lendemains
ldm
0170-3803
2941-0843
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2011
36144
Identität in der Krise
121
2011
Daniel Bogner
ldm361440032
32 Dossier Daniel Bogner Identität in der Krise. Welche Auswirkungen haben subjektive Erfahrungen mit dem Algerienkrieg auf Frankreichs Menschenrechtsideal? Der breite, manchmal garstig breite Graben zwischen Sein und Sollen ist einer der klassischen Topoi in Philosophie und Rechtstheorie. Aus dem, was ist, folgt nicht zwangsläufig das, was sein soll - und umgekehrt: das was nach Moral und Norm sein sollte, findet sich oftmals in der faktischen Wirklichkeit nicht wieder. Man muss nicht mehr David Hume bemühen, um die Dichotomie zwischen Sein und Sollen als ein prägendes Moment der Wirklichkeitswahrnehmung und -beschreibung zu identifizieren; mit der Moderne ist diese Einsicht zum Ausgangspunkt der Erkenntnis für all jene wissenschaftlichen Disziplinen geworden, die um eine normativgeltungstheoretische Perspektive nicht herumkommen, so etwa Rechtsphilosophie, Moraltheorie oder Ethik. Nun ist es das eine, die Triftigkeit der mit Humes Satz gewonnenen Perspektive für Begründungsfragen der Ethik festzustellen; naturrechtliche Moralbegründungen alten Stils überwunden zu haben, ist seit langem ein Acquis der ethischen Debatte. Das Thema einer Kluft zwischen Sein und Sollen entfaltet aber unvermutete Brisanz, wenn man den Fokus weitet bzw. verschiebt: Jenseits des Interesses der Normbegründung rückt dann die Frage nach den Modalitäten der Normgeltung in den Vordergrund und damit unweigerlich die Differenz von kollektiven - normativen - Orientierungen und individuellen Apperzeptionen solcher vorgegebener Normativität. Ein neuer Graben tut sich auf, und zwar der zwischen den kollektiv für verbindlich erklärten Orientierungen und der auf die Ebene individueller Akteure verwiesenen Frage, wie solche Orientierungen angenommen, umgesetzt, in Geltung gesetzt werden können. 1. Kollektive Vorgabe und individuelle Bringschuld Man könnte auch kurz von der Diskrepanz zwischen kollektiver Vorgabe und individueller Realisierung sprechen, und diese Spannung begegnet in vielerlei Gestalt: organisationssoziologisch, wo es um die Selbstbestimmung und den Gestaltungsspielraum Einzelner in größeren sozialen Systemen - Gruppen, Verbänden, Sozialkörperschaften - geht; rechtstheoretisch, wo es um die Akzeptanz und Befolgung der mehrheitsdemokratisch gesetzten Normen durch die einzelnen Rechtssubjekte geht; politisch, insofern das Gemeinwesen sich, insbesondere dort, wo es in repu- 33 Dossier blikanischen Traditionslinien verstanden wird, gerade darin konstituiert, dass es einen Gemeinwillen formuliert und umsetzt, mögliche Abweichungen durch die Aspirationen und Intentionen je einzelner Stimmen und Akteure aber nicht mehr in Rechnung stellt. 1 Mit dem zuletzt genannten Feld kommt eine weitere Kategorie ins Spiel, die es näher zu beleuchten gilt: die der Identität. Denn Recht und Gesetz sind nur die eine - formale - Art und Weise, auf politischer Ebene die Geltung einer kollektiven Orientierung zu sichern. Ein anderer, vielfach beschrittener Weg besteht darin, unterhalb des Niveaus juristischer Setzung ein Ensemble von Werten oder Idealen zu bestimmen, das als ideelle Ausrichtung für das Gemeinwesen zu dessen Leitbild, eben zu seiner kollektiven „Identität“ erklärt wird. Es handelt sich dann um eine für staatlich-politisches, aber auch zivilgesellschaftliches Handeln verfüg- und abrufbare Projektionsfläche, vor der einzelne Akte legitimiert oder delegitimiert, begründet oder verworfen werden können. Ohne dass die präzisen Anforderungen für die Erfüllung des Ideals ersichtlich wären, fungiert es als ein weiches Kriterium für politische Steuerung. Im Namen einer unvermeidlichen Unverbindlichkeit wird Verbindlichkeit eingefordert - so könnte man das Paradoxon eines Umgangs mit der kollektiven Identität im Bereich des Politischen beschreiben. Beispiele hierfür bieten sich zahlreich: Nationale Gründungserzählungen positiver oder negativer Konnotation gehören dazu, etwa der Rütlischwur der ersten Eidgenossen, vom Eigensinn und Unabhängigkeitsstreben der Schweiz nicht zu trennen; amerikanischer Siedlerstolz, gepaart mit so disparaten Werten wie der Waffen- und der Religionsfreiheit; ein nationales Einheitsideal in Polen, das ohne die polnischen Teilungen nicht zu verstehen ist. Aber auch die deutsche Debatte um christlich-jüdische Leitkultur belegt das Dilemma kollektiver Identität: Inmitten pluriformer Globalisierungsprozesse verspürt man, vielleicht mehr als anderswo im Kreis der westeuropäischen Nationalstaaten, einen Bedarf nach Identität und sucht diese im Bereich des Kulturellen; wo Kultur aber zum zentralen Maßstab für politisches Handeln gemacht wird, kommt es leicht zu Ein- und Ausgrenzungen, die wiederum höchst umstritten sind. Der gesuchte Konsens einer kollektiven Identität wird so gerade verfehlt. Schließlich, in dieser Reihe gar nicht zu umgehen, drängt sich als ein weiteres Beispiel das der französischen Nation eigene Republik-Ideal auf, mit seinem Dreigestirn der Werte von Freiheit, Gleichheit, Solidarität, welches quer durch die politischen Lager und unabhängig von politikfeldspezifischen Fragen zum identitären Marker einer vermeintlich kollektiven politisch-gesellschaftli- 1 Hannah Arendt begreift in ihrem republikanischen Demokratieverständnis das Politische als öffentlichen Raum des Miteinanderhandelns und -sprechens. So sehr sich ihr Politikbegriff einer antitotalitären Stoßrichtung verdankt, so nötig erscheint doch eine „nachträgliche“ Berücksichtigung der im politischen Handeln jeweils nicht weiter berücksichtigten Minderheitenvoten. Als eine Integration von liberaldemokratischer und republikanischer Gründungstheorie kann man den diskursdemokratischen Ansatz von Habermas und Apel verstehen. Volkssouveränität und gleiche Beteiligung gelten hier als die zwei Säulen des Politischen. 34 Dossier chen Orientierung herangezogen wurde und wird. 2 Wie auch die zuvor genannten Beispiele birgt der „Fall“ Frankreich einiges Potential, um Schwierigkeiten und Komplexität eines Anspruchs auf kollektive Identität und deren Geltung als Leitschnur für individuelles Handeln sichtbar zu machen. Alle Beispiele variieren und illustrieren die Möglichkeit, dass es zum Konflikt, zumindest zu einer vernehmbaren Diskrepanz kommen kann zwischen kollektiver Orientierung und individueller Geltung. Denn wodurch ist gewährleistet, dass Individuen die kollektiv vorgegebene Orientierung zu ihrem eigenen, persönlichen Leitbild machen und danach handeln? Zwischen kollektiver und individueller Ebene gibt es eine „dünne Stelle“ - brüchiges Eis auf dem Weg politischer Identitätspolitik und Orientierungssuche, nämlich die Frage nach dem Grad der Verbindlichkeit und der Reichweite von Geltungsansprüchen kollektiver Normen. Eine Unterscheidung sei von vornherein eingeführt: Für soziale Verbände, deren Mitgliedschaft auf Freiwilligkeit beruht, mag es durchaus legitim erscheinen, die beschriebene Diskrepanz offensiv anzugehen: Wer dabei sein will, muss eine bestimmte thematische Agenda auch teilen können oder einen herrschenden kulturellen Habitus zumindest ertragen können - das ist im Sport- oder Heimatverein oder in der politischen Partei nicht zuviel verlangt. Im Zwangsverband des Staates ist dies aber unter Umständen anders zu bewerten: Genügen hier, wo man sich der Zugehörigkeit ja nicht ohne weiteres durch „Austritt“ entziehen kann, vor allem aber aufgrund des freiheitlichen Charakter des Rechts, nicht allein Rechtstreue und Gesetzesgehorsam als einendes Band? 3 Wo der Staat also den Anspruch erhebt, mehr als das äußere Befolgen der Gesetze zu verlangen, seinen Bürgerinnen und Bürgern eine qualitative Orientierung ideeller Natur nahe legt, ist Aufmerksamkeit angebracht: Es könnte sein, dass sich Spannungen auftun, dass es knirscht im Gebälk einer Konstruktion, mit gravierenden Auswirkungen für beide Seiten - für den Staat und für die Bürger. Umso erstaunlicher ist es, dass in einem der wichtigsten wissenschaftlichen Entwürfe zu Fragen kollektiver Identität solche Spannungen kaum oder allenfalls peripher diskutiert werden. 2. Der tote Winkel eines Forschungsprogramms Nichts anderes als einen „Paradigmenwechsel“ macht Aleida Assmann geltend, um ihr Forschungsprogramm zu Erinnerungskultur und Geschichtspolitik zu erläutern: Um die Konstitution von Gemeinschaften zu deuten, sei das klassische 2 Vgl. Mona Ozouf, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, in: Pierre Nora (ed.), Erinnerungsorte Frankreichs, München, C.H. Beck, 2005, 27-62. 3 Diesen Gedanken trägt Ernst-Wolfgang Böckenförde immer wieder ausführlich vor, zuletzt als Argument in der Integrationsdebatte um darzulegen, was Staat und Gesellschaft legitimer Weise von Zuwanderern erwarten dürfen und was nicht. Vgl. Ders., Recht, Staat, Freiheit. Studien zu Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Frankfurt, Suhrkamp, 1991. 35 Dossier Instrument der Ideologiekritik wenig hilfreich; stattdessen könne mit der Kategorie des kollektiven Gedächtnisses viel besser, ja überhaupt erst erklärt werden, wie soziale Einheiten sich bilden und stabilisieren. 4 Gemeinwesen, so Assmann, schaffen sich ein Bild von sich selbst; wesentlich daran beteiligt sind mentale, materiale und mediale Bilder, aber auch Erzählungen, Orte und Praktiken. Das Erkenntnisparadigma des Kollektivgedächtnisses vermag die Prozesse solcher Selbstrepräsentation sichtbar zu machen. Kollektives und politisches Gedächtnis sind für Assmann eng miteinander verflochten: Für die politische Gemeinschaft ist es insbesondere der Vergangenheitsbezug, der als Reservoir gemeinsam verfügbarer und abrufbarer Bilder bereitsteht und als affektives Band für den Zusammenhalt dient. Signifikanter Weise ist es Ernest Renan mit seinen Überlegungen zur Nationbildung, den A. Assmann bemüht, um die „Stromflüsse“ zwischen Identität, Erinnerung und Politik darzustellen. Dessen Begriff eines „capital social“ (Renan) drückt im Begriffsrahmen seiner Zeit für Assmann das aus, was sie selbst als „kollektives Gedächtnis“ bezeichnet. Das „soziale Kapital“, auf das eine Nation sich gründen kann, besteht nach Renan aus der gemeinsamen Erinnerung an ihre Vergangenheit, an das kollektive Durchleben schwieriger Zeiten und Momente, an das Meistern dieser Zeiten in der geteilten und von vielen einzelnen angenommenen Verantwortung. 5 Die Erinnerung daran macht die „Seele“ einer Nation aus und ist Resultat eines „in die Zukunft gerichteten gemeinsamen Willens“. Für Assmann ist entscheidend zu sehen, wovon sich Renans Nationsbegriff abhebt: Nicht der deutsch-romantische Nationsdiskurs, nicht Sprache, Rasse oder Geografie, nicht Religion oder gemeinsame Bräuche und Sitten machen den spezifischen Zusammenhalt von Nationen aus; ebenso wenig taugen für Renan jene intellektuellen Adhäsionskräfte an die Einheit der politischen Gemeinschaft, die man modern unter dem Stichwort des Verfassungspatriotismus subsumieren würde. Vielmehr machen einschlägige historische Erfahrungen, auf die in einer gemeinsamen Erinnerung zurückgegriffen wird, die Grundlage politischer Gestaltung aus. 6 Die Prämisse dieses Ansatzes lautet, „…dass Nationen bestimmte historische Erfahrungen durch die Art und Weise ihrer Verarbeitung, Deutung und Aneignung 4 Vgl. Aleida Assmann, Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, München, C.H. Beck, 2006, 30sq. „Was in den politisierten 1960er und 1970er Jahren unter den Begriffen ‚Mythen‘ und ‚Ideologien‘ verhandelt wurde, wird seit den 1990er Jahren unter dem Begriff des kollektiven Gedächtnisses thematisiert. Mit der Ersetzung des Begriffs […] ist eine neue Einsicht verbunden. Es ist die Einsicht in die Unvermeidlichkeit von Bilden […].“ (op. cit.) 5 Ernest Renan, Was ist eine Nation? , Vortrag, gehalten an der Sorbonne am 11. März 1882, in: Ders., Was ist eine Nation? Und andere politische Schriften, Wien u. Bozen, Europäische Verlagsanstalt, 1995, 56, zitiert nach Assmann, Der lange Schatten, 38. 6 Mit dem bei Renan so wichtigen „plébiscite de tous les jours“ können dann prinzipiell alle, die im Akt der Erinnerung an dieses Erbe anschließen und sich in die damit begründete Tradition stellen, per voluntativen Akt ihre Zugehörigkeit zur Nation erwirken. 36 Dossier in ‚Mythen‘ verwandeln, denen sie eine ‚auto-hypnotische‘ Wirkung verleihen…“. 7 Über den Fokus des „nationalen Interesses“, also der Frage nach der Möglichkeit einer stabilen politischen Gemeinschaft wird die Rolle des Vergangenheitsbezugs mit der Instanz eines politischen Willens verkoppelt. Kollektives Gedächtnis und kollektive Identität werden von Assmann dann auch beinahe austauschbar verwendet. Identität ergibt sich aus dem Bezug auf Vergangenes, diese Bezugnahme unterliegt aber in hohem Maße einem Steuerungswillen, der sich in der Gegenwart mit ihren Interessen, Zwecken und Zielen festmacht. 8 Es ist ohne Zweifel bestechend, welche Erklärungspotentiale der mnemotheoretische Ansatz eröffnet: Soziale und politische Kohäsion, Vergemeinschaftungsprozesse aller Art, schließlich die Persistenz politischer Entitäten in der Dauer der Zeit können mit diesem Konzept rekonstruktiv-erschließend beschrieben werden. Die Mechanismen, mit denen sich politische Herrschaft behauptet, aber auch die Spielräume und der Resonanzboden für soziale Veränderung, vorzugswürdige Instrumente solchen Wandels und mögliche Folgen für die Gemeinschaft sind die in Aussicht stehenden Ergebnisse solcher Hermeneutik. Für eine Perspektive scheint der Ansatz aber seltsam blind zu sein, und das ist die zuvor benannte Diskrepanz, die sich mitunter auftut zwischen kollektiven Erinnerungen und deren subjektiver Geltung. Dies wird umso drängender, als, wie Assmann betont, kollektives Gedächtnis im Bereich des Politischen als eine Projektionsfolie benutzt werden kann, um Identität zu schaffen. Solche Identität wird aber im einzelnen jeweils subjektiv konstruiert und gelebt. Was nun, wenn subjektives Erleben und kollektive Setzung auseinandertreten? Was, wenn das subjektiv angeeignete Ideal von der kollektiven Ebene, über die es doch erst kommunikativ vermittelt wurde, durch konkrete politische Aktion konterkariert und verfälscht wird, Individuen gezwungen werden, diese Ideale durch ihr konkretes Tun zu verraten? An was sollen sich einzelne halten, wenn sie diesen Hiatus zwischen Anspruch und Wirklichkeit wahrnehmen und durchleben müssen? All diese Fragen stehen nicht im Zentrum von Assmanns Interesse; Erinnerungskonflikte, die beträchtliche soziale Relevanz entfalten können, kommen in ihrer Konstruktion eigentlich gar nicht vor. Die damit benannten Fragen sind jedoch virulent, wenn ein Programm, das Mythenbildungen in ihren sozialen Wirkungspotentialen ernst nimmt, nicht seinerseits zu einem selbstrefe- 7 Assmann, Der lange Schatten, 40. 8 Für diese „standpunktgebundene Eingrenzung des Sichtfeldes“ steht Nietzsche, der in seinen Überlegungen „Vom Nutzen und Nachteil der Historie“ den selektiven und perspektivischen Charakter des Gedächtnisses betont. Jede Erinnerung bediene sich bestimmter Filter, ohne die es für Individuen und Gruppen keine Identitätsbildung und damit auch keine Handlungsorientierung gebe. Vgl. Assmann, Der lange Schatten, 36sq. Damit gilt auch umgekehrt: Erinnerung regelt sich nach den Handlungsinteressen des Erinnernden. 37 Dossier rentiellen Mythos werden will. 9 Das neue Paradigma vermag zwar das „mythomotorische Potential“ 10 der gemeinsamen nationalen Geschichtserinnerung zu heben und damit die Möglichkeit zur kollektiven Sinnstiftung aufzuzeigen. Aber es vernachlässigt, dass solche „Motorik“ schnell ins Gewand einer scheinbar teleologischen Zwangsläufigkeit gekleidet wird und damit eine Logik der Deutung sozialer Wirklichkeit dominiert, in der abweichende, alternative oder widersprüchliche Deutungen keine Beachtung mehr finden. Genau diese Problematik lässt sich am Beispiel unterschiedlicher französischer Stimmen zum Algerienkrieg nachzeichnen. Mittels einer am exemplarischen Fall durchgeführten Hermeneutik individueller Erfahrungen wird sichtbar, an welchen Stellen sich kollektive Orientierungen der französischen Nation mit den historischkontingenten Erfahrungen einzelner Akteure der französischen Geschichte brechen. Hiervon ausgehend kann einerseits danach gefragt werden, was das für die (Fort-)Geltung der identitären Orientierungen einer Nation bedeutet, andererseits aber auch nach dem Ort, den historischen Erfahrungen für Genese und Geltung kollektiver Identitäten einnehmen. In Abgrenzung zu der an Renan und dessen „Erfahrungsvoluntarismus“ angelehnten Konzeption Assmanns werden in der hier praktizierten Perspektive Erfahrungen zwar auch zur Grundlage der Diskussion gemacht, allerdings mit einem anderen Frageinteresse. Es steht nicht das Ziel im Vordergrund, die Konstruktion und Wirksamkeit eines kollektiven, ideellen Wirkungszusammenhanges zwischen Erfahrung und Geschichte zu rekonstruieren, sondern die Suche 1. nach den „Schwachstellen“ dieses für existent angenommenen Wirkungszusammenhanges; 2. das Aufspüren der Defizite und „Kosten“, welche die Präsenz und Wirksamkeit eines solchen kollektiven Ideals bei einzelnen historischen Akteuren verursachen kann; schließlich 3. die Rückfrage, was diese Bruchstellen wiederum für die Fortgeltung des kollektiven Ideals bedeuten. 11 9 Assmann vertritt offensiv die Position, das Forschungsparadigma der Ideologiekritik müsse durch dasjenige des nationalen Gedächtnisses ersetzt werden. Zwar gesteht sie zunächst ein, dass es einen Unterschied zwischen Aneignung und Verfälschung der Geschichte geben könne. Die damit eröffnete Frage nach einer Instanz, vor der ein politisch instrumenteller Umgang mit Geschichte kritisch betrachtet werden kann, ist damit gestellt. Hierzu weicht Assmann dann aber aus: „Nicht der ontologische Status ist entscheidend, wenn es um die Schaffung kollektiver Selbstbilder geht, sondern das Wirkungspotential, das von gedeuteten und angeeigneten Geschichtserfahrungen ausgeht. Neben die Frage: was ist gewesen und wie ist es dazu gekommen? ist zunehmend die Frage getreten: wie wurde ein Ereignis erfahren und wie wird es erinnert? “ Assmann, Der lange Schatten, 41. Gerade die zuletzt genannten und gegeneinander ausgespielten Perspektiven sind aber konstitutiv aufeinander verwiesen: Denn wie Menschen mit kommunizierten Erfahrungen aus dem Fundus des kollektiven Gedächtnisses umgehen, hängt doch mit davon ab, ob sie auf Gründe zurückgreifen können, diese oder jene Deutung von Erfahrung geltend zu machen oder nicht. 10 Edb., 42. 11 Assmann lobt Renan als „Vordenker der nationalen Gedächtnistheorie“ u.a. zwar auch deshalb, weil er die „Bindungskraft von Leid und Trauer noch über die von Triumph und 38 Dossier 3. Typologien des Dabeiseins - individuelle Erfahrungen mit dem Algerienkrieg Die These meiner Überlegungen lautet, dass der Algerienkrieg die kollektiven Orientierungen Frankreichs in Frage stellt, insofern er bei einzelnen Akteuren zu einer Dilemma-Situation führt: Im Angesicht einer erlebten Realität des Krieges, dessen Mittel und Methoden dem menschenrechtlich geprägten Republikideal offenkundig widersprechen, sind einzelne Akteure des Krieges genötigt, ihre Erfahrungen auf eine Weise zu deuten, die zumindest ihre persönliche Integrität unangetastet sein lässt oder wiederherstellt. Damit ist das anfangs beschriebene Auseinandertreten von kollektiver Orientierung und individueller Identitäts(suche) konkret gemacht. Im Blick auf zwei unterschiedlich gelagerte autobiografische Zeugnisse von Angehörigen des französischen Militärs [Paul Aussaresses, Services spéciaux. Algérie 1955-1957 (2001) sowie Pierre-Alban Thomas, Les Désarrois d’un officier en Algérie (2002)] wird sichtbar, wie komplex, variantenreich, und mit welch unterschiedlichem Ausgang diese Aufgabe angegangen werden kann. Im Spiegel eines weiteren autobiografischen Bericht [Louisette Ighilahriz, Algérienne (2001)], der auf der Seite des Kriegsgegners angesiedelt ist, wird deutlich, wie sehr das humanistisch-menschenrechtliche Republikideal als Maßstab in den Vorstellungswelten der sich bekämpfenden Parteien präsent ist und deswegen legitimer Weise als Maßstab herangezogen werden kann. Legitimität versus Legalität? Rechtfertigungen eines Folterknechts Für lange Zeit stand der Algerienkrieg nicht im Fokus der öffentlichen Diskussion in Frankreich. Im Gegenteil: Der Umgang mit dem Geschehen findet von Seiten des Staates im Modus weit gehender Verdrängung und Tabuisierung statt. Mit dem Jahr 1999 ändert sich die Lage; eine für ein gutes Jahr sehr lebendige und dann punktuell wieder aufflammende Diskussion bricht auf. Ein Kulminationspunkt der Debatte sind die Äußerungen von Paul Aussaresses, der als Vertreter des französischen Militärs während der sogenannten „Schlacht um Algier“ (1957) eine zentrale Rolle einnahm: Er war mit der Planung und Durchführung extremer Foltermaßnahmen betraut und rechtfertigt diese in mehreren Stellungnahmen auf unverblümte und ungenierte Weise. Anstatt mit diplomatischen Floskeln um den heißen Erfolg“ gestellt habe, ebd., 43. Gemeint ist damit, dass Renan in seiner Rede vor der Sorbonne von 1882 („Qu’est-ce qu’une nation? “) die mit den Erfahrungen der Niederlage Frankreichs von 1871 verbundenen Traumatisierungen zum Anhaltspunkt nahm. Dabei handelt es sich zwar um Erfahrungen des Scheitern und des Verlustes. Es sind aber nur Erfahrungen des Kollektivsubjektes ‚Nation‘. Eine Binnendifferenzierung der Erfahrungswelten, die Unterscheidung zwischen Mehrheits- und Minderheitspositionen, die auf je unterschiedliche, ja widersprüchliche Erfahrungen zurückgehen, bleibt aus. Es sind nicht die realen Erfahrungen einzelner Individuen, die hier zählen, sondern nur das national für relevant befundene Erfahrungsspektrum einer Kollektivität. 39 Dossier Brei herumzureden, gesteht Aussaresses frank und frei, dass es Folterpraxis gegeben habe, bewusst und mit dem Wissen der militärischen und politischen Verantwortlichen: „Il n’était pas difficile de deviner que la face nocturne et secrète de ma mission m’amenait à organiser les arrestations, à trier les suspects, à superviser les interrogatoires et les exécutions sommaires.“ (Aussaresses, 143) 12 Die an die Enthüllungen anknüpfende Auseinandersetzung der Jahre 2000 - 2002 hat einen nachhaltigen Effekt: Es ist in der französischen gesellschaftlichen Debatte kein Tabu mehr, über diese Kapitel der eigenen Zeitgeschichte öffentlich zu sprechen. Die vorhandenen Deutungen des Geschehens, die Bewertung der Konsequenzen gehen dabei beträchtlich auseinander. Aber es ist fortan im öffentlichen historischen Bewusstsein ein Gegenstand etabliert, dem man nicht mehr ausweichen kann. Es gibt nach 2001/ 2002 ein verändertes Bedingungsgefüge, welches Repräsentanten des französischen Staates in eine neue Erklärungspflichtigkeit bringt. Das Buch des Algerienveterans nimmt im Ensemble der Quellen einen für die Rezeptionsforschung des Krieges wichtigen Platz ein. 13 Das Selbstbild von Paul Aussaresses, seine Einstellungen zu Folter und Gewalt offenbaren in der vermittelnden Gestalt des Berichts ein ungebrochen-unkritisches Verhältnis zur Legitimität des Krieges und hinsichtlich der zum Einsatz kommenden Methoden der Armee. Es wäre vermessen, von einer solchen Position besondere Sensibilitäten für die gesellschaftlichen Folgewirkungen des Krieges und die speziellen Bedürfnisse eines politischen Umgangs mit dem historischen Erbe zu erwarten. Aber es handelt sich um Erfahrungen, die zu bestimmten politischen Einstellungen und Bewertungen des Autors führen, sowie zu einer Konstruktion seiner eigenen Identität als Repräsentant einer überindividuellen Notwendigkeit. Ein solcher Standpunkt wiederum steht in der gegenwärtigen französischen Debatte für eine bestimmte Richtung des Umgangs mit der Vergangenheit. Die betreffenden Erfahrungen sind nicht unmittelbar zugänglich, sondern begegnen in medialer Form. Im vorliegenden Fall besteht das Medium aus einem sich als Faktenbericht ausgebenden Konstrukt der Selbsterklärung. Dem Autor ist daran gelegen, sich zu erklären angesichts der im Vorfeld der Publikation aufflammenden Diskussion über die - auch moralische - Rechtmäßigkeit der von der französischen Armee in Algerien eingesetzten Praktiken. Dazu zählen insbesondere Folter, das Verschwindenlassen von Personen und außergesetzliche Hinrichtungen. Bei alldem handelt es sich evidenter Weise um Maßnahmen, die den selbstgesetzten Anspruch der französischen Republik, Anwältin und Repräsentantin des mit der Revolution von 1789 geltend gemachten Menschenrechtsan- 12 Einen ausführlichen Überblick über die Auseinandersetzungen bietet Frank Renken, Frankreich im Schatten des Algerienkrieges. Die Fünfte Republik und die Erinnerung an den letzten großen Kolonialkonflikt, Göttingen, V&R unipress, 2006, besonders 437sqq. 13 Im folgenden vgl. Paul Aussaresses, Services spéciaux. Algérie 1955-1957, Paris, Perrin, 2001. 40 Dossier spruches zu sein, Lügen strafen. Aussaresses macht in seinem Bericht Erfahrungen geltend und konstruiert daraus eine Sicht der Geschichte, zumindest des betreffenden historischen Ausschnitts. Seine Narration bleibt ideologisches Konstrukt, wenn sie nicht unter dem Fokus präziser Fragen gelesen und ausgelegt wird. Selbstbild, Gewaltbezug und Normrelevanz sind die kategorialen Kriterien, um den Zusammenhang von Erfahrungen und politischem Handeln im Horizont des Menschenrechtsanspruchs darstellen. Aussaresses selbst macht den Zusammenhang dieser drei Kategorien explizit, in der Reflexionsgestalt seines Gedankenstromes: „Avec le metier qu j’avais choisi, j’avais déjà tué des hommes et fait des choses éprouvantes pour les nerfs, mais je ne m’attendais vraiment pas à ça. J’avais souvent pensé que je serais torturé un jour. Mais je n’avais jamais imaginé la situation inverse: torturer des gens.“ (Aussaresses, 29) Zunächst kann die Selbstsicht einer Person der Auslöser sein für ein bestimmtes Handeln. Ich-Identität und Selbstbild geben den Rahmen ab, innerhalb dessen die Person agiert. Die Handlungsmöglichkeiten sind umrissen durch das Konzept des Selbst, welches die Person von sich entwirft: Aussaresses beschreibt sich zwar einerseits als bürgerlichen Menschen mit klassischer Bildung, aber sieht sich ebenso als Experten „harter und verschrobener Dinger“ (Aussaresses, 17) und kann den Stolz darauf kaum verbergen, als chevalesker Troubleshooter des Militärs immer wieder dorthin gerufen zu werden, wo es brennt. Sein Selbstbild liegt zwischen provokantem Dandy, treuem Diener und hartgesottenem Vollstrecker. Sein Persönlichkeitsprofil scheint biegsam und belastbar genug, um den Vorgesetzten seine Verwendung als „Ausputzer in der Kasbah“ ratsam erscheinen zu lassen. Aber auch in umgekehrter Richtung zeigt sich ein Zusammenhang zwischen den Fragekriterien. Dass die wiederholte, zu Routine und Alltagsgeschäft gewordene Gewaltpraxis auch das Profil einer Persönlichkeit prägt, wird kaum zu bestreiten sein. Wie sonst erklärt sich ein sprachlicher Stil, der ungerührt von einem Massaker zum nächsten schreitet und das Geschäft des Tötens wie jede andere Tätigkeit schildert? Ohne Umschweife schildert Aussaresses, wie in den Befragungen der Verdächtigen - den sogenannten „interrogatoires poussées“- vorzugehen ist: „[D’]abord les coups qui, souvent, suffisaient, puis les autres moyens dont l’éléctricité, la ‚fameuse’ gégène, enfin l’eau. La torture à l’éléctricité se pratiquait à l’aide des générateurs de campagne utilisés pour alimenter les postes émetteurs-récepteurs. Ces appareils étaient très repandus. On appliquait les électrodes aux oreilles, ou aux testicules, des prisonniers. Ensuite, on envoyait le courant, avec une intensité variable. Apparemment, c’était un procédé classique.“ (Aussaresses, 34) Der historische, rechtliche und politisch-kulturelle Rahmen prägt die Redesituation, in der Aussaresses steht und in der seine Stellungnahme zu deuten ist: Unter dem Schutz einer weit greifenden Amnestiegesetzgebung und ohne jedes Risiko tritt der Militär im Alter auf und gefällt sich in der Rolle des besonders pfiffigen Gesellen, der schon damals das Richtige tat und auch jetzt offenbar frei von der Leber weg erzählen kann, warum es der richtige Weg war, den er und seine 41 Dossier Kollegen einst beschritten; und dass die Empörung schon damals lediglich Reflex einer bornierten Hypermoral war. Die Äußerungen des Militärs sind also nicht einfach als die Selbstdarstellung eines einsamen, etwas verirrten alten Mannes zu verstehen. Sie stehen in exemplarischer Weise für ein Gesamtgefüge. Regeln und Normen, unter denen sich Aussaresses trotz andersläufiger eigener Grundintuitionen sieht, stehen in einem wechselseitigen Verhältnis zur Selbstbeschreibung des Autors. Einerseits treten sie dem Autor - als Maßgaben von außen kommend - entgegen und bilden die Barriere, die er in seinem außergesetzlichen Handeln zu überwinden hat: Immer wieder macht er deutlich, darum zu wissen, dass die von ihm angewandten Methoden einen Graubereich legalen staatlichen Handelns berühren, wenn nicht sogar gänzlich verboten sind. Andererseits beschreibt er das Handeln seinerseits als abhängig und verwiesen auf starke normative Ankerpunkte: Er muss die Maßgaben seiner Vorgesetzten ausführen, dem Terrorismus endlich ein Ende zu bereiten; darin sieht er das langfristige Interesse Frankreichs aufgehoben. Die Orientierung am Wohl der Nation ist Movens und Grundnorm seines Agierens. Dieses Kriterium prägt aber auch sein Selbstbild als Diener und eigentlicher Retter der Heimat gegen die zwar im formalen Sinne rechtskonformen, aber in seinen Augen ja unwirksamen und deshalb scheinheiligen Beteuerungen einer rechtsstaatlich gebundenen Heimatverteidigung: „J’allais ainsi accomplir, dans l’intérêt de mon pays et dans la clandestinité, des actions réprouvées par la morale ordinaire, tombant souvent sous le coup de la loi et, de ce fait, couvertes par le secret: voler, assassiner, vandaliser, terroriser. On m’avait appris à crocheter les serrures, à tuer sans laisser de traces, à mentir, à être indifférent à ma souffrance et à celle des autres, à oublier et à me faire oublier. Tout cela pour la France.“ (Aussaresses, 15) Im Zweifel für den Befehl - das Dilemma des republiktreuen Soldaten Nicht viele der militärischen Verwendungen im Algerienkrieg sind von der Aura elitärer Exklusivität geprägt wie dies für den Geheimdienstoffizier Aussaresses zutrifft, der als Stabsoffizier einer Sondereinheit direkt dem befehlshabenden General Massu unterstellt ist. Das Gros der bis zu 500.000 eingesetzten Soldaten dient in regulären Einheiten der Truppe mit ihrer tief gestaffelten Befehlshierarchie und einem zuweilen eintönigen Lageralltag. Viele von ihnen verspüren nach dem Krieg dennoch das Bedürfnis sich öffentlich zu äußern - teils aus Gründen der persönlichen Rechtfertigung, teils im Interesse der Verarbeitung der Erlebnisse. 14 Die Perspektive des Geheimdienstlers Aussaresses wird in der Person des Standortsoldaten Pierre-Alban Thomas um einen anderen Blick auf das operative Kriegsgeschehen ergänzt, der auch durch eine veränderte subjektive Bewertung der Geschehnisse und der eigenen Rolle innerhalb dieses Kontextes hervorsticht. 14 Exemplarisch vgl. Jean-Pierre Vittori, Nous, les appelés d’Algérie, Paris, Editions Ramsay, 1977, 322. 42 Dossier Das Buch von Thomas spiegelt den Orientierungsverlust und die Suchbewegungen, welche eine Soldatenpersönlichkeit prägen. 15 In seinen Schilderungen beschreibt Thomas, wie er sich durch sein Handeln im Kriegsalltag nach und nach selbst kompromittierte: Ging er als humanistisch gesinnter, republiktreuer Idealist in den Einsatz hinein und glaubte, eben darin seine Überzeugungen von der französischen Zivilisations- und Menschenrechtsnation umsetzen zu können, kehrt er desillusioniert und frustriert zurück: Er selbst hat sich dafür hergegeben, im Verlaufe des Kriegsgeschehens Aktionen auszuführen und selbst Befehle zu geben, die seinen Ausgangsidealen zutiefst widersprachen. Fühlt er sich auch moralisch kompromittiert, es bleibt ihm doch, darüber ehrlich zu berichten und keinen Hehl aus seiner Lage zu machen. Umstände, Kontexte und das Bedingungsgefüge, das ihn in seine Lage gebracht hat, gehören ebenso zu diesem Bericht wie die Pflicht, seine eigenen Gefühle und Gedanken zu den Geschehnissen wiederzugeben. Was ihn neben seinen deutlichen Schilderungen zu den Methoden der Kriegsführung von vielen Berichten unterscheidet, ist die Tonlage, in der er die Dissonanzen aus Selbst- und Fremdanspruch, die von ihm wahrgenommenen - und durchlebten - Spannungen zwischen ethischem Soll und realisierter Wirklichkeit reflektiert. Dass er gehalten ist zu Mitteln zu greifen, die seinem Anspruch und Berufsverständnis eigentlich widersprechen, verursacht ihm zumindest schlaflose Nächte: „Dans mon insomnie, je me cherche des excuses, et celles-ci bousculent dans ma tête. En choisissant le métier des armes, j’ai fait le serment moral d’obéir aux ordres. La base de l’instruction militaire est d’apprendre à tuer des hommes appelés ennemis. Un soldat ne peut pas se conduire en petite fille pleurnicharde, il doit regarder la mort en face, celle des autres comme la sienne possible. […] Enfin, en cas de prise de pouvoir en Algérie par des extrémistes musulmans, d’après ceuxci, tous les Français devront quitter le pays. A-t-on le droit de les abandonner, ainsi que les Algériens qui, de bonne foi, ont fait le choix de la France? Et quel sera leur sort? “ (Thomas, 124) In viel komplexerer Weise als Aussaresses sieht sich Thomas neben den militärisch-politischen Vorgaben auch unter dem Anspruch seines Gewissens, das - darin wieder nahe bei Aussaresses - vor allem durch die historischen Erfahrungen der Résistance-Zeit geprägt worden ist. Mit vielen Zitaten aus der Résistance huldigt er einer Romantik der Entschiedenheit, ohne Platz für Zwischentöne. „Seine“ Vergangenheit bleibt verfangen in einer dichotomisch geprägten Reinheit, die ihm hilft, das Erlebte für eine moralisch eindeutige Bewertung der Vergangenheit heranzuziehen. Trotz dieser Grundlage, auf die er sich beruft, kommt er damit in der Realität des Algerienkrieges nicht weit und scheitert letztlich an seinem Selbstanspruch. Im Fokus einer Figur zeigt sich, wie der Résistance-Mythos funktioniert, und dass er nicht nur strategisches Produkt der politischen Propaganda ist, sondern auch über subjektive Apperzeptionsmechanismen entsteht und sich tradiert. Wenn nun im Jahr 2002, nach Jahren einer intensiv geführten Diskussion über das 15 Pierre-Alban Thomas, Les Désarrois d’un officier en Algérie, Paris, Seuil, 2002. 43 Dossier Résistance-Kapitel in der französischen Zeitgeschichte, noch so undistanziert und ohne jede Einbettung von der „chaude ambiance du maquis“ (Thomas, 27) gesprochen wird, ja kraft der Ausblendungen ein überhöhtes Ideal der tapferen patriotischen Maquisards vor Augen gestellt wird, kann man das einerseits als naiv bezeichnen. Andererseits aber könnte auch Absicht von Thomas dahinter stecken - der Wunsch nämlich, im Résistance-Topos eine letzte, verzweifelte moralische Ehrenrettung zu versuchen, nachdem sein Handeln ansonsten ziemlich durchwachsen und inkonsequent dasteht. Etwas anderes bleibt ihm gar nicht, als diese Motivationslage zur Erklärung und Klammer seiner Biografie zu machen. So steht am Ende die Einsicht von einer geschundenen, zerbrochenen Vision: Das Republik-Ideal ist dahin. Die Hinwendung des pensionierten Soldaten zur Ökologiebewegung der 1970er und 1980er Jahre zeigt dies einmal mehr. Der Patriotismus, den Thomas lange Zeit vertrat, an dessen humanes Antlitz er glaubte, wird mehr und mehr abgestoßen und durch den Zusammenhalt innerhalb des Milieus der Ökologiebewegung ersetzt: „Très vite, au milieu de mes jeunes amis Verts, je retrouve la chaude ambiance des maquis, l’espoir perdu de mes vingt ans et la soif de fraternité avec les damnés de la Terre.“ (Thomas, 27) Mit einer Republik, wie sie sich im Kolonialkrieg präsentiert, so mag man resümieren, ist kein Staat zu machen, zumindest nicht in dem Sinne, der dem moralischen Republikaner Thomas vorschwebt. Sein Résistance-Bezug erscheint deswegen letztlich inhaltsleer und auf reine Emotionalität reduziert: Was er davon mitnimmt, ist Lagerfeuerromantik, Verbundenheitsgefühl und Entschlossenheitsgestus, die allesamt bei einer nachhaltigen intellektuellen Bewältigung real erlebter Geschichte kaum weiterhelfen. Den Charakter des Buches macht es aus, den sukzessiven Verlust von innerem Halt und moralischer Urteilssicherheit vor einer historischen Prüfung unmittelbar spürbar werden zu lassen. Auf den Rat eines alten Freundes, der ihm schon vor der Abreise in den französischen Indochina-Einsatz geraten hatte, er solle stets nach seinem Gewissen handeln, reagiert er mit Skepsis: „’Bonne chance et agis selon ta conscience’. Sage précepte qui rejoint ceux de nombreux philosophes. […] Mais est-ce si facile à appliquer? Mes premiers séjours m’ont appris que non. Notre voix intérieure n’est pas infrangible. Elle évolue au gré des événements, de leur appréhension, de l’entourage, de l’information. Elle peut même être trahie par souci d’intérêt, d’avancement ou simplement lâcheté. Conscience n’est pas synonyme de vérité. A chacun la sienne.“ (Thomas, 156) Thomas formuliert eine Einsicht, die ihm aus der Erfahrung gewachsen ist: So sehr er sich auch wünscht, die innere Stimme des Gewissens als einen festen Kompass der Moral zu besitzen, so sehr muss er deren geschichtliche Wandelbarkeit zur Kenntnis nehmen. Glaubte er anfangs, in der Prägung durch die Résistance-Zeit eine unverbrüchliche Orientierung mitbekommen zu haben, die dabei helfen würde, Freund und Feind zu unterscheiden, den richtigen Weg seines Landes zu gestalten und an der moralischen Verbesserung der Welt mitzuwirken, so verschwimmt ihm diese Gewissheit. Einmal auf der richtigen Seite gestanden 44 Dossier zu haben, ist noch keine Garantie dafür, dass dies auch fortan so sein wird. Nicht nur verändern sich die jeweiligen Fälle und Situationen, in denen Urteil und Handeln gefragt sind, auch das individuelle Gewissen selbst ist den Wechselfällen historischer Kontingenz ausgesetzt. Eine Frage wird mit dem Zeugnis von Thomas jedenfalls unabweisbar: Was taugt angesichts solcher Einsichten eine kollektive Orientierung wie das Menschenrechtsideal der Republik und wie kann die verloren gegangene personale Identität rekonstruiert werden? Anspruch verpflichtet. Die Stimme von außen als Erfolgskontrolle Mit dem Zeugnis von Louisette Ighilahriz liegt die Wortmeldung einer Kriegsteilnehmerin der algerischen Seite vor. 16 Die Algerierin Ighilahriz wendet sich mit ihrer Veröffentlichung explizit an ein französisches Publikum. Das Buch kommt auf Initiative der französischen Journalistin und Autorin Anne Nivat 17 im Jahr 2001 zustande und erscheint in einem französischen Verlag. 18 Es steht am Beginn der innerfranzösischen Auseinandersetzungen um die Legitimität von Folter als Mittel zur Kriegsführung. 19 Sowohl Aussaresses als auch der bereits erwähnte General Massu, der für den Gesamtverlauf der „Schlacht um Algier“ im Jahr 1957 die Verantwortung trug, haben ihre Äußerungen in der nachfolgenden öffentlichen Debatte auf die Einlassungen Ighilahriz’ bezogen. Damit steht das Buch in einem logischen Zusammenhang mit den bisherigen Ausführungen - es bildet deren sachlichen Anlass. Zeugnis zu geben, hat für Ighilahriz die Funktion einer Therapie. Adressiert an ein französisches Publikum nimmt das Buch die Rolle eines Spiegels ein, der den Franzosen vorgehalten wird. Es zeigt, wie sehr beide Seiten immer noch miteinander verquickt und bei der Beschäftigung mit der Vergangenheit aufeinander angewiesen sind. Ighilahriz kann als Folteropfer nur weiterleben, indem sie sich mit den Verletzungen der Vergangenheit befasst, ihre eigene Rolle reflektiert und all dies vor den Ohren der anderen in Gestalt ihrer Veröffentlichung ausspricht. „La volonté de partager cette douleur profonde est grande. […] J’ai accompli mon devoir de vérité. Mon histoire n’est pas exemplaire, elle est seulement mienne.“ (259) Jahrzehnte nach den Ereignissen die Möglichkeit zu bekommen, einer französischen Öffentlichkeit von ihren Erlebnissen zu berichten, erfüllt für Ighilahriz in erster Linie eine Verpflichtung, die sie sich selbst gegenüber spürt. 16 Louisette Ighilahriz, Algérienne, Paris, Fayard, 2001. 17 Neben der hier behandelten Thematik hat sich Nivat (geb. 1969) in zahlreichen Publikationen mit Fragen von Krieg und Frieden befasst, so etwa in Erscheinungen zur Situation in Tschetschenien, Irak und Afghanistan. In Algérienne tritt sie als Erzählerin hinter der Stimme von Ighilahriz, die sie zu Gehör bringen will, zurück. Lediglich zu Beginn und Schluss des Buches gibt sie sich als die Gespräch führende Person, gegenüber welcher Ighilahriz ihre Erzählungen bezeugt, zu erkennen. 18 Librairie Arthème Fayard et Éditions Calmann-Lévy. 19 Am 20. Juni 2000 erscheint ein von der Journalistin Florence Beaugé geführtes Interview mit Ighilahriz in Le Monde: „Torturée par l’armée française en Algérie. ‚Lila’ recherche l’homme qui l’a sauvée“. 45 Dossier Der „Wahrheitspflicht“ Genüge getan zu haben, macht die schrecklichen Erfahrungen nicht ungeschehen, aber es bildet ein notwendiges Element für eine nachholende Konstitution ihrer Persönlichkeitsstruktur, die durch den Krieg grundlegend irritiert worden ist. Aber für jene, die von der Autorin dafür ursächlich benannt werden, die französischen Akteure des Krieges und eine sie tragende Gesellschaft, mag ein solches Zeugnis ebenfalls Aussagekraft entwickeln: Es vermittelt einen Eindruck von den Folgewirkungen und Spuren, die das eigene - das französische - Handeln als kriegsführende Kolonialmacht in den Reihen des kolonisierten Volkes hinterlassen hat. Damit nimmt es einen berechtigten Platz im Mosaik unterschiedlicher Erfahrungszeugnisse ein, die im Zusammenspiel den Raum beschreiben sollen, in dem sich der politische und gesellschaftliche Umgang mit dem Erbe des Algerienkrieges in Frankreich abspielt: Von der Autorin erfahren wir, wie sich Folter konkret angefühlt hat; wie sehr man sich im Lager der algerischen „Revolution“ auf die Leitbilder und Maßstäbe der französischen Revolutionsgeschichte berufen hat; mit welcher Enttäuschung die Einsicht selbst auf Seiten der gebildeten Schichten der algerischstämmigen Bevölkerung verbunden war, Frankreichs Ideale menschenrechtlicher Gleichheit und Diskriminierungsfreiheit in der realen Diskriminierungspolitik des Kolonialregimes, und dann freilich in der Praxis des Kolonialkrieges bersten zu sehen. Nach den Zeugnissen der beiden französischen Militärs Aussaresses und Thomas ist mit dem Bericht von Louisette Ighilahriz eine Stimme von der gegnerischen, der algerischen Seite des Konfliktes in das Gespräch um Deutung und Bedeutung der Vergangenheit eingetreten. Auf den ersten Blick mag man geleitet sein, die Einteilung in Täter und Opfer heranzuziehen, um die drei Zeugnisse in Beziehung zu setzen. Ohne Zweifel gibt es ein starkes Argument, das für eine solche Bewertung der Quellen spricht: die jeweilige Zugehörigkeit zu den beiden nationalen Gruppen, die in diesem Konflikt einander bekämpfen. Dennoch lohnt ein zweiter Blick, der die Nuancen freilegt, die sich aus einem Vergleich der drei Zeugnisse ergeben. Algérienne ist ein Beitrag, der sich „von außen“ in die französischen Selbstverständigungsprozesse zur Einordnung des Algerienkriegs einschaltet und gerade diese Außenperspektive wird von der Autorin selbst zum hermeneutischen Kriterium erklärt: Mehrmals ist explizit von ihrem drängenden Wunsch die Rede, den Franzosen - ihren ehemaligen Kriegsgegnern - eine algerische Sicht der Dinge zu Gehör zu bringen. Sie ist der Meinung, dies sei von notwendigem Interesse für eine ehrliche, wahrheitsgemäße Auseinandersetzung des Nachbarn mit seiner Vergangenheit: „Par ce livre […] je souhaite que la vérité éclate. Je souhaite que les Français sachent qu’en Algérie, entre 1954 et 1962, il ne s’est jamais agi d’une opération de ‚maintien de l’ordre’ ni d’une ‚pacification’. J’écris pour rappeler qu’il y a eu une guerre atroce en Algérie, et qu’il n’a pas été facile pour nous d’accéder à l’indépendance. Notre liberté a été acquise au prix de plus d’un million de morts, de sacrifices inouïs, d’une terrible entreprise de démolition psychologique de la personne humaine. Je le dis sans haine.“ (Ighilahriz, 257f.) 46 Dossier Die Frage nach dem Einsatz und der Legitimität unrechtsmäßiger Methoden der Kriegsführung bildet den gemeinsamen thematischen Kern der drei Texte. So stellen die drei Zeugnisse aus unterschiedlicher Perspektive - über die Rolle des folternden Geheimagenten, des mehr oder weniger in das Geschehen getriebenen Kompaniesoldaten sowie des Folteropfers - Variationen der Auseinandersetzung mit einer Grundproblematik der französischen nationalen Identität dar. Sie kreisen nolens-volens um die Frage, ob und, falls ja, auf welche Weise die berichteten Geschehnisse an die Integrität und - darüber hinaus - an die Möglichkeiten eines Staates rühren, sich explizit unter das Leitbild der Menschenrechte zu stellen, sich als „Menschenrechtsnation“ zu verstehen. Ein Geschehen, drei Deutungen Die drei bisher vorgestellten Selbstzeugnisse weisen eine gemeinsame Mitte auf - das Erleben von unrechtmäßiger Gewalt. Auf der einen Seite rangiert der politische Haudegen Aussaresses mit seinem ungebrochen-unkritischen Verhältnis zur Legitimität des Krieges und den von ihm selbst praktizierten illegalen Instrumenten wie Folter oder Verschwindenlassen Gefangener; dem gegenüber steht der republikanische Idealist Thomas, der seine politische Identität mit der inbrünstig erlebten und im Text wieder wach gerufenen Résistance-Vergangenheit begründet, die ihm als Fundament seiner Überzeugungen und ethischen Urteile gilt. Beide - der skrupellose Haudegen und der kompromittierte Idealist - bilden ein Stimmenpaar, das zwar unterschiedliche Positionen abbildet, dessen Pole aber doch zusammengehören. Aussaresses und Thomas äußern sich als Franzosen. Sie stehen, so sehr sie sich voneinander unterscheiden, nicht auf der Seite der einheimischen Bevölkerung, sondern dieser gegenüber, sind die Vertreter der anderen Seite. In den Augen der Algerier mag Thomas als Mensch durchaus respektabel erscheinen und sogar Sympathie verdienen; als Repräsentant der Kolonialmacht dient er aber grundsätzlich den falschen Interessen. Figuren wie er kommen in dem Panorama, das Louisette Ighilahriz ausbreitet, durchaus vor - es sind die in ihren Augen hilflos wirkenden Franzosen, die an ein humanistisches Frankreichbild glauben, die aber als Einzelne zu schwach sind, um gegen den Hauptstrom der Kolonialdoktrin und Kriegsführung etwas auszurichten. Sie hellen das Bild der französischen Nation, das die Algerierin Ighilahriz sich macht, zwar auf, aber sie vermögen aufgrund ihrer eigenen Wirkungslosigkeit im Gesamtgeschehen das historische Urteil über das Handeln Frankreichs nicht umzukehren. Wechselt man nach den Schilderungen der Armeevertreter die Seite der Betrachtung und blickt auf die Weise, in der Ighilahriz über das Geschehen spricht, wird deutlich, dass ihre Darstellungen mit der Doppelstruktur der Erzählungen beider Militärs innerlich verwoben sind. Als Befreiungskämpferin des FLN ist sie ein Opfer jener Formen der Foltergewalt, über die Aussaresses und Thomas als Täter sprechen. Als innere Mitte ihres Buches waren jene Passagen ausgemacht worden, die von ihrer Gefangennahme und den anschließenden Erlebnissen im Hauptquartier der Einheiten Mas- 47 Dossier sus in Algier berichten. Noch Jahrzehnte nach dem Krieg formuliert sie ihre biografischen Einsichten im Rückverweis auf die Erfahrungen im Foltergewahrsam der Franzosen. Ihre Schilderungen sind allerdings von einem anderen Grundton getragen, als man ihn erwarten könnte. Nicht in erster Linie Hass oder der Wunsch nach Vergeltung dominieren. Es begegnet vielmehr ein Register der Zwischentöne oder, wenn man so will, der Ambiguität. Ighilahriz erklärt es als ihr Ziel, die historische Wahrheit wieder herstellen zu wollen angesichts zahlreicher, die Geschichte verklärender Beiträge in der französischen Diskussion; sie spricht von ihrem Verlangen, „diesen tiefen Schmerz mitzuteilen“, der sie bis in die Gegenwart hinein begleitet. Sie wendet sich ausdrücklich an jene Gesellschaft, aus der die Täter der Folterpraktiken sowie der kolonialen Unterdrückung stammen und in deren geistigem Horizont sie beheimatet sein mussten. Von dieser Ansprache der Täterseite erhofft sie sich eine nachholende Konstitution ihrer Persönlichkeitsstruktur, deren Ausprägung unter der Wirkung der Erlebnisse empfindlich gestört worden war. Sie wendet sich an ein französisches Publikum, weil die Täter des Unrechts, das sie am eigenen Leib erlebt hat, Franzosen waren. Ihre Äußerungen müssen aber zugleich von einer durchaus optimistischen Grundeinschätzung hinsichtlich der Wirkungsmöglichkeiten ihrer Aussagen getragen sein. Wenn sie nicht der Meinung wäre, für ihr Buch beim französischen Publikum - in dessen Bewusstsein um das humanistisch-menschenrechtliche Erbe der französischen Nation - auf offene Ohren zu stoßen, hätte sie ihren Bericht wohl in einer ganz anderen Tonlage formuliert. Im Selbstverhältnis der Algerierin Ighilahriz kommt zum Ausdruck, dass sie in der Konstitution ihres Selbstbildes von den diversen Gestalten eines Gegenüber abhängig ist, die ihr unter dem gemeinsamen Namen der französischen Kolonialmacht entgegen treten. Ihre Erzählhaltung spiegelt die grundlegende Ambiguität dieser Gegenseite: Frankreich und die Franzosen waren ihr sowohl Gegner als auch Lehrherr, Schulmeister und Folterknecht, Geliebter und Verräter, Bildungsvorbild und kultureller Abgrund - mit einem Wort: Freund und Feind. Die mit den exemplarisch angeführten Zeugnissen von Aussaresses und Thomas sichtbar werdende Janusköpfigkeit des Kolonialherrn Frankreich hat das Selbstverhältnis der Algerierin geprägt. Sie findet in sich selbst nicht nur Verurteilung und Verachtung angesichts der Erlebnisse mit dem Gegner, sondern vermag aus ihrer Wertschätzung für sein humanistisches Erbe und aus der persönlichen Begegnung mit „Rettergestalten“ wieder Kraft zu schöpfen, um sich in optimistischer Erwartung auf seine Besserung an den Gegner von einst zu wenden. Sie selbst zeigt sich als eine janusköpfige, als eine durch und durch zwiegespaltene Persönlichkeit: bis ins Mark ihrer Identität hinein gekränkt und verletzt, aber auch getragen von großem Optimismus und der Hoffnung auf Einsicht und Verhaltensänderung der anderen. In den französischen Rezeptionsraum hinein zu publizieren mag man unter diesen Vorzeichen als Momentum einer Suche nach „Heilung“ verstehen, die für Ighilahriz nur über die Befassung mit ihrer durch das Erleben erschütterten Identität geschehen kann. 48 Dossier Die Zeugnisse der beiden Militärs und der Moujahida handeln von demselben Geschehen. Alle drei Stimmen jedoch betrachten die thematische Mitte ihrer Erzählungen von einem jeweils grundverschiedenen Blickwinkel aus. Gemeinsam bilden sie ein mehrfach komplementäres Bild, das Auskunft gibt über die Verschränkung der Identitäten zwischen Tätern und Opfern der kolonialen Auseinandersetzung. 4. Die Zentrifugalkräfte nationaler Identität - eine sozialethische Frage Die Prägnanz der Unterschiede in den Erzählungen von Aussaresses und Thomas ist nicht nur im Gegenüber zur algerischen Stimme von Ighilahriz zu finden, sondern auch in einer offenbar werdenden innerfranzösischen Polarität. Von der französischen Deutung des Algerienkrieges zu sprechen, auf eine der beiden Stimmen zu verzichten und damit die existierende Erinnerungskonkurrenz auszublenden, wäre fehlerhaft, denn beide stehen für Grundströmungen innerhalb der französischen Positionierungen zu dem Geschehen, die sich in relevanten Diskussionsströmungen der gesellschaftlichen Rezeption des Konfliktes spiegeln. 20 Auch wenn aus der Perspektive der politischen Faktengeschichte die kolonialistische Position mit ihren militärischen Durchsetzungsinstrumenten über lange Zeit dominant war und damit die makropolitische Gestaltungsmacht innehatte, stellt die skrupulöse Haltung, die mit dem Zeugnis von Thomas aufgerufen ist, einen nicht zu vernachlässigenden zweiten Strom identitärer Narration dar. Beide Positionen berufen sich auf die republikanische Tradition der französischen Nation. In der Auslegung, was dies unter den Anforderungen der Gegenwart zu bedeuten hat, unterscheiden sich beide jedoch: Während auf der einen Seite eine Hermeneutik des „nationalen Interesses“ zur Anwendung kommt (Aussaresses), steht auf der anderen Seite der Anspruch im Raum, dass mit dem historischen Erbe, für welches das revolutionäre Frankreich steht, eine prinzipiell universalisierbare Position in der Welt ist, die nicht an den Grenzen des Raumes nationaler Souveränität enden kann. Mit anderen Worten: Der humanistische, menschenrechtlich formulierte Anspruch, für den der französische Republikanismus im Verständnis von Thomas steht, muss prinzipiell auch für alle anderen Völker und Nationen gelten - es widerspricht der inneren Logik dieses Anspruchs, ihn allein französischen Staatsbürgern zu Teil werden zu lassen. Damit ist eine erhebliche Einschränkung, aber auch Neudefinition der Identiät - und in der Folge der politischen Rolle - nationaler Staatlichkeit verbunden. Frankreich kommt eine exemplarische Rolle im Konzert der Nationen zu, aber es macht auch eine Selbstbindung des Staatshandelns erforderlich, das sich nun seinerseits dem menschenrechtlichen Ideal von gleicher Freiheit, Nicht-Diskriminierung und universaler Menschenwürde stellen muss. Das Verständnis von einer „exception 20 Raphaëlle Branche, La guerre d’Algérie: Une histoire apaisée? , Paris, Seuil, 2005. 49 Dossier française“ kann nicht mehr bedeuten, dass es ein dem eigenen Anspruch gegenüber exemptes Staatshandeln geben könnte. All solche Reflexionen werden bei Thomas nicht explizit geführt, aber sie sind die schlüssige Folgerung aus den Überlegungen, die er in subjektiv gefärbter Sprache und in der Form einer Gewissensprüfung vorlegt. Die Funktion des Zeugnisses von Ighilahriz besteht in der Frage, wie ernst es dieser nationalen Identität denn wirklich mit den Menschenrechten ist. Sie erdet die Menschenrechtsrhetorik, holt sie herunter von einer transzendenten Ebene - indem sie zeigt, dass die Menschenrechte nicht vom ideenpolitischen Firmament gefallen sind, sondern aus historischen Kämpfen heraus erarbeitet wurden; dass sie immer mit Leiden, Gewalterfahrung und Kampf zu tun haben. Der Bericht der Algerierin zeigt, dass es eine „andere Seite“ der Menschenrechtsrhetorik gibt: die gerne vergessenen Kosten dieses Kampfes. So, wie Franzosen sich ihre Freiheit mit der Revolution erst erkämpfen mussten, haben die Algerier ihren antikolonialen Kampf mit der moralischen Legitimation eines menschenrechtlichen Befreiungskampfes interpretiert: Es kann nicht sein, so die Überzeugung von Ighilahriz, dass die Werte Frankreichs nicht auch für die kolonisierten Völker gelten sollten. Damit ist eine Aussage zur Frage nach der Identität der Nation gemacht: In dem Maße, in dem die Menschenrechte als ein identitäres Merkmal des nachrevolutionären Staates beansprucht werden, büßen die Instanzen politischer Herrschaft an Spielraum ein, mit ihrem Handeln die behauptete Identität beliebig formen zu können. Menschenrechte - damit unterwirft sich der Staat einem Anspruch, dessen Auslegung er nicht hoheitlich definieren kann. Der normative Anspruch menschenrechtlicher Forderungen macht die Universalität der Menschenrechte aus; staatliche Souveränität findet eben daran ihre Grenzen. 21 Es gibt fortan eine sachliche Objektivität, hinter die nicht mehr zurückkommt, wer den Anspruch ernst nimmt. Das Zeugnis von Ighilahriz steht für die Aussage: Wenn Staaten, die sich unter den Maßstab der Menschenrechte stellen, hier und da - und im Kolonialkrieg auf ganz extensive Weise - gegen den eigenen moralisch-rechtlichen Anspruch verstoßen, ist das Mindeste, was sie im Nachhinein tun können, dies: einen ehrlichen und offenen Umgang mit ihrer Geschichte zu finden. Vielleicht lässt es sich unter realen historischen Bedingungen auch gar nicht vermeiden, das eigene Ideal mitunter zu verraten; aber dann darf erwartet werden, dass solche Staaten zu einem Umgang mit ihrem Verhalten finden, welcher der moralischen Höhe ihres Selbstanspruchs gemäß ist. In den drei Zeugnissen von Aussaresses, Thomas und Ighilahriz artikulieren sich Momente eines Prozesses nationaler Selbstidentifikation. Identität zeigt sich darin nicht als ein statisches Set etablierter und invarianter Festlegungen, sondern als eine hochgradig auslegungsabhängige und ergebnisoffene Kategorie. Die drei 21 Vgl. grundsätzlich zum systematischen Verständnis des Menschenrechtsanspruchs Heiner Bielefeldt, Philosophie der Menschenrechte. Grundlagen eines weltweiten Freiheitsethos, Darmstadt, WBG, 1998. 50 Dossier Stimmen stehen pars pro toto für drei Strömungen nationaler Selbstnarration, die in Konkurrenz zueinander stehen. Alle drei aber offenbaren die Spannungen, die auf die eine oder die andere Weise zu Tage treten, wo Individuen ihr Handeln vor einem kollektiv determinierten Wertegerüst darlegen und verständlich machen müssen. Die hier nur kurz umrissenen Diskussionslinien könnten nun freilich vertieft und auf ihre politischen Folgen hin sowie bezüglich eines sozialethischen Handlungsbedarfes ausgelegt werden. Dies übersteigt den Rahmen dieser Abhandlung und wird an anderer Stelle nachgeholt. Vorerst erscheint es mir wichtig, auf eine weitere Dimension der hier zum Problem erhobenen Dissonanz zwischen kollektiver Orientierung und individueller Geltung hinzuweisen. Es ist der Zusammenhang von ethischem Gehalt und den medialen Bedingungen subjektiver Artikulation. 5. Ethik und Linguistik Bisher bewegte sich die Analyse auf einer thematisch-propositionellen Ebene. Inhaltshermeneutisch konnten die „kognitiven Dissonanzen“ erhoben werden, die - abgekürzt formuliert - aus den Verwicklungen von Selbstverständnis und Fremdanspruch entstehen. Noch nichts gesagt worden war aber über die Frage nach den Modalitäten solcher Äußerungen. Die Tatsache aber, dass es überhaupt zu den erwähnten Textzeugnissen kommt, scheint für die Vertiefung der Rahmenfrage unserer Überlegungen weiterführend zu sein. 22 Zunächst wird man festhalten können, dass der Prozess der Narrativierung jener Erfahrungen und Erlebnisse, von denen die Autoren schreiben, für sie selbst eine Art des Umgangs mit diesen Widerfahrnissen darstellt. In der Tätigkeit des Schreibens scheinen sie eine Möglichkeit zu finden, den vielfach beschriebenen Spannungen, unter denen sie stehen, zumindest ein Ventil zu geben. Wie der Druck, der schließlich dazu führt, dass sie zur Feder greifen, aufkommt, ist unterschiedlich: Aussaresses steht unter dem äußeren Rechtfertigungsdruck einer demokratischen Öffentlichkeit, die knapp 40 Jahre nach dem Ende des Konflikts eine offene und transparente Kommunikation über die Ereignisse einfordert. Inwiefern seine Rechenschaftslegung ge- oder misslingt, ist ein Zweites - entscheidend aber ist, dass er diesem Erfordernis formaler Weise nachkommt. Thomas hingegen unterliegt einem inneren Rechtfertigungsdruck: Er nimmt angesichts der ansteigenden, kritischen Diskussion über das seinerzeitige Staatshandeln in Algerien sein persönliches Versagen wahr und versucht sich zu erklären. Auch hier „erzwingt“ eine gesellschaftlich-politische Kommunikationssituation ein punktuelles Redeereignis. Die Stellungnahme von Ighilahriz schließlich lässt sich vor dem Hintergrund einer zunehmenden Verschlechterung der sozioökonomischen 22 Für die kritische Durchsicht und viele anregende Hinweise der nachfolgenden Überlegungen danke ich herzlich Dr. des. Yvonne Al-Taie. 51 Dossier Entwicklungsperspektiven ihres algerischen Heimatlandes und angesichts der aus ihrer Rolle im Konfliktgeschehen davongetragenen persönlich-existenziellen Folgen deuten: Sie erkennt, dass im algerisch-französischen Verhältnis nach wie vor tief sitzende Wunden aus der Vergangenheit auch die Agenda tagespolitischer Arrangements bestimmen, ihre Heimat Algerien - wie sie selbst - kraft einer unaufgearbeiteten Vergangenheit und aufgrund mangelnder Ehrlichkeit über das Geschehene Schaden nimmt und es deswegen besser wäre zu reden, als im gegenseitigen Stereotyp zu verharren. Für alle drei Stimmen bildet die Narrativierung überhaupt erst ein Instrument, um mit einer subjektiv empfundenen Spannung umzugehen. Das Schreiben eröffnet eine Ebene, diese Spannung zu artikulieren, weil erst in der textlichen Verfertigung der individuellen Erfahrungen diese für die Autoren greifbar wird. Erleben und Erfahren wird im Modus der Narrativierung handhabbar und zum Momentum einer überindividuellen kommunikativen Situation. Die textlichen Äußerungen sind sowohl Stimulans als auch Reflex dieser Situation: Sie initiieren einzelne Sequenzen einer gesellschaftlichen Debatte, die im Entstehen ist, aber sie reagieren auch auf eine bereits geführte Diskussion. In beiden Aspekten partizipieren sie an der mit den Jahren 2000ff. einsetzenden kollektiven Erinnerung an den Algerienkrieg als einem nicht zu verleugnenden zeithistorischen Erbe der französischen Nation. Bedient man sich einiger Grundannahmen der Sprechakttheorie und weitet sie von der Satzauf die Textebene aus, kommt man zu weiteren, interessanten Frageperspektiven: Aussagen, so das sprechakttheoretische Credo, haben nicht nur propositionellen Gehalt, sondern stellen als illokutionäre Akte auch ein Handeln mit Sprache dar, als perlokutionäre Akte gar ein Handeln, das eine bestimmte Reaktion beim Leser und Hörer explizit hervorzurufen beabsichtigt. 23 Nun könnte man fragen: Inwiefern bilden die hier behandelten Texte zum Erbe des Algerienkrieges ein ‚Handeln’ im Blick auf ihre Hörer und Leser? Was wollen sie tun - was können sie überhaupt tun und bewirken? Es scheint hiermit die ethische Dimension einer primär linguistisch orientierten Perspektive auf den Gegenstand angesprochen. Insbesondere in zwei Richtungen ist hierbei zu denken. Erstens: Die Tatsache, dass es im Gefolge weniger Jahre zu einer derart intensiven Thematisierung des Gegenstands ‚Deutung und Umgang mit dem Erbe des Algerienkonflikts’ kommt, muss in (sozial-)ethischer Hinsicht für bedeutsam gehalten werden. Das Stimmenbündel, für das exemplarisch Aussaresses, Thomas und Ighilahriz vorgestellt wurden, bildet einen Kairos für die Thematisierung bestimmter gesellschaftlich-politischer Fragen, für die es offensichtlich Problemdruck gibt, für welche Klärungsbedarf besteht. Wenn innerhalb kurzer Zeit eine kontroverse Debatte in solcher Dichte anhebt, deutet das darauf hin, dass es eine bis dato nicht gekannte gesellschaftliche Offenheit - und Bereitschaft - gibt, die darin verhandelten Fragen zu erörtern. Diese Feststellung scheint auf den ersten Blick möglicher- 23 Vgl. grundständig: Angelika Linke, Markus Nussbaumer, Paul R. Portmann, Studienbuch Linguistik, Tübingen, Niemeyer, 1991. 52 Dossier weise banal; sie ist es aber nicht. Denn wer die hohe Abhängigkeit von sogenannten Gelegenheitsfenstern kennt, von welchen die erfolgreiche Adressierung politisch-gesellschaftlicher Grundfragen abhängig ist, wird um den Wert solcher Einsicht wissen. Alle politischen und zivilgesellschaftlichen Akteure, die an der Bearbeitung von Fragen im Kontext der aufgerufenen Thematik interessiert sind, werden gut daran tun, den Kairos zu nutzen und nach einer gründlichen Analyse der diskurspolitischen Situation ihre eigene Agenda voranzutreiben - eine größere Chance auf Resonanz und öffentliche Wirksamkeit wird auf Längeres nicht wiederkehren. Neben solchen, eher formalen Gesichtspunkten, drängt sich - zweitens - eine mehr inhaltliche Schlussfolgerung auf: Die Artikulation solch starker Diskrepanzen zwischen kollektiver Orientierung und individueller Geltung, wie sie in den Zeugnissen der drei Protagonisten zum Ausdruck kommt, bedeutet eine Anfrage an die beiden Pole der beschriebenen Diskrepanz - zunächst an den Staat, dann aber auch an die Bürgerinnen und Bürger innerhalb des Gemeinwesens. Für den Staat wird aufgrund der Debatte die Frage unabweisbar, wie eigentlich weiterhin mit seinem bisherigen Konzept von ‚Identität’ Politik zu machen ist. Wenn das mehr oder weniger explizite Konzept einer Identität der Menschenrechtsrepublik französischer Nation auf so frappierende Weise scheitert, wie es an den divers positionierten Akteuren des Algerienkrieges sichtbar wird, scheint sich diese Frage doch neu zu stellen. Für den französischen Staat wird es weiterhin zu einer kaum mehr von der Hand zu weisenden Verpflichtung, die „Kosten“ seiner vergangenen Identitätspolitik in Rechnung zu stellen - verlorene Akzeptanz bei den eigenen Bürgern, schwindende Legitimität im Geflecht der internationalen Beziehungen, dadurch bedingte Verkleinerung der wirtschafts- und kulturpolitischen Spielräume, kurz: verlorene Handlungsmöglichkeiten aufgrund einer inkohärenten Praxis des eigenen moralisch-ethischen Anspruchs. Schließlich bedeutet diese Situation, sich nicht länger in Illusionen zu wiegen über den Charakter des eigenen Wertehimmels: Das Ideal einer an den Werten der Revolution orientierten, Freiheit und gleiche Rechte aller propagierenden Menschenrechtsrepublik ist, wo es nur der Giebelspruch eines Staates, nicht aber das in die Dichte nationalen Rechts und staatlicher Politik hineingearbeitete normative Leitbild ist, nicht dazu geeignet, staatliches Handeln eindeutig zu orientieren. Gerade die drei hier vorgestellten Stimmen zeigen ja, wie sehr das Ideal angesichts einer die konkrete Auslegung erforderlich machenden Realität verschwimmen kann. Ein vermeintlich klares Bild wird unscharf, in alle Richtungen hin bieg- und formbar. Wer könnte über die legitime Auslegung des Ideals je verbindlich bestimmen? Dass es dafür keine Instanzen, kein Prozedere, keinen von allen Seiten für legitim befundenen Weg gibt, macht zu einem guten Teil die individuell empfundene und beschriebene Spannung aus. Hieraus den Bedarf zu identifizieren, dass Werte und Ideale, die gesellschaftspolitische Realität durchaus anleiten und prägen können, einer steten Präzisierung bedürfen, es also zu klären ist, worin solche Ansprüche im Einzelfall bestehen, ist eine Aufgabe für politische Steuerung. 53 Dossier Was mag nun die Schlussfolgerung auf individueller Seite, für die Bürgerinnen und Bürger sein? Sie sollten wissen, dass man sich nicht ausruhen darf auf den Behauptungen des Staates, so universalistisch dessen Gewand und Selbstinszenierung auch erscheinen mag. Letztlich ist auch er partikularer Akteur unter vielen. Das universale Ideal realisiert sich nur in der täglich neu unternommenen Praxis all derer, die für es Verantwortung tragen. Résumée: Daniel Bogner, Crises de l’identité part de la constatation qu’avec la guerre d’Algérie la construction identitaire de la République constitué par le système de valeurs des Droits de l’Homme a été mis en question. A l’encontre de conceptualisations de la mémoire actuellement proposées comme celle d’Aleida Asmann, le centre d’intérêt de la contribution est constitué par les contradictions entre l’orientation collective de la nation et la réception et la mise en valeur individuelles de ces présupposées identitaires collectifs. L’analyse de textes autobiographiques de quelques acteurs de la guerre permet de reconstruire ce déchirement entre orientation collective et conscience de soi qui amène ces acteurs a des réactions très divergentes. Les témoignages pris en considération peuvent être mis en perspective comme autant de manières exemplaires, typologiques de se situer face à la rupture entre ordre collectif et ordre individuel. Cette lecture des textes permet d’ébaucher des conséquences pour la révision de cette spécificité française qui consiste à se soumettre comme collectif à un idéal si exigeant que celui des Droits de l’Homme.