lendemains
ldm
0170-3803
2941-0843
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/91
2012
37146-147
Nachahmung als Rezeptionsmodus des Symbols. George und Mallarmé im Vergleich
91
2012
Gunilla Eschenbach
ldm37146-1470094
94 Dossier Gunilla Eschenbach Nachahmung als Rezeptionsmodus des Symbols. George und Mallarmé im Vergleich Stefan George und Stéphane Mallarmé werden oft in einem Atemzug genannt. George gilt, als Hauptvertreter des deutschen Symbolismus, als das deutsche Pendant zu Mallarmé. 1 Oft wird ein Abhängigkeitsverhältnis suggeriert: George habe bei Mallarmé zu seiner Poetik gefunden, habe in den Dienstagsrunden das Vorbild zur Gründung seines Kreises gesehen etc. Wie triftig diese Parallelisierungen sind, möchte ich im Folgenden am Beispiel eines entscheidenden Aspekts von Georges Autorpoetik untersuchen, nämlich dem der Nachahmung. 2 Im Vergleich wird sich zeigen, dass George und Mallarmé trotz der oberflächlichen Gemeinsamkeiten (Stichworte: Kunstreligion, Meisterstatus, Schulbildung) sehr unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie der Dichter dichtet, wie ihre Lyrik rezipiert werden soll und welche Rolle die Nachahmung dabei spielt. Der folgende Ausschnitt aus Mallarmés Text „Le Mystère dans les Lettres“ (1896) enthält einen zentralen Aspekt seiner Poetik: Les mots, d’eux-mêmes, s’exaltent à mainte facette reconnue la plus rare ou valant pour l’esprit, centre de suspens vibratoire; qui les perçoit indépendamment de la suite ordinaire, projetés, en parois de grotte, tant que dure leur mobilité ou principe, étant ce qui ne se dit pas du discours: prompts tous, avant extinction, à une réciprocité de feux distante ou présentée de biais comme contingence.3 Der Artikel, dem dieses Zitat entnommen ist, erschien 1896 in der literarisch-künstlerischen Zeitschrift La Revue Blanche, der Mallarmé im Vorjahr seine monatliche Mitarbeit zugesichert hatte. In derselben Zeitschrift waren Februar bis Juli 1895 die poetologischen Essays „Quant au Livre“ erschienen. 4 Der Ausschnitt umreißt sehr gut die Funktion, die Mallarmé dem poetischen Wort beimisst. Wie sich zeigt, verfolgt Mallarmé eine rezeptionsorientierte Poetik. Der Leser soll an der Neuschöpfung von Welt teilhaben. In der poetischen Sprache fangen die Wörter „von sich aus an zu schillern“, werden beweglich in ihren möglichen Bedeutungen und treten mit anderen Wörtern in eine „Wechselbeziehung“, indem sie sich mit ihnen zu Assoziationsketten verbinden wie eine Kette von Leuchtfeuern. Damit ist Dichtung klar von der Alltagsrede abgesetzt. Mallarmé geht davon aus, dass die Art und Weise, wie das poetische Wort rezipiert wird, sich mit der Beschaffenheit des menschlichen Geistes deckt. Er parallelisiert das Schillern der Wörter mit dem Vibrieren des Geists. Diese Einschätzung deckt sich mit der in diesen Jahren entstehenden philosophischen Phänomenologie. Die Phänomenologie geht davon aus, dass es in der Welt keine festen Sachverhalte oder Bedeutungen gibt (anders als etwa Platons Ideen). Jeder Mensch entwirft erst Bedeutungen, indem er inten- 95 Dossier tional ist. Im gewöhnlichen Intendieren kommt der menschliche Geist rasch zu einer Bedeutung, die dann mit einem Wort etikettiert wird; der Vorgang des Intendierens selbst bleibt unbewusst. Hier setzt Mallarmés Dichtung ein. Der Leser ist in verschärfter Weise für die Generierung der Bedeutung der Wörter verantwortlich. Mallarmé möchte mit den dichterischen Wörtern den Leser gerade nicht rasch zu einer Bedeutung führen. Die Wörter sollen den Leser im Wahrnehmungsvorgang festhalten und verhindern, dass er zu einer sicheren Bedeutung gelangt. Der Rezipient kommt gleichsam in eine Endlosschleife des Suchens, Findens und Revidierens von möglichen Bedeutungen. Ob Mallarmé selbst eine Autorintention in Bezug auf die Bedeutung der Wörter hatte oder nicht, ist für den Leser irrelevant. Mallarmés Bild der durch Feuer auf Höhlenwände projizierten Wörter erinnert an Platons Höhlengleichnis, verkehrt aber dessen Aussage ins Gegenteil. Was bei Platon der Ausgangspunkt ist, ist bei Mallarmé der Endpunkt. Es gibt bei Mallarmé über die Fiktion hinaus kein Urbild, das den Wörtern eine eigentliche Bedeutung gäbe. Dem verweigert sich die poetische Sprache in ihrem Schillern. Dies Schillern wird nicht als defizient aufgefasst wie in Platons Gleichnis, wo nur die beweglichen Schatten der Dinge von den Flammen an die Höhlenwände geworfen werden und damit deren wahre Erkenntnis unterbleibt. Sondern das Schillern der Wörter, ausgedrückt in eben diesem Bild einer Projektion „auf Höhlenwände“, gilt Mallarmé als Zustand von hoher Poetizität. Der Mimesis wird dadurch ihre Voraussetzung entzogen. Es gibt keine Abbildung des Urbilds im Symbol, denn es gibt kein Urbild. Die poetische Sprache bedeutet nichts als das, was der Leser an Bedeutung in sie hineinlegt. Hans Blumenberg hat an einer anderen Stelle einen Bezug zum Höhlengleichnis gesehen, nämlich in Mallarmés fragmentarischer Erzählung Igitur (1869). Er deutet den Abstieg Igiturs zu den Ahnen als dessen Umkehrung: Es sei, „als kehre der Entfesselte des Höhlengleichnisses in die Tiefe der Höhle zurück, nicht um die Gefangenen von ihrer Verblendung durch die Schatten zu befreien, sondern weil er selbst sich nach den Schatten zurücksehnt.“ Diese „gegenplatonisch[e] Wendung“ wirft ein Schlaglicht auf einen fundamentalen Unterschied zwischen George und Mallarmé. 5 George hat den Anspruch, dass es eine ‚eigentliche’ Bedeutung der Wörter gibt. Dies leitet er - ganz platonisch gedacht - von einer höheren Erkenntnisfähigkeit des Dichters ab. Anders als bei Mallarmé, der die Fiktionalität seiner poetischen Bilder betont, hat Mimesis bei George einen ontogenetischen Status, da sie auf (gegenständlich aufgefasste) Urbilder rekurriert. Mallarmés Lyrik verbleibt ganz im fiktionalen Raum der Höhle, um im Bild zu bleiben. Parallelen in Georges Lyrik gibt es allenfalls in Algabals Unterreich. 6 Die reine Selbstbezüglichkeit sich ineinander spiegelnder Wörter führt aber für George in eine Sackgasse. George lehnt zwar die Existenz einer metaphysischen Ideenwelt ebenfalls ab. Doch er ist Platonist genug, um an dem Gedanken eines ‚wahren Seins’, einer ontologischen Substanz, festzuhalten. Er hat den Anspruch, dass der Dichter, der eine quasi-göttliche Perspektive auf die Wirklichkeit habe, die Objekte in ihrer Ganzheit erkennt. Das poetische Symbol ermöglicht es seinem Leser, wenn er es 96 Dossier adäquat erfasst, daran teilzuhaben. Anders als bei Mallarmé wird dieser Rezeptionsvorgang nicht in den Verantwortungsbereich des Einzelnen gelegt, sondern von George durch imitierende Techniken gelenkt. 7 Im völligen Gegensatz zu Mallarmé geht George von der einen, richtigen Bedeutung aus, die der Autor aufgrund seiner besonderen Erkenntnisfähigkeit der Zusammenhänge mimetisch gestaltet. „Auslegung kann falsch sein, aber Auslegung muss sein", ist als Gesprächsaussage von ihm überliefert. 8 Diese Wertung in wahr und falsch käme Mallarmé nicht in den Sinn. Er unterscheidet nur zwischen geschulter und nicht-geschulter Rezeption, und letztere betrifft diejenigen, die an die Literatur mit der gleichen Voreinstellung herangehen wie an die Zeitung, also an faktuale Texte. Falsche Auslegung betreiben lediglich diejenigen, die sich nicht auf den ästhetischen Vorgang der Stimmung und schöpferischen Bedeutungsgenerierung einlassen. Eine Gemeinsamkeit zwischen George und Mallarmé besteht in dem prinzipiell Unabgeschlossenen dieses hermeneutischen Vorgangs. Wo der Leser bei Mallarmé eine ästhetische Erfahrung macht, wenn er Sinn generiert und damit eigenschöpferisch tätig wird, macht der ideale Leser bei George dann eine ästhetische Erfahrung, wenn er sich passiv der Bedeutung des Texts aussetzt, diese immer mehr zu erfassen sucht, um „das Gedicht sich derart einzuverleiben, daß dessen ‚heimlich bildende Gewalt’ in ihm wirksam“ und er „geistig und körperlich umgestaltet“ wird. 9 An dieser Stelle setzt der Nachahmungsbegriff Georges an. Indem der Rezipient stilistisch und ethisch George nachahmt, kommt er ein Stück weit in die göttliche Erkenntnisperspektive des Dichters hinein. George hat sich mit Mallarmés Poetik in seiner Lobrede auf Mallarmé (1893) zu einem sehr frühen Zeitpunkt auseinandergesetzt, als seine eigene implizite Imitatio-Theorie noch gar nicht ausgebildet ist. Dies beginnt erst mit Georges theoretischen Aussagen in der fünften Folge der Blätter für die Kunst (1900/ 01). 10 [...] Hat der dichter sein ganzes leben lang an den windungen seines irrgartens gearbeitet aus denen kein besucher den rückweg finden kann? sich in einem unersteiglichen spitzenturm verschlossen zum scherze der lacher zum achselzucken der gewissenhaften? sind sie nur eine spielerei die zusammenstellung tönender silben und die schweren glitzernden satzgefüge? [...] Denken wir an jene sinnlosen sprüche und beschwörungen die von unbezweifelter heilkraft im volke sich erhalten und die hallen wie rufe der geister und götter · an alte gebete die uns getröstet haben ohne dass wir ihren inhalt überlegt · an lieder und reime aus grauer zeit die keine rechte klärung zulassen bei deren hersagung aber weite fluten von genüssen und peinen an uns vorüberrollen und blasse erinnerungen auferstehen die wie schmerzhafte schwestern uns schmeichlerisch die hände geben. [...] Den weisen der die geheimen kräfte kennt und daraus den lebenerweckenden trank bereitet darf man nicht anschulden wenn der lehrling der durch die spalte gelauscht die heiligen handgriffe ungeschickt wiederholt und mit seinem brau die erschlaffung und den tod herbeiführt. Deshalb o dichter nennen dich genossen und jünger so gerne meister weil du am wenigsten nachgeahmt werden kannst und doch so grosses über sie vermochtest · weil alle in sinn und wolklang nach der höchsten vollendung streben damit sie vor deinem auge bestehen: weil du für sie immer noch ein geheimnis bewahrst und uns den glauben lässest an jenes schöne eden das allein ewig ist.11 97 Dossier George geht erstens davon aus, dass Mallarmé das Spiel und die Deutungsoffenheit nicht absolut gesetzt hat, sondern dass es so etwas wie eine Bedeutung gibt, die nur eben geheim ist. Georges Mallarmé-Verständnis ist aber mit dem obigen Zitat von Mallarmé nicht vereinbar. Der Vorwurf leerer Spielerei wird entkräftet durch Verweis auf das Nicht-Verstehen von Zaubersprüchen und anderen dunklen Texten, die nicht auf der denotativen Ebene wirken. George unterstellt Mallarmés offenem Spiel, nur scheinbar offen zu sein. Denn Zaubersprüche und andere heilige Texte sind keineswegs offen in ihrer Form, ihrer Bedeutung und ihrer sprachlichen Realisierung. Sie sind determiniert, weil ihre Wirksamkeit im genauen Befolgen ihrer Formen beruht. Aber der Leser, so George, erfasst die Kraft dieser Sprüche dennoch nicht über ihre feste Form und die eigentlich definitive Bedeutung ihrer Aussagen, sondern genauso ahnend, assoziativ, schillernd wie oben für Mallarmé beschrieben. Zweitens hält George gegenüber dem Vorwurf, ein Leser könne aus dem „irrgarte[n]“ keinen „rückweg“ finden, an einer Verbindung zur Wirklichkeit in Mallarmés Texten fest. Immerhin sind Zaubersprüche ihrem Anspruch nach keine fiktionalen Texte, sondern üben eine reale Wirkung aus. Mallarmé weist, drittens, seinen Lesern den Weg in „jenes schöne eden das allein ewig ist.“ Der frühe George ist von einem Satz Mallarmés getroffen. George notiert sich: „Die menschheit kann nicht ohne eden sein sagt Stefan Mallarmé.“ Noch dreißig Jahre später zitiert er diesen Satz im Gespräch. 12 Diese Einschätzung deckt sich mit seinen eigenen poetologischen Anschauungen. Beide Dichter reagieren nur darauf in umgekehrter Weise: Mallarmé mit einem Rückzug in das Reich der Kunst, George mit der Suche nach einem Eden in der Wirklichkeit. Das „schöne eden“ wird bei ihm zum „schönen Leben“. 13 Beide verbinden es mit einer ästhetischen Erfahrung. „[E]wig“ ist dieses Eden nur insofern, als wahre Kunst immer wieder diese Transzendenzerfahrung zulässt. Mallarmé lässt seinen Leser in einen Zustand kommen, in dem er die Welt, also die in der Kunst neugeschaffene Welt, in einem unabgeschlossenen Prozess immer neu sehen kann. Der Dichter ist deswegen exklusiv und daher ein Meister, weil er anders als die meisten Menschen die Worte finden kann, um den Leser in dieses Vibrieren des Geistes zu versetzen. Er kann nur insofern nachgeahmt werden, als er in seiner Kunst den Weg vorgibt in diesen schöpferischen Urzustand. Eine wie immer geartete Wiederholung seiner Worte durch den Lehrling ist negativ konnotiert. George wird in der Folgezeit die in der Lobrede auf Mallarmé genannten sozialen Figurationen „Weiser-Lehrling“ oder „Meister-Genossen-Jünger“ weiter ausbauen und mit einem hier noch nicht ausgestalteten Imitatio-Konzept verbinden. Die unterschiedlichen poetologischen Anschauungen von George und Mallarmé seien abschließend nochmals zusammengefasst: mit Bezug auf ihr Symbolverständnis, die Produktions- und die Rezeptionsseite ihrer Lyrik. Für George hat der Dichter eine besondere Erkenntnisfähigkeit in die Substanz der Dinge. Jeder Dichter muss für seine Zeit „das neue [...] gültige Zeichen“ dafür finden. 14 Ihren verdichteten Ausdruck findet das poetische Wort des Dichters im Symbol, das die jeweilige Tiefenschicht der Einzeldinge offenlegt. Dies ist das Verständnis von Mime- 98 Dossier sis im George-Kreis. Mimesis ist die Erkenntnis und Darstellung des „Einen Sinns“, wie ihn Gundolf emphatisch nennt. 15 Das poetische Symbol ist nicht, wie bei Mallarmé, Folge einer Creatio, einer kompletten Neuschaffung von Welt; der Dichter erschafft keine Welten, sondern er sieht welche. Die George nahe verbundene Philosophin Edith Landmann beschreibt dies mit Begriffen der Phänomenologie so: Während die einzelnen Erkenntnisakte, die Partialintentionen, immer nur einen (subjektiv gefärbten) Aspekt des Objekts, den sogenannten Teilgegenstand zu erkennen vermögen, erkennt die sogenannte Totalintention den Gesamtgegenstand. Diese Totalintention entspricht dem intuitiven höheren Erkennen des Dichters. Der Dichter erkennt den Gesamtgegenstand und gestaltet ihn im Symbol. Durch Nachahmung kann der Leser sich dieser Totalintention annähern. 16 Einer perpetuierenden Intentionalität im Sinne Mallarmés ist damit der Boden entzogen. So wenig wie das Lesen von Dichtung ist das Dichten selbst für Landmann ein freies Spiel der Phantasie, sondern ein von seinem Bezug auf den Gesamtgegenstand geprägter Erkenntnisvorgang. Der ideale Leser ist bei George ein solcher, der in direktem Kontakt mit ihm steht. Er kann an der besonderen Erkenntnis des Dichters teilhaben, wenn er eine ästhetische Erfahrung mit dessen Dichtung macht. Ein immer tieferes Verständnis des poetischen Symbols erreicht ein solcher Leser durch Nachahmung: Einerseits durch fortgesetzte Übung (Lesen, Hersagen, Abschreiben, Übersetzen, Deuten von Gedichten), 17 andererseits durch den persönlichen Umgang mit George. George behält sich, anders als Mallarmé, die Deutungshoheit über seine Texte vor. Bei manchen Texten hält er die Schlüssel fest in der Hand und gibt sie auch nicht her. So kommt es, dass der wohl am schwersten verständliche Gedichtband Der Stern des Bundes bis heute auffällig wenig Exegese erfahren hat. Die Suche nach einem Sinn wird hintangestellt gegenüber dem Vollzug im Rahmen der Imitatio. Der Schwerpunkt im Stern des Bundes liegt in der Nachahmung des Meisters durch die Jünger, es bleibt hingegen dunkel oder unthematisiert, was und wie der Meister nachahmt. Es gibt im Stern des Bundes Zeilen die einfordern: „deutet nicht“ (Ergeben steh ich vor des rätsels macht, V. 11). Die Jünger sollen nicht deuten, sie sollen nur in die Nachahmung des Dichters hineinkommen. Deuten ist dem Meister vorbehalten. Die Fähigkeit zum Deuten bzw. zum eigenen Erkennen des „Einen Sinns“ soll nicht an die Jünger übergehen. Bei Mallarmé fehlt eine Anknüpfung an das Seiende. Daher ist der Aspekt der Creatio, der Neuschöpfung von Welt in der Kunst, stärker ausgeprägt. Der Dichter macht die Erfahrung von Sinnlosigkeit. Schlüsselbegriffe seiner Poetik sind das Nichts und der Zufall. Beides sind ganz singuläre Bedeutungen, die nicht im kausalen Zusammenhang zu anderen Bedeutungen stehen. Und so kann man keinen Sinn entdecken; daher ist die Welt sinnlos. Der Dichter bemüht sich um ein poetisches Symbol, das es dem Leser ermöglicht, Bedeutungen und Zusammenhänge zu entdecken. Damit stiftet er Sinn. Der Leser teilt mit dem Dichter die Erfahrung von Sinnlosigkeit, es gibt keine hierarchische Staffelung der Erkenntnis wie bei George. Über die nachschaffende Rezeption seiner Dichtung hat er Teil an der 99 Dossier Neuschöpfung von Welt. Das poetische Symbol im Sinne Mallarmés führt den Leser, der in die ästhetische Erfahrung hineingenommen wurde, zu Bedeutungen, die aber im Unterschied zum konventionellen Symbolgebrauch nicht überprüfbar sind. Bei Mallarmé gibt es nicht die eine Bedeutung, sondern es sind Augenblicksbedeutungen, die punktuellen Schöpfungen von Welt. Bei George - dem George ab 1900 - gibt es zwei Formen von Nachahmung. Die eine ist die Mimesis des Dichters selbst, der das Wesen der Dinge erkennt und dies in seiner Dichtung nachbildet. Die andere ist die Imitatio der Jünger, die durch stilistische und ethische Nachahmung Georges an seiner Erkenntnis teilhaben. Bei Mallarmé finden sich beide Stufen von Nachahmung nicht. Der Dichter führt allenfalls den Leser in das Schillern der Worte hinein. Diese Bewegung ahmt der Leser ‚nachschaffend’ nach, wenn er Mallarmé liest. Während Mallarmé ganz auf die individuelle ästhetische Erfahrung und den einsamen Dialog zwischen dem Leser und dem ästhetischen Erfahrungsgegenstand setzt, verbindet George diese ästhetische Erfahrung mit einer in soziale Zusammenhänge übergreifenden Dynamik. George hat das kunstreligiöse Transzendenzerlebnis nicht als primär ästhetische Erfahrung des Einzelnen, sondern als im Gruppenerlebnis situierte soziale Erfahrung konzipiert. Von einer bewussten Entscheidung gegen die bei Mallarmé vorgefundenen Tendenzen zur Individualisierung und Hermetisierung ist auszugehen. 1 Cf. Ludwig Lehnen: Mallarmé et Stefan George. Politiques de la poésie à l’époque du symbolisme, Paris, PUPS 2010. 2 Cf. Gunilla Eschenbach: Imitatio im George-Kreis, Berlin, New York, De Gruyter 2011. 3 Stéphane Mallarmé: „Le Mystère dans les Lettres“, in: Œuvres Complètes de Stéphane Mallarmé, Texte établi et annoté par Henri Mondor et G. Jean-Aubry, Paris, Gallimard 1956, 382-387, hier 386. 4 Ibid., 1574-1576. 5 Hans Blumenberg: Die Lesbarkeit der Welt, Frankfurt a.M., Suhrkamp 1981, 320-322. 6 Stefan George: „Im Unterreich“, in: Sämtliche Werke in achtzehn Bänden, 2, Stefan George Stiftung (ed.), Bearbeitet von Georg Peter Landmann, Ute Oelmann, Stuttgart: Klett Cotta 1981, 60-63. 7 Cf. Gunilla Eschenbach: Imitatio im George-Kreis, op. cit., 31-36. 8 Robert Boehringer: Ewiger Augenblick, Aarau, AZ-Presse 1945, 35. 9 Robert Boehringer: Das Leben von Gedichten, dritte Auflage, Kiel, Hirt Verlag 1955, 4. 10 Cf. Gunilla Eschenbach: Imitatio im George-Kreis, op. cit., 42. 11 Stefan George: Dichterköpfe III. Mallarmé, In: Blätter für die Kunst, begründet von Stefan George, Carl August Klein (eds.), 1. Folge, 1. Bd. (Oktober 1892) - 11./ 12. Folge (1919), Folge 1, H. 5, August 1893, Neudruck zum Jubiläumsjahr 1968, Düsseldorf, München, Verlag Helmut Küpper vormals Georg Bondi 1967, 134-137. 12 Cf. Thomas Karlauf: Stefan George. Die Entdeckung des Charisma, Biographie, München, Blessing, 653. 13 Cf. Roman Köster et al. (eds.): Das Ideal des schönen Lebens und die Wirklichkeit der Weimarer Republik, Vorstellungen von Staat und Gemeinschaft im George-Kreis (Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel 33), Berlin, Akademie Verlag 2009. 100 Dossier 14 Friedrich Gundolf: George, dritte Auflage, Berlin, Georg Bondi 1930, 3. 15 Friedrich Gundolf: George, op. cit., 3. 16 Cf. Edith Landmann: Die Transcendenz des Erkennens, Berlin, Georg Bondi 1923. 17 Cf. Robert Boehringer: Leben von Gedichten, op. cit. Résumé: Gunilla Eschenbach: L’imitation comme mode de réception du symbole. Aperçu de comparaison entre George et Mallarmé. Cet article se propose de traiter quelques particularités de la poétique de George et de Mallarmé. Il met l’accent sur l’aspect de l’imitation. La poétique de George connaît deux sortes d’imitation, la mimesis du poète et l’imitatio de ses disciples. Pour George, le poète a une intelligence particulière relative à l’essence des choses. Ses lecteurs sont censés de participer à l’imitation du maître par un procédé d’imitation. Mallarmé, au contraire, ne connaît pas ces deux formes d’imitation. Dans sa poétique, il n’y a pas de rapport spécifique à l’être. Le symbole poétique est pour lui une récréation du monde. Les lecteurs sont censés de participer à la création du poète par une réception active et créatrice. Cette forme d’imitation ne mène pas à une signification approfondie, mais à des significations passagères, à des créations momentanées du monde.
