eJournals lendemains 36/141

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0170-3803
2941-0843
Narr Verlag Tübingen
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Transdisziplinäre und transnationale Wissenschaftskommunikation zwischen Soziologen und Germanisten in der Zwischenkriegszeit: Das Beispiel Edmond Vermeils (1878-1964)

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Katja Marmetschke
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59 Dossier Katja Marmetschke Transdisziplinäre und transnationale Wissenschaftskommunikation zwischen Soziologen und Germanisten in der Zwischenkriegszeit: Das Beispiel Edmond Vermeils (1878-1964) Es ist inzwischen gut belegt, daß - von wenigen Ausnahmen abgesehen - die transnationalen Kommunikations- und Rezeptionsprozesse zwischen deutschen und französischen Soziologen in der Zwischenkriegszeit nur relativ schwach ausgeprägt waren. Zurückführen läßt sich dies auf zwei wesentliche Faktoren: Zum einen auf die nachhaltig destruktive Wirkung, die die einstmalige Kriegsbegeisterung französischer und deutscher Sozialwissenschaftler auf den Wiederaufbau transnationaler Wissenschaftskontakte nach 1918 ausübte; zum anderen auf die unterschiedlichen methodischen Herangehensweisen in beiden Fächern. 1 Im Anschluß an diese Feststellung kann man die Frage formulieren, ob sich das fehlende Interesse französischer Soziologen für die Arbeiten ihrer deutschen Kollegen auch auf ein Fach erstreckte, das aufgrund seines Selbstverständnisses in der Zwischenkriegszeit eigentlich ein großes Interesse an dem soziologischen Forschungsstand im Nachbarland bekundet haben müßte, nämlich die französische Germanistik. Im Gegensatz zu ihrer deutschen Schwesterdisziplin hatte sie sich nie auf die Erforschung der deutschen Sprache und Literatur beschränkt, sondern die Gründerväter des Faches hatten am Anfang des 20. Jahrhunderts ganz bewußt den Zweig der civilisation gegenüber dem klassischen Bereich der langue et littérature in den Vordergrund gerückt. Erklärtes Ziel der Pioniergeneration war es, die wissenschaftliche Deutschlandkompetenz in einer Disziplin zu bündeln und unter Einbeziehung von Erkenntnissen und Methoden aus den Nachbardisziplinen über die historische, gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Situation im Nachbarland zu forschen. 2 Bevorzugte Ansprechpartner der noch jungen Disziplin, deren Interesse sich hauptsächlich auf das Deutschland der Gegenwart richtete, waren die Geschichtswissenschaft, die Geographie, die Wirtschaftswissenschaften, die Philosophie und auch die sich seit der Jahrhundertwende als eigenständige Disziplinen in Frankreich konstituierende Soziologie und Ethnologie. 3 Neben dem interdisziplinären Forschungsanspruch sowie der konsequenten Gegenwartsorientierung erleichterte zudem die Sprachkompetenz der Germanisten die mögliche Rezeption sozialwissenschaftlicher Schriften aus dem Nachbarland. Inwiefern läßt sich aber nun ein Prozeß intellektueller Beeinflussung französischer Germanisten durch die Vertreter der deutschen Soziologie nachweisen? Und in welchem Umfang hat die transdisziplinäre Offenheit der Disziplin zu einer konkreten institutio- 60 Dossier nellen Zusammenarbeit mit den in Frankreich tonangebenden Soziologen und deren Methodenrepertoire geführt? Diesen Fragen soll am Beispiel des französischen Germanisten Edmond Vermeil (1878-1964) nachgegangen werden, der in der Zwischenkriegszeit zu den führenden Vertretern seines Faches gehörte und zunächst an der Universität in Straßburg (1919-1934) und später an der Sorbonne (1934-1940, 1944-1951) lehrte. 4 Im Gegensatz zu vielen Deutschlandexperten der Zwischenkriegszeit, die zwar einen soliden deutschlandwissenschaftlichen Schwerpunkt vorweisen konnten oder mit Deutschlandstudien ihren akademischen Lebensweg begonnen hatten, dann aber in einer der Nachbardisziplinen Karriere machten (wie z.B. der Ethnologe Lucien Lévy-Bruhl 5 ), blieb Edmond Vermeil zeit seines Lebens institutionell und intellektuell fest in der Germanistik verankert. Zu seinen Lehrern gehörten Charles Andler (1866-1933) und Henri Lichtenberger (1864-1941), und von beiden übernahm er wichtige forschungsstrategische und verständigungspolitische Postulate, die grundlegend das Selbstverständnis der Germanistik in der Zwischenkriegszeit prägten, wie den Anspruch auf Interdisziplinarität und das Streben nach Versöhnung zwischen beiden Nationen. Sein umfangreiches Werk soll nachfolgend unter zwei Aspekten beleuchtet werden. Erstens: Wo unternimmt Vermeil intellektuelle Anleihen bei Vertretern der deutschen Soziologie und welchen Stellenwert haben diese Bezugnahmen in seinen Erklärungsversuchen des Nachbarlandes? Zweitens: Innerhalb welcher Institutionen und Netzwerke arbeitete er mit Fachvertretern der französischen Soziologie zusammen? Auf der Suche nach Erklärungen des Nachbarlandes: Vermeils intellektuelle Anleihen bei deutschen Soziologen und Sozialwissenschaftlern Die Zwischenkriegszeit bildete die Blütephase in Vermeils intellektuellem Schaffen, von der zahlreiche Schriften Zeugnis ablegen. Kurz nach seiner Berufung auf den Straßburger Germanistik-Lehrstuhl (mit dem Schwerpunkt civilisation allemande) legte er 1922 die erste französischsprachige Studie über den Religionssoziologen Ernst Troeltsch vor. 1923 verfaßte er eine vielbeachtete Untersuchung über die Weimarer Verfassung und 1925 eine gegenwartsorientierte Überblicksdarstellung über die politische, wirtschaftliche und soziale Lage in Deutschland. 1938 trat er schließlich mit einer Spektralanalyse des Schriftguts konservativer Denker in der Weimarer Republik hervor. 6 Ergänzt wurden diese monographischen Arbeiten durch eine Myriade von Aufsätzen über das aktuelle Geschehen im Nachbarland, die mehrheitlich in Zeitschriften des protestantisch-linksrepublikanischen Intellektuellenmilieus erschienen. Eine Durchsicht dieses umfangreichen publizistischen Werks nach Verweisen auf deutsche Soziologen oder Sozialwissenschaftler fördert zunächst ein ernüchterndes Ergebnis zutage. Mit Ausnahme der Troeltsch-Studie finden sich bei Vermeil fast keine Bezugnahmen auf soziologische Arbeiten aus dem Nachbarland. 7 Für Vermeil waren die wichtigsten intellektuellen Stichwortge- 61 Dossier ber der 1920er und 1930er Jahre Thomas Mann, Oswald Spengler, Hermann Keyserling und Walther Rathenau, die er als die Protagonisten der kulturellen Erneuerungs- und Identitätsdebatte jenseits des Rheins identifiziert hatte und mit deren Schriften er sich kenntnisreich in seinem Buch über die Doctrinaires de la Révolution allemande auseinandersetzte. 8 Ebenso wenig finden sich Hinweise auf soziologische Autoren in seinem Buch über das Deutschland der Gegenwart, das aufgrund seines populärwissenschaftlich-essayistischen Zuschnitts sogar ohne Literaturhinweise und Fußnoten auskommt. In dem weitaus besser dokumentierten Werk über die Weimarer Verfassung finden sich zwar systematische Hinweise auf die wissenschaftlichen Arbeiten des Staatsrechtlers Hugo Preuss, des Historikers Karl Lamprecht und auf den heute kaum noch bekannten Nationalökonomen Moritz Julius Bonn, 9 aber - und dies dürfte in der Themenwahl begründet liegen - kaum Hinweise auf soziologische Werke. Überhaupt galt das Interesse vieler französischer Germanisten weniger den neueren sozialwissenschaftlichen Diskussionen in Deutschland, sondern vielmehr den zeitgenössischen philosophisch-kulturellen Identitätsdebatten sowie der Erforschung übergreifender historisch-politischer Entwicklungslinien im Nachbarland. Umso interessanter ist deshalb die Frage, aus welchen Motiven und in welchen Zusammenhängen Vermeil zur Verdeutlichung der Geschehnisse im Nachbarland zwei Mal explizit auf die Schriften deutscher Soziologen zurückgriff: Auffällig ist zum einen sein beständiger Bezug auf Ernst Troeltsch, dessen Name sich vom Ende des Ersten Weltkrieges bis in die zweite Nachkriegszeit wie ein roter Faden durch Vermeils Werk zieht. Zum anderen greift er in den 1930er Jahren mehrfach das soziale Schichtungsmodell des deutschen Soziologen Theodor Geiger auf, um die gesellschaftlichen Ursachen des Nationalsozialismus zu erklären. Sowohl der systematische Bezug auf Troeltsch als auch der eher sporadische auf Geiger lassen Rückschlüsse zu auf die Bedingungsfaktoren, die auf die Steuerung grenzüberschreitender Rezeptionsvorgänge einwirken: Vermeils intensive Auseinandersetzung mit Troeltsch, die sich auf dessen religionshistorische und kulturphilosophische Schriften erstreckt, läßt sich vor allem auf ein individuelles und biographisch-sozialisatorisch geprägtes Erkenntnisinteresse zurückführen. Der Germanist wuchs in einer strenggläubigen Methodistenfamilie auf und lernte bereits während seiner Jugend in den französischen Cevennen die Vielfalt protestantischer Glaubensrichtungen samt ihrer Auswirkungen auf das dörfliche Miteinander kennen. In Ernst Troeltschs Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen (Gesammelte Werk, Bd. 1, 1912) fand er eine einleuchtende Erklärung für die jeweilige Ausformung des Calvinismus und Lutheranismus in Deutschland und damit einen Schlüssel, um die verschiedenen Erscheinungsformen des Protestantismus jenseits des Rheins besser einordnen und hinsichtlich ihrer langfristigen politisch-gesellschaftlichen Prägekraft beurteilen zu können. Die Annahme, daß die Herausbildung moderner Gesellschaften in entscheidender Weise von Glaubensfragen bestimmt wurde, bildete eine Grundüberzeugung Vermeils: Für ihn war ein Verständnis des Nachbarlandes ohne eine tiefgreifende Analyse der Reformation mit ihren politischen, gesellschaftlichen und 62 Dossier wirtschaftlichen Konsequenzen nicht denkbar. 10 Innerhalb der germanistischen Fachwelt stießen seine religionshistorischen Studien, zu denen auch seine Doktorarbeit über die Katholische Tübinger Schule und deren Einfluß auf den Modernismus-Streit in Frankreich zählte, 11 indes auf ein schwaches Echo. So wurde seine Troeltsch-Studie zwar in den einschlägigen deutschen und französischen theologischen und religionshistorischen Zeitschriften einmütig gelobt, 12 aber im Kreis seiner Kollegen fanden die kenntnisreichen und bis in die feinsten Verästelungen hineinreichen Ausführungen zur Geschichte des Protestantismus kaum Beachtung. Über lange Jahre hinweg blieb Vermeils Studie die einzig verfügbare französischsprachige Arbeit über Troeltsch, deren wissenschaftliche Bedeutung 1990 mit einer Neuauflage unterstrichen wurde. 13 Obgleich der gelegentliche Bezug auf den Soziologen Theodor Geiger (1891- 1952) in Vermeils Schriften längst nicht den gleichen Stellenwert einnimmt wie die kontinuierlich erfolgenden Troeltsch-Verweise, lassen sich auch aus diesen Referenzen Erkenntnisse über die verschiedenen Einflußfaktoren transnationaler Rezeptionsprozesse gewinnen. Der deutsche Soziologe hatte 1932 eine Studie über Die soziale Schichtung des deutschen Volkes publiziert 14 und darin eine Einteilung der deutschen Gesellschaft in fünf verschiedene Schichten vorgenommen, da ihm das rein auf Eigentumsverhältnissen basierende Dreiklassenmodell als zu grobmaschig erschien, um daraus gesicherte Rückschlüsse auf das Bewußtsein bestimmter Bevölkerungsgruppen ableiten zu können. Vor allem hinsichtlich der Kategorie der „Mittelklasse“ nahm er eine wichtige Differenzierung vor: Während die „alte“ Mittelklasse lediglich die kleinen und mittleren Unternehmer sowie die selbständigen Tagearbeiter umfaßte, setze sich die „neue Mittelklasse“ aus qualifizierten Arbeitnehmern (wie Beamten, Angestellten und Vertretern liberaler Berufe) zusammen. Gerade diese „neue Mittelklasse“, so argumentiert Geiger, sei von der wirtschaftlichen Krise der Weimarer Republik besonders hart getroffen worden und daher ausgesprochen empfänglich für den Nationalsozialismus. Geigers Schichtungsmodell, in dem objektive sozio-ökonomische Merkmale mit bestimmten subjektiven Verhaltens- und Einstellungsmustern kombiniert werden (Geiger selbst spricht von „Mentalitäten“), diente Vermeil als eine wichtige Quelle zur Deutung des Nationalsozialismus, auf die er während der 1930er Jahre gleich in mehreren Aufsätzen zurückgriff. 15 Daß der französische Germanist für seine Ursachenanalyse des „Dritten Reiches“ wiederholt auf die Arbeiten eines deutschen Soziologen verwies, scheint auf den ersten Blick nicht in das Bild zu passen, das bis heute von ihm in den Geschichtswissenschaften vorherrscht. Dort gilt er als einer der Hauptvertreter der sogenannten Kontinuitätsthese, der zufolge sich die deutsche Geschichte als eine unheilvolle Entwicklungsreihe darstellt, die unausweichlich in der Katastrophe enden mußte. 16 Zwar finden sich in Vermeils Hauptwerk Allemagne. Essai d’explication, einer Monographie, die 1940 kurz vor Kriegsausbruch unter großem politischen Druck und in kämpferischer Absicht verfaßt wurde, zahlreiche Belege für diese deterministische Sichtweise, 17 aber es wäre verkürzt, seine Deutung des Nationalsozialismus darauf zu reduzieren. In der Tat war es gerade die 63 Dossier Bereitschaft zur interdisziplinären Zusammenarbeit und zum intellektuellen Engagement, die dem Germanisten eine facettenreiche Betrachtung des Nationalsozialismus ermöglichte: Zusammen mit den Intellektuellen im Comité de vigilance des intellectuels antifascistes warnte er frühzeitig vor der aggressiv-expansiven und damit ganz Europa bedrohenden Dimension des deutschen Faschismus. Er gründete gemeinsam mit Ethnologen aus dem Institut de d’Ethnologie de l’Université de Paris und dem Musée de l’Homme im Herbst 1936 die Gruppe Races et Racismes, um die öffentliche Aufmerksamkeit auf die in Frankreich zum damaligen Zeitpunkt kaum beachtete rassistische Herrschaftsideologie des „Dritten Reiches“ zu lenken. Er arbeitete mit Juristen wie dem bekannten Straßburger Staatsrechtler (und späteren Widerstandskämpfer) René Capitant zusammen, um die internen Herrschaftsstrukturen des Hitlerregimes und die Auflösung des demokratischen Rechtsstaats zu untersuchen. Zudem befaßte er sich aufgrund seiner Tätigkeit im Commissariat Général à l’Information ausführlich mit den Mechanismen der Goebbelschen Propaganda. 18 Gerade die transdisziplinäre, im Zeichen des Widerstandes entstandene Kooperation lieferte Vermeil also Elemente zur Erklärung des Nationalsozialismus, die aus heutiger Sicht stichhaltiger und wissenschaftlich überzeugender erscheinen als die zum damaligen Zeitpunkt für ihn zentrale Deutung des nationalsozialistischen Terrorregimes als ein Produkt geistesgeschichtlicher Verkettungen. Akademische Foren der Zusammenarbeit zwischen französischen Soziologen und Germanisten in der Zwischenkriegszeit Wo sind aber nun im Rahmen dieser disziplinübergreifenden Zusammenarbeit konkrete Schnittstellen zur französischen Soziologie erkennbar? In welchem Kontext fand z.B. Vermeils Befassung mit Geiger statt? In der Tat lassen sich für die Zwischenkriegszeit einige institutionelle Foren benennen, die französische Wissenschaftler beider Fächer miteinander in Kontakt brachten und in denen Vermeil präsent war. An erster Stelle ist hierbei das 1921 in Mainz gegründete Centre d’Etudes Germaniques zu nennen, eine Institution, die auf die Initiative des französischen Hochkommissars im Rheinland hin gegründet wurde und französischen Studierenden sowie Offizieren der rheinischen Armee und Angestellten der Besatzungsverwaltung offenstand. Das Zentrum ist zu Recht als eine der ersten interdisziplinären Ausbildungsstätten in Frankreich überhaupt bezeichnet worden, 19 wovon das Vorlesungsverzeichnis ein beredtes Zeugnis ablegt. Allgemeine Überblicksdarstellungen über die deutsche Geschichte, Sprache und Literatur (wie sie zum damaligen Zeitpunkt mehrheitlich an den französischen Universitäten angeboten wurden) bildeten die Ausnahme im Curriculum. Vielmehr konzentrierten sich die Lehrenden auf konkrete Themenfelder, die das Deutschland der Gegenwart betrafen und daher von unmittelbarem Interesse für die Ausbildung der jungen Offiziere waren. 64 Dossier Das Angebot reichte hierbei von der Analyse des zeitgenössischen Parteienspektrums über Darstellungen fiskalpolitischer, außenwirtschaftlicher und juristischer Zusammenhänge bis hin zur deutschen Musikgeschichte. 20 Die Lehrenden waren zumeist renommierte Professoren aus verschiedenen Straßburger Fakultäten, die regelmäßig nach Mainz kamen, um ihre Kurse abzuhalten. Neben Germanisten (wie Edmond Vermeil und Edouard Spenlé, dem Direktor des Centre) waren unter ihnen Historiker (z.B. die späteren Annales-Gründer Marc Bloch und Lucien Febvre) und vor allem Juristen (z.B. der bekannte Verfassungsrechtler Robert Redslob) vertreten, aber auch einige Wirtschaftswissenschaftler und Soziologen. Seit September 1922 unterrichtete Maurice Halbwachs regelmäßig im militärischen Ausbildungszweig des Centre, und zwar zunächst über die industriepolitische Reorganisation der Weimarer Republik und von 1926/ 27 an über die wichtigsten Vertreter der deutschen Soziologie seit 1870, einen Kurs, den nach seiner Berufung an die Sorbonne 1934/ 35 sein Straßburger Nachfolger Georges Gurvitch übernahm. 21 Obwohl man im Zusammenhang des CEG von keiner etablierten Forschungsinstitution sprechen kann, so fällt doch auf, daß erstens alle Dozenten ein ausgeprägtes Interesse an Deutschland verband, für das ihnen ihre Tätigkeit am CEG Freiräume eröffnete, den die Universität mit ihren strengen curricularen Vorgaben nicht bieten konnte. Zweitens fällt auf, daß die Professoren trotz ihrer unterschiedlichen Fächerzugehörigkeit fast alle zu den Vertretern ihrer Disziplin zählten, die an die Notwendigkeit interdisziplinärer Öffnung glaubten und diese programmatisch in ihrer Forschung umsetzten, wie z.B. Lucien Febvre und Marc Bloch durch den Brückenschlag der Annales-Schule zur Geographie und Ökonomie. 22 Das Zentrum bot den Lehrenden einen Ort des interdisziplinären, deutschlandbezogenen Austausches, der in dieser Form innerhalb der damaligen akademischen Landschaft einmalig war und auch die langjährige Verbundenheit vieler Dozenten mit der Institution zu erklären vermag. Das zweite institutionelle Netzwerk, in das Vermeil eingebunden war und an dem Soziologen und Germanisten gemeinsam über Deutschland arbeiteten, war das Centre de Documentation Sociale an der Ecole Normale Supérieure. 23 Dieses war 1920 dank der finanziellen Unterstützung des Wissenschaftsmäzens und Bankiers Albert Kahn 24 in den Räumlichkeiten der Pariser Elitehochschule eingerichtet worden und bestand zunächst lediglich aus einer Bibliothek und einem Zeitschriftensaal. Erst in den 1930er Jahren entwickelte es sich unter der Leitung von Célestin Bouglé (1870-1940) zu einem international bekannten Forschungs- und Dokumentationszentrum. Bouglé trieb zum einen den Aufbau der Bibliothek voran; zum anderen gelang es ihm, nach dem Bankrott Kahns im Jahr 1929 die Rockefeller-Stiftung als Förderin des Zentrums zu gewinnen, das fortan mit Hilfe der amerikanischen Stiftung jährlich zwei Stipendien an normaliens vergeben konnte. 25 Zur Internationalisierung der Forschungstätigkeit trug entscheidend bei, daß die Stipendiaten diese Mittel häufig zu Reisen ins Ausland nutzten und Bouglé seine Assistenten überdies ausdrücklich ermunterte, einen Blick über die Grenzen zu werfen. So verfaßte Raymond Aron auf Drängen Bouglés (und mit der Aussicht auf 65 Dossier eine Assistentenstelle am Dokumentationszentrum) sein berühmtes Buch über La sociologie allemande contemporaine (1935). 26 Ein anderes, weniger bekanntes Beispiel ist das des Philosophen, Mathematikers und späteren Widerstandskämpfers Jean Cavaillès (1903-1944), der Ende der 1920er Jahre Assistent am Centre de Documentation Sociale war und für das Studienjahr 1930/ 31 ein einjähriges Reisestipendium der Rockefeller-Stiftung erhielt, um im Nachbarland an seiner Dissertation und einer Studie über die deutsche Jugendbewegung zu arbeiten. 27 Zur internationalen Ausrichtung des Zentrums trug aber nicht nur die rege Reise- und Forschungstätigkeit der jungen Stipendiaten bei, sondern auch die von Bouglé vor Ort organisierten Studiengruppen und Veranstaltungsreihen, in deren Zusammenhang Vermeils Publikation über die classes moyennes einzuordnen ist. Von 1936 bis 1939 gab Bouglé am Zentrum die dreibändige Reihe Inventaires heraus, deren dritter Band sich aus internationaler Perspektive mit dem Problem der Mittelschicht befaßte. 28 Die Einleitungsbeiträge über das Konzept der Klasse und die Charakteristika der Mittelklasse stammten aus der Feder von Raymond Aron bzw. Maurice Halbwachs, daran schlosssen sich Artikel an über die Spezifika der Mittelschicht in verschiedenen Ländern, die für das deutsche Beispiel von Edmond Vermeil erläutert wurden. 29 Daß Vermeil (ebenso wie andere Germanisten) gerade über Célestin Bouglé mit der französischen Soziologie in Kontakt kamen, ist nicht erstaunlich. Bouglé selbst hatte sich in seinem Studium schon frühzeitig Deutschland zugewandt 30 und war in zahlreichen linksrepublikanischen Intellektuellennetzwerken präsent, die von den Germanisten der Zwischenkriegszeit frequentiert und als Plattform zur Verbreitung ihrer Deutschlandanalysen genutzt wurden, wie z.B. die Union pour la Vérité, zu deren Mitgliedern Charles Andler, Henri Lichtenberger und Edmond Vermeil zählten. 31 Den transdisziplinären und transnationalen Brückenschlag erleichterte nicht zuletzt Bouglés Sonderstellung innerhalb der Durkheim-Schule. 32 Obgleich er sich zeit seines Lebens als Durkheim-Anhänger verstand, war er stärker als andere Schüler der Überzeugung, daß der soziologische Ansatz seines Lehrers durch andere Lehren komplettiert und ergänzt werden müßte. Insbesondere setzte er sich für eine Öffnung zur Philosophie ein, zu der er als Herausgeber der angesehenen Revue de Métaphysique et de Morale eine wichtige Vermittlerrolle übernahm. Zudem hatte er zahlreiche intellektuelle und persönliche Bindungen zur neo-kantianischen Philosophie, die zum damaligen Zeitpunkt das universitäre Hochschulmilieu dominierte (u.a. innerhalb der gerade erwähnten Union pour la Vérité), und die ihn in seiner Auffassung bestärkten, daß das streng-wissenschaftlich positivistische Vorgehen Durkheims allein zur Erklärung sozialer Tatbestände nicht ausreiche. 33 Daß sich das Centre de Documentation Sociale an der ENS zu einer Kommunikationsplattform junger Soziologen entwickeln konnte, die jenseits der dominierenden Durkheim-Schule eigenständige und von den Entwicklungen im Ausland inspirierte Ansätze entwickelten, war jedoch nicht nur Bouglé als intellektuellem Impulsgeber und Mentor zu verdanken. Es ist vielmehr auch einem „externen“ Faktor ge- 66 Dossier schuldet, nämlich der finanziellen Förderung durch die Rockefeller-Stiftung, die in der Zwischenkriegszeit bewußt induktiv-empirisch angelegte und gegenwartsorientierte sozialwissenschaftliche Forschung förderte. 34 Die thematischen Schwerpunkte waren nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 vor allem die Analyse aktualitätsbezogener sozio-ökonomischer Problemlagen (wie sie etwa in der Inventaires- Reihe Bouglés behandelt wurden), für welche die Stiftung eine Vielzahl von Institutsgründungen initiierte und unterstützte. 35 Das zweite wichtige Instrument der Förderpolitik war die Vergabe individueller Stipendien, die seit Ende der 1920er Jahre auch vermehrt Sozialwissenschaftlern zugute kamen. 36 Zielland des Aufenthalts war häufig die USA, aber auch Deutschland. Es ist sicherlich kein Zufall, daß sich neben den gerade erwähnten Studierenden aus dem ENS-Umfeld unter den Stipendiaten eine ganze Reihe Straßburger Wissenschaftler befand, die als Dozenten am Centre d’Etudes Germaniques tätig waren, unter ihnen der Widerstandskämpfer und Verfassungsrechtler René Capitant (einjähriger Deutschlandaufenthalt 1933-34), der Jurist Henry Laufenburger (sechsmonatiger Deutschlandaufenthalt 1935) und schließlich Edmond Vermeil, der von Januar bis April 1933 eine enquête sociale in Deutschland durchführte und Augenzeuge der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde. 37 Wie sehr die Soziologie Durkheimianischer Prägung Anziehungs- und Faszinationskraft auf die wissenschaftlichen Nachbardisziplinen ausübte, läßt sich Fall Edmond Vermeils noch an einem weiteren Beispiel ablesen, nämlich an der Gründung der vierteljährlichen Zeitschrift L’Année Politique française et étrangère, deren erste Ausgabe 1925/ 26 erschien. 38 Gemeinsam mit dem Durkheim-Schüler und Pädagogikexperten René Hubert (1885-1954) und Bernhard Lavergne (1884- 1975), einem Juristen und ausgezeichneten Kenner der Genossenschaftsbewegung, verfaßte Edmond Vermeil das Editorial der ersten Ausgabe, in dem sie die programmatische Zielsetzung der Zeitschrift festlegten. Ausgehend von der ernüchternden Feststellung, daß die Berufung auf den traditionellen republikanischen Wertekanon nicht mehr ausreiche, um adäquate Antworten auf zeitgenössische Probleme des Parlamentarismus, der wirtschaftlichen Reorganisation und der internationalen Beziehungen zu geben, fordern sie die kritische Revision der bisherigen politischen Normen und die Ausarbeitung einer „neuen politischen Philosophie“. 39 Der von den Herausgebern formulierte Ruf nach Reformen im politischen Bereich entsprang einer bekennend-patriotischen Grundeinstellung: Da Frankreich bisher zu den führenden Nationen Europas gehört habe, dürfe man es nicht zulassen, daß es nun den Anschluß an die in vielen Ländern kontrovers diskutierten Erneuerungsmöglichkeiten politischer Mitbestimmung verliere und sich lediglich auf die Reaktualisierung jahrhundertealter Werte zurückziehe. 40 Hinter dieser Überlegung stand auch das Bemühen, ein überkommenes Politikverständnis der Dritten Republik zu überwinden und das öffentliche Nachdenken über die res publica zu verwissenschaftlichen. Zwar leugnete das Herausgeberteam nicht den „leidenschaftlichen Charakter“ der Politik, 41 aber in der Zeitschrift selbst sollten das wissenschaftliche Abwägen und die exakte Analyse im Vordergrund ste- 67 Dossier hen. Politik als „science“ und nicht als „passion“ - diesen Anspruch, gepaart mit erzieherisch-pädagogischen Intentionen, verfolgte die Année Politique. Es ging in diesem Zusammenhang auch um die Konsolidierung der Politikwissenschaft, die zu diesem Zeitpunkt noch ein junges Fach war, als eine ernsthafte, um Objektivität bemühte Wissenschaft. Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, daß das Herausgeberteam die Année Sociologique Emile Durkheims als praktisches Vorbild für ihr Projekt nennen: „Dans la composition de l’Année Politique, nous nous inspirons, on le voit, de l’admirable exemple scientifique que, frayant des voies nouvelles, l’Année Sociologique a fourni naguère, sous la direction du maître éminent que fut Emile Durkheim.“ 42 Nicht nur der ähnlich lautende Titel verdeutlichte die Parallelen, sondern auch der Heftaufbau orientierte sich an der Gliederung der 1898 gegründeten soziologischen Fachzeitschrift. Die Année Politique française et étrangère bildete damit einen politikwissenschaftlichen Ableger der französischen Soziologie, eine „Metamorphose“ des durkheimisme in der Zwischenkriegszeit, die vor allem von dem Wunsch gekennzeichnet war, die eigene Stellung zu behaupten und den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit zu unterstreichen. 43 Neben diesen institutionell-akademischen Foren, die französische Soziologen und Germanisten im Rahmen einer gegenwartsorientierten Befassung mit dem Nachbarland zusammenbrachten, sind für die Zwischenkriegszeit noch mindestens zwei weitere Begegnungsplattformen transdisziplinären und transnationalen Austausches zu nennen: Dies sind erstens informelle Netzwerke, die sich in den 1920er und 1930er Jahren um verschiedene Intellektuellengruppierungen und Fach- oder Kulturzeitschriften bildeten. Die akademische Zusammenarbeit zwischen der Soziologie und ihren Nachbarfächern wurde nicht zuletzt dadurch erleichtert, daß die Vertreter der Durkheim-Schule bewußt die transdisziplinäre Öffnung anstrebten und sowohl die Autoren für ihre Publikationsorgane (die Année sociologique (1925-1926) und von 1934-1942 die Annales sociologiques) als auch die Mitglieder des 1924 gegründeten Institut français de sociologie aus fachfremden Reihen rekrutierten. 44 Eine bedeutende Rolle für die deutsch-französische Kommunikation zwischen Soziologen und Vertretern anderer Disziplinen spielten zweitens die zivilgesellschaftlichen Verständigungsinitiativen der Locarno-Ära, die - wie im Fall des Frankreich-Engagements des Frankfurter Soziologen Gottfried Salomon-Delatour - auf die Initiative von Privatpersonen zurückzuführen sind, aber eine herausragende Wirkung auf den Aufbau grenzüberschreitender Kommunikationsstrukturen ausübten. Bestes Beispiel hierfür sind die von Salomon-Delatour organisierten Davoser Hochschulkurse (1928-1931), in denen französische Wissenschaftler (unter ihnen die Soziologen Marcel Mauss, Célestin Bouglé, Lucien Lévy-Bruhl, Maurice Halbwachs, der Germanist Henri Lichtenberger und der Philosoph Jean Cavaillès) mit Fachkollegen aus Deutschland und der Schweiz zusammentrafen und vor einem internationalen Studentenpublikum ihre Standpunkte austauschten. Damit durchbrach das Davoser Experiment sogar gleich drei Schranken: die zwischen Nationen und Disziplinen sowie diejenige zwischen Lehrenden und Lernenden. Allerdings zeigt sich in der kurzen Existenzphase der 68 Dossier Kurse auch die relative Fragilität zivilgesellschaftlicher Verständigungsagenturen und deren Abhängigkeit von Änderungen im außenpolitischen Konstellationsmodus zwischen zwei Nationen. Die für das Jahr 1932 geplanten Kurse kamen aufgrund finanzieller Schwierigkeiten nicht zustande, und nach der „Machtergreifung“ Hitlers hatte sich der politische Spielraum für private deutsch-französische Austauschforen bereits soweit verengt, daß an eine Fortführung nicht mehr zu denken war. 45 Das vorläufige Ende des Dialogs: Zum Verhältnis zwischen Sozialwissenschaften und Germanistik nach 1945 Nach dem Zweiten Weltkrieg durchlief die französische Germanistik einen Prozeß der Spezialisierung, Professionalisierung und Ausdifferenzierung. Der universale Erklärungsanspruch der Disziplin, das Bemühen, unter einem Fach die gesamte Deutschlandkompetenz zu bündeln, hatte seine Grenzen nicht zuletzt in den umfassenden Erklärungsversuchen Edmond Vermeils gezeigt, aus der deutschen Geschichte bestimmte Gesetzmäßigkeiten abzuleiten. Nach 1945 konzentrierten sich die Germanisten vornehmlich auf philologische und linguistische Fragen, und die ehemals im Zweig der civilisation angesiedelte Befassung mit dem Deutschland der Gegenwart wurde schrittweise ausgelagert an andere Disziplinen, wie z.B. die Politikwissenschaft, in der der ehemalige Germanist und Vermeil-Schüler Alfred Grosser einen klaren Deutschlandschwerpunkt entwickelte. Der Rückzug der französischen Germanisten auf das vermeintlich sichere Terrain der Philologie und Sprachwissenschaft erleichterte zwar die Kommunikation mit der deutschen Schwesterdisziplin, aber die Selbstverständlich- und Nachhaltigkeit, mit der sich die Gründergeneration der Zwischenkriegszeit um einen transdisziplinären Dialog bemüht hatte, ging in den 1950er und 1960er Jahren weitestgehend verloren. Die institutionellen Berührungspunkte zwischen Germanisten und Sozialwissenschaftlern waren punktuell und zeugen eher von einem Nebendenn von einem Miteinander in der Zusammenarbeit: Im Centre d’Etudes Germaniques zum Beispiel konzentrierten sich die Germanisten in der Nachkriegszeit auf Veranstaltungen zur Ideen- und Geistesgeschichte, die Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Deutschland lag fast ausschließlich in den Händen von Juristen und Ökonomen. 46 Erst unter dem Einfluß der Universitätsrevolte vollzog die französische Germanistik Ende der 1960er Jahre einen Richtungswechsel und öffnete sich wieder stärker dem Deutschland der Gegenwart unter sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ein impulsgebendes Beispiel für die Wiederbelebung des transdisziplinären Dialogs war etwa die Gründung des Institut d’Allemand d’Asnières im Jahr 1969, das sich unter der Leitung von Pierre Bertaux deutlich von der geistesgeschichtlichen Germanistikauffassung der Nachkriegsjahre distanzierte und eine zeitgemäße Reaktualisierung der civilisation-Komponente in Lehre und Forschung umsetzte. 47 Seit den 1980er Jahren entstand schließlich durch die (häufig von gouvernementa- 69 ler Seite angeregte) Schaffung deutsch-französischer Forschungsinstitutionen eine völlig neue Infrastruktur zur Verbesserung und Verdichtung der bilateralen Wissenschaftskommunikation: Mit der Gründung des Centre d’information et de recherche sur l’Allemagne contemporaine (1982), des Centre Marc Bloch (1992), der Deutsch-Französischen Hochschule (1997) und des Centre interdisciplinaire d’études et de recherches sur l’Allemagne (2001) wurden Institutionen ins Leben gerufen, in welchen der fächer- und grenzüberschreitende (bisweilen sogar den deutsch-französischen Bilateralismus überwindende) Dialog gefördert wird, und zwar insbesondere für die Adressatengruppe der Studierenden und des wissenschaftlichen Nachwuchses. Für die französische Germanistik bringt die institutionelle Ausdifferenzierung der Deutschlandforschung sowie die Schaffung deutschfranzösischer Fachstudiengänge indes die Notwendigkeit mit sich, ihre Stellung zu behaupten und vor allem ihr Verständnis von Pluridisziplinarität neu zu definieren. Zumindest in der Zwischenkriegszeit war letzteres nie allein vom Wunsch nach pragmatisch-projektorientierter Zusammenarbeit, sondern vom umfassend-integrierenden Anspruch des Faches und politischen Verständigungswillen seiner Repräsentanten geleitet. 1 Cf. die Einleitung von Lothar Peter zu diesem Dossier. 2 Eine kritische Aufarbeitung der Geschichte der französischen Germanistik steht noch aus. Cf. aber die inzwischen ältere Arbeit von Michel Espagne, Michael Werner (eds.): Les études germaniques en France (1900-1970), Paris, CNRS Ed., 1994. 3 Cf. Michel Espagne: „Die Germanistik im europäischen universitären Umfeld. Das Beispiel Frankreichs“, in: Christoph König, Eberhard Lämmert (eds.): Konkurrenten in der Fakultät. Kultur, Wissen und Universität um 1900, Frankfurt/ M., Fischer, 1999, 149-160. 4 Cf. zu Vermeil Katja Marmetschke: Feindbeobachtung und Verständigung. Der Germanist Edmond Vermeil (1878-1964) in den deutsch-französischen Beziehungen, Köln et. al., Böhlau, 2008. 5 Cf. Pascale Gruson: „Lucien Lévy-Bruhl (1857-1939)“, in: François Beilecke, Katja Marmetschke (eds.): Der Intellektuelle und der Mandarin, Kassel, Kassel University Press, 2005, 315-338 sowie Michel Espagne: „Lucien Lévy-Bruhl et les études germaniques“, in: Peter Schöttler, Patrice Veit, Michael Werner (eds.): Plurales Deutschland - Allemagne plurielle. Festschrift für Etienne François, Göttingen, Wallstein, 2000, 258-267. 6 Edmond Vermeil: La pensée religieuse de Troeltsch, Straßburg/ Paris, Istra, 1922; Id., La Constitution de Weimar et le principe de la démocratie allemande, essai d’histoire et de psychologie politiques, Straßburg/ Paris, Istra, 1923; Id., L’Allemagne contemporaine (1919- 1924), sa structure et son évolution politiques, économiques et sociales, Paris, Alcan, 1925; Id., Les Doctrinaires de la Révolution allemande (1918-1938), Paris, Sorlot, 1938. 7 Zwar wird 1925 auf der Umschlagseite des Bandes L’Allemagne contemporaine ein in Vorbereitung befindliches Werk über La Pensée allemande contemporaine von Vermeil angekündigt, in dem auch auf Max Webers Schriften Bezug genommen werden soll. In dem schließlich 1938 veröffentlichten Werk über die konservativen Denker der Weimarer Republik findet der deutsche Soziologe aber keine Erwähnung. Dossier 70 8 Cf. Marmetschke, op. cit., 293-308. 9 Moritz Julius Bonn (1873-1965) gehörte zu den führenden Nationalökonomen der Weimarer Republik und war parallel zu seiner Wissenschaftskarriere auch als einflußreicher Publizist, Sachverständiger und politischer Berater tätig, u.a. als Vertreter der deutschen Delegation auf der Versailler Friedenskonferenz. 10 So bekräftigte er 1934 in seinem Bewerbungsschreiben für seine (fehlgeschlagene) Kandidatur am Collège de France: „Sans une étude approfondie de la Réforme luthérienne, toute véritable intelligence de l’Allemagne, même moderne et contemporaine, demeure impossible.“ Edmond Vermeil, Lettre sur ses travaux et projets à l’occasion de sa candidature à la chaire de langues et de littératures germaniques du Collège de France, [1934], Bibliothèque Nationale de France, 8 M pièce 7516, 1. 11 Edmond Vermeil: Jean Adam Möhler et l’école catholique de Tubingue (1815-1840). Etude sur la théologie romantique en Wurtemberg et les origines germaniques du modernisme, Paris, Colin, 1913. 12 Cf. die Einleitung von Hartmut Ruddies zu der Neuausgabe von Edmond Vermeil: La pensée religieuse de Troeltsch, Genf, Labor et Fides, 1990, 7-19, 9. 13 Cf. ibid. Zu dem in den 1990er Jahren neu erwachten Interesse an Troeltsch cf. Trutz Rendtorff: „L’actuel renouveau d’intérêt pour l’œuvre de Troeltsch“, in: Revue de l’Histoire des Religions, 214 (1997), No. 2, 133-152. 14 Theodor Geiger, Die soziale Schichtung des deutschen Volkes: ein soziographischer Versuch auf statistischer Grundlage, Geleitwort v. Bernhard Schäfers, Stuttgart, Enke, 1987 (Faksimile der 1. Aus. 1932). Cf. auch Rainer Geißler: „Die Schichtungssoziologie von Theodor Geiger. Zur Aktualität eines fast vergessenen Klassikers“, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 37 (1985), No. 3, 387-410. 15 Z.B. in Edmond Vermeil: „Essai sur les origines sociales de la révolution hitlérienne“, in: L’Année Politique française et étrangère, 10 (1935), 41-78 oder in „Les classes moyennes dans l’Allemagne contemporaine“, in: Inventaires III - Classes Moyennes, Publications du Centre de documentation sociale de l’Ecole Normale Supérieure, Paris, Alcan, 1939, 53-77. Auch andere französische Deutschlandexperten griffen in den 1930er Jahren auf die Arbeit Geigers zurück, cf. Pierre Ayçoberry: La question nazie. Les interprétations du national-socialisme 1922-1975, Paris, Seuil, 1979, 103-107. 16 Eine solche Einschätzung findet sich z.B. bei Joachim C. Fest: Hitler. Eine Biographie, Frankfurt/ M., Propyläen, 1973, 515sq. oder bei Klaus Hildebrand: Das Dritte Reich, 6. neubearb. Aufl., München, Oldenbourg, 309sq. 17 Cf. Marmetschke, op. cit., 413-430. 18 Ibid., 373-409. 19 Cf. Corine Defrance (avec la collaboration de Christiane Falbisaner-Weeda): Sentinelle ou pont sur le Rhin? Le Centre d’Etudes Germaniques et l’apprentissage de l’Allemagne en France 1921-2001, Paris, CNRS Ed., 2008, 9. 20 Ibid., 56sq. 21 Ibid., 56, 91. 22 Cf. ibid., 10. 23 Cf. zur Entwicklung des Zentrums Johan Heilbron: „Les métamorphoses du durkheimisme, 1920-1940“, in: Revue française de sociologie, 26 (1983), No. 2, 203-237, 231-235. Dossier 71 24 Albert Kahn förderte neben dem Centre auch zahlreiche andere Wissenschaftsprojekte, cf. den Ausstellungsband Albert Kahn (1860-1940). Réalités d’une utopie, Musée départemental Albert Kahn, 1995. 25 Zur Fördertätigkeit der Rockefeller-Stiftung cf. Brigitte Mazon: „La Fondation Rockefeller et les sciences sociales en France, 1925-1940“, in: Revue française de sociologie, 26 (1985), No. 2, 311-342, 329sq. 26 Cf. Raymond Aron: Erkenntnis und Verantwortung. Lebenserinnerungen, München, Piper, 1985, 96. 27 Cf. Gerhard Heinzmann: „Jean Cavaillès und seine Beziehungen zu Deutschland“, in: Hans Manfred Bock, Reinhart Meyer-Kalkus, Michel Trebitsch (eds.): Entre Locarno et Vichy. Les relations culturelles franco-allemandes dans les années 1930, Bd. 1, Paris, CNRS Ed., 1993, 405-416. 28 Inventaires I. La crise sociale et les idéologies nationales, Paris, Alcan, 1936 (u.a. mit Beiträgen von E. Halévy, R. Aron, G. Friedmann und C. Bouglé); Inventaires II. L’économique et le politique, Paris, Alcan, 1937 (u.a. mit Beiträgen von R. Aron, P. Vaucher, G. Lefranc, L. Rosenstock-Franck); Inventaires III. Classes moyennes, Paris, Alcan, 1939. 29 Cf. zur zeitgenössischen Diskussion über die classes moyennes in Frankreich auch Klaus-Peter Sick: „Le concept des classes moyennes. Notion sociologique ou slogan politique? “, in: Vingtième Siècle. Revue d’histoire (1993), No. 37, 13-34, insb. 22, 31. 30 Célestin Bouglé reiste 1893 im Anschluß an seine agrégation de philosophie nach Deutschland und hörte dort den Soziologen Georg Simmel und Moritz Lazarus. Seine Eindrücke veröffentlichte er unter dem Pseudonym Jean Breton: Notes d’un étudiant français en Allemagne. Heidelberg-Berlin-Leipzig-München, Paris, Calmann-Lévy, 1895. Ein Jahr später kam das Buch unter seinem eigenen Namen mit dem Titel Les sciences sociales en Allemagne. Les méthodes actuelles, Paris, Alcan, 1896 heraus. 31 Cf. François Beilecke: Französische Intellektuelle und die Dritte Republik. Das Beispiel einer Intellektuellenassoziation 1892-1939, Frankfurt, Campus, 2003, der auch auf die besondere Rolle Bouglés (156-160) eingeht. 32 Cf. W. Paul Voigt: „Un durkheimisme ambivalent: Célestin Bouglé 1870-1940“, in: Revue française de sociologie, 20 (1979), No. 1, 123-139; Christian Gülich: Die Durkheim Schule und der französische Solidarismus, Wiesbaden, DUV, 1991; Jean-Christophe Marcel: Le durkheimisme dans l’entre-deux-guerres, Paris, PUF, 2001, 219sqq. 33 Cf. Voigt, loc. cit., 124-126. 34 Cf. Heilbron, loc. cit., 233. 35 Cf. Mazon, loc. cit. 36 Cf. Ludovic Tournès : „Les élites françaises et l’américanisation: le réseau des boursiers de la Fondation Rockefeller (1917-1970)“, in: Relations internationales, (2003), No. 116, 501-513. 37 Cf. Marmetschke, op. cit., 330-342. 38 Cf. Heilbron, loc. cit., 208-219. 39 René Hubert, Bernard Lavergne, Edmond Vermeil: „Notre programme“, in: L’Année Politique française et étrangère, 1 (1925/ 1926), No. 1, 1-13, hier 1. 40 Ibid., 1sq. 41 Ibid., 5. 42 Ibid., 13. 43 Cf. Heilbron, loc. cit. 209sq. Dossier 72 Dossier 44 Ibid., 206sq. 45 Bisher liegt noch keine einschlägige Monographie zu Gottfried Salomon-Delatour vor. Cf. aber Ina Belitz: Grenzgänger zwischen Wissenschaften, Nationen und Generationen: Gottfried Salomon-Delatour, in: Lendemains, 22 (1997), No. 86/ 87, 49-75. Das in der Soziologie erwachte Interesse an Salomon-Delatour behandelt dessen verständigungspolitisches Engagement eher am Rande. Cf. z.B. Christoph Henning: „Der übernationale Gedanke der geistigen Einheit: Gottfried Salomon(-Delatour), der vergessene Soziologe der Verständigung“, in: Amalia Barboza, Christoph Henning. (eds.): Deutsch-jüdische Wissenschaftsschicksale. Studien über Identitätskonstruktionen in den Sozialwissenschaften, Bielefeld, Transcript-Verlag, 2006, 48-100. 46 Cf. Defrance, op. cit., 135-160. 47 Cf. Hans Manfred Bock: „Universitätsrevolte und Reform des französischen Germanistikstudiums. Erinnerung und Dokumentation zur Gründung des Institut d’Allemand d’Asnières 1968-1972“, in: Id., Topographie deutscher Kulturvertretung im Paris des 20. Jahrhunderts, Tübingen, Narr, 2010, 339-364. Résumé: Katja Marmetschke, Communication transdisciplinaire et transnationale entre sociologues et germanistes dans l’entre-deux-guerres: L’exemple d’Edmond Vermeil (1878-1964) étudie d’une part l’influence que la sociologie allemande contemporaine a exercée sur les écrits du germaniste français Edmond Vermeil. D’autre part, l’article donne un aperçu des forums académiques qui ont promu le dialogue transdisciplinaire entre germanistes et sociologues français de l’époque. En suivant les traces d’Edmond Vermeil, on peut constater que notamment le Centre d’études germaniques à Mayence et le Centre de Documentation Sociale à l’Ecole Normale Supérieure ont joué un rôle pivot pour encourager la communication entre les deux disciplines. La position dominante de la sociologie durkheimienne a même incité Edmond Vermeil et deux collaborateurs à fonder une revue scientifique à l’instar de l’Année Sociologique. Pourtant, ce dialogue fructueux n’a pas trouvé de suite après 1945 quand la germanistique française s’est repliée sur des question philologiques et linguistiques.