lendemains
ldm
0170-3803
2941-0843
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2008
33132
J.-P. Scot: ‘L’Etat chez lui, l’église chez elle’ comprendre la loi 1905
121
2008
Clemens Klünemann
ldm331320169
169 Comptes rendus wesentlichen Bestandteil des Textes bilden. Bedauerlich ist indes, daß Dubost den erregenden Reiz dieser Bilder beinahe zu negieren versucht. Wie diese Romane und die „tableaux voluptueux“ die Libido von Leser/ innen und Betrachter/ innen stimulieren sollten, steht in den Texten selbst und wird auch im neunten Kapitel von Michel Delons Le savoir-vivre libertin ausführlich dargestellt. Vier Jahre nachdem Delon den Dictionnaire européen des Lumières ediert hat, scheint er hier die Summe seiner vielgestaltigen Auseinandersetzung mit dem roman libertin zu ziehen. Daß es sich dabei auch um eine äußerst umfangreiche Materialsammlung handelt, fällt dank der thematischen Gliederung und der sprachlichen Eleganz keineswegs negativ auf, wenngleich es nicht völlig zu vermeiden ist, einzelne Szenen in verschiedenen Kapiteln wiederholt anzuführen. Natürlich beginnt auch Delon mit Überlegungen zum Begriff der „libertinage“ und den damit bezeichneten Verhaltensmuster. Seine Schlußfolgerung, daß es sich auch um den „refus d’un sens fixe“ handelt, läßt ihn von reduzierenden Definitionen Abstand nehmen. Stattdessen präsentiert er uns die ungeheure Bandbreite sowohl der Gattung als auch der Handlungsweisen, die von der Vergewaltigung bis zur subtilsten „gradation“ der Verführung, von der „discrétion mondaine“ bis zur „crudité pornographique“ reichen. Die enge Verbindung zwischen Literatur und Leben macht er an den Polizeiberichten fest, die dem Einfluß des fiktionalen „récit“ unterlagen. Die aristokratische Seite der Libertinage offenbart sich in der allseits geforderten Nonchalance sowie im Luxus, der das Leben zum Fest für alle Sinne, die Delon einzeln analysiert, werden läßt; so formiert sich eine „équivalence entre libertinage, luxe et élitisme“. Werke wie Margot la ravaudeuse spielen in diesem Kontext folglich keine Rolle, trotzdem brauchen wir bei Delon nicht zu befürchten, daß uns lediglich ein galantes 18. Jahrhundert vorgeführt würde. Selbstverständlich steht regelmäßig Sade als Schlußstein einzelner Themenbögen. Doch auch weniger radikalen Autoren weist Delon einen im höchsten Maße eigenwilligen Umgang mit Raum und Zeit nach. Und er widerspricht dem hartnäckigen Gerücht über die fast grenzenlose Freiheit, die Frauen im 18. Jahrhundert genossen haben sollen: „le libertinage consacre une différence des rôles sexuels. L’homme peut afficher ce que la femme doit dissimuler.“ Entsprechend beschreibt er, wie selbst die Merteuil einen Liebhaber mit gesenktem Blick und gespielter Scham empfängt. Außerdem rückt er das Bild von zwei der berühmtesten Verführer der Zeit, Richelieu und Casanova, insofern gerade, als er an ihre gelegentlichen homosexuellen Eskapaden erinnert. So breitet Michel Delon ein schillerndes Panorama dieser „production littéraire polymorphe“ aus, für die selbst auf einem eigens im September 2002 in Grenoble veranstaltetem Colloquium (Du genre libertin au XVIII e siècle. Hg. v. Jean-François Perrin u. Philip Stewart. Paris 2004) keine stringente Gattungsdefinition gefunden werden konnte. Carolin Fischer (Berlin) JEAN-PAUL SCOT: ‘L’ETAT CHEZ LUI, L’EGLISE CHEZ ELLE’ COMPRENDRE LA LOI DE 1905, PARIS: EDITIONS DU SEUIL, 2005, 389 S. In den Augen vieler Franzosen gehört die La ї cité immer noch wie nur weniges andere zu den Charakteristika ihres Landes; besiegelt wurde sie durch die vor hundert Jahren 170 Comptes rendus im Gesetz vom 9. Dezember 1905 vollzogene strikte Trennung von Kirche und Staat. An dieser Einschätzung der La ї cité haben auch die jüngsten Unruhen in den von vielen Muslimen der zweiten und dritten Einwandergeneration bewohnten Vorstädten nur wenig geändert; der kollektive Aufstand wird allerdings von immer mehr Beobachtern nicht nur als Resultat einer verfehlten Einwanderungspolitik angesehen, sondern auch als Folge der laizistischen Reduzierung von Religion auf eine Privatangelegenheit, welche das Feld jugendlicher Suche nach Orientierung radikalen Predigern überläßt. Zu dieser Kritik am Prinzip der La ї cité, welche durch die Ereignisse der letzen Wochen zugenommen hat, kommt ein zunehmendes Bewußtsein für das Paradox, daß die klare Abgrenzung zwischen der Sphäre der Religion und der des Staates gleichzeitig als ein Beispiel für die exception française und als Teil der universellen Sendung der französischen Zivilisation herhalten muß. Ganz so unbestrittener Grundwert der französischen Republik, wie viele seiner Verteidiger suggerieren, ist der Laizismus also keinesfalls mehr. Seit 1789 mühen sich seine Theoretiker, die säkulare Gesellschaft gegen die Ansprüche religiöser Weltbilder zu verteidigen - wobei seit dem Dezember 1905 der Streit über das Verhältnis zwischen religiös und säkular geprägten Lebensentwürfen nur noch ein akademischer zu sein schien, ist die Trennung zwischen Kirche und Staat doch vor hundert Jahren per Gesetz vollzogen und später auch nie wieder ernsthaft in Frage gestellt worden. Spätestens seit Pius XI. 1924 seinen Frieden mit dem französischen Modell gemacht hat, flackern - so scheint es - die religiösen Konflikte im Land der ‘ältesten Tochter der Kirche’, das der Soziologe Bruno Etienne einmal mit einem Wortspiel „La France catho-la ї que“ genannt hat, nur noch bei Auseinandersetzungen über die (meist kirchlichen) Privatschulen auf. Und so zeichnet das jüngst erschienene Buch des Historikers Jean-Paul Scot hundert Jahre nach der gesetzlichen Trennung zwischen Kirche und französischem Staat ein eher versöhnliches Bild: L’Etat chez lui, l’Eglise chez elle heißt es im Titel unter Anspielung auf die Rede Victor Hugos vom Januar 1850, in welcher der große Nationaldichter der jungen und - wie sich zeigen sollte - zerbrechlichen II. Republik den laizistischen Rücken stärken wollte, der indes immer noch durch die napoleonischen Konkordatsvereinbarungen mit dem Papst gekrümmt war. Die Republik ist, so eine der Thesen des Buches, erst zu sich selbst gekommen, als sie sich definitiv von klerikaler Bevormundung gelöst hat, und dies sei letztlich auch zum Nutzen der Kirchen gewesen, haben sie sich doch erst seit der Trennung um ihre eigentlichen, nämlich spirituellen Aufgaben kümmern können. In Anlehnung an den Gesetzestext von 1905 spricht Scot konsequenterweise in der Pluralform, aber im Frankreich des Jahres 1905 ging es natürlich vor allem um die katholische Kirche und um den Einfluß des Papstes. Die These, daß der Laizismus als Kern republikanischen Denkens anzusehen sei, durchzieht sämtliche in den vergangenen Monaten erschienene Literatur zum anstehenden Jahrestag und so auch die nicht zuletzt durch die vielen Quellenverweise sehr anschauliche Studie Jean-Paul Scots. In drei Hauptkapiteln zeichnet er die Ursprünge der La ї cité, die Vorbereitungen zum Gesetz von 1905 sowie - unter offenkundiger Anspielung auf den Aufklärer Montesquieu - den Geist des Gesetzes nach und wirbt für Sympathie mit diesem Gesetz, das letztlich nichts als Frieden und Toleranz in die Gesellschaft gebracht habe (vgl. S. 337). Als Initiator des Gesetzes von 1905 nennt Jean-Paul Scot insbesondere Aristide Briand, der in Deutschland vor allem wegen seiner intensiven Zusammenarbeit mit Gustav Stresemann in den 1920er Jahren bekannt 171 Comptes rendus ist und der in der Tat neben Jean Jaurès als der eigentliche Verfechter der konsequenten Trennung zwischen Religion und Politik angesehen werden muß. Beim Lob Jean- Paul Scots für Briands Wirken zeigt sich indes die einst von Alexis de Tocqueville beobachtete französische Kontinuität vom Ancien Régime zu jeder postrevolutionären Regierung: Auch im demokratischen Frankreich ist das siècle classique des Sonnenkönigs Referenz und Maß für politische Karrieren, und so wundert es nicht, daß Scots Hommage an den Republikaner Aristide Briand den Vergleich mit Richelieu nicht scheut (S. 348). Allerdings wäre hier ein Ansatzpunkt gewesen, die im ersten Hauptkapitel reflektierte Genese des Laizismus einer kritischen Revision zu unterziehen. Für Jean-Paul Scot ist der Laiszismus ein eindeutiges Erbe der Revolution (die im Anhang angeführte Chronologie über das Verhältnis von Kirche und Staat beginnt konsequenterweise im Jahr 1789), und wegen dieser scheinbaren Evidenz widmet er der historischen Reflexion nur wenige Seiten; vor allem beschränkt er sich darauf, den seinerzeit von Briand erstellten Bericht zu referieren, den dieser dem Parlament vorlegte. Auch wenn Scot auf das berühmte Wort aus dem Matthäus-Evangelium („Gebt dem Kaiser...“ Mt 22,15-21), auf den Dictatus papae von 1075 sowie auf die Formulierungen der gallikanischen Freiheiten eingeht, greift diese historische Analyse letztlich zu kurz, insofern sie den engen Zusammenhang zwischen der Genese des Absolutismus und dem Entstehen des Laizismus ignoriert: Seit François I. unterwarfen die französischen Könige den Klerus ihres Landes ihren politischen Interessen, und mit dieser Säkularisierung der religiösen Überzeugungen, welche - in der Öffentlichkeit geäußert - als ein das Land in seiner Einheit bedrohendes Delikt galten, ging eine zunehmende Sakralisierung der politischen Macht einher: Für die Vertreter der Kirche blieb dabei letztlich nur die Alternative, sich entweder den Ansprüchen der Politik zu unterwerfen oder diese sich - zum eigenen Vorteil - zu eigen zu machen. Letzteres war die Strategie eines Richelieu, in dessen Händen religiöse und politische Macht ganz verschmolzen, und somit entbehrt der Vergleich Aristide Briands mit dem Kardinal nicht einer unfreiwilligen Ironie. Dort, wo sich Scots Studie vom Bericht Aristide Briands löst und die Konflikte zwischen einem sich dem modernen Verfassungsstaat verweigernden Klerus einerseits und einer zunehmend kirchenfeindlichen Öffentlichkeit andererseits nachzeichnet, ist sie eine wertvolle Hilfe, das Gesetz vom 9. Dezember 1905 und seine Initiatoren wirklich zu verstehen, wie es der Titel des Buches ankündigt. Gerade die Darstellung der mühevollen Versuche Napoleons III., die Katholiken über die Lösung der römischen Frage für sein Regime zu gewinnen, die differenzierte Analyse der Rolle, welche die Kirche im Kontext der Pariser Commune spielte, und nicht zuletzt die Schilderung der Bedeutung der Dreyfus-Affäre für das Gesetz über die Trennung von Kirche und Staat machen aus Jean-Paul Scots Buch einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Entstehungsbedingungen dieses Gesetzes, das in der Tat seit hundert Jahren als ein Eckpfeiler der französischen Republik - der Dritten, der Vierten wie der Fünften - betrachtet wurde und wird. Zu fragen bleibt indes, warum sich diese Studie jeglicher Darstellung der Rolle des Laizismus im gegenwärtigen Frankreich versagt und statt dessen die Vorbildfunktion des französischen Modells der Trennung von Politik und Religion für Länder wie die Türkei hervorhebt. Angesichts einer in Frankreich inzwischen marginalisierten katholischen Kirche, aber eines nicht zu verkennenden ‘retour du religieux’, der sich vor allem in den französischen Vorstädten in Form einer aggressiven Variante islamischer 172 Comptes rendus Frömmigkeit zeigt, wäre es wünschenswert gewesen, hundert Jahre nach seiner Verabschiedung das Gesetz über die Trennung von Kirche und Staat einer kritischen Analyse zu unterziehen. Denn wenn der (französische) Staat auf die Integration gerade derer setzt, deren Identität auch durch eine starke religiöse Orientierung geprägt ist, dann bedarf es anderer Mittel als jener einst gegen die angebliche Gefahr einer päpstlich geprägten Theokratie beschworenen strikten Neutralität, welche das Victor-Hugo- Zitat im Titel preist, welche gleichwohl oftmals mit Ignoranz verwechselt wird. Ohne sich um dogmatische Angelegenheiten einzelner Religionen kümmern zu können und zu sollen, darf der moderne Verfassungsstaat die Augen eben nicht vor den religiösen Orientierungen seiner Bürger verschließen oder lediglich durch restriktive Kleiderordnungen in der Schule zu regeln versuchen. Die Einführung des Schulfaches ‘faits religieux’ (im Sinne von Religionskunde) und die Suche des derzeitigen Innenministers Sarkozy, durch die Förderung von Gremienbildung Ansprechpartner in den muslimischen Gemeinden zu finden, sind zweifellos Ansätze, die - angesichts einer völlig veränderten gesellschaftlichen Situation - das Gesetz von 1905 im Kern revidieren. Leider geht Jean-Paul Scot auf diese Entwicklung und die sich aus ihr ergebenden Konflikte nicht ein, obwohl dies doch erst ermöglichen würde, das Gesetz von 1905 in seiner ganzen Tragweite und auch in seinen Grenzen zu verstehen. Clemens Klünemann (Ludwigsburg) CORNELIA RUHE: CINEMA BEUR. ANALYSEN ZU EINEM NEUEN GENRE DES FRANZÖSISCHEN FILMS. KONSTANZ: UVK VERLAGSGESELLSCHAFT, 2006. ISBN 13: 978-3-89669-607-6 Le 27 septembre 2006 sortait dans les salles françaises Indigènes, un film de Rachid Bouchareb avec les quatre acteurs „beurs“ les plus reconnus du cinéma français: Jamel Debbouze, Samy Naceri, Roschdy Zem et Sami Bouajila. Ce film dévoile un pan méconnu de l’histoire française, à savoir l’engagement de soldats originaires des colonies françaises lors de la seconde guerre mondiale. Cette même année sortait une étude rédigée en allemand par Cornelia Ruhe (Université de Constance): Cinéma beur. La France „Black Blanc Beur“ était encore à l’affiche un an après les émeutes en banlieue et quelque mois après la ‘réécriture’ de l’article 4 de la loi du 23 février 2005 „portant reconnaissance de la Nation et contribution nationale en faveur des Français rapatriés“. En effet, le 2 ème alinéa de cette loi sur les programmes scolaires et de recherche universitaire „reconnaissant en particulier le rôle positif (sic) de la présence française outre-mer, notamment en Afrique du Nord“ a fait esclandre jusqu’à ce que ce paragraphe litigieux soit abrogé par décret le 16 février 2006! 1 Le livre de Ruhe consiste en une analyse du genre beur, qu’elle comprend comme un nouveau genre filmique français. Son travail se divise en trois parties: la 1 ère est consacrée à la notion du genre, la 2 nde à celle du genre beur et la 3 ème à six films représentatifs de ce genre: Le thé au harem d’Archimède de Mehdi Charef (1985), La haine de Matthieu Kassovitz (1995), L’autre côté de la mer de Dominique Cabrera 1 Cf. http: / / www.legifrance.gouv.fr/ WAspad/ UnTexteDeJorf? numjo=DEFX0300218L pour le texte original de la loi et http: / / www.legifrance.gouv.fr/ texteconsolide/ PJEFS.htm pour le texte en vigueur.
