eJournals lendemains 33/132

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0170-3803
2941-0843
Narr Verlag Tübingen
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2008
33132

P. W. Lakowski: Romanciers libertins du XVIIIe siècle

121
2008
Carolin Fischer
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167 Comptes rendus sich ganz auf den „espace textuel“ (193), den sie in erster Linie durch Fragmentierung und Diskontinuität gekennzeichnet sieht. Jérusalems Studie eröffnet keine grundsätzlich neuen Perspektiven auf das Werk von Echenoz. Dafür entfernt sie sich zu wenig von den Texten, und dafür geht sie nicht weit genug bei der Einordnung und Kontextualisierung der Ergebnisse. Auch das durchaus viel versprechende Raumkonzept bleibt letztlich zu vage und metaphorisch. Als fundierte poetologische Auseinandersetzung mit dem Gesamtwerk von Echenoz besitzt die Arbeit gleichwohl ihren Wert. Ihre Stärken liegen vor allem im Detail: in der Vielfalt der behandelten Aspekte, in der Überzeugungskraft ihrer Beispielanalysen und in der Gründlichkeit, mit der Motivketten verfolgt und intertextuelle Bezüge aufgedeckt werden. Christian v. Tschilschke (Regensburg) PATRICK WALD LASOWSKI (ED.): ROMANCIERS LIBERTINS DU XVIIIE SIECLE. 2 BDE. BD. I, PARIS, BIBLIOTHEQUE DE LA PLEIADE, GALLIMARD, 2000, 1343 S.; BD. II, 2005, 1668 S. MICHEL DELON: LE SAVOIR-VIVRE LIBERTIN. PARIS, HACHETTE, 2000, 348 S. Wer sich vor fünfzehn Jahren mit dem roman libertin beschäftigen oder einzelne der höchst heterogenen, unter diesem Begriff zusammengefaßten Werke lesen wollte, war dankbar, daß Fayard zwischen 1984 und 1988 immerhin sieben Bände aus dem kurz zuvor geöffneten Enfer de la Bibliothèque Nationale publiziert hatte. In den 90ern erschienen dann viele Romane und Romänchen, 1993 der verdienstvolle Sammelband Romans libertins du XVIII e siècle, ein Dutzend Texte herausgegeben von Raymond Trousson (Bouquins, Robert Laffont). Gleichzeitig haben die Arbeiten von Robert Darnton aufgezeigt, welch wesentlichen Anteil der literarische Untergrund und die ebenfalls als „livres philosophiques“ bezeichneten Erotika an der Verbreitung aufklärerischen Gedankenguts hatten. Inzwischen ist auch der Marquis de Sade in die Reihe der Pléiade-Autoren aufgenommen (Ed. Michel Delon) und Crébillon fils zum Thema der agrégaton auserkoren worden. Da ist es gewissermaßen eine logische Konsequenz, daß nun den unbekannteren Romanciers libertins du XVIII e siècle in der Bibliothèque de la Pléiade zwei Bände gewidmet wurden, von denen im Jahre 2000 derjenige zur ersten Jahrhunderthälfte erschienen ist und nun auch der zweite mit Werken von 1750 bis 1800. Der Herausgeber, Patrick Wald Lasowski, hat bereits in den 80er Jahren Essays über die Libertines, die Syphilis sowie über L’ardeur et la galanterie verfaßt. Hier setzt er sich einleitend erst mit dem Begriff der „libertinage“ in seiner historischen Entwicklung auseinander, dann mit der Gattung des „roman libertin“, um mit einigen Ausführungen über die Produktion und Verbreitung klandestiner Literatur sowie über die Zensur zu schließen. Dabei greift er weitgehend auf bereits vorliegende Forschungsergebnisse zurück, so daß der eingeweihte Leser wenig Neues erfährt, doch liefert diese Préface viele Informationen mit klugen Gedanken (so wird die Gattung des Romans als „essentiellement libertin“ bezeichnet) in einem dem Sujet durchaus angemessenen Stil. Sehr hilfreich ist am Ende des zweiten Bandes die Zusammenstellung von mehr als vierzig Definitionen der Begriffe „libertin/ libertinage“ aus Wörterbüchern und Nach- 168 Comptes rendus schlagewerken, von Robert Estiennes Dictionarium seu latinae linguae thesaurus (1536) über die Encyclopédie bis zum Eintrag in Louis Sébastien Merciers Néologie (1801). Neben der bekannten Herleitung aus dem Lateinischen und der Unterscheidung zwischen Libertinage des Geistes oder der Sitten ist die deutsche Übersetzung für „langue libertine“ als „schwetzende Zung“ (1602) aufschlußreich, oder auch die Unterscheidung der Bedeutung von Adjektiv oder Nomen: ersteres heißt für Richelet (1680) primär „impie“, zweites hingegen „se dit en riant et signifie qui hait la contrainte“. Im Dictionnaire de l’Académie Française von 1694 sowie bei Furetière (1690) hingegen bezeichnet „libertin“ zunächst schlicht den, der sich „trop de liberté“ nimmt. So lassen sich viele Facetten der Begriffsgeschichte anhand dieser kleinen Anthologie nachvollziehen. Die Auswahl der Texte selbst liefert natürlich - wie dies bei solchen Sammlungen grundsätzlich der Fall ist - eine breite Angriffsfläche. Daß Dom Bougre, Portier des Chartreux (1741) und Thérèse philosophe (1748) als die beiden wohl populärsten und zugleich subversivsten Texte nicht fehlen dürfen, versteht sich von selbst. Auch Crébillon, der am anderen Ende des Spektrums libertiner Literatur steht, wird sicher von den Lesern erwartet. Warum aber drei Texte von ihm, zumal 1992 eine gute Werkausgabe erschien und Jean Sgard eine kritische Ausgabe der Œuvres complètes in vier Bänden vorgelegt hat? Und warum dann nicht die Egarements du cœur et de l’esprit (1736/ 38), in denen der junge Held Meilcour eine ebenso lange wie explizite Lektion in Libertinage durch den roué Versac erhält? Letzteres ließe sich durch verlagsinterne Auflagen erklären, da dieser Roman bereits 1960 von René Etiemble in derselben Reihe herausgegeben wurde, doch hätte dies dem Leser erklärt werden müssen. Ansonsten finden wir eine gute Mischung aus Galantem und Grobem, Antiklerikalem und Exotischem, deftiger Kost und amüsantem Raffinement. Dies gilt auch für den zweiten Band mit seiner pastoralen Reine de Golconde oder Dorats Malheurs de l’inconstance, die ein perfektes Bindeglied zwischen Crébillon und Laclos’ Liaisons dangereuses liefern, mit Mirabeaus deftiger Conversion oder dem anonymen Revolutionspamphlet La Messaline française von 1790. So hat diese Ausgabe das grundsätzliche Verdienst, die Texte sorgfältig ediert und mit einem kritischen Apparat versehen zu haben sowie die Vielfalt und bestimmte Entwicklungslinien des Genres nachvollziehbar zu machen. Die „Notes et variantes“ fallen erwartungsgemäß dünn aus. Entschädigt werden wir mit recht ausführlichen Biographien der Autoren, sofern diese nicht wie Godard de Beauchamps (Histoire du prince Apprius) oder der Verfasser von Dom Bougre, Gervaise de Latouche, weitgehend unbekannte Figuren sind. Es folgt jeweils eine Bibliographie und eine lange „Notice“, quasi ein Essay über den jeweiligen Text. Sehr erfreulich ist es, daß die endlosen Debatten über die Zuschreibung, die in vielen Fällen nicht letztgültig geklärt ist, hier zugunsten der wahrscheinlichen Autorenschaft in den Hintergrund rücken. Zu den „livres qu’on ne lit que d’une main“ gehören natürlich Stiche, die in dieser Ausgabe nicht fehlen. Auf das Vorwort folgt sogar eine lange Notice sur les gravures mit zahlreichen Bildbeispielen, und im Anhang finden sich Erläuterungen zu den Illustrationen der einzelnen Texte, die wir Jean-Pierre Dubost verdanken, der sich als einer der ersten mit der Literatur der Libertinage (1988) auseinandergesetzt hat. Die Verbindung von Bild und Wort ist bei der vorliegenden Gattung von entscheidender Bedeutung, weil die Stiche die angestrebte Wirkung auf den Leser verdeutlichen und einen 169 Comptes rendus wesentlichen Bestandteil des Textes bilden. Bedauerlich ist indes, daß Dubost den erregenden Reiz dieser Bilder beinahe zu negieren versucht. Wie diese Romane und die „tableaux voluptueux“ die Libido von Leser/ innen und Betrachter/ innen stimulieren sollten, steht in den Texten selbst und wird auch im neunten Kapitel von Michel Delons Le savoir-vivre libertin ausführlich dargestellt. Vier Jahre nachdem Delon den Dictionnaire européen des Lumières ediert hat, scheint er hier die Summe seiner vielgestaltigen Auseinandersetzung mit dem roman libertin zu ziehen. Daß es sich dabei auch um eine äußerst umfangreiche Materialsammlung handelt, fällt dank der thematischen Gliederung und der sprachlichen Eleganz keineswegs negativ auf, wenngleich es nicht völlig zu vermeiden ist, einzelne Szenen in verschiedenen Kapiteln wiederholt anzuführen. Natürlich beginnt auch Delon mit Überlegungen zum Begriff der „libertinage“ und den damit bezeichneten Verhaltensmuster. Seine Schlußfolgerung, daß es sich auch um den „refus d’un sens fixe“ handelt, läßt ihn von reduzierenden Definitionen Abstand nehmen. Stattdessen präsentiert er uns die ungeheure Bandbreite sowohl der Gattung als auch der Handlungsweisen, die von der Vergewaltigung bis zur subtilsten „gradation“ der Verführung, von der „discrétion mondaine“ bis zur „crudité pornographique“ reichen. Die enge Verbindung zwischen Literatur und Leben macht er an den Polizeiberichten fest, die dem Einfluß des fiktionalen „récit“ unterlagen. Die aristokratische Seite der Libertinage offenbart sich in der allseits geforderten Nonchalance sowie im Luxus, der das Leben zum Fest für alle Sinne, die Delon einzeln analysiert, werden läßt; so formiert sich eine „équivalence entre libertinage, luxe et élitisme“. Werke wie Margot la ravaudeuse spielen in diesem Kontext folglich keine Rolle, trotzdem brauchen wir bei Delon nicht zu befürchten, daß uns lediglich ein galantes 18. Jahrhundert vorgeführt würde. Selbstverständlich steht regelmäßig Sade als Schlußstein einzelner Themenbögen. Doch auch weniger radikalen Autoren weist Delon einen im höchsten Maße eigenwilligen Umgang mit Raum und Zeit nach. Und er widerspricht dem hartnäckigen Gerücht über die fast grenzenlose Freiheit, die Frauen im 18. Jahrhundert genossen haben sollen: „le libertinage consacre une différence des rôles sexuels. L’homme peut afficher ce que la femme doit dissimuler.“ Entsprechend beschreibt er, wie selbst die Merteuil einen Liebhaber mit gesenktem Blick und gespielter Scham empfängt. Außerdem rückt er das Bild von zwei der berühmtesten Verführer der Zeit, Richelieu und Casanova, insofern gerade, als er an ihre gelegentlichen homosexuellen Eskapaden erinnert. So breitet Michel Delon ein schillerndes Panorama dieser „production littéraire polymorphe“ aus, für die selbst auf einem eigens im September 2002 in Grenoble veranstaltetem Colloquium (Du genre libertin au XVIII e siècle. Hg. v. Jean-François Perrin u. Philip Stewart. Paris 2004) keine stringente Gattungsdefinition gefunden werden konnte. Carolin Fischer (Berlin) JEAN-PAUL SCOT: ‘L’ETAT CHEZ LUI, L’EGLISE CHEZ ELLE’ COMPRENDRE LA LOI DE 1905, PARIS: EDITIONS DU SEUIL, 2005, 389 S. In den Augen vieler Franzosen gehört die La ї cité immer noch wie nur weniges andere zu den Charakteristika ihres Landes; besiegelt wurde sie durch die vor hundert Jahren