lendemains
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0170-3803
2941-0843
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/91
2013
38150-151
Beatrice Schuchardt: Schreiben auf der Grenze. Postkoloniale Geschichtsbilder bei Assia Djebar
91
2013
Birgit Mertz-Baumgartner
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186 Comptes rendus mine l’intertextualité dans l’œuvre de Laurens et y découvre des traces des contes de Hans Christian Andersen et des mythes d’Aristophane qui servent à relier le trauma individuel de Laurens au trauma historique du vingtième siècle. Le volume entier nous offre une vue d’ensemble de la spectralité dans l’art et la fiction contemporains avec une analyse remarquablement cohérente à travers les vingt-deux contributions. L’enchevêtrement de l’historique et du personnel, l’abolition de la hiérarchie temporelle entre passé et présent et la manière oblique d’aborder le trauma refoulé, ces mêmes traits réapparaissent sans cesse dans les divers textes étudiés. Le manque d’index est dommage puisqu’il aurait été peutêtre utile de pouvoir retracer les nombreuses apparitions d’un Perec ou d’un Modiano à travers les chapitres. Mais à part cela, le livre est une ressource impeccable pour le chercheur ou l’étudiant de la littérature contemporaine qui s’intéresse aux études post-derridéennes sur le spectre dans le texte. Simon Kemp (Oxford) —————————————————— BEATRICE SCHUCHARDT: SCHREIBEN AUF DER GRENZE. POSTKOLONIALE GESCHICHTSBILDER BEI ASSIA DJEBAR, KÖLN/ WEIMAR/ WIEN, BÖHLAU, 2006, 389 S. Seit einem Jahrzehnt lässt sich ein erhöhtes wissenschaftliches Interesse der deutschsprachigen Romanistik an den maghrebinischen Literaturen beobachten, wobei Assia Djebar - neben T. Ben Jelloun und A. Khatibi - zu den meist besprochenen Autoren zählt. Allein drei Dissertationen sind seit 2002 in Deutschland erschienen: Postmoderne/ postkoloniale Formen der Autobiographie in der französischen und maghrebinischen Literatur (2002) von Claudia Gronemann, Ich-Entwürfe im hybriden Raum: Das Algerische Quartett von Assia Djebar (2008) von Elke Richter und die hier zu besprechende Arbeit von Beatrice Schuchardt, die, anders als die zuvor genannten, nicht die autobiographische Dimension, sondern das komplexe Spannungsfeld von Geschichte und Literatur fokussiert. Mit Femmes d’Alger dans leur appartement (1980), L’amour, la fantasia (1985) und La disparition de la langue française (2003) wurden drei Werke Djebars gewählt, die einerseits eine breite Schaffensperiode (1980-2003) der Autorin spiegeln, andererseits die Geschichte Algeriens zwischen 1830 und den 1990er Jahren, von den Anfängen der Kolonialisierung bis zur décennie noire thematisieren. Der Schwerpunkt der Analysen liegt auf der literarischen Darstellung von Kolonialzeit und Befreiungskrieg. Deshalb erstaunt es, dass der thematisch einschlägige Roman La femme sans sépulture (2002) ausgeblendet bleibt, zumal er deutliche Berührungspunkte mit den Femmes d’Alger und L’amour, la fantasia aufweist; mit ihm wäre auch ein zweites ‚Spätwerk‘ ins Spiel gekommen, das - wie Schuchardt an anderer Stelle richtig anmerkt - sich deutlich von jenen der 1980er Jahre unterscheidet. 187 Comptes rendus So stehen mit den Femmes d’Alger, vor allem aber mit L’amour, la fantasia zwei Texte im Zentrum, die im Kontext postkolonialer Geschichte und Geschichtsschreibung vielfach und in unterschiedlichen Forschungstraditionen kommentiert wurden, was beinahe zwangsläufig zu einer gewissen Wiederholung von bereits existenten Forschungsergebnissen führt. Wodurch zeichnen sich Schuchhardts Untersuchungen zu Assia Djebar aus? Zum einen liegt der Fokus, anders als bislang, auf dem Geschichtsbild, das Djebar in ihren Werken entwirft, beziehungsweise auf deren metahistorischen Dimensionen. Schuchardt stellt die Frage nach der Rolle und den Möglichkeiten literarischer Texte im Zusammenspiel mit Geschichte und Gedächtnis, wobei sie die These vertritt, dass Literatur „Träger konkreten historischen Wissens“ (2) sei. Die ungebrochene Aktualität dieser Fragestellung zeigen die jüngsten Debatten um Yannick Haenels Jan Karski (2009) und Laurent Mauvigniers Des Hommes (2009). Die zweite Stärke des vorliegenden Buches liegt in seinem plurimethodischen Zugang, der sich aus den Postcolonial Studies ebenso speist wie aus der postmodernen Geschichtstheorie, den Forschungen zum kollektiven Gedächtnis sowie der Medientheorie. Dabei ist die Forscherinnenposition Schuchardts als ‚postkolonial‘ und ‚poststrukturalistisch‘ nicht zuletzt auch sprachlich deutlich markiert, was dem Lesefluss des Buches aufgrund einer gewissen Jargon-Überfrachtung nicht immer zuträglich ist. Nicht zuletzt punktet das Buch durch präzise, ja akribisch genaue, geduldige Textanalysen, die bei aller Theorieorientierung dennoch den literarischen Text selbst stets ins Zentrum stellen. Wie gliedert sich das vorliegende Buch und worin liegen die wesentlichen Erkenntnisse? In den Kapiteln zwei bis sieben wird - der Tradition deutschsprachiger Dissertationen geschuldet - in einem umfangreichen, ca. 170 Seiten umfassenden Teil sehr fundiert der methodisch-theoretische Rahmen abgesteckt. Der im Hinblick auf das Thema wichtigste Befund dieses Abschnitts ist der ‚defiziente‘ Umgang mit dem Algerienkrieg, der sowohl für Frankreich als auch für Algerien auszumachen ist, wobei einer weitgehenden Amnesie eine mythisierende Übererinnerung entgegensteht. Die Textanalysen folgen in den Kapiteln 8-11, wobei nach einem allgemeinen einleitenden Teil zum Geschichtsbild Djebars jedem der drei gewählten Texte ein Großkapitel gewidmet wird. Wenn motivisch die weibliche Gefangenschaft das einende Moment der Femmes d’Alger ist, so machen die Analysen Schuchardts die Intermedialität als gliederndes Element des Novellenzyklus deutlich (filmisches Schreiben, Malerdiskurse, Panoptikum). Dabei stellt Schuchardt fest, dass Djebar mit ihrer écriture jedweden Modalitäten des „Arretierens“ - durch die orientalistische Malerei, die koloniale Geschichtsschreibung oder den patriarchalen Diskurs - entgegen tritt, da diese mit einem „Verlust lebendiger Erinnerung“ und von „subjektiv erlebte[r] Geschichte“ (227) einhergehen. Ziel Djebars, so Schuchardt, sei es, die verschiedenen „medialen und materiellen Schichten einer Ermächtigung“ (230) freizulegen sowie die ‚zurückgeworfenen‘, verunsichernden, fremden Blicke zu inszenieren. Filmisches Schreiben und Montagetechnik seien dabei die privilegierten Mittel, ar- 188 Comptes rendus retierte Bilder beweglich zu machen und damit statische Konzepte von Geschichte und Identität, wie sie den Diskurs der Kolonialmacht, aber auch des FLN prägen, zu dynamisieren. L’amour, la fantasia ist, bezogen auf die zentrale Fragestellung der Verfasserin, in seiner Verwobenheit von Autobiographie und historiographischem Roman der wahrscheinlich interessanteste Text. Schuchardt zeigt, wie sich der Roman mit den ‚Quellen‘ der (kolonialen) Geschichtsschreibung auseinandersetzt und wie Djebar die Selektivität und Perspektivität sowie den Gestus der Selbstinszenierung dieser Texte aufdeckt. Sie macht deutlich, wie Djebar im Sinne einer Archäologie verborgene Geschichten (z.B. die weibliche) aus den kolonialen Texten ausgräbt, weitere, mündlich tradierte Geschichten einschreibt und ganz allgemein auf die Narrativität von Geschichte verweist. In konsequenten Analysen spürt Schuchardt den ästhetischen Prinzipien des Romans nach (Pluriperspektivität, Polyphonie, Stimme und Mündlichkeit, Intermedialität), um darzulegen, dass gerade diese den ‚erstarrten‘, ‚gefrorenen‘ Geschichtsbildern kolonialer aber auch postkolonialer Provenienz entgegen wirken können. La disparition de la langue française weist zwar einen geringeren Komplexitätsgrad als die zuvor untersuchten Werke auf, zeigt aber dennoch viele Parallelen: das Verweben von individueller und kollektiver Geschichte bzw. individuellem und kollektivem Erinnern; die oftmalige Gegenläufigkeit von individuellem Erleben und kollektiv erinnerter Geschichte; die Defizienz der (kolonialen, nationalen, religiösen) Geschichtsbilder; die Unmöglichkeit des ‚Arretierens‘ von Geschichte in Fotografien, Bildern, Quellentexten und die Forderung nach einem ‚fließenden‘, ‚oszillierenden‘, mehrstimmigen, multimedialen Geschichtsbild. Warum „Schreiben auf der Grenze“? Wie die Abbildung auf dem Cover, die Schuchardt im Postface kommentiert, ist auch der Titel des Buches sorgfältig gewählt: „Schreiben auf der Grenze“ resümiert für Schuchardt das Geschichtsbild Djebars ebenso wie die ästhetischen Prämissen der Autorin. Die Grenze steht dabei für einen Schwellenort, einen Ort des Übergangs: zwischen literarischen Genres und Medien, verschiedenen (meta-)historischen Diskursen, mehreren Sprachen, zwischen Oralität und Literarizität, verschiedenen Medien, zwischen Individuum und Kollektiv. Fazit: Beatrice Schuchardt legt eine höchst gelungene Untersuchung zu Assia Djebars Werk vor, die sich durch einen neuen Fokus (Geschichtsdarstellung) und innovative Forschungsfragen und -methoden (Intermedialität) auszeichnet. Birgit Mertz-Baumgartner (Innsbruck)
