eJournals lendemains 38/149

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Narr Verlag Tübingen
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2013
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Horst F. Müller: Studien und Miszellen zu Henri Barbusse und seiner Rezeption in Deutschland

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2013
Wolfgang Klein
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142 Comptes rendus HORST F. MÜLLER, STUDIEN UND MISZELLEN ZU HENRI BARBUSSE UND SEINER REZEPTION IN DEUTSCHLAND, FRANKFURT AM MAIN [U. A.], LANG, 2010, 287 S. Horst F. Müller ist - ausgewiesen spätestens seit seiner umfassenden Bio-Bibliographie über den Autor 1 - der genaueste Kenner von Henri Barbusse nicht nur in Deutschland. Mit der vorliegenden Sammlung seit den 1980er Jahren entstandener, zur Hälfte bisher unveröffentlichter Arbeiten unternimmt er es auf eine produktive Art, gegen das zunehmende Vergessen dieses Autors in Öffentlichkeit und Wissenschaft anzuschreiben: Er führt und schlägt neue Sichtweisen auf seinen Gegenstand vor, in denen dessen ursprüngliche Weite gegen das ideologisierende Vergessen der späten Nachfahren rekonstruiert wird. Menschen, die als groß galten, müssen ja eine zumindest zeitcharakteristische Spannung aufgebaut und verkörpert haben, die wiedererkannt werden muss, um ihnen gerecht zu werden. Ausgeführt wird, dass die drei überkommenen Vor-Urteile über Barbusse, die das heutige Vergessen begründen, diesen nicht angemessen erfassen. Zum einen besitze sein Roman Le Feu (1916) Größe nicht einfach als der Erfahrung des Ersten Weltkrieges unmittelbar abgezwungenes Zeugnis für das Werden eines militanten Pazifismus: Le Feu sei Weltliteratur wesentlich auch deshalb, weil der Text ohne die Traditionen des Epos, der Vision und des Mythos, die seiner Heldenwie seiner Höllengestaltung eingeschrieben seien, nicht angemessen interpretiert werden könne - das Buch müsse „gegen den blökenden Realismus“ (85) als Text in „naturalistisch-visionärer Schreibweise“ (95) gelesen werden. Le Feu sei des Weiteren nicht begriffen, wenn die „ideologische Widerspruchsstruktur des Textes“ (45) nicht durch dessen Situierung im „historischen Kontext seiner Genesis“ (49), im Rahmen der zeitgenössischen Positionen zum Krieg in Frankreich, verstanden werde - „Barbusse nahm die offizielle Losung vom Befreiungskrieg [gegen den preußischen Imperialismus und Antidemokratismus] so ernst, dass er mit einer gewissen politischen Naivität durch seine literarische Sinngebung des Krieges sowohl die Ideologie des französischen Imperialismus bediente als ihr auch gleichzeitig entgegenarbeitete, indem er gerade jenen Anspruch auf soziale Emanzipation und definitiven Frieden wach hielt, den einzulösen sich die führenden Kreise Frankreichs gar nicht einfallen ließen“ (45, nochmals 55). Das Beschwören Karl Liebknechts in dem Roman wird damit sozialpatriotisch statt präkommunistisch lesbar. Drittens schließlich erklärt Müller den Barbusse der 1920/ 30er Jahre mit seinem Gesundheit und Literatur aufopfernden Engagement gegen den imperialistischen Krieg und für die Sowjetunion, wie Stalin sie damals formte, für unwesentlich - seinem „in völliger Ahnungslosigkeit“ (174) erfolgten Bruch „mit dem ethischen Sozia- 1 Horst F. Müller, Henri Barbusse 1873-1935. Die Werke von und über Barbusse mit besonderer Berücksichtigung der Rezeption in Deutschland, Weimar, VDG, 2003. Cf. zuletzt auch: id., „A propos de Henri Barbusse. Quelques remarques de philologie barbussiste“, in: Lendemains 141/ 2011, 128-131. 143 Comptes rendus lismus“ (159) zugunsten des Kommunismus der III. Internationale solle als bloßem „Abgesang“ (158) viel Aufmerksamkeit nicht mehr gelten. Letzteres, um damit zu beginnen, erscheint mir fragwürdig. Müller widmet diesem Ende zwei Studien zu Entwicklungen und Texten am Anfang dieses kommunistischen Engagements und am Ende dieses Lebens. Die erste beschäftigt sich mit den Überlegungen von Thomas Mann, Curtius und Gide zu Beginn der 1920er Jahre über geistige Grundlagen für eine Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich, die den pazifistischen Internationalismus der von Barbusse beförderten Clarté-Bewegung meidet. Zwar wird darin „die Unzulänglichkeit und Mißlichkeit“ des „kulturkonservativen Humanismus“ im ersten Nachkrieg benannt (168). Aber das Clarté-Bemühen um „eine grundlegende demokratische Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Welt, die die Verhütung künftiger Kriege garantieren sollte“, erscheint dennoch nur als „illusionär“ (165) und „im Grunde doch ephemer“ (168), und der Polemik von Curtius gegen die „völlig blutleer gewordene Schematisierung der Aufklärungs-Ideologien des 18. und 19. Jahrhunderts“ (167) gilt kein nachdenkliches Wort. Die zweite Studie behandelt die Entstehung der 1935 erschienenen Stalin-Biographie von Barbusse. Sie wertet jene unveröffentlichten Briefe von Barbusse an Alfred Kurella aus, die sich in dessen Berliner Nachlass befinden, und präzisiert dessen Anteil am Entstehen des Buches. Ergänzungsbedürftig ist sie aber nicht nur durch die weiteren Teile der Korrespondenz im Pariser Nachlass von Barbusse und im Archiv des Moskauer Akademie-Instituts für Weltliteratur. Unbefriedigend erscheint mir vor allem, dass die Motive für dieses letzte Buch von Barbusse allein in einer persönlichen Schaffenskrise, Eitelkeit und Ehrgeiz ausgemacht werden (cf. 128sq.). Ausführlich referiert Müller das vergebliche Bemühen von Barbusse, aus Moskau unveröffentlichte Dokumente zu erhalten, die es gestatten sollten, den angeblichen Verleumdungen von Stalins Wirken in der westlichen Öffentlichkeit entgegenzutreten, und am Schluss der Studie weist er darauf hin, dass das schließlich geschriebene Buch weder in der Sowjetunion noch später in der DDR den Stalinisten zur Verherrlichung Stalins geeignet schien. Aber er sieht darin nicht Umstände, die der Vermutung einer blassen Lobrede entgegenstehen. Zweifellos - Barbusse erfasste weder seinen Gegenstand noch erreichte er die erhoffte Wirkung. Aber in seinem Bemühen und Scheitern ist die Geschichte der linken Intellektuellen im 20. Jahrhundert zu wichtigen Teilen enthalten - mit tief falschen Solidarisierungen und unhaltbaren Verkündigungen, die jedoch aus ernstzunehmenden Erfahrungen resultierten und immer auch im Lichte der existierenden und denkbaren Alternativen für menschliches Handeln zu beurteilen sind. Als schwankende Schilfrohre im Sinne Pascals (so 128) sind solche denkenden Kämpfer verkannt. Das bleibt zeit-, nicht nur kommunismuskritisch aufzuarbeiten, und Barbusse bleibt dafür eines der wichtigsten Beispiele. Gelten lässt und zur Geltung bringt Müller seinen Autor dagegen als „Rufer, [...] Prophet“ (140) und „visionären Utopisten“ (159) vor dem kommunistischen Engagement. In einer bemerkenswerten Schicht des Buches wird überzeugend und mit 144 Comptes rendus einer genauen Lektüre auch des Frühwerks gezeigt, dass und wie Barbusse zum „Menschheitskameraden des deutschen Expressionismus“ werden konnte - so der Untertitel der entsprechenden Studie, zu der noch eine im Buch abgesprengt platzierte Miszelle zu einem Brief von Barbusse an Rudolf Hartig 1920, mehrere im Anhang vollständig abgedruckte deutsche Reaktionen auf ihn aus demselben Jahr (von Iwan Goll, O. M. Fontana, Wilhelm Herzog, Kasimir Edschmid u. a.) sowie die Rekonstruktion der Originalzitate aus L’Enfer (1908), Clarté (1919) und La Lueur dans l’abîme (1920) zu rechnen sind, aus denen deutsche Expressionisten 1921 die unter dem Namen von Barbusse erschienene Schrift Auf zur Wahrheit - zu Recht als „außerordentliche Hommage“ (156) bezeichnet - zusammengestellt haben (erläutert 155sq., abgedruckt 226-245). Dieses Erhellen der Rezeption von Barbusse durch deutsche Expressionisten trägt über das Absetzen des ursprünglichen Wirkens einer sozialen Vision von der späteren Fragwürdigkeit eines parteipolitischen Engagements hinaus vor allem zu der zweiten Leistung des vorliegenden Buches bei, von der die Rede war - der Situierung von Le Feu im politischen Denken seiner Entstehungszeit. Müller weist dazu in der das Buch einleitenden Studie belegreich auf den Cornelianismus als jene Form hin, in der rechtskonservative französische Autoren im Ersten Weltkrieg „das Dominantwerden der außerästhetischen Funktionen der Literatur“ (11) propagierten, und setzt dem die Absage an „wie auch immer geartetes literarisches Engagement“ (23) unmittelbar nach dem Krieg in der Zeitschrift Les Marges direkt entgegen - so, ohne das Feld der Auseinandersetzung insgesamt zu analysieren, die Pole markierend, zwischen denen Barbusse damals operierte. Dem folgt der 1988 erstmals vorgetragene, 1989 französisch sowie 1994 deutsch erschienene und bis heute zentrale Beitrag zur Situierung des ersten großen Romans über den Ersten Weltkrieg, „Die Vision des Korporal Bertrand. Plädoyer für eine historische Lektüre von Barbusses Le Feu“. Das Verdienst dieser historischen Lektüre besteht in dem Nachweis, dass Barbusse sich nicht nur, wie seit langem bekannt, im August 1914 freiwillig gemeldet hat, um als Soldat zum Sieg des französischen Republikanismus über die preußisch-deutsche Reaktion beizutragen: Der Text, in dem Vernichtung, Schrecken und Elend dieses Krieges aus eigenem Erleben so eindringlich gestaltet wurden wie noch nie und kaum je, war keineswegs ein Buch gegen den Krieg, sondern könnte fast ein Durchhalteroman genannt werden. Müller analysiert die Rechtfertigung der Union sacrée durch die französischen Sozialisten und die Berichterstattung über Kriegsgegner in der deutschen Sozialdemokratie in ihrer Zeitung L’Humanité seit August 1914 und zeigt, wie der Text von Barbusse „unmittelbar an die jakobinische Ideologie der Kriegszeit gebunden ist, dass dieses zur Zeit der Genesis des Werkes herrschende Normensystem im Text geronnen ist, ungeachtet der Tatsache, dass spätere Leser die ursprüngliche historische Bedeutung des Symbols in der Lektüre nicht zu realisieren vermochten“ (244). Das angesprochene Symbol ist die Weigerung Karl Liebknechts, den Burgfrieden in Deutschland zu unterstützen - von diesem und später als prinzipielle Ablehnung des Krieges verstanden, von den französischen Sozialisten aber 145 Comptes rendus auf eine Ablehnung des deutschen Militarismus reduziert, die aus Liebknecht „schlichtweg einen Verbündeten Frankreichs“ machte (43), und von Barbusse in dieser reduzierten Form auch in seinen Roman gebracht. Sowohl die Vision, in der der Name Liebknecht fällt, als auch jene Passagen, in denen die Soldaten allem Leid zum Trotz weiter ihre Pflicht im Krieg tun, werden so erst angemessen lesbar (was im übrigen auch erklärt, dass der Goncourt-Preis 1916 an Barbusse keineswegs einen Protest gegen den Krieg würdigte). Dass die „pazifistisch-revolutionäre“ Lektüre des Textes die „patriotische“ bald darauf überlagerte (46), erklärt Müller - dabei auch frühere eigene Darstellungen kritisierend (cf. 48) - überzeugend aus den „Ambivalenzen des Textes“ (44). Dass es Le Feu gelang, wie nur in dem in der Sammlung ebenfalls enthaltenen Nachwort zur DDR-Neuausgabe 1986 formuliert ist, „das Kriegsgeschehen aus der Sicht des Volkes darzustellen und eine auf die Emanzipation des Volkes zielende Perspektive zu gestalten“ (55), hätte sich durch eine genauere Fassung des zu Recht zentral gestellten Jakobinismus-Begriffs möglicherweise allerdings noch genauer erläutern lassen. Nach Jules Michelet, den Müller nicht erwähnt, war die Tradition der Französischen Revolution durch die um 1880 siegreichen Republikaner in der nationalistisch aufgeladenen Vorstellung eines einheitlich für die universalen Menschenrechte eintretenden Volkes zur tragenden Staatsideologie verkürzt worden - die Terreur zur Rettung des Vaterlandes zur Not in Kauf nehmend, jedenfalls aber den Krieg, von der Levée en masse bis Napoleon, als Teil dieser menschheitlichen Mission feiernd. Zu Recht nennt Müller diese Ideologie 1914 „abgenutzt“ (46). Sie war das, weil sie zur Rechtfertigung eines auch von französischer Seite imperialistischen Krieges eingesetzt wurde, aber auch, weil die Dimension von Gleichheit, Brüderlichkeit und Gerechtigkeit bis dahin (auch nach der Wende im Staatsverständnis in der Dreyfus-Affäre) in der sozialen Realität Frankreichs und im politischen Programm der Republik keine angemessene Entsprechung gefunden hatte. Aber der Jakobinismus hatte diese Dimension damit nicht verloren. „Aus ethischen Motiven“, zeigt Müller, hatte sich Barbusse „geistig den Sozialisten seines Landes genähert, als diese auf die Ebene des bürgerlichen Liberalismus abgeglitten waren“ (46), dessen Krieg zu ihrem machten und ihre sozialen Forderungen zurückstellten. Die so - zusammen mit der Ideologie der Union sacrée - in den Roman gelangte „Empörung über soziale Ungerechtigkeit“ und Perspektive der Emanzipation gab der Entwicklung der politischen Positionen von Barbusse ihre innere Logik und jenen Lektüren, die den Text auf das spätere kommunistische Engagement seines Autors bezogen, ihr eigenes Recht. In den durchhaltenden Soldaten des Kriegs, wie Le Feu sie zeigt, „dämmert so etwas wie die Ahnung auf, in unbestimmter Zukunft selbst Subjekt der Geschichte werden zu können“ (56). Angemessen schließt Müller seine wichtige Studie mit dem auf Mukařovský gestützten Hinweis auf die „dialektische Antinomie zwischen der Textstruktur und der historischen Abfolge der von ihr gebildeten Konkretisationen“ und dem Zweifel daran, dass der Leistung des Textes von Le Feu - 146 Comptes rendus wie bisweilen versucht - bereits mit dem Nachweis seiner ästhetischen Modernität Genüge getan ist (48sq.). Der dritte der eingangs genannten Gesichtspunkte, die Müller rekonstruiert hat, betrifft die literarische Qualität von Le Feu. Den naheliegenden Gesichtspunkt des Verhältnisses von Dokumentation, autobiographischer Erfahrung und fiktionaler Gestaltung dieses laut Untertitel Journal d’une escouade spricht Müller in dem 1987 erschienenen Nachwort zu seiner Ausgabe der Briefe Barbusses von der Front an seine Frau an. Dem Nachwort sind auch Aufschlüsse darüber zu entnehmen, wie Barbusse dem „Umkreis des französischen Symbolismus“ noch in der „Entwicklung zum Autor des Feu“ (115) verbunden geblieben ist. Wesentlich erweitert werden diese Aspekte in assoziativ angelegten „Annotationen zu Le Feu“. In ihnen deutet Müller auf ein außerordentliches Ausmaß von intertextuellen Bezügen, die diesen Weltkriegsroman als eigenständige Folge von Visionen und zugleich als Fortsetzung der entsprechenden literarischen Tradition ausweisen. Unter Verweis auf Vergil-Lektüre an der Front konstatiert und zeigt er „eine strukturelle Analogie, die es erlaubt, in Bezug auf Le Feu vom Aeneis-Modell zu sprechen“ (75). Auch das Rolandslied und die Ilias werden herangezogen, um Le Feu als „moderne Epopöe“ (80) zu kennzeichnen. Benannt wird, dass sich Motive des Romans bei Voltaire, Rousseau, Tolstoi, Andrejew, France oder Zola finden (cf. 82-84), und im Anschluss „eine danteske Lektüre des Feu“ (86) unternommen, die frappierend im Detail und überzeugend im Gesamtzugriff nachweist, wie Barbusse den „Krieg als Höllenfahrt“ in der Folge der Göttlichen Komödie gestaltet hat (cf. 86-95). Hier liegt sicher ein wesentlicher Gewinn des vorliegenden Buches. Schließlich wird die Tradition des Kriegsbildes von Giotto über Memling, Dürer, Poussin und Doré bis in die Bataillenmalerei des Weltkrieges angesprochen, die in den Text des genauen Kenners der malerischen Tradition und Gegenwart hineingewirkt hat, der Barbusse auch war (cf. 96-99). Wird Barbusse in diesen Annotationen als Verarbeiter von Weltliteratur eindrucksvoll sichtbar, so sucht eine andere Studie ihn seinerseits als Anreger von Weltliteratur vor Augen zu führen: Müller weist darauf hin, dass die auf einer vorausgehenden Novelle beruhende Eingangsvision von Le Feu mit dem Ende von Thomas Manns späterem Roman Der Zauberberg (1924) übereinstimmt (cf. 175), und führt dann vor allem aus, dass der vorausgehende Roman von Barbusse, L’Enfer (1908), sich sogar „auf weiten Strecken [...] wie ein Kanevas, eine Blaupause zum späteren Zauberberg“ ausnehme, so dass von „verarbeitender“ Rezeption zu sprechen sei (205). Die diesem Bezug gewidmete ausführliche Studie kann Belege einer direkten Kenntnisnahme allerdings nicht beibringen. 2 Statt dessen vergleicht sie daher „Grundkonfiguration und Motive“ (176) der Romane. 2 Von Müller nicht mitgeteilt: Thomas Manns Nachlassbibliothek enthält von Barbusse vier deutschsprachige Ausgaben aus den Jahren 1920 (neben Das Feuer auch Wir andern und Klarheit) und 1926 (Kraft), aber nicht L’Enfer; die ausführlich kommentierte Edition von Der Zauberberg in der Großen Kommentierten Frankfurter Ausgabe 2002 weist auf Barbusse an keiner Stelle hin. 147 Comptes rendus Einzelne, relativ spezielle Motive („das sichtbar schlagende Herz“, 185; „Gestirne der Chaldäer“, 189) finden sich tatsächlich in beiden Texten. Häufiger bleiben die konstatierten Bezüge aber sehr allgemein („Bei beiden Autoren ist der Tod Korrelat des Lebens“, 184) oder werfen die Frage auf, ob nicht eher von zeittypischen Übereinstimmungen zu sprechen wäre. Am Schluss der Studie ist der Nachweis versucht, dass Thomas Mann in Settembrini „ziemlich genau“ die politischen Positionen „des Barbusse vor 1923“ und der Clarté-Bewegung persifliere (201sq.). Weder charakterisiert jedoch die resümierende Formulierung „Fortschrittsglauben“ (202) diese Positionen ausreichend, noch war Barbusse der einzige, der sich damals „in die Tradition der (Renaissance und) Aufklärung [stellte], deren Errungenschaften Persönlichkeit, Menschenrechte, Freiheit“ und „Gerechtigkeit“ hießen (203). Eine Auseinandersetzung mit dem bisherigen Urteil der Forschung erfolgt nicht: Thomas Mann habe Settembrini „vor allem nach dem geistigen Umriss seines Bruder zugeschnitten, die italienischen Konturen Settembrinis nach Mazzinis Schriften.“ 3 Hier bleiben Müllers Anregungen weiter zu prüfen. Insgesamt liegt ein Werk vor, in dem profunde Sachkenntnis und weiter Blick mehrfach zu wesentlichen neuen Erkenntnissen führen und darüber hinaus häufig in Lakonie und Assoziation Perspektiven öffnen, in denen der Leser innere Bezüge wie Kontexte - die in Fülle geboten werden - selbst zu erschließen gefordert ist. Bedauerlich ist, dass der Verlag Peter Lang sich von seinen originären Aufgaben der einheitlichen Einrichtung und der Lektorierung der von ihm veröffentlichten Texte offensichtlich so radikal verabschiedet hat, dass es der Leser auch in diesen Hinsichten nicht immer leicht hat. An wie vielen Stellen über Barbusse tiefer nachgedacht und nachgeforscht werden kann und neue Aufschlüsse möglich sind, hat Müller dennoch überzeugend belegt. Auf die Anthologie „Clarté 1919-1922. Texte zu einer Sozialutopie“, die er z.Zt. vorbereitet, dürfen Leser wie Wissenschaftler gespannt sein. Wolfgang Klein (Osnabrück) 3 Thomas Mann, Der Zauberberg. Roman, Kommentar von Michael Neumann, Frankfurt am Main, Fischer, 2002, 87 (Große Kommentierte Frankfurter Ausgabe, Band 5.2).