lendemains
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Narr Verlag Tübingen
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2011
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P. Veyne: Foucault. Der Philosoph als Samurai
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2011
Clemens Klünemann
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143 Comptes rendus PAUL VEYNE: FOUCAULT. DER PHILOSOPH ALS SAMURAI, AUS DEM FRANZÖSI- SCHEN ÜBERSETZT VON URSULA BLANK-SANGMEISTER, STUTTGART, RECLAM VERLAG, 2009, 218 S. Mit der Feder wie mit dem Säbel 25 Jahre nach Michel Foucaults Tod erinnert sich Paul Veyne an den Freund „Weil er es ist, weil ich es bin“ - so lautete Montaignes Antwort auf die Frage, warum er mit Etienne de la Boétie befreundet sei, und dies bedeute, so suggeriert der Autor der Essais, auch die Quintessenz dessen, was wir letztlich überhaupt über die Freundschaft sagen können: Statt spitzfindiger Begründung oder rationaler Analyse zähle letztlich das, was ist, was wir wahrnehmen und empfinden, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Der Historiker Paul Veyne errichtet seinem vor 25 Jahren verstorbenen Freund Michel Foucault mit seinem jüngst erschienen Buch ein Denkmal der Freundschaft ganz im Zeichen Montaignes, nicht nur, indem er einen Bogen schlägt von Foucaults ersten philosophischen Gehversuchen bis hin zum Leben und Sterben des von vielen fast wie ein Pop-Star verehrten Meisterdenkers, sondern auch, indem er den oftmals als Strukturalisten oder Anti-Humanisten verkannten Philosophen als Skeptiker zeigt, der die Diskurse erforschte, lange bevor dieses Wort zum Mode- und Allerweltsbegriff wurde. Der Diskurs sei wie die Scheiben eines Aquariums, aus dessen Innern die Menschen - wie die Goldfische - die Welt betrachten, ohne sich ihrer Beschränkung im Goldfischglas bewusst zu sein. Das Goldfischglas als Metapher des Diskurses, dieses Schlüsselbegriffs im Foucault’schen Denken, taucht in Veynes Buch in allen Variationen auf, um dem Leser die Radikalität eines Denkens zu verdeutlichen, das keine transzendentalen, rationalen oder universalen Kriterien gelten lasse und so den Menschen ihre selbstgemachten Illusionen wegreiße. Ja, mit Gewalt habe er sie ihnen genommen, denn Foucault sei kein Philosoph gewesen, betont Veyne, sondern ein „Krieger“ („ein Samurai, der die Feder wie einen Säbel führte“), dessen Skepsis gegenüber jeglichen positiven Aussagen philosophischer, religiöser oder politischer Art ihn nicht gehindert habe, aktiv und mit radikalen Positionen in das politische Geschehen einzugreifen. Der Skeptiker sei eben „ein Doppelwesen. Solange er denkt, steht er außerhalb des Glases und betrachtet die Fische, die dort ihre Kreise ziehen. Aber da er sehr wohl auch leben muss, schwimmt er, selbst Fisch, wieder im Glas, um zu entscheiden, welchem Kandidaten er bei den nächsten Wahlen seine Stimme geben soll“. Aus der gewagten Überbrückung eben dieses Gegensatzes zwischen Betrachten und Handeln bestehe, so Paul Veyne, die von Foucault entwickelte „Ästhetik der Existenz“, mittels derer er an die durch die Gehorsams-Ideologie des Christentums verschüttete persönliche Ethik der antiken Stoiker habe anknüpfen wollen. Abgesehen davon, dass die Zerrissenheit zwischen vita contemplativa und vita activa spätestens seit Emile Zolas J’accuse die Existenz des Intellektuellen prägen, wird Veynes Parforce-Ritt durch die Geschichte des Abendlandes auf dem Rücken des Foucault’schen Denkens eben diesem jedoch nicht gerecht. Die Analyse der verschiedenen Diskurse, in denen der Mensch sich aufhält, ohne zu wissen, dass sich jenseits ihrer Grenzen ganz andere Möglichkeiten des Denkens verbergen, wurde von Foucault keinesfalls so hochfahrend betrieben, wie es die rühmende Hommage Paul Veynes suggeriert. In Wirklichkeit fand sich Foucault nicht mit der nüchternen Feststellung ab, dass sich das Denken im Innern eines Diskurses abspiele, der sich selbst nicht erkennen könne; ist es nicht vielmehr der delphische Imperativ der Selbsterkenntnis, der sich, wenngleich ex negativo, wie ein roter Faden durch seine Bücher zieht? Und ist es nicht die Frage aus seinem wohl bekanntesten Buch Les mots et les choses (dt.: Die Ordnung der Dinge), nämlich „warum das ‘Ich denke’ nicht zur Evi- 144 Comptes rendus denz des ‘Ich bin’ führt“, welche der Motor seines Philosophierens im Sinne eines Auslotens der Grenzen des eigenen Sprechens war? Paul Veynes Buch über den Freund zeigt, ganz im Sinne seines französischen Titels (Foucault. Sa pensée, sa personne), den Denker und den Menschen Foucault, und darin liegt zweifellos sein Verdienst; Anekdotisches mischt sich mit grundsätzlichen Überlegungen, so zum Beispiel beim Blick auf Foucaults Interesse an der iranischen Revolution Ende der siebziger Jahre; hier wird die diesem Denker eigentümliche Mischung aus Enthusiasmus und Skepsis deutlich, wenn er sich nämlich von Khomeini eine „politische Spiritualität“ erhofft und gleichzeitig, im privaten Gespräch äußert: „Ihn an die Macht kommen zu lassen wäre eine riesengroße Dummheit“. Und für den Foucault-Kenner interessant wird Veynes Buch, wenn er, wohl unfreiwillig, einzelne Wurzeln des Foucault’schen Denkens freilegt, so zum Beispiel mit dem Rekurs auf Gustave Flauberts Education sentimentale, wo nach einem Wort Marcel Prousts „die Dinge genausoviel Leben haben wie die Menschen“ und in der Flaubert geradezu besessen das Prinzip der Objektivität zelebriert, das der Persönlichkeit nichts, den Umständen (dem Diskurs) jedoch alles zutraut. Ebenso hätte Veyne Montaignes Skepsis angesichts der Vorstellung von Vollkommenheit oder die ironisch-erstaunte Frage „Wie um alles in der Welt kann man denn Perser und nicht Franzose sein? “ aus Montesquieus Persischen Briefen als Wurzeln der Foucault’schen Diskurs-Kritik nennen können Aber von den Wurzeln eines Denkens, eines Diskurses zu sprechen ist für Paul Veyne schlichtweg „Nonsens: In der Geschichte gibt es keine Präformationen“, stellt er apodiktisch fest und bleibt doch die Antwort schuldig, wie denn der Übergang von einem Diskurs zum anderen zu erklären ist. Jeder stehe unvermittelt neben den anderen im Raum und in der Zeit, unterstreicht der Autor unter Berufung auf Michel Foucault, aber je heftiger er diesen gegen den Vorwurf des Relativismus, ja des „Spenglerismus“ in Schutz nehmen zu müssen glaubt, desto drängender wird die Frage, ob eine Epoche über eine andere, ja ob eine Kultur über eine andere tatsächlich nichts anderes sagen könne, als dass es sie gegeben habe bzw. gebe. Natürlich ist der eurozentristische Hochmut eine Art Sündenfall des westlichen Denkens, und natürlich hat er recht, Michel Foucault als sarkastischen Kritiker dieser Selbstgerechtigkeit zu charakterisieren, aber wenn Paul Veyne, um „ein endgültiges Urteil über die Conditio humana“ zu sprechen, das Denken des Freundes mit den Worten „alles ist relativ, aber die Aussage, dass alles relativ ist, ist selbst nicht relativ“ zu beschreiben sucht, dann kommt dessen Würdigung über das paradoxe Wahrheitsverständnis des Kreters nicht hinaus, der behauptet, dass alle Kreter lügen. Damit erweist er der skeptischen Lebenseinstellung Foucaults letztlich einen schlechten Dienst, denn für diesen war die Kritik der Universalien immer zugleich auch Selbstkritik: „Der Diskurs ist nicht das Leben“, schreibt Foucault am Ende seiner Archäologie des Wissens; und weiter: „es kann durchaus sein, dass Ihr Gott unter dem Gewicht all dessen, was Ihr gesagt habt, getötet habt. Denkt aber nicht, daß Ihr aus all dem, was Ihr sagt, einen Menschen macht, der länger lebt als er.“ Indem Paul Veyne den Nachgeborenen das Leben und Denken des verstorbenen Vertrauten nahezubringen sucht, leistet er diesem den größtmöglichen Freundschaftsdienst. Dass dabei die Erinnerung an die gemeinsamen Jahre über die kühle Analyse der Gedanken Michel Foucaults überwiegt, ist mehr als verständlich; schrieb nicht Montaigne über die Freundschaft: „Hier ist die Wirklichkeit tiefer als selbst der philosophische Gedanke“? Clemens Klünemann (Ludwigsburg)
