lendemains
ldm
0170-3803
2941-0843
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/91
2012
37146-147
Mittlerstudien
91
2012
Katja Marmetschke
ldm37146-1470010
10 Dossier Katja Marmetschke (ed.) Mittlerstudien Katja Marmetschke Einleitung Auf dem noch jungen Forschungsfeld der deutsch-französischen Kultur- und Gesellschaftsbeziehungen ist die Befassung mit Mittlerpersönlichkeiten ein vergleichsweise gut bestelltes Feld, wie die wachsende Anzahl von Monographien und vor allem Aufsätzen zeigt, die von Historikern, Romanisten, Germanisten und Politikwissenschaftlern zu diesen Akteuren vorgelegt werden. 1 Zu diesen wissenschaftlichen Arbeiten gesellen sich die Zeitzeugenberichte und Memoiren verschiedener Verständigungsakteure, wie z.B. von Gilbert Ziebura, Joseph Rovan oder Alfred Grosser. 2 Dieses Interesse an der Rolle von Privatpersonen in den zwischenstaatlichen Beziehungen lässt sich - und dies ist zumindest für das deutschfranzösische Fallbeispiel im 20. Jahrhundert unbestritten - darauf zurückführen, dass diesen Persönlichkeiten eine entscheidende Schrittmacherfunktion für die Verbreitung, Verankerung und Verfestigung des Verständigungsgedankens zufiel. Die Perspektivenerweiterung in der Erforschung internationaler Beziehungen, die ihr Augenmerk lange Zeit auf die offiziell-gouvernementalen Akteure und Institutionen gerichtet hatte, bringt die Frage mit sich, mit welchen Methoden und unter welchen Zielsetzungen man sich dieser neu entdeckten Akteursgruppe nähern sollte. Angesichts der Vielzahl empirischer Arbeiten zur Tätigkeit zivilgesellschaftlicher Mittler ist es erstaunlich, dass erst in jüngster Zeit vermehrt Überlegungen zur konzeptuell-theoretischen Einfassung dieser Studien angestellt werden. 3 Dieses Ungleichgewicht erklärt sich nicht zuletzt durch den positiv konnotierten Begriff des Mittlers selbst: Das Engagement dieser Akteure im Zeichen der transnationalen Verständigung scheint auf den ersten Blick keiner zusätzlichen theoretischen Unterfütterung zu bedürfen. Aber kann sich die Erforschung von deutsch-französischen Mittlerpersönlichkeiten darauf beschränken, deren Leben und Wirken zu rekonstruieren, ihre Verdienste in Erinnerung zu rufen? Wer kann überhaupt als deutsch-französischer Mittler gelten? Wie weit oder eng gefasst muss der Untersuchungsausschnitt sein, welches Spektrum von Aktivitäten umfasst die Mittlertätigkeit? Bieten die biographische Methode oder die Werkanalyse angemessene Instrumentarien, um die Aktivitäten dieser Persönlichkeiten zu untersuchen? Und schließlich: Wozu sollen die Mittlerstudien dienen? Reduziert sich ihre Bedeutung darauf, Lücken in der Erforschung der deutsch-französischen Kultur- und Gesell- 11 Dossier schaftsbeziehungen zu schließen? Reiht sich eine Mittlerstudie an die nächste, um die Bedeutung dieser Persönlichkeiten zu bekräftigen? Inwiefern ist dieses Teilgebiet anschlussfähig an Ansätze aus anderen Disziplinen, inwiefern lassen sich aus ihnen Rückschlüsse über die Spezifika kulturell-gesellschaftlicher Beziehungen zwischen zwei Staaten ziehen? Diesen Fragen nach der Wahl des Forschungsausschnittes, der Methode und der Zielsetzung muss sich eine kritisch-reflexive Mittlerforschung stellen, wenn sie über die Darstellung von Leben und Wirken ihrer Untersuchungsobjekte hinausgehen will. Erste Antworten darauf wurden schon gegeben, z.B. zur Tauglichkeit der Biographie als fallspezifische Analysemethode zur Erforschung transkultureller Vermittlungs- und Zugehörigkeitsprozesse 4 oder zur Kompatibilität deutsch-französischer Mittleruntersuchungen mit neueren Ansätzen aus der Geschichts- und Politikwissenschaft sowie der Soziologie. 5 Im folgenden soll - ausgehend von der Frage, welches Tätigkeitsspektrum die Aktivitäten von Mittlern umfassen kann - ein problemorientierter Abriss über die bisherige Schwerpunktsetzung in der wissenschaftlichen Befassung mit diesen Akteuren gegeben werden. Versucht man eine Klassifizierung der Mittlertätigkeit, so lassen sich vereinfacht drei unterschiedliche modi operandi des Engagements unterscheiden, die einerseits durch individuelle Prädispositionen und Fähigkeiten, andererseits durch spezifische soziokulturelle Konstituierungsbedingungen bestimmt werden. Erstens kann sich ein Mittler als Autor betätigen, der Informationen über das andere Land sammelt und zu umfassenden Deutungsentwürfen verarbeitet. Zweitens kann er als Organisator auftreten und transnationale Begegnungsagenturen oder Zeitschriften ins Leben rufen. Drittens kann er als Multiplikator wirken, der sich z.B. als Journalist oder Lehrender für die vertiefte Kenntnis des Nachbarn und damit das Projekt interkulturellen Lernens und Handelns einsetzt. 6 Diese drei Entfaltungsformen des Mittlerengagements (d.h. die intellektuell-deutende, die praktisch-organisatorische und die pädagogisch-vermittelnde) werden zwar aufgrund individuell unterschiedlich ausgeprägter Begabungen und Kompetenzen selten in Personalunion ausgeübt, aber sie sind gleichermaßen wichtige Säulen für das Gelingen grenzüberschreitender Kommunikation auf gesellschaftlicher Ebene. Welche Dimension des Mittlerengagements in einer bestimmten Phase der deutsch-französischen Beziehungen jeweils dominiert, hängt in hohem Maß von der jeweiligen soziokulturellen Verankerung und Zielsetzung des initiierten Austausches statt: So waren in der Zwischenkriegszeit vor allem Intellektuelle die Trägergruppe des deutsch-französischen Dialogs, die sich in elitären oder bildungsbürgerlichen Zirkeln trafen, um die Kenntnisse übereinander zu vertiefen sowie Möglichkeiten und Perspektiven transnationaler Verständigung auszuloten. 7 Das veröffentlichte Wort bildete in dieser Hochphase des intellektuell-deutenden Mittlertypus eine wichtige Säule des transnationalen Austausches, der vor allem im Milieu deutscher und französischer Kulturzeitschriften seinen Nähr- und Resonanzboden fand. 8 Ganz anders stellte sich die Situation nach dem Zweiten Weltkrieg dar, als Verständigungspioniere wie Jean du Rivau bewusst den Bruch mit den (als gescheitert be- 12 Dossier trachteten) Annäherungskonzepten der Vergangenheit suchten und die konkrete Begegnung und das gemeinsame Handeln in den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit rückten. 9 Dieser praktisch-begegnungsorientierte Zuschnitt der Verständigungsaktivitäten brachte den Mittlertypus des Organisators hervor, der exemplarisch von Persönlichkeiten wie Alfred Grosser verkörpert wird, dessen Engagement im Comité français d’échanges avec l’Allemagne nouvelle im vorliegenden Dossier vorgestellt wird. In diese Mittlerkategorie fallen aber auch die häufig weniger bekannten Initiatoren von Städtepartnerschaften und Gründer von deutsch-französischen Gesellschaften, die in den 1950er und 1960er Jahren auf lokaler Ebene einen erheblichen Beitrag zur Wiederbelebung des bilateralen Dialogs leisteten. 10 Betrachtet man die Blütephasen des Mittlerengagements in den beiden Nachkriegszeiten, als intellektuelle Stichwortgeber respektive private Organisatoren der Begegnungsarbeit eine zentrale Rolle in den deutsch-französischen Kultur- und Gesellschaftsbeziehungen spielten, dann fällt auf, dass diese Akteure gerade dann ihr kreatives Potenzial entfalteten, wenn sich die offiziellen Kontakte zwischen Deutschland und Frankreich auf einem Tiefpunkt befanden. In diesen Phasen übernahmen zivilgesellschaftliche Mittler die Aufgabe, durch die Mobilisierung intellektueller und materieller Ressourcen im eigenen Land und durch das Ausfindigmachen eines dialogbereiten Verständigungspartners im anderen Land quasi „von unten“ die Kommunikationskanäle zwischen Deutschland und Frankreich wieder freizulegen und neu aufzubauen. Wie sehr das individuelle Mittlerengagement von der jeweiligen politischen Beziehungskonstellation zwischen Deutschland und Frankreich abhängt, zeigt sich am Einschnitt, den der Elysée-Vertrag für die Mittlerfunktion bedeutete: Mit der Schaffung bilateraler Verständigungsagenturen (und insbesondere des Deutsch-französischen Jugendwerks 11 ) und der damit einhergehenden Professionalisierung des Austausches war die Hochphase individueller Mittler mit ihren privaten Netzwerken vorbei, da Verständigungsaktivitäten seit diesem Zeitpunkt durch ihre Anbindung an staatlich geförderte Institutionen gekennzeichnet sind. Spätestens ab 1963 ist damit eine Historiographie der Mittlertätigkeit auch eine Institutionengeschichte. 12 Allerdings ist es gerade der dritte, vermittelndpädagogische Mittlertypus, der sich diesen veränderten Rahmenbedingungen am besten anzupassen vermag. Seine Tätigkeit als Multiplikator mit engem Kontakt zur zivilgesellschaftlichen Basis kann sich gerade in einer institutionalisierten Infrastruktur der Verständigung gut entfalten, da diese ihm die notwendige materielle und ideelle Unterstützung sichert. Dies gilt z.B. für Französischlehrer, deren Schüler an Programmen des DFJW teilnehmen können, für Journalisten, die sich in Schulungen des Deutsch-Französischen Instituts weiterbilden oder für Lektoren, die im DeutschMobil unterwegs sind. Obgleich also in Abhängigkeit von der soziokulturellen Trägergruppe, der Zielsetzung des Austausches und dem jeweiligen außenpolitischen Beziehungsmodus zwischen Frankreich und Deutschland jeweils unterschiedliche Formen des Mittlerengagement eine stärkere Ausprägung erfuhren, darf nicht übersehen werden, dass für eine funktionierende transnationale Kommunikation alle drei Ebenen des transnationalen Handelns abgedeckt werden 13 Dossier müssen und diese in einem Verhältnis wechselseitiger Angewiesenheit stehen: So ist z.B. der intellektuelle Stichwortgeber für seine Interventionen auf die Existenz von deutsch-französischen Diskussionsplattformen angewiesen, die ihrerseits wieder von den Organisatoren des zivilgesellschaftlichen Austausches bereitgestellt werden. Und auch wenn die Blütephase des intellektuell-deutenden Mittlers vorbei ist, belegt die weiterhin florierende Deutschlandessayistik in Frankreich (und in einem etwas geringeren Umfang auch die Frankreichessayistik in Deutschland), dass es noch immer einen großen gesellschaftlichen Resonanzboden für erklärende Interpretationen des Nachbarlandes gibt. 13 Betrachtet man nun die Wahl des Untersuchungssausschnittes in der deutschfranzösischen Mittlerforschung, so fällt auf, dass zahlreiche Studien Akteure ins Blickfeld nehmen, die in der Zwischenkriegszeit als Intellektuelle, Hochschullehrer oder Publizisten einen wichtigen Beitrag zur Schaffung von bestimmten Deutungsmustern über die Nachbarnation geleistet haben und damit in die Kategorie des intellektuell-deutenden Mittlers fallen. Ein prominentes Beispiel ist der deutsche Romanist Ernst Robert Curtius, dessen Leben und Wirken in einer Vielzahl von Aufsätzen und Monographien untersucht wurde. 14 Ein Pendant auf französischer Seite bilden die französischen Germanisten, von denen in jüngerer Zeit Robert Minder und Edmond Vermeil mit Monographien bedacht wurden. 15 Das wissenschaftliche Interesse an den Produzenten von Interpretationsmustern über die andere Nation lässt sich auf pragmatische und forschungsstrategische Gründe zurückführen: Dadurch, dass diese Mittlergruppe im Rahmen ihres deutsch-französischen Engagements in der Regel ausgedehnte publizistische Aktivitäten entwickeln, verfügt man über eine relativ breite und gut zugängliche Quellenbasis, um die Verständigungsvorstellungen dieser Akteure zu erschließen. Zudem ermöglicht die Untersuchung der Vertreter der französischen Germanistik und der deutschen Romanistik auch die sinnvolle Verknüpfung mit der Disziplingeschichte des jeweiligen Faches und dem Einfluss, den der jeweilige Wissenschaftler auf die Etablierung seines Forschungsfeldes und die konzeptuelle Befassung mit dem Nachbarland hatte. 16 Darüber hinaus bietet die Existenz eines großen publizistischen Werkes über das Nachbarland auch eine gesicherte Quellenbasis für perzeptionsanalytische Arbeiten, die nach den Entstehungsbedingungen und Verbreitungskontexten von bestimmten Vorstellungen über ein anderes Land fragen. Allerdings birgt das Vorhandensein eines großen Primärquellen-Fundus auch die Gefahr, das deutsch-französische Mittlerengagement eines Akteurs einzig auf der Grundlage seiner Veröffentlichungen zu betrachten und somit quasi „werkimmanent“ zu erklären, ohne auf das Gewicht biographisch-sozialisatorischer, milieuspezifischer und politisch-zeitgeschichtlicher Bestimmungsfaktoren einzugehen und weitere Facetten im Mittlerengagement dieser Persönlichkeit auszuleuchten. Die Fokussierung auf bekannte intellektuelle Stichwortgeber des deutsch-französischen Dialogs ließ zudem über lange Zeit Akteure in Vergessenheit geraten, die kein ausgedehntes publizistisches Werk hinterließen, aber durch ihr praktisch-organisatorisches Talent wichtige Kommunikationsplattformen schufen und damit zur zweiten Mittlerkatego- 14 Dossier rie gehören. Hier sind z.B. Wilhelm Friedmann, der Gründer der Deutsch-Französischen Studiengesellschaft in Leipzig, Gottfried Salomon-Delatour als Initiator der Davoser Hochschulkurse und Otto Grautoff als Gründer der Deutsch-Französischen Gesellschaft zu nennen, denen inzwischen erste Arbeiten gewidmet wurden. 17 Den Beiträgen von Michel Grunewald und Ute Lemke in diesem Dossier kommt das Verdienst zu, mit ihren Studien über Louis Reynaud und Margarethe Rothbarth auf zwei weitere bisher nur unzureichend erforschte Facetten des Mittlerengagements in der Zwischenkriegszeit aufmerksam zu machen. Obgleich der nationalistisch-konservative Germanist Louis Reynaud nicht zu den deutsch-französischen Verständigungsprotagonisten gezählt werden kann, ist doch seine Bedeutung als Produzent autoritativer Deutungsmuster über das Nachbarland unbestritten, wie sein umfassendes und breit rezipiertes Werk zeigt. Zusammen mit dem Populärhistoriker Jacques Bainville 18 bildet er einen einflussreichen Gegenpart zur Gruppe der zumeist linksrepublikanisch-verständigungsorientierten Germanisten und ist einer der wichtigsten Repräsentanten eines feindseligen Deutschlanddiskurses, der seine extremste Ausprägung während des Ersten Weltkrieges hatte. Auch das Engagement diese Akteure deckt viele Aspekte der Mittlertätigkeit ab: Sie waren intellektuelle Stichwortgeber, hatten ihre eigenen Publikationsforen, und auch ihr Bemühen war es, sich Gehör und Anhängerschaft innerhalb der Zivilgesellschaft zu verschaffen. Deutschland diente ihnen in der Regel als Negativfolie, um die vermeintliche Überlegenheit der eigenen Nation besser darstellen zu können und alle aus dem Nachbarland kommenden Einflüsse als schädlich abzuwehren. Die transnationale Kommunikation mit dem Nachbarn selbst, die eine unverzichtbare Komponente des annäherungsorientierten Engagements bildet, war folglich nicht erwünscht. Auch wenn die französischen Germanisten dezidiert gegen diese Form der Deutschlanddeutung antraten, finden sich einige Topoi der skeptischen Deutschlandbetrachtung auch in ihrem Diskurs wieder: Die Annahme etwa, dass Deutschland und Frankreich zwei unterschiedliche Zivilisationsmodelle repräsentierten, taucht auch bei dem Sorbonne-Germanisten wie Edmond Vermeil auf - allerdings betonte letzterer die Veränderbarkeit und tendenzielle Komplementarität beider Modelle. Und es sollte nicht übersehen werden, dass auch einige allgemeinhin als Verständigungsakteure klassifizierte Mittler (wie z.B. Ernst Robert Curtius) die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Nachbarland recht geschickt nutzten, um letztlich doch nur die angenommene Universalität und Superiorität der eigenen Nationalkultur zu bekräftigen. Die Trennlinie zwischen dem deutschlandfeindlichen Abgrenzungsdiskurs nationalistischer Intellektueller und dem verständigungsorientierten Schrifttum linksrepublikanisch-demokratischer Kräfte ist zwar deutlich erkennbar, aber sie ist auch gekennzeichnet durch wechselseitige Bezugnahmen, partielle Durchlässigkeit und sogar Standortwechsel, wie das Beispiel von Jacques Rivière belegt. 19 Insofern wäre es also wünschenswert, verschiedene Pole der Deutschlanddeutung in Frankreich (respektive der Frankreichdeutung in Deutschland) und ihre jeweiligen Verbreitungsplattformen in die Untersuchung von 15 Dossier Mittlern einzubeziehen, zumal hier Diskurstraditionen entstanden und fortentwickelt wurden, deren Varianten bis heute in der populären Frankreich- oder Deutschlandessayistik anzutreffen sind. Der Beitrag über Margarethe Rothbarth stellt eine Persönlichkeit vor, die gleich in zweifacher Hinsicht aus dem dominierenden Schema der intellektuell-deutenden Mittlertätigkeit während der Zwischenkriegszeit herausfällt. Erstens übte sie ihre Mittlertätigkeit innerhalb einer Institution aus, dem vom Völkerbund geschaffenen Internationalen Institut für geistige Zusammenarbeit. Obgleich dessen praktische Verständigungsbilanz vergleichsweise bescheiden ausfiel, sind in ihm doch zukunftsweisende Projektideen entwickelt worden, wie es die Initiative zur Revision der Geschichtsbücher zeigt, an deren Konzeption die promovierte Historikerin maßgeblich beteiligt war. Zweitens nimmt Margarethe Rothbarth aber auch deshalb eine Sonderstellung ein, weil sie zu den wenigen Frauen gehörte, die im 20. Jahrhundert eine Mittlerrolle zwischen Deutschland und Frankreich übernahmen. Zu ihnen gehören z.B. die Friedensaktivistin Klara Marie Faßbinder, Aline Mayrisch, die Schriftstellerin Annette Kolb, die Gründerin der Vereinigung Deutsch- Französischer Gesellschaften Elsie Kühn-Leitz sowie die brillante Andler-Schülerin und Germanistin Geneviève Bianquis. Nicht zuletzt könnte man auch Alfred Grossers Mutter Lily dazu rechnen, ohne deren organisatorisches Wirken im Hintergrund die Austauschaktivitäten des Comité français d’échanges avec l’Allemagne nouvelle kaum denkbar gewesen wären. Kaum eine dieser Mittlerpersönlichkeiten ist bisher mit wissenschaftlichen Arbeiten bedacht worden. 20 Es wäre eine weitere Aufgabe für die Mittlerforschung der Frage nachzugehen, warum so wenige Frauen in den Reihen der deutsch-französischen Mittler auftauchen, welches ihre Tätigkeitsfelder waren und auf welche Hindernisse oder Akzeptanzprobleme sie bei der Ausübung ihres Mittlerengagements trafen. 1 Cf. z.B. die einschlägigen Aufsatzsammlungen in Michel Grunewald et al. (eds.): France- Allemagne au XX e siècle. La production de savoir sur l’Autre, vol. 2, Les spécialistes universitaires de l’Allemagne et de la France, Bern, Lang, 2012; Hans Manfred Bock: Kulturelle Wegbereiter politischer Konfliktlösung. Mittler zwischen Deutschland und Frankreich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Narr, Tübingen, 2005; Hans Manfred Bock, Reinhart Meyer-Kalkus, Michel Trebitsch (eds.): Entre Locarno et Vichy. Les relations culturelles franco-allemandes dans les années 1930, 2 vol., Paris, CNRS Editions, 1993. 2 Gilbert Ziebura: Kritik der Realpolitik. Genese einer linksliberalen Vision der Weltgesellschaft, Berlin, LIT Verlag, 2009; Joseph Rovan: Erinnerungen eines Franzosen, der einmal Deutscher war, München, Hanser, 2000; Alfred Grosser: La joie et la mort. Bilan d’une vie, Paris, Ed. de la Renaissance, 2011 (dt.: Die Freude und der Tod. Eine Lebensbilanz, Hamburg, Rowohlt, 2011). 3 Cf. Hans Manfred Bock, „Vom Beruf des kulturellen Übersetzens zwischen Frankreich und Deutschland, oder: Verzagen die Mittler? “, in: Lendemains 22 (1997), No. 86-87; 8- 19; id.: „Créateurs, organisateurs et vulgarisateurs. Biographies de médiateurs socioculturels entre la France et l’Allemagne au XX e siècle“, in: Revue d’Allemagne 33 (2001), 16 Dossier No. 4, 453-467; Thomas Keller: „Einleitung“, Dossier „Vrais“ et „faux“ médiateurs. La connaissance des lieux et ses équivoques, in: Cahiers d’Etudes Germaniques, 60 (2011), No. 1, 7-26; Katja Marmetschke: „Was ist ein Mittler? Überlegungen zu den Konstituierungs- und Wirkungsbedingungen deutsch-französischer Verständigungsakteure“, in: Michel Grunewald et al. (eds.): France-Allemagne au XX e siècle, La production de savoir sur l’autre, vol. 1, Questions méthodologiques et épistémologiques, Bern, Lang, 2011, 183-199. 4 Cf. dazu im Detail Anne Kwaschik: „Interkulturelle Identitätssemantiken und Rollenkonstruktionen. Der biographische Ansatz als Fallstudie in der Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen“, in: Michel Grunewald et al. (eds.): France-Allemagne au XX e siècle, vol. 1, op. cit., 167-182. 5 Cf. Hans Manfred Bock: „Transnationalisierung als zeitdiagnostisches Kennwort und zeitgeschichtliches Konzept für die deutsch-französischen Beziehungen“, in: Corine Defrance, Michael Kißener, Pia Nordblom (eds.): Wege der Verständigung zwischen Deutschen und Franzosen nach 1945. Zivilgesellschaftliche Annäherungen, Narr, Tübingen, 2010, 349-377, hier 351-360. Bock verweist insbesondere auf den Forschungszweig Internationale Geschichte in der Geschichtswissenschaft, die Diskussion über private Akteure im Teilgebiet Internationale Beziehungen der Politikwissenschaft und die Transnationalismus-Debatte in der Soziologie, die sich auf neuartige Vergesellschaftungsprozesse und die Entstehung transnationaler Sozialräume konzentriert. 6 Eine ähnliche Unterscheidung findet sich bei Bock: „Créateurs, organisateurs, vulgarisateurs“, loc. cit. 7 Cf. Guido Müller: Europäische Gesellschaftsbeziehungen nach dem Ersten Weltkrieg. Das Deutsch-Französische Studienkomitee und der Europäische Kulturbund, München, Oldenbourg, 2005; François Chaubet: Paul Desjardins et les décades de Pontigny, Paris, Presses Universitaires du Septentrion, 2000. 8 Zu nennen sind hier etwa die Nouvelle Revue Francaise und die Neue Rundschau sowie die von Otto Grautoff ins Leben gerufenen Zeitschriften Revue d’Allemagne und Deutsch- Französische Rundschau. Cf. zur Funktion von Zeitschriften als Sozialisations- und Kristallisationsorte im Intellektuellenmilieu Jean-François Sirinelli: „Le hasard ou la nécessité? Une histoire en chantier: l’histoire des intellectuels“, in: Vingtième siècle. Revue d’histoire (1986), No. 9, 97-108, hier 103-105. 9 Cf. für einen Überblick über diese frühen Verständigungsagenturen Hans Manfred Bock: „Das Deutsch-Französische Institut in der Geschichte des zivilgesellschaftlichen Austauschs zwischen Deutschland und Frankreich“, in: id. (ed.): Projekt deutsch-französische Verständigung. Die Rolle der Zivilgesellschaft am Beispiel des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg, Opladen, Leske und Budrich, 1998, 13-120. 10 Cf. Corine Defrance, Michael Kißener, Pia Nordblom (eds.): Wege der Verständigung zwischen Deutschen und Franzosen nach 1945. Zivilgesellschaftliche Annäherungen, Tübingen, Narr, 2010. 11 Cf. Hans Manfred Bock et al. (eds.): Les jeunes dans les relations transnationales. L’Office franco-allemand pour la jeunesse 1963-2008, Paris, Presses de la Sorbonne Nouvelle, 2008. 12 Cf. dazu z.B. Ulrich Pfeil (ed.): Deutsch-französische Kultur- und Gesellschaftsbeziehungen im 20. Jahrhundert. Ein institutionengeschichtlicher Ansatz, München, Oldenburg, 2008. 17 Dossier 13 Cf. als neueste Veröffentlichung z.B. Jacques-Pierre Gougeon: France-Allemagne: une union menacée? Paris, Colin, 2012. Eine wissenschaftliche Analyse der zeitgenössischen Frankreichbzw. Deutschlandessayistik steht noch aus. 14 Um nur einige neuere Arbeiten zu nennen: Mario Mancini: Stilistik als Erfahrung: Spitzer, Curtius, Auerbach, Würzburg, Königshausen und Neumann, 2012; Andreas Anter: „Die Macht der Vergangenheit über die Gegenwart: Arnold Bergstraesser und Ernst Robert Curtius als Analytiker der französischen Kultur“, in: Alfons Söllner (ed.): Deutsche Frankreichbücher aus der Zwischenkriegszeit, Baden-Baden, Nomos, 2011, 125-138; Ivano Paccagnella, Elisa Gregori (eds.): Ernst Robert Curtius e l’identità culturale dell’Europa, Padova, Esedra, 2011; Stefanie Müller: Ernst Robert Curtius als journalistischer Autor (1918-1932): Auffassungen über Deutschland und Frankreich im Spiegel seiner publizistischen Tätigkeit, Bern, Lang, 2008; Sebastian Liebold: Starkes Frankreich - instabiles Deutschland: Kulturstudien von Curtius/ Bergstraesser und Vermeil zwischen Versailler Frieden und Berliner Notverordnungen, Berlin, LIT, 2008. 15 Anne Kwaschik: Auf der Suche nach der deutschen Mentalität. Der Kulturhistoriker und Essayist Robert Minder, Göttingen, Wallstein, 2008; Katja Marmetschke: Feinbeobachtung und Verständigung. Der Germanist Edmond Vermeil (1878-1964) in den deutschfranzösischen Beziehungen, Köln. Böhlau, 2008. 16 Cf. für die französische Germanistik den Sammelband Michel Espagne, Michael Werner (eds.): Les études germaniques en France 1900-1970, Paris, CNRS Editions, 1994. 17 Cf. Claudine Delphis: Wilhelm Friedmann (1884-1942). Le destin d’un francophile, Leipzig, Leipziger Universitätsverlag, 1999; Hans Manfred Bock: „Gottfried Salomon-Delatour als Frankfurter Wegbereiter deutsch-französischer Verständigung und Vordenker transnationaler Begegnung“, in: Transnationale Vergesellschaftungen: Verhandlungen des 35. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Frankfurt am Main 2010, hg. in deren Auftrag von Hans-Georg Soeffner, Wiesbaden, VS Verlag, 2012 (i.E.); Hans Manfred Bock: „Transnationale Begegnung im Zeitalter des Nationalismus. Der Lebensweg Otto Grautoffs zwischen Deutschland und Frankreich“, in: id.: Kulturelle Wegbereiter, op. cit., 41-59. 18 Cf. Olivier Dard, Michel Grunewald (eds.): Jacques Bainville: profils et réceptions, Bern, Lang, 2010; Dominique Decherf: Bainville. L’intelligence de l’Histoire, Paris, Bartillat, 2000. 19 Cf. Hans Manfred Bock: „Jacques Rivière, Europäer und Deutschland-Kritiker“, in: id., Kulturelle Wegbereiter, op. cit., 285-308. 20 Cf. vorläufig Uta Apel: „Klara Marie Faßbinder: Katholische Pazifistin und Mittlerin zwischen Deutschland und Frankreich“, in: Lendemais 22 (1997), No. 86/ 87, 76-92; Anne- Marie Saint-Gille: Les idées politiques d’Annette Kolb (1870-1967), Lang, Bern, 1993; Elsie Kühn-Leitz: Mut zur Menschlichkeit: Vom Wirken einer Frau in ihrer Zeit. Dokumente, Briefe und Berichte, hg. von Klaus Otto Nass, Bonn, Europa-Union-Verlag, 1995; Marie-Claire Hoock-Demarle: „Le cas Bianquis: pour une germanistique de la différence“, in: Espagne, Werner (ed.): Les études germaniques, op. cit., 195-204; Anne-Marie Duranton-Crabol, Nicole Racine, Rémy Rieffel (eds.): Pontigny, Royaumont, Cerisy: au miroir du genre, Paris, Ed. Le Manuscrit, 2008.
