert Voyage en Orient insbesondere auf den Erfahrungen der Orientreise des Jahres 1843 sowie einer Reise nach Deutschland, Österreich und in die Schweiz, die Nerval von Ende Oktober 1839 bis März 1840 unternommen hatte. Lorely ist vor allem aus den Erlebnissen seiner gemeinsamen Reise mit Alexandre Dumas nach Deutschland im August und September 1838 hervorgegangen; Nerval verarbeitet insbesondere im letzten Teil der Lorely aber auch Erfahrungen weiterer Reisen nach Deutschland, Belgien und Holland. Noch kurz vor der Veröffentlichung der Lorely war Nerval im Mai 1852 von einer Kurzreise nach Holland zurückgekommen. 16 Gérard de Nerval: Lorely. Souvenirs d’Allemagne, in: Œuvres complètes, t. III, hg. v. Jean Guillaume, Claude Pichois, u.a., Paris, Gallimard, 1993, 183. 17 Ibid., 184. 18 Für die entsprechenden Textpassagen vgl. Lorely, 179, 34-35 und 53, sowie: Gérard de Nerval: Voyage en Orient, hg. v. Jean Guillaume, Claude Pichois, Paris, Gallimard, 1998, 58-60, 373. 19 Lorely, 14, und Voyage en Orient, 61. 20 Lorely, 43. 21 Vgl. die entsprechenden Passagen in: Lorely, 43, 187, 35 und Voyage en Orient, 60, 341. 22 Lorely, 14. 23 Voyage en Orient, 60. 24 Lorely, 15. Vgl. auch: Lorely, 38: „ La même raison m’interdirait la description intérieure de Mannheim, si je n’étais pas habitué à traverser les villes en flâneur plutôt qu’en touriste.“ 25 Voyage en Orient, 176. 26 In diesem Sinne ist die Inszenierung als Alleinreisender, die Nerval im Voyage en Orient vornimmt (seinen Begleiter Fonfrède erwähnt er mit keinem Wort) und die sich - trotz mehrerer flüchtiger Verweise auf Alexandre Dumas - auch für die Lorely konstatieren lässt, als Element seiner Inszenierung als Flaneur zu verstehen und weniger als Ausdruck eines Bemühens um literarische Emanzipation. Vgl. zu letztgenannter Deutung Lise Schreier: Seul dans l’Orient lointain. Les voyages de Nerval et Du Camp, Saint- Etienne, Publications de l‘Université de Saint-Etienne, 2006. 27 Lorely, 30. 28 Ibid 194. 29 Ibid., 38. 30 Voyage en Orient, 176. 31 Lorely, 43. 32 Vgl. Behrens, op. cit. 33 Vgl. Voyage en Orient, 148. 34 Ibid., 190ff. 163 Dossier 35 Vgl. Michel Certeau, L’invention du quotidien, Arts de faire [Troisième partie: Pratiques d’espace, Chap. VII: Marches dans la ville], hg. v. Luce Giard, Paris, Gallimard, 1990, 139-164, 141sq. 36 Voyage en Orient, 80f. und 311. 37 Gérard de Nerval: Promenades et Souvenirs, in: Œuvres complètes, t. III, hg. v. Jean Guillaume, Claude Pichois, u.a., Paris, Gallimard, 1993, 668. 38 Voyage en Orient, 190 und Lorely, 65. 39 Lorely, 65. 40 Promenades et Souvenirs, 668. 41 Vgl. die entsprechenden Textpassagen in Lorely, 13f., 24f. 42 Ibid., 34f. 43 Vgl. Karl Schlögel: Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik, Frankfurt/ Main, Fischer Taschenbuchverlag, 2006. 44 Lorely, 65. 45 Ibid., 35, 20, 184. 46 Ibid., 19. 47 Ibid., 28. 48 Ibid., 204f. 49 Voyage en Orient, 311. Résumé: Susanne Greilich, Les espaces urbains du romantisme, se propose d’analyser l’espace urbain dans l’œuvre de Nerval. L’article, qui s’inscrit dans le contexte de l’intérêt récent pour le motif de la ville tel qu’il est développé dans la littérature romantique européenne et fait référence aux théories de l’espace établies (Benjamin, Certeau, Schlögel), met en évidence le rôle de l’espace urbaine pour l’ancrage identitaire du narrateur dans un monde aussi bien réel qu’imaginaire. Le narrateur nervalien se met en scène comme flâneur et comme wandersmann. L’analyse vise à démontrer l’ambiguïté de sa relation avec la ville. Celle-ci, loin de servir uniquement comme symbole d’une modernité industrielle contestée, remplit de multiples fonctions: Aperçue de loin et en harmonie avec la nature, l’image de la ville invite à la rêverie romantique. Vécue de près, la „géographie magique“ du narrateur risque de s’estomper, mais la foule qui peuple la ville incite de nouveau à l’isolement, au retrait dans un monde imaginaire. Lieu par excellence d’une altérité culturelle stimulante, la ville sert de réservoir de mémoires d’un passé perçu comme idéal. 164 Dossier Romana Weiershausen Paris als theatraler Schauplatz in deutschen Texten über die Französische Revolution: Joachim H. Campe, Christian A. Vulpius und Ernst K. L. Ysenburg von Buri Bei der Französischen Revolution sind die deutschen Zeitgenossen Zuschauer. Man blickt nach Paris, wo sich Handlungen abspielen, die im eigenen Alltag kaum vorstellbar scheinen. Zwar gehört man nicht zu den Akteuren, aber der (ebenso vehement zustimmenden wie ablehnenden) Anteilnahme am epochalen Ereignis tut dies keinen Abbruch, im Gegenteil: Die Position des unbeteiligten Beobachters, der als Reisender Augenzeuge wird oder Berichte anderer liest, erlaubt Projektionen, die nicht durch politische Handlungsnotwendigkeiten eingeschränkt werden. 1 Mit Bezug auf den zeitgenössischen Diskurs spricht Norbert Otto Eke von der „deutschen ‚Geisterrevolution‘“, 2 die sich anstelle politischen Handelns anderer Ausdrucksformen bedient: publizistischer und literarischer, wobei letztere als Form uneigentlichen Sprechens einen größeren Freiraum ermöglichen. Fragt man nach den Bildern der Stadt Paris, ist auffällig, wie oft sie in den Texten über die Revolution explizit als theatraler ‚Schauplatz‘ inszeniert wird. 3 An der Schwelle zwischen allegorischen (theatrum mundi-Tradition) und mimetischen Modi (jüngerer Paris- Diskurs) 4 ergibt sich für die Situation deutscher Texte über das revolutionäre Paris im späten 18. Jahrhundert eine spannungsreiche Überlagerung. An drei Texten unterschiedlicher Gattung soll im Folgenden dem Konnex zwischen realer Stadt und theatralem Raum nachgegangen werden: an Joachim Heinrich Campes Reisebericht Briefe aus Paris, Christian August Vulpius’ gattungsüberschreitenden Szenen aus Paris und dem bürgerlichen Trauerspiel Die Stimme des Volkes oder Die Zerstörung der Bastille von Ernst Karl Ludwig Ysenburg von Buri. Die drei Texte bieten sich für die vergleichende Zusammenschau besonders an, da sie zeitgleich in der Frühphase der Französischen Revolution entstanden sind. 1. Zwischen Beobachten und Darstellen: Joachim Heinrich Campes Briefe aus Paris Abgesehen von der Tages- und Wochenpresse wird dem deutschen Zeitgenossen das revolutionäre Paris zunächst über Reise- und Erfahrungsberichte begegnet sein, die mit Ausbruch der Revolution Konjunktur haben. 5 Joachim Heinrich Campes enthusiastische Briefe aus Paris, die als Separatdruck 1790 in der Braunschweiger Schulbuchhandlung erscheinen, gehören zu den frühesten Beispielen. 6 165 Dossier Campes Text, dessen Beginn textintern auf den 4. August 1789 datiert wird, akzentuiert ein Geschehen, das eigentlich nur als Fiktion denkbar sei: Ob es wirklich wahr ist, […] daß ich in Paris bin? Daß die neuen Griechen und Römer, die ich hier um und neben mir zu sehen glaube, wirklich vor einigen Wochen noch - Franzosen waren? Daß die großen, wunderbaren Schauspiele, die in diesen Tagen hier aufgeführt worden sind und noch täglich aufgeführt werden, keine Geschöpfe meiner Phantasie, kein Traum, sondern Thatsachen sind? 7 So eröffnet Campe seinen Reisebericht, der aus Briefen besteht. 8 Keine Ansicht der Stadt bietet der Einstieg, auch keine Beschreibung der Bewohner und ihrer Sitten, wie man es in der Nachfolge von Louis-Sébastien Merciers wirkungsmächtigem Tableau de Paris (1781-1788) 9 hätte erwarten können. Stattdessen akzentuiert Campe den Vorstellungsraum des Theaters. Indem er die französischen Bürger als „Griechen und Römer“, als Akteure in „Schauspielen“ in der Stofftradition der klassizistischen heroischen Tragödie, beschreibt, greift Campe zunächst einmal den französischen Revolutionsdiskurs auf, in dem es bekanntlich gängige Praxis war, Revolutionäre mit antiken Heroen (vor allem der Römischen Republik) zu analogisieren. Indem man diese Analogiebildung zwischen Paris und Rom mitträgt, wird es zudem möglich, über die Überlagerung der Städte einen gemeinsamen - sozusagen weltbürgerlichen - Bezugsrahmen aufzurufen: Paris lässt sich so an die Stelle eines ideellen Zentrums setzen, das den vielen vereinzelten deutschen Fürstentümern fehlt. 10 Ein besonderes Glück sei es, so Campe, in Paris zu sein, gerade jetzt, da aller Welt Augen auf diesen Mittelpunkt der größten und merkwürdigsten dermaligen Weltbegebenheiten voll Bewunderung und Erstaunen gerichtet sind; gerade jetzt da man hier aus dem dumpfen Zustande eines in langer schmähliger Knechtschaft verträumten Daseyns zu einem Leben erwacht ist, welches die Brutusse und die Cato’s selbst mitzuerleben sich nicht weigern würden.11 Über den Klassikbezug lässt sich an eine gemeinsame Kulturtradition anknüpfen und diese für die Gegenwart aktualisieren. Im zeitgenössischen Paris erwacht der Geist des antiken Roms, wie man ihn seit der Frühaufklärung auch auf deutschen Theaterbühnen zelebrierte. Und ganz im Sinne einer Bewunderungsdramaturgie, wie sie der Hauptlinie der Cato- und der Brutus-Dramen entspricht, werden von Campe auch für das reale ‚Schauspiel‘ theatrale Affekte aus dem Repertoire des Erhabenen aufgerufen: „gräulich schön“ seien die darzubringenden Begebenheiten. 12 Vielleicht das Entscheidende an dem aufgerufenen Bildbereich des Theaters ist, dass Campe damit einen Anschluss an erprobte Rezeptionsmuster schafft. Wie ist es möglich, sich die unerhörten Ereignisse in der Hauptstadt des Nachbarlandes vorzustellen? Über vergleichbare Erfahrungen verfügen die Leser, für die Campe schreibt, kaum, wohl aber kann er die Kenntnis von Theaterstücken über Tyrannen und Tyrannensturz voraussetzen. Die Nutzanwendung ist über diese Allusion mit aufgerufen: In der Aufklärung war man mit dem Drama wie keiner anderen Gattung 166 Dossier programmatisch angetreten, zur Verbesserung des Menschen anzuleiten. „Welch ein Schauspiel“, führt der Aufklärer Campe für die Ereignisse in Paris aus, „für den, der für Menschenveredelung und Menschenbeglückung noch unverdorbene Sinne, und ein warmes theilnehmendes Herz für alles hat, was das Emporkommen der großen Adamsfamilie angeht! “ 13 Die rhetorische Strategie ist nicht folgenlos für die präsentierten Inhalte: Die Revolution im Nachbarland wird zu einem Lehrstück, die Adressaten zum Theaterpublikum, das um die prinzipielle Distanz des Vorgeführten zur eigenen Lebensrealität weiß. Wenn Campe verspricht, dem Adressaten zum besseren Verständnis der Revolutionsgeschehnisse zunächst „behülflich zu seyn, sich die Bühne, worauf eins der größten politischen Schauspiele, welche die Welt in neuern Zeiten gesehen hat, jetzt aufgeführt wird, durch Hülfe Ihrer Einbildungskraft, soviel möglich, zu vergegenwärtigen“, 14 kann man kein realistisches Stadtbild erwarten, sondern eine Inszenierung, die darauf zielt, Ideen einen Anschauungsraum zu verschaffen. Wie aber verhält sich diese bewusste Konstruktion zum dokumentarischen Anspruch, der dem Text als Reisebeschreibung auf der anderen Seite auch eingeschrieben ist? Um „Thatsachen“ gehe es, wie Campe im Einstieg betont, „keine Geschöpfe“ der „Phantasie“. 15 Für Campes Briefe aus Paris ist eine innere Ambivalenz auszumachen. Das Leitbild des wohlgeordneten Dramas gibt einerseits Vorstellungshilfen, macht aber andererseits durch die Diskrepanz zu den als chaotisch empfundenen Eindrücken in der Metropole deutlich, welche miteinander konkurrierenden Anforderungen sich dem Schreiber stellen: Der Wahrnehmung des Ungeordneten steht die ordnende Vorstellung gegenüber, dem Abbilden das Darstellen. Dieses Spannungsverhältnis ist bereits bei Mercier, auf den Campe sich mehrfach bezieht, vorgezeichnet: Die Innovation in der Form, die der Diversität des real Gesehenen entspricht - un „Tableau“ „varié“, „crayonné d’après mes vues“ 16 -, steht der Vorstellung eines Ganzen gegenüber, das immer noch den Zielpunkt bildet: „J’ai quitté Paris pour mieux le peindre. Loin de l’objet de mes crayons, mon imagination l’embrasse & se le représente tout entier“. 17 Ein ähnliches Spannungsverhältnis findet sich bei Campe: Einerseits ist dem schreibenden Ich die konkrete Anschauung Anlass, Gegenstand und Legitimation seines Schreibprojektes, andererseits behindert sie es maßgeblich. „Wie soll ich es anfangen, die äußern Sinne zu verstopfen, um den innern Zeit und Raum zu verschaffen, den schon eingesammelten zu großen Vorrath neuer Vorstellungen, nur erst in so weit auseinander zu legen, daß das Gedächtniß ihn in seine Fächer aufnehmen kann? “ 18 Zum Lösungsweg wird hier das Schreiben selbst - dialogisch angelegt als imaginiertes Gespräch mit dem Gegenüber: „Ich glaube ein Mittel dazu gefunden zu haben. Eine Unterhaltung mit Ihnen […] wird mich, so lange sie dauert, empfindungslos gegen alle äußere Eindrücke machen.“ 19 Das Darstellungsproblem stellt sich umso nachdrücklicher, als es - vorgezeichnet durch den zeitgenössischen französischen Paris-Diskurs - nicht mehr um die Abbildung von Gebäuden geht, sondern Paris als Metonymie für die dort lebenden 167 Dossier Menschen ins Blickfeld rückt. In der Großstadt ist es die unüberschaubare Menschenmenge, die den Besucher beeindruckt und eine ordnende Beschreibung unmöglich erscheinen lässt. Straßen und Plätze gehen unter im „wogenden Menschenstrom“, dem „Rauschen“, das den Besucher umgibt, entspricht dem Wirrwarr der Eindrücke in seinem Kopf: „wie junge Bienenbrut“. 20 Spät erst erfolgen bei Campe eingehendere Beschreibungen von Örtlichkeiten, beginnend mit der Bastille und dem Palais Royal: Auch hier aber dienen die baulichen Details der Vorbereitung, zielt das eigentliche Interesse auf die Menschen und ihre Handlungen. Die Abkehr von topographischen Beschreibungen hin zu Innenansichten des Pariser Lebens ist bekanntlich bereits in Merciers aus vorrevolutionärer Zeit stammendem Text festzustellen. 21 Die eigene künstlerische Arbeit metaphorisiert Mercier über den Bildbereich der Malerei. Das „Tableau“, dem „figures vivantes“ Modell gestanden hätten, verweist - nicht zuletzt über die Verwendung des Begriffs in Diderots und auch in Merciers Dramentheorie - aber bereits auf den Bereich des Dramas, der dem bewegten Leben angemessen erscheint. 22 In Campes Schilderungen des revolutionären Paris wird dieser Impuls aufgewertet. Mercier gegenüber, von dem Campe wie andere deutsche Autoren, die über Paris schreiben, maßgebliche Anregungen gewinnt, ist seine Darstellung statt von der Zeichnung von Zuständen von der dynamischeren Theatermetaphorik geleitet - eine Tendenz, die sich auch in anderen Reisebeschreibungen aus dem Paris der Revolutionszeit wiederfindet und Ausdruck der Radikalität und raschen Folge der Veränderungen sein dürfte. Dem bisher Ausgeführten möchte ich nun einen Text gegenüberstellen, dessen Titel - Szenen in Paris - beim Lesepublikum zunächst ähnliche Erwartungen wecken mag wie die Reiseberichte, in dessen Mittelpunkt aber gerade fiktive Handlungen stehen, die mit Momenten Pariser Wirklichkeit angereichert werden. Seine Nähe zum Drama gewinnt dieser Text nicht aus der verwendeten Bildlichkeit, sondern über seine Form. 2. Zwischen den Gattungen: Christian August Vulpius’ Szenen in Paris Christian August Vulpius’ umfangreiche Szenen in Paris, während, und nach der Zerstörung der Bastille, die in fünf Sammlungen in den Jahren 1790 und 1791 erscheinen 23 und die er später mit den Neuen Szenen in Paris und Versailles fortsetzen wird (drei Bände, 1792-93), sind ebenso sehr ein beachtlicher Publikumserfolg wie sie bei den Rezensenten umstritten sind. Ein wesentlicher Grund für Erfolg wie auch Kritik dürfte die offensive Vermischung von Fiktion und zeitgeschichtlichem Hintergrund sein. 24 „[E]ine mit dichterischer Freiheit behandelte Geschichte“ nennt Vulpius seine Szenen, einerseits das Faktuale akzentuierend, indem er die Wahrhaftigkeit als Ziel, die Ausschmückung mit erdachten Figuren als „Kolorit“ ausgibt. 25 Andererseits betont er das Kompositorische, dessen eigentlicher Kern die fiktiven Geschicke eines Sekretärs seien, der in die Intrigen des Pariser Adels in 168 Dossier der Zeit des Bastille-Sturms gerät: „Die Begebenheiten dieses Mannes - ein Gemälde der Intrike, Kabale, Pariser Damenliebe, Rache und Eigenheit - in der Revolutions-Epoche sind es, die von erdichteten und wahren Episoden erhoben, das romantische Hauptgemälde dieser Szenen ausmachen“. 26 Dass die Erlebnisse des Sekretärs das „romantische Hauptgemälde“ bilden, muss allerdings erschlossen werden, „ohne daß“, so der Autor, „ich mit Fleiß deshalb den Lesern einen Wink gab“. 27 Das programmatisch ‚Romantische‘, das Fragmentarische und Vielfältige, dargebracht in „vermischte[r] Behandlungsart“, solle gleichzeitig den „Leser[n] […] eine Uebersicht über das Ganze, eine Aussicht in das Innre der Stadt Paris“ vermitteln. 28 Insgesamt handelt es sich um eine lose Aneinanderreihung von Handlungssequenzen mit wechselndem Personal (vom Hochadel bis zu Handwerkern und Schauspielern), die „mit historischen Evenements“ verknüpft und validiert werden. 29 Vulpius’ Szenen sind in gängigen Gattungsmustern kaum zu fassen: 30 Von der assoziativen Folge her erinnert das Konvolut an die Beschreibung städtischer Szenerien, wie sie sich etwa bei Campe finden oder eben auch schon in Merciers Tableau, das Vulpius als eine von vielen Quellen nennt. 31 Die Darstellungsweise wiederum ist dem Drama entlehnt: Gestaltet sind die Szenen ausschließlich über unvermittelte Dialoge. Zusammengehalten werden die zahlreichen Einzelszenen von gelegentlich wiederkehrenden Figuren und von der Tatsache, dass Paris die Schauplätze liefert. Diese Schauplätze sind ein wesentlicher Bestandteil der Authentifizierungsstrategie, mit der der Autor den realen Gehalt seiner Szenen zu beglaubigen sucht. Einzelnen Örtlichkeiten sind Fußnoten mit detaillierten bautechnischen und geschichtlichen Erläuterungen beigegeben, zum Pont Neuf etwa oder zur Rue La Ferronnerie - der „merkwürdige[n] Straße, in welche[r] der gute König Heinrich IV. 1610 von dem schändlichen Ravaillac ermordet wurde“, 32 ansonsten bleibt es bei Namensnennungen. Als Beitrag zur Dokumentation tatsächlicher Pariser Verhältnisse wurde Vulpius’ Text insgesamt nicht unbedingt aufgenommen. Adolph von Knigge schreibt in seiner Rezension in der Allgemeinen deutschen Bibliothek von 1791: Der größte Theil dieser Szenen, in welche kleine Romanenbruchstücke mit eingewebt sind, ist von der Art, daß sie eben sowohl in jeder andern großen Stadt und zu jeder andern Zeit hätten vorgehen können. Daß die Geschichte der Revolution durch das Ganze mit durchläuft, macht es aber freylich in dem gegenwärtigen Zeitpunkte verkäuflicher. Indessen leuchtet aus Allem sehr deutlich hervor, daß Hr. Vulpius kein Augenzeuge bey den Vorfällen in Paris gewesen […] ist […].33 Tatsächlich bleiben die Handlungsorte meist generisch: Am häufigsten sind Szenen in einem Zimmer eines hochherrschaftlichen oder bürgerlichen Hauses und Straßenszenen mit Menschen aus dem Volk. Die jeweilige Verortung auf dem Stadtplan von Paris wird der Szene in Form einer Überschrift mitgegeben und dient eher der Einordnung des sozialen Milieus der Figuren, als selbst Gegenstand der Darstellung zu sein: „Straße St. Germain, Assembleezimmer im Hotel der Marquise 169 Dossier St. O.“ oder „Wohnung des Marquis D. in der Straße St. Martin“, für das Dichterquartier dagegen „Straße St. Denys, Zimmer, fünf Stock hoch“ und ähnlich lauten die Angaben. 34 Vulpius bedient sich dabei der Stadtviertel als eines sozial-codierten Archivs. Beispielsweise bilden die Champs Elysées, in einer Fußnote als „sehr feuchte Allée“ geschildert, die „von den Fremden und gutwilligen Pariserinnen am stärksten besucht“ wird, 35 den Hintergrund für Gespräche zwischen leichten Mädchen (I, Szene 17) und zwielichtigen Geschäftemachern (II, Szene 38), die rue St. Honoré („wo so viele Modehändlerinnen wohnen“) 36 und die rue St. Victor („eigentlich eine Einöde in Paris, in welche[r] mehrenteils Schriftsteller und Künstler wohnen“) 37 für Bürger und ihre Frauen, Handwerker, Mönche und Künstler. Die erläuternden Fußnoten geben hier auch einen Beleg für die Vermischung fiktionaler und dokumentarischer Quellen: Die „Straße St. Honoré“ „wird den Lesern auch wohl schon, wenigstens aus den Romanen des Herrn Retif de la Bretonne, bekannt seyn“, notiert Vulpius, und zur „Straße St. Viktor“ vermerkt er: „Gute Gesellschaft vertieft sich, wie Bretonne sagt, nie dorthin.“ 38 Auch sprachlich wird typisiert: Die Künstler ergehen sich im Pathos antiker Kontexte, das einfache Volk verwendet grobe Ausdrücke, die feine Gesellschaft tändelnde Wortspiele. Auffallend häufig werden französische Begriffe gerade dann in die Figurenrede integriert, wenn es um den Ausdruck von Anzüglichkeiten geht: so bei den Zusammenkünften der Adligen, aber auch im Gespräch der leichten Mädchen auf den Champs Elysées. Der scheinbaren Wirklichkeitsnähe ist ein nationalchauvinistischer Zug inhärent, der nicht nur mit einer (offensichtlich ausgebrachten) Kritik an der Dekadenz des französischen Hofadels verbunden ist, sondern auch mit einer Distanzierung von der Revolution als einem französischen Phänomen. Die letzte Szene schließt mit der apokalyptischen Prophezeiung einer Figur, womit der letztlich antirevolutionäre Gestus der Szenen unterstrichen wird: es wird ein Schauplatz des Mordes und der Verwüstung, ein Aufenthalt der schrecklichsten Kabale und Mordsucht werden. Brüderblut wird in Strömen fließen, und die Edlen werden ihres Vermögens, ihrer Macht, ihres Ansehens beraubt werden. Eine gänzliche Revolution steht uns bevor. […] / Minna. Adolf! Du willst -? / Legationsrath. Fliehen. / Minna. Wohin? / Legationsrath. Nach der Schweiz, nach Deutschland, wo diese Freiheitsseuche, welche die Franzosen befallen hat, nimmer wüthen wird.39 Mit Bezug auf Mercier stellt Vulpius sein Werk im Nachwort in die Reihe der Sittengemälde, die er zu Charakterstudien verfestigt sehen will: „Die Karakteristik dieser Szenen“, so Vulpius, „soll eine Karakteristik der Franzosen überhaupt seyn.“ 40 Vor diesem Hintergrund erklärt sich nun allerdings auch die dramenähnliche Form: Folgt man Vulpius’ stereotypem Franzosen-Bild, das er im Anhang ausführt, so entspricht die Form des Schauspiels gerade dem Wesen des Franzosen: „Alles ist bei ihm geliehen […] und beinahe nichts, oder nur sehr wenig ist Natur. Ils veulent […] représenter. […] Der Franzose scheint sich immer zu ändern“, aber, führt Vulpius fort, im Kern bleibe er doch gleich, da sein Wesen gerade der Schein sei. „Seine Aufgeräumtheit“, so das Fazit, „ist blos äußerlich, leicht spielend, wurzelt aber selten in der Seele.“ 41 Will man ‚den Franzosen‘ angemessen präsentieren, 170 Dossier so ist mit Vulpius zu schließen, muss man ihn wie auf dem Theater auftreten lassen. Aber auch auf das französische Theater selbst bringt Vulpius einen Seitenhieb aus, indem er einen Theaterdichter an der Aufgabe verzweifeln lässt, ein Stück zeitgeschichtlicher Wirklichkeit, nämlich die Zerstörung der Bastille, in klassizistischer Form auf die Bühne zu bringen: „Der verdammte dritte und vierte Akt! ja! wenn ein Trauerspiel nicht fünf Akte haben müste! - […] Ich muß Episoden anbringen. Ja! wenn ich die Einheit der Zeit nicht beobachten müste, so lies ich das Stück, schon mit dem vorhergehenden Tage, anfangen. Aber es geht nicht an! Die Einheit des Ortes ist ohnehin schon lädirt.“ 42 Dass die künstlerische Misere eine spezifisch französische sei, betont (nicht ganz zutreffend) 43 die beigegebene Fußnote des Autors: „In Deutschland, haben wir diese und die folgenden Beschwerden, über welche der französische Dichter seufzt, schon längst mit Recht, aufgehoben.“ 44 Dem Schauspieler gegenüber, dem er Szenen des Dramas vorstellt, klagt der Dramatiker: „Wenn nur die Verse nicht wären! die Teutschen und Engländer, schreiben in Prosa, in reimlosen Versen, und wie sie wollen, ihre Trauerspiele. Aber bei uns, muß alles gereimt seyn. Und die Reime nehmen ganz erschrecklich viel Zeit weg. - O! Freiheit! wann wirst du einmal die Ketten der dramatischen Dichter, lösen! -“ 45 Es ist eine zusätzliche Pointe, dass das Alexandrinerdrama, das der Dramatiker schließlich zustande bringt, nicht aufgeführt werden kann, weil eine Schauspielerin mit ihrer Rolle nicht zufrieden ist: In dem Bastille-Stück mag sie, die inzwischen einen neuen, gesellschaftlich hochrangigen Verehrer hat, nicht spielen, weil sie „beschlossen“ hat, „keine einzige Rolle mehr zu spielen, wenn es nicht wenigstens die Rolle einer Prinzessin ist.“ 46 Im Leben wie in der Kunst werden die vorgeführten Franzosen ihrer eigenen revolutionären Wirklichkeit nicht gerecht. In einer anderen Szene wird schließlich ein englischer Gast auf die Frage, wie es ihm „jezt in dem bunten Paris“ gefalle, antworten: „Wahrlich! die Franzosen haben bei dem Schauspiele die Einheiten vergessen, so sehr sie sonst darüber zu halten pflegen.“ 47 Der Unterhaltungsschriftsteller Vulpius nutzt den Theaterkontext auf zwei Ebenen: darstellungstechnisch und inhaltlich. Neben dem dramatischen Modus, der unterhaltsame Unmittelbarkeit erzeugt und, wie der Autor selbst hervorhebt, den Gegenstand einem breiteren Publikum zugänglich mache, 48 unterstellt Vulpius inhaltlich den Franzosen eine prinzipielle ‚Theaterhaftigkeit‘: Das im zeitgenössischen Diskurs gängige Stereotyp 49 suggeriert den Kontrast zum ‚ernsthaften‘ Deutschen, der selbst noch in der Kunst wahrhaftiger zu sein verstehe. In der Verlängerung der Gedankenfigur steht der Autor selbst, der sich mit seinem Projekt der dramatischen Szenen als Dichter der ‚Wirklichkeit‘ stilisiert. Im Verhältnis von Dokumentation und Inszenierung als Schauspiel bleibt im Folgenden dritten Teil der Untersuchung nach der Theaterbühne selbst zu fragen. 171 Dossier 3. Paris im Drama: Ernst Karl Ludwig Ysenburg von Buris Die Stimme des Volkes oder Die Zerstörung der Bastille Mit der Französischen Revolution hielt auch in die deutschsprachige Dramatik eine Aktualität Einzug, die in diesem Ausmaß bislang unbekannt war. 50 Das Drama der Aufklärung hatte das Projekt der Verbesserung der Zuschauer zumeist über die Darstellung menschlicher Tugenden und Laster in Situationen jenseits expliziter zeitpolitischer Bezüge verfolgt. Eine etwaige Übertragung blieb dem Publikum überantwortet. Mit dem Sujet der Französischen Revolution wird zum ersten Mal in breitem Rahmen Zeitgeschichte auf der Bühne ausgetragen: häufig in fiktive deutsche Provinzen verlagert, gelegentlich aber auch direkt in Paris spielend. Die Stadt selbst wird allerdings auch hier selten dargestellt, meist vollzieht sich die Bühnenhandlung in Innenräumen, was der allgemeinen Tendenz der Dramenproduktion des 18. Jahrhunderts entspricht und nicht zuletzt den Bühnenbedingungen geschuldet sein dürfte. 51 Ein Beispiel, in dem Paris als Ort bereits etwas stärker modelliert wird, ist das Drama Die Stimme des Volkes oder Die Zerstörung der Bastille von Ernst Karl Ludwig Ysenburg von Buri, das 1791 im Druck erschien. 52 Auch hier spielen quantitativ die meisten Szenen in Innenräumen, vor allem im Haus der Familie de la Tour und in der Bastille. Sie werden aber flankiert von Handlungssequenzen in offener Pariser Stadtszenerie: den Tuilerien, der zur Bastille führenden rue Saint Antoine, dem Platz vor dem Rathaus. Offensichtlich wird vorausgesetzt, dass bereits mit der bloßen Nennung der Örtlichkeiten bei Lesern und Regisseuren eine Vorstellung verbunden ist: Auf weitere erläuternde Beschreibungen wird in den Regieanweisungen größtenteils verzichtet. Dies ist eine verbreitete Praxis in deutschen Texten über die Französische Revolution und verweist darauf, dass bestimmte Pariser Örtlichkeiten bereits topisch geworden sind - insbesondere die Bastille. 53 Startpunkt der Handlung ist das private Stadthaus des Grafen de la Tour. Als Familienvater und aufrechter Bürger ist er die positive Leitfigur, wenngleich auch er gewisse Schwächen zu überwinden hat: Er ist aufbrausend und voller Vorurteile Deutschen gegenüber. Weil der Graf im Siebenjährigen Krieg schlechte Erfahrungen mit Deutschen gemacht hat, will er einer Verlobung seiner Tochter mit dem deutschen Baron Woldenfels nicht zustimmen. Damit nimmt die Handlung ihren Ausgang im privaten Bezugsfeld, wie es auch die mitgegebene Gattungszuordnung als „bürgerliches Trauerspiel“ nahelegt. Ein weiterer Konflikt zeichnet sich ab zwischen Vater und Sohn: Während sich der Vater für die Bedürfnisse des hungernden Volkes gegen die sich bereichernden Aristokraten einsetzt, verkehrt der Sohn am Hofe Versailles. Damit wird im familiären Rahmen neben der nationalen Dimension die politische des Revolutionskontexts angelegt. Der Vater engagiert sich für eine Reformierung des bestehenden Systems: In einer Audienz versucht er, den von Hofintriganten absichtsvoll falsch informierten guten König über die wahre Situation aufzuklären. Versailles bleibt als Schauplatz 172 Dossier imaginierter Kontrapunkt: Es ist ein Machtbereich, der sich dem bürgerlichen Erfahrungshorizont entzieht und entsprechend nur indirekt über Botenberichte und Erzählungen präsentiert wird. Genauso ungreifbar wie der Ort erscheinen die mit ihm verbundenen Intrigen. Bevor de la Tour sein Unternehmen zu Ende führen kann, wird er in die Bastille verbracht, ohne Wissen des Königs wohlgemerkt. Damit scheint die Niederlage des aufrechten Bürgers besiegelt, die eigengesetzliche Unrechtsherrschaft des Hofes bestätigt. Doch die Bastille, Symbol unmenschlicher Willkürherrschaft, die den Schauplatz für den (Anagnorisis und Peripetie enthaltenden) dramaturgisch entscheidenden dritten Akt liefert, wird zum Ort der Bewährung und des inneren Triumphes der bürgerlichen Wertewelt: An diesem Ort jenseits der Gesellschaft werden durch Mitmenschlichkeit Ständeschranken und nationale Grenzen überwunden. Der Knecht erweist dem ehemaligen Herrn den größten Dienst, ebenso wie der Deutsche dem Franzosen. Ausgerechnet der Kerker wird zum Raum einer erweiterten Familienzusammenführung: Hier findet der Deutsche seinen Vater wieder, in dem de la Tour zugleich seinen früheren Wohltäter erkennt. Die Funktion der Bastille-Szenen als Wendepunkt wird unterstützt durch die sie flankierenden Szenen im Freien. Die vorangegangenen Szenen in den Tuilerien (II/ 1) und auf der zur Bastille führenden „Antoniusstraße“ (III/ 1) liefern weitere Beispiele des Unrechtssystems, während die Szene danach der sukzessiven Befreiung gilt und im Innenhof der Bastille (während der Erstürmung) stattfindet (IV/ 9). Indem den Innenraum-Szenen in der Bastille aber die Schlüsselstelle zukommt, konzentriert sich die Perspektive auf die innere Moral der Handlungsträger. Die Schlussszenen spielen schließlich im halboffen gestalteten Raum des Rathauses (IV/ 11-13): Es wird zum Ort einer neuen bürgerlich-mitmenschlichen Ordnung, die sich gegen die Willkürherrschaft des Hofadels richtet, nicht aber gegen den König als Vater des Volkes. Für den Umgang mit Pariser Schauplätzen ist dieser Schluss bemerkenswert. Im Gegensatz zu den anderen Orten, die genannt, aber in ihrer konkreten Ansicht nicht vorgestellt werden, wird in der Regieanweisung zu den Schlussszenen spezifiziert: „Der obere Theil des Rathhauses, das einen offenen Säulengang vorstellt. Im Hintergrunde der große Platz.“ Vielsagend ist die Fußnote, die dieser Regieanweisung folgt: „Ob das Haus wirklich so gebaut ist, darum bekümmert sich der Dekorateur nicht; genug wenn es so erbaut seyn könnte.“ 54 Hier spätestens wird offensichtlich, dass es nicht um realistische Stadtansichten geht. Der „offene […] Säulengang“ mit sicher nicht zufälliger Allusion an römische Architektur wird - spiegelbildlich das Haus der Anfangsszene wieder aufgreifend - als Haus der größeren Menschen-Familie inszeniert: Franzosen und Deutsche vereinigend, die Familie de la Tour und Bürger gleichen Geistes. Die Schauplätze, die der realen Stadt entlehnt sind, so lässt sich festhalten, dienen einer symbolischen Codierung. Die besondere Symbolkraft aber beruht auf dem Wissen um die tatsächliche Existenz dieser Orte, wobei die wirklichen Verhältnisse und Geschehnisse von der Dramenhandlung, die die realen Gegebenheiten auf ihre Weise deutet, überschrieben werden. Der Schluss des Dramas markiert über den Schauplatz den Übergang in den 173 Dossier idealen Raum, der aber nicht als Utopie präsentiert wird, sondern als in höherer Weise ‚wirklich‘: im Sinne von Aristoteles’ Plädoyer für die größere Wahrheitskraft der Dichtung gegenüber der Geschichtsschreibung, indem jene nicht den faktischen Spezialfall darstelle, sondern das prinzipiell Mögliche, das sich aus Wahrscheinlichkeit und Notwendigkeit ergebe. Das Pariser Rathaus könnte als römische Halle gebaut sein und gerade darum beansprucht das Bühnenbild einen Wirklichkeitsanspruch jenseits der realen Gebäudearchitektur. Als symbolischer Austragungsort sozialer Auseinandersetzungen, darauf hat nicht zuletzt Stephen Greenblatt aufmerksam gemacht, eignet sich das Theater aufgrund seines öffentlichen Aufführungscharakters in besonderem Maße. 55 Wo, wie im Fall deutscher Bürger, die Teilhabe am politischen Geschehen unmöglich war, war die Theaterbühne als alternatives Verhandlungsmedium prädestiniert. Dramen wie das Buris sind ein Beispiel dafür. Dies führte in der Folge dazu, wie Gert Sautermeister betont, dass der „deutsche Aufklärer […] öffentliche Kommunikation bislang vor allem literarisch [erlebte] und […] in der Schaubühne die Vorstufe einer nationalen Öffentlichkeit [sah]“. 56 Wenn Campe und andere das revolutionäre Paris als ‚Schauplatz‘ metaphorisieren, so nimmt dies auch Bezug auf eine in Paris praktizierte Öffentlichkeit, die im deutschen Raum nur auf dem Theater Platz hatte. 4. Fazit Die Folie der Theaterbühne eröffnet einen Vorstellungsraum, in dem die Dokumentation realer Zeitgeschichte mit einer symbolischen Dimension versehen wird: Aus der bloßen Nachricht wird potenziell etwas Bedeutsames. Dies allerdings manifestiert sich in den drei Textbeispielen auf sehr verschiedene Weise. Campe nimmt in seinem Reisebericht den Startpunkt von einem realen Geschehen, das er mittels der Theatermetapher verdichtet und ordnet, während Buri mit seinem Drama den umgekehrten Weg beschreitet: Indem Buri sein Stück nicht mehr nur im fiktiven oder historisch weit entfernten Raum spielen lässt, sondern reale Orte eines zeitpolitischen Geschehens aufruft, wird die Relevanz des Theaters als Deutungsmedium für die eigene Wirklichkeit verstärkt. Vulpius schließlich bedient sich des größeren Gestaltungsfreiraums der szenischen Präsentation, die es ihm erlaubt, dokumentarische Elemente und erdachte Geschichten beliebig zu kombinieren und dabei den Wahrheitsgehalt des Dargestellten in der Schwebe zu halten. Bei aller - auch textsortenabhängigen - Verschiedenheit, in der die Stadt jeweils als theatraler Ort inszeniert wird, bleibt eines festzuhalten: Alle drei Texte sind für ein deutsches Publikum geschrieben, und sie nutzen das als Schaubühne imaginierte revolutionäre Paris für die Auseinandersetzung mit eigenen, deutschen Positionen. Campes enthusiastische Parteinahme für den miterlebten politischen Aufbruch, Vulpius’ ironische Distanzierung von französischer Exaltation und Buris Sympathielenkung zugunsten eines Vorkämpfers für eine menschlich-gerechte 174 Dossier Herrschaft akzentuieren dies unterschiedlich. Ihnen gemeinsam ist ein (selbst im Unterhaltungskontext strategisch hervorgehobener) didaktischer Subtext, der auf die Nutzanwendung des ‚Geschauten‘ für die eigene Situation zielt. Dabei entsteht eine durchaus neuartige Wechselwirkung zwischen symbolischem Ort und realer Stadt, die sich nicht mehr auf das eine oder das andere eindeutig festlegen lässt. 1 Cf. Gert Sautermeister: „Literarischer Messianismus in Deutschland. Politische Ästhetik im Banne der Revolution (1789-1914)“, in: Harro Zimmermann (ed.): Schreckensmythen, Hoffnungsbilder: die Französische Revolution in der deutschen Literatur, Frankfurt a. M., Athenäum, 1989, 122-161, hier 122sq. 2 Norbert Otto Eke: Signaturen der Revolution. Frankreich - Deutschland: deutsche Zeitgenossenschaft und deutsches Drama zur Französischen Revolution um 1800, München, Wilhelm Fink, 1997, 42. Der Begriff „Geisterrevolution“ geht auf Johann Baptist Gleich zurück (cf. ibid., Anm. 31). 3 Cf. Lothar Bornscheuer: „Schreckensbilder und Farcen. Das ‚Schauspiel‘ der Französischen Revolution“, in: Lothar Bornscheuer (ed.): Revolutionsbilder: 1789 in der Literatur, Frankfurt a. M. [u.a.], Peter Lang, 1992, 63-78, hier 63. 4 „Erst die Spätaufklärung“, konstatiert Stierle, „begründet einen eigenständigen Diskurs der Paris-Darstellung, in dem die Stadt sich zu Bewußtsein bringt.“ (Karlheinz Stierle: Der Mythos von Paris. Zeichen und Bewußtsein der Stadt, München/ Wien, Hanser, 1993, 88.) Grundlegend wirken v. a. Rousseau, Diderot, Mercier, Rétif de la Bretonne. Für einen Überblick über den Paris-Diskurs um 1800 im französischen Kontext cf. Angelika Corbineau-Hoffmann: Brennpunkt der Welt: c’est l’abrégé de l’univers. Großstadterfahrung und Wissensdiskurs in der pragmatischen Parisliteratur 1780-1830, Bielefeld, Erich Schmidt, 1991, 158-192. 5 Cf. z.B. Thomas Grosser: Reiseziel Frankreich: deutsche Reiseliteratur vom Barock bis zur Französischen Revolution, Opladen, Westdeutscher Verlag, 1989; sowie die Beiträge in: Conrad Wiedemann (ed.): Rom - Paris - London. Erfahrung und Selbsterfahrung deutscher Schriftsteller und Künstler in den fremden Metropolen, Stuttgart, Metzler, 1988. 6 Joachim Heinrich Campe: Briefe aus Paris zur Zeit der Revolution geschrieben, Braunschweig, Schulbuchhandlung, 1790 (zuerst publiziert als Folge von „Briefe[n] aus Paris, während der Revolution geschrieben“ im Braunschweigischen Journal 1789 und 1790, beginnend mit dem Oktober-Heft (10. Stück) 1789). Später folgen beispielsweise Georg Forsters Parisische Umrisse (1793) oder die Zeichnungen zu einem Gemälde des jetzigen Zustandes von Paris des Publizisten Georg Friedrich Rebmann (1798). Cf. zum größeren Kontext der Reiseliteratur: Grosser. 7 Campe, Erster Brief, 1. Zitiert wird nach dem Reprint der Erstauflage: mit Erläuterungen, Dokumenten und einem Nachwort, ed. von Hans-Wolf Jäger, Hildesheim, Gerstenberg, 1977. 8 Die Adressaten, die sich hinter den Abkürzungen T. und St. verbergen, sind Ernst Christian Trapp und Johann Stuve, zwei Mitarbeiter der Braunschweiger Schulverwaltung, mit denen und Conrad Heusinger zusammen Campe das Braunschweigische Journal herausgab. Neun weitere Briefe an die Tochter Lotte sind an anderem Ort erschienen. Cf. Hans-Wolf Jäger: „Nachwort“, in: Campe, 74-97, hier 74. Cf. zum Kontext auch: Hanno Schmitt: Vernunft und Menschlichkeit: Studien zur philanthropischen Erziehungsbewegung, Bad Heilbrunn, Klinkhardt, 2007. 175 Dossier 9 12 Bände, 1781-1788; kurze Prosatexte erscheinen vorab in Zeitschriften (seit 1775). Cf. Eckhardt Köhn, Straßenrausch. Flanerie und kleine Form. Versuch zur Literaturgeschichte des Flaneurs bis 1933, Berlin, Das Arsenal, 1989, 17. 10 Cf. mit Bezug auf Goethe: Sautermeister, 128sq. 11 Campe, Zweiter Brief, 29. 12 Ibid., Erster Brief, 5. 13 Ibid., Zweiter Brief, 34. 14 Ibid., Erster Brief, 3. 15 Ibid., 1. 16 Louis-Sébastien Mercier: „Préface“, in: Ders.: Tableau de Paris, nouvelle édition, corrigée & augmentée, tome 1, Amsterdam 1782, reprint Genève, Slatkine, 1979, VII-XVI, hier V. 17 Mercier, Bd. 8 (1783), 347. 18 Campe, Erster Brief, 2. 19 Ibid., 2sq. 20 Ibid., 1, 2. 21 „Je vais parler de Paris, non de ses édifices, de ses temples, de ses monuments […]. Je parlerai des mœurs publiques & particulieres, des idées régnantes, de la situation actuelle des esprits, de tout ce qui m’a frappé dans cet amas bizarre de coutumes folles ou raisonnables, mais toujours changeantes.“ (Mercier, Bd. 1, III.) Cf. zur Abwendung von der älteren Form der Stadtbeschreibung z.B. Köhn, 64. 22 Mercier, Bd. 1, X. Zum Unterschied zwischen Mercier und Diderot erläutert Stierle: „Schon in Merciers Dramentheorie ist das Konzept des Tableau nicht wie bei Diderot ein Konzept höchster dramatischer Steigerung bis zum Gipfelpunkt eines wie erstarrten sprachlosen, aber ausdrucksgewaltigen Innehaltens, sondern ein Konzept der Beschreibung, das mit der eigentlichen dramatischen Natur des drame nicht mehr in einer wesentlichen Verbindung steht. […] Gleichwohl bleibt Mercier der Zusammenhang von tableau und drame durchaus bewußt. Darauf verweist nicht nur die Theatermetaphorik am Ende der Einleitung, sondern auch seine Überlegung zur dramatischen Behandlung der großen Stadt.“ (Stierle, 118.) Zum größeren Begriffskontext cf. Annette Graczyk: Das literarische Tableau zwischen Kunst und Wissenschaft, München, Wilhelm Fink, 2004. 23 Szenen in Paris, während, und nach der Zerstöhrung der Bastille. Nach Französischen und Englischen Schriften und Kupferstichen. Erste, zweite und dritte Sammlung: Leipzig, Gräffsche Buchhandlung, 1790. Vierte Sammlung, nebst Szenen zu Versailles, während der Revolution im Oktober 1789: Leipzig, Gräffsche Buchhandlung, 1790. Fünfte Sammlung: Leipzig, Gräffsche Buchhandlung, 1791. Begonnen hat Vulpius das Schreibprojekt nach eigenen Angaben im August 1789 (cf. Vulpius, Bd. 4, XVII, Anm.). 24 Dass dies offenbar den Zeitgeist traf, impliziert die Rezension in der Frankfurter Gelehrten Zeitung (1790, H. 4, 47): „Der Einfall, die für unsere Zeit so interessirende Revolution zu dramatisiren, ist glücklich“. (Zit. n. Vulpius, Bd. 4, VIII, Anm. 3.) Zur abschätzigen Bewertung des Unterhaltungsliteraten im zeitgenössischen Weimar cf. Inka Daum: „Ein Pfuscher und eingefleischter Dilettant? Christian August Vulpius im Spiegel der Dilettantismus-Debatte um 1800“, in: Stefan Blechschmidt u. Andrea Heinz (eds.): Dilettantismus um 1800, Heidelberg, Winter, 2007, 125-139; Roberto Simanowski: Die Verwaltung des Abenteuers: Massenkultur um 1800 am Beispiel Christian August Vulpius, Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht, 1998, spez. 11sq.; Andreas Meier, Kap. „Die ‚triviale Klassik‘ - Unterhaltungsliteratur als kulturelles Komplement“, in: Ders. (ed.): Christian August Vulpius: Eine Korrespondenz zur Kulturgeschichte der Goethezeit, Bd. 1: Brieftexte, Berlin/ New York, Walter de Gruyter, 2003, XIII-CLXXXVII. 176 Dossier 25 Vulpius, Bd. 5, 185; Bd. 3, VII. Cf. Dirk Göttsche: Zeit im Roman: literarische Zeitreflexion und die Geschichte des Zeitromans im späten 18. und im 19. Jahrhundert, München, Wilhelm Fink, 2001, 43sq. 26 Vulpius, Bd. 5, 186. 27 Ibid. Kritisch dazu Göttsche, der „keinen Helden“ ausmachen und die behauptete Zentralposition des „nachträglich zum Helden erklärte[n] bürgerliche[n] Sekretär[s]“ nicht bestätigen kann (Göttsche, 210). 28 Vulpius, Bd. 5, 186; Bd. 1, 3. 29 Vulpius, Bd. 5, 185sq. 30 „[W]eit leichter“, so Vulpius in Vor- und Endrede, wäre es ihm gewesen, einige der zahlreichen vorliegenden französischen und englischen Stücke, Erzählungen, Beschreibungen und Epigramme zu übersetzen (Bd. 1, 3), „weit leichter“ auch, „nach öffentlichen Berichten einzelne Vorfälle und Begebenheiten während der Revolution in Paris, in dramatischer, und noch weit leichter in bloßer Erzählungsform aufzustellen“ (Bd. 5, 185). Unterschiedliche Einordnungsversuche hinsichtlich der Gattung unternehmen Gerhard Steiner: Jakobinerschauspiel und Jakobinertheater, Stuttgart 1973, 31; Werner Rieck: „Zu Polarisierungstendenzen im Literaturprozeß um 1789“, in: Siegfried Streller (ed.): Literatur zwischen Revolution und Restauration. Studien zu literarischen Wechselbeziehungen in Europa zwischen 1789 und 1835, Berlin/ Weimar, Aufbau, 1989, 50-69, 221-224, hier 58; Göttsche, 208sq. 31 Einen weiteren Darstellungsbezug ruft Vulpius mit den (auch bei den französischen Revolutionären beliebten) lebenden Bildern auf: „Ich habe die Ehre, meine Leser in eine Gemäldegallerie zu führen“ (Vulpius, Bd. 1, 4). Cf. (auch zum strukturellen Unterschied zu Merciers Text) Göttsche, 207. 32 Vulpius, Bd. 1, 33. Zum Pont neuf cf. ibid., 15. 33 Die Rezension ist abgedruckt in: Adolph Freiherr Knigge/ Friedrich Nicolai: Briefwechsel: 1779-1795, mit einer Auswahl und dem Verzeichnis der Rezensionen Knigges in der „Allgemeinen deutschen Bibliothek“, ed. von Mechthild und Paul Raabe, Göttingen, Wallstein, 2004, 238sq. Zum Status des Erlesenen in den Szenen in Paris cf. Simanowski (Kap. „Der Bibliothekar - Texte aus Texten“), 215. 34 Vulpius, Bd. 1, 45; Bd. 5, 70; Bd. 1, 11. 35 Ibid., 81. 36 Fußnote, Vulpius, Bd. 2, 19. 37 Fußnote, ibid., 68. Allerdings lässt Vulpius in einer späteren Sammlung dort auch eine Prinzessin wohnen, cf. Bd. 4, 41. Mitunter ist die geographische Zuordnung nicht eindeutig: Die Vorstadt St. Antoine etwa, ein eigentlich volkstümliches Viertel (cf. Hans-Jürgen Lüsebrink u. Rolf Reichardt: Die „Bastille“: Zur Symbolgeschichte von Herrschaft und Freiheit, Frankfurt a. M., Fischer Tb, 1990, 51), dient Vulpius als Schauplatz verschiedener Milieus. Distinktiv wirkt hier eher die Entgegensetzung von Innen- und Außenraum: die Volksszenen spielen in der Regel auf der Straße. 38 Vulpius, Bd. 2, 19, 68. 39 Vulpius, Bd. 5, 181. 40 „Allgemeine Erklärung wegen der Karakteristik der Szenen in Paris und Versailles“, ibid., 198. 41 Vulpius im Anhang zur letzten Sammlung: ibid., 198sq. 42 Vulpius, Bd. 1, 50. 43 Die Langlebigkeit des klassizistischen Musters auch in der deutschsprachigen Dramenproduktion beweist etwa die Debatte, die noch im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts um 177 Dossier Lessings Emilia Galotti entbrennt. Cf. Albert Meier: „Die Interessantheit der Könige. Der Streit um Emilia Galotti zwischen Anton von Klein, Johann Friedrich Schink und Cornelius Hermann von Ayrenhoff“, in: Wolfram Mauser u. Günter Saße (eds.): Streitkultur: Strategien des Überzeugens im Werk Lessings, Tübingen, Niemeyer, 1993, 363-372. 44 Vulpius, Bd. 1, 50. 45 Ibid., 57. 46 Vulpius, Bd. 2, 11. 47 Ibid., 149. 48 Vulpius, Bd. 5, 187. 49 Cf. Ruth Florack: Tiefsinnige Deutsche, frivole Franzosen: nationale Stereotype in deutscher und französischer Literatur, Stuttgart [u.a.], Metzler, 2001. Die stereotype Oppositionsbildung von deutscher Tiefe und Integrität versus französischer Oberflächlichkeit und Scheinhaftigkeit gehört zu den besonders wirkungsmächtigen und langlebigen nationalchauvinistischen Klischees. Im 19. Jahrhundert wird sie mit der Entgegensetzung von „Kultur“ versus „Zivilisation“ weiter ausgeschrieben (vgl. Norbert Elias: Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, Bd. 1: Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes, 4. Aufl., Frankfurt a. M., Suhrkamp, 1997, 124-131). 50 Gerhard Schulze betont den neuartigen Impuls in der deutschen Literatur, der auch auf die Dramenproduktion zu beziehen ist: „Diese zweieinhalb Jahrzehnte [1789-1815] […] waren zugleich die Zeit, in der in deutscher Sprache Kunstwerke entstanden, wie sie dieses Land zuvor nicht in solcher Reichhaltigkeit gesehen hatte. […] [E]s war Literatur mit dem ganz bestimmten Ziel, der Zeit Herr zu werden, sie zu interpretieren in Vergangenheit und Gegenwart, um sie für die Zukunft zu verändern“ (Gerhard Schulz: Die deutsche Literatur zwischen Französischer Revolution und Restauration, Bd 1: Das Zeitalter der Französischen Revolution 1789-1806, 2. neubearb. Aufl, München, C. H. Beck, 2000, 5). 51 Die Wahl von Originalschauplätzen in Paris stellt im Blick auf die Aufführung eine besondere Herausforderung dar: Dies betrifft vor allem die Darstellung von Menschenmassen, die in der Paris-Reiseliteratur immer wieder als wesentlicher Eindruck hervorgehoben wird (cf. z.B. Campe, 1sq., 30-32, 68 u.ö.). In anderem Kontext benennt z.B. Johann Samuel Patzke dieses Problem explizit. Anlässlich seiner Virginia-Tragödie, die auf dem römischen Markt spielt, schreibt er: „Wenn dieses Stück jemals auf die Bühne gebracht werden sollte, so sehe ich eine Unbequemlichkeit vorher […]. Unsere Schaubühnen sind gemeiniglich sehr klein, und ich habe doch das römische Volk, die Lictoren, und eine große Anzahl von des Decemvirs Freunden aufgeführt. Es war nothwendig, um es wahrscheinlich zu machen […]. Dieß ist alles, was ich zu meiner Entschuldigung anführen kann.“ (Patzke: „Vorbericht“, in: Ders.: Virginia, ein Trauerspiel, Frankfurt/ Leipzig, Johann Christian Kleyb, 1755, 3-12, hier 11sq.) 52 L. Y. von Buri: Die Stimme des Volkes oder Die Zerstörung der Bastille, ein bürgerliches Trauerspiel in vier Aufzügen, Neuwied, J. L. Gehra, 1791. Der Datierung der Vorrede zufolge wurde das Stück bereits 1790 verfasst. Abgesehen von einem früheren Bastille- Drama, das dem Autor (nicht zweifelsfrei belegbar) zugeschrieben wird (cf. Reiner Marx: „Nachwort“, in: Ernst Karl Ludwig Ysenburg von Buri: Die Bastille: ein Trauerspiel in vier Aufzügen, ed. v. Reiner Marx, Saarbrücken, Univ. des Saarlandes, 1989, 49-55, hier 49) stammen von Buri zwei weitere Dramen über die Französische Revolution: Ludwig Capet oder Der Königsmord (1793) und Marie Antonie von Oesterreich, Königinn in Frankreich (1794). 53 Cf. Lüsebrink u. Reichardt. 178 Dossier 54 Buri (IV/ 11), 163. 55 Cf. Stephen Greenblatt: Verhandlungen mit Shakespeare. Innenansichten der englischen Renaissance, aus dem Amerik. übers. v. Robin Cackett, Frankfurt a. M., Fischer Tb, 1993. 56 Sautermeister, 124. Résumé: Romana Weiershausen, Paris comme théâtre de la Révolution française dans des textes allemands, étudie la représentation de la ville de Paris dans la littérature allemande consacrée à la révolution de 1789. Pour les contemporains allemands, il s’agit d’un événement d’une portée fondamentale, que l’on préfère toutefois observer d’une position extérieure: la métaphore du spectacle théâtral avec Paris comme lieu de scène s’impose, facilitant d’aborder ce sujet osé dans les discours publique et littéraire. Paris devient un lieu à la fois concret et symbolique; les éléments traditionnels du theatrum mundi et d’un nouveau réalisme se combinent d’une manière originale et variée. Les textes analysés datent des premières années de la Révolution: les „Lettres de Paris“ de Campe et les „Scènes à Paris“ de Vulpius, textes oscillants entre fait et fiction, ainsi que le drame bourgeois „La voix du peuple ou la destruction de la Bastille“ de Ysenburg von Buri. 179 Dossier Gisela Febel Überlegungen zur Ikonographie der Stadt vom Mittelalter bis zur Romantik Wenn wir heute von einer urbanen Ikonographie ausgehen, haben wir zumeist die Bilder der modernen Metropolen im Kopf mit ihrem gigantischen Verkehrsaufkommen, den Wolkenkratzern und den Massenslums oder die gewagten Bauvorhaben, mit der ein Haussmann die Boulevards von Paris in die Städte schlug oder die gewaltigen Eisenkonstruktionen der Bahnhöfe des späten 19. Jahrhunderts etc. Wenden wir uns jedoch der früheren Stadtdarstellung und den Ideen von städtischem Raum zu, sehen wir von heute aus als erstes die mächtigen Ruinenstädte der Antike wie Athen, Rom oder Troja, Karthago und Byzanz, die Zeugnis vom Verfalls von Hochkulturen ablegen und die Phantasie der Europäer weiterhin beflügeln. Ein genauerer Blick auf die Ikonographie der Stadt in jener langen Phase dazwischen, die hier betrachtet werden soll, also vom ausgehenden Mittelalter bis zur europäischen Romantik erlaubt uns, einerseits die lange Dauer der Bilder von Stadt und urbanen Funktionen zu beobachten und deren Einfluss bis heute auf die urbanistischen Entwicklungen festzustellen, und zum anderen die pittoresken Vorstellungen von Ruinenort oder Dorfcharakter für die frühneuzeitlichen Städte zu revidieren. Die ikonographischen Formationen dessen, was eine Stadt ist oder war, stehen dabei in einem permanenten dynamischen Wechselverhältnis mit den literarischen Figuration von Städten; beide haben häufig eine gemeinsame Legende oder historia. Das Thema der Stadtkonstruktionen in der bildlichen Darstellung wirft zunächst die Frage danach auf, ob es sich um eine Repräsentation handelt oder um ein Konstrukt der Einbildungskraft. Haben wir die Abbildung einer realen Stadt vor uns oder nicht? Zeigt das Bild die Darstellung einer idealen Stadt oder ist es eine mimetische Abbildung? Mimesis im strengen Sinne wiederum ist ja aber auch keine realistische Wiedergabe im Detail, sondern eine Konzentration auf das Wahrscheinliche, mithin auf die urbanen Konzepte und deren Gehalt an Gemeinschaftsentwürfen und Verortungen. Wie kann dieses wiederum gemalt erscheinen? Wie knüpfen die utopischen und allegorischen Darstellungen idealer Städte an die realen und für den gebildeten zeitgenössischen Reisenden wieder erkennbare urbane Szenerien an? All diese Aspekte sollen anhand einzelner Beispiele im Folgenden angesprochen werden. Die Stadt in der Literatur hat ein vergleichbares Ziel wie die Stadt in der bildenden Kunst: Es geht darum, unsichtbare Städte sichtbar werden zu lassen 1 bzw. die Stadt als ein sich ereignendes Phänomen, als Aufscheinen der Gemeinschaft, als „ville-événement“ zu imaginieren. 2 Das ästhetische Imaginarium der Stadt kann 180 Dossier auch das Auftauchen und die Schichtungen mehrerer Städte in einer enthalten. Damit ist die Vielfalt der morphologischen Stadtformationen gemeint, auf die schon Maurice Halbwachs hingewiesen hat, 3 und der ineinander verwobene Status einer idealen oder abstrakten und einer realen, sichtbaren und materialen Stadt, wie es Halbwachs für die Institutionen des Sozialen überhaupt beschreibt, von denen wir „nur einen höchst abstrakten Blick besitzen, solange wir sie nicht in einen Teil des Raumes zurückversetzen […].Sie müssen auf die Erde gebracht werden, ganz mit Stofflichem beschwert, menschlichem Stoff, mit Lebewesen aus Fleisch und Blut, mit Bauwerken, Häusern, Plätzen, dem Gewicht des Raums. All diese Dinge gehören dazu, es sind Gestaltungen im Raum, die man beschreiben kann, zeichnen, messen und wägen […] kann.“ 4 Die Ikonographie der Stadt ist mithin ein Teil der Geschichte der sozialen Morphologie und deren Wandel oder Persistenz. Im Sinne einer erweiterten Diskursanalyse wirken dabei textuelle und visuelle Artefakte zusammen und bilden die jeweilige Diskursformation des Urbanen. 5 Diese wiederum setzt sich aus verschiedenen Schichten und Aspekten von Stadt zusammen; Halbwachs etwa unterscheidet die religiöse, die politische und die ökonomische Morphologie der Stadt. 6 Michel de Certeau weist auf die Differenzierungen der Praktiken im Raum hin, wodurch ein scheinbar kohärenter Ort von einer Vielzahl von Praxen und damit Stadt-Räumen durchdrungen sein kann, 7 welche wiederum in der bildlichen Darstellung spezielle Formen der Simultaneität verlangen wie etwa die Narrativität des mittelalterlichen Tafelbildes. Die Stadt als literarisches wie als bildnerisches Motiv kann erzählende Aspekte haben, die die sozialen Praktiken betonen, poetische bzw. lyrische Aspekte, in denen die Stadt zur Reflexion und zum Träumen einlädt, oder theatralische Momente des Umbruchs, der Revolution oder der Apokalypse herausstellen und so zur Bühne eines tragischen Geschehens werden. Alle Modi des Darstellens finden sich auch in der Geschichte des Bildes. Das Motiv kann die ideale Stadt oder eine Utopie zeigen, eine moralisierende Ansicht der sündigen und zum Untergang geweihten Stadt, eine historisierende Form der Erinnerung einstiger Größe darstellen oder die Form der Polis und die Gemeinschaft oder das Sozialwesen betonen. Oder alles zugleich. Systematisch können wir die architektonische Stadt und die topologische Stadt, die ökonomische Stadt und die sakrale Stadt, die militärischstrategische, die politische, die moralische oder unmoralische, die ideale und die heterotope Stadt unterscheiden, die Gegensätze von Stadt und Land, Einschluss bzw. Schutz und Exklusion oder Verteidigung nach außen beobachten, den urbanen Raum als Ort der Begegnung, des Durchgangs und des Verkehrs erkennen, die Urbanität einer neuen bürgerlichen Gesellschaft seit dem 17. Jahrhundert und die Transformation des Ideals der honnêteté verfolgen oder Studien des Imaginariums der Katastrophe und des Apokalypse betreiben, je nach Ausformung des Motivs im Bild (bzw. in der Literatur) auch immer mehreres zugleich. Die Stadtansicht ist dabei das vereinende Element und so ist die Stadt zugleich malerisches Motiv und architektonischer Entwurf, Abbildung und Konstruktionsprinzip, sie ist selbst ebenso wie ihr Bild ein Kunstwerk. 181 Dossier Eine mittelalterliche Stadt - Bausteine der Ikonographie Die Stadt im Mittelalter ist idealerweise mit den folgenden Charakteristika dargestellt: in Kreisform, d.h. in der Dimension der idealen Stadt, mit Mauern und Türmen, d.h. als militärisch-strategisch gesicherte wehrhafte Polis, mit einer Kirche in der Mitte oder auf einer Anhöhe innerhalb der Stadtmauern, wie etwa 1493 auf einer Abbildung von Nürnberg (vgl. Abb. 1), d.h. als religiöse Stadt, zuweilen auch mit einem Markt in der Mitte, d.h. als ökonomische Stadt. 8 Auffällig ist oft die Darstellung als Masse, entweder einer Menschenmasse in den engen Gassen oder einer architektonischen Häufung von Gebäuden. Die Masse ist also durchaus kein Phänomen der Moderne, soweit es die Ikonographie betrifft. Die Stadtansichten zeigen oft, dass die Stadtmauer noch von einem Fluss umgeben ist, was den tatsächlichen Orten von Stadtgründungen an Furten oder an Flüssen als Verkehrswegen etc. entspricht, in der bildlichen Konzentration jedoch ein Art natürliche Schließung und Umschließung des städtischen Raums darstellt, wie in der berühmten Darstellung der Stadt Paris aus der Schedelschen Weltchronik von 1493 (Abb. 2), wo die Seine neben dem ikonographischen Motiv des die Stadt bzw. die Ile de la Cité umfließenden Stroms das emblematische fluctuat nec mergitur von Paris visualisiert. Die Straßen aus und in die Stadt, die oft über Brücken führen, spielen eine große Rolle als kontrollierte Zugänge, die auf die Schutzmechanismen und die Inklusion und Exklusion durch die Stadt hinweisen, wie sie auch Christine de Pizan in ihrer idealen Cité des Dames beschreibt, in der nur tugendhafte Frauen zugelassen sind. 9 Gässchen und Straßen sind seit dem Mittelalter in der Dichte ihrer Darstellung zudem als symbolische Verweise auf die Intensität von Austausch und Verkehr, Kommunikation und Zirkulation von Menschen und Waren zu lesen. 10 Viele mittelalterliche und frühneuzeitliche Stadtansichten verweisen durch die aus den vier Toren der Stadt gebildete Kreuzform auf die christliche Gründung und die ideale Stadt. Die steinernen Häuser und auch schon die abgebildete Fachwerkbauweise über mehrere Stockwerke als Neuerungen seit dem 13. Jahrhundert geben den Stadtansichten eine besondere zeitliche Dimension, in der sie über ihr Moment hinausweisen auf ein Überdauern in der Zukunft, das bislang nur sakralen und besonders repräsentativen Bauten wie Tempeln, Kirchen und Schlössern zukam. Die Dauer der städtischen und zunehmend bürgerlichen Architektur ist nicht nur eine besondere Präsenz im Raum, sondern fordert, so erzählt es die Ikonographie des Steinbaus, auch ein historisches Fortleben der bürgerlichen Stadt ein, wie etwa die 182 Dossier Darstellung der soliden Marktstadt Kitzbühl aus dem frühen 17. Jahrhundert zeigt (Abb. 3). 11 Auch ein Blick auf die mittelalterlichen Stadtgründungen zeigt das Prinzip der Orientierung des Bauplans an den idealen Formen des Kreises und des Quadrats, die Betonung der sakralen wie der ökonomischen Mitte, die Prinzipien des Aus- und Einschlusses, der Umfriedung durch Wasser, der Turmbauten und der sichtbaren Masse der steinernen Häuser. Die ideale Architektur bildet sich nicht nur in den Stadtgründungen des Mittelalters und der frühen Neuzeit ab, noch im 18. Jahrhundert spielt diese Ikonographie eine wesentliche Rolle bei der Abbildung realer Stadtansichten, deren Form und Perspektive an den strukturierenden Elemente der idealen Stadtbilder orientiert sind, so etwa bei der Ansicht von Metz, in der die Stadt wie eine visionäre Erscheinung in der Senke zu schweben scheint und so auch der frühere Bildtitel Vue de Jérusalem nicht verwunderlich ist (Abb. 4). Ideale Städte: Das himmlische Jerusalem und die Harmonie der Geometrie In der Offenbarung des Johannes 21,11-15 findet sich eine detaillierte Beschreibung der Stadt, die das himmlische Jerusalem sein wird. Sie soll vor gleißendem Licht strahlen, aus glasartigem Gold und von würfelförmiger Gestalt sein. Auf jeder der vier Seiten existieren jeweils drei Stadttore innerhalb der Stadtmauer, auf denen wiederum insgesamt zwölf Engel stehen. Zusätzlich sollen auf den Toren selbst die Namen der zwölf Stämme Israels vermerkt sein. Tore und Mauern sind mit Juwelen und Edelsteinen geschmückt. Sie wird als Stadt mit einer Seitenlänge von 12.000 bzw.12 mal 1000 Stadien beschrieben, ihre Gebäude sollen ebenso hoch sein. Umgeben ist das himmlische Jerusalem von einer 12 mal 12 Ellen hohen Mauer. Rechnet man ein Stadion mit 185 m, ergibt sich eine Kantenlänge von 2220 Kilometern. Diese Zahlen sind wohl kaum wörtlich zu nehmen, vielmehr bilden sie die ideale Dimension einer Zahlensymbolik ab, in der die drei, die vier und die zwölf als deren Produkt eine besondere Rolle spielen. Manche vertreten die Ansicht, dass auch von einer den Zahlenangaben innewohnenden inneren Botschaft auszugehen sei. So ist etwa die Höhe der Mauer 3 mal 4 mal 12. Dabei steht die Drei für eine sehr große Gewissheit, die Vier für die vier Himmelsrichtungen und damit die gesamte Erde und die Zwölf für das Produkt und damit für das Ganze. Sicher ist, dass in den ikonographischen Darstellungen des himmlischen Jerusalem wie auch in den literarischen Variationen die Zahlensymbolik stets eine besondere Rolle spielt, da sie sowohl inhaltliche Botschaft ist, als auch formale As- 183 Dossier pekte der Symmetrien, Konstruktionen und somit eine harmonische Schönheit wiedergibt. Das himmlische Jerusalem als die ideale christliche Stadt in der europäischen Ikonographie soll, so glaubte man im Mittelalter, anstelle - ja genau an dem selben Ort - des im Zuge der Kreuzzüge zerstörten historischen Jerusalem erstehen. Die zerstörte Stadt und die ideale Stadt spiegeln einander und bilden gemeinsam eine Allegorie der Auferstehung Christi und der Erlösung des christlichen Volkes, wie es eine Miniatur aus dem 14. Jahrhundert zeigt, in der das neue Jerusalem wie ein riesiges Doppelbild über dem alten, kleineren (und hier allerdings kaum zerstörten) Jerusalem schwebt (Abb. 5). Eine Buchmalerei aus dem 12. Jahrhundert verbindet das Motiv des himmlischen Jerusalem mit dem Offenbarungscharakter des Buches, hier handelt es sich bezeichnender Weise um ein Buch über das gute Leben und die Welt Gottes, nämlich Augustinus’ De Civitate Dei, für welches die städtische Vision als emblematisch gewählt wurde (Abb. 6). Die Stadtumfriedung mit dem festen Baumaterial des Steins ist ebenso gut zu erkennen wie auch die Bewohner der himmlischen Stadt, die als Engel und Heilige gezeichnet sind und sich in verschiedenen Vierer- und Dreiergruppen zusammenfinden und so der heiligen Symbolik folgen. Die Vorgabe der Buchseite lässt hier ein Muster erkennen, das wir auch anderswo wieder finden, nämlich das Quadrat bzw. das Rechteck. Die eigentliche ideale Form ist natürlich der Kreis mit der von ihm symbolisierten Unendlichkeit. Der Kreis in der Bildmitte bzw. Stadtmitte ist Christus vorbehalten, der im Zentrum des Quadrats wie des Kreises thront und so das Zeichen für ein Mysterium andeutet: die unlösbare Formel der Quadratur des Kreises. Die ideale Stadt nach dem Muster des himmlischen Jerusalem ist überall zu finden, so auch etwa in der Gestalt des berühmten Radleuchters im Hildesheimer Dom aus dem Jahr 1276 (Abb. 7). Der Leuchter symbolisiert die Vision der aus dem Himmel Gottes herab kommenden heiligen Stadt, das himmlische Jerusalem mit seinen 12 Toren. Der perfekte Kreis und die regelmäßige Symmetrie seiner symbolischen Stadtbauten unterstreichen den idealen Wert zusammen mit dem wertvollen Material. Durch die dunkel gestrichene, kaum sichtbare Tragkonstruktion schien der Leuchter zu schweben und damit quasi wörtlich die Offenbarung zu erfüllen und vom Himmel herab zu kommen. Die Wirkung der 72 Kerzen, zwischen jedem Tor sind zwei mal drei Kerzen, muss für die zeitgenössischen Kirchgänger überwälti- 184 Dossier gend gewesen sein. Das Motiv des himmlischen Jerusalem wird nicht nur auf Bildern, sondern auch auf vielen sakralen Objekten aufgenommen und erfährt so eine enorme Popularität. Die Geschichte der Ästhetik hat neben dem Modell der idealen Stadt Jerusalem eigene Entwürfe von idealen Stadtkonstruktionen hervorgebracht, die besonders den Prinzipien von Geometrie und Harmonie, d.h. von mathematischen Verhältnissen und Symmetrien für die Augen folgen. Eine besonders bekannte Figuration ist der Entwurf der Idealstadt Sforzinda des Architekten Filarete (Abb. 8), der auf einem achtzackigen Stern beruht, der in einen Kreis eingeschrieben ist bzw. aus seiner geometrischen Teilung entsteht. Es lässt sich unschwer das ideale Muster des Kreises erkennen, das sich im Innern konzentrisch wiederholt, zugleich aber auch die städtebauliche Form der Contrescarpe oder des Zackenwalls, die sich als Schutz und Verteidigungsbau bewährt hat. Die ideale Geometrie entspringt mithin keiner reinen Utopie, sondern steht auch hier in einem Wechselverhältnis mit den Funktionen der Stadt, hier als geschütztem bzw. schützbarem Raum. Eine ähnliche Form greifen Georg Braun und Frantz Hogenberg im Entwurf für Palmanova auf, allerdings handelt es sich hier um einen neunzackigen Stern, der aus drei Segmenten eines Kreises gebildet wird (Abb. 9). Ideale geometrische Formen haben die Architektur und die Ikonographie der Stadt in vieler Weise und lange Zeit, wenn nicht bis heute, beschäftigt; neben dem Kreis, dem Stern, interessiert die Künstler vor allem auch das Rechteck bzw. das Quadrat. So entwirft etwa Jean- Jacques Moll 1801 den Plan einer Stadt von 100.000 Seelen, der durch seine Gliederung in Rechtecke und die Markierungen der Stadtviertel- Mitte durch Ellipsen auffällt (Abb. 10). Es ist der Versuch, eine ideale Harmonie mit der zunehmenden Masse von Menschen in den Städten in Einklang zu bringen. Doch die Entwürfe der profanen, weil geometrischen idealen Städte wollen auch gebaut werden. Die Verwirklichung einer idealen Stadt, die zugleich architektonisch und geometrisch ideal wäre als auch eine perfektes Gemeinwesen darstellen könnte, also als Ville wie als Cité ideale Züge trägt, ist einer der größten Träume der Baumeister und der Philosophen. So schreibt René Descartes: „Ainsi ces anciennes cités qui, n’ayant été au commencement que des bourgades, sont devenues par succession de temps de grandes villes, sont ordinairement si mal 185 Dossier compassées, au prix de ces places régulières qu’un ingénieur trace à sa fantaisie dans une plaine“. 12 Einer der besten Städtebauer und Künstler der Renaissance, Michelangelo, hat als teilweise Lösung die Inskription der idealen Form der Kreissegmente in das Innere der Stadt gewählt und damit den Boden des Kapitolsplatzes in Rom gestaltet (Abb. 11). Eine ganz ähnliche Form hat Anfang des 18. Jahrhunderts noch die Stadt Karlsruhe, eine barocke Gründung, deren Grundrissplan der Kreisform und den Segmentstrahlen folgt. Kreisform und Stern sind zusammen mit der metaphorischen Ortswahl der Insel oder des einsamen Standortes auch die Zutaten für das Imaginarium der utopischen Städte und Gemeinschaften, wie sie die frühe Moderne mit Thomas Morus’ Utopia entwirft oder der idealen Abbaye de Thélème im Quart livre von François Rabelais. 13 Der Holzschnitt von Ambrosius Holbein für die Ausgabe der Utopia von 1518 (Abb. 12) zeigt eine kreisrunde Insel, deren hängende Brücken an die Zugbrücken und Stadttore der mittelalterlichen urbanen Ikonographie erinnern. Die Insel ist von Wasser umgeben; der Zugang scheint erschwert; die Schiffe sind in stürmischen Wassern unterwegs; die Bewohner der idealen Insel werden durch Schriftbänder als Künstler und Gelehrte ausgewiesen. Die idealen utopischen Städte sind nicht der gesamten Menschheit geöffnet, sondern bilden Orte einer kreativen, asketischen, profanen oder religiösen Elite; ihre Verwandtschaft zu Klostern ist oft betont worden, was auch die Ikonographie der Abschließung unterstützt. Die Abbaye de Thélème bei Rabelais trägt ja selbst den Namen einer christlichen Gründung, bildet jedoch in bewährter karnevalesker Umkehrung 14 eine säkulare Institution. So folgt das Bild der Abbaye auch nicht der christlichen Form des himmlischen Jerusalems mit seiner Geometrie aus drei, vier oder 12 Elementen, sondern einer Logik der Sechs (Abb. 13). Sie besteht aus einem sechseckigen und sechsstöckigen Gebäude, sechs mal sechs, also 36 oder schlimmer: sechs und sechs, also 66, alles teuflische Zahlen oder zumindest deutlich profane Symboliken, die die städtebauliche Ikonographie hier ausdrückt. Die Abbaye bei Rabelais ist eine ideale utopische Gemeinschaft und zugleich eine Anti-Utopie im Hinblick auf die christlichen symbolischen Städte. 186 Dossier Von der Vedutenmalerei zur Stadt als Ruine Eine besondere Aufmerksamkeit in der Typologie ikonographischer Stadtansichten muss der Vedutenmalerei zukommen, die, aus Italien kommend, seit dem 17. Jahrhundert in ganz Europa das Imaginarium der Stadtansichten und die reale Architektur entscheidend beeinflusst hat. Die Veduten der italienischen Renaissance sind oft breitformatige Stadtansichten, die einen theatralischen Raum schaffen und durch die Zentralperspektive bestimmt sind. Ihr Prospekt erinnert an die Gestaltung eines Horizonts, der die urbane Welt öffnet und zugleich den Betrachter von jedem Dahinter ausschließt. Die städtische theatrale Bühne ist der einzige Ort des Blicks und er ist erfüllt von an die antike, meist römische Architektur anknüpfenden klassizistische Bauten und offenen Plätzen im Vordergrund, deren Böden mosaikartig gestaltet sind und gleichsam ideale Muster zitieren (Abb. 14). 15 Eine Tafel der Ansicht einer Città ideale gehört zu einem Zyklus von drei gleichartig zentralperspektivisch angelegten idealen Stadtansichten, die um 1470 am Hof des Federico da Montefeltre in Urbino entstanden sind. Der Maler ist unbekannt, vielleicht war es Luciano Laurana oder ein Maler aus dem Umkreis Piero della Francescas. Sie zeigt zum einen, wie auch die meisten anderen Veduten, dass diese Stadtansichten menschenleer sind. Das städtische Publikum der Kunstbetrachter selbst ist es, dass diese idealen Räume bevölkern soll und mit seiner ästhetischen Expertise erst zu schätzen weiß. Die Veduten zeigen aber auch, dass die Imaginarien dieser Städte nicht nur neue, d.h. klassizistische Bauten, sondern auch antike und fast ruinenhafte Gebäude enthalten und in ihre Perspektive integrieren; so steht hier im Hintergrund ein an das Kolosseum erinnerndes, etwas dunkleres Rundgebäude als Ruinenzitat, das sich in die gesamte Konzeption dennoch symmetrisch fügt. Die Veduten haben eine gewisse anthropologische Leere und zugleich eine historische Tiefe, die den Prinzipien der Renaissance entspricht. Sie nehmen die vergangenen Stadtkonstruktionen als Teile von idealen Städten in sich auf und übersetzen sie in die klare, aber leere Architektur der Veduten. Eine ähnliche Form der leeren und doch weiten, zentralperspektivischen Stadtansicht findet sich auch zu Beginn der romantischen Ruinenmalerei, wo etwa eine zerstörte römische Basilika wie im Beispiel eines Kupferstichs von 1823 (Abb. 15) als theatralische Trümmerszenerie erscheint. Schon die frühere Darstellung der Stadt Rom hat eine Tradition der Ruinenmalerei begründet, in der die Veduten immer wieder das moralische Motiv von Größe und Verfall der Stadt und 187 Dossier des Imperiums darstellen. Die römischen Ruine findet sich als Element einer Ikonographie der Stadt auch in Joachim Du Bellays Songe 16 und bei François Rabelais, der auch aus dem Traum des Poliphilius zitiert. Beide beziehen sich letztlich ikonographisch gesehen auf die Hypnerotomachia Poliphili von Francesco Colonna, deren Bezug zur Hieroglyphik wiederum eine Verbindung zwischen dem moralistischen Sinn der Ruine und dem Mysterium, das diese vergangene Stadt und ihre Größe darstellen, stiftet. 17 Die apokalyptische Stadt: Babel, Lissabon, Paris Wie der Typus der Ruinenveduten schon anzeigt, gehört zur städtischen Ikonographie ganz wesentlich auch die Darstellung der Zerstörung und des Verfalls. Ihre Le gende verbindet sich nicht nur mit der idealen Konstruktion des Gemeinlebens und des guten Lebens, sondern auch mit der Hybris und dem Sündenfall, der Katastrophe und der Apokalypse. Das berühmteste und meist zitierte Bild einer solchen von der Apokalypse und dem Zusammenbruch durch göttlichen Zorn und Willen bedrohten Stadt ist sicherlich das Gemälde von Peter Breughel dem Älteren: Der Turmbau zu Babel aus dem 16. Jahrhundert (Abb. 16). Die Legende des Turmbaus zu Babel aus der Genesis zeigt die Stadt als Raum der freien Kommunikation und des Zusammenbruchs dieser universellen Verständigung. Mit der Vielsprachigkeit und dem Sprachengewirr geht die Einheit der Gemeinschaft der Menschen verloren und die Stadt hat demnach kein Potenzial mehr, die humanitäre Einheit zu verwirklichen. Zukünftige Städte werden stets begrenzte kulturelle Gesellschaften beherbergen und sich den Fremden mehr oder weniger offen zeigen. Sie müssen Zirkulationsmaschinen und Übersetzungstechnologien entwickeln und haben die Fähigkeit, Kristallisationspunkte für die Fremdheitserfahrungen und die Sehnsüchte von Reisenden zu werden, wie sie besonders in der Romantik imaginiert werden. 18 Das apokalyptische Moment des Turmbaus besteht in der Bestrafung der menschlichen Hybris, mit seiner Konstruktion den Himmel erreichen zu wollen. Das Aufstreben der Stadt gen Himmel, ihre Anmaßung an Macht und Repräsentation, ist daher in der Bildersprache selbst angelehnt an die Ruinenbildlichkeit, die aus dem Verfall des römischen Imperiums entwickelt wurde. So erscheint bei Breughel der Turm wie ein gigantisches Kolosseum. Die ikonographische Kraft dieses Gemäldes setzt sich in vielen späteren Stadtentwürfen fort. Die apokalyptische Stadt wird auch ein Topos der Reflexion über die Theodizee, was sich im 18. Jahrhundert in der Darstellung des Erdbebens von Lissabon in der Literatur wie in der Kunst besonders niederschlägt. 1755 beben die Erde und die See in und vor Lissabon. Heute vermutet man, dass es ein küstennahes See- 188 Dossier beben war, dessen Tsunami die Stadt vernichtet hat, bevor es im Anschluss daran zu verheerenden Bränden kam. Die europäische Bevölkerung ist in ihren Glaubensfesten erschüttert und stellt sich die Frage nach der Vorhersehung und dem Willen Gottes; eine neue Diskussion um die providentia und die Theodizee entbrennt bekanntlich zwischen den Denkern der Zeit, allen voran Voltaire, Leibniz, Rousseau, Goethe. 19 In der Ikonographie wird die zerstörte Stadt in Flammen hinter einem aufgewühlten Meer voller sinkender Schiffe gezeigt. Die Zerstörung der Stadt geschieht mit Feuer und Wasser und symbolisiert eine Überwältigung des zivilisatorischen Raumes der Stadt durch die elementaren Urgewalten der Natur. Aus der schützenden Umschließung der Stadt durch Wasser, wie es noch in der Abbildung von Paris in der Schedelschen Weltchronik zu sehen war (cf. Abb. 2), wird die Darstellung einer Sintflut (Abb. 17). Goethe schreibt im Rückblick: „Durch ein außerordentliches Weltereignis wurde jedoch die Gemütsruhe des Knaben zum erstenmal im tiefsten erschüttert. Am ersten November 1755 ereignete sich das Erdbeben von Lissabon, und verbreitete über die in Frieden und Ruhe schon eingewohnte Welt einen ungeheuren Schrecken. Eine große prächtige Residenz, zugleich Handels- und Hafenstadt, wird ungewarnt von dem furchtbarsten Unglück betroffen. Die Erde bebt und schwankt, das Meer braust auf, die Schiffe schlagen zusammen, die Häuser stürzen ein, Kirchen und Türme darüber her, der königliche Palast zum Teil wird vom Meere verschlungen, die geborstene Erde scheint Flammen zu speien: denn überall meldet sich Rauch und Brand in den Ruinen. Sechzigtausend Menschen, einen Augenblick zuvor noch ruhig und behaglich, gehen mit einander zugrunde. […] Die Flammen wüten fort […] und so behauptet von allen Seiten die Natur ihre schrankenlose Willkür.“ 20 Die Ikonographie des Erdbebens durchzieht 1755 zusammen mit der Reflexion über die eigene Vergänglichkeit und Abhängigkeit und die Absenz Gottes ganz Europa und findet sich bspw. wieder in Prag, wo ein unbekannter tschechischer Künstler seine Darstellung überschreibt mit „Die wahre Geschichte des verheerenden Erdbebens von Lissabon“ (Abb. 18). Die Hausfassaden haben keinerlei Ähnlichkeit mit Lissabon, sehr wohl aber mit den barocken Gebäuden, wie man sie im alten barocken Kern von Prag finden konnte. Jede Nation fügt der durchgängigen Ikonographie von Sturz, Feuer, Rauch und Wasser ihre eigenen illustrativen Details hinzu und produziert so ikonographisch ein transkulturelles Ereignis. Die durch die Darstellung der Zerstörung von Lissabon durch Erdbeben hat sich ein Typus der Ikonographie der apokalyptischen Stadt entwickelt, der sich auch in der Malerei der französischen Revolution von 1789 wieder finden lässt (Abb. 19). 189 Dossier So lässt Jean-Pierre Houel etwa beim Sturm auf die Bastille 1789 den Rauch aus den zerstörten Mauern aufsteigen und die menschlichen Figuren klein und als chaotische Menge erscheinen, wie es auch in den Untergangsbildern von Babel oder von Lissabon der Fall war. Nur sind es hier nicht Naturgewalten, sondern menschlicher Wille und historische Gewalten, die diese entscheidende Revolution herbeiführen. Die revolutionären Umwälzungen und Zerstörungen in der Stadt Paris werden ikonographisch durch diese spezifische Bildhaftigkeit quasi naturalisiert. Die Auseinandersetzung zwischen Revolutionären und Militär wird in einem zeitgenössischen anonymen Aquarell ebenfalls als eine halb naturalisierte Szenerie dargestellt (Abb. 20). Sie spielt in den Tuilerien, einer städtischen Park- oder Gartenlandschaft, also in einem Raum an der Grenze von Zivilisation und Natur. Es steigt Rauch auf über den Gebäuden und der wilden Masse, in der sich aufbäumende Pferde eine besondere Dynamik erzeugen. Bei der Darstellung des revolutionären Paris geht es aber nicht nur um die apokalyptische Vision der Stadt und der Gemeinschaft sondern auch im die Geburt einer neuen Ordnung aus der Agitation der Massen, wie sie die Darstellung des Schwurs im Jeu de Paume 1791 durch Jacques-Louis David in Szene setzt (Abb. 21). Sein Gemälde zeigt einen von einer bewegten Menschenmasse angefüllten, aber klar und rechteckig gegliederten, nüchternen Innenraum, in dem die unerschütterliche Mitte durch den neuen Helden der Revolution eingenommen wird, der die Hand zum Schwur erhebt. Die Unruhen des städtischen Draußen wehen mit der Bewegung der Vorhänge wie Rauchschwaden oder Fahnen in den Raum hinein, dessen klare Gliederung jedoch eine neue Ordnung der raison ankündigt. Die Verwendung klassizistischer Elemente in der revolutionären Malerei ist bekannt, die städtische Architektur wird so zu einer theatralischen Bühne der Ereignisse und der neuen Helden. Gänzlich anders als in den italienischen Veduten werden hier die Gebäude und Plätze mit Menschenmassen gefüllt, es ist ein teatrum des freien Zugangs zu allen Spektakeln und Aktionen, selbst noch zu der Exekution des Königs Ludwig 190 Dossier XVI., die von vielen Zeitgenossen als endgültige Überschreitung jeglicher Ordnung und Sturz in das Chaos empfunden wurde. In einem zeitgenössischen Karton 21 ist jedoch nicht etwa der Pöbel, der diesen ultimativen Akt begleitet, sondern eine militärisch geordnete Menge, die vor einer klassizistischen Säulenarchitektur auf dem Platz der Revolution abgebildet wird. Dass es sich um eine revolutionsfreundliche Darstellung handelt, in deren Interesse die Betonung der neuen Ordnung liegt, braucht nicht eigens betont werden, wenn man den bürgerlichen Namen des Verurteilten Louis Capet und das Datum des 30. Germinal unter dem Bild liest. Die ökonomische Stadt - Markt und Misere Mit der Revolution und dem Beginn des 19. Jahrhunderts wird das städtische Personal der kleinen Leute und des Bürgertums interessanter. Die bislang wenig sichtbare bürgerliche Stadt, die „ville invisible“ des Age classique, 22 tritt in den Vordergrund. Mit dem neuen Personal entsteht jene kleinbürgerlich gefärbte Stadt, deren Viertel je andere Charaktere hervorbringen, wie sie Balzac in der Comédie humaine beschreiben wird. Es ist eine Stadt der kleinen Händler, wie sie etwa Jean Henry Marlet um 1821 an den Quais von Paris skizziert und sie bis heute in den Touristenführern als typisch gelten (Abb. 22). Die intime und die soziale Stadt mit ihrer Ökonomie, ihren Erfolgsgeschichten und ihrer Misere beschreiben auch die grotesken Entwürfe der romantischen Literatur, etwa in den Misérables von Victor Hugo, 23 in denen zum ersten Mal auch über den Argot als Sprache des städtischen Milieus geschrieben wird. Die von Hugo in der Préface de Cromwell 24 als Prinzip der romantischen Darstellung hervorgehobene Groteske als Steigerung von Kontrasten ist auch in der bildenden Kunst vorhanden, wie der Titel Les Contrastes und die Bildaufteilung der um 1820 in Paris entstandenen Lithographie des deutschen Malers Ludwig Rullmann zeigt (Abb. 23). Allegorische Darstellungen von Hunger und Völlerei stehen einander gegenüber, die soziale Hierarchie wird durch eine klare Trennung von oben und unten repräsentiert und die Treppe zu Aufstieg und Abstieg nimmt eine großen Teil der rechten Bildhälfte ein. Eine solche Beschreibung könnte man auch bei Balzac oder Hugo oder in melodramatischer Steigerung in Eugène Sues Mystères de Paris 25 finden. Ikonographie der Stadt und die erzählte Stadt korrespondieren eng miteinander. Ein Vorläufer in der Darstellung der Intimität der Stadt und der Innenräume des Lebens findet sich in Alain-René Lesages Roman Le Diable Boiteux von 1726, in der 191 Dossier der Teufel vor den Augen des Lesers die Dächer von den Häusern Madrids nimmt und so einen Blick ins Innere, ins Seelenleben, der städtischen Bewohner erlaubt. 26 Doch geht es zwar um ein niederes Genre des komischen Romans, aber noch ist die Stadtdarstellung eine moralisierende Darstellung des Welttheaters, in der das frivole Madrid für das wohl nicht weniger frivole Paris stehen mag. Volker Klotz kommentiert: „Fraglos, Le Diable Boiteux zählt genau wie die anderen Romane Lesages zum handfesten ‚niederen’ Genre, das sich schroff vom höfischen Barockroman absetzt; sowohl im Stil wie in der unzensierten Gegenstands- und Gegenwartsfülle, deren er sich annimmt. […] Doch es geht Lesage […] nicht darum, die städtischen Lebensregungen als epische Hofschranzen antreten zu lassen. […] Als pars pro toto spiegelt das menschliche Treiben in der Stadt das menschliche Treiben in der Welt.“ 27 Die allegorische Funktion des teatro mundi hat die romantische literarische Stadt nur noch teilweise, die Ikonographie der Romantik kaum noch. Ihr Personal ist in realen Miseren begriffen oder verfällt der Illusion eines leichten Aufstiegs, dessen Rechnung erst später präsentiert wird. Die Zirkulation des Geldes und der Waren regiert diese Stadtkonstruktion und der zentrale Ort ist der Marktplatz. Die eigentliche ökonomische Stadt beginnt insofern, wie Halbwachs schreibt, durchaus in der Romantik. Die Ikonographie der Stadt als Ort von Handel und Verkehr aller Art setzt jedoch schon einiges früher ein. Treten wir also noch einmal ein paar Schritte zurück und betrachten markante Beispiele der Konstruktion ökonomischer Stadtmorphologien im Bild. Die früheren Marktplätze sind vor allem als zentrale Plätze dargestellt, denen ein hoher repräsentativer Wert zukommt und die für die Bedeutung der Stadt stehen. In Giuseppe Vasis Lithographie des Campo doglio in Rom (Abb. 24) wird die Größe des Marktes durch die aufsteigende Treppe hervorgehoben, von der sich die Personen kaum abheben. Die Kutschen im Vordergrund verweisen auf die Bedeutung des Verkehrs und des Reisens, erscheinen aber im Vergleich zu den Treppen, den mehrstöckigen, den Platz umgebenden Bauten und den beiden den Eingang zum Markt flankierenden übermannshohen Reiterstandbilder eher klein. Gehen wir noch einen Schritt zurück, so begegnet uns etwa in der Darstellung Heinrich von Steenwijks von Aachen als eine bedeutende Handelsstadt des 16. Jahrhunderts 28 die Ikonographie des städtischen Marktes als eines freien Raums, der von einer Menschenmasse und einem dynamischen bürgerlichen Personal angefüllt ist. Hier haben wir wie bei Lesage wohl das typische Personal, aber nicht die romantische Innenschau, die die pittoreske Stadtdarstellung und die Szenen aus dem kleinbürgerlichen Leben nach 1800 in groteskem Kontrast vermitteln. Die Ikonographie der Stadt begegnet hier der Physiognomik seiner Bewohner, doch das ist ein anderes Thema. 192 Dossier Die Stadt als Natur Die Stadt ist in der Ikonographie auch ein Teil der Natur. Darunter kann man zum einen die notwendig sie umgebende wilde Natur verstehen, gegen die sie sich abgrenzt, aber auch die domestizierte Natur der Landwirtschaft, die die Grundlage für den typischen Kontrast von Stadt- und Landleben ist. Während die Literatur diesen Gegensatz oft satirisch inszeniert, bildet die visuelle Kunst eher die Stadt als zweite Natur ab und greift die Metaphern der dynamischen Bewegung der Menschenmenge in der Stadt auf wie etwa in Victor Hugos historischem Roman Notre Dame de Paris, 29 in dem die Stadt als ein Meer beschrieben wird. Klotz kommentiert einzelne Passagen des Romans in dieser Hinsicht genau und resümiert: „Im Laufe der Jahrhunderte steigt die Flut des Pflasters und verschlingt die Stufen, […] überschwemmt das Häusermeer die ursprünglichen Stadtmauern, die alten Teile werden zu Inseln. […] Die Einzelnen im Roman ragen aus dem Menschen- und Häusermeer heraus. Sie sind davon dermaßen umbrandet, daß sie ständig Gefahr laufen, überschwemmt oder davongespült zu werden. Sie kommen aus diesem Meer und das Meer will sie wieder haben.“ 30 Die Stadt ist selbst in Bewegung und ihre naturhafte Urgewalt reißt ihre Bewohner mit, nur die steinernen Wasserspeier der Kathedrale von Notre Dame betrachten mit einer gewissen Ruhe die wilden Wogen des Häusermeeres unter ihnen (Abb. 25). Doch die Ikonographie der Stadt ist nie einfach und eindeutig, wie wir gesehen haben, und so verwundert es nicht, das noch eine andere Form der Beziehung von Stadt und Natur die Malerei seit der Romantik kennzeichnet, nämlich die in die Ferne gerückte und von außen beim Spazierengehen betrachtete Stadt als Teil einer Landschaft und Anlass einer melancholischen oder philosophischen Nachdenklichkeit. 31 Hier kommt hinzu, dass der Abstand des Betrachters und zuweilen des im Bild dargestellten internen Betrachters der Stadt eine Aura des fernen Mysteriums und des gesuchten Ortes verleihen, die auch die romantische Reiseliteratur hervorbringt. Die Stadtansicht von Mühldorf aus der Mitte des 19. Jahrhunderts (Abb. 26), das idyllisch und ruhig in der Ferne liegt und von der Höhe eines Hügels aus betrachtet wird, trägt dabei die Züge einer idealen Stadt. Die kreisförmige Anlage, die Kirche in der Mitte, Stadtmauer und Flussbiegung, begrenzter Zugang und geschützter Friede zeichnen den Topos aus, wozu nun die fruchtbare und parkähnliche, domestizierte und friedliche Umgebung hinzukommt, die das saftige 193 Dossier Grün des Grases und die Aussichtstürme im Vordergrund signalisieren. Im 18. Jahrhundert war diese in die Ferne gerückte Stadtansicht die Kulisse der Reflexion und des Dialogs der Philosophen, die auf den Spaziergängen um die Stadt - ganz wie der faustische Mensch beim Osterspaziergang vor die Stadt - die großen Gedanken des Lebens meditieren. Eine Ansicht der Stadt Potsdam aus der Zeit Voltaires und Friedrich II zeigt eine solche Szene mit zwei spazierenden Philosophen im Vordergrund. 32 Diese Stadtdarstellung korrespondiert mit der literarischen Form des roman philosophique, in dem auch in Bewegung außerhalb der Stadt, etwa wie in Diderots Jacques le fataliste et son maître, 33 auf Reisen, dialogisch reflektiert wird. Die Stadt in der Landschaft des frühen 19. Jahrhunderts wird hingegen von einem einsamen Spaziergänger angestrebt, wie etwa die ferne kreisförmige Reminiszenz der idealen Stadt in der Abbildung von Bielefeld mit dem Blick auf die Sparrenburg von 1830 zeigt (Abb. 27). Links im Bild ist der Wanderer eindeutig gekennzeichnet als ein fremder Reisender mit Beutel und Stock als Gepäck und Ausstattung, der von der Anhöhe der Betrachtung aus hinunter schaut auf die Talsenke und hinüber auf die Stadt auf der gegenüber liegenden Anhöhe. Solche idealen Stadtkonstruktionen sind auch in der Literatur die Zielorte des Nerval’schen Reisenden nach Deutschland, das ihm fremdländisch erscheint und zum Ort seiner eigenen Selbstreflexion und Selbstverortung werden kann. 34 Ikonographie und Literatur - eine dialektische Beziehung Der rasche Durchgang durch die vielfältige Ikonographie der Stadt vom Mittelalter bis zur Romantik hat die ambivalenten Horizonte des Imaginariums Stadt aufgezeigt. Zwischen Apokalypse und Utopie, sakralem und profanen Ideal, Erlösungsphantasie und Raum der Misere, geometrischer Konstruktion und landschaftlicher Einbettung, revolutionärer Dynamik und friedlichem Schutzraum etc. ist die Stadt in der Zuschreibung ihrer Funktionen und symbolischen Bedeutungen ein fast unerschöpfliches Reservoir, nicht nur für die bildenden Künste, sondern auch und gerade für die literarische Imagination. Andererseits entspringen, wie zu sehen war, manche der Bilder und Motive direkt oder indirekt literarischen Werken, textuellen Legenden oder besonderen, aus visuellen und literarischen Quellen gleichermaßen gespeisten Diskursen. In manchen Fällen korrespondieren die ästhetischen Dispositive miteinander, werden aber mit anderen Mitteln umgesetzt, wie etwa die ferne romantische Perspektive als Moment der reflektierenden Distanz im Bild, von der der literarische Erzähler als empfundene Einsamkeit und Distanz als 194 Dossier Fremder in der Stadt berichtet. Die Ikonographie der Stadt ist vernetzt als ein Archiv, auf das die beschreibende Erzählung wie die weitere Bildgeschichte kreativ und intertextuell zugreifen. Diesem Archiv gehören aber nicht nur die Bilder selbst, sondern auch deren Legenden und die historia der Bilder an, und damit ist ganz konkret die jeweils erzählte Geschichte hinter einem Gemälde gemeint, die bis ins 18. Jahrhundert oftmals Auslöser und Auftrag für ein Werk war, wie Pascal Griener gezeigt hat. 35 Die Ikonographie wird daher selbst erst erzeugt durch Texte, Gedichte, Erzählungen, sakrale und literarische Texte etc. Die Literatur hat vielleicht den Vorteil darin, dass sie mehrere ikonographische Dimensionen zugleich erzählen kann und mittels der Dichte des Textes und der Überdetermination der Zeichen die Ambivalenzen des städtischen Topos (etwa zwischen Utopie und Apokalypse) vielfältiger zum Ausdruck bringen kann. Literatur kann mit der Sichtbarkeit und der Unsichtbarkeit des Stadtkonstruktionen spielen, sie offen legen oder verbergen. Die Bilderwelt legt frei, sie zeigt die idealen oder zerstörten Städte; aber sie hat auch ihre eigene, nur zuweilen an der literarischen Symbolik angelehnte Deutungsdimension und verlangt eine eigene Hermeneutik. 36 So gilt für die Beziehung des literarischen Imaginariums der Stadt und die Ikonographie der Stadt wohl das Horaz’sche Diktum und seine Umkehrung: ut pictura poesis - ut poesis pictura. 1 Cf. Italo Calvino, Le Città invisibili, Mailand, Mondadori, 1996, und hier in diesem Dossier den Beitrag von Jean-Christophe Abramovici. 2 Cf. zur Phänomenologie des Erscheinens der Gemeinschaft: Jean-Luc Nancy, Die undarstellbare Gemeinschaft, Stuttgart, Patricia Schwarz, 1988 [La communauté désœuvrée, Paris, Bourgois 1982], und id., Die Musen, Stuttgart, Legueil, 1999 [Les muses, Paris, Flammarion, 1984]. 3 Cf. Maurice Halbwachs, Soziale Morphologie, Konstanz: UVK, 2002, bes. „Was heißt soziale Morphologie? “, 11-22, und „Morphologie der Großstadt“, 56-68. 4 Ibid., 5f. 5 Cf. Miriam Lay Brander, „Diskursive Stadtkonstitution im philosophischen Dialog der Frühen Neuzeit“, in: Sabine Heinemann/ Rembert Eufe (eds.): Romania urbana. Die Stadt des Mittelalters und der Renaissance und ihre Bedeutung für die romanischen Sprachen und Literaturen, München, Martin Meidenbauer, 2010, 107-126, und Andreas Mahler: „Stadttexte - Textstädte. Formen und Funktionen diskursiver Stadtkonstitution“, in: id. (ed.): Stadt-Bilder. Allegorie, Mimesis, Imagination, Heidelberg, Winter, 1999, 11-36. 6 Cf. Halbwachs, op. cit., bes. 60ff. Halbwachs verbindet die drei Dimensionen der Morphologie mit seiner an Victor Hugo angelehnten Theorie der drei Zeiten: In der Antike stand die Stadtgründung um einen heiligen Ort im Vordergrund und damit die religiöse Stadt, im Mittelalter die politische und strategische Stadt, die Festungsanlage, und in der Neuzeit dann die ökonomische Stadt. 7 Cf. Michel de Certeau: „Praktiken im Raum (1980)“, in: Jörg Dünne/ Stephan Günzel (eds.), Raumtheorie, Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a. M., Suhrkamp, 2006, 343-353. 8 Cf. Georges Duby (ed.): Histoire de la France urbaine, Bd. 2: La ville médiévale des Carolingiens à la Renaissance, Paris, Seuil, 1980; Bernd Fuhrmann: Die Stadt im Mittel- 195 Dossier alter, Stuttgart, Theiss, 2006, und Frank Hirschmann, Die Stadt im Mittelalter, München, Oldenbourg, 2009. 9 Cf. hierzu den Beitrag von Elisabeth Tiller in diesem Dossier. 10 Cf. Maria Selig: „Die mittelalterliche Stadt als Kommunikationsraum. Zur Rolle der Städteforschung in der historischen Sprachwissenschaft“, in: Heinemann/ Eufe (eds.): Romania urbana, op. cit., 307-318. 11 Cf. zur kulturwissenschaftlichen Deutung von Architektur und deren Abbildungen: Susanne Hauser/ Christa Kamleithner/ Roland Meyer (eds.): Architekturwissen. Grundlagentexte aus den Kulturwissenschaften, Bd. 1: Zur Ästhetik des sozialen Raums, Bielefeld, transcript, 2010. 12 René Descartes: Discours de la methode pour bien conduire sa raison, et chercher la vérité dans les sciences, Leyden, Jan Maire, 1637, Teil II, o.S. 13 Cf. François Rabelais: Gargantua und Pantagruel, Kapitel LVII, Frankfurt a. M., Insel, 1976 [1534]. 14 Cf. Michail Bachtin, Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur, München, dtv, 1969, Frankfurt a. M., Suhrkamp, 1996, und id.: Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur, Frankfurt a. M., Suhrkamp, 1987. 15 Cf. Gisela Febel/ Gerhart Schröder (eds.), La Piazza. Geschichte - Realitäten - Visionen. Zur Geschichte des öffentlichen Raumes, Stuttgart, Hatje Cantz, 1992. 16 Cf. zu Du Bellays Songe: Gisela Febel, „L’appropriation de l’Antiquité par le topos de la ruine“, erscheint voraussichtlich in: id. (ed.): Autour de Rome, Hamburg, LIT, 2011 (Reihe FOLIES, Bd. 8). 17 Cf. zur Hieroglyphik und der Beziehung zur Literatur: Gisela Febel: Poesia ambigua - Vom Alphabet zum Gedicht, Frankfurt a. M., Klostermann, 2001. 18 Cf. in diesem Dossier den Beitrag von Susanne Greilich, sowie Rudolf Behrens: „Räumliche Dimensionen imaginativer Subjektkonstitution um 1800 (Rousseau, Senacour, Chateaubriand)“, in: Inka Mülder-Bach/ Gerhard Neumann (eds.): Räume der Romantik, Würzburg, Königshausen & Neumann, 2007, 27-63. 19 Cf. Gerhard Lauer/ Thorsten Unger (eds.): Das Erdbeben von Lissabon und der Katastrophendiskurs im 18. Jahrhundert, Göttingen, Wallstein, 2008, und Horst Günther: Das Erdbeben von Lissabon und die Erschütterung des aufgeklärten Europa, Frankfurt a. M., Fischer, 2005. 20 Johann Wolfgang Goethe: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, Hamburger Ausgabe, 1811f., Bd. IX, 30f. 21 Cf. die Darstellung der Hinrichtung von Ludwig XVI., 1793, Druck von Isidore-Stanislas Helman nach Charles Monnets Zeichnung, Museum der französischen Revolution. Cf. zum szenischen Moment in diesem Dossier den Beitrag von Romana Weiershausen. 22 Cf. in diesem Dossier den Beitrag von Jean-Christophe Abramovici. 23 Victor Hugo: Les Misérables, Paris, A. Lacroix, Verboeckhoven & Ce., 1862. 24 Cf. id.: Préface de Cromwell. Paris, Larousse, 2004 [1827], und Gisela Febel: „Victor Hugos Konstruktion des Mittelalters“, erscheint in: Sonja Kerth et al. (eds.): Konstruktionen von Mittelalter seit der Renaissance, voraussichtlich 2011. 25 Cf. Eugène Sue: Les Mystères de Paris, in: Le Journal des Débats, 19. Juni 1842 bis 15. Oktober 1843. 26 Cf. Alain-René Lesage: Le Diable Boiteux, in: Romanciers du XVIIIe siècle, Bd. I, Paris, Gallimard, 1960, 267-490 [illustrierte Fassung 1737], und die Illustration aus Lesage in der Einleitung zu diesem Dossier. 196 Dossier 27 Volker Klotz: Die erzählte Stadt. Ein Sujet als Herausforderung des Romans von Lesage bis Döblin, Reinbek, Rowohlt, 1969, 46f. 28 Cf. Hendrik von Steenwijk, Aachener Marktszene, nach 1586, http: / / www.aachenergeschichtsverein.de/ Online-Beitraege/ die-aeltesten-bildlichen-und-kartographischen-darstellungen-der-stadt-aachen, 16.08.2011. 29 Victor Hugo: Notre Dame de Paris, Paris, Librairie Générale française, 1972 [1831]. 30 Klotz, op. cit., 101. 31 Die Erfindung der Landschaft und des Spaziergangs, der Reflexion in Bewegung, kann man in der Aufklärung und der Frühromantik verorten. Cf. Alexander Ritter (ed.): Landschaft und Raum in der Erzählkunst, Darmstadt, WBG, 1975, und Jean-Jacques Rousseau, Rêveries d’un promeneur solitaire, Paris, Flammarion, 1999 [posthum 1782]. 32 Cf. den Titel: „La ville et le dialogue éclairée des philosophes promeneurs“, Ansicht der Stadt Potsdam zur Zeit Friedrichs II, Stich, anonym, http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Datei: Potsdam_Stadtansicht.jpg, 16.08.2011. 33 Denis Diderot: Jacques le fataliste et son maître, Paris, Buissson, 1797. 34 Cf. den Beitrag von Susanne Greilich in diesem Dossier. 35 Cf. Pascal Griener: „L’énonciation rhétorique“, in: Gerhart Schröder/ Barbara Cassin/ Gisela Febel/ Michel Narcy (eds.): Anamorphosen der Rhetorik. Die Wahrheitsspiele der Renaissance. München, Fink, 1997, 207-230, und id., „Histoire, temps et vérité: la mise en scène des ‚Vite’ de Vasari (1550-1568)“, in: Eric Alliez/ Gerhart Schröder/ Barbara Cassin/ Gisela Febel/ Michel Narcy (eds.): Metamorphosen der Zeit. München, Fink, 1999, 177-206. 36 Cf. Oskar Bätschmann: Einführung in die kunstgeschichtliche Hermeneutik, Darmstadt, WBG, 1984. Abbildungen: Abb. 1: Älteste Ansicht der Stadt Nürnberg, Weltchronik des Hartmann Schedel, 1493, bayrische Staatsbibliothek. Abb. 2: Ansicht von Paris, Weltchronik des Hartmann Schedel, 1493, bayrische Staatsbibliothek. Abb. 3: Andreas Faistenberger, Vogelschauansicht von Kitzbühel, 1620, Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien. Abb. 4: François de Nomé/ Didier Barra, Vue de Metz et descente de croix, Anciennement „vue de Jérusalem“, 17. Jahrhundert, http: / / en.wikipedia.org/ wiki/ File: Vue_de_Metz_et_ descente_de_croix_Barra_%26_De_Nomé.jpg, 16.08.2011. Abb. 5: Das himmlische und das irdische Jerusalem, Miniatur aus dem 14. Jahrhundert, anonym, http: / / www.kreuzzuege-info.de/ bilder/ jerusalem.jpg, 16.08.2011. Abb. 6: Das himmlische Jerusalem, Buchmalerei, Böhmen, 12. Jahrhundert, aus: Augustinus, De Civitate Dei, Prag, Hradschin. Abb. 7: Der Radleuchter, Hildesheimer Dom, um 1270, http: / / www.bistum-hildesheim.de/ bho/ dcms/ sites/ bistum/ bistum/ dom/ kunstwerke/ heziloleuchter/ index.html, 16.08.2011. Abb. 8: Filarete, Plan für die Idealstadt Sforzinda, aus id., Trattato d’architettura, 25. Bde., zwischen 1460 und 1464, Mailand, Il Polifilo, 1972, http: / / upload.wikimedia.org/ wikipedia/ commons/ thumb/ 7/ 7f/ Idealstadt.jpg/ 220px-Idealstadt.jpg, 16.08.2011. Abb. 9: Georg Braun/ Frantz Hogenberg, Ansicht von Palmanova, nach den Plänen von Vincenzo Scamozzi, 1593, Kupferstich, 1597/ 1598, http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Palmanova, 16.08.2011. 197 Dossier Abb. 10: Jean-Jacques Moll, Plan d’une ville de cent mille ames, Bienne, 1801, http: / / www.erara.ch/ zut/ content/ structure/ 23511, 16.08.2011. Abb. 11: Etienne Dupérac, Der Kapitolsplatz in Rom, Radierung, 1569, http: / / de.wikipedia.org/ w/ index.php? title=Datei: CampidoglioEng.jpg&filetimestamp=20050103135625, 16.08.2011. Abb. 12: Ambrosius Holbein, Utopia, Holzschnitt aus Thomas Morus, Utopia, Ausgabe von 1518, http: / / www.accd.edu/ sac/ english/ bailey/ utopia.htm, 16.08.2011. Abb. 13: Questel, Rekonstruktion der Abbaye de Thélème, aus: Charles Lenormant, Rabelais et l’architecture de la Renaissance, Paris, Crozet, 1840, o.S. Abb. 14: Die ideale Stadt, um 1470, unbekannter Maler, The Walters Art Gallery, Baltimore. Abb. 15: Kupferstich vom Innenraum der zerstörten Basilika San Paolo fuori le mura in Rom, anonym, 1823, http: / / www.welt.de/ multimedia/ archive/ 01171/ rekonstruktion_rom_1171228s.jpg, 16.08.2011. Abb. 16: Pieter Breughel der Ältere, Der Turmbau zu Babel, 1563, Kunsthistorisches Museum Wien. Abb. 17: Zeitgenössisches Flugblatt vom Erdbeben von Lissabon, http: / / www.spiegel.de/ panorama/ 0,1518,grossbild-423553-335774,00.html, 16.08.2011. Abb. 18: Die wahre Geschichte des verheerenden Erdbebens von Lissabon, unbekannter tschechischer Künstler, Prag, 1755, http: / / nisee.berkeley.edu/ lisbon/ kz142.jpg, Fig. 14., 16.08.2011. Abb. 19: Jean-Pierre Louis Laurent Houel, La prise de la Bastille, 1789, Bibliothèque nationale, Paris, Katalognummer 07743702. Abb. 20: La foule parisienne est dispersée par la force aux Tuileries, Aquarell, anonym, um 1789, http: / / www.kunst-fuer-alle.de/ deutsch/ kunst/ kuenstler/ poster/ franzoesische-revolution/ 21288/ 8/ 141126/ lambesc-vertreibt-menge-1789---aquarell/ index.htm, 16.08.2011. Abb. 21: Jacques-Louis David, Le Serment du Jeu de paume, 1791, Paris, Musée Carnevalet. http: / / fr.wikipedia.org/ wiki/ Fichier: Serment_du_Jeu_de_Paume_-_Jacques-Louis_David.jpg, 16.08.2011. Abb. 22: Jean Henry Marlet, nach Adrien Victor Auger, Bouquiniste quai Voltaire, 1821, in: Charles Simond, La vie parisienne à travers le XIXe siècle, Paris, E. Plon, Nourrit et Cie, 1900, 458. Abb. 23: Ludwig Rullmann, Les Contrastes, Lithographie, Paris, zwischen 1820 and 1822, in: Jörn Christiansen (ed.): Kunst und Bürgerglanz in Bremen, Bremen, Hauschild Verlag, 2000, http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Datei: Les_Contrastes_-_1820_-_Ludwig_Rullmann.jpg, 16.08.2011. Abb. 24: Giuseppe Vasi, Il Campodoglio de Roma, um 1750, http: / / www.romeartlover.it/ Vasi80.htm, 16.08.2011. Abb. 25: Luc-Olivier Merson, aus: Victor Hugo, Notre Dame de Paris, Paris, Ausgabe von 1837, http: / / www.virtualmuseum.ca/ Exhibitions/ Valentin/ English/ 4/ 414.php3, 16.08.2011. Abb. 26: Nikolaus Gumberger, Stadtansicht von Mühldorf am Inn, um 1860, http: / / upload.wikimedia.org/ wikipedia/ commons/ thumb/ 7/ 70/ Stadtansicht_M%C3%BChld orf_um_1860.jpg/ 220px-Stadtansicht_M%C3%BChldorf_um_1860.jpg, 16.08.2011. Abb. 27: Die Sparrenburg bei Bielefeld, Stadtansicht um 1830, anonym, zeitgenössischer Stich, http: / / www.danisstern.de/ Button/ johannisburg.jpg, 16.08.2011. 198 Dossier Résumé: Gisela Febel analyse dans sa contribution intitulée Quelques remarques sur l’iconographie de la ville du Moyen Age à l’époque romantique les différentes fonctions de l’imaginaire pictural de la ville pour la construction de communautés idéales ou utopiques, mais aussi pour la mise en image des visions apocalyptiques ou révolutionnaires et pour la visualisation des contrastes entre nature et civilisation. Cité idéale ou lieu infernal, construction urbaine protectrice réelle voire réalisable ou pure vision géométrique et harmonique, la ville fait preuve d’une longue durée à travers son iconographie, ainsi que de sa fonction allégorique et moralisatrice renouvelée à chaque époque. La ville imaginée, peinte ou dessinée est, comme on peut voir ici, à la fois l’archive visuel pour les modèles de la ville littéraire et l’inspiration de nouvelles constructions urbaines dans l’imaginaire littéraire de la ville. 15: 48: 32 199 Actuelles Roland Höhne Sarkozy und die arabische Politik Frankreichs Als der französische Staatspräsident Sarkozy am 19. März 2011 den Befehl zur militärischen Intervention im libyschen Bürgerkrieg gab, glaubte er wahrscheinlich, daß ein paar energische Luftschläge genügen würden, das Gaddafi-Regime in die Knie zu zwingen. Er wäre dann als Vorkämpfer der arabischen Freiheit der große Held gewesen. Seine Erwartungen erfüllten sich jedoch nicht. Trotz der schrittweisen Ausweitung der Luftangriffe auf immer weitere Ziele (Radar- und Raketenstellungen, Panzer und Artillerie, Truppenkonzentrationen und Versorgungstransporte, Munitionsdepots und Treibstofflager, Straßen, Raffinerien), der Erhöhung der Flugfrequenzen, des Einsatzes von Kampfhubschraubern gegen Bodentruppen und der Verhängung einer Seeblockade konnte sich Gaddafi in seiner Hochburg Tripolis behaupten. Mitte August war noch kein Ende der Kämpfe abzusehen. Früher oder später wird Gaddafi sicherlich aufgeben müssen, aber zurück bleibt ein zerstörtes Land, dessen Zukunft ungewiss ist. Was hatte Sarkozy zu seiner Fehlentscheidung veranlasst? Handelte er primär aus persönlichen und innenpolitischen, oder aber aus außen- und geostrategischen Überlegungen? Welche Rolle spielten wirtschaftliche Interessen? Vorwände und Motive der französischen Initiative In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin L’ Express vom 4. Mai 2011 nannte Sarkozy im wesentlichen drei Gründe für seine Entscheidung: den Kampf gegen den internationalen Terrorismus, das Engagement für die Demokratie und den Schutz der Zivilbevölkerung. Frankreich sei seit den 80er Jahren Zielscheibe von Terroristen gewesen. Es habe sich diesen entschlossen widersetzt und keine ihrer Forderungen erfüllt. Zwischen dem Terrorismus und der Demokratie sei ein Kompromiss nicht möglich. Gegen diese mittelalterliche Form der Barbarei gäbe es nur den Frontalangriff, ohne Zugeständnisse. Demokratie sei die beste Antwort auf den Terrorismus. Frankreich müsse deshalb den demokratischen Aufbruch in den arabischen Ländern mit aller Kraft unterstützen. Von Charles de Gaulle bis Jacques Chirac habe es mit den autoritären Regimen in der arabischen Welt kooperiert, um die Stabilität dieser Weltregion zu sichern. Die Volkserhebungen in Tunesien und in Ägypten aber hätten Frankreich zum Umdenken gezwungen. Heute unterstütze es die arabischen Freiheitsbewegungen „Wenn ein Volk seine Freiheit einfordert, steht Frankreich künftig an seiner Seite. Stabilität ist ein Ziel, das man mit Hilfe von De- 200 Actuelles mokratie und Achtung der Menschenrechte erreichen kann; sie ist nicht mehr ein Zustand, den es zum Preis von so viel Ungerechtigkeit aufrecht zu erhalten gilt.“ 1 Die Intervention in Libyen sei jedoch nicht nur zur Förderung der Demokratie, sondern auch zum Schutz der Zivilbevölkerung notwendig gewesen. Hätte Frankreich nicht eingegriffen, wäre es in Bengasi zehnmal schlimmer ausgegangen als damals in Srebrenica. „Bengasi zählt nahezu eine Million Einwohner und Gaddafi hätte seine Drohung wahr gemacht, so gnadenlos vorzugehen wie in Misrata, wo er die Zivilbevölkerung blind bombardiert hat.“ 2 Alle drei Argumente erscheinen stichhaltig, bei näherem Hinschauen jedoch als problematisch. Gewiss war Gaddafi für Terroranschläge gegen den Westen verantwortlich, so für das von Lockerbie am 21.12. 1988 und gegen ein Flugzeug der französischen Fluglinie UTA im September 1989. Aber seine Motive waren nationalistisch, nicht islamistisch, können also nicht unter dem Sammelbegriff des Islamismus (Al-Quaida) subsumiert werden, der die Sicherheit des Westens bedroht. Außerdem wurden die Streitfragen zwischen Libyen und dem Westen, die zu den Terroranschlägen geführt hatten, nach langwierigen Verhandlungen geregelt, die internationale Isolierung Gaddafis aufgehoben. Der autoritäre, repressive Charakter des Gaddafi-Regimes war danach für Frankreich kein Grund, mit diesem keine engen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu unterhalten. Erst der Erfolg der Protestbewegung in Tunesien und Ägypten führte zu einer Änderung der französischen Haltung. Ihre Unterstützung liegt sicherlich im arabischen und europäischen Interesse, der gewaltsame Demokratieexport ist dagegen kontraproduktiv, wie die amerikanische Irakintervention von 2003 gezeigt hat. Auch die moralische Rechtfertigung der militärischen Intervention durch die Notwendigkeit des Schutzes der libyschen Zivilbevölkerung erscheint problematisch, da deren menschlichen und materiellen Kosten beträchtlich sein dürften, wie das Beispiel des Kosovokrieges gezeigt hat. Außerdem handelte es sich um einen Vorwand, wie sich im Verlauf der westlichen Militäraktion rasch zeigte. In Wahrheit ging es von Anfang an um die Erzwingung eines Regimewechsels durch den Sturz Gaddafis. Dieser ist aber durch die UN-Resolution 1973 vom 17. März 2011 nicht gedeckt. Angesichts der Problematik der offiziellen Rechtfertigung der französischen Initiative zur militärischen Intervention in den libyschen Bürgerkrieg stellt sich die Frage nach den wahren Motiven Sarkozys. Im Präsidentschaftswahlkampf von 2008 hatte dieser einen „Bruch“ mit der Außenpolitik seines Vorgängers, Jacques Chirac, angekündigt. Geändert hat er aber lediglich deren Stil. An die Stelle ruhigen Handelns, das sorgfältig alle Argumente pro und contra eine Aktion abwägt, sind spontane, sich oft widersprechende Entscheidungen getreten, die sich an kurzfristigen Kalkülen orientieren. Sie entsprechen Sarkozys sprunghaftem Charakter, sie entspringen aber auch einer strukturellen Notwendigkeit der französischen Außenpolitik. Als Mittelmacht mit weltweiten Ambitionen hat Frankreich unter den gegenwärtigen Bedingungen des internationalen Systems nur eine Chance, gehört 201 Actuelles zu werden, wenn es geschickt plötzlich auftretende Gelegenheit nutzt, um sich als Führungsmacht zu profilieren. Schnelles Handeln ist daher geboten. Dieses schien auch aus innenpolitischen Gründen notwendig. Sarkozy will sich bei den Präsidentschaftswahlen im kommenden Frühjahr zur Wiederwahl stellen. Bei Meinungsumfragen über die Intentionen der Wähler stand er Anfang 2011 aber nur an dritter Stelle hinter dem damaligen aussichtsreichen sozialistischen Kandidaten für die Kandidatur, Dominique Strauss-Kahn sowie der nationalistischen Kandidatin Marine Le Pen. Von einem diplomatischen Erfolg könnte er sich eine Verbesserung seiner Wahlchancen versprochen haben. So wichtig diese persönlichen Motive auch gewesen sein mögen, so scheinen doch außenpolitische Motive ausschlaggebend gewesen zu sein. Stellt man Sarkozys Interventionsentscheidung in den Gesamtzusammenhang der französischen Außenpolitik, dann werden deutlich Traditionslinien erkennbar. Die wichtigste von diesen ist die sogenannte „arabische Politik“ seit den sechziger Jahren. Die arabische Politik Frankreichs Als Teil seiner nationalen Unabhängigkeits- und Großmachtpolitik strebte de Gaulle nach dem Ende des Algerienkrieges (1962) eine Stärkung des französischen Einflusses in der arabischen Welt an. Er wolle dadurch einerseits den Verlust der französischen Kolonialherrschaft über Syrien und den Libanon sowie über Nordafrika kompensieren, andererseits die französische Position gegenüber den Vereinigten Staaten verbessern. Die arabische Welt bot sich als französisches Einflussgebiet besonders aus geographischen, historischen, politischen und wirtschaftlichen Gründen an. Seit der arabischen Eroberung der östlichen und südlichen Mittelmeergebiete im 7. und 8. Jahrhundert sind Franzosen und Araber/ Berber Nachbarn. Diese Nachbarschaft hat intensive Interaktionen zur Folge. Nach der Abwehr des arabischen Vorstoßes in Frankrenreich durch Karl Martell bei Tours-Poitier 732 erfolgte der französische Gegenstoß während der Kreuzzüge des 11. und 12. Jahrhunderts, die zur Errichtung „fränkischer“ Herrschaften im Nahen Osten führten. Diese konnten sich zwar nicht lange behaupten, prägten aber das historische Gedächtnis. Nach Napoleons ägyptischem Feldzug von 1797 setzten sich die Franzosen im Zuge der europäischen Kolonialexpansion des 19./ 20. Jahrhunderts zunächst in Nordafrika, dann im Nahen Osten fest. 3 Ihr Versuch, durch den Bau des Suezkanals auch in Ägypten Fuß zu fassen, scheiterte am britischen Widerstand. Das Mittelmeer wurde kein französisches Meer, sondern eine britisch-französische Konfliktzone. Daran änderte auch das Bündnis im Krimkrieg (1854-1856) gegen Russland und die Entente cordiale gegen Deutschland (1904) nichts. Noch 1943-1945 kam es zu einem britisch-französischen Konflikt über Syrien und den Libanon. Erst während der Entkolonisierung der 50er Jahre begruben beide Kolonialmächte ihre Mittelmeerrivalität und intervenierten während der Suezkrise von 1956 gemeinsam in Ägypten. Allerdings ohne Erfolg, da sich die USA 202 Actuelles und die Sowjetunion ihrer Intervention diplomatisch widersetzten. Von nun an dominierten die beiden Supermächte den Mittelmeerraum und damit auch weitgehend die arabische Welt. Dort hatten sich nach der Entkolonisierung Nationalstaaten gebildet, die im Inneren instabil und untereinander verfeindet waren. Sie boten daher ausländischen Einflüssen Tür und Tor. Überschattet aber wurden die innerarabischen Rivalitäten durch den Nahostkonflikt zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn. In diesem nahm Frankreich zunächst eine pro-israelische Haltung ein. Es belieferte Israel mit schweren Waffen (Panzer, Flugzeuge), unterstützte es diplomatisch und kooperierte mit ihm während der Suezintervention 1956. 4 Den gemeinsamen Gegner bildete der arabische Nationalismus mit seinem Zentrum Ägypten unter Nasser. Auch de Gaulle setzte nach seiner Rückkehr an die Macht im Mai 1958 zunächst die pro-israelische Politik der IV. Republik fort. Nach dem Ende des Algerienkrieges 1962 begann er jedoch langsam, einen grundlegenden Kurswechsel anzustreben. Am Vorabend des Sechs-Tage-Krieges von 5.-10. Juni 1967 warnte er Israel vor einem Waffengang. Als dieses dann auf die ägyptische Blockade des Golfs von Akkaba doch mit einer militärischen Offensive antwortete, verhängte er ein Waffenembargo gegen dieses und stimmte am 22. November für eine UN-Resolution, die den israelischen Rückzug auf die Vorkriegsgrenzen forderte. In seiner Pressekonferenz vom 27. November verurteilte er scharf das israelische Vorgehen und begründete seine Unterstützung der Araber mit historischen Argumenten. Trotz heftiger innerfranzösischer Proteste hielt er an seinem pro-arabischen Kurs fest. 5 Die „arabische Politik“ war geboren. Sie beruhte offiziell auf den Prinzipien der Selbstbestimmung, der Souveränität, der Nichteinmischung, der Partnerschaft und der Kooperation, im Kern auf der französischen Unterstützung des arabischen Nationalismus. Ihren internationalen Kontext bildete der Ost-West-Konflikt und die daraus resultierende sowjetisch-amerikanische Rivalität im Nahen Osten, ihre Voraussetzung das französische Streben nach Unabhängigkeit und Weltgeltung, ihre Basis der Tausch von Waffen gegen Erdöl. Zwischen allen drei Dimensionen bestand ein enger Zusammenhang. Im Interesse seiner nationalen Unabhängigkeitspolitik unterhielt Frankreich eine überdimensionierte nationale Rüstungsindustrie, deren Rentabilität nur durch massive Rüstungsexporte gesichert werden konnte. Infolge der amerikanischen Dominanz in der westlichen Welt und der sowjetischen im Ostblock waren diese praktisch nur in die Länder der Dritten Welt möglich. Diese boten sich als Käufer an, da sie selbst ihren Bedarf an hochentwickelter Militärtechnik nicht decken konnten, rüstungspolitisch aber von den Supermächten nicht abhängig sein wollten. De Gaulles Unabhängigkeitspolitik erforderte aber auch eine unabhängige Energieversorgung. Nach dem Verlust der algerischen Erdölquellen kamen für diese nur die arabischen Erdölproduzenten in Frage, da diese ihre Abhängigkeit von den angloamerikanischen Erdölgesellschaften lockern wollten, ohne in die Abhängigkeit von der Sowjetunion zu fallen. Frankreich und die arabischen Staaten schienen daher nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich ideale Partner. In der Praxis erwies sich die arabische Politik jedoch weitgehend als Fehlschlag. Sie belastete die fran- 203 Actuelles zösischen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten, ohne Frankreich erkennbare Vorteile zu bringen. Trotzdem hielten de Gaulles Nachfolger an ihr fest. Ihnen gelang es, die Beziehungen zum Maghreb zu normalisieren und im Nahen Osten, insbesondere im Irak sowie in Syrien, Fuß zu fassen. Im Libanon erlitten sie dagegen eine schwere Niederlage. Frankreichs Ressourcen reichten für eine Führungsrolle nicht aus. Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts 1990 änderte sich der internationale Kontext der französischen Nordafrika- und Nahostpolitik grundlegend. An die Stelle der amerikanisch-sowjetische Rivalität trat in der arabischen Welt die amerikanische Dominanz. Dies zeigte sich eindeutig während der ersten Golfkrieges 1991. Unter amerikanischer Führung beteiligten sich an ihm 750 000 Soldaten aus 30 Ländern. Die USA stellten 500 000, die Briten 40 000, die Franzosen aber nur 12 000 Mann. Das französische Kontingent war auf die logistische und informationelle Unterstützung der Amerikaner angewiesen. Da die französischen Kampfflugzeuge über kein Nachtradar verfügten, waren sie nachts blind. Entsprechend gering war der französische Einfluss auf die Regelung der Nachkriegsordnung. Die „arabische Politik“ hatte sich erneut als Fehlschlag erwiesen. 6 Im zweiten Golfkrieg von 2003 schwankte Chirac zunächst zwischen Teilnahme und Enthaltung. Er wollte einerseits den französischen Einfluss sowie die hohen französischen Investitionen im Irak retten, andererseits aber diesmal an der Nachkriegsregelung beteiligt werden. Schließlich entschied er sich für die Nichtintervention und fand dabei die Unterstützung Deutschlands und Russlands. So bildete sich aus Anlass der Irakfrage eine Achse Paris-Berlin-Moskau, von der de Gaulle einst geträumt hatte, die aber in Washington und London keineswegs goutiert wurde. Dank ihrer eindeutigen militärischen Dominanz konnten sich die Amerikaner mit Hilfe von „Willigen“ des Atlantischen Bündnisses, unter ihnen Großbritannien, Spanien, Italien sowie Polen, durchsetzen, aber noch heute ist der Irak weit von einer inneren Stabilisierung entfernt. Frankreich hatte somit durchaus richtig gehandelt, aber auf die Nachkriegsregelung nahm es abermals keinen Einfluss. Als Sarkozy 2008 die Nachfolge Chiracs antrat, hatte sich der internationale Kontext abermals gewandelt. Die USA, die nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes eindeutig das internationale System dominierten, hatten infolge des Aufstiegs der Schwellenländer, insbesondere Chinas sowie infolge innerer Probleme, insbesondere der horrenden Staatsverschuldung, seit Beginn des neuen Millenniums weltweit an Einfluss verloren. Sie bildeten zwar nach wie vor die größte Wirtschafts- und Militärmacht der Welt, aber sie waren nicht mehr überall fähig, allein zu handeln, sondern auf die Unterstützung von Verbündeten angewiesen, so z.B. in Afghanistan. Dies erweiterte den außenpolitischen Handlungsspielraum europäischer Mächte mit weltweiten Ambitionen. Allerdings sind diese aufgrund ihrer begrenzten Ressourcen und ihrer inneren Verfassung nicht in der Lage, größere internationale Konflikte zu bewältigen Sie sind dafür nach wie vor auf fremde, d.h. in der Regel amerikanische Hilfe angewiesen, wie die jugoslawischen Nachfolgekriege, so im Kosovo, zeigten. 204 Actuelles Sarkozy reagierte auf den veränderten internationalen Kontext, indem er sich den USA wieder annäherte, Frankreich in die integrierte Kommandostruktur der NATO zurückführte und das französische Engagement in Afghanistan verstärkte, gleichzeitig aber die französische Einflußpolitik in der arabischen Welt forcierte. Er pflegte nicht nur wie seine Vorgänger die privilegierte Beziehungen zu den ehemaligen französischen Besitzungen in Nordafrika und im Nahen Osten - Algerien, Marokko und Tunesien sowie Syrien und den Libanon - sondern bemühte sich auch um die Intensivierung der Kontakte zu Ägypten, Saudi-Arabien, Libyen und den Golfstaaten. So vereinbarte er die Errichtung eines französischen Flottenstützpunktes in Abu Dhabi, um auch am Persischen Golf präsent zu sein. Er gab damit zu verstehen, daß Frankreich auch im postkolonialen Zeitalter in dieser Weltregion eine aktive Rolle spielen wolle. Im Nahostkonflikt bekannte er sich wie seine Vorgänger wiederholt nachdrücklich zum Existenzrecht Israels, kritisierte jedoch dessen Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten und das Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen. Er befürwortet eine Zwei-Staaten-Lösung des Konflikts und ist bereit, einen Palästinenserstaat anzuerkennen, falls die Vereinten Nationen dessen Gründung beschließen sollten. Weit entschiedener als Chirac widersetzte er sich jedoch dem iranischen Atomprogramm. Er handelte dabei in der Überzeugung, dass die atomare Bewaffnung des Iran eine ernsthafte Gefahr nicht nur für Israel, sondern für den gesamten Nahen und Mittleren Osten und damit für den dortigen französischen Einfluss bilden würde. Auch in den Methoden seiner arabischen Politik folgte Sarkozy weitgehend den Spuren seiner Vorgänger. So bediente er sich ebenfalls neben der kulturellen Penetration vor allem des wirtschaftliche Austausches. Allerdings wollte er die Palette des französischen Warenangebots um eine nukleartechnische Komponente erweitern. Er folgte damit ähnlich wie beim Rüstungsexport einem Imperativ der französischen Unabhängigkeits- und Großmachtpolitik. Diese erfordert nicht nur den Besitz von Nuklearwaffen, sondern auch die weitgehend Sicherung der nationalen Energieversorgung durch Atomstrom, um die Abhängigkeit von ausländischen Energieeinfuhren so weit wie möglich zu verringern. Die französische Nuklearindustrie beruht auf einer hochentwickelten Nukleartechnik, deren hohen Kosten nicht allein vom französischen Binnenmarkt aufgebracht werden können. Ihr Export ist somit eine politisch bewirkte wirtschaftliche Notwendigkeit. Eingebettet waren Sarkozys Beziehungen zur arabischen Welt in seine Mittelmeerpolitik. Hier strebte er die Gründung einer Mittelmeerunion an, um die Beziehungen zur arabischen Welt zu institutionalisieren. Es handelte sich dabei um ein altes Projekt, das bereits der vorletzte Premierminister der untergehenden IV. Republik, Felix Gaillard 1957/ 58 verfolgte, um das Algerienproblem zu lösen. An seiner Verwirklichung beteiligte Sarkozy zwar die europäischen Anrainer des Mittelmeeres einschließlich des atlantischen Portugals, nicht jedoch die nördlichen und östlichen EU-Mitglieder. Es bedurfte der energischen Intervention der deutschen Bundeskanzlerin, damit auch die übrigen EU-Mitglieder in Fortsetzung des 205 Actuelles Barcelona-Prozesses an dem Projekt beteiligt wurden. Dadurch vergrößerten sich zwar dessen Erfolgsaussichten, es verminderte sich jedoch seinen Wert für die Durchsetzung spezifischer französischer Interessen. Im Jahre 2009 wurde es unter dem Namen „Union für das Mittelmeer“ mit großem Pomp in Paris verwirklicht. Den Vorsitz der Union übernahm Sarkozy, der ägyptische Staatspräsident Mubarak sollte ihm folgen. Ständige Institutionen, so ein permanentes Sekretariat, sollten für ihre Funktionsfähigkeit sorgen. Aufgrund des noch immer ungelösten Nah-Ost- Konflikts und der innerarabischen Gegensätze war die Union von Anfang an ein totgeborenes Kind. Ihre Gründung zeigte jedoch, dass Sarkozys Ambitionen im Mittelmeerraum weit über die seiner Vorgänger hinausgingen. Sonderfall Libyen Ein Sonderfall der französisch-arabischen Beziehungen bildet Libyen. Geostrategisch ist es die Landbrücke zwischen dem französisch geprägten Maghreb und dem britisch-amerikanisch geprägten Nahen Osten. In den europäischen Rivalitäten um die Kontrolle Nordafrikas vor dem 1. Weltkrieg konnte sich Frankreich zwar in Tunesien (1889) durchsetzen, aber Libyen fiel 1911 mit britischer Unterstützung an Italien. Damit wurde das weitere französische Vordringen nach Ägypten blockiert. Nach dem de facto Ende der italienischen Kolonialherrschaft 1943 geriet das seit 1945 formal selbständige Libyen zunächst in britische, dann in amerikanische Abhängigkeit. Aus dieser befreite es erst Gaddafi nach seinem Staatsstreich vom 8. September 1969 durch die Verstaatlichung der Erdölgesellschaften, die Beschränkung ausländischer Kapitalbeteiligungen an einheimischen Unternehmen auf 49 Prozent und die Schließung des amerikanischen Militärstützpunktes im Norden von Tripolis. Er wurde dabei von Frankreich unterstützt, das ihm wie anderen arabischen Ländern Waffen gegen Erdöl verkaufte. So lieferte es 1970 hundert Kampfflugzeuge und schloss in den Jahren 1971-1973 Kooperationsabkommen über 900 Millionen Francs. Ferner bauten französische Staatsunternehmen ein Elektrizitätswerk in West-Tripolis. Im November 1973 besuchte Gaddafi zum ersten Mal Paris. Er forderte Hilfe beim Aufbau einer einheimischen Atomindustrie oder die Lieferung von Atomwaffen. Da Frankreich beides ablehnte, kühlten sich die französisch-libyschen Beziehungen merklich ab. Sie verschlechterten sich weiter durch Gaddafis aggressive Afrikapolitik, insbesondere durch seine Einfälle im Tschad und seine massive Unterstützung schwarzafrikanischer Rebellenbewegungen. Im Namen der afrikanischen Einheit wollte er sich zum Führer Schwarzafrikas aufschwingen und verletzte dadurch vitale französische Interessen. 7 Frankreich betrachtete das frankophone Afrika, die Franceafrique, nach dem Ende seiner formalen Kolonialherrschaft 1959/ 60 als sein „reserviertes Jagdgebiet“, das es nicht mit anderen Mächten teilen wollte. Der Konflikt mit Gaddafi war daher unvermeidlich. Er erreichte seinen Höhepunkt mit dem libyschen Anschlug auf eine französisches Flugzeug über Zentralafrika 1989. Daraufhin kam es zum offenen Bruch. 206 Actuelles Frankreich beteiligte sich an den internationalen Sanktionen gegen Libyen und nahm erst nach deren Aufhebung 2002 wieder die Beziehungen auf. Seither konkurrierte es mit Italien, Großbritannien, den USA und Rußland um libysche Großaufträge, insbesondere im Rüstungsbereich. Dabei hatte es allerdings oft gegenüber Italien das Nachsehen. Im Rahmen seiner Mittelmeerpolitik nahm Sarkozy einen neuen Anlauf zur Verbesserung der französisch-libyschen Beziehungen. Kurz nach seinem Amtsantritt empfing er Gaddafi in Paris und rollte für ihn den roten Teppich aus. Er ertrug dessen exzentrisches Betragen und erlaubte ihm, sein Beduinenzelt in den Gärten des Elyseepalastes aufzustellen. Mit solchen diplomatischen Gesten hoffte er, den unberechenbaren Libyer in seine Mittelmeerpolitik einbinden und so die Landbrücke zwischen dem französisch geprägten Maghreb und dem Nahen Osten schließen zu können. Die ökonomische Grundlage sollte nicht nur wie früher der Tausch von Waffen gegen Erdöl sein. Vielmehr wollte ihm Sarkozy auch modernste französische Nukleartechnik verkaufen, was seine Vorgänger noch abgelehnt hatten, da Gaddafi sie sicherlich nicht nur für friedliche Zwecke genutzt hätte. Seine Bemühungen um den libyschen Machthaber waren jedoch nur teilweise erfolgreich, da es ihm nicht gelang, diesen in seine Mittelmeerpolitik einzuspannen. Hierin liegt wahrscheinlich ein wesentlicher Grund, weshalb Sarkozy nach dem Übergreifen der arabischen Protestbewegung auf Libyen seine Haltung gegenüber Gaddafi radikal änderte. Aus dem einst umworbenen potentiellen Partner wurde nun plötzlich ein Todfeind, den es gewaltsam zu stürzen galt. Im Februar/ März 2011 bemühte sich die französische Diplomatie mit britischer Unterstützung erfolgreich um die Bildung einer internationalen Interventionskoalition, deren wichtigsten Mitglieder neben Frankreich Großbritannien und die USA wurden. Gedeckt wurde die Intervention durch die UN-Resolution 1973 vom 17. März 2011, die es erlaubte, „ alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um von Angriffen bedrohten Zivilpersonen und von der Zivilbevölkerung bewohnte Gebieten zu schützen. “ Es zeigt sich jedoch bald, dass das eigentliche Ziel der Intervention nicht der Schutz der Zivilbevölkerung, sondern der Sturz Gaddafis war. Dieses Ziel konnte auch nach fünf Monaten intensiver Luftangriffe auf die Truppen Gaddafis und die Infrastruktur seines Herrschaftsbereiches nicht erreicht werden. Angesicht der zahlreichen moralischen, politischen, menschlichen, wirtschaftliche und psychologischen „Kollateralschäden“ ist die bisherige Bilanz der Intervention für Frankreich eher negativ. Bilanz der französischen Interventionsinitiative 1. Die führende Rolle bei der Vorbereitung und Durchführung der Intervention diskreditierte Frankreich moralisch, da dessen wahre Zielsetzung weit über die humanitäre Intention der UN-Resolution 1973 vom 17. März 2011 hinausgeht. In ihrer Unbestimmtheit lässt diese zwar eine weite Auslegung zu, sie rechtfertigt 207 Actuelles jedoch nicht den gewaltsamen Regimewechsel. Dieser soll vorgeblich der Demokratie in Libyen den Weg breiten, in Wirklichkeit dient er handfesten materiellen und politischen Interessen. Außerdem sind die Gegner Gaddafis keineswegs alle „lupenreine Demokraten“. Niemand vermag daher heute voraussehen, was für ein Regime dem Gaddafis folgen wird. Moralisch ist das französische Vorgehen umso problematischer, als es sich auf Libyen beschränkt, das in der arabischen Welt isoliert ist, nicht jedoch auf Syrien ausgedehnt wird, wo der dortige Machthaber Assad seine Gegner von der Armee zusammenschießen lässt. 2. Das französische Vorgehen wurde zwar zunächst von den Anführern der arabischen Protestbewegung begrüßt, inzwischen ist jedoch die Meinung unter den arabischen Massen umgeschlagen. Für viele Araber erscheint die westliche Intervention als eine weitere postkoloniale Einmischung in innerarabische Angelegenheiten. Sie belastet daher politisch die französischen Beziehungen zur arabischen Welt. Dies kann zu erheblichen diplomatischen Nachteilen führen. 8 3. Frankreich konnte zwar in der Anfangsphase der Intervention diplomatisch eine führende Rolle spielen, es sah sich jedoch gezwungen, die Führung de facto den USA zu überlassen und die militärischen Operationen in die NATO zu integrieren. Die Grenzen seines internationalen Einflusses wurden damit erneut deutlich. 4. Die französische Initiative spaltete das westliche Bündnis und belastete die deutsch-französischen Beziehungen, da Deutschland sie nicht unterstützte. Die Spaltungslinie verlief zwischen den alten (westlichen) und den neuen (östlichen) NATO-Mitgliedern, unter den alten NATO- Mitgliedern zwischen den Westmächten und Deutschland. Dies weckte nicht nur alte Ressentiments und schuf neue Spannungen, sondern schwächte auch die Position der Allianz in der Auseinandersetzung mit den Folgen der arabischen Protestbewegung. 5. Die französische Initiative offenbarte auch erneut die außenpolitische Ohnmacht der EU. In einer wichtigen internationalen Frage konnte sie sich nicht zu einer gemeinsamen Haltung durchringen. Wozu die EU eine eigene Außenministerin und einen eigenen diplomatischen Dienst mit tausenden von Mitgliedern braucht, ist daher heute unerklärlicher denn je. 6. Die deutsch-französischen Beziehungen erlitten durch das französische Vorpreschen schweren Schaden. Demonstrative Freundschaftsgesten und gemeinsame Finanzaktionen zur Rettung des Euro überdecken zwar nach außen den tiefen Graben, der sich zwischen Paris und Berlin aufgetan hat, aber er ist unübersehbar. Während Frankreich mit seinen ehemaligen Kriegsalliierten Großbritannien und Amerika neokoloniale Ziele verfolgt, praktiziert Deutschland eine Neutralitätspolitik, die ihm vielleicht in der arabischen Welt Sympathien einträgt, aber innerhalb des Westens isolieren. Die Folgen werden nicht auf sich warten lassen. Neutralität ersetzt keine aktive Friedenspolitik. 208 Actuelles 7. Der Verlauf der Intervention hat erneut die begrenzte militärische Handlungsfähigkeit Frankreichs bei Auslandseinsätzen gezeigt. Ohne die Hilfe der Verbündeten, insbesondere der Amerikaner, wäre die französische Luftwaffe schon nach kurzer Zeit erschöpft gewesen. 8. Die Intervention könnte sich auch finanziell als großes Verlustgeschäft erweisen. Sie kostet täglich etwa eine Million Dollar. Wer soll das bezahlen? Außerdem wird der Wiederaufbau des Landes, insbesondere der zerstörten Infrastruktur, Milliarden verschlingen. Ohne fremde, insbesondere deutsche Hilfe, werden sich diese kaum aufbringen lassen. Diese überwiegend negative Bilanz von Sarkozys Interventionsentscheidung sollte die Franzosen veranlassen, über Sinn und Unsinn ihrer „arabischen Politik“ nachzudenken. Die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2012 böten dafür reichlich Gelegenheit dazu. Hoffen wir im Interesse auch der deutschfranzösischen Beziehungen, das sie genutzt wird. 1 L’Express, 4.05.2011. 2 Ebd. 3 1830 Algerien, 1889 Tunesien, 1912 Marokko, 1920 Syrien/ Libanon. 4 Während französische und britische Fallschirmjäger in Port Said landeten, stießen israelische Verbände zum Suezkanal vor. Man kann davon ausgehen, dass beide Operationen von den Generalstäben der Interventionsmächte abgesprochen waren. 5 Cf. Aron, Raymond: De Gaulle, Israel et les Juifs, Paris 1968. 6 Cf. Höhne, Roland: „Frankreich im Golfkrieg: das Scheitern einer Ambition“, in: Lendemains 63, 1991, 101-106. 7 Cf. Gentilli, Anna Maria. Gheddafi l’Africano, in: il Mulino 3/ 11, 443-452. 8 Cf. Le Monde.fr, 12.07.11, 18.05. Abgefragt am 3.07.2011, 8.53. 15: 49: 18 209 Discussion Andreas Rittau Pour une étude des symboles franco-allemands Introduction Si de nombreuses études ont déjà été consacrées aux symboles nationaux respectifs en France 1 comme en Allemagne, 2 très peu se sont penchées sur les symboles communs franco-allemands actuels pourtant existants et très nombreux. C’est surtout l’ouvrage Allemagne-France, lieux et mémoire d’une histoire commune qui marque un très vif intérêt pour ce sujet en récapitulant les différents lieux de commémoration franco-allemands et leur actualisation: Verdun, Versailles, Strasbourg, Reims autant de lieux d’expression devenus canoniques de la construction de la réconciliation franco-allemande. Le but de ce livre est de réunir ensemble les symboles écartelés par les guerres: pour les uns, „Versailles et sa galerie des Glaces est le lieu de la proclamation de l’Empire allemand. Pour les autres, c’est celui de la grandeur retrouvée et du Traité de Versailles. Rares sont ceux pour lesquels ils sont l’un et l’autre à la fois“. 3 Outre cet ouvrage, le tome récent „Lieux de mémoires franco-allemands“ des Cahiers d’études germaniques élargit les références à d’autres lieux de mémoire comme la ville de Göttingen (et Charles de Villers), Sarrebourg, le camp des Milles, la Montagne Sainte-Victoire, où „se rejoignent les deux mémoires française et allemande“ et qui du même coup génèrent „une dynamique interculturelle“. 4 Rechercher et repérer des symboles communs, en essayant de les analyser systématiquement, représente donc un terrain d’étude encore neuf. Le symbole est un support culturel universel et l’un des constituants de toute culture. Cette base formelle peut se déployer de la référence au mythe politique (héros fondateur ou réussite industrielle technique) aux emblèmes-allégories (le drapeau), en passant par les lieux de mémoire (de savoir) et leurs rituels jusqu’aux objets culturels pour achever son parcours dans le stéréotype (activité ou produit „mythologique“ qui devient stéréotype par usure). Le recours à la notion de symbole permet ainsi de constituer un champ plus large autour des échanges francoallemands (au-delà des lieux de mémoire) et peut associer des éléments pris dans des échelonnages, différents en apparence, mais pourtant reliés dans une unité de sens à l’intérieur de laquelle gravitent certes des variations. Le symbole libère ainsi du cloisonnement des disciplines en „conférant une cohérence à une multitude de phénomènes non directement corrélés entre eux“ 5 ouvrant à une prise de conscience de l’interdépendance des différents facteurs. Par conséquent, les lieux symboliques franco-allemands n’ont pas à être isolés ou détachés des autres aspects de la présence du symbole franco-allemand: les lieux de mémoire sont complétables, par exemple par le domaine des emprunts 210 Discussion lexicaux réciproques, lisibles comme un système d’ouverture/ fermeture d’une langueculture à l’autre. Les lieux de savoir et d’échanges s’ajoutent aussi aux lieux de mémoire bien connus. Enfin, les images répandues dans la presse, en particulier la plus célèbre, celle du „couple“, „moteur“ de l’Europe, se rattachent aussi aux autres points énumérés. C’est donc tout un domaine qui se dégage à part entière. Ces symboles se réactualisant sans cesse, ils peuvent encore, dans l’ensemble, être classés comme relevant de la langue, des lieux et de l’image concrète. Cet article cherche à regrouper un champ de symboles franco-allemands allant de la langue-culture aux images en passant par le repérage spatial des lieux de mémoire et de commémoration afin de montrer qu’en élargissant les études existantes à de multiples échelles (lexique, lieux, images, objets, quotidien) combien la mémoire collective évolue et se renouvelle tout en perdurant. Elle ne cesse d’être régulièrement alimentée par les nombreuses occurrences existantes qui continuent de s’élaborer comme des véhicules favorisant l’ouverture européenne. Histoire interculturelle symbolique Le démarrage d’un nouvel intérêt pour l’explicitation des symboles est parti de l’orientation théorique de Pierre Nora (les lieux de mémoire) combinant mémoire et repérage culturel dans l’espace et qui réinterroge les lieux de trois points de vue: concret, à savoir un lieu précis offert à l’expérience, symbolique en rapport avec le souvenir et construit intellectuellement. Le vécu intervient comme phénomène toujours actuel grâce au recours au symbole qui ménage „un reste d’identification vécue“. 6 Du côté allemand, ce sont Etienne François et Hagen Schulze qui ont pris en charge la direction des Mémoires allemandes 7 qui ne se superposent pas aux lieux de mémoire de Pierre Nora car le substrat d’appui n’est pas le même. 8 Mais pour les deux ouvrages, en France comme en Allemagne, l’accueil a dépassé les attentes. Il s’agit d’une mutation de méthode qui correspond à une autre approche des réalités historiques. A ces lieux visant des monuments historiques et culturels (matériels ou immatériels) se sont ajoutés des repérages aux lieux du quotidien et des échanges, développés principalement par des études s’intéressant en particulier aux lieux urbains comme les cafés, les jardins publics, les gares et les rapports de signification à leur usage fréquent (ceci également dans un cadre franco-allemand 9 ). Il s’agit là de lieux d’identité collective qui ont leur spécialisation propre et constituent une extension de l’histoire vers l’histoire culturelle et même immédiate comme une extériorisation de l’identité. D’une manière plus générale, c’est Pascal Ory qui a vulgarisé le recours aux procédés symboliques par le développement de l’histoire culturelle en affirmant comme agissante l’efficacité symbolique. Il a donc été conduit à porter davantage d’attention aux formes (signalétique, rituels, spectacles). Par ce rapport plus étroit aux formes, le lien social est entretenu et ménage des conditions d’émergence de nouvelles valeurs par un double jeu de complexification des objets culturels et de spectacularisation de la vie politique en raison de 211 Discussion l’amplification du pouvoir des médias, faisant apparaître progressivement une „logique du for intérieur“ à la place de l’assurance „logique de l’autorité“. 10 Bien entendu, tous les lieux ne peuvent pas gagner le statut de foyers interculturels. 11 Mais les anciens lieux déjà reconnus ne doivent pas non plus minimiser le surgissement de nouveaux comme, par exemple, celui de Sanary-sur-Mer (pendant la dernière guerre mondiale: village qui s’est changé en refuge culturel, „interculturel“ 12 ). Il ne suffit pas en effet de réemprunter les chemins, il faut aussi les prolonger (Sanary café Titon à Paris). Donc, si „tout élément de l’héritage ne devient pas un lieu de mémoire, tout épisode mémorable ne devient pas un passage obligé de la mémoire“, inversement, force est de constater que des „objets improbables dessinent les contours de lieux de mémoire nouveaux“. 13 Il est par conséquent réducteur de fixer uniquement tout le symbole dans des lieux si prestigieux soient-ils, des objets culturels même humbles pouvant eux aussi acquérir le statut de support symbolique de référence culturelle collective d’un moment donné. Par exemple pour l’ex-RDA, des objets spécifiques sont les vecteurs d’un rattachement culturel, d’une époque qui a représenté un épisode ayant bien eu sa réalité et qui ne peut pas non plus être entièrement gommé comme simple erreur de parcours. 14 Ces références aux objets culturels sont de plus en plus fréquentes. 15 La référence au symbole permet ainsi d’amalgamer divers supports tout en travaillant dans la même optique qui rejoint l’histoire culturelle, l’histoire immédiate et de fait l’histoire interculturelle. Le symbole Les symboles ne restent pas inertes, ils sont sans cesse revivifiés par des pratiques liées au présent, au quotidien en suivant les courants sociétaux. Comme tous les symboles, ceux qui nous retiennent empruntent également deux vecteurs, 16 l’un explicite et facilement reconnaissable: monuments, hymnes, drapeaux, et l’autre implicite induit par découverte personnelle comme un nom de rue évocateur (la rue Goethe à Paris), par exemple, ou qui peut avoir un effet inconscient dans la vie quotidienne. Le symbole 17 permet d’articuler le savoir à un accès réflexif ouvrant un chemin à la signification. Le support symbolique ne représente qu’un déclencheur sollicitant qu’il s’agisse d’un élément national officiel comme le drapeau ou une image de presse à la fois indicative et expressive d’une situation donnée. Ces deux exemples captent tout de même l’attention d’une manière identique présentant autant de chance de pouvoir s’interroger en vue d’un approfondissement du sens. Seulement les symboles visés ici ne sont plus nationaux mais transnationaux. Non plus le drapeau allemand et français de chaque côté mais les deux mêlés par l’intermédiaire de figures graphiques inventives (voir illustration 1) qui répètent la volonté de l’Union européenne. Tous les effets graphiques sont une manière de souligner, de réaffirmer l’Union. Dans ce cas précis d’un jeu de couleurs, la signification est facile à percevoir et à déduire. Mais, tous les symboles franco-alle- 212 Discussion mands ne font pas l’objet d’une lecture simplifiée. L’effort nécessaire de lecture, d’interprétation détermine la seconde caractéristique du symbole: de simple présence reconnaissable, il exige ensuite un effort de lecture afin de devenir compréhensif comme si une figure, un texte, un monument équivalaient à un réservoir de significations culturelles parfois complexes toujours prêtes à être sollicitées ou même restituées. Plus qu’une compréhension, le symbole réclame une attitude d’adhésion de la part d’un groupe, d’une communauté et cette forme de cohésion peut se maintenir au-delà de l’accès à la communication directe. Même à travers le stéréotype, un tremplin d’accès aux fondements culturels, et aujourd’hui transculturels, est laissée comme possible. Les symboles franco-allemands sont les témoins directs de ce qui a été élaboré en commun au fil des années entre l’Allemagne et la France. Il ne s’agit plus de repérer des équivalents, des similitudes et des différences mais de réaliser une construction commune dans un cadre et une époque qui se dirige vers une transculturalité. Le dernier épisode en date dans les relations franco-allemandes a été la réaction officielle des enfants nés pendant la guerre de père allemand en France et inversement de père français en Allemagne. Ces enfants demandent, dans le contexte actuel des relations entre les deux pays, réparation et la double nationalité, ce qui aurait été impensable après-guerre. Sous des biais très différents, le tissage entre les deux pays resurgit toujours sous forme d’actualité, de mémoire ou encore de la volonté de poursuivre en commun une lente élaboration des cultures partagées. Ainsi aujourd’hui, au lieu que chaque pays campe sur ses interprétations historiques à double face, il existe, par exemple, un manuel d’histoire dégageant des positions communes sur les grandes phases du développement historique écrivant donc par des symboles en commun une nouvelle phase, réactualisation pacifique des mêmes lieux tant de fois déjà évoqués. 18 Le symbole se profile comme une créativité à la fois de l’agir et de la représentation interculturelle. A travers le symbole, les ajustements sémantiques engendrés par les courants sociétaux se reflètent sur de nouveaux supports sans cesse en rééquilibrage. Il existe aussi en réalité une logique du sens symbolique qui fait que les interprétations du symbole présentent une certaine universalité et une permanence relative: „la symbolique introduit le sujet dans une communauté et lui permet de prendre part à un partage et à une transmission du sens“. 19 Le repérage des symboles franco-allemands, déjà existants et construits dans la culture ou en latence, introduit la dimension historique au sein même de l’interculturalité. Si les symboles conventionnels sont bien reconnus, comme la confrontation des deux drapeaux, les figures face à face de Marianne et Germania, 20 les autres symboles communs sont peu étudiés, même s’ils sont connus et reconnaissables à commencer par l’enchâssement des deux drapeaux à l’aide du rapprochement des cinq couleurs présentes ce qui a donné lieu à des combinai- 213 Discussion sons inventives, reproduites sur des affiches, des couvertures de livres, des commémorations de jumelage ou encore des sites Internet (voir illustration 1 ci-contre). Logo du 50 e anniversaire du jumelage Freiburg-Besançon Lors des festivités autour du cinquantième anniversaire du jumelage entre Freiburg et Besançon (2009), un sac en toile a été distribué aux participants. Ce sac du 50 ème anniversaire du jumelage se présente sous la forme d’un double drapeau esquissant un arc-en ciel aux couleurs changeantes constituées de l’association des deux drapeaux nationaux. La présentation ne cherche pas à lier les couleurs avec le rouge en commun mais le graphisme montre que l’un des drapeaux prend peu à peu la place de l’autre sans l’effacer. Le bleu devient noir, le blanc rouge et le rouge jaune-or et chaque nom de ville prend place près de son drapeau identifiant. Rappelons que vu sur la droite les couleurs du drapeau de la ville de Besançon se reforme (noir jaune rouge) et que dans la partie intermédiaire, c’est celui de la ville de Freiburg-im-Breisgau qui se reforme (rouge et blanc). Il s’agit donc d’un logo complexe créé pour l’occasion dont nul ne peut prévoir à ce jour le devenir. Cet arc est aussi un chemin, on va de Besançon vers Freiburg pour fêter le jumelage sur place d’où la place du drapeau français en bas si bien que la zone centrale présente deux couleurs superposées: bleu et noir, puis blanc et rouge et enfin rouge et jaune. Les chiffres ne sont qu’esquissés de manière à amorcer un arc - au symbole favorable - plutôt qu’un 0. Le haut du 5 reste suffisant pour l’identifier. Ce graphisme d’un designer devient donc un symbole à part entière rattaché à l’année 2009. S’il est compréhensible, il demande pourtant un effort de décodage personnel. Par l’intermédiaire de tels symboles, on prend conscience d’une complexité croissante des objets culturels utilisés qui concernent tous les supports du plus classique au design postmoderne. Des formes créatives interculturelles sont à repérer au niveau du symbole, toutefois soumises à des courants sociétaux capables de les faire émerger et de les faire comprendre à un moment donné. Au lieu de ne traiter qu’un aspect séparé, isolé et parcellaire comme il est aisé de le constater dans l’ensemble de la bibliographie avec d’un côté les lieux de mémoire, de l’autre les emprunts lexicaux, les images de presse, etc., cet article s’évertuera à montrer qu’une dynamique franco-allemande d’ordre plus général est à l’œuvre, qui peut être démontrée, alors qu’elle n’est guère unifiée dans l’état des bibliographies actuelles. En effet, des phénomènes existants (comme les emprunts lexicaux) peuvent être analysés autrement à la lumière d’un traitement symbolique franco-allemand, phénomènes qui prennent soudain une autre envergure et contribuent à développer la dynamique que l’on cherche à dessiner en considérant un ensemble allant de la langue aux lieux et à l’image autour d’une symbolique. Toutes les catégories dégagées: mythes, rituels, images, emblèmes, stéréotypes sont convoquées pour opérer un rapprochement entre la France et l’Allemagne concernant l’histoire, la politique, la vie culturelle, la presse, les sites Internet. Y seront 214 Discussion ajoutées les activités socioculturelles temporaires comme des expositions ou les activités de jumelage entre les villes qui contribuent encore à démultiplier les ressources d’expression même si elles ne sont pas aussi bien relayées par les médias. Symboles et langue-culture Les symboles lisibles au niveau de la langue elle-même se découpent en deux volets, d’une part les échanges sous forme d’emprunts lexicaux entre les deux langues-cultures et d’autre part, les expressions lexicales concernant la France et l’Allemagne (l’un des pays vu par l’autre, les „métaphores“) comme de véritables socles sémantiques. Faire le bilan-synthèse des échanges lexicaux entre les deux pays relève encore d’un point de vue purement linguistique qui n’a pas été élargi comme une symbolique. Toujours est-il que ces échanges existent largement puisqu’on obtient, par exemple pour le Petit Robert, 520 unités empruntées par le français „dont 139 empruntées de 1900 à 1995“. 21 Citons quelques exemples pour en reprendre davantage conscience: ces mots sont issus de la vie militaire (reître, lansquenet, „la langue française conserve les traces d’une très ancienne peur de l’Allemagne“ 22 ) mais aussi de la vie publique (sénéchal, ban, baron) et domestique (rôtir), la vie rurale (blé, bûche) ou encore des mots essentiels du vocabulaire de base des échanges quotidiens, comme „bleu“ ou „blé“ qui viennent en fait de l’allemand (francique et préfrancique). Il ne s’agit donc pas d’emprunts mineurs contrairement à l’opinion générale. De même pour des mots comme „roseau“, „saule“, „troène“, „latte“ ou encore de nombreux autres arbres, et plus récemment, des mots repris directement de l’allemand comme „cobalt“, „quartz“, „lied“, „putsch“ ou tout simplement „képi“, très familiers en français. Inversement l’allemand a fait siens des mots comme „Maskerade“, „Kotelett“, „servieren“, „Tablette“, „Kabinett“, ou encore „Friseur“ et „Konfitüre“. 23 Laissons de côté bien entendu le cas des faux amis avec leurs différences d’extension de sens comme par exemple pour „stupid“ ou „Flair“ utilisés en allemand, entraînant des répercussions de sens différents dans les deux langues. Si les emprunts lexicaux sont symboliques de la présence d’une langue-culture dans une autre en marquant de phases d’ouverture et de fermeture dans le cours du temps, 24 ce phénomène, souvent étudié et bien connu, est pourtant moins significatif que le soulignement des expressions lexicales franco-allemandes qui constituent, elles, des socles, des assises pour les vecteurs de significations culturelles. Une première collecte rapide révèle deux pôles opposés: d’une part le fameux „leben wie Gott in Frankreich“, vecteur favorable de la douceur de vivre et du désir de vivre chez l’autre. Cette expression déjà ancienne est relayée par une suite d’autres expressions dérivées et actualisées, comme par exemple „le bonheur allemand“ 25 ou „le bonheur en Allemagne“, 26 titres qui s’avèrent être une manière de rebondir par rapport à l’ancienne donnée. Ou encore „vom Glück, Franzose zu sein“ 27 qui revitalise le fonds en trouvant une audience sociale nouvelle. D’autre part, la France face à l’Allemagne, cela a été pendant longtemps le royaume „des 215 Discussion casques à pointe“, agressivité et puissance concédée. Rien de neutre donc entre ces deux peuples. Bien au contraire, une longue alternance des deux aspects en présence est à noter. Tantôt „la chute du mur“, expression positive étendue au monde entier, tantôt de nouvelles formules se fraient un passage à travers la société comme „anciens rivaux“, en passe de détrôner les relents de guerre - „Erbfeinde“ - longtemps prolongés par les médias („bruit de bottes“). 28 Les Français ne sont d’ailleurs pas mieux lotis avec des expressions comme „Pariser“ ou „Französisch“ qui les ciblent dans un registre sexuel à mœurs légères. Quant à la langue elle-même, la langue allemande est souvent qualifiée en France de „langue de Goethe“ et de même, l’Allemagne est toujours „au-delà du Rhin“ (par exemple Arte-météo). Malgré la crise et ses difficultés, les produits allemands demeurent „made in Germany“ et le demeureront encore longtemps dans la conscience médiatique française. De même en politique, „le moteur de l’Europe“ est toujours en priorité l’alliage France-Allemagne qui d’ailleurs a fini par se présenter sous forme d’un „couple“. Toujours est-il que l’énumération est suffisante pour comprendre que la notion de symbole commence par les formules-habitus de la langue-culture véhiculées très longtemps après leur création, si bien que la langue devient savoir culturel. De tels mots installent un climat de pensée utilisé comme point d’ancrage, de repère, pour entrer en matière ou pour montrer qu’on est au fait du terrain. C’est un premier pointage balisé de reconnaissance destiné à installer une discussion, un sujet d’étude, une entrée en matière, ou encore à prendre contact, etc. Les médias s’appuient par commodité sur les mêmes formules sans pouvoir facilement les faire évoluer. Toujours est-il que les expressions lexicales francoallemandes sont répétées très régulièrement et contribuent à installer un paysage sémantique générant un étayage qui pourra, par la suite, être confirmé par d’autres aspects culturels. Le noyau d’appui de la culture réside d’abord dans la langue, à l’intérieur même de la langue et aimante l’ensemble des autres faces. Ces diverses expressions ne sont pas anodines car elles reprennent sous forme condensée et imagée d’anciennes synthèses qui vont du politique, toujours premier dans les échanges franco-allemands, au culturel (titres de films, de livres, de tableaux). Nier cette première assise serait ne pas prendre conscience de l’ampleur du phénomène qui plonge ses racines dans l’expression lexicale sachant en garder longtemps les traces. Lieux de mémoire La référence la plus couramment agréée pour les aspects symboliques des échanges avec l’Allemagne sont fortement représentés par les lieux de mémoire tels qu’ils ont été définis par Pierre Nora et ensuite popularisés par le grand succès rencontré dans le public qui apprécie in situ les ancrages de l’histoire. La plus grande manifestation a été solennisée par le „couronnement“ de Verdun en un site devenu en vingt ans un modèle de ce type de symbole historique. La mémoire y 216 Discussion est activée et actualisée de manière vivante, si l’on peut s’exprimer ainsi. Autour de cet espace géopolitique ont pris place des parcours rituels très empruntés, des rituels officiels, réguliers, des récits, des discours, des émissions télévisées, des commémorations fidèles. C’est là désormais un foyer interculturel inaugural, spatial et géoculturel, serti de reconnaissance symbolique majeure. Mais ce n’est pas pour autant un cas unique. Cette année, à Verdun - à l’occasion du 25 ème anniversaire de la fameuse rencontre entre François Mitterrand et Helmut Kohl - le 22 septembre, Pierre Lellouche, secrétaire d’Etat chargé des Affaires européennes et secrétaire général pour la coopération franco-allemande, a tenu un discours où il a proposé officiellement de rebaptiser la date du 11 novembre en „journée de la réconciliation de l’Europe“ (voir encadré 2). Extrait du discours de Pierre Lellouche à Verdun (22 septembre 2009) Je souhaiterais, pour ma part, faire en sorte que le 20ème anniversaire de la chute du Mur du Berlin, le 9 novembre prochain, soit véritablement un événement partagé entre l’Allemagne et la France, une sorte de cadeau que nous pourrions faire à nos amis allemands pour leur montrer que nous prenons aujourd’hui toute la mesure d’un événement qui fait désormais pleinement partie de notre histoire commune. Et alors que les derniers combattants de la Grande Guerre ne sont plus de ce monde, je souhaiterais aussi que nous puissions honorer leur mémoire en faisant à l’avenir du 11 novembre une „journée de la réconciliation de l’Europe.29 Verdun n’est plus seulement aujourd’hui le lieu d’une bataille ou une date (22/ 9), mais l’expression d’une vision plus large où viennent se fondre maintenant l’anniversaire de la chute du mur de Berlin (2009) et la volonté de changer la référence à une autre date, celle du 11/ 11. Ainsi, dans ce discours, une date remplace l’autre et un lieu éloigné remplace le lieu d’où l’on parle. Verdun est devenu „la rencontre de Verdun“, on cherche à y réussir non plus une initiative franco-allemande nouvelle mais des anniversaires. Si les dates d’origine ont été des signes symboliques d’affrontements passés ou de méfiance confirmée, et même d’indifférence, les lieux d’anniversaire deviennent des lieux de rencontre pour des consolidations réussies après coup. Les déclarations prononcées dans les lieux de mémoire engagent officiellement la volonté politique des Etats. C’est dans un lieu interculturel que ces paroles sont prononcées et non dans la capitale. Le site de Verdun est sûrement le plus symbolique, renforcé par l’existence face à face des deux livres-clefs: Lieux de mémoire en France (partiellement traduit en allemand 30 ) et Mémoires allemandes traduit en français dont l’introduction sur le rapport entre les deux pays s’achève sur ces mots: „Ces convergences et concomitances sont autant d’expressions d’une reconnaissance réciproque avancée; elles confirment l’interpénétration croissante des mémoires françaises et allemandes que de nombreuses enquêtes ont mises en lumière. N’est-ce pas là le signe qu’après avoir été longtemps séparées par des mémoires antagonistes, en dépit et à cause de leur histoire entremêlée, Français et Allemands sont désormais entrés dans l’ère des mémoires partagées“. 31 217 Discussion On peut aussi citer le cas de Reims, ville des sacres des rois de France qui a fait place à la scène de réconciliation sous la forme d’une messe à laquelle assistaient de Gaulle et Adenauer, image qui a finalement pris le relais de l’imagerie purement française et pris place dans le manuel d’histoire contemporaine franco-allemand utilisé conjointement dans les deux pays. Ce lieu est d’ores et déjà devenu franco-allemand. Un autre de ces lieux-rappels de l’affrontement franco-allemand, à la fois ancien et émouvant, c’est le pont de Kehl (pont de l’Europe). Ce pont s’est d’abord subdivisé (route/ voie ferrée). Le pont de l’Europe, construit en 1953, a remplacé le point frontière qui se voulait infranchissable. Puis, ce lieu a été ranimé comme lieu de mémoire vivante par la création d’une passerelle pour piétons au centre du jardin transfrontalier entre Strasbourg et Kehl conçu comme lieu interculturel de détente. 32 La chancelière allemande Angela Merkel et le président français Nicolas Sarkozy y sont venus s’afficher en image symbolique au moment de la présidence française de l’UE en cette année 2009. Ce lieu continue donc d’exister fortement tout en changeant d’image. Son ancrage symbolique se trouve encore renforcé en raison de l’emblème du pont comme passage, moyen de rapprochement, d’inter-compréhension et non plus comme frontière, marque d’opposition et de différences. La frontière sur le Rhin entre Weil am Rhein (Bâle) et Strasbourg pourrait constituer un magnifique sujet d’étude franco-allemande en montrant combien cette ligne dramatique n’a pas été effacée ou désertée mais est devenue elle aussi un espace culturel et interculturel de promenade, d’animation, d’interrogation. Une étude de terrain a permis de confirmer l’existence d’une réappropriation des lieux sans que, pour autant, des déclarations officielles y aient été prononcées. 33 Le passage le plus significatif demeure Breisach en Allemagne et Neuf-Brisach en France, en miroir de chaque côté. Une fresque concernant les légendes du Rhin mythique (le mur de la centrale hydroélectrique est décoré de sirènes sur fond bleu) renforce cet espace comme lieu public de fréquentation individuelle, de promenade symbolique et interculturelle. Ce sont des lieux de curiosité, de surcharge imaginaire de ce qui a été si longtemps redouté, de ce qui a constitué un espace particulier sur plusieurs siècles soumis à de nombreuses et changeantes négociations. Aujourd’hui, ce même espace rendu soudain à la neutralité suscite un intérêt d’un tout autre type. D’autant que les différentes zones de passage se ressemblent toutes: traversée du canal, du bras français du Rhin auquel est rattaché l’appareillage de béton d’une centrale hydroélectrique et souvent une île, ensuite vient le bras allemand. Tout cet ensemble dessine donc plutôt une frontière épaisse qui n’est pas aussi simple que l’idée de ligne bien intégrée en raison des leçons scolaires de géographie (en France). Les régions frontières ont aujourd’hui une responsabilité: „autrefois délaissées car en première ligne, elles ont désormais vocation à être des espaces laboratoires de l’Europe nouvelle. Parce que leurs habitants connaissent les mêmes réalités que leurs voisins. Parce qu’ils sont habitués à se fréquenter, à prendre en 218 Discussion compte leur différence, à imaginer leur avenir ensemble“. 34 Ces espaces interculturels pourraient être étudiés au-delà des institutions transfrontalières mises en place. Les reconsidérer comme ce qu’elles ont toujours été: un contact entre deux rives pratiquant des échanges extrêmement variés dont on n’a pas une conscience si précise. 35 Une thèse aide cependant à aborder davantage la question et la fait passer „d’une ligne qui sépare à un pont qui unit“. Une double approche historique et sociologique a été nécessaire pour commencer à envisager une nouvelle approche des frontières, à la fois réelle, imaginaire et symbolique. Les différences de perception en termes d’images sont bien sûr dissemblables de part et d’autre et varient selon les orientations politiques. Mais surtout, „l’imaginaire de la population est fortement influencé par les médias“. 36 Ce rapide tour d’horizon serait incomplet sans la mention d’un nouveau lieu de mémoire franco-allemande, non plus lié aux batailles ou à la ligne frontière, mais décalé dans le sud de la France à Sanary-sur-Mer, un lieu de refuge (1933-1945) pour les artistes allemands (musiciens, peintres, écrivains). Ce village a en effet accueilli de nombreux créateurs voulant échapper au conflit et aux poursuites du régime totalitaire. Il ne s’agit pas non plus d’une information confidentielle puisque le syndicat d’initiative de Sanary propose de la documentation en français et en allemand, et consacre un repérage informatif par un parcours balisé par des plaques à l’intérieur de la localité. Des livres ont été consacrés à ce foyer intellectuel faisant passer une réalité ancienne au statut de mémoire collective. 37 Foyer de liberté culturelle authentique relayé maintenant par une activité touristique, pédagogique et revisité par l’histoire culturelle (voir encadré). Sanary sur Mer: nouveau foyer de mémoire culturelle franco-allemande Sanary n’est pas seulement un double lieu de mémoire, mais est aussi en train de devenir un lieu de commémoration franco-allemand par excellence.38 Le dépliant de la mairie de Sanary (ci-contre), accompagnant une publication récente du syndicat d’initiative de Sanary sur les exilés allemands de 1933 à 1945,39 est une déclaration officielle du maire s’engageant à reconnaître ce foyer interculturel où se sont réunis tant d’écrivains et d’artistes.40 Par la référence à un lieu précis, que rien ne prédisposait à trouver un poids dans l’histoire, peuvent se lire des références à la fois politiques (résistance franco-allemande), culturelles (création d’un journal, d’œuvres) dans le sillage d’une histoire culturelle ouverte et maintenant interculturelle à l’ordre du jour. Transmission et expression interculturelle se rejoignent. 219 Discussion Il s’agit cette fois du site franco-allemand le plus récent ayant réussi à parvenir à l’état de lieu de mémoire loin des frontières de l’est de la France. Dépliant officiel, livres, brochures sont complétés par des visites proposés sur place, des différents lieux concernés balisés par des plaques officielles urbaines. La plupart des plaques apposées devant des immeubles en France font toujours état des soldats abattus morts pour la France. Ici, il s’agit d’Allemands ayant souffert du régime totalitaire qui sont reconnus et visualisés. La liste est impressionnante par le nombre et la qualité des auteurs. Tous les centres d’intérêt franco-allemands ne sont cependant pas installés définitivement en se reliant à des villes. Il existe aussi des symboles temporaires comme les grandes expositions franco-allemandes. Cette année, en 2009, c’est le problème des étrangers en Europe et plus particulièrement dans les deux pays qui a mobilisé l’énergie commune faisant place à une réalisation d’envergure: A chacun ses étrangers réunit de la documentation visuelle sur l’immigration dans les deux pays. 41 L’affiche apposée sur la grille du nouveau Musée de l’immigration (voir illustration 2) devient alors l’objet symbolique franco-allemand et constitue un nouveau maillon pour continuer de se repérer l’un par rapport à l’autre mais ensemble. Ce travail d’échanges, de collaboration franco-allemande a permis de faire avancer ensemble la question de la comparaison des migrations en Europe. On est passé à un autre stade interculturel. Photo (AR) de l’affiche de l’exposition franco-allemande de 2009: A chacun ses étrangers Sur la photo de l’affiche de l’exposition à Paris, les deux références allemande et française s’affichent ensemble dans une rue de Paris (avenue Daumesnil) sur la clôture de l’entrée du nouveau Musée national de l’Histoire de l’immigration dans le douzième arrondissement. L’Allemagne et la France se posent la question sur la manière dont les étrangers ont été perçus en France et en Allemagne depuis 140 ans. Si „le sujet n’est pas spécifiquement franco-allemand, pendant longtemps l’histoire de l’immigration n’a pas fait l’objet de comparaisons, c’est pourquoi l’accent particulier mis sur la France et l’Allemagne dans cette exposition comble une lacune dans ces deux pays“.42 Cette photo elle-même n’est pas moins symbolique puisqu’il s’agit d’une part d’un soldat colonial de l’armée française accompagné d’une jeune femme allemande (à Mayence, vers 1930). On constate donc sur cette affiche-symbole plusieurs niveaux superposés, les deux noms des deux pays, les deux personnages, une exposition commune ayant réclamé la coopération de deux musées, la Cité Nationale de l’Histoire de l’Immigration (Paris) et le Deutsche Historische Museum (Berlin), donc une obligation de travailler en tandem pour faire avancer ensemble une question sociétale cruciale d’aujourd’hui. 220 Discussion Lieux de savoir L’histoire des savoirs est récente, elle a suivi celle des institutions culturelles et celle des systèmes médiatiques (médiologie). Il existe des traditions de savoir rarement explicitées mais expérimentées par ceux qui suivent le même chemin. Ces savoirs sont considérés maintenant comme des objets symboliques, „à la fois trait identitaire, signe de reconnaissance, valeur d’échange, instrument de pouvoir et lien communautaire“. Les savoirs se rattachent aussi à des configurations spatiales disponibles à travers des institutions qui offrent des points de repère matériels qui sont plus que des centres-ressources mais font aussi office de rattachement symbolique ou d’ancrage culturel ou peuvent encore être considérés comme des zones d’influence transmettant des courants de pensée. Il est donc légitime de les voir figurer dans ce cadre. En ce sens, toute bibliothèque „désigne peut-être moins un lieu matériel qu’une dynamique“ 43 un point de rattachement au-delà des services matériels. Moins cités que les autres, ces lieux de savoirs interculturels ont été édifiés depuis longtemps entre la France et l’Allemagne. Ce sont des clefs indispensables pour progresser dans la connaissance de l’autre: l’Ofaj, le Ciera, le Dfi, l’Ufa, les centres culturels franco-allemands en Allemagne et en France. Autant de lieux de références doublés par leur sitologie sur Internet. Bref „les savoirs font lieu“. Il n’est pas possible de passer en revue tous ces maillons constitutifs du franco-allemand dans les deux pays. Mais, la nouvelle attitude consiste à porter sur eux un autre regard, celui d’une efficacité symbolique maintenant une cohésion du domaine. Si bien que des ouvrages-sommes sont régulièrement reconnus comme des balises pour les études franco-allemandes. Par exemple, la parution événement du livre Le jardin des malentendus - Fremde Freunde, Deutsche und Franzosen vor dem 21. Jahrhundert 44 qui a été un élément marquant, une synthèse globale remplacée aujourd’hui par les lieux de mémoire et le Dictionnaire du Monde germanique publié en français. 45 Leur existence même plaide en faveur du dynamisme des échanges sans cesse entretenus. Précisément, une personne spécialisée dans le domaine n’a plus à signaler ces parutions car elles sont intégrées d’office à son domaine de savoir. Le couronnement de ces pratiques, c’est bien sûr d’être arrivé à la confection d’un manuel d’histoire commun d’histoire contemporaine utilisé conjointement dans les deux pays, dans les deux langues-cultures (en Première et en Terminale). Ouvrages éminemment symboliques et d’une autre nature que la coopération économique qui, elle, existe de longue date. Ce livre a été considéré „tout simplement comme un événement historique. Au-delà de sa forte médiatisation, ce manuel d’histoire franco-allemand est aussi un événement politique et méthodologique“, bref un événement de „valeur symbolique“. 46 „Pour la première fois, les deux pays ont un manuel en commun de leur histoire dans le contexte européen et mondial“. 47 221 Discussion Les images Passons des images historiques, rééditées dans ce manuel, aux images d’actualité qui, elles aussi, forment un réseau de référence qui ne peut être négligé. Les images commencent en effet à être davantage utilisées, sinon analysées. Elles deviennent „des supports-clefs de la formation de l’identité collective“. L’attention est portée „aux évolutions des images elles-mêmes, mais aussi au choix de l’iconographie“. 48 En effet, l’image fait figure de révélateur sémantique à condition d’être analysée d’un point de vue à la fois graphique et socioculturel ou encore sociopolitique dans le cadre de l’histoire contemporaine. Sans la conjonction des deux dimensions beaucoup d’informations passent à travers les mailles du filet. Ces images fonctionnent aussi bien comme rappels synthétiques que comme prise de conscience. Cependant, l’image se présente aussi aujourd’hui comme un support de réflexion dépassant la simple illustration et même l’analyse technique. Plus que des relations de formation, elles entretiennent un rapport à des valeurs symboliques (celle du „couple“, par exemple) en en mesurant les aléas, les modifications et transformations dans la conscience collective à l’épreuve du temps car cette conscience fait preuve de beaucoup plus de réactivité que par le passé. En plus des presses nationales, Internet permet des éventails synthétiques sur cette question. La première image du „couple“ fraternel de Mitterrand et Kohl a été suivie par celle de Chirac et Merkel pour faire place à celle de Merkel/ Sarkozy. 49 Les attitudes, les cadrages, les couleurs sont autant de composantes qui fournissent des informations symboliques de l’état de la vie politique au jour le jour. Ces images successives ont habitué le public à cette représentation symbolique du „couple“ avec ses hauts et ses bas, mais continuant toujours de se maintenir. Les photographes se sont en effet emparés de cette dimension symbolique, changeant l’information communicative en véritable expressivité symbolique nécessitant une lecture à part entière, libérant des chassés-croisés de sens entre le texte et l’image, l’image ancienne et récente et ouvrant plus largement l’interrogation dans la temporalité (voir illustration 3). Photo d’Angela Merkel et de Nicolas Sarkozy du 4 avril 2009 à Strasbourg-Kehl50 Si l’image du couple est toujours actuelle comme le montre cette photo, elle est devenue beaucoup plus décontractée. Que l’on songe aux photos d’Angela Merkel et Jacques Chirac entourés de la garde républicaine,51 les images actuellement diffusées sont désormais celles d’un couple moderne aux gestes amples et libérés. Et non plus des postures officielles figées. Le cliché est parfaitement symétrique, chacun tenant sa fiche de note d’une main et formant de l’autre bras un double V amplifié par les deux encolures en v de l’ouverture des vestes. Le seul contraste réside dans le jeu des couleurs entre le noir et le blanc en quelque sorte noir sur blanc et blanc sur noir. 222 Discussion Sourires équivalents et regards dans la même direction qui est, dit-on traditionnellement, la meilleure gestuelle pour un couple. Le fond bleu uni renforce encore l’impression favorable du lecteur. La photo officielle apparaît aussi comme non guindée, naturelle. Et, le couple est toujours là! Même si l’on a pu écrire qu’il existait un développement institutionnel „d’une plus grande formalisation des rencontres et des échanges“52 franco-allemands, on constate qu’il n’en est rien. Mais, ce qui retient au contraire l’attention, c’est que les lieux de mémoire (Kehl) ont réussi à „se détacher de la mémoire nationale pour devenir un élément franco-allemand“.53 Les médias reprennent régulièrement cette notion de „couple“ dans les titres à commencer par l’article de l’officiel secrétaire d’Etat chargé des affaires européennes, Pierre Lellouche, dans le Monde: „Le couple franco-allemand mis au service de l’Europe, le moment est venu de lever les incompréhensions“. 54 Il ne faudrait pas non plus pratiquer une lecture idyllique de cette notion de „couple“. 55 Stephan Martens a bien régulé la notion: „Le partenariat franco-allemand n’a pas été l’expression d’une attraction irrésistible et réciproque spontanée, mais une nécessité et un choix rationnel. La relation franco-allemande repose sur la conscience partagée que, sans une certaine solidité de ce couple, l’Europe n’avancerait plus. En d’autres termes, si l’entente franco-allemande n’est pas suffisante, elle reste toutefois nécessaire. C’est un acquis de la construction européenne“. 56 Bien entendu, les photographes suivent toutes les fluctuations avec finesse et seule l’analyse permet d’entrer dans le vif du sujet. Les choix graphiques ne sont pas faits au hasard mais font partie du consensus en construction active sur lequel on peut s’appuyer pour faire avancer les analyses des relations entre la France et l’Allemagne qui, „d’ennemis héréditaires“, passent à un rapport fraternel, puis affectif et de consolidation: „dans l’inconscient collectif français s’est en effet imposée la vision d’une relation affective, émotionnelle, mais aussi tumultueuse, au point de confondre la coopération interétatique avec une vie de ‘couple’“. 57 Les objets interculturels A ces images officielles institutionnalisées, commentées et répétées, font aussi écho des objets culturels 58 élaborés dans la perspective de communauté ponctuellement réaffirmée. Il ne faudrait plus restreindre les objets culturels aux objets de musée ou de souvenirs de voyage. Des objets du quotidien, du moins pour certains, continuent d’exister dans la mémoire créant des marques de repérage. Ceci a été bien prouvé dans le cas de l’ex-RDA: „tout objet d’occasion peut comporter une charge symbolique lui permettant de matérialiser le passé“. 59 Il en est de même des objets franco-allemands, par exemple ceux liés aux jumelages des villes. Le sac (voir illustration 1) distribué à l’occasion du cinquantième anniversaire de la reconduction du jumelage entre Freiburg et Besançon révèle un double drapeau où un rayon de lumière colorée est remplacé par une autre couleur des drapeaux, ceci par trois fois. Par une recherche graphique inventive, les deux drapeaux se 223 Discussion trouvent ainsi unis, associés, comme une consécration de ce long jumelage de 50 ans. Les objets culturels, interculturels frappent l’attention en soulignant des emblèmes autrement agencés, donc renouvelés au-delà du national étriqué et éculé. La curiosité et la compréhension renaissent ensemble à la vue de cet objet inventé pour marquer l’occasion et qui s’immisce autrement dans la collectivité. Le franco-allemand au quotidien Enfin, il ne faudrait pas négliger non plus les lieux quotidiens affirmant une volonté d’ancrage et d’échanges dans la continuité. C’est Brigit Krulic qui s’est la première lancée dans „une territorialisation des identités culturelles“. Elle a organisé une extension de l’histoire contemporaine à la culture immédiate, prise dans le présent. Les lieux du quotidien (bibliothèques, cafés, jardins publics) créent une connivence sous forme de compréhension instantanée inférant une grande force fédératrice. Ces lieux partagés immédiatement disponibles existent aussi pour le franco-allemand. Le café Titon dans le 11 ème arrondissement de Paris est l’exemple même d’un de ces lieux interculturels réussis. Ce café prend en charge la convivialité francoallemande de Paris par des initiatives dont la dernière a permis de reconstituer un „Biergarten“ à Paris. Le succès a été total et inattendu, signe d’un changement des temps. La gastronomie, les renseignements culturels, en font une vitrine non négligeable de l’interculturalité. Il s’agit donc de recenser davantage ces initiatives, de les analyser et de montrer par là la direction que prend de nos jours l’image du franco-allemand. Ce café a été crée lors du Mondial de 2006 avec le slogan „Deutsch ist schöner“. Il a pour but de ne pas s’ériger en bar allemand à Paris mais „d’établir une ambiance franco-allemande“, un entre-deux, ce qui est tout différent comme projet. 60 Encore modeste, il y a bien là une nouvelle ouverture qui demande à être soulignée, reconnue. La fréquentation des lieux conviviaux francoallemands donnera elle aussi la mesure des échanges. Dans le cadre du quotidien, l’émission d’Arte, Karambolage, doit être ici même reconnue comme un des moyens médiatiques pour construire le franco-allemand au quotidien. L’écran se tresse alors de points méconnus, non appris officiellement, trouvés en chemin. Emission relayée par des publications et des DVD qui font reconnaître, à leur manière, l’empreinte précise du franco-allemand dans le panorama culturel de l’actualité. La date anniversaire du traité de l’Elysée, le 22 janvier, muée en journée francoallemande, donne lieu chaque année à des animations dont certaines sont hautement symboliques. Il s’agit de rendre compte de l’état de cet interculturel, existant certes, mais qui ne fait pas toujours l’objet de réflexions dans le sens indiqué. Il ne s’agit pas non plus de réénumérer toutes les activités franco-allemandes nombreuses dans des domaines très divers, mais on peut démontrer la tendance actuelle à traiter ensemble une question sociétale, comme par exemple le climat, les transports, au lieu de se confronter ou même d’échanger. Le faire-ensemble, le faire- 224 Discussion avancer ensemble une question (projets de co-actions) se dégage comme pour la confection du manuel d’histoire contemporaine. Des images culturelles franco-allemandes viennent ponctuer ce cheminement. Le stéréotype L’éventail des différents symboles franco-allemands s’achève dans le stéréotype: les deux images stéréotypées les plus répandues sont respectivement la tour Eiffel pour identifier Paris à la manière d’un signe graphique concret et pratique, et pour Berlin, c’est la Porte de Brandebourg qui redit l’Allemagne réunifiée. Ces deux images réunies en montage se trouvent projetées sur la couverture d’un livre. 61 La tour Eiffel en incrustation côtoyant le quadrige, lui en présentiel, dans Berlin: les deux capitales figurent donc ensemble (voir illustration 4). Utilisation du stéréotype dans les rapports franco-allemands Bien cadrée au centre de la couverture, en clin d’œil avec le titre du livre, la photo de la porte de Brandebourg de Berlin se surimpose avec les deux monuments parisiens les plus stéréotypés: l’un historique, l’arc de triomphe des Champs Elysées et l’autre la référence touristique que représente la tour Eiffel qui fête ses 120 ans cette année. Les trois stéréotypes sont à nouveau bousculés par le rapport entre présentiel et virtuel. Le tout dans une dominante de couleur bleu idéal constitué par la bâche et le ciel en prolongement, contrastant avec le rouge étal du fond. Rapprochement, acceptation, ce cliché est tout un programme à lui seul, une photo possible au 21 e siècle. Non seulement paix retrouvée en Europe, mais interaction entre les deux „anciens rivaux“. En effet, en 2000, la porte de Brandebourg était en travaux et devant elle, se dressaient des bâches masquant les échafaudages représentant les deux monuments français en trompe-l’œil. Dans la vie urbaine de Berlin (bus et inscriptions en langue allemande) se profilaient ces images symboliques bien connues de Paris, le tout accompagné d’un fond bleu relayé par celui du ciel. Ce montage tout à fait authentique peut être regardé comme un symbole interculturel des stéréotypes encore impensable avant 1989. On comprend combien de chemin a été parcouru. C’est aussi un symbole nouveau de type temporaire et facilement compréhensible même s’il surprend au premier coup d’œil. Le cadrage a volontairement superposé le haut de l’Arc de triomphe parisien au-dessous de la porte de Brandebourg, elle en réel. Cet arc se visualise à travers les colonnes. Actualité (bus, publicité, circulation) et tradition (le quadrige vert) se côtoient tout comme se côtoient la double référence présentielle et virtuelle. 225 Discussion Conclusion: Trajectoire des relations franco-allemandes Les études réalisées sur les projections dans le futur des échanges franco-allemands sont assez rares pour se permettre de signaler la tentative de Sloterdijk dans sa conférence du 15 novembre 2007 à Freiburg intitulée Théories des aprèsguerres. 62 Pour lui, les relations franco-allemandes sont devenues standard et se sont en quelque sorte inversées. Elles ont abouti à un état de neutralité inerte. Les échanges franco-allemands, „la fameuse amitié franco-allemande, est un fantôme inventé par les professionnels de la rencontre officielle“. 63 Depuis l’après-guerre, l’Allemagne n’a cessé de progresser en fournissant des efforts réguliers d’abord sur le plan économique, puis sur celui d’une décomplexion politique et enfin par la réunification des deux forces antagonistes. Pendant ce temps la France a déçu en affirmant une supériorité de plus en plus artificielle et il subsume les deux pays dans deux personnages figures symboliques révélatrices: d’une part un pape Allemand à Rome, d’autre part un chef d’Etat de droite en France qui affirmerait avant tout une volonté de remise en ordre autoritaire. Semblant toucher un autre aspect, Stefan Martens s’interroge sur la portée et les limites du traité d’amitié de l’Elysée en l’assimilant lui aussi à un lieu de mémoire immatériel et se pose la question de savoir „si le traité de l’Elysée est un lieu de mémoire franco-allemand“ 64 en y répondant affirmativement. Au contraire, on pourrait penser ce traité en termes de mythe politique selon l’acception de Raoul Girardet: le traité d’amitié de 1963 fait fonction de mythe politique dans la mesure où toutes les initiatives officielles et associatives sont venues s’y axer. L’image de ce traité, signé par Charles de Gaulle et Konrad Adenauer, se présente alors sous la forme de la figure archétypale du „sauveur“: 65 „c’est au nom de la fidélité aux messages qu’ils [les sauvers] ont dictés, de la conformité aux principes qu’ils ont posés ou aux institutions qu’ils ont fondées que l’on entend répondre aux interpellations et aux défis du présent“. 66 Ainsi l’axe fondateur est devenu mythe symbolique historique. Sloterdijk, de son côté, va encore plus loin en prolongeant en quelque sorte la pensée de Girardet qui considère que „les images (des grands hommes) encombrent tous les carrefours de notre histoire“. De rassurance en rassurance, selon la Théorie des après-guerres, toutes ces répétitions concernant les mêmes références débouchent finalement sur une sorte de neutralité faisant perdre la fascination pour la figure de l’autre. „La crise de distance et l’amitié nouée ne signifient au fond qu’une seule et même chose“ 67 car les tensions sont annulées du même coup. En revanche, Slotedijk ne tient pas compte de la construction européenne qui a eu lieu entre l’Allemagne et la France. Il n’y aurait en effet pas eu l’Europe d’aujourd’hui sans le traité initial qui a donné le coup d’envoi. L’Allemagne n’est ni familière, ni ennemie de la France, elle en serait ignorée si elle ne se rattachait pas à l’idée d’Europe. 68 Mais le franco-allemand, leader de l’Europe, ne devient-il pas à son tour un mythe face au chômage dévorant et aux alternatives qui se cherchent? Malgré toutes les objections que l’on puisse soulever, on retiendra que la réconci- 226 Discussion liation franco-allemande a une valeur de modèle conduisant à des actes et à des manières de penser différents. * C’est tout un champ déjà existant, authentique, qui est dégagé, le champ de la symbolique franco-allemande concernant plusieurs registres ou échelles. Ce champ spécifique est encore peu reconnu comme tel et s’inscrit dans les politiques culturelles symboliques soulignées surtout par Pascal Ory et Herfried Münkler. Les symboles permettent enfin des focalisations plurielles sur un même support en présence. „Créatrice de formes, la politique symbolique est, par là même, modelée par la conjoncture“. 69 Le champ franco-allemand des symboles s’utilise aussi comme créativité de mémoire identitaire, comme activité créatrice et comme réseau puisque ces différents éléments sont reliés entre eux ou plutôt reliables. Ces symboles franco-allemands sont un type de représentation sociale de l’interculturel englobant l’histoire culturelle et le souci du quotidien, du présent. La transculturalité enfin se définit donc comme une dynamique de tension liée à un parcours heuristique trouvant sa profondeur dans le symbole qui en parachève le sens en indiquant les directions prises au cours de l’histoire contemporaine et immédiate dans un ajustement perpétuel de nouvelles configurations développant une créativité de la mémoire régulièrement alimentée, car dans le contexte de la mondialisation „la réconciliation franco-allemande a toujours valeur de modèle“ (Stefan Martens). L’accent a été mis sur l’expressivité de ces symboles, qu’il s’agisse de références historiques, politiques ou culturelles. Ces attributs permettent toujours de s’impliquer dans un processus d’identification collective, tout en assurant des interprétations faites de réactivités individuelles selon les contextes et les lieux, ménageant en tout cas un lien entre passé et présent, à partir de modalités d’appréhension et de décodage. Une histoire sans cesse revivifiée et qui n’empêche pas la découverte des valeurs actuelles. La preuve en est donnée par les manifestations conjuguées du 9/ 11 et du 11/ 11 2009 entre Berlin et Paris. Les deux anciennes dates de la mémoire sont devenues des symboles en action par le truchement d’un chassé-croisé: N. Sarkozy rattrapant le faux-bord de Mitterrand à la porte de Brandebourg et A. Merkel acceptant, dans un esprit positif, l’invitation à l’arc-de-triomphe. Tous deux voulant faire du 11 novembre une date de la Paix européenne, une Paxa Europa actuelle. La prochaine initiative sera la mise en place d’un ministère commun sur proposition française, sorte de fuite en avant institutionnelle ce qui n’empêche pas de déplorer l’absence de véritable projet politique commun. De même la Porte de Brandebourg ne peut être séparée des manifestations du 9/ 11 de la place de la Concorde où cette porte a été projetée sur un immense écran entre l’hôtel de Crillon et le ministère de la marine. Ainsi on peut parler d’un dédoublement en faveur de la liberté à Berlin et de la paix à Paris selon les propres termes du discours d’A. Merkel à Paris. Ces nouveaux gestes symboliques sont autant de germes d’actions fonction- 227 Discussion nelles entre les deux pays allant dans le sens d’une cohésion européenne (fête de la paix), au-delà des deux pays concernés s’affichant face à une opinion générale. Contrairement donc à ce qu’affirme Sloderdijk, toutes les constructions communes franco-allemandes militent pour le vivant. Ce qui a déjà été accompli depuis 1963 plaide encore pour la recherche de nouvelles occurrences toujours plus souples et performantes, c’est-à-dire capables de souligner les forces positives de convergence à partir d’une adhérence et d’une cohésion adaptées. Toutes les initiatives citées dans cet article viennent en quelque sorte infirmer les dires de Sloterdijk. Il existe bien une volonté de continuer à bâtir en commun, même si toutes les initiatives ne se rangent pas sur le même plan. L’existence de ces échanges a contribué à faire connaître largement une tendance non démentie, même si des réticences ont existé de part et d’autre. La construction de symboles communs contribue à franchir un cap important dans la reconnaissance et l’affirmation double, bi-étatique des décisions. 1 Par exemple Maurice Agulhon, Les métamorphoses de Marianne, l’imagerie et la symbolique républicaines de 1914 à nos jours, Flammarion, 2001, ou Michel Pastoureau, Les emblèmes de la France, Editions Bonneton, 2001. 2 Par exemple Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Flagge zeigen? Die Deutschen und ihre Nationalsymbole. Begleitbuch zur Ausstellung (du 5 décembre 2008 au 13 avril 2009), Kerber Verlag, 2008, ou Herfried Münkler, Die Deutschen und ihre Mythen, Berlin, Rowohlt, 2009. 3 Horst Möller et Jacques Morizet (sous la direction de), Allemagne-France, lieux et mémoire d’une histoire commune, Albin Michel, 1995 (en allemand: Franzosen und Deutsche. Orte der gemeinsamen Geschichte, München, Beck, 1996), 10. 4 Thomas Keller, Jean-Marie Guillon, „Du lieu de migration au lieu de commémoration - du lieu de commémoration au lieu de migration“, in: Cahiers d’études germaniques, n° 53, 2007 (Lieux de mémoires franco-allemandes, Etudes réunies par Thomas Keller), 8. 5 Françoise Lartillot, „Du mythe aux histoires ‘symboliques’, la méthode Elias“, in: Françoise Lartillot (Coord.), Norbert Elias: Etudes sur les Allemands, L’Harmattan, 2009, 18. 6 Pierre Nora, „Présentation“, in: Pierre Nora (sous la direction de), Les lieux de mémoire, Quarto, Gallimard, tome 1, 1997, 20. 7 Etienne François, Hagen Schulze (sous la direction de), Deutsche Erinnerungsorte, 3 tomes, München, Beck, 2001. 8 La France se réfère avant tout à l’Etat-nation qui est capable de dégager immédiatement une géographie mentale générale. Quand il s’agit de l’Allemagne, la superposition entre réalité culturelle, imaginaire et réalité territoriale ne se consolide pas de la même manière car „l’Allemagne s’est longtemps définie plus en référence à la langue et à la culture qu’à l’état et au territoire“ (Etienne François, „Mémoires divisées, mémoire partagées: à la recherche des mémoires allemandes“, in: Etienne François et Hagen Schulze (sous la direction de), Mémoires allemandes, Gallimard, 2007, 11). 9 Cf. par exemple Brigit Krulic, Europe, Lieux communs, Cafés, gares, jardins publics…, Autrement, 2004. 10 Cf. Pascal Ory, „Pour une histoire des politiques symboliques“, in: Pascal Ory, La culture comme aventure, Editions Complexe, 2008, 85. 228 Discussion 11 Thomas Keller par exemple dégage quatre stades pour que des lieux de mémoire puissent devenir des lieux de reconnaissance franco-allemands: à savoir le lieu de migration (Migrationsort) devient un lieu de souvenir (Erinnerungsort) puis de mémoire collective (Gedächtnisort) et enfin un lieu de commémoration (Gedenkort), cf. Thomas Keller, Jean- Marie Guillon, „Du lieu de migration au lieu de commémoration - du lieu de commémoration au lieu de migration“, art. cit, 7-18. 12 Voir le site officiel de la ville de Sanary (www.sanarysurmer.com „terre et mémoire de l’exil, les écrivains allemands“). 13 Jacques Poumet, „Présentation“, in: Allemagne d’aujourd’hui, n° 173, juillet-septembre 2005 (Lieux de mémoire dans les nouveaux Länder allemands, sous la direction de Jacques Poumet), 4 et 5. 14 Cf. par exemple Dietrich Mühlberg, „Les objets du quotidien: des lieux de mémoire? Spécificités des cultures mémorielles est-allemandes“, in: Allemagne d’aujourd’hui, n° 173, juillet-septembre 2005, 6-25. 15 L’émission Karambolage d’Arte a développé la même tendance face à des objets culturels présents/ absents en Allemagne ou en France révélant ainsi une caractéristique à saisir, une tendance différente qui était souvent ignorée de part et d’autre, cf. par exemple Kathrin Uhde, Karambolage oder die deutsch-französischen Eigenarten mit fremden Augen sehen: eine interkulturelle Fernsehanalyse, Berlin, Avinus-Verlag, 2006. 16 Cf. Joseph Jurt, „Symbolische Repräsentationen nationaler Identität in Frankreich und Deutschland nach 1789“, in: Ruth Florack (ed.), Nation als Stereotyp, Fremdwahrnehmung und Identität in deutscher und französischer Literatur, Niemeyer Verlag, Tübingen, 2000, 115-140. 17 Il ne sera pas question dans le cadre de cet article de revenir sur la définition du symbole: Michel Pastoureau en historien distingue le symbole et l’emblème, Lévi-Strauss en anthropologie lie symbole et structure en systèmes, Sigmund Freud privilégie le point de vue personnel, C. G. Jung développe la notion groupale dans les archétypes, Gilbert Durand s’intéresse à la recherche de lois pour l’imaginaire humain, Todorov procède à une mise au point purement linguistique. Il n’est pas dans notre objectif de rentrer dans une mise au point sur le symbole ou la place du symbole dans les sciences humaines mais de reconnaître qu’il fait figure d’identifiant collectif et d’interprétant en produisant des variations polysémiques de réactivité pour une lecture avertie. 18 Cf. Peter Geiss et Guillaume Le Quintrec (sous la direction de), Histoire/ Geschichte, l’Europe et le monde depuis 1945, Klett/ Nathan, 2006, par exemple le dossier „Gestes symboliques et lieux de mémoire“, 302-303. 19 Baudouin Decharneux et Luc Nefontaine, Le symbole, Puf, 1998, 78 et 79. 20 Marianne et Germania, 1789-1889, un siècle de passions franco-allemandes, catalogue de l’exposition, Les musées de la ville de Paris, 1997. 21 Walburga Sarcher, „Le vocabulaire français d’origine allemande dans les dictionnaires existants“, in: La linguistique, 2003/ 1, 39, 169-172. Walburga Sarcher expose les ambiguïtés des répertoires de référence (datations, classement). 22 Michel Espagne, „Problèmes d’histoire interculturelle“, in: Revue germanique internationale, 4/ 1995, 5. 23 Cf. Johannes Thiele, „Deutsch-französische Lehnbeziehungen“, in: Ingo Kolboom, Edward Reichel (eds.), Handbuch Französisch, Berlin, Erich Schmidt Verlag, 2008, 216-222. 24 Cf. Paul Fischer, Die deutsch-französischen Beziehungen im 19. Jahrhundert im Spiegel des französischen Wortschatzes, Frankfurt/ M., Peter Lang, 1991. 25 Pascale Hugues, Le bonheur allemand, Seuil, 1998. 229 Discussion 26 Michel Tournier, Le bonheur en Allemagne, Maren Sell, 2004. 27 Ulrich Wickert, Vom Glück, Franzose zu sein, Hoffmann und Campe, Hamburg, 1999. 28 Michael Jeismann, Das Vaterland der Feinde, Studien zum nationalen Feindbegriff und Selbstverständnis in Deutschland und Frankreich 1792-1918, Stuttgart, Klett, 1992. 29 Voir www.france-allemagne.fr/ Discours-dePierre-Lellouche-a, 4705.html. 30 Pierre Nora (hrsg.von), Erinnerungsorte Frankreichs, München, Beck, 2005. 31 Etienne François, „Mémoires divisées, mémoire partagées: à la recherche des mémoires allemandes“, in: Etienne François et Hagen Schulze (sous la direction de), Mémoires allemandes, Gallimard, 2007, 23. Signalons un travail historique en commun (francoallemand) entre l’Institut historique allemand de Paris et l’EHESS. Cette histoire francoallemande comportera onze volumes dont cinq sont déjà parus depuis 2005. Le projet porte sur l’histoire du 9 e siècle à nos jours. Projet d’envergure qui apparaît comme un soulignement dirigé vers l’Europe tout entière car les concepts d’approche sont à repenser dans un axe transversal et non en se focalisant sur les relations diplomatiques habituelles. On échappe enfin au moule nationaliste (cf. Werner Paravicini et Michael Werner, éd. par, Deutsch-französische Geschichte, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2005). 32 Cf. Andreas Rittau, „Installation transfrontalière franco-allemande et le Jardin des deux Rives à Strasbourg-Kehl“, in: Documents-Revue des questions allemandes, n° 4, 2004, 54-56. 33 Cf. Andreas Rittau, Interaction Allemagne-France, L’Harmattan 2003, 283-308. 34 Richard Kleinschmager, „Les nouveaux rapports de l’Alsace et de l’Allemagne“, in: Hérodote, n° 80, (1/ 1996), 156-174. 35 Cf. par exemple Odile Kammerer, Entre Vosges et Forêt-Noire, Pouvoirs, terroirs et villes de l’Oberrhein 1250-1350, Publications de la Sorbonne, 2002. 36 Karen Denni, Rheinüberschreitungen-Grenzüberwindungen, die deutsch-französische Grenze und ihre Rheinbrücken (1861-2006), Konstanz, UVK Verlagsgesellschaft, 2008, 289. 37 Cf. Ulrike Voswinckel et Frank Berninger, Exils méditerranéens, écrivains allemands dans le sud de la France (1933-1941), Seuil, 2009. 38 Magali Laure Nieradka, „Sanary-sur-Mer balisé - un lieu de commémoration franco-allemand par excellence? “, in: Cahiers d’études germaniques, n° 53, 2007, 90. 39 Ville de Sanary sur Mer, Sur les pas des Allemands en exil à Sanary 1933-1945, Imprimerie Hemisud, 2004, 120 p. 40 Ce foyer d’exil donne une autre aura à l’attirance régulière et bien connue des Allemand pour le sud de la France, qu’il s’agisse de voyages et d’installations d’artistes. En confirmant autrement ce qui deviendra par la suite une tendance, Sanary s’édifie comme symbole exemplaire à la fois spécialisé et général d’une référence allemande caractéristique du sud de la France au 20 e siècle. 41 Cf. Marianne Amar, Marie Poinsot, Catherine Wihtol de Wenden (sous la direction de), A chacun ses étrangers? France-Allemagne de 1871 à aujourd’hui, (catalogue de l’exposition), Actes Sud/ Cité Nationale de l’Histoire de l’Immigration, 2009. 42 Marie Baumgartner, „A chacun ses étrangers, France-Allemagne depuis 1870“, in: Documents, n° 2, 2009, 69. 43 Christian Jacob, „Introduction: Faire corps, faire lieu“, in: Christian Jacob (sous la direction de), Lieux de savoir, Espaces et communautés, Albin Michel, 2007, 20 et 32 44 Cf. Jacques Leenhardt et Robert Picht (textes édités par), Au jardin des malentendus, le commerce franco-allemand des idées, Denklingen, Babel, 1997, et Fremde Freunde, Deutsche und Franzosen vor dem 21. Jahrhundert, München, Piper, 1997. 230 Discussion 45 Elisabeth Décultot, Michel Espagne et Jacques Le Rider (sous la direction de), Dictionnaire du Monde germanique, Bayard, 2007. 46 Michael Werner lors d’un débat au Goethe-Institut de Lyon, le 28 février 2006. 47 Martin Raether, „Un revers de deux médailles? Le manuel d’histoire franco-allemand“, in: Francia, Forschungen zur westeuropäischen Geschichte, Bd 35, 2008, 585-591. 48 Claire Aslangul, „De la haine héréditaire à l’amitié indéfectible. Quelques images-symboles de la relation France-Allemagne, 1870-2009“, in: Revue historique des armées, 256, 2009, 3-13, ici: 3 (C. A. s’est fait une spécialité de l’utilisation de l’image en rapport avec les conflits franco-allemands. Elle a constitué un corpus impressionnant d’illustrations. Voir Représentations de la guerre chez les peintres, graveurs et dessinateurs allemands au XX e siècle, dans le contexte européen. Traditions, évolutions et ruptures dans les codes iconographiques, thèse, 2 tomes, EPHE, 2003). 49 Cf. Andreas Rittau, „Représentations iconiques de l’Allemagne à travers les photos de presse du journal Le Monde (2005-2007), Analyse du couple franco-allemand“, in: Communication & langages, n° 156, 2008, 91-102. 50 Lors du sommet Strasbourg-Kehl de l’Otan, le 4 avril 2009 (photo Sipa dans le nouvelobs.com du 10 mai 2009). 51 Photo de Mme Merkel et M. Chirac, commémorant la libération de Paris, in: Le Monde, 28 aout 2006, 9 (Jacques Brinon, AP). 52 Stefan Martens, „De l’Erbfeindschaft à la réconciliation. Le Traité de L’Elysée. Portée et limites“, in: Allemagne d’aujourd’hui, hors série (mai 2006), 36-51. 53 Thomas Keller, Jean-Marie Guillon, „Du lieu de migration au lieu de commémoration - du lieu de commémoration au lieu de migration“, in: Cahiers d’études germaniques, n° 53, 2007, art. cit., 11. 54 Pierre Lellouche, „Le couple franco-allemand, uni au service de l’Europe. Le Moment est venu de lever les incompréhensions“, in: Le Monde, 6 octobre 2009. 55 En Allemagne, les relations franco-allemandes sont évoquées d’une manière plus neutre qu’en France où l’on parle sans cesse de „couple“. Ceci traduit une fois de plus l’habitude de considérer la nation comme une personne (en France), une allégorie, identification qui a d’ailleurs commencé au Moyen-âge, alors que la figure de Germania n’a été répandue qu’après la guerre franco-prussienne pour disparaître à la fin de la Seconde Guerre mondiale. Les rapports entre la France et l’Allemagne ne sont donc pas à l’abri de „poussées affectives“ et les stéréotypes du passé pouvant à tout moment resurgir et alimenter l’actualité. Sans nier le caractère exclusif de la relation franco-allemande, Joseph Jurt („Le couple franco-allemand“, in: Jean-Noël Jeanneney (sous la direction de), Une idée fausse est un fait vrai, les stéréotypes nationaux en Europe, Odile Jacob, 2000, 103-115) propose tout simplement de renoncer au terme de „couple“ pour éviter toutes les connotations affectives et dépasser le „nombrilisme binational“ suggéré par cette notion, parce que le rapport entre les peuples diffère de celui entre des individus et l’Europe reste avant tout une Europe des Etats-nations sans identité communautaire. 56 Stephan Martens, „Le couple franco-allemand: nécessaire mais pas suffisant“, http: / / bordeaux.eurosblog.eu/ spip.php? ? article16. 57 Claire Demesmay/ Julien Thorel, „Au jardin des incertitudes: la mémoire française des relations franco-allemandes“, in: Allemagne d’aujourd’hui, n° 189, juillet-septembre 2009, 252-264. 58 Ces dernières années une intense réflexion a été menée autour de l’objet culturel comme spécificité culturelle, par exemple dans le cadre de la fondation du Musée français des arts premiers du Quai Branly. 231 Discussion 59 Dietrich Mühlberg, „Les objets du quotidien: des lieux de mémoire? Spécificités des cultures mémorielles est-allemandes“, art.cit., 6. 60 Cf. http: / / www.cafetiton.com. 61 Cf. Andreas Rittau, Interaction Allemagne-France, les habitudes culturelles d’aujourd’hui en questions, L’Harmattan, 2003. 62 Cf. Peter Sloterdijk, Theorie der Nachkriegszeiten, Bemerkungen zu den deutsch-französischen Beziehungen seit 1945, Frankfurt/ M., Suhrkamp, 2008. 63 Peter Sloterdijk, „La France, un danger pour l’Europe? “, in: Le Point, 18 décembre 2008 (propose recueillies par Elisabeth Levy). 64 Stefan Martens, „De l’Erbfeindschaft à la réconciliation. Le Traité de L’Elysée. Portée et limites“, in: Allemagne d’aujourd’hui, hors série (mai 2006), 36-51 65 L’accumulation de références autour des grandes figures politiques fait que leur statut passe de l’état de fait au mythe. 66 Raoul Girardet, Mythes et mythologies politiques, Seuil, 1986, 64. 67 Peter Sloterdijk, Theorie der Nachkriegszeiten, Bemerkungen zu den deutsch-französischen Beziehungen seit 1945, op. cit., 78. 68 Si l’on considère les éléments politiques, les échanges sont conventionnellement nombreux et privilégies - si l’on considère la fréquentation au quotidien, il n’en est plus de même: plus de 13 millions de touristes allemands visitent la France chaque année, en sens inverse, seulement 1,3 million de Français franchisent la frontière pour séjourner en Allemagne). 69 Pascal Ory, „Pour une histoire des politiques symboliques“, art.cit., 79. 15: 50: 23 232 Arts & Lettres Ina Pfitzner L’érotique entre exorcisme et canular: J’irai cracher sur vos tombes par Vernon Sullivan/ Boris Vian L’érotique du texte Toute écriture, selon Roland Barthes, serait un geste érotique, et un auteur écrivant „dans le plaisir“ tenterait de communiquer ce plaisir à son lecteur. Le lecteur pour sa part aurait besoin de se sentir désiré par le texte, de sorte que le rapport entre l’auteur et le lecteur, entre le texte et sa lecture, serait le résultat d’une séduction, d’une „drague“. 1 La séduction graduelle par le texte, cette lecture dont nous parle Barthes, correspond à un „dévoilement progressif“, 2 un strip-tease. Ce qui est visible renvoie à ce que l’on ne voit pas et ce que l’on espère voir. La stimulation du lecteur s’accroît au fur et à mesure que l’intrigue avance. Dans le cas idéal, la lecture comme acte d’amour s’achève par la jouissance qui débouche sur un sentiment de gratification et de plaisir. La séduction accomplie suscite l’envie de la voir se répéter, d’acquérir d’autres expériences similaires. Boris Vian établit des idées similaires dans sa conférence au sujet de l’Utilité de la littérature érotique, quoiqu’en des termes moins sensuels. Pour lui, l’une des stratégies les plus efficaces pour attirer et retenir le lecteur serait „de produire sur lui une impression physique, de lui faire éprouver une émotion d’ordre physique; car il paraît évident que lorsqu’on est engagé physiquement dans une lecture, on s’en détache plus difficilement que s’il s’agit d’une spéculation purement immatérielle à laquelle on ne prend part que distraitement, et du bout de cerveau“. 3 Comme c’est précisément l’intention de toute littérature érotique que de captiver le lecteur par des sensations physiques, elle serait alors, par définition, particulièrement séduisante, d’autant plus qu’il y aurait un „préjugé universel favorable à l’amour“, soit à „l’amour-émotion“, soit à „l’amour-action“. 4 Après tout, comme l’affirme Vian, les sentiments et les sensations qui se fondent sur l’amour sont, „avec ceux qui se rattachent aux choses de la mort, si voisins d’ailleurs, les plus intenses et les plus violemment ressentis par l’humanité“. 5 Cela implique d’abord, paradoxalement, que l’association de l’amour (physique) et de la mort provoquerait la plus grande excitation possible, un bouleversement émotionnel et physique extraordinaire, même peut-être une jouissance, „la petite mort“, dans laquelle les deux pôles semblent réunis pendant un instant. En même temps, sachant toutefois que la violence rend le plaisir impossible, c’est exactement à travers le sentiment d’amour dont il émane que l’érotique se distingue de la pornographie. 233 Arts & Lettres Pourtant, l’érotique continue de baigner dans l’interdit. Par son potentiel de transgression, il sert d’arme de subversion 6 et, dans l’esprit hyperbolique de Boris Vian, il constitue même „la forme actuelle du mouvement révolutionnaire“. 7 Les auteurs libertins seraient „les vrais propagandistes d’un ordre nouveau, les vrais apôtres de la révolution future, future et dialectique“. 8 Et d’ajouter: „Lire des livres érotiques, les faire connaître, les écrire, c’est préparer le monde de demain et frayer la voie à la vraie révolution“. 9 Comme l’érotique renvoie à l’individu et à ses désirs, qui sont fréquemment contraires à ceux de la société, elle a le potentiel même d’être un acte de désobéissance civile. Le caractère subversif de la littérature érotique a été attesté par les procès, la censure et la répression de nombre d’œuvres et d’auteurs. En même temps, de telles sanctions, suscitant généralement l’intérêt des lecteurs, sont souvent le garant du succès commercial. De nos jours, toujours en marge de ce qui est bienséant et moralement acceptable, l’attrait de ce qui est interdit fait de l’érotisme une des stratégies commerciales préférées. Sex sells, la sexualité se vend, et des marchandises se vendent par le biais de la sexualité: des films, de la musique pop, des voitures, des vêtements, des cigarettes… et bien des livres. Dans le roman J’irai cracher sur vos tombes de Boris Vian, l’érotique joue sur plusieurs plans. Elle fait partie non seulement de l’intrigue mais aussi du récit de l’origine et de la genèse du texte. Elle sert de stratégie de vente et d’outil pour retenir le lecteur. Elle symbolise et démontre la violence dans la société et la dénonce. Elle propose une vision de l’érotique basée sur l’égalité et la tendresse. Dans ce qui suit, nous voyons comment - par tous ces aspects - ce roman, qui se voulait érotique, est surtout politique. C’est sous le signe de l’érotique, entre autres, que le roman J’irai cracher sur vos tombes de Vernon Sullivan devint le best-seller de 1947 en France. La formule hard-boiled à laquelle le texte proclama adhérer 10 et même dépasser par des moments sadiques, impliquait l’érotique. De plus, la préface anticipait sur la vexation de „nos moralistes“ à cause du „réalisme un peu poussé“ de certaines pages. Faisant référence à Henry Miller, le préfacier prétendait que le roman différait de cette œuvre-là dans la mesure où il se rapprochait plutôt d’„une tradition érotique plus latine“. 11 Il déclarait aussi que le livre n’aurait pas trouvé d’éditeur aux Etats-Unis pour des raisons de censure implicite et que l’auteur serait un Noir se faisant passer pour Blanc. Cela étant, l’ouvrage se faisait fort de rencontrer le goût du grand public. Rappelons les circonstances de la genèse du roman. On est en 1946; Boris Vian vient de rater le Prix de la Pléiade pour son roman L’écume des jours. 12 Suite à un pari avec Jean d’Halluin, directeur des Editions du Scorpion, il rédige J’irai cracher sur vos tombes pendant les vacances du 5 au 20 août 1946. L’objectif est de lancer un best-seller dans le style „hard-boiled“, du roman „américain“ que l’on appréciait à l’époque. C’est que Vian et son éditeur ont besoin d’un succès financier. En novembre, le roman est publié en tant que traduction française d’un texte original composé par un Noir, Vernon Sullivan. 13 En février 1947, le Cartel d’action 234 Arts & Lettres sociale et morale dépose une plainte contre Sullivan. En mars, on trouve dans un hôtel de Montparnasse le corps d’une jeune femme étranglée par son amant, et, à côté du cadavre, le roman de Vian ouvert à la page où Lee Anderson tue sa maîtresse de la même façon. Le meurtrier se pend dans la forêt de Saint-Germain. Vian est aussitôt traité par la presse d’„assassin par procuration“. 14 Une autre plainte est déposée qui a pour résultat l’interdiction du roman de 1949 jusqu’à 1953. L’auteur est condamné à 100 000 francs d’amende pour outrage aux bonnes mœurs par la voie du livre. A cause de ce scandale, l’œuvre suivante de Vian ne recevra jamais l’attention critique qu’elle aurait méritée. 15 L’imposture J’irai cracher sur vos tombes se fonde sur une double imposture, celle de la censure implicite et celle de la traduction. L’intention est de profiter tout à la fois de la fascination et du scepticisme qu’éprouve la France envers les Etats-Unis. En prétendant que toute tentative de publication là-bas aurait échoué, Vian dote son roman d’une force explosive de subversion politique et érotique. Sous le prétexte de cette censure supposée, des thèmes politiques et érotiques sont abordés franchement, ce qui entraîne immanquablement l’interdiction. Le roman programme sa propre censure, telle qu’elle va se produire. En outre, attribuant le roman à un auteur „américain“, Vian présente son texte comme traduction, ce qui en fait un texte secondaire, une copie, une ré-écriture de l’original dans une autre langue. Du coup, puisque J’irai cracher sur vos tombes n’a qu’un auteur imaginaire, Vian (en tant que son traducteur) se débarrasse de la responsabilité de l’auteur et ne répond pas de son texte. Il nie implicitement qu’un auteur soit responsable de son texte et s’oppose à l’idée qu’il y ait un rapport direct entre les deux, ceci étant, avec d’autres conventions de l’establishment littéraire, la bête noire de Vian. Bien sûr que les critiques virent les choses autrement: l’imposture fut au centre du scandale que causa le roman en France. L’intrigue du roman est l’allégorie de sa propre genèse, de son intention et de sa réception, bref l’histoire du roman même. Le protagoniste Lee Anderson est un Noir originaire du Sud qui „passe la ligne“, c’est-à-dire qu’il se fait prendre pour un Blanc. Il s’installe dans une petite ville („Buckton“) où il exerce le métier de libraire. Son vrai mobile est de trouver l’occasion de venger son frère cadet, qui fut lynché pour avoir été amoureux d’une jeune blanche. Lee se lie d’amitié avec une bande d’adolescents (des „bobby-soxers“) pour qui il assume les rôles de fournisseur en alcool, de bon danseur et de séducteur toujours disponible. Il poursuit de ses avances les sœurs Jean et Lou Asquith, filles de propriétaires de plantations, et promet à chacune de les épouser. Quand l’aînée, Jean, tombe enceinte, il essaye de persuader la cadette de l’aider à la tuer. Pour empêcher le meurtre, Lou l’attaque. Lee la massacre cruellement, et puis, viole et tue Jean aussi. Prévenue par son copain Dexter, qui se doutait qu’il était Noir, la police le poursuit. Lee est 235 Arts & Lettres attrapé, tué, puis encore pendu: „Ceux du village le pendirent tout de même parce que c’était un nègre“ (211). 16 Le roman est un pastiche de genres et de textes. Il est précisé dans la préface qu’il est inspiré des romans de James M. Cain, donné comme fondateur du genre hard-boiled, et de James Hadley Chase qui, comme Vian, écrivit sur une Amérique largement imaginée. 17 Les critiques citent également les influences de William Faulkner et d’Ernest Hemingway ou encore de Dashiel Hammett et de Raymond Chandler. 18 Vian traduisit d’ailleurs, entre autres, Le grand sommeil de Chandler. Comme chez celui-ci, l’intrigue de J’irai cracher sur vos tombes tourne autour d’un narrateur et de deux sœurs qui entrent en rivalité pour obtenir ses faveurs. A la façon des romans de Cain, cette même intrigue émane en grande partie des dialogues. Comme dans l’univers masculin hard-boiled, le héros justicier, Lee, variation sur le mythe du cow-boy ou du hors-la-loi, incarne une forme alternative de justice. Ses crimes sont la conséquence de sa rage et de sa résignation, semblable à ce que Boris Vian éprouvait à l’encontre du monde littéraire. Ce sentiment d’impuissance et d’amertume envers la société est bien résumé par un personnage dans Adieu, ma jolie de Chandler: Tu sais ce qui ne va pas dans ce pays, mon chou? … Impossible pour un mec de rester honnête s’il le veut… Il faut jouer le jeu salement pour manger.19 Lee Anderson comme Boris Vian assume une fausse identité pour régler ses comptes avec la société, mais pour le dernier il est aussi question de survie financière. La ruse doit susciter l’intérêt des consommateurs pour un écrivain noir „scandaleux“. La présumée traduction d’un roman hard-boiled noir dote le texte d’un semblant d’authenticité, que le véritable auteur ne pouvait pas réclamer pour lui-même. Il donne la parole à un opprimé, parole qui serait ainsi le reflet authentique et immédiat des conflits sociaux et raciaux. En réalité, bien sûr, l’auteur est un Blanc qui prétend être un Noir qui dépasse la ligne et qui écrit sur un Noir qui se fait prendre pour un Blanc pour mieux pouvoir venger l’oppression des Noirs. L’„alter negro“ 20 de Vian aborde des problèmes du racisme et met en question la classification des races, touche à leur construction culturelle et sociale. Si Lee est blond et blanc, pourquoi est-il Noir? S’il dépasse la ligne, pourquoi s’identifie-t-il aux Noirs? La critique sociale porte sur le racisme: les lynchages, l’exploitation des travailleurs dans les plantations, les insultes contre les Noirs, et l’appropriation du jazz par les Blancs. „Vian“, écrit Michel Rybalka, „prend la défense des Noirs contre les Blancs contre ce qu’il est lui-même et il devient donc, par cette acculturation, le nègre blanc; il l’a toujours été.“ 21 Sullivan/ Vian réfute une représentation „des ‘bons Noirs’, de ceux dont les Blancs tapotent affectueusement le dos dans la littérature“ (9), pour dépeindre un Noir aussi „dur“ que les Blancs. 22 236 Arts & Lettres Le racisme et l’érotique Ainsi, Vian s’arroge le droit d’écrire un vrai roman Noir qu’aucun Noir n’avait écrit jusque-là. Par cet acte de racisme inversé, il semble confirmer l’idée que tous les Noirs seraient des Oncles Tom et que, justement, un Noir ne pourrait jamais écrire comme un Blanc. Ce faisant, Vian attire l’attention sur le fait qu’il existait peu de textes d’écrivains Noirs à l’époque. Il se met, involontairement peut-être, en contexte avec les quelques exceptions existantes, comme le roman de contestation Native Son de Richard Wright (1940) et le roman hard-boiled de Chester Himes If He Hollers Let Him Go (1946). 23 Dans les deux romans, l’érotisme interdit entre les races est à l’origine de l’intrigue dramatique. Bigger Thomas, dans Un enfant du pays, tue une jeune blanche par hasard par peur d’être découvert dans sa chambre, ce qui entraîne sa fuite, sa poursuite par la police, son arrestation et le procès et enfin sa condamnation à mort. Pour Bob Jones dans S’il braille lâchele, l’accusation de viol par une collaboratrice blanche (dont finalement il se tirera indemne) procède de son malaise et de ses conflits dans une société raciste. Chez Sullivan, on retrouve bien des similitudes avec ces précurseurs. J’irai cracher sur vos tombes évoque un tissu de relations institutionnelles, sociales et personnelles entre Noirs et Blancs, qui se manifestent particulièrement dans les interactions sexuelles. Les accouplements se font hors des normes morales, qui sont, en partie, celles d’une société raciste que le texte dénonce, mais il y en a d’autres qui sont des mœurs universelles de notre hémisphère. Le conflit original commence par la relation amoureuse du frère cadet de Lee, Noir, avec une fille blanche, pour laquelle il paye de sa vie. 24 C’est non seulement une infraction au code existant; pire, le renversement des relations de pouvoir, c’est-à-dire qu’un homme de race ‘inférieure’ entretient une relation intime avec une femme appartenant à une race ‘supérieure’, menace l’ordre social et touche au droit à la ‘propriété’ de l’homme blanc. La riposte de Lee se base sur la violation explicite de cette règle, ce qui n’est possible que parce qu’il incarne un Blanc. Il franchit plusieurs barrières: il couche avec des filles blanches qui sont, en plus, mineures, et dont certaines appartiennent à une classe supérieure, surtout les sœurs Asquith. Par contre, le copain de Lee, Dexter, lui-même aisé, couche avec une jeune Noire et reprend toute une tradition de „double-standard“: les propriétaires des esclaves, par exemple, avaient souvent des rapports sexuels et amoureux avec des femmes noires. Tandis que de telles relations étaient historiquement ubiquistes, elles restaient inaperçues car personne ne tenait à les remarquer. 25 Cela veut dire que, si l’on a le pouvoir, il est possible d’enfreindre les codes moraux sans répercussions. Deuxièmement, que, si l’on est de race et de sexe dominants on peut disposer comme on l’entend d’un être de race et de sexe dominés. Par l’exemple de la prostitution, le roman démontre encore comme la sexualité reflète les relations de pouvoir mais aussi une dimension mercantile de l’érotisme. Il s’agit non seulement de la simple prostitution. En payant de l’argent, Dexter se procure un plaisir sexuel violent et illicite avec une fille de treize ans. Il pousse Lee 237 Arts & Lettres à en faire autant avec une autre jeune Noire pour vérifier si Lee lui-même est noir ou non, épreuve que celui-ci passe avec succès. Pour rassurer le lecteur (ou luimême? ), le narrateur affirme que la fille avec laquelle il copule est déjà „formée“ et „brûlante comme l’enfer“ (103 et 104). L’usage du mot „gosse“ pour décrire ces fillettes révèle encore qu’elles sont trop jeunes pour avoir de tels rapports sexuels, mais „gosse“, c’est aussi ainsi que Lee nomme affectueusement son jeune frère lynché. De même qu’il n’a pas pu protéger et sauver son frère, il ne protège pas non plus cette jeune fille mais la viole. Si Dexter règle la note de cette rencontre-ci, Lee paye pour les rapports sexuels en procurant de l’alcool aux jeunes du faubourg, en les conduisant partout dans sa voiture, en les régalant de ses chansons. Attirant les femmes et admiré (et peutêtre envié) par les hommes, il sait mettre en valeur son physique. Avec ses muscles, sa voix, la taille de son sexe etc., il correspond à un idéal de la beauté masculine, mais ce sont ces mêmes attributs qui, d’après les stéréotypes, le caractérisent aussi comme noir. Même si ses nouveaux copains semblent s’en douter parfois, son je-ne-sais-quoi contribue à le rendre séduisant. Lou lui dit: „Vous êtes bien physiquement, mais il y a autre chose“ (116). Bien que Lee arrive à séduire toutes les filles, il se prostitue à son tour. Pour Georges Bataille, la prostitution est la conséquence d’une attitude féminine car les femmes: „… se proposent au désir. Elles se proposent comme des objets au désir agressif des hommes“. 26 Lee aussi se propose au désir, aux filles qui, dans ce roman, prennent souvent l’initiative de faire l’amour. Enfin, comme une prostituée, il refuse les baisers de Jean, cliché sur le milieu où les baisers sont interdits ou payants. Embrasser, ça va cinq minutes, mais je ne pouvais pas faire ça tout le temps. Coucher avec elle et la retourner de tous les côtés, d’accord. Mais pas embrasser. (138) Pourtant, il se complaît dans son rôle de grand séducteur, d’homme expérimenté et instruit sur le plan de la sexualité. Il est une infatigable „sexe-machine“, encore un stéréotype sur les Noirs. La puissance sexuelle de Lee se manifeste bien audelà de sa mort et de sa pendaison dans un dernier geste d’insoumission, comme l’indique la notation finale du roman: „Sous son pantalon, son bas-ventre faisait encore une bosse dérisoire“ (211). Ainsi la sexualité se fait signe de vie, de survie et de triomphe sur les adversités. Le message transmis est équivoque: le texte réitère le cliché que les Noirs sont sexuellement supérieurs, mais il le fait valoir en tant qu’attribut positif qui n’a pas d’équivalent dans la société des Blancs. Puisque les stéréotypes s’infiltrent dans la conscience, un Noir vivant dans une société dominée par les Blancs ne peut s’échapper à ce que ceux-ci projettent sur lui. L’un de ces stéréotypes dominant est le désir de violer la femme blanche inhérent à l’homme noir. Or, Bigger Thomas dans Un enfant du pays tue Mary accidentellement, dans l’effort de dissimuler qu’il était seul dans sa chambre avec elle, par peur des accusations anticipées de viol et de contact sexuel. Dans S’il braille lâche-le, une collaboratrice blanche projette sur Bob Jones le désir et l’envie de la violer, de sorte qu’il se met à douter de ses propres volontés. Quand il recule et ne 238 Arts & Lettres va pas jusqu’au bout de son ascendant sexuel, elle l’accuse d’un viol qu’il n’a pas commis. En fin de compte, c’est précisément par son refus d’adhérer à son rôle stéréotypé que Jones perd son niveau de vie confortable et qu’il se voit obligé de s’exclure de la société en s’engageant volontairement pour partir à la guerre. Lee Anderson, par contre, se livre aux transgressions sexuelles stéréotypées des Noirs contre les femmes blanches alors qu’il est perçu comme Blanc. Quand le „Je“ du narrateur se tait et que la narration se poursuit à la troisième personne vers la fin du roman (201), on voit Lee dénué de toute dignité humaine. Fuyant la police, il se transforme en un animal qui grimpe et qui hurle, se comporte comme un singe - conformément à un autre stéréotype insultant des Noirs. Lee, cet „antihéros“, cet antidote des Noirs soumis et dociles devient le monstre que les Blancs avaient vu en lui. La vengeance sexuelle Dans J’irai cracher sur vos tombes, la revanche est prise directement sur l’objet de séduction, la femme blanche, qui fut, de manière simpliste, la cause de la mort de son frère. Un autre mobile est la vengeance contre tous les Blancs par les femmes. Comme la femme blanche se trouve au centre du monde blanc vertueux, sacré et chaste opposé au monde noir sale, sauvage et pêcheur, elle se fait la cible de la violence. 27 Sachant qu’il a tué une fille blanche aimée et regardée par les Blancs comme un symbole de beauté, Bigger Thomas dans Un enfant du pays ressent, pour la première fois, un sentiment de fierté et de confiance, d’insoumission aussi - il se sent „leur“ égal. 28 La possession de la femme blanche, conception immaculée de la civilisation occidentale, est vue comme l’affirmation ontologique de la valeur propre de l’homme noir. En ce sens, les sœurs Asquith personnifient non seulement le trophée que Lee a obtenu, mais elles le réaffirment aussi en tant qu’homme noir. Les prénoms masculins, Jean et Lou, qui ne choquent guère dans un contexte américain, indiquent que la vengeance est dirigée vers les hommes. Jean, prénom féminin en anglais, c’est, par hasard, aussi le prénom de l’éditeur de Vian. Le nom de Lou fait penser au personnage de Lou Frazier dans The Embezzler 29 de James M. Cain qui, en tant que superviseur d’une grande banque, symbolise l’ordre masculin et capitaliste. Or, bien que Lee vise les deux filles, elles ne sont que les substituts des hommes. Elles sont choisies à cause de leur statut social et leur beauté, mais aussi pour parvenir à leur famille privilégiée, leur ami Dexter, etc. Leur meurtre n’est qu’une première étape dans une série prévue d’assassinats: …il fallait faire les choses progressivement. D’abord les filles Asquith. J’aurais eu trente-six occasions d’en supprimer d’autres: les gosses que je voyais, Judy, Jicky, Bill et Betty, mais ça ne présentait pas d’intérêt. Trop peu représentatifs. Les Asquith ça serait mon coup d’essai. Ensuite, je pense qu’en me débrouillant, j’arriverais à liquider un 239 Arts & Lettres gros type quelconque. Pas un sénateur, mais quelque chose de ce genre. Il m’en fallait pas mal pour être tranquille. (167-168) Avant de massacrer Jean et Lou, Lee veut qu’elles se rendent compte de leurs destinées et de leurs rôles dans son projet. „Il fallait que j’aie le temps de leur dire pourquoi, il fallait qu’elles se voient dans mes pattes, qu’elles se rendent compte de ce qui les attendait.“ (169) Pareillement aux Blancs qui n’apprécient pas les Noirs comme individus mais les condamnent d’après les stéréotypes, Lee estime les filles uniquement pour leur argent, leur beauté et leur attrait sexuel et tourne leur „supériorité“ contre elles. Il sait bien pourtant que, pour elles, de se sentir désirées les affirme en tant que femmes et que de désirer elles-mêmes est une expression de tendresse. Si pour elles l’érotisme fait partie de l’amour, pour lui, à part la satisfaction sexuelle, ce n’est qu’un moyen de domination. Lee fait exprès de confondre les idées de l’amour physique pour leur faire mal. Il cherche à les humilier en leur révélant qu’il ne les avait jamais aimées et qu’elles aimaient et qu’elles désiraient un Noir. Cette attitude révèle une haine de soi-même, un dégoût intériorisé de soi en tant que noir. Mais surtout, il ridiculise les filles en tant qu’êtres sexués, qui ont donné à voir leurs désirs et les punit dans leur sexualité. 30 Il abuse de leur sexualité une dernière fois dans la mort. Il tue Lou, la vierge, la seule qu’il n’a pas „eue“, en lui mordant le sexe. 31 Il fait jouir Jean, lui fait éprouver l’abandon sexuel total juste avant de lui révéler sa vraie identité pour la tuer ensuite. Quand elle est morte, il commet une dernière grande transgression: „Je l’ai retournée pour ne plus voir sa figure, et, pendant qu’elle était encore chaude, je lui ai fait ce que je lui avais fait déjà dans sa chambre“ (200). Lee sodomise le cadavre de Jean. Par cela, il reprend une coutume ancienne de l’humiliation de l’ennemi vaincu dans les guerres, acte par lequel le cadavre serait privé de sa masculinité, transformé en femme, ultime dégradation. 32 Bien que Jean soit une femme, et alors déjà dominée, nous avons vu que Lee se venge réellement contre les hommes. Il s’agit là de la vengeance d’un Noir, qui est, d’un coté, perçu comme gouverné de sa pulsion sexuelle. D’autre coté, il est ‘émasculé’ par le racisme, émasculé aussi par son statut social inférieur. En plus, Lee insinue que lui aussi a été violé par son patron quand il était un jeune domestique en Europe (142). Tentative donc de réclamer sa propre masculinité. L’érotique des femmes Dans le roman hard-boiled, le pendant du personnage principal masculin, la femme fatale, constitue soit la cause du déclin de ce héros (chez Cain), soit une victime sur son parcours (chez Chandler), ou bien les deux à la fois. Faisant semblant d’être indépendante face à l’ordre masculin, sûre de sa sexualité, la femme fatale unit maints contrastes en sa personne: objet autant que sujet; matérialiste aussi bien que sentimentale; intelligente et stupide; aussi vulnérable qu’insen- 240 Arts & Lettres sible. 33 Lou, bien que toute jeune, correspond plus ou moins à ce topos. Elle est, finalement, la raison de la mort de Lee de même que l’amante blanche du „gosse“ a été la cause de l’élimination de ce dernier. Et comme celle-là, Lou inspire à Lee une certaine tendresse, mais aussi la colère. Elle l’embrouille, car il n’arrive pas trop à la manipuler; Lee trouve la conversation avec elle „épuisante“, et il constate: „Cette fille vous glissait entre les doigts comme une anguille“ (116). En effet, Lou vacille entre deux comportements. D’un côté, attirée par Lee, sensible à ses flatteries, elle est prête à se donner à lui, à subir ses avances et ses moqueries. D’un autre côté, elle résiste à ses ruses et insiste pour qu’il respecte sa personnalité et ses idées. Jean, par contre, se contente d’être la femme-objet. Pour Lee, elle n’est qu’un corps complaisant, une espèce de prostituée qu’on ne respecte pas. Tout comme elle, les filles du village sont des objets sexuels qui doivent donner du plaisir aux hommes, les faire jouir. Elles se sentent désirées bien que Lee ne veuille que les posséder; elles confondent l’humiliation sexuelle avec le plaisir. 34 Ainsi, les femmes ne sont que la scène sur laquelle se déroule l’intrigue: dans ce texte, le rôle féminin est plus ou moins vacant. Comme l’érotisme reflète les conditions du pouvoir, le discours érotique reste un discours masculin. Dans notre roman, le registre érotique qui devrait correspondre à une activité de tendresse et de plaisir se fait moyen d’humiliation et de vengeance. L’amour physique est presque toujours appropriation, „prise“, invasion violente (de la femme). La jouissance féminine se fait entièrement selon le bon plaisir de Lee qui tantôt refuse la jouissance à Jean et tantôt la lui accorde, juste avant de la tuer. Le désir du narrateur n’est pas à partager, il est entièrement auto-réflexif et égocentrique. L’érotisme, en tant que manifestation intime et personnelle du rapport de l’individu à autrui, n’est présent dans le roman que de manière allusive, à titre de possibilité qui ne sera jamais rencontrée. Pour Lee, l’amour, et notamment l’amour interracial, est dangereux et ne peut qu’être châtié. Ayant appris cela à travers le sort de son frère, il n’aime personne, surtout pas une femme blanche. Comme pour les protagonistes des romans hard-boiled, il est impossible d’avoir une relation amoureuse épanouie; son indépendance s’obtient en renonçant à toute intimité. La vraie tendresse, c’est pour Lee le sentiment qu’il éprouve de se venger et de fraterniser dans ses rêves et dans ses pensées avec le „gosse“: „C’est quelque chose, de serrer la main de son frère“ (153). Ainsi, il est dans le roman une constante interaction entre l’érotisme ou ce qui en tient lieu et l’état des relations sociales. Racisme et sexisme sont entrelacés et ne font qu’un. L’acte d’amour et la violence sexuelle font partie de l’humiliation et de l’anéantissement des victimes; elle est autant plus cruelle qu’elle se dissimule d’abord sous les abords d’une liaison érotique et intime. Le message antiraciste du texte se développe largement aux dépens des femmes; exploitées et traitées d’inférieures dans toutes les races et sociétés, „la femme est le nègre du monde“ comme le dit John Lennon dans une chanson. 35 Les femmes noires, en plus, subissent une double oppression car elles cumulent deux „infériorités“ - faire partie 241 Arts & Lettres du „deuxième“ sexe et être noires. Ceci est bien mis en évidence dans l’épisode avec les deux jeunes prostituées. Outre le fait de dramatiser les conditions sociales existantes, l’extrême misogynie du texte peut se comprendre comme une exagération délibérée visant justement à susciter une réaction de la part des femmes, une invitation à affronter la question. Dans sa conférence sur l’Utilité de la littérature érotique, Vian s’interroge d’ailleurs à ce sujet: Comment se fait-il qu’il ne se trouve guère d’écrivain féminin qui cherche à venger ses sœurs des traitements assez rudes parfois auxquels les soumettent les auteurs masculins correspondants? 36 Et plus loin: …jamais une femme n’a osé abuser des hommes sur le papier comme ceux-ci se le permettent si fréquemment vis-à-vis d’elles; à l’heure où nos chères compagnes ont enfin acquis le droit de vote, il est temps, je crois, qu’elles se libèrent également dans ce domaine.37 Message reçu, certes. Toutefois, la libération érotique de la femme ne s’achèvera pas par la vengeance et à l’encontre des hommes. L’érotisme féminin, bien différent de celui des hommes, n’est pas son opposé exact ni son complément. Mais qu’est-ce exactement? Dans une société patriarcale, difficile de se dégager des concepts masculins et de ne pas regarder le monde avec les yeux des hommes, un monde où, comme dans les romans hard-boiled, les rôles sont confortablement prescrits. 38 Reste que, d’Anaïs Nin à Catherine Millet, bien après la révolution sexuelle, l’érotisme féminin demeure, pour la plupart, inexplorée. Boris Vian propose non seulement l’exemple d’un vrai roman noir aux Noirs, il offre aussi l’image d’une femme libérée aux femmes. Le personnage de la jeune Lou (espèce d’apprentie femme fatale) suggère ce que pourrait être une femme autonome et mûre, sûre de sa sexualité, et temporairement, dans sa relation avec Lee, ce que pourrait être un érotisme féminin. Lou se sert de l’instrumentaire séducteur codifié et traditionnel des femmes: parfums, vêtements délicats et coûteux, coiffures, etc. En même temps, elle écoute ses propres désirs, s’engage seulement dans des caresses qui lui plaisent. Elle gronde Lee de son impatience: „Ça va trop vite, avec vous. On perd tout le plaisir“ (119) - petite leçon d’amour fait en passant. Il est possible que s’amorce là l’image d’une sexualité indépendante et épanouie; c’est là peut-être „le ‘babil’ de toute une sexualité féminine“. 39 Il est des situations tendres entre Lee et Lou où le parcours de la séduction est aussi important que son achèvement, sinon plus. L’érotique et la pornographie C’est à de tels moments que J’irai cracher sur vos tombes arrive à inspirer chez le lecteur „le désir d’aimer physiquement, que ce soit directement ou par représentation interposée“, 40 comme Vian le postule pour la littérature érotique. Sinon, le vrai 242 Arts & Lettres érotisme n’a lieu qu’occasionnellement; car d’humilier les femmes pour satisfaire la pulsion sexuelle des hommes, c’est plutôt un principe de la pornographie. 41 Le roman brouille ainsi les limites entre l’érotique et la pornographie (et le sadisme qui se lie à cette dernière) et met en évidence que ce que l’on tient souvent pour érotique ne l’est pas, qu’on mélange facilement „la passion“ et „la luxure“, l’une si proche l’une de l’autre. 42 Si l’érotisme réfère au sentiment d’amour que l’on estime moralement et idéologiquement, la pornographie insiste uniquement sur le coté physique de l’amour et le dégage des émotions, tout en représentant l’amour physique comme quelque chose d’extérieur et de matériel. Souvent, l’érotisme en ce sens n’est qu’un euphémisme pour masquer la pornographie. C’est au principe du roman même: s’annonçant censuré pour son contenu érotique, il fait appel au goût des lecteurs pour le scandale, la pornographie et la violence. Ce voulant l’expression d’un opprimé, donc prise de parti politique, le texte n’est encore que le résultat des calculs commerciaux. En ce sens déjà, J’irai cracher sur vos tombes est bien pornographique, et ne peut prétendre à un érotisme véritable. D’après Boris Vian lui-même, le sadisme est le pire ennemi de l’érotisme et la transgression sexuelle est contraire à l’amour. 43 Les coucheries, les violations, les viols et enfin les meurtres génèrent un sentiment d’horreur, accompagné par le dégoût. Lee constate lui-même: „J’avais toutes les filles les unes après les autres, mais c’était trop simple, un peu écœurant“ (41). Les rapports sexuels superficiels et interchangeables de même que les violations commises sans aucune résistance troublent le lecteur particulièrement par leur répétition. Vian cite Jean Paulhan à ce propos: Le récit d’un assassinat peut nous jeter dans quelque sentiment trouble, le détail d’une coucherie nous laisse quelque désir. Mais dix mille coucheries (dans la même nuit), mais cent mille tortures ne nous donnent guère que lassitude ou dégoût.44 Sexualité et débauche peuvent être reliées au dégoût et enfin à la nausée, ce qui est un thème récurrent dans le texte: Jean vomit après avoir fait l’amour avec Lee. Dans Tropique du Cancer de Henry Miller aussi, le narrateur vomit après avoir joui. Le titre provocateur du roman de Vian, J’irai cracher sur vos tombes 45 , annonce déjà le dégoût que laisse le roman comme sentiment fondamental, cracher n’étant pas loin de vomir. Le dégoût finit par torpiller tout jeu de séduction, y compris la séduction qui s’est établie entre l’auteur et son lecteur. Attestée par le succès commercial de l’ouvrage, la séduction initiale du lecteur repose sur des artifices comme ces formules promotionnelles se référant au politique comme à l’érotique: „roman hard-boiled“, „traduit de l’américain“, „Noir“ qui „passe la ligne“, „érotique“, „censure“ etc. Même si le lecteur est emporté par les épisodes érotiques et par le suspense, à la fin, comme pour les filles séduites par Lee, il ne reste ni gratification ni jouissance. Au contraire, Vernon Sullivan abuse du lecteur comme Lee abuse des filles qu’il a apprivoisées; l’auteur rompt l’accord tacite auteur-lecteur en contrariant les attentes du lecteur. Il le séduisait pour abuser ensuite de sa candeur et par là rompre le lien traditionnel de l’auteur au lecteur. 243 Arts & Lettres En poussant à l’extrême les composants du genre hard-boiled, des romans de Miller, etc., le texte parvient à l’opposé de ce qu’il promettait. A bien y regarder, Boris Vian subvertissait donc le genre dont il se réclamait, genre déjà subversif en luimême. L’authenticité apparente liée à l’origine de Sullivan relevait de la pure fiction, pire, elle s’affirme comme un assemblage de clichés et de mythes sur les Etats-Unis et sur les Noirs. Pourtant, en sapant ces conventions de départ, le texte ouvrait à toute une série de problématiques touchant à la politique et l’érotique. J’irai cracher sur vos tombes mettait l’accent sur le racisme et ses implications sexuelles: le roman démontrait comment l’érotisme n’échappait jamais au politique, et comment les deux aspects entraient en interaction. L’érotique et la littérature Sur un plan méta-littéraire et méta-textuel, le roman reflète l’aspect matériel de la production et de la consommation de toute littérature, et surtout de ce roman-ci. Hansen, le libraire que Lee vient remplacer, rêve du jour où il pourra se mettre à écrire ses propres romans: „Ecrire, dit-il. Ecrire des best-sellers. Rien que des best-sellers“ (17). Même si Lee n’y croit pas et se dit qu’„on n’écrit pas des bestsellers comme ça“ (19), Sullivan/ Vian était bien en train de le faire. J’irai cracher sur vos tombes même est la preuve que pour plaire au public, il ne faut qu’adhérer à quelques formules bien connues. En fait, écrire un best-seller fut l’objectif primordial de ce livre, objectif dont le lecteur est averti par ce dialogue. Les best-sellers que Hansen envisage seraient comme tels: Des romans historiques, des romans où des nègres coucheront avec des blanches et ne seront pas lynchés, des romans avec des jeunes filles pures qui réussiront à grandir intactes au milieu de la pègre sordide des faubourgs. (17) Les textes qu’il imagine sont évidemment la parfaite antithèse du présent roman de Sullivan. Mais seraient-ce des best-sellers? Vian, lui, avait déjà écrit un tel livre. Son roman L’écume des jours, précurseur plutôt bon enfant des Sullivans, qui échoua au Prix de la Pléiade, est devenu classique et culte entre-temps. S’offrant à l’esprit rebelle des adolescents, pour qui le livre demeure un classique aujourd’hui, le livre fut écrit, après tout, sous le signe de la rébellion, du défi, de l’affront à la bienséance, de l’exorcisme. Si J’irai cracher sur vos tombes est „une sorte de tentative d’exorcisme“ (11) pour Vernon Sullivan, exécution rituelle et virtuelle de la vengeance, il en est de même pour Boris Vian. Son ouvrage le plus ambitieux refusé, il se faufile habilement sur le marché de la littérature commerciale. Avec sa pseudo-traduction, l’auteur, un peu comme son protagoniste Lee Anderson, se prostitue en offrant ses talents littéraires comme marchandise. Au-delà de la revanche, il dénonce l’hypocrisie de la société dans laquelle il vit. Les circonstances matérielles de la publication du roman - censure imaginée, censure concrète, procès, amendes, réputation ruinée, etc. démontrent 244 Arts & Lettres les contradictions dans les valeurs sociales. D’un côté, la société se fonde sur le principe du marché, ce que l’on peut vendre, est de valeur - d’un autre côté, tout n’est pas permis, et certaines conséquences ne sont pas acceptées par la société dont elles ne font pas partie intégrante. En fin de compte, ce roman qui se veut érotique ne l’est qu’un peu. L’entreprise antiraciste s’achève sous le signe d’un racisme bénévole et sous celui de la misogynie. Le roman américain en traduction française n’est ni américain ni traduction. Le „réalisme poussé“ relève de la pure fiction. L’érotique révèle le coté repoussant de l’indulgence. Tout cela étant, ce livre se présentait comme un document à valeur d’„exorcisme“, et ce à plusieurs niveaux. Exorcisme pour l’auteur censé être Vernon Sullivan tel que son histoire est contée. Exorcisme pour Vian lui-même, qui prouve que l’on peut plaire au grand public à travers une imposture. Exorcisme enfin du goût du grand public pour la violence et le sexe. J’irai cracher sur vos tombes n’en fut pas moins rédigé dans le plaisir: le plaisir que prend Vian de monter le canular, un „plaisir auto-érotique“. 46 C’est le plaisir de défaire le semblant d’authenticité dont se réclame la littérature, le plaisir de subvertir les conventions et les attentes du lecteur, le plaisir de sidérer et de tromper les critiques. Vian écrivait toujours contre l’establishment littéraire, et il le faisait dans l’esprit de plaisir et sur le ton de la plaisanterie. Il s’agit d’un plaisir intellectuel plutôt qu’émotionnel que le lecteur, avec un peu de distance, peut bien partager. La séduction du roman ne réside plus alors dans les aventures sexuelles et érotiques ou dans les descriptions des corps exquis et pin-up des filles et du beau Noir- Blanc. La séduction se trouve dans l’audace de l’imposture, dans le clin d’œil au lecteur, dans le jeu avec les genres, avec la littérature et la paralittérature, dans la présentation hyperbolique des femmes et des hommes. Ce qui est érotique surtout, c’est la parabole de l’écriture même, de toute écriture, y compris de celle de J’irai cracher sur vos tombes. Boris Vian expose la dimension politique de l’érotique, ainsi que celle de la création littéraire. L’imitation du hard-boiled et du roman de contestation, fusionnés dans le texte, évoque non seulement les deux genres mais aussi une attitude et démarche du narrateur-auteur. Or, Vian/ Sullivan se positionne en dehors de l’industrie littéraire et s’indigne contre elle, tout comme son protagoniste s’oppose contre la société à laquelle il n’appartient pas. Avec les infractions des conventions littéraires - le jeu de l’imposture, l’abus du lecteur - le livre reste hors du canon mais c’est précisément le mariage de l’érotique et du politique qui fascine les lecteurs même aujourd’hui. Ce qui reste à la fin, c’est la lassitude qui suit une grande excitation et c’est un léger goût amer dans la bouche. Ce que l’on retient aussi, c’est et une vague idée de ce que cela pourrait être l’amour, l’amour entre homme et femme, et l’amour entre les races. Car finalement, c’est cela le plus important; Vian le résume dans sa préface à L’écume des jours: 245 Arts & Lettres Il y a seulement deux choses: c’est l’amour, de toutes les façons, avec des jolies filles, et la musique de La Nouvelle-Orléans ou de Duke Ellington.47 A fin de compte, les deux romans que rédigea Vian en 1946, sont les revers d’une même médaille. L’écume des jours était l’effort sérieux et honnête sur l’amour et l’érotisme, tandis que J’irai cracher sur vos tombes en présente (littéralement) le côté noir. Le canular et l’exorcisme réussis, Boris Vian adressait désormais ses lecteurs directement. Et pour la plupart, c’est un plaisir de le lire. 1 Roland Barthes, Le Plaisir du texte, Le Seuil, Paris, 1973. 2 Ibid., p. 20. 3 Boris Vian, „Utilité de la littérature érotique“, dans Ecrits pornographiques, Christian Bourgois, Paris, 1980, p. 31. 4 Ibid., p. 34. 5 Ibid., p. 34. 6 Voir John Phillips, Forbidden Fictions. Pornography and Censorship in Twentieth Century French Literature, Pluto Press, London, 1999, p. 18. 7 Boris Vian, „Utilité de la littérature érotique“, p. 36. 8 Ibid., p. 37. 9 Ibid., p. 37. 10 C’est notamment la préface qui présente le présumé auteur et fait référence aux romans de James M. Cain. L’épithète „traduit de l’américain“ inscrit le roman dans une lignée de romans hard-boiled de l’époque. 11 La différence entre les deux (Miller fait appel „au vocabulaire le plus vif“, Sullivan/ Vian „songe plus à suggérer par des tournures et des constructions que par l’emploi du terme cru“ ) correspondrait à celle entre la pornographie et l’érotique précisée dans l’Utilité de la littérature érotique: „l’érotisme exige une obscénité légèrement sublimée, si j’ose m’exprimer ainsi… une obscénité poétique…“; il s’agit aussi du „dosage“ de l’obscénité. Ibid., p. 52. 12 Boris Vian, L’Ecume des jours, J.J. Pauvert, Paris, 1963. 13 Cette pseudo-traduction même a été „traduite“ à plusieurs reprises: en anglais avec le concours de Milton Rosenthal (I Shall Spit on Your Graves, 1948) et dans une nouvelle traduction par Tosh Berman (I Spit on Your Graves, 2000). Une pièce de théâtre du même titre fut montée au théâtre Verlaine en 1948. Vian composa un scénario au sujet, Françoise d’Eaubonne rédigea un roman du même titre. Pendant une projection du tournage du film, Vian est mort en 1959. Il y a une certaine ironie à constater que ce roman qui permit à Boris Vian de gagner de l’argent pour continuer à publier, nuisit à sa réputation, à la réception de ses autres œuvres et fut aussi l’une des causes de sa mort. Il publia encore trois autres romans sous le pseudonyme de Vernon Sullivan: Les Morts ont tous la même peau (1947), Et On tuera tous les affreux (1948) et Elles Se rendent pas compte (1950). 14 Noël Arnaud, Les Vies parallèles de Boris Vian. Union générale des Editions, Paris, 1976, p. 154. 15 Guy Laforêt, „Introduction“, dans Boris Vian, Traité de civisme, Christian Bourgois, Paris, 1979, p. 19. 246 Arts & Lettres 16 Boris Vian (Vernon Sullivan), J’Irai cracher sur vos tombes, Christian Bourgois, Paris, 1973. Le chiffre entre parenthèses indique la page dans le roman. Dans ce qui suit, je citerai toutes les pages de cette manière. 17 Le roman le plus populaire de Cain, The Postman Always Rings Twice (1934), parut en français sous le titre Le Facteur sonne toujours deux fois (1936). Dans la préface à J’Irai cracher sur vos tombes, Vian se réfère explicitement à Three of a Kind (1944) de Cain; il traduisit également son roman Le Bluffeur (Love’s Lovely Counterfeit), publié en 1951. Le best-seller de Chase chez Gallimard en 1944, Pas d’orchidées pour Mademoiselle Blandish (No Orchids for Miss Blandish), fut l’inspiration pour le canular de Vian. 18 Pour en citer quelques ouvrages: Sanctuary et Light in August de Faulkner, To Whom the Bell Tolls d’Hemingway, The Big Sleep et Farewell, My Lovely de Chandler, The Maltese Falcon de Hammett. 19 (C’est moi qui traduit.) „You know what’s the matter with this country, baby… A guy can’t stay honest if he wants to… You gotta play the game dirty or you don’t eat.“ Raymond Chandler. „Farewell, My Lovely“, dans Stories and Early Novels, The Library of America, New York, 1984, p. 938. 20 Gilbert Pestureau, Dictionnaire des personnages de Vian, Christian Bourgois, Paris, 1985, p. 28. 21 Michel Rybalka, „Discussion“, dans Colloque de Cerisy: Boris Vian 2, éd. par Noël Arnaud et Henri Baudin, Union générale d’éditions, Paris, 1977, p. 359. 22 Pour illustrer l’image qu’a Vian de ces Noirs, voici un extrait du scénario pour le film du même titre, décrivant la réaction des habitants du village à la mort du petit frère: „Quelques femmes pleurent (sept), des hommes (onze) courbent la tête, muets (toujours pas de dialogue), écrasés par ce qu’ils croient être la fatalité et qui est, en réalité, une situation pénible née de la coexistence aux Etats-Unis d’un groupe ethnique important de race non caucasienne, et qui pose chaque jours des problèmes mal résolus. Alors, le cercle s’écarte pour laisser passer Joe et son fardeau, cependant que l’on entend des sanglots étouffés.“ Boris Vian, Rue des Ravissantes et dix-huit autres scénarios cinématographiques, Christian Bourgois, Paris, 1989, p. 303. Dans le roman, le frère anxieux et obséquieux de Lee s’appelle Tom, comme l’Oncle Tom de chez Harriet Beecher-Stowe. 23 Publication en France sous les titres Un Enfant du pays (1947) et S’Il braille lâche-le (1948). 24 Cela rappelle, après coup, le meurtre du jeune Emmett Till en 1955, qui fut assassiné pour avoir sifflé une femme blanche. Boris Vian écrivit à ce sujet dans ces Chroniques du Jazz. 25 Calvin Hernton, „Postscript: A Case of Rape“, dans The Critical Response to Chester Himes, éd. par Charles P. Silet, Greenwood Press, Westport, Conn., 1999, p. 143. 26 Georges Bataille, „L’Erotisme“, dans Georges Bataille, Œuvres complètes, Gallimard, Paris, 1987, p. 130. 27 Voir Hernton, „Postscript: A Case of Rape“, p. 146. 28 „The knowledge that he had killed a white girl they loved and regarded as their symbol of beauty made him feel equal of them, like a man who had been somehow cheated, but had now evened the score.“ Richard Wright, Native Son, Harper & Brothers, New York, 1957, p. 140. 29 En français: Faux en écritures, traduit par Sabine Berritz. 30 Christine Fiszer-Guinard a remarqué une tendance misogyne d’exposer et d’humilier les femmes pour leur sexualité sur l’internet, et que beaucoup de femmes y contribuent. „En dépit de la révolution sexuelle et de trente ans de féminisme, les hommes continuent à hurler leur bestialité tout en jouissant de punir les femmes de la leur, le plus bestialement 247 Arts & Lettres possible. L’animalité est la plus naturelle des réalités. Le désir de pousser l’acte sexuel jusqu’au meurtre en est un autre. Mais si, comme ils le désirent et le réclament, les femmes se livrent à la leur, elles, elles s’exposent au mépris. Ce piège de l’hypocrisie masculine, de l’homme lui-même piégé dans un désir et une jouissance impartageables, est posé partout au cœur d’Internet. Mais personne ne veut ouvrir le piège. Tous jouent le jeu, les femmes comme les hommes, pourvu que le tiroir-caisse sonne.“ Christine Fiszer- Guinard, „D’un ‘site’ à l’autre“, dans Sites, 6: 1, Hiver 2002, p. 209. 31 Les mâchoires, les allusions à mordre quelqu’un sont fréquents dans le texte. Dans The Postman Always Rings Twice, Frank mord les lèvres de Cora à sa demande pendant l’acte sexuel. De plus, Vian prend littéralement ce qui semble plutôt un jeu d’obscénité verbale dans Tropic of Cancer de Henry Miller: „I’m fucking you, Tania, so that you’ll stay fucked. And if you’re afraid of being fucked publicly I will fuck you privately. I will tear off a few hairs from your cunt and paste them on Boris’ chin. I will bite into your clitoris and spit out two franc pieces…“ Henry Miller, Tropic of Cancer, Grove Press, New York, 1961, p. 6. 32 Hans Peter Duerr, Obzönität und Gewalt, Suhrkamp, Francfort, 1993. 33 Woody Haut, Pulp Culture. Hardboiled Fiction and the Cold War, Serpent’s Tail, London, 1995, p. 108. 34 L’on pourrait y voir, comme le fait Mouna Benalil, la représentation hyperbolique de la femme américaine uniquement, qui pour Vian semble correspondre à une pin-up frigide. Cependant, ses „bobby-soxers“ ne ressemblent guère aux jeunes du Sud des Etats-Unis mais plutôt aux zazous dont s’entourait Vian. Mounia Benalil, „Boris Vian face à l’institution littéraire: le cas de J’Irai cracher sur vos tombes“, dans Dalhousie French Studies, 57: Hiver 2001, 47-55. 35 „Woman is the Nigger of the World“ de l’album Shaved Fish, composition de John Lennon avec Yoko Ono. © Chappell Music Ltd. 36 Op. cit., p. 58. 37 Ibid., p. 59. 38 Cela implique, par ailleurs, que l’érotisme des hommes n’est pas libéré non plus et qu’il est également le résultat des circonstances sociales. Voir Naomi Wolf, The Beauty Myth, Doubleday, New York 1991. 39 Mounia Benalil, „Boris Vian face à l’institution littéraire: le cas de J’Irai cracher sur vos tombes“, p. 53. 40 Boris Vian, „Utilité de la littérature érotique“, p. 45. 41 Voir Thomas Schneider, Von dem Objekt der Begierde und der Armut derer, deren Gier Grund ihrer Armut ist. Die strukturelle Negation weiblicher Erotik in der deutschen Literatur und Befestigung durch eine Literaturwissenschaft männlichen Blickes…, dans Das Erotische in der Literatur, éd. par Thomas Schneider, Peter Lang, Francfort, 1993, p. 168. 42 „...if you shoot at passion and miss by ever so little, you hit lust, which isn’t pretty, or even interesting.“ James M. Cain, „Preface“, dans James M. Cain, Three of a Kind, The Blakiston Company, Philadelphia, 1944, p. xv. 43 Boris Vian, „Utilité de la littérature érotique“, p. 51. 44 Ibid., p. 40. 45 Au sens figuratif, „cracher“ est bien une métaphore pour l’orgasme masculin. Le titre fait allusion au deux grands sujets du texte, la sexualité (masculine) et la mort. 46 Alain Costes, „Vian et le plaisir du texte: Essai d’une lecture globale de l’œuvre de Boris Vian“, dans Temps Modernes, 31: 1975, p. 131. 47 L’Ecume des jours, p. 5. 248 Arts & Lettres XUAN Jing Le spectre de 93 - Der Kopf des Königs und der Realismus: Stendhal, Flaubert, Barthes I Stellt man sich die Frage nach dem Anfang der Moderne in Frankreich, so findet man bei Jean-François Lyotard eine ebenso deutliche wie provokative Antwort. Das moderne Denken in Frankreich beginne, so Lyotard 1984 auf einem frankoamerikanischen Kolloquium, mit einem Verbrechen: Nous Français nous n’arrivons à penser ni la politique, ni la philosophie, ni la littérature, sans nous souvenir que tout cela, politique, philosophie, littérature a eu lieu, dans la modernité, sous le signe du crime. Un crime a été perpétré en France en 1792 [sic! ]. On a tué un brave roi tout à fait aimable qui était l’incarnation de la légitimité [...]. Nous ne pouvons pas ne pas nous souvenir que ce crime est horrible. Cela veut dire que lorsque nous cherchons à penser la politique, nous savons que la question de la légitimité peut être posée à tout instant. [...]. Il en va de même pour la littérature. La difficulté que les Américains, et aussi bien les Anglais ou les Allemands, ont à comprendre ce que chez nous s’apelle écriture est lié à cette mémoire du crime. Quand nous parlons d’écriture, l’accent est mis sur ce qu’il y a de nécessairement criminel dans l’écriture, chose qui est aussitôt oubliée dès l’instant où l’on se met à parler de la litterature en termes purement académique.1 Lyotard zufolge bildet die Hinrichtung Ludwigs XVI. einen gewaltsamen Ursprung, der die gesamte politische Kultur wie auch das intellektuelle Leben des Landes bis heute präge. So stelle die Erinnerung an jenen „crime horrible“ nicht nur die Ursache dafür dar, daß sich in Frankreich eine besondere Sensibilität für die Frage der Legitimität entwickelt habe; 2 auch wirke sich die mémoire collecitve des Königsmordes auf die Poetik der écriture aus, die sich ja gerade durch jenes kriminelle Moment als eine spezifisch französische Rede kennzeichne, deren Originalität in einem übernationalen akademischen Diskurs unvermeidlich verloren gehe. Was Lyotard in der seinerzeit mit Richard Rorty geführten Diskussion polemisch postuliert, mutet auf den ersten Blick wie eine Reformulierung einer bekannten These der französischen Nachkriegsphilosophie an. Namentlich Albert Camus hat in seinem Essayklassiker L’Homme révolté das Todesurteil über Ludwig XVI. als den Wendepunkt des Abendlandes dargestellt: „Le Jugement du roi est à la charnière de notre histoire contemporaine. Il symbolise la désacralisation de cette histoire et la désincarnation du dieu chrétien.“ 3 Wenngleich Lyotard in seiner Formulierung vom „brave roi“ Camus’ Charakterisierung Ludwigs als „homme faible et bon“ 4 aufgreift, geht er nichtsdestoweniger über diesen dadurch hinaus, daß er die Hinrichtung Ludwigs nicht zuletzt als ein Gründungsmoment der Postmoderne profiliert. Wie bei Camus steht der Königsmord auch bei Lyotard am Anfang der Mo- 249 Arts & Lettres derne; doch der Akzent liegt hier nicht mehr auf einem metaphysischen Verlust, sondern auf einer gewaltsamen Inauguration. Daher spricht Lyotard auch nicht wie Camus vom „Jugement du Roi“, sondern von einem Tötungsakt - „on a tué un roi“ (583) -, den er zugleich an eine Übertretung des Gesetzes - „un crime“ (ebd.) - koppelt. Wenn also die Schrift Lyotard zufolge fortan das Stigma eines solchen Verbrechens zu tragen hat, so tritt im Königsmord damit auch eine Gründungsgewalt im Sinne der Girardschen violence fondatrice 5 zu Tage, aus der sich dann die écriture der französischen Postmoderne als ein Schreiben im Zeichen der Transgression speist. Daß vor diesem Hintergrund nun Roland Barthes mit dem von ihm eingeführten Begriff der écriture implizit zum Diskursstifter einer gewaltsam begründeten Schriftkultur wird, scheint eine der Schlußfolgerungen zu sein, die man aus Lyotards Überlegungen wird ziehen dürfen; denn schließlich hat ja Barthes - so könnte man sein schriftstellerisches Debüt verstehen - die écriture bereits seinerseits in die post-histoire der Revolution eingerückt. Ein Jahr nach seinem ersten Buch - Le degré zéro de l’écriture (1953) - präsentiert Barthes ein zweites Werk, das wie das erste einen metapoetisch pointierten Titel führt: Michelet par lui-même (1954). Die performative Geste, vermittels derer Barthes den Autor der Histoire de la Révolution française zu seiner schriftstellerischen Persona macht, scheint an Lyotards Überlegungen zumindest anschlußfähig. Barthes écriture trägt von Anbeginn die Spuren der histoire de la révolution, und letztere ist - nach Lyotards Auffassung vom Tode Ludwigs - per definitionem eine „mémoire du crime“. Aus politischer Sicht erscheint Lyotards Ursprungssuche nun freilich insofern antimodern, als die Moderne die Hinrichtung Ludwigs gerade nicht als einen politischen Gründungsmythos im Zeichen des „crime“ versteht. Anders als der dominante Ursprungsmythos im Abendland - der Brudermord - stellt die Hinrichtung Ludwigs im Januar 1793 nicht das blutige Ende eines Familienromans dar; denn Ludwig fällt - entgegen der Behauptung Lyotards - keinem Verbrechen im juristischen Sinne zum Opfer, sondern wird nach einem Gerichtsverfahren per Abstimmung ordnungsgemäß zum Tode verurteilt und daraufhin öffentlich exekutiert. So hat bereits Kant darauf hingewiesen, daß die Hinrichtung Ludwigs aufgrund ihres legalen Vollzugsrahmens keine politisch wirksame Regenerationskraft besitzen kann. Darum ist die formale Hinrichtung eines Monarchen - weiterhin nach Kant - noch gravierender als dessen Ermordung; stellt diese doch nur eine Ausnahme dar, welche die Regel bestätigt, wohingegen jene - die formelrechtlich wirksame Hinrichtung - eine völlige Umkehrung der überkommenen Rechtsgrundsätze bedeutet. 6 Mit anderen Worten: In der Verurteilung Ludwigs wird die Souveränität des Königs in die Souveränität des Volkes gewandelt, und diese radikale Inversion ist es auch, die eine Wiedererlangung des solchermaßen gestürzten Staats unmöglich macht. Kann Kant zufolge die Hinrichtung Ludwigs in einer auf Volkssouveränität beruhenden neuen Rechtsordnung kein politischer Gründungsmythos sein, so scheint sie - wie man bei Lyotard sieht - als poetischer Gründungsmythos indes keines- 250 Arts & Lettres wegs ausgedient zu haben. In seiner postmodernen Revision des Regizids betritt Lyotard freilich kein diskursives Neuland, sondern beschwört vielmehr ein historisches Phantasma, das in der französischen Literatur auch über den Zweiten Weltkrieg hinaus beständig wiederkehrt. 7 Vor allem in der Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts ist die Hinrichtung Ludwigs thematisch wirksam: Von Pierre Simon Ballanche über Victor Hugo bis hin zu Gustave Flaubert wirft die Figur des Königsmörders in zumeist obskuren Gestalten ihren dunklen Schlagschatten, und für die Autoren des Renouveau catholique genügt oft bereits der Hinweis auf den Todestag Ludwigs, um jene unheilvolle Wende der Nationalgeschichte erneut in den Blick zu rücken. Bei Stendhal und Flaubert erfährt der Regizid nun zwei besonders interessante Variationen, denen ich mich im Folgenden widmen möchte, bevor ich dann abschließend noch einmal auf Barthes’ Schriftbegriff zurückkommen werde. Während Stendhal in Le Rouge et le Noir den noch für Camus verhängnisvollen „Jugement du Roi“ travestiert, um den Helden niedrigen Standes als ein Justizopfer der Restauration zu statuieren, schreibt Flaubert mit den Trois contes nicht zuletzt eine allegorische Revolutionsgeschichte, deren poetische Überführung in die Heilsgeschichte sich in einer von der Transzendenz entkoppelten Zeichenordnung als unmöglich erweist. Situiert Flaubert die Hinrichtung Ludwigs bereits im Zeichen jenes „spectre de 93“, 8 der die postrevolutionäre Geschichte Frankreichs immer wieder heimsucht, so ist es schließlich Roland Barthes, der mit seinem Begriff des ,effet de réel‘ eine Theorie des Realismus formuliert, die das realistische Schreiben wie auch die postmoderne écriture auf eine mit der Revolution einhergehende Desakralisierung der Zeichenordung zurückführt. II Der Plot von Le Rouge et le Noir ist bekannt. Julien Sorel, dem Sohn eines wohlhabenden Bauern, gelingt es, sich dank Willensstärke und Begabung im Juste-Milieu der Provinzhauptstadt bzw. im Kreis des Hochadels von Paris zu etablieren. Er schwängert die schwertadelige Mathilde de La Môle, wofür ihm von deren Vater zu Adel und militärischen Rang verholfen wird. Von diesem Gipfel des Aufstiegs stürzt ihn ein Brief, den seine frühere Mätresse Madame de Rênal auf Druck ihres Beichtvaters geschrieben hat und der ihn als skrupellosen Emporkömmling bloßstellt. Julien eilt daraufhin in seine Heimatstadt und feuert dort in der Kirche zwei Schüsse auf Madame de Rênal ab. Er wird vor Gericht gestellt und zum Tod verurteilt. Nach seiner Hinrichtung richtet Mathilde eine pompöse Bestattung aus und begräbt dabei eigenhändig den Kopf ihres Geliebten. Stendhals Roman erzählt keine typische Aufsteiger-Geschichte. Hier wird der gesellschaftliche Aufstieg qua genutzter Sex-Chancen nicht moralisch verurteilt, sondern tragikomisch gefeiert. Als komische Figur steht Julien Sorel in der Tradition des Don Quijote, 9 denn genauso wie der wahnwitzige Ritter von der traurigen 251 Arts & Lettres Gestalt ist auch der junge Parvenü Stendhals ein Literaturnarr, der seine Lektüre vermittels Nachahmung für das eigene Leben fruchtbar zu machen versucht. Für Julien gibt es dabei gleich eine Reihe großer Vorbilder: Wenn er etwa als Tutor die Mutter seiner Schüler verführt, so erscheint er als eine kleinformatige Replik von Jean-Jacques Rousseau, der ja dafür berüchtigt war, als Hauslehrer gelegentlich auch die Hausherrin in Liebesdingen zu unterweisen und dergleichen mutatis mutandis eben in La Nouvelle Héloïse auserzählt hat. Neben Rousseau steht gleichfalls Napoleon auf Juliens Lektüreliste - doch vermag Julien die Gloire eines homme supérieur nur in jenen Momenten nachzuempfinden, wenn er auswendig lange Passagen aus der Bibel auf Latein rezitiert und sein Publikum dadurch in Stupor versetzt. Während der aufklärerische bzw. revolutionäre Geist immer wieder durch Juliens Imitation parodistisch kontaminiert wird, gibt Stendhal mit der Figur Ludwigs XVI. seinem Helden ein tragisches Vorbild. Dies wird gleich am Anfang von Juliens Karriere angedeutet. Bevor Julien seine erste Stelle bei M. de Rênal antritt, geht der noch schüchterne Bauernjunge in die Kirche beten. Auf dem Betstuhl findet er ein Stück zerdrücktes Papier und liest dort folgende Zeile: „Détail de l’exécution et des derniers moments de Louis Jenrel, éxecuté à Besançon“. 10 Der Name des Hingerichteten ist mehr als sprechend: Er beginnt mit Louis und endet - das bemerkt auch Julien - mit eben jener Silbe, auf die auch der Name des Romanhelden auslautet: Sorel. Wie man den Namen zu lesen hat, steht auf der Rückseite des geheimnisvollen Zettels. Julien liest dort lediglich die ersten Worte eines unterbrochenen Satzes: Le premier pas (240). Stendhals Leser kann nun die für die Figur unvollständige Zeile ,weiterlesen‘ und zwar in ebenjenem Kapitel, das die Überschrift Le premier pas trägt. Dort gelingt es dem nunmehr in Paris angekommenen Julien nach einem ersten gescheiterten Versuch, das widerspenstige Pferd des Sohnes de la Môle zu reiten. Der Umstand, daß sich die Szene gerade auf dem Platz Louis XVI (455) - der ehemaligen Place de la Révolution, auf der Ludwig hingerichtet wurde - zuträgt, ist im Hinblick auf das bisher Gesagte schon deshalb keine quantité négligeable, weil er den späteren Fall Juliens in symbolträchtiger Weise mit dem Schicksal des enthaupteten Königs zusammenbringt. Vor diesem Hintergrund scheint nun auch „Le Jugement“ von Julien - so heißt das entsprechende Kapitel - eine konkrete historische Dimension aufzuweisen und als Anspielung auf den bei Erscheinen des Romans dreißig Jahre zurückliegenden „Jugement du Roi“ zu verstehen sein. Inwiefern die beiden Ereignisse - das historische und das fiktionale - direkt aufeinander bezogen sind, läßt sich an der Gerichtsrede Juliens näherhin belegen. Diese Rede ist nicht ohne Grund als eine Referenzstelle in die marxistisch geprägte Literaturgeschichte eingegangen; denn Stendhals Held zeigt ein klares Klassenbewußtsein, wenn er den Richtern ins Gesicht sagt: Messieurs, je n’ai point l’honneur d’appartenir à votre classe, vous voyez en moi un paysan qui s’est révolté contre la bassesse de sa fortune. Je ne vous demande aucune grâce, [...]. Mon crime est atroce, et il fut prémédité. J’ai 252 Arts & Lettres donc mérité la mort, messieurs les jurés. Mais quand je serai moins coupable, je vois des hommes qui, sans s’arrêter à ce que ma jeunesse peut mériter de pitié, voudront punir en moi et décourager à jamais cette classe de jeunes gens qui, nés dans une classe inférieure et en quelque sorte opprimés par la pauvreté, ont le bonheur de se procurer une bonne éducation, et l’audace de se mêler à ce que l’orgueil des gens riches appelle la société. Voilà mon crime, messieurs, et il sera puni avec d’autant plus de sévérité, que, dans le fait, je ne suis point jugé par mes pairs. Je ne vois point sur les bancs des jurés quelques paysans enrichis, mais uniquement des bourgeois indignés. (674f.) Mit diesen Worten verwandelt Julien seine Verteidigungsrede in eine Kampfansage an die Standesinteressen der Richter und Geschworenen. 11 Was seine Rede in Hinblick auf den Prozeß Ludwigs interessant macht, ist jedoch, daß Julien konstatiert, er werde aufgrund seiner Herkunft verurteilt - deshalb also, weil er in den Augen der Geschworenen ein Bauer ist: „vous voyez en moi un paysan“ (675). Auch bei Ludwig hat sich die Frage gestellt, weshalb man ihn verurteile. Nach mehreren heftigen Diskussionen entschied sich die Convention für einen Zivilprozeß, in dem man Ludwig als Bürger Louis Capet wegen Hochverrats anklagte. In diesem Punkt siegten die gemäßigten Girondisten über die radikalen Jakobiner. 12 Diese vertraten nämlich den Standpunkt, daß es überhaupt keinen Zivilprozeß geben solle: „il ne fallait pas juger longuement le Roi, mais simplement le tuer“. 13 Ludwig müsse einfach getötet werden und zwar dafür, was er ist - also als König und damit naturgemäß mehrfach Schuldiger: Als Herrscher ist Ludwig schon deshalb schuldig, weil, so Saint-Just in seiner Rede vor der Convention, „[o]n ne peut point régner innocemment“. 14 Darüber hinaus verkörpere Ludwig die Monarchie und sei damit, wiederum nach Saint-Just, ein Feind der Republik und mithin „l’ennemi du peuple français“. 15 Ein weiteres Argument der Jakobiner lautet schließlich, der König sei ein Monster, ein von der Rousseauistischen nation ausgeschlossenes Ungeheuer, das nun von der Gemeinschaft vertrieben und getötet werden solle, „[parce qu’] un roi est hors la nature; de peuple à roi, nul rapport naturel.“ 16 Was den Jakobinern vorschwebte, steht in beträchtlicher Nähe zu einem Sündenbockritual Girardscher Prägart. 17 Obwohl es am Ende doch nicht dazu kam - für die Nachwelt wie wohl auch für Stendhal bleibt die Hinrichtung Ludwigs mit der Rhetorik der Jakobiner verbunden. Julien nämlich wendet bei seiner Verteidigungsrede eben jenes Argument an, vermittels dessen die Jakobiner für den König ein Todesurteil ohne Zivilverfahren zu erwirken suchten: Man verurteile ihn - so Julien - dafür, was er ist: ein Außenseiter und Fremdköper in der Bourgeoisie. Julien entlarvt damit nicht nur das bürgerliche Klassenressentiment, sondern stilisiert sich zugleich auch als das Opfer einer bürgerlichen Rechtsordnung. „Louis doit mourir, parce qu’il faut que la patrie vive“ 18 - diesen berühmten Satz Robespierres setzt Stendhal bei seinem Helden unter umgekehrten Vorzeichen um: Julien muß sterben, damit die Bourgeoisie lebe. 19 Anders jedoch als die Jakobiner den historischen König entwirft Stendhal Julien nicht als Sündenbockopfer, sondern als christlichen Märtyrer. Dies wird gleich zu 253 Arts & Lettres Beginn des Romans angedeutet und zwar wiederum in der bereits erwähnten Szene, in der Julien in der Kirche den Namen Louis Jenrel und den Anfang des Satzes le premier pas liest. Beim Verlassen der Kirche vermeint Julien, Blut neben dem Weihwasserkessel zu erkennen. Es sei jedoch, so erklärt der Erzähler, das Weihwasser gewesen, das durch den Widerschein des roten Fenstervorhangs wie Blut erschien. 20 Die erste Symbolfarbe im Romantitel - le rouge - wird hier also durch Juliens Halluzination in einen christlichen Bedeutungsrahmen - das Weihwasserbecken - gesetzt. 21 Daß sie, die Farbe Rot, näherhin das Blut Christi symbolisiert, erfährt man erst gegen Ende des Romans, als Julien nach der Verkündung des Todesurteils auf die Uhr blickt und denkt: „C’est aujourd’hui vendredi“ (676). Ob es sich dabei um den heilsgeschichtlich bedeutsamen Freitag handelt, verifiziert der Erzähler nicht. Dies ist freilich auch nicht nötig, denn Juliens Imaginäres gründet in der imitatio, die sich hier als imitatio Christi konkretisiert. So spielt sich Julien denn auch in seiner ihm eigenen quijotesken Art in die Rolle eines frühchristlichen Märtyrers, der sich exekutieren läßt, um solchermaßen gegen den Kaiserkult 22 - in Juliens Fall nun gegen die Bourgeoisie - passiven Widerstand zu leisten. Über die christliche Widerstandslehre hinaus hat der Märtyrercharakter Juliens eine weitere, historische Referenz. Steht der Name Louis zu Anfang von Juliens Aufstiegsgeschichte bereits zeichenhaft für deren tragischen Ausgang, so erweist sich der zum Tode verurteilte Held in den letzten Momenten seines Lebens als ein fiktiver Wiedergänger des Märtyrer-Königs. Hierfür vermag Stendhal nicht nur auf den konterrevolutionären Diskurs zurückzugreifen, in dem der Tod Ludwigs von Anbeginn mit dem Sühneopfer Christi in Analogie gesetzt wird. 23 Auch die republikanischen Autoren rücken Ludwig in die Nähe einer Märtyrer-Figur und deuten seinen Tod als ein Opfer für die Republik. 24 Über diese nachträglichen diskursiven Modellierungen hinaus nahm Ludwig bereits zu Lebzeiten in der Volksimagination die Gestalt eines Märtyrers an. Dies rührt nicht zuletzt daher, daß Ludwig während seiner Gefangenschaft und vor allem durch seinen würdevollen Gang zum Schafott viel an Sympathie gewonnen hat. So sah man den im Temple gefangenen König - mit den Worten Michelets - „comme un vrai roi devrait être“, d.h. volksnah und bescheiden. Der einst dem Volk (als Person) unbekannte Herrscher scheint sich in einen liebevollen Familienvater zu verwandeln 25 - oder wie Michelet es formuliert: „il apparaît à la foule en ce qu’il a d’innocent, de touchant, de repectable. C’est un homme, un père de famille [...].“ 26 Ludwig seinerseits verstand sich freilich weniger als Verkörperung bürgerlicher Familientugend; er bereitete sich vielmehr - u. a. mit Hilfe einer intensiven Lektüre von Kempis’ Imitatio Christi - auf seine Märtyrer-Rolle vor und wurde dabei durch den Umstand ermutigt, daß ihn seine Familie sowie die Dienerschaft bereits als Heiligen verehrten. Bei der Exekution konnte Ludwig sogar seine Scharfrichter beeindrucken; denn, wie man aus einem mysteriösen Brief seines Henkers Sanson weiß: „il a soutenu tout cela avec un sang froid et une fermeté qui nous a tous étonnés“. 27 Ludwigs (angeblich) letzte Worte vor der Guillotinierung - „Je souhaite que mon sang puisse cimenter 254 Arts & Lettres le bonheur des Français“ 28 - machten dank der Veröffentlichung dieses Briefes schnell die Runde und brachten ihm den Nachruhm eines guten Königs ein. Ein Gutteil dieser Überlieferungen zu Gunsten Ludwigs kommt in den letzten Kapiteln von Le Rouge et le Noir zum Tragen. Ähnlich wie Ludwig im Temple findet auch Julien in der Todeszelle zu seiner wahren Natur im Rousseauschen Sinne zurück - nicht als exemplarischer père de famille freilich, sondern als empfindsamer Liebender in der erneuerten Liaison mit Madame de Rênal. Seine Hinrichtung trägt er „simplement, convenablement, et de sa part sans aucun affectation“ (697) - in der gleichen Gemütslage wie Ludwig also. Die Analogie zwischen Stendhals Romanheldem und dem historischen König weist aber noch über den Tod hinaus: Als Ludwigs Kopf öffentlich gezeigt wurde, näherten sich die umstehenden Zuschauer dem Schafott, um das Blut des Königs zu berühren oder Papier und Stoff damit zu tränken und dieses Papier oder den Stoff späterhin als Reliquien zu verkaufen. 29 Ein solcher Kultstatus eignet nun auch dem toten Körper Juliens, wenn Mathilde den Kopf ihres Gatten auf einem Marmortisch aufbewahrt und küßt. Was die Funeralien betrifft, so scheint Julien sein königliches Vorbild noch zu übertreffen. Ludwigs Leichnam wurde in einen Korb gelegt und auf dem Friedhof von la Madelaine in den Kalk geworfen. Julien bekommt hingegen eine pompöse Bestattung: Eine große Priesterschar begleitet die Totenbahre, um diese in einer nächtlichen Prozession auf eine hohe Bergspitze im Jura zu führen. Dort, in Juliens Lieblingsgrotte, halten wiederum zwanzig Geistliche die Totenmesse unter Kerzenlicht ab, bevor sein Leichnam in der von ihm gewünschten letzten Ruhestätte ins Grab gelegt wird. Mit der derart zeremoniellen Begräbnisfeier spielt Stendhal nicht zuletzt auch auf die nachträgliche Glorifizierung Ludwigs während der Restauration an. Begreift man letztere als den Versuch, die Monarchie auf der Grundlage der historisch bzw. religiös fundierten Legitimation der alten Dynastie wiederzubeleben, so versteht man durchaus, weshalb der von den Royalisten ohnehin zum Märtyrer stilisierte Ludwig nach der Rückkehr der Bourbonen auf den französischen Thron nunmehr auch als Legitimationsfigur gefeiert wurde. Sowohl Ludwig XVIII. als auch Karl X. traten als legitime Nachfolger ihres Bruders auf und führten zahlreiche Gedenkfeiern zu dessen Erinnerung ein, um ihren eigenen Herrschaftsanspruch vermittels immer wieder neu inszenierter Totenrituale zu befestigen. Ludwig XVIII. etwa ließ die Überreste Ludwigs XVI. in die Basilika von Saint Denis in die Königsgruft der Kapetinger überführen und den Tag der Hinrichtung Ludwigs - den 21. Januar - zum Nationaltrauertag erklären. Karl X. setzte die Ludwig-Verehrung fort, dies allerdings unter noch konservativeren Vorzeichen. Im Gegensatz zu Ludwig XVIII., der immerhin eine auch für den Monarchen verbindliche Charte Constitutionelle verabschiedete, machte Karl X. bereits mit seiner ganz im Stil des Ancien Régime zelebrierten Krönung in Reims deutlich, daß er seine Machtbefugnis weniger auf das von seinem Bruder anerkannten Prinzip der konstitutionellen Monarchie als vielmehr auf das Gottesgnadentum bezog. 30 Vor diesem Hintergrund hat man dann auch jenen Festakt zu sehen, der nicht zuletzt dank Joseph Beaumes Auf- 255 Arts & Lettres tragswerk Inauguration du monument à la mémoire de Louis XVI par Charles X, place de la Concorde zu einem Sinnbild der Restauration wurde. Das Tafelbild hält jenen Moment fest, als Karl X. am 3. Mai 1826 an der Stelle, wo einstmals das Schafott stand, den Grundstein für ein Ludwig-Denkmal legte. Wie schon bei seiner Krönung verstand es Karl X. dabei ein weiteres Mal, das erneut befestigte Band zwischen Thron und Altar feierlich zu demonstrieren: Zum Festakt erschienen nicht nur die Repräsentanten des Hochadels; dazu gehörte ebenfalls eine prunkvoll ausstaffierte Prozession, während deren Verlauf der Erzbischof von Paris die Grundsteinlegung segnete. Joseph Beaumes, Inauguration du monument à la mémoire de Louis XVI par Charles X, place de la Concorde (1827) Für Stendhals 1828 begonnenen Roman ist nun die pompöse Einweihung des Ludwig-Denkmals vor allem im Hinblick auf deren geschichtsträchtigen Schauplatz beachtenswert. Bei der Place de la Concorde handelt es sich nicht nur um den Hinrichtungsort und die spätere Kultstätte Ludwigs XVI., sondern auch um jene Place Louis XVI, auf der Julien in dem bereits erwähnten Kapitel Le premier pas als endlich sattelfester Reiter sein erstes Erfolgserlebnis in Paris zu verbuchen vermochte. In Anbetracht dieser mehrfach gesättigten historischen Referenz erscheint das religiöse Spektakel bei Juliens Begräbnis nachgerade als eine literarische Konkurrenzveranstaltung zum Ludwig-Kult. Zur Beleuchtung der damit verbundenen Gründungssymbolik bietet sich das Tafelbild von Joseph Beaumes als Kontrastfolie an: Dem politischen Programm der Restauration entsprechend steht der König dort in der Mitte des Bildes zwischen Klerus und Hochadel als den beiden wesentlichen Verbündeten der restaurierten Monarchie. Eine ähnlich trianguläre Figurenkonstellation liegt in der Trauerfeier-Sequenz in Le Rouge et le Noir vor, 256 Arts & Lettres wobei dort nun allerdings die neben dem weiterhin präsenten Klerus freigewordenen Positionen von Adel und König auf sinnfällige Weise neubesetzt werden: An die Stelle des Hochadels in der von Beaumes dargestellten Einweihung des Königsdenkmals, tritt in Juliens Leichenzug das Volk: „Tous les habitants des petits villages de montagne traversés par le convoi, l’avaient suivi, attirés par la singularité de cette étrange céremonie“ (699). Die Position Karls X. nimmt Mathilde de la Môle ein; ist es doch Mathilde, die sich in die Volksmenge mischt und das kirchliche Trauerritual zu einem festlichen Ende führt: „Mathilde parût au milieu d’eux [les habitants des petits villages] en longs vêtemente de deuil, et, à la fin du service, leur fit jeter plusieurs milliers de pièces de cinq francs“ (699). Daß Mathilde dabei das Volk vermittels einer dem höfisch-aristokratischen Lebensstil typischen Geste der dépense 31 in die Leichenfeier mit einschließt, ist auf einer politisch-allegorischen Ebene ebenso signifikant wie ihre Körpersymbolik. Denn, wenn Mathilde, die Tochter eines Pair de France, bei ihrem Potlatsch bereits das Kind Juliens in sich trägt, so wird der Leichnam des plebejischen Vaters als Zeichen eines Gründungsopfers lesbar, vermittels dessen das Ancien Régime in eine neue Allianz zwischen Adel und ,Volk‘ überführt werden kann. Daß der solchermaßen symbolisch angedeutete neue Bund dennoch wohl in einer Scheinallianz besteht, stellt Stendhal durch den eklatant theatralischen Charakter der Begräbnisfeier 32 mehr als offenkundig aus. Als weiteres Ironie-Signal ist zu bewerten, daß es lediglich der kopflose Leichnam Juliens ist, dem die kirchliche Trauerzeremonie gewidmet ist und in dessen Zeichen sich Mathilde und das ,Volk‘ verbinden. Der Kopf Juliens ist - anders als das Haupt Ludwigs XVI. - der Öffentlichkeit entzogen und das Objekt von Mathildes privatem Totenkult. Bereits vor den Funeralien hat Mathilde das Haupt ihres Geliebten an sich genommen, um es späterhin heimlich in einer drapierten Kutsche zu transportieren und es schließlich eigenhändig zu beerdigen. Wenn sie dabei Marguerite de Navarre nachahmt, die das Haupt ihres Geliebten Boniface de La Môle einst auf dieselbe Art und Weise zu Grabe getragen haben soll, ist diese Imitationshandlung in Bezug auf Julien insofern bedeutungsvoll, als dieser dadurch ja seinerseits zu einem zweiten Boniface de La Môle wird. Letzteren hat nun Stendhal nicht nur wegen des makabren Ausgangs von dessen Liebesaffäre mit der Reine Margot zum Ahnherrn des Hauses de la Môle erkoren. Seiner fiktiven Biographie in Le Rouge et le Noir zufolge wird Boniface de La Môle nämlich deshalb hingerichtet, weil er versucht hat, Heinrich von Navarra mit Waffengewalt aus seinem Hausarrest am Hofe der Katharina de Medici zu befreien. Diese für Mathilde besonders wertvolle Episode ihrer Familiengeschichte erweist sich im Hinblick auf die Nationalgeschichte als überaus sinnfällig, wenn man bedenkt, daß derjenige, zu dessen Rettung Boniface de La Môle den Kopf verliert, kein anderer als der spätere Heinrich IV. ist, der als erster König aus dem Haus der Bourbonen zugleich den ruhmreichen Ursprung der restaurierten Monarchie darstellte. Anders als der in seinen Herrscherqualitäten umstrittene Ludwig XVI. verkörperte Heinrich IV. den idealen Monarchen schlechthin, weshalb auch seine Statue am Pont Neuf das erste Herrschermonument des Ancien 257 Arts & Lettres Régime war, das im Zuge der Restauration wiederaufgerichtet wurde. Die Marche Henri IV ertönte alsbald erneut als königliche Hymne, und es ist auch kein Zufall, wenn der Enkel Karls X., der sieben Monate nach der Ermordung seines Vaters zur Welt gekommene Henri d’Artois, im Namen des Gründungsvaters als Dieudonné das Fortbestehen der Bourbonen-Dynastie sichern soll. 33 Als ein „intime ami“ (504) Heinrich von Navarras verweist die Figur des Boniface de La Môle auf einen dynastischen Ursprung, aus dem die historischen Nachfolger Ludwigs XVI. neue Kraft für ihr schwer angeschlagenes Herrscherhaus zu schöpfen suchten. Der um Heinrich IV. herausgebildete Ahnenkult spiegelt sich in der Verehrung des Boniface de La Môle durch Mathilde wieder - dies allerdings in Form einer parodistischen Miniatur; denn Mathildes Beharren, als einzige der Familie am Todestag ihres berühmten Ahnherrn Trauer zu tragen, erregt im Hôtel de la Môle kaum noch Aufsehen und bedeutet auch für die eingeweihten Stammgäste nichts weiter als die „folie“ (503) einer notorisch Kapriziösen. Wie schon Juliens Napoleon-Verehrung eignet auch der „folie“ der Mathilde - die ihrerseits eine leidenschaftliche Leserin meist unkonventioneller Geschichtsbücher ist - eine deutlich quijoteske Natur. Doch wenn sie auf Juliens Begräbnisfeier nicht mehr für ihren noblen Vorfahren sondern für ihren plebejischen Geliebten Trauer trägt, so geht dieser Quijotismus diesmal weit über eine nur komische Übererfüllung der Restaurationsriten hinaus. Die Stoßrichtung tritt umso deutlicher zutage, wenn sie schließlich mit Juliens abgeschlagenen Kopf die legendäre Bestattung des Hauptes von Boniface de la Môle nachstellt und also das Original durch die Kopie ersetzt. Neben der offenkundigen Standesproblematik scheint hier insbesondere von Interesse, daß Julien als Vater ihres ungeborenen Kindes einen aus der Mésalliance erfolgten genealogischen Neubeginn verkörpert. So gesehen hat Mathildes Imitationshandlung einen ironischen Sinn - setzt sie doch dabei den Ahnenkult derart in Szene, daß der Provinzparvenü als der neue Ahnherr eines nunmehr korrumpierten Adelsgeschlechts etabliert wird. Dies gilt umso mehr, sofern man sich das historische Vorbild von Juliens ungeborenem Kind vergegenwärtigt. Gemeint ist Henri d’Artois, der bereits erwähnte Enkel Karls X. Wie einst der sieben Monate nach der Ermordung seines Vaters, des Grafen von Berry, geborene und als „enfant du miracle“ 34 gefeierte Petit-Fils de France wird auch Juliens Nachfahre erst nach dem Tod des Vaters zur Welt kommen. Doch während jener die alte Dynastie im Namen des ersten Bourbonen-Königs weiterführen soll, 35 steht dieser emblematisch für die Idee einer nach-revolutionären renovatio, die sich einerseits in die Memorialkultur der Restauration einschreibt, anderseits den „plébéien révolté“ (506) als neue soziale Größe mit einbeschließt. Daß Stendhal seinen Zukunftsentwurf als einen illusorischen begreift, stellt man spätesten dann fest, wenn Le Rouge et le Noir mit dem Tod von Madame de Rênal zu Ende geht. Wie der Erzähler bemerkt, geschieht dies, obwohl Madame de Rênal ihr Versprechen gegenüber Julien eingehalten hat, keinen Selbstmordversuch zu unternehmen. „Il faut que tu vives pour mon fils“ - bat sie Julien bei ihrem ersten Rendezvous im Gefängnis - „que Mathilde abandonnera à des laquais dès 258 Arts & Lettres qu’elle sera marquise de Croisenois“ (684). Die Vorstellung, daß sein Sohn den Lakaien überlassen werde, ist dem klassensensiblen Helden unerträglich, hat er es doch selbst einst erwirkt, als neu eingestellter Lehrer im Hause Rênal nicht bei den Domestiken, sondern am Herrentisch zu speisen. Mit dem Tod von Madame de Rênal fällt aber nicht nur eine Ersatzmutter aus, die Juliens Kind vor einem drohenden dé-classement zu beschützen vermöchte. Auch im Hinblick auf die Restaurationsthematik ist die Figur der Madame de Rênal von Belang: In ihr vereint sich die Empfindsamkeit als bürgerliche Frauentugend mit der Noblesse des Provinzadels, und wenn ihr jüngerer, Julien besonders zugeneigter Sohn mit dem Namen Stanislas Xavier den Beinamen Ludwigs XVIII. trägt, so läßt sich Madame de Rênal dahingehend als eine politisch konnotierte Mutterprojektion lesen, daß die Geburtsadelige neben ihren „enfants [...] si bien nés“ (289, kursiv im Orig.) eben auch den hybriden Nachkommen des gescheiterten Karrieristen im Schoße ihrer Familie beherbergen soll. Neben ihrer Funktion als gescheiterter politischer Wunschvorstellung, ist Madame de Rênal aber auch im Hinblick auf das Aufsteigersujet von Bedeutung. So war es ja gerade sie, die vermittels eines Briefs an den Marquis de la Môle den bereits in den Adelsstand erhobenen Julien zu Fall brachte. Eine ähnliche Verhinderungsdynamik kommt bei ihrem Tod zum Tragen, wird doch dadurch Juliens Plan zunichte gemacht, seinem Nachkommen einen Platz im Juste-Milieu zu sichern. Die Störer-Funktion der Madame de Rênal tritt noch deutlicher zu Tage, wenn man im Kontrast zu ihr die Helfer-Figur der Mathilde de la Môle in den Blick nimmt. Es ist nämlich Mathilde gewesen, die Julien den gesellschaftlichen Aufstieg ermöglicht hat und dies - antithetisch zu Madame de Rênal - ebenfalls vermittels eines Briefes an den Marquis de la Môle: Mathildes Brief stiftet daher auch ein neues Leben - und das sowohl sensu litterali für das dort erwähnte Kind als auch metaphorisch in Bezug auf Juliens neuen Sozialstatus -, während der Brief der Madame de Rênal das Initium einer tödlichen Verkettung darstellt, die von Juliens Attentat über dessen Hinrichtung bis zu ihrem eigenen Liebestod reicht. Die je mit Leben und Tod konnotierten Briefe der Mathilde und Madame de Rênal finden auf der Ebene der Handlungsstruktur nun eine sinnfällige Entsprechung, wenn sich im doppelten Kursus von Juliens Liebesabenteuern eine vitalistische Aufstiegsbewegung abzeichnet, die im matrimonium clandestinum mit Mathilde ihren Kulminationspunkt erreicht. Mit seiner letzten Rückkehr nach Verrières vollzieht Julien dann aber eine Regressionsbewegung, deren tödlicher Ausgang sich bereits im Romananfang in einem anderen Schriftstück angekündigt hatte. Als Julien nämlich in der Kirche von Verrières auf Madame de Rênal schießt, beginnt er seinen Untergang an eben jenem Ort, an dem er Jahre zuvor das mysteriöse Schriftstück mit der Zeile „Details de l’exécution et des derniers moments de Louis Jenrel“ (240) gefunden hatte. Der abgebrochene Satz läßt sich jetzt als eine mise en abyme de l’énoncé 36 lesen und dies im Sinne eines doppelten Vorverweises: Zum einen wird hier die „exécution“ Juliens aufgerufen, zum anderen werden aber auch die „derniers moments“ der Madame de Rênal evoziert, deren im Roman nur 259 Arts & Lettres einmal ausgesprochener Vorname ,Louise‘ (334) den Namen des Hingerichteten - ,Louis‘ - spiegelbildlich reflektiert. Daher weist Stendhals Namenspiel auch über die Funktion einer einfachen Prolepse weit hinaus. Für die fiktionale Binnenpragmatik ist hier zunächst von Belang, daß Julien bei seiner Lektüre des Satzes nur seinen eigenen Namen ,Sorel‘ in ,Jenrel‘ wiedererkennt und in dem Vornamen ,Louis‘ dabei das Zeichen jener Frau verkennt, deren Schrift ihn späterhin aufs Schafott führen wird. Was auf der Handlungsoberfläche als eine tragische Peripetie erscheint, erweist sich angesichts Juliens narzisstischer Lesehaltung jedoch insofern als eine Wunscherfüllung, als seine imaginäre Identifikation mit jenem Hingerichteten namens ,Jenrel‘ gerade dank des denunziatorischen Briefs der Madame de Rênal zur Verwirklichung kommt. Im Hinblick auf eine solchermaßen zirkuläre Erfüllungsstruktur versteht sich dann auch Juliens lückenhafte Lektüre: Ihm entgeht der Name ,Louis‘ als Zeichen eines Todestriebes, der nicht nur seiner momentanen narzisstischen Identifikation mit der Schrift zugrunde liegt, sondern auch seiner späteren conversio in der Todeszelle eignen wird, bei der er in Madame de Rênal - d.h. in Louise - sein eigentliches Begehrensobjekt (wieder)erkennt. Die Kopräsenz der Madame de Rênal im Namen des Hingerichteten führt nun auch ein weiteres Mal zu Ludwig XVI. zurück. Wie schon erwähnt, kommt im Kap. Le premier pas im Toponym der Place Louis XVI. der Name des Königs expressis verbis zum Tragen. Inwiefern die Verwendung des realen Ortsnamens dabei weniger mimetischer denn phantasmatischer Natur ist, läßt sich daran belegen, daß der Name Louis mit dem historischen Ludwig immer zugleich auch die Louise de Rênal als dessen weiblich-fiktives Gegenbild aufruft. Daß die spektrale Verdoppelung von Louis/ Louise in Stendhals Roman in der Tat programmatischen Charakter hat, wird anhand von Juliens Hinrichtung offenkundig. Das Schlüssellexem stellt hier der vom Erzähler als „tête poétique“ bewunderte Kopf Juliens dar: Jamais cette tête n’avait été aussi poétique qu’au moment où elle allait tomber. Les plus doux moments qu’il avait trouvés jadis dans les bois de Vergy revenaient en foule à sa pensée et avec une extrême énergie (697). Juliens Erinnerung an Vergy verweist nicht nur auf den mit Madame de Rênal verbunden locus amoenus; in sie ist auch ein äußerst bedeutsamer autographer Intertext eingelassen: Es handelt sich dabei um jene Stelle in Vie de Henry Brulard, wo sich Stendhal jenes Augenblicks erinnert, als ihn in Grenoble die Nachricht von der Hinrichtung Ludwigs erreichte: „je fut saisi d’un des plus vifs mouvements de joie que j’ai éprouvés de ma vie“. 37 Diesen Glücksmoment seiner Kindheit - Stendhal war 1793 gerade zehn Jahre alt - übersetzt er nun mit Subjektwechsel in die „plus doux moments“, die Julien im Augenblick seines Todes verspürt. Juliens poetisches Haupt wird man daher auch als eine Replik auf den abgeschlagenen Kopf Ludwigs zu lesen haben - auf jenes abwesende Objekt der jouissance also, das bereits in Stendhals autobiographischem Schreiben das libidinös besetzte Zentrum bildet. Der eigentliche Kern dieser jouissance ist dabei freilich weniger der historische Regizid als vielmehr ein imaginäres Revolutionsszenario, das Stendhal sowohl als 260 Arts & Lettres lustspendende Erinnerung in der Vie aufruft als auch vermittels der lustvollen Erinnerung seines Helden supplementär ausschreibt. Für diese autoreferentielle Geste läßt sich unschwer eine individual-psychologische Erklärung beibringen: Stendhals notorischer Haß auf seinen Vater macht es nachvollziehbar, warum die Hinrichtung des Königs ihm als Ersatzfreude für die unmögliche jouissance des Vatermordes hinreichen konnte. Ebenso mag einleuchten, Juliens letzten Gedanken an die Mutter-Imago der Madame de Rênal auf Stendhals offen eingestandene libidinöse Affektbindung an seine früh verstorbene Mutter zurückzuführen. Doch nicht aufgrund der mutmaßlich dort ausagierten ödipalen Phantasien ist die „tête poétique“ (697) Juliens für Stendhals Romanpoetik bedeutungsvoll, sondern zuvörderst deshalb, weil die Gestalt des enthaupteten Ludwigs hier mit Juliens Kopf an einem Ort seine phantasmatische Wiederkehr feiert, der im Roman immer schon durch das außergewöhnliche Gedächtnisvermögen des Helden als ein Ort der memoria gekennzeichnet ist. Juliens Kopf, der sich insbesondere durch ein ausgeprägtes Textgedächtnis auszeichnet, steht daher auch nicht bloß emblematisch für den Totenkult der Restauration, deren schreckliche ,Urszene‘ eben in der Hinrichtung Ludwigs liegt. Man hat ihn auch als eine Textmetapher zu lesen, die auf die Mimesis einer bereits imitatorischen Memorialkultur als das eigentlich realistische Moment in Le Rouge et Le Noir verweist. Eben deshalb ist der Realismus Stendhals auch nicht im Sinne einer naiven Wiederspiegelung zu verstehen, wie dies ja der berühmte Vergleich des Romans mit einem Spiegel -„un Roman est un miroir qui se promène sur un grande route“ (557) - auf den ersten Blick zu suggerieren scheint. 38 Vielmehr bildet Le Rouge et le Noir die historische Wirklichkeit insofern realistisch ab, als die Restauration dort vermittels oft ironisch gebrochener Verdoppelungsstrukturen als eine Epoche unmöglicher Wiederholung ausgestellt wird, für die das Uneigentliche der Imitation schlechterdings konstitutiv ist. So gewendet kann man also sagen, daß Stendhals literarischer Spiegel die Restauration als ein politisches Spiegelstadium reflektiert, und das in dem Maße, wie sich die restaurierte Monarchie - so ließe sich hier Lacans Theorie vom stade de miroir 39 übertragen - durch eine imaginäre Identifikation mit dem Ancien Régime konstituiert und dabei vermittels eines integralen corpus politicum das Lacansche Phantasma des corps morcelé - hier also die revolutionäre Beseitigung des Königtums - zu bannen sucht. Als exemplarisch hierfür ließe sich jene gemeinhin weniger beachtete Spiegelszene beibringen, in der im Kap. XVIII des ersten Teils von Le Rouge et le Noir ein religiöses Spektakel vorbereitet wird. Bei dieser Spiegelszene sieht Julien, wie der noch junge Bischof von Agde vor einem „miroir mobile en acajou“ (314) stehend mit der Hand unablässig die Geste der Segnung vollzieht, um sich auf diese Weise, wie es heißt, in der Pose eines „clergé vénérable et sans doute fort grave“ (316) einzuüben. Was der „miroir mobil“ hier sichtbar macht, erweist sich als eben das, wofür der Roman als ein „miroir qui se promène“ (557) poetologisch steht; denn schon bald sieht man den jugendlichen Bischof einer pompösen religiösen Zeremonie vorstehen, die darin gipfelt, daß ein namentlich nicht identifizierter Roi*** samt seiner hochadligen 261 Arts & Lettres Entourage in Begleitung einer Gruppe handverlesener Provinzjungfrauen die Reliquien des Heiligen Clemens anbeten. Wenn der Bischof dabei seine Rolle so überzeugend spielt, daß seine Predigt sogar den König zu Tränen rührt, so verkörpert er als Mime den theatralischen Charakter eines religiösen Spektakels, bei dem die Handlungsträger der Restauration kollektives Rollenspiel betreiben. Inwiefern Stendhals Text das politische Spektakel der Restauration auf phantasmatische Weise spiegelt, zeigt sich schließlich an der Hauptattraktion der Kirchenfeier. Diese besteht in einer kleinen Wachsfigur des Heiligen Clemens, in der sich, so wird Julien gesagt, die Knochen des Heiligen befinden sollen. Wie der Erzähler sogleich vermerkt, hat der „en costume de jeune soldat romain“ (319) dargestellte Heilige Clemens „au cou une large blessure, d’où le sang semblait couler encore“ (319). Bezeichnenderweise spricht auch der Bischof von Agde in seiner Predigt von der „blessure encore sanglante de Saint Clément“ (319), und so korrespondiert die Figurenrede, die sich durch die lexikalische Wiederholung von „blessure“, „sang“ bzw. „sanglante“ isotopisch fügt, mit der gleichermaßen semantisierten Erzählerrede. Der solcherart auf der Textebene inszenierte Spiegeleffekt wird jedoch erst dann metapoetisch bedeutsam, wenn man das einzig der Erzählerrede vorbehaltene Wort „cou“ in den Blick nimmt. Was dabei symbolisch auf dem Spiel steht, liegt auf der Hand: „cou“ verweist nicht nur metonymisch, sondern auch im Zusammenhang der blutigen Wunde des Heiligen Clemens auf den abgeschlagenen Kopf des historischen Märtyrer-Königs. Gleichsam ein Zeichen des corps morcelé markiert es mithin eine auktoriale Rede, in der die mimetische Theatralität der Restauration als eine Machtrepräsentation entlarvt wird, bei der sich die Monarchie ihres mystischen Körpers nur noch in Form einer illusorisch-imaginären Ganzheitsprojektion zu versichern vermag. Für die Romanpoetik Stendhals scheint die Wachsfigur des Heiligen Clemens darüber hinaus aber auch deshalb bemerkenswert, weil die Wunde des Heiligen nach der Beschreibung des Erzählers derart realistisch wirke, daß man glaube könnte, es würde noch Blut aus ihr strömen. Die Wunde des Heiligen dient dabei der Veranschaulichung für die Kunst des Realismus als einer Repräsentation, deren Referenz - der Körper des Heiligen - der Lebenswirklichkeit gerade nicht mehr verfügbar ist. Was Stendhal mit seiner „charmante figure de cire“ (320) ironisch andeutet, wird bei Flaubert zum Programm, wenn er in den Trois contes den Realismus für das Erzählen des Heiligen in einer desakralisierten Welt in Anschlag bringt. III Als Wiederaufnahme der Gattung der Legende bzw. als réécriture eines biblischen Stoffes schließen Flauberts Trois contes ostentativ an die christliche Erzähltradition an. Als Textkorpus geben sie sich als nicht minder christlich zu erkennen. Formal bilden die drei Erzählungen ein Triptychon, inhaltlich stehen sie mit ihrem je eigenen, dominanten Motiv nach dem Trinitätsprinzip zueinander: 40 Während in Hérodias Johannes der Täufer als Präfiguration Christi auf die erste trinitarische Person 262 Arts & Lettres des Vaters verweist, kommt in Saint Julien l’Hospitalier dem ödipalen Titelhelden strukturell die Positionsstelle des Sohnes zu. Am deutlichsten zeigt sich die Analogie in Un cœur simple, wo die Protagonistin Félicité im Heiligen Geist schließlich ihren geliebten Papagei zu erkennen glaubt. Doch ebenso wie es Flaubert darum zu tun ist, sein spätes Meisterwerk in einen theologisch grundierten Bezugsrahmen einzurücken, setzt er sich zugleich an einem wesentlichen Punkt dezidiert von der christlichen Schriftlehre ab. Die exegetische Hermeneutik gehorcht einer aufsteigenden Bewegung, der zufolge die biblische bzw. legendenhafte historia stets allegorice auf die Heilsgeschichte verweist, und eben diese anagogische Struktur erfährt in den Trois contes insofern eine bedeutsame Schubumkehr, als die hier erzählten Heiligengeschichten nicht nur zu christlichen Lektüren anhalten, 41 sondern - und das ist das Entscheidende - auch einen allegorischen Gehalt bezüglich der profanen Nationalgeschichte aufweisen. 42 Deren Signatur stellt wiederum die Hinrichtung Ludwigs dar. Diese kommt in Saint Julien l’Hospitalier - der entstehungsgeschichtlich frühesten der drei Erzählungen - durch das Motiv des Vatermordes thematisch zum Tragen. In der Figur des krebskranken Revolutionärs Père Colmiche kehrt sie in Un cœur simple wieder, um schließlich in Hérodias mit der Enthauptung des Johannes eine emblematische Entfaltung zu erfahren, die für unseren Zusammenhang umso bedeutsamer ist, als deren heilsgeschichtliche Bedeutung keineswegs gesichert zu sein scheint. Julianus hospitator, der unwissentlich seine Eltern tötet und dann bis zu seinem seligen Ende ein Leben in Buße führt, gehört zu jenem Figurentypus des sündigen Heiligen, der sich bereits in der volkssprachlichen Legendenliteratur des 12. Jahrhunderts außerordentlicher Beliebtheit erfreute. 43 Gattungstypisch führt Juliens Vita dabei einen Läuterungsprozeß vor, der den heilsgeschichtlichen Umschlag vom Alten zum Neuen, vom Sündenfall zur Erlösung qua personificatio veranschaulicht. Diese typologische, syntagmatisch steigernde Progression hat ihre negative Entsprechung in Juliens altem, sündhaften Leben, das Flaubert im Zeichen eines doppelten Kursus erzählt, der hier durch das Jagd-Motiv deutlich markiert ist: Am Ende des ersten Durchlaufs erschießt Julien auf dem Gipfelpunkt einer Jagdorgie eine ganze Hirschfamilie; am Ende des zweiten Durchlaufs ersticht er nach erfolgloser Jagd seine Eltern, die seine Frau aus Gastfreundschaft im Ehebett übernachten ließen und deshalb Juliens Irrglauben zum Opfer fallen, es handle sich bei ihnen um seine Gattin und einen fremden Mann. Juliens altes Leben bestimmen zwei Gewalttaten, und die zwischen ihnen bestehende Analogie wird bereits durch den dreifach wiederholten Fluch des tödlich verwundeten Hirschvaters kataphorisch prognostiziert: „Maudit! Maudit! Maudit! Un jour, cœur féroce, tu assassineras ton père et ta mère“ 44 (632). Für sich genommen liegt dieser Verwünschung die sympathetische Logik zugrunde, wonach die Tierfamilien angetane Gewalt auf den Täter zurückfalle und also bewirke, daß dieser seine eigene Familie auslösche. Auf die zeitgeschichtliche Sinndimension des Fluchs weist nun Flaubert vermittels der Beschreibung des Tieres hin: „Le cerf, qui était noir et monstrueux de taille, portait seize andouillers avec une barbe blanche“ 263 Arts & Lettres (632). Dem Hirsch, der in der christlichen Ikonographie als figura Christi fungiert, eignet an dieser Stelle durch seine horrende Größe eine Zusatzsymbolik; denn wie man aus der Education sentimentale weiß, stehen riesige Hirsche für Flaubert in enger Verbindung mit der französischen Monarchie: Die „grands cerfs“ - so heißt es dort in der berühmten Fontainebleau-Episode - trügen „une croix de feu entre leurs cornes“ und hätten solche Eremiten als Begeleiter, „qui recevaient avec de paternels sourires les bons rois de France“ (354). Anstelle einer „croix de feu“ trägt der „grand cerf“ in Saint Julien „seize andouillers“ - ein Geweih also, das eine insofern sinnfällige Zahl an Enden aufweist, als die Sechzehn das genealogische Signum des enthaupteten Ludwigs ist. Gleichsam ein Totemtier der französischen Monarchie verkörpert Flauberts monströser, weißbärtiger Hirsch jene uralte Dynastie, deren jähes Ende nach dem Tod des sechzehnten Ludwigs in seinem Geweih numerologisch eingeschrieben ist. Daß Julien mit der Tötung eines derart symbolträchtigen Tieres einen gravierenden Tabubruch begeht, unterstreicht der Elternmord. Insbesondere der Vatermord erweist sich hier als jener soziale Tabubruch, in dem sich der nationalallegorische Gehalt der Hirschtötung - nämlich die Hinrichtung Ludwigs als politischer Tabubruch - offenbart. Die Analogie hat Flaubert nicht erfunden. Sie findet sich vielmehr bereits in Pierre Simon Ballanches 1820 erschienenen Roman L’homme sans nom, wo der Titelheld, ein ehemaliges Mitglied der Nationalkonvention, der sich für die Hinrichtung Ludwigs ausgesprochen hatte und seither ein reuevolles Leben jenseits der menschlichen Gesellschaft führt, folgende Frage formuliert: „Pensieriez-vous qu’un fils, qui aurait tué son père, pût être absous? Et immoler son roi, n’est-ce pas commettre plus que mille parricides? “ 45 Wenn Flaubert nichtsdestoweniger über Ballanche hinausgeht, so liegt dies daran, daß bei ihm nicht nur Patrizid und Regizid allegorice in eins gesetzt sind, sondern das allegorische Miteinander von Patrizid und Regizid den Gipfelpunkt einer perversen Gewalt darstellt, dessen ursprünglich lustspendendes Moment in der Profanation liegt. Letztere nimmt ihren Anfang, als der adoleszente Julien einmal während der Messe eine weiße Maus aus einem Loch in der Mauer hervorkriechen und auf die erste Stufe des Altars tippeln sieht. Am nächsten Sonntag fühlt sich nun Julien bereits von dem Gedanken an eine abermalige Begegnung mit der Maus irritiert und fortan wird er jeden Sonntag auf sie warten. Was Juliens paradoxale Affekthaltung bedingt, ist dabei weniger die Sorge als der latente Wunsch, daß der Altar am Tage des Herrn von einem Tier profaniert werde, dessen „museau rose“ (627) im Verein mit dem sexuell konnotierten Erscheinungsort -„trou“ (627) - unmißverständlich koitale Assoziationen weckt. So kommt es auch, daß Julien schon bald seinen Wunsch zur Profanation vermittels eines ersten Tötungsakts realisiert. Die Tötung der Maus, deren Ergebnis - „un goutte de sang tachait la dalle“ (627) - von deutlicher Deflorationsmetaphorik getragen ist, stellt insofern auch eine Profanation des Sakralen dar, als das Blut der Maus mit den Bodenfliesen zugleich metonymisch die Kirche befleckt. Trotz dieser ersten ,Blutprobe‘ bedarf Juliens Initiation zum ,Lustmörder‘ weiterer paradigmatischer Wiederholungen. Zunächst versucht er 264 Arts & Lettres sich mit Tierquälerei, scheucht alle möglichen Vögel auf und kann sich dabei - „heureux de sa malice“ (627) - des Lachens nicht erwehren. All dies erweist sich freilich als noch harmloses Vorspiel zu jenem Moment, als Julien eine Taube erdrosselt und dabei einer „volupté sauvage et tumultueuse“ (627) anheimfällt. Dabei ist es nicht unbeträchtlich, daß erst die Tötung einer Taube - des christlichen Vogels schlechthin - Julien in wilde Ekstase versetzt. Es ist nicht die Tötung als Ausdruck sinnloser Gewalt, die ihm Wollust verschafft, sondern die Tötung als der sinnvolle Akt der Profanation. Es muß daher auch nicht wunder nehmen, wenn schließlich Juliens ,wilde‘ Jagdorgie mit der Tötung des christologisch überformten Hirsches ihren Höhepunkt erreicht. Der Umstand, daß der Sechzehnender nicht bloß als figura Christi sondern eben auch als figura regis zu lesen ist, verleiht dem Gemetzel seinen geschichtsallegorischen Gehalt - verweist es doch gerade aufgrund der Entfesselung von Gewalt zugleich auf die Grand Terreur als einen Tötungsexzeß, bei dem sich die revolutionäre Gewalt - ähnlich wie Juliens Ausrottung der Hirschfamilie - auf totale Vernichtung der königlichen Hypostasen (der Aristokratie) zielt. Damit übt Flaubert nun allerdings keine humanitäre Gewaltkritik, sondern beleuchtet vielmehr anhand Juliens perverser Mordlust eine Pathologie der Terrorherrschaft: Rührt Juliens „soif de carnage“ (641) von einer sich sukzessive Bahn brechenden Profanationslust her, so deutet dies allegorice auf eine historische Kausalität hin, wonach sich die Revolution deshalb dem Tötungszwang nicht zu entziehen vermag, weil ihr mit dem Königsmord als Profanation des sakralen corpus mysticum der Monarchie ein unaufhaltsames Gewalt generierendes Moment innewohnt. Die Deutung des Regizids als Sakrileg, die bekanntlich seit Joseph de Maistre zum Diskursarsenal der Konterrevolution gehört, steht bei Flaubert freilich nicht tel quel, sondern im Dienste einer eigenen Geschichtsinterpretation. Das nach-revolutionäre Frankreich - wie man es im zweiten Teil von Saint Julien l’Hostpitalier weiterverfolgen kann - verfällt einer zwanghaften Wiederholung der mit dem Königsmord entfesselten Initialgewalt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die ,Abenteuerzeit‘ Juliens. 46 Um dem Fluch des schwarzen Hirsches zu entfliehen, verläßt Julien das elterliche Haus. Er zieht als Söldner durch die Welt und erwirbt dabei neben Ruhm und Ehre auch die okzitanische Kaisertochter als Gattin. Nach der Eheschließung gibt Julien sein kriegerisches Tun auf, leidet jedoch in der Folge unter Melancholie, bis er sich schließlich dazu entscheidet, seiner bis dahin unterdrückten Jagdleidenschaft erneut nachzugehen. Wird er nun bereits nach dem ersten, frustrierenden Jagderlebnis von einer „colère démesurée“ (641) erfaßt und irrtümlicherweise seine Eltern erschlagen, so kommt im Handlungsverlauf damit auch der Topos des heimgekehrten Kriegers zum Tragen - eines Kriegers also, der die Gewalt vom Außenraum in den Innenraum der Familie trägt und einen Verwandtenmord begeht. Dieser Figurentypus, den man von Senecas Hercules furens oder Corneilles Horace zur Genüge kennt, verbindet sich bei Julien wiederum mit einer mehrfach kodierten Geschichtssymbolik. Schon sein Lebenslauf vom Hirschtöter zum unbesiegbaren Krieger läßt sich allegorisch auf jenen histori- 265 Arts & Lettres schen Umschlag von der Grand Terreur zum Aufstieg Napoleons übertragen, bei dem sich die gewaltsame Revolutionsgeschichte in einer Phase der Eroberungskriege fortsetzt. Kehrt mit Juliens Vatermord der bereits in der Hirschtötung aufgerufene Königsmord wieder, so findet eine solche Wiederholungsstruktur in der Juli- Revolution insofern eine sinnfällige Entsprechung, als das Oberhaupt der daraus hervorgegangenen Juli-Monarchie, Louis-Philippe d’Orléans, kein anderer als der Sohn jenes Duc d’Orléans ist, der sich den bürgerlichen Namen Philippe-Egalité zugelegt und in der Nationalkonvention für die Hinrichtung seines Cousins Ludwig gestimmt hatte. Vor dem Hintergrund dieser besonderen Genealogie des Bürgerkönigs hat man dann wohl auch den Fluch von Flauberts schwarzem Hirsch zu lesen: Julien, dem der Julimonat paronomastisch eingeschrieben ist, erweist sich somit als die Symbolfigur einer Nation, die mit der Hinrichtung Ludwigs und der Krönung des von Lamartine als „fils de 21. Janvier“ 47 bezeichneten Louis-Philippe das doppelte Stigma des Königsmordes trägt. Ebenso wie das sündige Leben Juliens steht auch dessen Heiligwerdung im Zeichen der Wiederholung. Die Schlüsselfigur hierzu ist die des Leprakranken, den der nunmehr reuige Julien in einer Apotheose der Nächstenliebe mit der eigenen Körperwärme vor dem Erfrieren zu schützen sucht. Folgt darauf sogleich Juliens Himmelfahrt, so kommt der Figur des Leprakranken damit nicht nur die für Heiligenviten typische Helferfunktion zu; vielmehr kehrt in der grotesken Gestalt des Leprakranken Juliens Vergangenheit emblematisch wieder - trägt dieser doch „un trou à la place du nez“ (647) und damit eben jenes Zeichen, das sich vom „trou“ der weißen Maus bis hin zum „trou dans la poitrine“ (642) der ermordeten Eltern durch Juliens gesamte Sündengeschichte zieht. In der Figur des Leprakranken kommt darüber hinaus die geschichtsallegorische Bedeutung des Vatermordes wieder zur Geltung. Bereits in L’homme sans nom wird der Königsmörder mit einem Leprakranken verglichen: „Le Regizide,“ so Ballanches namenloser Held, „n’est-il pas un pestiféré du monde social, une sorte de lépreux condamné à la solitude et l’opprobre? “ 48 Wie bei Ballanche ist es auch bei Flaubert die Ansteckungsgefahr, die gewissermaßen als tertium comparationis funktioniert und Julien mit dem Leprakranken verbindet. So scheitert Juliens zweite Jagdserie vor dem Elternmord dann auch bezeichnenderweise deshalb, weil die Tiere stets von ihm Abstand halten - ihn also ebenso meiden wie die gesunden Menschen den Leprakranken. Aufgrund einer derart durchgezeichneten Doppelgängerstruktur läßt sich Juliens Hautkontakt mit dem Leprakranken nur noch auf der Handlungsebene im Sinne der Nächstenliebe verstehen. Metaphorisch geht aus Flauberts Beschreibung „bouche contre bouche, poitrine sur poitrine“ (648) das Bild einer Liebesvereinigung hervor, bei der sich allegorice mit Julien nun auch das vom Königsmord gezeichnete Frankreich mit seiner sündhaften Vergangenheit versöhnt. Versöhnung bleibt weiterhin das ungeschriebene Motto, wenn Flaubert in Un cœur simple die nationale Vergangenheit aufs Neue aufarbeitet. Hier erweist sich die Revolution - diesmal durch das Datum des 14. Juli explizit aufgerufen - wiederum als eine unheilvolle Wende, zu deren Korrektur vor allem die unbedingte 266 Arts & Lettres Liebesbereitschaft des einfachen Volkes beizutragen hat. Für Flauberts analphabetische Heldin Félicité beginnt am 14. Juli 1819 die unglücklichste Phase ihres Lebens. An diesem Tag verpaßt sie knapp ihren geliebten Neffen Victor, der als Seemann nach Amerika fährt und dort dem Gelbfieber zum Opfer fallen wird. Eine zweite geliebte Person verliert Félicité, als Virginie, Madame Aubins Tochter, an einer Lungenentzündung stirbt. Weist der sprechende Name der Virginie auf die lebenslange sexuelle Enthaltsamkeit der Félicité hin, so läßt sich ihr Tod als der Tod einer figura lesen, die Félicités neues Leben als Inkarnation reiner Liebe ankündigt. In diesem Sinne markiert dann auch die Juli-Revolution eine im Vergleich zu Saint Julien l’Hospitalier noch deutlichere Zäsur. Wenige Tage nach dem Umsturz wird nämlich ein neuer Unterpräfekt ernannt, und das Leben der Félicité beginnt von nun an eine glückliche Wendung zu nehmen. Letztere besteht zunächst in einer erfolgreichen Trauerarbeit: Madame Aubin begutachtet zusammen mit Félicité die armseligen Habseligkeiten ihrer verstorbenen Tochter, und als sich Félicité einen von Motten zerfressenen Hut ausbittet, fallen sich die beiden Frauen bitter weinend in die Arme. Doch ebensowenig wie Juliens Umarmung des Leprakranken steht der Kuß von Madame Aubin und Félicité einzig für die allumfassende Liebe. Wie an Flauberts Wortwahl unmißverständlich ins Auge sticht, handelt es sich hierbei vielmehr um eine rührselige Klassenversöhnung, bei der die beiden ,aufgehobenen‘ Hierarchien nichtsdestoweniger lexikalisch fortbestehen: „[L]a maîtresse ouvrit ses bras, la servante s’y jeta; et elles s’etreignirent, satisfaisant leur douleur dans un baiser qui les égalisait“ (612). 49 Das in „égalisait“ anklingende Prinzip der égalité berührt freilich nur das einfache Herz der Dienerin. So fällt es allein Félicité zu, durch die „bonté de son cœur“ (612) eine zweite, nunmehr historisch konnotierte Versöhnung zu bewirken. Félicité gibt sich der Armenpflege hin und gerät dabei an den Père Colmiche, einen Greis, der einsam am Flußufer in einem verfallenen Schweinestall lebt. Gleichsam ein Wiedergänger des Leprakranken in Saint Julien l’Hospitalier wird der Greis in Un cœur simple als „vieillard passant pour avoir fait des horreurs en 93“ (612) explizit mit der Hinrichtung Ludwigs in Verbindung gebracht. Nicht zufällig weist daher der Greis neben den entzündeten Augenlidern am Arm einen „tumeur plus grosse que sa tête“ (612) auf - ein insofern beachtenswerter Vergleich, als der Kopf metonymisch auf die Guillotine verweist, wodurch die Geschwulst das historische Übel des Königsmordes im Sinne einer Krankheitsmetapher anschaulich macht. Daß Félicité den endlich ausgebrochenen Krebs tagtäglich verbindet, bedeutet vor diesem Hintergrund eine symbolträchtige Heilung, deren eigentliche Wirkung sich allerdings erst nach dem Tod des Greises zeigt: „Félicité fit dire une messe pour le repos de son âme“ (612) und vollbringt damit eine Wohltat, dank deren - allegorisch gesprochen - auch das von seiner revolutionären Vergangenheit gepeinigte Frankreich die Seelenruhe findet. Mit der Totenmesse für den Père Colmiche spielt Flaubert nicht zuletzt die christliche Heilslehre gegen einen positivistischen Heilsbegriff aus. Als Heilerin steht nämlich Félicité jenen vier Ärzten gegenüber, die einst ihren Neffen, den an 267 Arts & Lettres Gelbfieber erkrankten Victor, beim Aderlaß verbluten ließen. Erwies sich damit die Medizin - so müßte man wohl die auf die vier Evangelisten anspielende Zahl der Ärzte auslegen - als eine falsche Heilsbotschaft, so stellt die Nächstenliebe der Félicité im Gegensatz dazu ein doppelt wirksames Heilmittel dar. Dieses Heil bezieht sich zunächst auf die Figur der Félicité selbst, der am Todestag des Père Colmiche „un grand bonheur“ (612) widerfahren soll. In der Tat erhält Mme Aubin zur Abendmahlzeit von der Frau des Unterpräfekten als Abschiedsgeschenk einen Papagei, den sie schon bald an Félicité weiterverschenkt. Für diese bedeutet das Geschenk aus zweiter Hand nun insofern eine glückliche Restitution, als ihr dadurch jenes Tier zu eigen gegeben wird, das aufgrund seines transatlantischen Ursprungs für ihr verlorenes Liebesobjekt einstehen kann: „il [le perroquet] occupait longtemps l’imagination de Félicité, car il venait d’Amérique; et ce mot lui rappelait Victor“ (612). Der Papagei ist jedoch mehr als das bloße Supplement des toten Neffen, besetzt er doch schon bald jenen grundlegenden Mangel - „un fils, un amoureux“ (615) -, der dem Leben der Félicité eingeschrieben ist. Daß diese supplementäre Tierliebe neben der privaten auch eine politische Restitution in sich birgt, ist bereits darin vorgezeichnet, daß der Tod des greisen Revolutionssünders der Ankunft des Papageis vorausgeht. Dies gilt umso mehr, als der Name des Papageis, Loulou, als Kurzform von Louis/ Louise nicht nur auf den enthaupteten Bourbonen-König Ludwig verweist, sondern zugleich auch auf die Fortsetzung der französischen Monarchie durch die napoleonische Dynastie anspielt: Lou-Lou war der Kosename von Napoléon Eugen Louis Bonaparte, dem Sohn Napoleons III. und Prince impérial des Zweitens Kaiserreichs. 50 So betrachtet steht der Glücksvogel Loulou für einen in doppelter Hinsicht lesbaren „grand bonneur“ (612): Was auf der Handlungsebene als (Wieder-)Gewinnung eines verlorenen Liebesobjekts das persönliche Glück der Félicité ausmacht, läßt sich allegorisch auf die Wiederherstellung der Monarchie beziehen - auf ein nationales Glück also, das in Analogie zu der karitativen Heilsfunktion der Félicité in der versöhnlichen Überwindung der revolutionären Vergangenheit bestünde. Daß sich Flauberts Erzählung einer solch schlichten Allegorese entzieht, zeigt sich nun freilich an der gerade im Rahmen der Restitutionssemantik zweideutig besetzten Tiersymbolik. Loulou ist nämlich das Substitut für ein unwiederbringlich verlorenes Liebesobjekt und verkörpert als solches metonymisch die mit dem Verlust verbundene Melancholie. So ist es auch Loulou, der, als er eines Tages plötzlich verschwindet, Félicité in einen Schockzustand versetzt, von dem sie sich selbst nach der Rückkehr des Vogels nicht mehr wird erholen können. Félicité fällt einer schweren Krankheit anheim, wird in deren Folge allmählich taub und gleitet dann langsam in völlige Vereinsamung ab. Kann sie schließlich nichts mehr außer der „voix du perroquet“ (615) vernehmen, so weist Félicité nun auch jenes für die Melancholie typisches Symptom auf, das Freud als die Fixierung auf ein Liebesobjekt bei gleichzeitiger Isolation des Subjekts von der Außenwelt beschrieben hat. 51 Ein Heilungsprozeß kann für Félicité erst nach dem Tod des Loulou einsetzen. Félicité läßt den toten Vogel ausstopfen und befestigt ihn gleich einem Kruzifix 268 Arts & Lettres an einem Kaminrohr, das in ihr mit Trödel vollgestopftes Zimmer ragt. Mit dem Fetisch gewordenen Loulou vermag Félicité das Verlusttrauma allerdings nur insoweit zu bewältigen, als sie fortan ein Leben in permanenter Trauerarbeit führt: „Chaque matin, en s’éveillant, elle l’apercevait [à Loulou] à la clarté de l’aube, et se rappelait alors les jours disparus, et d’insignifiantes actions jusqu’en leurs moindres détails, sans douleur, pleine de tranquillité“ (617). Politisch interessant wird diese Trauerarbeit, als Félicité einen Epinaler Bilderbogen erwirbt, dessen Darstellung des Heiligen Geistes ihr als das Ebenbild Loulous erscheint, und sie den solchermaßen euphorisch besetzen Bilderbogen in der Folge „à la place du comte d’Artois“ (618) aufhängt. Wie bereits im Zusammenhang von Le Rouge et le Noir zur Sprache gebracht, spielt die Person des Henri d’Artois für das politische Imaginäre der Zeit eine wesentliche Rolle. Bei Stendhal hat der nach dem Tod seines Vaters geborene Thronfolger und Hoffnungsträger der Bourbonen-Dynastie in Juliens ungeborenem Nachfahren noch eine ebenso ominöse wie ideologisch ambivalente Gegenfigur finden können. Ganz anders erscheint der Petit-fils de France vierzig Jahre nach der Juli-Revolution in Un cœur simple: Sein „portrait“ (617) gehört der aristokratischen Madame Aubain neben einem Bild, das ihren 1809 verstorbenen Ehemann in einem „costume de muscadin“ (592) zeigt. Es war damit ursprünglich Teil einer ideologisch kodierten Ausstattung, die - man denke hier an die Musketier-Trilogie von Alexandre Dumas - einer zeitgenössischen Nostalgie nach dem Ancien Régime Rechnung trug. Die nostalgische Königstreue ist mittlerweile aus der Mode gekommen und so auch das Portrait des Thronfolgers zusammen mit allerhand anderem Plunder von Madame Aubains Hausstand in den Besitz der Félicité übergegangen. Bei ihr gewinnt das Portrait an neuer Bedeutung, hängt doch bald neben ihm jener mit Loulou assoziierte Epinaler Bilderbogen, „de sorte que, du même coup d’œil, elle les voyait emsemble“ (618). Wenn nun Félicité ihren Tag rituell mit dem Blick auf den ausgestopften Loulou beginnt, um sich dann ruhig unwiederbringlich vergangener Tage zu erinnern, dann erweist sich der doppelte Blick auf den Bilderbogen und den Thronfolger als eine gleichsam imagologische Trauarbeit, die darin besteht, den Verlust des verlorenen Liebesobjektes mit Hilfe fetischisierter Bildobjekte visuell zu kompensieren. Daß der kompensatorische Blick neben dem pagagei-ähnlichen Heiligen Geist zugleich das Portrait des comte d’Artois einfängt, hat man hier im Zeichen einer Restitution zu lesen, die umso rührender bzw. umso ironischer erscheinen muß, als der Thronfolger von Madame Aubain eben schon zur Entsorgung freigegeben und ihm damit auch jede Bedeutung entzogen wurde. Während sich also Madame Aubain und damit metonymisch der eigentlich dem Royalismus verpflichtete Adel vom Andenken des Thronfolgers abgelöst haben, erfährt dessen Portrait und mit ihm die Monarchie dank des einfachen Herzen der Félicité - sinnbildlich des liebesfähigen Volkes - eine neue, affektische Besetzung und bekommt dadurch auch seinen Erinnerungswert zurückerstattet. Das hier entworfene Bild eines durch Félicité verkörperten Volkes ist vor dem Hintergrund dessen zeitgeschichtlichen Erscheinungsbild zu verstehen, die Flaubert 269 Arts & Lettres im Anschluß an den Aufstand der Pariser Kommune als hassenswert, weil barbarisch erschienen war. 52 Mit Félicité beschreibt Flaubert ein absolutes Mängelwesen, das als Waisenkind von frühester Jugend an für einen Hungerlohn schwere Arbeit verrichtet, ein Leben lang einsam bleibt und nach dem Tod seiner Arbeitgeberin deren gierigen Erben ausgesetzt ist, bis es schließlich in seinem aus Angst vor einer Kündigung verwahrlosten Zimmer stirbt. Das Herz dieses Mängelwesens aber ist herrlich, was davon herrührt, daß es den Mangel in eine Fülle bedingungsloser Liebe umzuwandeln weiß. Nimmt man hinzu, daß Félicité in der Familie Aubain gewissermaßen die Position des fehlenden Vaters einnimmt - man erinnere sich an die Episode, als sie Madame Aubain und deren Kinder vor einem Stier rettet - so verkörpert Félicité ein Volk, das eine neue, bindende Kraft für eine geschwächte Ordnung sein soll - ganz im Gegensatz zu den Kommunarden, deren Umsturzversuch nach der Katastrophe von Sedan eine weitere nationale Krise auslöste. So betrachtet steht die vielbewunderte Sterbeszene der Félicité dann auch nicht allein im Zeichen einer sich darin äußernden poetischen Gerechtigkeit, daß die lebenslang Keusche nun den Weihrauch mit einer „sensualité mystique“ (622) einsaugen darf, der den Mangel ihres irdischen Daseins im Moment des Todes wiedergutmacht. Wenn nämlich Félicité in ihrer Todestrance „dans les cieux entr’ouverts, un perroquet gigantesque, plantant au-dessus de sa tête“ (622) zu sehen glaubt, so trägt sie in dieser Vision gleichsam eine von Loulou gespendete Himmelskrone als Zeichen dafür, daß allein das Liebesopfer des Volkes es vermöchte, die verlorene Aura der französischen Monarchie erneut zum Strahlen zu bringen. Endet Un cœur simple mit einer Epiphanie des Loulou, in der Flaubert den ,heiligen Geist‘ der Monarchie melancholisch-ironisch beschwört, so steht Hérodias, die letzte der drei Erzählungen, im Gegensatz dazu ganz im Zeichen eines politischen Glaubensverlustes. In diesem schon von den Zeitgenossen für obskur befundenen Text spielt Flaubert auf die Enthauptung Ludwigs als ein Ereignis an, das eines sichereren historischen Sinns entbehrt. Das Schlüsselsymbol ist hier der abgeschlagene Kopf Iokanaans, den der Henker Mannaeï auf dem Geburtstagsfest des Herodes vorzeigt: „La tête entra; - et Mannaeï la tenait par les cheveux, au bout de son bras, fier des applaudissements“ (677). Die Beschreibung ruft jene nicht nur zur Revolutionszeit populäre Darstellung des Henkers Sanson in Erinnerung, der den abgeschlagenen Kopf Ludwigs am Haar packt und den Schaulustigen um die Guillotine präsentiert. 53 Vermittels dieser bildlichen Reminiszenz deutet der Kopf Iokanaans zeichenhaft auf den Kopf Ludwigs hin, was sich textstrategisch als insofern interessant erweist, als der historische Regizid damit vermittels eines Objekts angespielt wird, dessen Bedeutung in Hérodias eben gerade unklar bleibt. Dies rührt daher, daß Flaubert den Iokanaan in unkonventioneller Weise zeichnet. Nach der exegetischen Tradition steht die Figur des Täufers in einem typologischen Verhältnis zu Jesus: Als alttestamentarische figura kommt Johannes die symbolische Bedeutung der alten Sonne zu, deren Vergehen auf das Auferstehen Jesu als neutestamentarischer sol novus vorausdeutet. In Hérodias wird nun der für den Tod des Täufers sinnstiftende, typologische Bezug zu Jesus dahinge- 270 Arts & Lettres hend problematisiert, daß die Verkündung des Iokanaan gleichsam ins Leere läuft. Aufschlußreich scheint in diesem Zusammenhang Flauberts Umgang mit dem zentralen Ausspruch aus dem Johannesevangelium - „illum oportet crecscere me autem minui“ (Io. 3, 30) -, bei dem der Täufer seine Beziehung zu Jesus so definiert, daß sie im Hinblick auf die antithetische Semantik von ,crescere‘ vs. ,minuere‘ als die eines Typus zum Antitypus gelesen werden kann. Der Ausspruch des Täufers wird zwar in Hérodias zitiert - dies allerdings in einer Rahmenpragmatik, die den Satz unsinnig erscheinen läßt. 54 Das Bibelzitat ist dort in eine Figurenrede des Henkers Mannaeï eingebettet, der Herodes gegenüber Iokananan als einen physisch instabilen Gefangenen schildert, der sich mal aufrege und auf Befreiung hoffe, mal depressiv wirke wie eine „bête malade“ (651). Erzählt der Henker weiter davon, er habe Iokanaan im Dunkel auf und ab gehen sehen, „en répétant: ‚Qu’importe? ‚pour qu’il grandisse, il faut que je deminue‘“ (651), so erscheint das biblische Diktum als eine rätselhafte Formulierung, und eine solche bleibt sie für die Figuren auch nach dem Tod Iokanaans. 55 Mit dem typologischen Bezug zu Jesu geht in Hérodias jene hermeneutische Grundlage verlustig, vermittels derer der Tod des Täufers als ein heilsgeschichtlich sinnvolles Ereignis interpretiert werden kann. Daher scheint auch der Kopf Iokanaans alles andere als ein durch die christologische Sonnensymbolik motiviertes Zeichen. Flaubert beschreibt ihn sachlich als ein Objekt, das auf der Festtafel des Herodes herumgereicht wird. Die Gäste betrachten ihn mit prüfendem Blick - „ils l’examinèrent“ (678) - ganz so, als ob es sich dabei um einen toten Körper auf einem Seziertisch handele, der nichts verkörpert als die reine Materialität. Als Textsymbol ist der Kopf Iokanaans freilich keineswegs bedeutungslos - steht er doch emblematisch für die unverstandene Ankündigung Jesu in einer heilsfernen Welt. Geschichte ist hier noch nicht Heilsgeschichte und, blind für ihr eigentliches Telos, ist diese Welt zu einem zyklischen Leerlauf verdammt. Diesen Zustand führt Flaubert anhand einer karnevalesken Szene vor: Während auf dem Festmahl des Herodes ebenso heftig wie unverbindlich über den messianischen Status Jesu und die mögliche Prophetenschaft des Iokanaan gestritten wird, gibt sich Aulus Vitellus derart exzessiv der Völlerei hin, daß er sich schließlich essend erbrechen muß. Dem unverbindlichen Sprechen über die Heilsagenten entspricht die sinnlose Völlerei insofern, als der groteske Körper des Römers einen widernatürlichen Kreislauf von Fülle und Leere durchläuft, der das Übel einer Welt darstellt, deren Exzeß von Sinnangeboten - die Speisen, die diversen Deutungsmöglichkeiten - zugleich Symptom ihrer Opazität ist. In Hérodias können daher auch die Dinge stets zweideutig interpretiert werden - gleichviel, ob es sich dabei um die Person Jesu oder um den Rechtsstatus der Ehe zwischen Herodes und Hérodias handelt. Wenngleich Iokanaan Hérodias mehrfach öffentlich wegen des Inzestes geißelt und deshalb ihre Rache auf sich zieht, vertritt er dabei eine Position, deren Alleingültigkeit im Text keineswegs auktorial bestätigt wird. 56 So bleibt es auch nach dem Tod Iokanaans, womit die Inzestfrage ebensowenig eindeutig entschieden wird wie die Frage bezüglich der Rolle Iokanaans als Vorbote Jesu. In diesem 271 Arts & Lettres Sinne ist der Tod des Iokanaan dann auch ein sinnloses Opfer - verfehlt er doch seine Wirkung, Eindeutigkeit in einer durch Mehrdeutigkeit entdifferenzierten Welt zu stiften. Die auf der Handlungsebene persistente Opazität findet auf der Vermittlungsebene nun darin ihre Entsprechung, daß es dort wiederum die Überfülle von Sprachzeichen ist, die für die vielkommentierte Obskurität des Textes verantwortlich ist. Sowohl die nur bedingt handlungsmotivierte Multiplikation der Personennamen - Herodes wird etwa in drei Namensvariationen genannt - als auch die Hypertrophie von Fremdwörtern erzeugen ein Wirrwarr der Zeichen, 57 das genauso undurchsichtig ist wie die politischen Intrigen, die in der Geschichte weniger auserzählt als vielmehr angesprochen werden. Flaubert - soviel kann man wohl ohne Risiko sagen - ist es ganz offenbar darum zu tun, mit Hérodias einen Text zu schreiben, der unlesbar 58 wirkt. Gleichwohl will er diese Unlesbarkeit nicht nur als ein poetisches Programm verstanden wissen, was sich daraus erschließt, daß er dem Kopf Iokanaans über den Verweis auf den Kopf Ludwigs eine deutlich politische Dimension zuschreibt. Folgerichtig scheint es dann, die in Hérodias dargestellte Welt der Zeitenwende geschichtsallegorisch zu lesen und zwar als das Sinnbild einer säkularisierten Welt, deren Geschichte sich vom heilsgeschichtlichen Telos abgekoppelt hat: Ebenso wie das Haupt des Iokanaan ohne den heilgeschichtlichen Zusammenhang unverstanden bleibt, wird das Haupt des Königs bedeutungslos für eine Geschichte, die sich des christlichen Geschichtstelos entledigt hat. Als obskurer Text ist Hérodias das Symptom einer Zeit, der mit dem transzendentalen Garanten der Sinnstiftung auch die Lesbarkeit abhanden gekommen ist. Als allegorischer Text steht Hérodias exemplarisch für eine von der christlichen Schriftordnung abgefallene Zeichenwelt, in der das an das Evangelium gebundene Leben des Täufers nun einer narratio fabulosa freigegeben wird, welche - gleichsam eine Travestie der Integumentum-Lehre - anstelle der christlichen Wahrheit die Sinnkrise einer desakralisierten Welt veranschaulicht. Geschichtsallegorisch konkretisiert stellt das sinnlose Opfer Iokanaans aber nicht nur eine Absage an die konterrevolutionäre Wunschvorstellung vom Tod Ludwigs als einem heilsgeschichtlich bedeutsamen Opfer dar. Es ist vielmehr so, daß Flaubert damit dem historiographischen ,Masterdiskurs‘ seines Jahrhunderts, dem teleologischen Geschichtsnarrativ, die Gültigkeit entzieht. Hérodias erzählt eine biblische Geschichte ohne Heilstelos und meint dabei zugleich eine unlesbar gewordene Nationalgeschichte, deren historischer Referenzhorizont nicht zuletzt in der mit der Katastrophe von Sedan einhergehenden nationalen Krise liegt. Daß Flaubert seine Erzählung mit Blick auf den deutsch-französischen Krieg schreibt, läßt sich an der Figur der Hérodias belegen. Als politisch ambitionierte Frau und dem Ehemann sexuell unattraktiv gewordene Gattin weist Hérodias zwei Charakteristika auf, die sie mit der historischen Eugénie de Montijo teilt. Die vielfach betrogene und politisch aktive Ehefrau Napoleons III. übernahm während der Abwesenheit des Kaisers mehrmals die Regentschaft und galt auch als diejenige, 272 Arts & Lettres die ihren Mann für einen Waffengang gegen Preußen gewonnen hat. Wenn nun Flaubert seine Titelheldin der Eugénie anverwandelt und seinen Text auf den deutsch-französischen Krieg hin perspektiviert, dann erweist sich dieser historische Kontext besonders im Hinblick auf die für Hérodias zentrale Kopfsemantik als signifikant. In Frankreich geht mit dem verlorenen Krieg nicht nur das zweite Kaiserreich unter, sondern auch die Monarchie als jene Herrschaftsform, die selbst nach dem revolutionären Umsturz des Ancien Régime immer wieder als Alternative zur Republik fortbestanden hatte. Für Hérodias ist darüber hinaus auch der Umstand interessant, daß die Monarchie nach der Gründung der dritten Republik dennoch nicht erledigt, sondern lediglich aufgehoben wird: Die Nationalversammlung versuchte bei der Formulierung des Verfassungsgesetzes von 1875, die Möglichkeit einer Wiedereinführung der Monarchie offenzuhalten und besetzte den vakanten Platz des Königs mit Marschall Mac-Mahon - dem sogenannten Platzhalter der Monarchie. Die so konstitutionell verankerte attente monarchique versetzte Frankreich politisch in einen Erwartungszustand - in eine Zeit des ‚Noch-Nicht‘ gewissermaßen, die jener Zeit der Zeitenwende in Hérodias insofern ähnlich ist, als hier die Ankunft des Messias, dort die Rückkehr der Monarchie gleichermaßen ungewiß ist. Die Ironie Flauberts besteht hier freilich darin, daß er, indem er seiner Bibelgeschichte das Heilstelos verweigert, damit auch die attente monarchique für eine historische bêtise deklariert. Denn ohne den heilgeschichtlichen Bezugsrahmen hat der Kopf Iokanaans keine Bedeutung; und in einer nicht mehr christlich lesbaren Welt hat es auch keinen Sinn, auf den toten König zu warten. IV Zur Revolution von 1848 bemerkt Flaubert in L’éducation sentimentale: „Le spectre de 93 reparut, et le couperet de la guillotine vibra dans toutes les syllabes du mot République.“ (354) Die nach-revolutionäre Geschichte erweist sich damit ein weiteres Mal als Revolutionsgeschichte, wenn in dem Wort der „République“ das Fallbeil der Guillotine mitschwingt. Diese dysphorische Geschichtslogik, die der 1869 erschienene Roman immerhin noch aufzuweisen hat, wird in den nach dem deutsch-französischen Krieg veröffentlichten Trois contes systematisch durchstrichen. Daß der Sinnverlust der Geschichte mit dem Zerfall einer transzendental gesicherten Zeichenordnung einhergeht, läßt sich in den drei Erzählungen durch eine zusehends von christlicher Überformung abgewandte Erzählstruktur erkennen. So ruft noch in Saint Julien l’hospitalier der Fluch des schwarzen Hirsches das analogische Denkmodell auf, welches sich nicht nur im Moment von Juliens Elternmord als wirksam erweist, sondern auch in einem Erzählschema zum Tragen kommt, dem vor allem im Hinblick auf die vermittels der Tiersymbolik genau markierten antithetischen Korrespondenzstruktur das figuraltypologische Prinzip zugrunde liegt. 59 In Un cœur simple spiegelt sich die göttliche Dreizahl in den drei namentlich genannten Liebesobjekten der Félicité wieder und kennzeichnet damit jedoch bereits eine Verlustkette, deren Initialsignifikant ,Théodore‘ - so heißt Félici- 273 Arts & Lettres tés erste unerfüllte Liebe - nur noch auf Gott als einen ursprünglichen Mangel verweisen kann. Bleibt in Hérodias die Verkünderrolle des Täufers letztlich ungeklärt, so bricht mit dem um die typologische Aufstiegsprogression gebrachten Kopf des Iokanaan nicht nur das heilsgeschichtliche Narrativ als ein sinnstiftendes Erzählparadigma ab, sondern auch jene Geschichte des Realismus, deren Gründungmoment in Le Rouge et le Noir im Fall der „tête poétique“ Juliens bestanden hatte. ,Le spectre de 93‘ bleibt indes über die Hochphase des realistischen Romans hinaus auch für die postmoderne Schriftreflexion eine wichtige Denkfigur. Roland Barthes kommt hier eine zentrale Rolle zu, wenn er sein Konzept der écriture an die um die Transzendenz gebrachte Welt der Postrevolution anschließt und er damit insofern in beträchtlicher Nähe zu Flaubert steht, als er die Ära nach der Revolution in seiner Michelet-Deutung im Sinne einer Zwischenzeit begreift: „un temps gracieux ou affreux, un temps surnuméraire, tout comme le Temps de la Patience de Dieu, offert aux chrétiens entre la mort du Christ et la Jugement denier“. 60 Hat bereits Flaubert die vorheilsgeschichtliche Zwischenzeit in Hérodias als eine opake Zeichenwelt zur Darstellung gebracht, so geht dann auch bei Barthes die nun auf die Parusie bezogene postrevolutionäre Zeit des ‚Noch-Nicht‘ mit einer gestörten Zeichenordnung einher. Es kommt daher nicht von ungefähr, wenn Barthes in dem fünfzehn Jahre nach seinem Michelet-Buch erschienenen Essay „L’effet de réel“ 61 Flaubert als paradigmatischen Autor der Moderne feiert, dessen „grande affaire“ (484) - so Barthes hypothetisch - „la désintégration du signe“ (484) zu sein scheine. In demselben Essay hat Barthes bekanntlich das Barometer in Un cœur simple als Paradebeispiel für den titelgebenden „effet de réel“ genommen. Dieses Barometer gilt Barthes dabei als ein Zeichen, das im semiotischen System des Textes keine Konnotation aufzuweisen scheint und also suggeriert, es würde nichts als ein außertextuell reales Objekt bezeichnen. Mit Hilfe solcher reinen Denotate wird Barthes zufolge ein „effet de réel“ erzeugt - ein Effekt, der den Realismus insofern als eine im Sinne der Desintegration der Zeichen zu begreifende, moderne Schreibweise kennzeichnet, als die für den Realismus wesentliche „ilusión réferentielle“ (484) nur dann entsteht, wenn sich der Signifikant einzig auf den Referent zu beziehen scheint, das Signifikat indes ausgeblendet und die „nature tripartite du signe“ (484) mithin entstellt wird. Die Grundannahme, auf der Barthes’ Realismus-Deutung aufruht, ist eine Lektüre von Flauberts Barometer, die frappierend an das hermeneutische Problem in Hérodias erinnert. Denn ähnlich wie der Kopf Iokanaans, der auf dem Festmahl von Herodes ein sinnleeres Objekt darstellt, wird Flauberts Barometer bei Barthes zu einem unmotivierten Zeichen, das innerhalb der Zeichenordnung des Textes keinen Sinn zu haben und daher die pure Referentialität zu evozieren scheint. In Bezug auf Iokanaans Kopf hat die Bedeutungslosigkeit darin einen allegorischen Sinn, daß sie sich auf eine Nationalgeschichte beziehen läßt, die sich einer teleologischen Deutung widersetzt und dabei als ein der Symbolisierung resistentes - wenn man so möchte - Reales erweist. Dahingegen steht Flauberts Barometer bei Barthes am Anfang einer Schrift, die ihren Fall von dem „ordre sacral des Signes 274 Arts & Lettres écrites“ 62 so konsequent betreiben will, daß das bereits desintegrierte Zeichen - so Barthes am Ende von „L’effet du réel“ - leer wird: „il s’agit [...] aujourd’hui, de vider le signe“ (484). Was damit gemeint ist, ist wohl die Tilgung der Referenz nach dem Signifikat als einer weiteren Einheit aus der „nature tripartite“ (484), der ,Dreifaltigkeit‘ der Zeichen. Übrig bliebe allein die écriture - ein auf die Signifikanten fixiertes Schreiben, das in der sinnentfremdeten Welt der posthistoire nur noch an der chaîne signifiante festhalten will. 1 „Discussion entre Jean-François Lyotard et Richard Rorty“, in: Critique 456 (Mai 1985), 583. Ein kritischer Kommentar zu Lyotards Äußerung findet sich bereits bei S. Dunn, The Deaths of Louis XVI. Regicide and the French Political Imagination, Princeton 1994, 165, Anm. 1. Dunns exzellenter Studie sind auch einige der folgenden Überlegungen zur Hinrichtung Ludwigs XVI. zu verdanken. 2 „Discussion entre Jean-François Lyotard et Richard Rorty“, 583: „Nous savons cela par notre historie, car nous avons quand même changé quelque dix fois de Constitution depuis ce crime, et ce n’est pas par hasard. La question de la légitimité risque toujours d’être posée à propos de n’importe quel petit fait politique, ce qui n’est pas le cas aux Etats-Unis.“ 3 A. Camus, L’homme révolté, Paris 1951, 152f. 4 Ebd., 152. 5 Vgl. R. Girard, Le bouc émissaire, Paris 1979. 6 I. Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, in: I. Kant, Werke, hrsg. v. W. Weischedel, Bd. IV.: Schriften zur Ethik und Religionsphilosophie, Darmstadt 1956, 440-442. 7 Zur Hinrichtung Ludwigs als literarischem Mythos vgl. Dunn, The Deaths of Louis XVI., 95-164. 8 L’Education sentimentale. Histoire d’un jeune homme [1869], in: G. Flaubert, Œuvres, Bd. II, hrsg. v. A. Thibaudet u. R. Dumesnil, Paris 1959, 327. Alle Textzitate folgen dieser Ausgabe. 9 Eine wesentliche Parallele zwischen dem Cervantinischen und dem Stendhalschen Roman hat R. Girard im Hinblick auf die Struktur des „désir traingulare“ aufgezeigt. In: R. Girard, Mensonge romantique et vérité romanesque [1961], Paris 1999, 15-67. 10 Le Rouge et le Noir. Chronique de 1830, in: Stendhal, Romans et Nouvelles I, hrsg. v. H. Martineau, Paris 1952. Alle Textzitate folgen dieser Ausgabe. 11 Juliens Rede ist nur innerhalb des fiktiven Sprechaktes ideologisch eindeutig. Die antibourgeoise Rhetorik erweist sich als eine Argumentationsstrategie, als Julien nach der Gerichtsrede Mathilde die Frage stellt: „[c]royez-vous que Boniface de La Môle ait été mieux devant ses juges? “ (678) und damit seine Verteidigungsrede ins Licht einer Selbstinszenierung rückt. Ideologisch ambig ist Juliens Rede auch in der Hinsicht, daß sie, wie S. Petrey bemerkt, nichts anderes als die bürgerliche Ideologie der Chancengleichheit vermittelt. Vgl. S. Petrey, Realism and Revolution. Balzac, Stendhal, Zola and the Performances of History, Ithaca u. London 1988, 128. 12 Vgl. hierzu Dunn, The Deaths of Louis XVI., 17f. 13 So faßt Michelet das Plädoyer von Saint-Just zusammen. Vgl. Michelet, Histoire de la Révolution Française [1847-1853], Paris 1952, Bd. II. 73. Robespierre spricht in seiner Rede am 3. Dezember 1792 gegen einen Prozeß Ludwigs im Hinblick auf die Aporie, daß damit implizit auch die Rechtmäßigkeit der Revolution in Frage gestellt würde: „Louis ne 275 Arts & Lettres peut donc être jugé; il est dejá condamné, ou la Révolution n’est point absolute. Proposer de faire le procès à Louis XVI, [...] c’est mettre la Révolution elle-même en litige“. In: M. Walzer, Régicide et Révolution. Le procès de Louis XVI. Discours et controverse, Paris 1989, 220. 14 „Discours sur le jugement de Louis XVI prononcé à la Convention nationale le 13 Novembre 1792“, in: Saint-Just, Œuvres complètes, Paris 2004, 480. 15 Ebd., 483. 16 So Michelet bezüglich der Rede von Saint-Just in: Histoire de la Révolution française, 73. Vgl. hierzu C. C. O’Brien, „Nationalism and the French Revolution“, in: The Permanent Revolution. The French Revolution and its Legacy 1789 - 1989, London 1988, 34. 17 Vgl. hierzu Dunn, The Deaths of Louis XVI., 18, Anm. 14. 18 Walzer, Régicide et Révolution, 229. 19 Auch der Jakobinische Diskurs über die monströse Natur Ludwigs XVI. scheint sich bei Stendhal niederzuschlagen. Wie P. Brooks bemerkt wird Julien immer wieder als Monster bezeichnet, wenn es um seine erotische Transgression und seine rebellische Haltung seinem Vater gegenüber geht. P. Brooks, Reading for the Plot. Design and Intention in Narrative, New York 1984, 67 u. 80f. 20 „En sortant, Julien crut voir du sang près du bénitier, c’était de l’eau bénite qu’on avait répandue: le reflet des rideaux rouges qui couvraient les fenêtres la faisait paraître du sang“. (240). 21 R. Warning deutet das Rote als Symbolfarbe für Juliens Beziehung zu Madame de Rênal, bei der „sakralisierte Liebe und profanierte Religiosität“ auf komplexe Weise enggeführt werden. Vgl. R. Warning, „Mimesis als Mimikry: Die ,Realisten‘ vor dem Spiegel“, in: ders., Die Phantasie der Realisten, München 1999, 9-34. Hier 29. 22 Vgl. F. Kern, Gottesgnadentum und Widerstandsrecht im früheren Mittelalter. Zur Entwicklungsgeschichte der Monarchie [1914], Darmstadt 6 1973, 175f. 23 Vgl. Joseph de Maistre, „Eclaircissement sur les sacrifices“ [1821] in: Œuvre, hrsg. v. Pierre Glaude, Paris 2007, 805-839. Zur Stilisierung Ludwigs als Märtyrer bereits vor dessen Hinrichtung vgl. D. Arrasse, La guillotine et l’imaginaire de la terreur, Paris 1987, 70f. 24 Vgl. Dunn, The Deaths of Louis XVI., 26-37. 25 Michelet, Histoire de la Révolution Française, 189. Ebendort deutet Michelet die Popularität des Königs als einen negativen Effekt des gegen ihn geführten Prozesses: „Ce procès, avait eu l’effet très fatal de montrer le Roi au peuple, de le replonger dans le peuple, de les remettre en rapport. Louis XVI, à Versailles, [...] était inconnu au peuple. Au Temple, le voilà justement comme un vrai roi devrait être, en communication avec tous, mangeant, lisant, dormant sous les yeux de tous; commensal, pour ainsi dire, et camarade du marchand, de l’ouvrier“. 26 Ebd. 27 Eine Transkription von Sansons Brief findet sich bei Chateaubriand, Essai sur les révolutions [1797], Paris 1978, 333f. Zitat auf 334. Zur narrativen Ausarbeitung der ,scène de l’échaffaud‘ in der zeitgenössischen Presse vgl. Arrase, La guillotine et l’imagination de la terreur, 76ff. 28 Chateaubriand, Essai sur les révolutions, 333. 29 Nach Michelet, Histoire de la Révolution Française, 187. 30 Vgl. R. A. Jackson, Vive le roi! History of the French Coronation from Charles V to Charles X, Chapel Hill/ London 1984, 191-197. 276 Arts & Lettres 31 Vgl. N. Elias, Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie [1969], Frankfurt a. M. 1997, 102-119. 32 M. Samuels, The Spectacular Past. Popular History and the Novel in Nineteenth-Century France, Ithaca & London 2004, 261f. 33 So der vollständige Name des Henri d’Artois, späteren Grafen von Chambord: Henri Charles Ferdinand Marie Dieudonné. Zum Umstand seiner Geburt vgl. G. Poisson, Le comte de Chambord. Henri V, Paris 2009, 7-16. 34 Ebd., 10. 35 Nach der Proklamation der III. Republik wurde Henri d’Artois der Thron angeboten. Seine Ablehnung der Trikolore machte jedoch die Hoffnung auf eine Wiedereinführung der konstitutionellen Monarchie zunichte. 36 Zum Begriff der mise en abyme vgl. L. Dällenbach, Le récit spéculaire. Essai sur la mise en abyme, Paris 1977. 37 Stendhal, Œuvres intimes, hrsg. v. V. del Litto, Paris 1982, 634. 38 Daß Stendhal mit der Spiegelmetaphier keine naive Wiederspiegelungstheorie formuliert, hat bereits R. Warning gezeigt. Warning liest Stendhals Spiegel-Vergleich vor dem Hintergrund des Diderotschen Nachahmungskonzepts, wonach der ideale Schauspieler ein von ihm selbst geschaffenes Modell gleichsam einem fantôme anzugleichen versucht. Dies überträgt Warning so auf den realistischen Roman, daß dieser anstelle der Wirklichkeit ein Wirklichkeitsmodell nachahmt. Das realistische Erzählen kommt demnach einem Imitationsspiel gleich, das ähnlich wie das Schauspiel im Sinne Diderots darauf abzielt, ein phantomartiges Vorbild qua mimetischer Performanz einzuholen. Für den realistischen Roman ist daher ein imaginäres Moment wesentlich und ebendarauf verweist auch Stendhal vermittels der ironischen Einbettung der Spiegelmetapher. Vgl. Warning, Phantasie der Realisten, 15-22. 39 Vgl. „Le stade du miroir comme formateur de la fonction du Je telle qu’elle nous est révélée dans l’expérience psychanalytique“ [1949], In: J. Lacan, Ecrits, Paris 1966, 93-100. 40 Vgl. P. Nykrog, „Les Trois contes dans l’évolution de la structure thématique chez Flaubert“, in: Romantisme 6 (1973), 55-66. Hier 60. 41 Einen rezenten Beitrag in dieser Hinsicht leistet B. Vinken, Flaubert. Durchkreuzte Moderne, Frankfurt 2009. Vinken deutet den Realismus der Trois contes in Anschluß an Auerbach als einen „im Erhabenen realistischen Stil“, den Flaubert „als eine Poetik der Kenosis, der Entäußerung und Erniedrigung entwickelt hat, um das Skandalon des Evangeliums aus der verschärften Ambivalenz heraus - aus der Erhöhung am Kreuz - zu inszenieren. Als ein gegen das Evangelium gerichtetes Testament unter den Umständen einer gottverlassenen, entfremdeten und verdinglichten Welt ertabliert Flaubert den ‚Realismus‘ der Trois contes.“ Ebd. 352. 42 Die Rückkoppelung des religiösen Sujets zum profanen Diskurs bei Flaubert hat bereits B. Teuber aus einer epistemologischen Perspektive beleuchtet. Anhand von Textfassungen der Tentation de Saint Antoine zeichnet Teuber eine zunehmende Entallegorisierung nach und zeigt ferner, wie das Zitat historischer Diskurse an die Stelle der Allegorie rückt. Vgl. B. Teuber, „Imagination und Historie in Flauberts Tentation de Saint Antoine“, in: Poetologische Umbrüche. Romanistische Studien zu Ehren von Ulrich Schulz-Buschhaus, München 2002, 105-124. 43 E. Dorn, Der sündige Heilige in der Legende des Mittelalters, München 1967. 44 Nach Flaubert, Œuvres, Bd. II. Alle Seitenangaben von Trois contes folgt dieser Ausgabe. 45 Ballanche, L’homme sans nom, Paris 1989, 42. 277 Arts & Lettres 46 Hier verstanden im Sinne von M. Bachtin als eine Zeit des Abenteuers, in der sich weder die Ausgangssituation der Handlung - bei Flaubert der Fluch über Julien - noch der Charakter des Helden - Juliens Mordlust - verändert. Vgl. Bachtin, Chronotopos [1975], übers. v. M. Dewey, Frankfurt a. M. 2008, 12. 47 Hier nach Dunn, The Deaths of Louis XVI. 115, Anm. 65. 48 Ballanche, L’homme sans nom, 40. 49 Kursiv vom Verf. 50 So trägt der von Marthe Bibesco 1938 (unter dem Pseudonym Lucile Decaux) veröffentlichte, biographische Roman auch den Titel Lou-Lou Prince impérial. 51 „Trauer und Melancholie“ [1916], in: S. Freud, Gesammelte Werke X. Werke aus den Jahren 1913-1917, hrsg. v. A. Freud, Frankfurt am Main 1999, 427-446. 52 Bezeichnend in dieser Hinsicht ist der auf 30. 04. 1871 datierte Brief an George Sand, in: Flaubert, Correspondance, hrsg. v. B. Masson, Paris 1998, 586-589. 53 Das Vorzeigen des abgeschlagenen Kopfes gehörte zum Hinrichtungsritual. Eine Auswahl bildlicher Darstellungen - darunter auch die angesprochene - findet sich in den Illustrationen bei Arrasse, La Guillotine et l’imaginaire de la terreur (Ohne Seitenangabe). 54 Eine einläßliche Diskussion der von Flaubert betriebenen systematischen Verunklarung des typologischen Verhältnisses findet sich bei J. Dünne, Asketisches Schreiben. Rousseau und Flaubert als Paradigmen literarischer Selbstpraxis in der Moderne, Tübingen 2003, 308-310. 55 Einzig der Textschluß enthält eine Andeutung auf die Verkünder-Rolle des Iokanaan. Diese steht allerdings in Rahmen der Figurenrede und wird nicht auktorial bestätigt. Vgl. hierzu Dünne, Asketisches Schreiben, 310. 56 Die verschiedenen Ansichten zur Inzest-Frage werden, ebenso wie die Interpretation des Iokanaan, im Rahmen der Figurenrede dargeboten. Vgl. 666 der zitierten Ausgabe. 57 Die in Hérodias inszenierte Diversität von Zeichen und unmögliche Kommunikation sind wiederholt mit der babylonischen Sprachverwirrung verglichen worden. So spricht F. Jameson in Bezug auf Trois contes von „babel of codes of the secular world“. Vgl. „Flaubert’s Libidinal Historicism“, in: N. Schor/ H. F. Majewski (eds.), Flaubert and Postmodernism, Lincoln and London 1984, 76-83. Hier 83. B. Vinken zufolge wird in Hérodias der „römische Zustand der Geschichte“ mit dem babylonischen Topos illustriert. In: Durchkreuzte Moderne, 456. 58 So hat etwa G. Genette Hérodias als „unreadable“ deklariert. Vgl. „Demotivation in Hérodias“, in: Flaubert and Postmodernism, 192-201. Hier 201. 59 Neben dem symbolträchtigen Hirsch wird die Korrespondenzstruktur zwischen den beiden Kursus auch durch weitere Tiergestalten markiert. So tritt etwa der Vater Juliens in einer „pelisse de renard“ (624) auf und wird dadurch mit jenem „renard“ (637) in Verbindung gebracht, der Julien als Vorbote des Vatermordes vor dem Fenster erscheint und in ihm erneut die Jagdlust erweckt. Zur Figuraltypologie als einem grundlegenden Strukturmodell des doppelten Kursus vgl. R. Warning, „Formen narrativer Identitätskonstitution im höfischen Roman“, in: H.-R. Jauß/ E. Köhler (eds.), Grundriss der Romanischen Literaturen des Mittelalters, Bd. IV. 1. Le roman jusqu’à la fin du XIII e siècle, Heidelberg 1978, 25-59. 60 Michelet par lui-même, in: R. Barthes, Œuvres complètes, hrsg. v. E. Marty, Paris 2002- 2005, Bd. I, 281. 61 In: Barthes, Œuvres complètes, Bd. II, 479-495. Alle Seitenangaben folgen dieser Ausgabe. 62 Le degré zéro de l’écriture, in: Barthes, Œuvres complètes, Bd. I., 139. 278 Comptes rendus KARL HEINZ GÖTZE, SÜSSES FRANKREICH? MYTHEN DES FRANZÖSISCHEN ALLTAGS, FRANKFURT/ MAIN, FISCHER, 2010, 318 S. Je me souviens de la rencontre, il y a longtemps, avec un collègue allemand qui devait devenir un ami. La scène se passe dans une brasserie bavaroise. Je commande une grande bière, il me fait une déclaration comme quoi il refuse cette Allemagne-là, que les vraies valeurs allemandes sont dans sa langue, dans sa musique et chez ses exilés. J’étais abasourdi et ne pensait que la grande bière que je n’aurais jamais bue ailleurs méritait une telle leçon. Nous jouions l’un et l’autre sur les clichés et les susceptibilités identitaires. Karl Heinz Götze qui a déjà expliqué les „affaires françaises“ à un public allemand nous offre un bel essai sur son expérience d’Allemand vivant en France. Roland Barthes a donné un modèle de perspicacité critique dans des Mythologies, devenues classiques. Karl Heinz Götze ne prétend pas à cette acuité lapidaire, il préfère mêler anecdotes et analyses, souvenirs et hypothèses. Il parle de la France, si proche, si lointaine, à ses compatriotes et parvient à éviter le réquisitoire et le plaidoyer. Il aime son pays d’accueil, l’amour ne lui fait pas perdre sa lucidité. Il est critique et compréhensif, ironique et indulgent. Il est aussi agréable, mais aussi instructif à suivre pour un lecteur français que, j’imagine, pour un lecteur allemand. Et d’abord, il choisit le style de l’essai à sauts et à gambades, sans lourdeur académique; une rapide bibliographie finale suffit à celui qui veut plus de références. L’ami qui ne supportait pas la bière s’en prenait aussi à l’absence de style de la plupart des universitaires allemands, prisonniers de leur syntaxe et de l’effet de sérieux scientifique. Il appréciait l’essayisme à la française, héritier des philosophes cartésiens, capables de parler dans un salon mondain. K. H. Götze récuse la distinction mondaine, mais s’adresse au public le plus large, sans l’accabler de citations savante. Une belle formule en dit plus que dix notes bardées de références. Le style est séduction, et est déjà au cœur de l’essai. K. H. Götze choisit six thèmes qui lui permettent d’entrer dans la mythologie française d’hier et d’aujourd’hui, puisque sa thèse est que, si la mondialisation rapproche les pays, en particulier de chaque côté du Rhin, si elle rabote les différences et tend lentement à effacer les spécificités, les traditions sont lentes à disparaître. Elles ont la vie dure. Le poids du passé continue à se faire sentir dans la vie quotidienne. Notre moraliste commence par un tour de France qui suit les cyclistes de la grande boucle. Il commence par le „Tour de France“: spectacle qui inspirait autrefois des accents épiques aux journalistes et aux écrivains ne craignant pas de tremper leur plume dans cette actualité sportive, spectacle qui aujourd’hui est transmis à la télévision. Les équipes nationales sont remplacées par des équipes commerciales. Les petits gars venus du fond de leur campagne ont laissé place à des mutants trafiqués par des laboratoires sans scrupules. La course à l’audience favorise le dopage. Cette traversée du pays n’en reste pas moins un hymne, teinté désormais de nostalgie, aux terroirs, à la diversité des paysages, une mythologie de l’effort et de l’adversité. Tout finit, comme il se doit dans un pays centralisé, par un dernier sprint et un tour d’honneur sur les Champs-Elysées et par des zooms sur Notre-Dame et la Tour Eifel. Après ce tour de piste viennent la nourriture et le vin. Le pays de l’excellence culinaire est ravagé par la mal-bouffe, le petit commerce des bouchers, des charcutiers, des fromagers est sinistré par les grandes surfaces où la viande et le fromage sont pré-coupés sous 279 Comptes rendus plastique. Les Italiens ont su imposer la pizza au monde entier, les Espagnols leurs tapas et bientôt le gaspacho. Il n’est pas jusqu’aux Japonais qui savent imposer leurs suchis. Que restent-ils aux Français? Le luxe et le haut de gamme, les menus de la famille royale anglaise rédigés en français, le nom de plats compliqués. Il reste le plaisir de manger, la diversité des repas, le temps passé à faire les courses et à cuisiner, quand on le peut, le goût de l’expérimentation aux fourneaux et le grand art d’en parler. K. H. Götze sait parler avec humour de cette tristesse des repas soumis aux lois de la diététique, aux régimes personnels quand ce n’est pas aux interdis religieux. Il évoque ces jeunes Allemands qui arrivent en France pour chipoter sur ce qu’il y a dans leur assiette et réclamer des plats particuliers. La tradition catholique du rituel eucharistique, la transition révolutionnaire des cuisiniers passant des cuisines aristocratiques aux grands restaurants bourgeois ont élevé la nourriture en France à un art de vivre ensemble dans lequel on continue à communier. L’austérité réformée s’est masquée, de l’autre côté du Rhin, en hygiène de vie et en respect écologique des animaux. Les bouchers ne doivent plus manier leurs grands couteaux et découper la viande en public. Ils ne doivent plus être les héros de récits érotiques comme dans le roman d’Alina Reyes qui s’intitule justement Le Boucher. K. H. Götze compare encore avec brio deux livres à peu près contemporains: la Physiologie du goût, ou méditations de gastronomie transcendantales de Brillat-Savarin et le Geist der Kochkunst de Karl Friedrich Rumohr; chaque couple fait sens: Geist contre physiologie, Kunst contre philosophie. Il salue pour finir la sociabilité française du bien manger, la convivialité du manger ensemble. Il en va de même pour le vin. Un article lui est consacré dans les Lieux de mémoire, dirigés par Pierre Nora. Longtemps on a identifié la nation du vin contre celle de la bière, mais l’alcoolisme a exercé les mêmes ravages de part et d’autre du Rhin. Les vignobles californiens, sud-américains ou australiens menacent aujourd’hui la production de l’hexagone. Le film Mondovino nous a montré comment le marketing international menace la diversité des goûts. La qualité a fait un bon surprenant en Allemagne comme en France et rapproché nos deux pays. Mais les Français restent les champions de la consommation et conservent une culture du vin. Le vin demeure pour eux un principe de plaisir et de tolérance. Je me souviens de mes premières années de collaboration au Magazine littéraire, dirigé alors par Jean-Jacques Brochier et Jean-Claude Fasquelle. J’y ai autant appris en gastronomie qu’en littérature. J’ai vite découvert que la principale partition entre les écrivains français passe entre le Bourgogne et le Bordeaux, entre les vignerons des terroirs de l’Est et les aristocrates des châteaux du Sud-Ouest. J’ai découvert qu’il n’y avait pas de projets, de discussions, de débats intellectuels sans agapes et libations, pas plus que de succès et de prix littéraires sans bouchons de champagne qui sautent. On se met à sentir la chair des mots en même temps que celle du gibier et des poissons. On se met à goûter la différence entre deux synonymes, de même qu’entre deux appellations contrôlées de vignobles voisins. Il faudrait détailler chaque chapitre. Celui qui est consacré aux femmes et au faux débat entre séduction et libération est bien venu. Une femme peut-elle se revendiquer indépendante sans renoncer à séduire? Mettre en cause radicalement la domination masculine et négocier jour après jour de subtils compromis avec ses compagnons d’une nuit ou d’une vie? Les Français doivent-ils renoncer au préjugé favorable qu’ils accordent aux séducteurs et aux séductrices ou doivent-ils céder au voyeurisme moralisant et au bé- 280 Comptes rendus gueulisme curieux de ce qui se passe dans les alcôves? Ils restent heureusement, pour l’instant, choqués de ce que l’opinion publique dans d’autres pays puisse confondre la qualité d’un homme politique et sa fidélité conjugale. Internet ne leur a pas encore fait confondre débats publics et ébats intimes. Pour eux, le sérieux n’est pas forcément contradictoire avec l’agréable, ni le solide avec le séduisant. Le superficiel peut être parfois profond. Tel est aussi le principe de la mode. Bousculée, noyée par l’internationalisation de l’industrie du vêtement, la France reste fidèle au modèle de l’aristocratie de cour et l’Allemagne au préjugé bourgeois contre le brillant et le futile. Le concert des nations a besoin de ces décalages. Les Allemands doivent rêver des Parisiennes élégantes, de même que souvent les Français se laissent séduire par une certaine idée du raffinement florentin ou, depuis quelque temps, de l’inventivité barcelonaise. Le dernier chapitre s’intitule „Révolution“. C’est là que le Français apprend le plus sur lui-même, sur la contradiction entre les revendications de liberté et d’égalité. Une grande partie de la population de ce côté-ci du Rhin reste pointilleuse sur la défense de ses droits, elle a la pétition, la manifestation et la grève faciles. Elle descend vite dans la rue. Mais cette même population est pleine d’indulgence pour la monarchie républicaine et le maintien non seulement des inégalités, mais aussi des hiérarchies. Ce qu’on nomme „les ors de la république“ sert de décor à des comportements politiques qui seraient insupportables ailleurs. Etrange mélange d’égalitarisme républicain et d’absolutisme qui perdure. La prétention à la grandeur nationale des successeurs de De Gaulle est en contradiction avec la réalité économique et géopolitique de la France dans le monde d’aujourd’hui, mais K. H. Götze admire malgré tout un sens de l’universel. La force de la pensée généralisante peut-elle lutter contre la globalisation? Il manque, reconnaît l’auteur bien volontiers, un chapitre sur la langue, un autre sur l’intellectuel engagé. Personnellement j’aimerais un regard allemand sur la place de la littérature dans le sentiment national. L’unité de la France est politique avant d’être linguistique et littéraire, comme en Italie ou en Allemagne. Et pourtant la littérature chez nous relève du patrimoine. De Gaulle écrit ses mémoires, Georges Pompidou compose une anthologie de la poésie, Valéry Giscard d’Estaing retraité se met au roman, François Mitterrand se fait représenter sur son portrait officiel, les Essais de Montaigne à la main. Le choc provoqué, à droite et à gauche, par la boutade de Nicolas Sarkozy se gaussant de l’inscription de La Princesse de Clèves au programme d’un concours administratif montre sa méconnaissance de la longue durée. La république assume la culture d’Ancien Régime, elle revendique même, dans ses meilleurs moments, une culture élitiste pour le plus grand nombre. Contre l’urgence de l’immédiat, les références littéraires communes donnent un sens et une saveur au présent. Durant une mobilisation contre la politique de Sarkozy, on a vu défiler des manifestants avec le badge „Je lis La Princesse de Clèves“. L’œuvre de Mme de La Fayette a été lue in extenso sur les marches du Panthéon. Le vieux roman y a trouvé un étonnant coup de jeune. Trois films sont autant de réponses au mépris présidentiel. Christophe Honoré, un des plus talentueux cinéastes de sa génération, en a tiré La belle personne, transposition de la cour royale dans une cour de lycée parisien: le jeu de mot n’était pas gagné d’avance, même si les lycées parisiens ont souvent des noms de rois. L’œuvre littéraire en sort renouvelée. Bertrand Tavernier dans la génération précédente des grands cinéastes, a préféré tourner un autre roman de Mme de La Fayette, La Princesse de Monpensier, qui est peut-être l’envers de La Princesse de 281 Comptes rendus Clèves. Régis Sauder vient enfin de montrer au public Nous, Princesses de Clèves, entre fiction et documentaire: des élèves d’un lycée marseillais qui préparent le bac s’approprient le roman et prouvent que le texte du XVII e siècle garde sa force et sa présence, et que la littérature participe d’une complexe identité nationale. „Süsses Frankreich? “ demande le titre, qui est celui d’une chanson de Charles Trenet, lancée à un des pires moments de son histoire récente. En pleine débâcle, occupation et collaboration, la chanson tenait de l’imposture. Son succès dépassa portant les années noires. La question n’appelle donc aucune réponse simple. En 1927, Friedrich Sieburg dotait déjà d’un point d’interrogation son Gott in Frankreich? K. H. Götze a le sens de la mesure et l’art des analyses équilibrées. En tant que Français, je ne peux que souhaiter que nous accueillions beaucoup d’étrangers comme lui, étrangers si proches, si lucides, si critiques et si complices. Quand on le lit, on a envie de trinquer avec lui, dans un bistrot du cours Mirabeau ou d’une petite rue du 11 e arrondissement. Michel Delon (Paris) Karl Heinz Götze gehört mit Ulrich Wickert (Frankreich. Die wunderbare Illusion, 1989; Und Gott schuf Paris, 1993) und dem leider früh aus dem Leben gegangenen Lothar Baier (Französische Zustände, 1982; Firma Frankreich, 1988) zu jenen Frankreichkennern, welche unser Bild des Nachbarn in der Nachfolge von Friedrich Sieburg (Gott in Frankreich? , 1929; Unsere schönen Jahre. Ein Leben mit Paris, 1950) prägen und zugleich in deutlicher Distanz zu dessen geistesgeschichtlichen Verirrungen und traditionalistischen Verengungen zur weltanschaulichen und ästhetischen Selbstverständigung wie zur besseren Kenntnis des einstigen ‚Erbfeinds’ und lange Zeit sehr engen Partners im Prozess der europäischen Einigung beitragen. Hierbei ist das auf ein Chanson von Trenet anspielende „süße Frankreich“, wie schon in der ersten Nennung dieser Art im Rolandslied (vermutlich unter Bezug auf die Ile de France als Kernland der Kapetinger) ein Ort der affektiven Innensicht. Aus der Fremde gesehen meint es eine Art Sehnsuchtsort des Wohllebens, wobei sich der deutsche Blick in der jüngeren Gegenwart, speziell nach 1989, nicht zuletzt auch in einer europäischen Dimension, zu versachlichen beginnt. So erinnere ich sehr deutlich den französischen Vichyspezialisten, der um die Jahrtausendwende bei einem kleinen Kolloquium zum Thema nationale Identität die knapp bemessene Mittagspause in einem deutschen Brauhaus durch mehr oder minder geistreiche Erzählungen aus seiner Jugend über einen traumatischen Urlaub im Nachkriegsbayern in die ihm gewohnte Länge zu ziehen versuchte, er auch, ganz gegen den Lokaltyp, partout mit der Bestellung eines Espresso ‚rebellierte’, über dessen erwartbar schlechte Qualität er dann so lange Klage führte, bis der eigentlich vorgesehene zeitliche Rahmen nun endgültig um eine Stunde überschritten war. Da mochte man dem Gastgeber zu recht einen verfehlten Versuch bei der ins Pittoreske weisenden Restaurantwahl, dazu auch eine recht deutsche Zeitplanung vorwerfen, zugleich trat für den kritischen Betrachter in der exemplarischen, ohne Ironiesignal gegebenen Vorführung der zeitlichen Dimension des französischen Kulturmusters ‚Essen’ auch eine rigide Beharrung auf erworbene Handlungsmuster bzw. eine völlige Unfähigkeit zur situativen Funktionalität im Verhalten in Erscheinung. 282 Comptes rendus Dass das Essen und die mit ihm verbundenen Rituale auch in der jüngsten Gegenwart noch einen wesentlicher Anlass und Archetyp des Fremdverstehens und der Missverständnisse darstellen, macht eine der Episoden aus Götzes neuem Buch sehr anschaulich. Sie stammt aus dem Zusammenhang des studentischen Austausches und handelt von einer deutschen Gastgruppe aus Tübingen, die ein gemeinsames Essen mit festgelegter Speisenfolge und Sitzordnung in der Nähe der Sainte-Victoire individualistisch und ökologisch zu unterlaufen sucht, dies mittels einer Art Bestehenwollen auf dem à la carte Prinzip, dann durch den Austausch von Speiseanteilen, schließlich durch Absonderung an andere Tische, ein Vorgang, in dem jedenfalls den einladenden französischen Germanistikprofessoren deutscher Herkunft eine nicht leicht zu handhabende Mischung von fehlender kulinarischer Erfahrung (Lammfleisch als Hauptgang, kenn ich nicht, mag ich nicht, Knoblauch auch nicht), jugendlichen Ängsten und postmoderner Individualisierung entgegentrat, welche Koch und Gastwirt beleidigte, aber auch die zur Seminargruppe gehörenden französischen Studierenden verwunderte, nicht zuletzt deswegen, weil schon bei der Sitzordnung angefangen, die deutschen Studierenden keinen Respekt gegenüber den Professoren kannten, und so schließlich weder Ordnung noch genussvolle convivialité nach französischer Art aufkommen konnte. Götze ist zu sehr vorzüglicher Schreiber und naturwüchsiger Materialist, um über solche Erfahrungen in Larmoyanz zu verfallen. Er bietet plausible Hypothesen an, differenziert diese sogleich wieder, ohne indes je in einen ubiquitären Relativismus zu pflegen. Mit Ernüchterung liest sich aus dem Bezirk des Essens die amüsierte Beschreibung der dürftigen Mensa in Aix-en-Provence, die mir, 1968 aus Freiburg kommend (Normalmenü: Leberkäs, Spinat, Kartoffeln) während meines Gastsemesters dank faux-filet und Baumkuchen noch als wahres Paradies erschienen war. Die Beschreibung der Fleischstücke und ihrer Namen anlässlich des Einkaufs auf dem Markt von Aix hingegen kompensiert jeden Gedanken an Mangel durch ihren Reichtum, ihre Präzision wie ihre Anschaulichkeit. Die auf den späteren Genuss hin orientierte Warenkunde geht einher mit kulturanthropologischer Reflexion, Hinweisen auf kulturgeschichtliche nationale Besonderheiten wie auf schichtenspezifisches Essverhalten. Sie wird begleitet von einer Kulturgeographie der besten Lagen für jedes Produkt. Die Narration weitet sich schließlich zur Restaurantgeschichte, die mit den Köchen des depossedierten Adels beginnt. Der Verfasser eines Buches auch über die französischen Meisterköche und selbst, wie ich jüngst erfahren durfte, begnadeter Koch, verfällt jedoch weder in deutsche Übergründlichkeit noch in wohlfeiles Theoretisieren, immer bleibt er Physiologist und Liebhaber der Materie, die er behandelt, und stets findet er die aufschließende stilistische Formel oder den plastischen Vergleich, um seinen Gegenstand ins richtige Licht zurücken. Etwa, wenn er die kulinarische Unterentwicklung Deutschlands mit dem gegen französische Essdekadenz gerichteten poetischen Lob der Kartoffel von Matthias Claudius veranschaulicht. „Meine Studenten bestaunten mein Rad und meine Tat“, heißt es bündig in den Präliminarien zum Kapitel über die Tour de France, um zu charakterisieren, dass in Frankreich - wir sind bei der Episode in den 1980er Jahren - weder ein Professor noch ein Student mit dem Rad zur Universität fuhr, und schon gar nicht einen „Halbrenner“ mit Gepäckträger, im Lande Anquetils. Und für den Verlauf der Tour, die an den Sehenswürdigkeiten der Geschichte entlangführt und die Schönheit wie die regionale Vielfalt Frankreichs zur indirekten Geltung bringt, dazu jedmalig in Paris endet, findet Götze die schöne Formel 283 Comptes rendus vom „Abbild des französischen, französisch-republikanischen Modells (…): natürliche, geschichtliche, regionale Vielfalt, am Ende gebündelt auf ein selbstverständliches von allen akzeptiertes Zentrum hin, wo derjenige siegt, der der beste war, derjenige, der es vor allen anderen verdient hat.“ Das Radrennen ist also organisiert wie ein Concours in nationalidentitärer und sozialversöhnlicher Absicht. Die Tour de France weiß das konservative und das republikanische Frankreich („les deux France“) emotiv-mental zu binden, und es schließt auch die „classes populaires“ ein, aus denen die Sieger in der Regel stammen. Hier wie in den anderen Kapiteln, die vom Wein, der Mode, den Frauen und der Politik handeln, ist man erfreut und zugleich belehrt über die Perspektiven und Blickwechsel, die Götze seinen Gegenständen abgewinnt. Immer ist der Verfasser auf der Suche nach der Verschiedenheit bzw. dem in die Gewohnheit eingezogenen gesellschaftlich-kulturellen Substrat, die den Interessepunkt interkultureller Forschung ausmachen. Immer sucht er aber auch nach den Angleichungsprozessen, welche die Differenzen verwischen bzw. diese auf einer neuen Ebene reproduzieren. Bereits in dem Vorgängerbuch „Französische Affairen. Ansichten von Frankreich (1995) hatte Götze mit den Feldern Schul-, Tisch- und Raumordnung informationsdichte Darstellungen des französischen Bildungswesens, der Bildungskarrieren, auch der Esskultur und der sozialen Durchdringung des Raums am Beispiel von Paris (beaux quartiers und banlieue) vorgestellt. Die neuen Studien reflektieren stärker noch auf die Veränderungen, die der Globalisierung bzw. dem amerikanischen Einfluss geschuldet sind. So die Tendenz zu Weinsorten, deren Namen kein Herkunftsgebiet mehr anzeigen, sondern sich nur noch nach Geschmacksrichtungen definieren. So entsteht, wie Götze zeigt, ein globaler Universalismus für Mittelschichten, die noch Wein trinken, die Mühe der Kennerschaft meiden, jedoch an Berechenbarkeit und Qualität des Produkts ebenso interessiert sind wie der Produzent an geregeltem Absatz; sodass sich die Rezepturen global zu ähneln beginnen und sich die Kassandrarufe Adornos aus der Dialektik der Aufklärung zu erfüllen scheinen, wonach die instrumentelle Vernunft dem Inkommensurablen, hier von Jahrgang und Lage, keinen Raum mehr lassen werde. Ähnliche Wege geht auch schon lange die Mode mit der Entwicklung von der Haute Couture zum prêt-à-porter und der Pluralisierung der Modezentren. Dies ändert nach Götze jedoch nicht völlig die kurrenten Mythen, die sowohl beim Wein wie bei der Mode Frankreich die Gründungsleistung ebenso zuschreiben wie sie ihm ein gehöriges Quantum an Geltung belassen. Nicht beschrieben werden kann in der Kürze einer Rezension das Kapitel über die französische(n) Frau(en) angesichts der sehr ausführlichen theoretisch-methodischen Ausführungen, mit denen der Verfasser die hier bereitstehenden diskursiven Fallen vermeiden will. Auch hier dominiert zunächst der kulturgeschichtliche Blick. Die These, dass eine in der Geschichte des Ancien Régime und seiner kultureller Praktiken erworbene und bis heute verstetigte Fähigkeit der Frauen zur Verführung sich gleichsam fugenlos mit Berufstätigkeit, Kinderreichtum und Machtzuwachs in der Politik paaren und letzteren noch stärken und steigern könne, ist nicht unsympathisch, angesichts der jüngsten Debatten um Strauss-Kahn und die Folgen vielleicht doch etwas schönend. Mit „Revolution betitelt ist das Schlusskapitel, das sich phänomenologisch an einem Republikanismus der Verfassung und einem eher despotischen Glanz der Machtrituale entzündet („Frankreich hat seinen König geköpft, aber die Schlösser behalten und die Ri- 284 Comptes rendus ten, die dazu gehören“). Belege sind u.a. die politischen Ansprachen. Während der französische Präsident sich im Fernsehen in Louis XVI-Mobiliar präsentiert und rhetorisch „grandeur“ zelebriert, sitzt der deutsche Kanzler vor „mittelpreisigen“ Einrichtungen und spricht wie einer von nebenan, was dazu führen kann, dass man bei der Neujahrsansprache aus Versehen die Rede aus dem letzten Jahr einspielt. In diesem Kapitel mündet das bisher immer schon mitschwingende Thema des deutsch-französischen Kulturvergleichs in große geschichtliche Linien („Die deutsche Revolution (sc. von 1848) mit der dreifachen Aufgabe befrachtet die nationale Einheit herzustellen, die Freiheit zu garantieren und sich der neuen sozialen Frage zu stellen, verfehlte alle drei…“). Entfaltet wird die politische Dimension der Deutungsmuster Kultur/ Civilisation. Ins Auge gefasst wird die beginnende Korrosion der Elitenerziehung. Das Augenmerk gilt den populistischen Umschichtungen im Régime Sarkozys im Medium der Geschichte (Napoleon). Besonders aufschlussreich zu lesen sind auch die Darlegungen zum jüngsten Universitätsstreik, in denen die Position des Skeptikers ebenso spürbar ist, wie die des Universitätsmenschen deutscher Herkunft, der besser als andere erklären kann, dass und wie sich der im Staat inkarnierte Allgemeinwille und der mit der Reform intendierte Despotismus des Partikularen au fond widersprachen, sie im französischen System eine Art verdeckten Kulturbruch darstellten, der Widerstand provozieren musste. Die Frage der Herkunft im bilateralen politischen Kontext kommt anrührend da zum Ausdruck, wo Götze seinen Weg 1968 nach Frankreich in den Zusammenhang der Heine, Marx und vieler anderer stellt, die im Nachbarland ein Vorbild sahen, den Weg aber nicht mehr zurückfanden. Ein progressistischer Germanist mit französischer Lebensart und bestem Schreibstil, der die Fachgeschichte im Vormärz auf das Gründlichste mit Klugheit erforscht hat, der mit Peter Weiss das Werk eines Quasiexilanten zum Gegenstand einer tief spürenden Habilitation über das Verhältnis von Kunst und Politik wählte und der zu den besten Kennern der deutschen Literatur des 20. Jahrhundert gehört, ein solcher hätte unter anderen Umständen und in einem anderen, weltläufigeren Fach durchaus den Weg zurückfinden können. Dass dies nicht geschah, lässt uns ebenso einen Kulturwissenschaftler und Kulturmittler von Rang lesen, der aus der Tatsache, dass er über „keine Zugehörigkeit mehr verfügt“, den Anlass zum Schreiben sucht. Heinz Thoma HUBERT VAN DEN BERG/ WALTER FÄHNDERS (EDS.): METZLER LEXIKON AVANT- GARDE. STUTTGART/ WEIMAR: J. B. METZLER 2009 Der Stuttgarter Metzler-Verlag, der schon seit Jahrzehnten unter Studierenden und Lehrenden der Literaturwissenschaft mit seiner Sammlung Metzler bekannt ist und in keiner noch so spärlich ausgestatteten Studienbibliothek fehlt, profiliert sich seit geraumer Zeit zunehmend auch mit lexikographischen Werken in diesem Bereich. Mit dem Lexikon Avantgarde liegt nun ein weiteres Handbuch vor, das sich natürlich vollkommen in die bisherige Reihe einfügt, was Preis, Aufmachung und nutzerorientierte Gestaltungsweise betrifft, aber doch zugleich daraus ausschert, insofern es die sonst übliche nationalphilologische Einteilung der Literatur hinter sich lässt. Und das ist gut so, denn es ist der behandelten ‚Sache’ geschuldet. Der in Groningen lehrende Hubert van den Berg, der 285 Comptes rendus ebenso wie sein Mitherausgeber und Osnabrücker Kollege Walter Fähnders als ausgewiesener Avantgarde-Spezialist bekannt ist, hat schon vor längerem mit Nachdruck darauf aufmerksam gemacht, dass die oft staaten- und sprachenübergreifenden Organisationsformen der Avantgarde von einer nach nationalphilologischer Arbeitsteilung operierenden Forschung bisher nicht angemessen berücksichtigt wurden und deshalb eine „übernationale Annäherung an die avantgardistische Literatur“ gefordert. 1 Eine erste Frage, die sich dem Rezensenten stellt, ist deshalb, ob das Lexikon diesem selbst formulierten Imperativ nachgekommen ist. Es ist das wohl bemerkenswerteste Verdienst des Werkes, dass es sowohl durch die Auswahl der Autoren (es wurden rund achtzig Autoren aus über einem Duzend Länder rekrutiert) als auch durch die Anlage der Lemmata erreicht, die Avantgarde geographisch in ihrer ganzen Breite und kulturellen Diversifikation abzubilden. Natürlich werden die Hauptströmungen der ‚klassischen’ Avantgarden des 20. Jahrhunderts und ihre nationalen Wirkungsschwerpunkte in Italien (Futurismus), Deutschland (Expressionismus und Dada), Frankreich (Surrealismus) und Russland (als dem Zentrum der Avantgarden Osteuropas) in eigenen Artikeln behandelt und auch sonst immer wieder besprochen. Darüber hinaus kommen aber auch zahlreiche Länder in den Blick, die in der Forschung bislang als vermeintlich randständige Gebiete vernachlässigt wurden und einem breiteren Publikum als Wirkungsstätten der Avantgarde noch weitgehend unbekannt sein dürften: Artikel zu Dänemark, Estland, Finnland, Georgien, Griechenland, Irland, Island, Kroatien bis hin zu europäischen Kleinstaaten wie Luxemburg halten sicher für jeden Leser neue Informationen bereit. Damit ist geographisch eine Ausweitung von den ‚Zentren’ zu den ‚Peripherien’ erreicht, was eine bemerkenswerte Leistung der Herausgeber darstellt und sich logistisch einer internationalen Vernetzung verdankt, die weit über sonst übliche Maß vergleichbarer Lexika (auch bei Metzler) hinausgeht. Eine ‚übernationale’ Perspektivierung der Avantgarde bedeutet diese Ausweitung auf bisher vernachlässigte Nationen an sich aber noch nicht. Sie ergibt sich, wenn man weiterhin die Lemmata berücksichtigt, in denen das Wirkungsgebiet der Avantgarde nicht nach nationalstaatlichen Kriterien eingeteilt wird, sondern Sprach- und Kulturräume Berücksichtigung finden, die supranationaler Natur sind. Dies ist beispielsweise in den sprachbezogenen Einträgen zu „Esperanto“, „Jiddische Avantgarde“ und den länderübergreifend-kulturräumlich ausgerichteten Lemmata zur „arabischen Avantgarde“ oder zu „Hispanoamerika“ der Fall. Die Abwendung vom nationalstaatlichen Paradigma wird umgekehrt auch in einer Reihe von geographisch orientierten Einträgen deutlich, die sich infranational auf eine bestimmte Region („Quebec“), Stadt („Wiener Aktionismus“ und „Wiener Gruppe“) oder gar einen Stadtteil beziehen („Harlem Renaissance“). Eine Übersicht über die geographischen Stichwörter lässt dabei erkennen, dass Europa, das in seiner ganzen kulturellen Vielfalt berücksichtigt ist, eindeutig den Schwerpunkt dieses Avantgardelexikons bildet. Diese geographische Schwerpunktset- 1 Hubert van den Berg: „‘Übernationalität’ der Avantgarde - (Inter)Nationalität der Forschung. Hinweis auf den internationalen Konstruktivismus in der europäischen Literatur und die Problematik ihrer literaturwissenschaftlichen Erfassung“. In: Wolfgang Asholt/ Walter Fähnders (eds.): Der Blick vom Wolkenkratzer. Avantgarde - Avantgardekritik - Avantgardeforschung, Amsterdam/ Atlanta: Rodopi 2000, 255-288. 286 Comptes rendus zung gleich als Eurozentrismus verurteilen zu wollen, wäre allerdings vorschnelle und wohlfeile Ideologiekritik und ginge nicht nur an der Tatsache vorbei, dass sich das Lexikon pragmatisch an der Bedürfnis- und Interessenlage des deutschsprachigen Publikums zu orientieren hat, sondern auch am Faktum, dass die Globalisierung der Avantgarden ihren historischen Ausgangspunkt in der Tat in Europa hatte, das bis zum zweiten Weltkrieg dominant für die Entwicklung der Künste blieb, bevor es seine kulturelle Hegemonie an Nordamerika abgab. 2 Umso bemerkenswerter, in wie starkem Maße die Eigenständigkeit der Entwicklungen jenseits Europas betont und keineswegs als quantité négligeable vernachlässigt wird. Der amerikanische Kontinent wird nicht - wie in deutscher Perspektive leider so häufig - mit den USA gleichgesetzt, sondern kulturell differenzierend behandelt. Im sehr ausführlichen Artikel zu Hispanoamerika (13 Spalten im Vergleich zu 8 Spalten für Spanien) trägt der Autor der Heterogenität Südamerikas angemessen Rechnung; die Autonomie des portugiesischen Sprachraums wird mit einem Lemma zu „Brasilien“ ebenfalls berücksichtigt, der Terminus „Lateinamerika“ dagegen im gleichlautenden Stichwort als zu undifferenziert explizit abgelehnt. Nordamerika wiederum ist geographisch in „USA“ und „Kanada“ unterteilt, wobei „Quebec“ mit einem eigenen Eintrag den Sonderstatus erhält, den es sprachlich und kulturell beanspruchen kann. Einträge zu „Israel“ und „Japan“ bieten weitere Einblicke in die Avantgardeentwicklung über den europäischen Kontinent hinaus. Die Auswahl der geographischen Lemmata zeugt so insgesamt von einer hohen kulturellen Differenzierung, ohne dabei einen Globus der kulturellen Gleichwertigkeit zu ergeben, der sicher ein politisch wünschenswertes Ziel darstellen würde, aber nicht den historischen Tatsachen entspräche. Nicht alle Besonderheiten sind dabei berücksichtigt. Der Katalanist in mir beispielsweise hätte sich natürlich einen eigenen Eintrag zu Katalonien gewünscht, das für die Rezeption der zentraleuropäischen Avantgarden in Spanien durchaus entscheidend war und mit Barcelona nicht nur einen attraktiven Ort des Exils für Avantgardekünstler während des ersten Weltkriegs bot, sondern schon sprachbedingt eigenständige Formen der Avantgarde hervorgebracht hat, die im Artikel zu Spanien nicht erwähnt sind. 3 Mancher Spezialist der frankophonen oder lusophonen Literaturen würde es seinerseits vielleicht bedauern, dass weder der Maghreb noch das portugiesischsprachige Afrika auf der Karte der Avantgarde erscheint, und Kenner der mittel- und fernöstlichen Künste könnten zu Recht darauf hinweisen, dass die Experimente der Avantgarden auch außerhalb Israels oder Japans wahrgenommen und kulturell anverwandelt wurden. Die Ausdifferenzierung ließe sich prinzipiell also noch weiter verfeinern, aber praktisch betrachtet bildet das vorgelegte Lexikon eine bisher anderswo in dieser Form noch kaum erreichte geographische Vielfalt der Avantgarden ab und setzt damit einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zu einer transnational ausgerichteten Forschung, was jeder Leser anerkennen muss, der von eigenen Partikularinteressen abzusehen vermag. 2 Im Lexikon Avantgarde, das in seinen geographischen Lemmata insgesamt sehr kritisch mit dieser faktischen kulturellen Hegemonie der USA umgeht, zeigt sich der historische Schwerpunktwechsel des Avantgardeparadigmas indirekt daran, dass die Lemmata zu den neueren und neuesten Tendenzen der Avantgarde meist englischsprachig sind: „Action Painting“, „Cyberpunk“, „Factory“, „Guerilla Girls“, „Land Art“, „Living Theater“ etc. 3 Vgl. Las Vanguardias en Cataluña 1906-1039. Ausstellungskatalog. Barcelona: Fundació Caixa de Catalunya 1992. 287 Comptes rendus Neben der internationalen Ausrichtung ist die einzelne Kunstsparten und -gattungen übergreifende Orientierung des Lexikons sein zweiter wesentlicher Vorzug. Kaum überraschend, weil dem Fachgebiet der Herausgeber entsprechend, ist die Literatur besonders prominent vertreten (neben einem allgemeinen Eintrag zu „Literatur“ gibt es weitere zu „Buchstabendichtung“, „Digitale Literatur“, „Experimentelle Literatur“, „Lautdichtung“, „Konkrete Poesie“, „Netzliteratur“, „Nouveau Roman“, „Visuelle Poesie“ „Wortkunst“ und zu „Oulipo“ - das Kürzel für das Ouvroir de Littérature potentielle: Werkstatt für potentielle Literatur). Die Literatur hat leichtes Übergewicht über die bildende Kunst, die rein quantitativ, gemessen an der Anzahl der Lemmata, einen zweiten Schwerpunkt des Lexikons darstellt. Daneben werden aber auch Film und Fotografie, Musik, Architektur und bildende Künste, Theater und Tanz, Videokunst und andere Kunstgattungen behandelt, bis hin zu Mode und Design und den neuen Medienkünsten des digitalen Netzzeitalters („Computerkunst, „Mail Art“ etc.). Auch hier wird wiederum Wert darauf gelegt, dem Leser neben der Möglichkeit des differenzierenden Blicks auf einzelne Gattungen und Untergattungen auch das diese Differenzierungen übergreifende „Projekt“ der Avantgarden vor Augen zu führen, das die Herausgeber in ihrer sehr instruktiven Einleitung auch als „Netzwerk“ bezeichnen. Dieser Vernetzungsaspekt wird im Aufbau des Lexikons einerseits dadurch betont, dass es zahlreiche Lemmata zu gattungsübergreifenden Techniken, Formen oder Verfahrensweisen gibt („Abstraktion“, „Formalismus“, „Collage“, „Montage“, „Ready Made“ etc.), mit deren Hilfe auch die transmediale Dimension der Avantgarden erschlossen werden kann. Der soziale Aspekt des avantgardistischen Netzwerkgedankens wird seinerseits dadurch unterstrichen, dass auf Einträge zu einzelnen Protagonisten und Autoren bewusst verzichtet wurde und stattdessen Gruppierungen („Beat Generation“, „Brücke“, „Factory“ „Oulipo“, etc.), Bewegungen und „Ismen“ verzeichnet wurden (wobei auch einige randständige „Ismen“ bedacht sind, die wohl eher Anekdoten der Avantgardegeschichte bleiben werden wie der „Akmeismus“ bzw. „Adamismus“). Ergänzend dazu unterstreicht der Eintrag zu „Zeitschriften“, der von Hubert van den Berg verfasst wurde (362-365) die zentrale Funktion der Zeitschriften nicht nur für die Selbstdarstellung und -vermarktung der Avantgarden, sondern insbesondere auch für die soziale Netzwerkbildung. Eine Funktion, die auch in einer Reihe von Lemmata deutlich wird, die entweder Zeitschriften gewidmet sind („Die Aktion“, „Der Sturm“) oder Gruppen, die sich um ein gleich tituliertes Zeitschriftenorgan herum formierten („Situationistische Internationale“, „Tel Quel“). Ein zweites zentrales Medium sowohl zur gruppeninternen Kohäsion als auch zur Kommunikation nach außen war für die Avantgarden das Manifest, das im Lexikon ebenfalls mit einem eigenen Eintrag bedacht ist, der im Vergleich zum vorher genannten allerdings für die Einsicht in den Netzwerkcharakter der Avantgarde weniger instruktiv ausfällt. Eine inhaltliche Einzelbewertung aller Einträge würde die Kompetenz eines einzelnen Rezensenten und auch den Raum einer Rezension zweifellos überschreiten und soll deshalb an dieser Stelle gar nicht versucht werden. Sachliche Richtigkeit und hoher Informationsgehalt sind aber durchweg Standard der Beiträge, die jeweils mit bibliographischen Hinweisen abschließen, die fast immer dem Stand der aktuellen Forschung Rechnung tragen und eine rasche weitere Vertiefung des Lesers in das jeweilige Teilgebiet ermöglichen. 288 Comptes rendus Über die Notwendigkeit einzelner Lemmata könnte man sich sicher länger streiten. So interessant und sachkundig etwa die Beiträge zu „Dekonstruktion“ und „Kritischer Theorie“ ausfallen, so unklar bleibt darin der Bezug zum Phänomen der historischen Avantgarde. Anders als im Falle der Tel Quel-Gruppe, die sich regelrecht als eine Avantgarde der Theorie inszenierte, kann man den Theoriebildungen Derridas oder Adornos zwar Avanciertheit attestieren, aber nur sehr bedingt eine Teilhabe am von den Herausgebern eingangs skizzierten „Netzwerk“ der Avantgarden. Umgekehrt fällt gerade nach der Lektüre der äußerst lesenswerten Einleitung, die über begriffsgeschichtlich-terminologische Überlegungen hinaus eine historische Konturierung der Avantgardeproblematik leistet, eine Lücke in der Wahl der Stichworte auf. Die ökonomische Dimension des avantgardistischen Projekts, die dort zu Recht hervorgehoben wird, wenn von „Labels“, „trade marks“ und ähnlichem die Rede ist, hat bei der Auswahl der Lemmata leider gar keine Berücksichtigung gefunden. Themen wie „Ware“, „Kommerz“ oder „Werbung“ hätten dazu beitragen können, die Avantgarde auch in diesem Sinne als Netzwerk sichtbar zu machen und sich in die historische Orientierung des gesamten Lexikons auch besser eingefügt als die genannten Theorie-Lemmata oder anthropologische Stichworte wie „Lachen“ oder „Sexualität“. Diese kleine Kritik am Rande kann die Gesamtbilanz jedoch nicht trüben, die eindeutig positiv ausfällt. Mit seiner dezidiert kultur- und kunstübergreifenden Ausrichtung stellt das Lexikon nicht nur eine Bilanz der Forschung dar, sondern weist ihr den Weg zu einer noch stärkeren Vernetzung in der Zukunft. Bei diesem Vorhaben dürften die Vorteile des Printmediums allerdings begrenzt sein. Obwohl das Lexikon Avantgarde mit zahlreichen Querverweisen zwischen den einzelnen Artikeln eine netzwerkartige Lektüre ermöglicht, kann es in dieser Hinsicht mit den Möglichkeiten des Hyptertextes nicht konkurrieren. Auch werden die bibliographischen Angaben, die jetzt noch aktuell sind, leider bald wieder überholt sein. Was Hubert van den Berg und Walter Fähnders so verdienstvoll im ‚alten’ Medium des Buchdrucks geleistet haben, verdiente deshalb eine Fortsetzung oder Erweiterung auf anderer technologischer Grundlage im world wide web. Die künstlerischen Avantgarden sind (siehe Stichwort „Computerliteratur“, „Netzliteratur“, „Mail Art“ u. a.) längst schon dort angekommen. Insofern kann die Devise auch für die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Avantgarde nur lauten: Vorwärts, der Avantgarde nach! Hanno Ehrlicher (Heidelberg/ Berlin)