eJournals

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
pm
2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
pm364/pm364.pdf0922
2025
364 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.
Herausgeber: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Unter Mitwirkung von: spm - Swiss Project Management Association und Projekt Management Austria P R OJ E K T M A N A G E M E N T A K T U E L L www.pm-aktuell.de Projektmanagement im Gesundheitswesen Ausgabe 4/ 2025 | 36. Jahrgang PM-Zeit für dich Unser Weiterbildungsangebot bringt dich persönlich und fachlich voran PM-Zeit für uns Zahlreiche Vernetzungsmöglichkeiten bringen uns zusammen und in den Austausch PM-Zeit für alle Mit Studien und Forschung stärken wir die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft ® Mitglied der Es ist an der Zeit für Projektmanagement. Ob in der Wirtschaft, der Verwaltung oder für die persönliche Entwicklung. Mit dem gezielten Ausbau von Projektmanagement-Fähigkeiten können Projekte effizienter gestaltet und der Erfolg messbar gesteigert werden. Denn Projektmanagement ist nicht nur Methode, sondern die Basis für Struktur, Innovation und nachhaltige Ergebnisse. Jetzt über unser umfangreiches Angebot rund um PM informieren: gpm-ipma.de 1 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 Herausgeber: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Am Tullnaupark 15, 90402 Nürnberg Unter Mitwirkung von Spm - Swiss Project Management Association Flughofstraße 50, CH-8152 Glattbrugg und Projekt Management Austria Palais Schlick, Türkenstraße 27/ 2/ 21, A-1090 Wien Redaktion: Prof. Dr. Steffen Scheurer, Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (Chefredakteur) Oliver Steeger, Alfter (Ressort Report) Dr. Thor Möller, prometicon projects GmbH, Bremen Redaktionsbeirat: Prof. Dr. Peter Thuy (Präsident GPM) Dr. Dieter Butz Axel Graser, Südwestrundfunk / SWR Prof. Dr. Nino Grau, Grauconsult GmbH Prof. Dr. Katrin Hassenstein, Hochschule der Medien Stuttgart Prof. Dr. Claus Hüsselmann, Technische Hochschule Mittelhessen Dr. Ingrid Giel, spm, Schweizerische Gesellschaft für Projektmanagement Brigitte Schaden, pma (Projektmanagement Austria) Prof. Dr. Doris Weßels, Fachhochschule Kiel G 6010 36. Jahrgang, 04/ 2025 ISSN 2941-0878 Verlag: UVK Verlag - Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5, 72070 Tübingen Telefon: +49 (0)7071 97 97 0 www.projektmanagement.digital © 2025 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG, Tübingen Nachdruck und fotomechanische Wiedergabe nur mit Genehmigung des Verlages. Namentlich gekennzeichnete Beiträge sowie die Inhalte von Interviews geben nicht in jedem Fall die Meinung der Redaktion oder des Verlages wieder. Zeitschriftenkoordination: Patrick Sorg eMail: sorg@narr.de Anzeigenverwaltung: Oliver Solbach eMail: solbach@narr.de Anzeigenverkauf: Stefanie Richter Telefon mobil: +49 171 203 46 63 eMail: richter@narr.de Erscheinungsweise: 5 Hefte pro Jahr Bezugspreise für Privatpersonen: Einzelheftpreis: EUR 20,- Jahresbezugspreis (print): EUR 67,- Jahresbezugspreis (print & online): EUR 96,- Bezugspreise für Institutionen: Jahresbezugspreis (print): EUR 67,- Jahresbezugspreis (print & online): EUR 242,- Preisänderungen vorbehalten. Der Bezugspreis für Mitglieder der GPM ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Alle Preise zzgl. Versandkosten und inkl. MwSt. Die Kündigung ist sechs Wochen vor Ende eines Kalenderjahres schriftlich an den Verlag zu richten. Sonderausgaben werden zusätzlich berechnet. Bei Nichterscheinen der Zeitschrift ohne Verschulden des Verlages oder infolge höherer Gewalt entfällt für den Verlag jegliche Lieferpflicht. Umschlagabbildung: © Halfpoint/ Shutterstock.com Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/ w/ d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter. Impressum 2 Editorial Reportage 4 89 riesige Tunnelelemente - fast wie am Fließband 10 Offene Kultur hilft beim Risikomanagement Wissen 14 Portfoliomanagement bei der Charité-- Universitätsmedizin Berlin 19 Perspektive: ePA-Implementierung im großen Universitätskrankenhaus 25 Auf der Suche nach mehr Impact 28 Mit kleinen Schritten zur Projektexzellenz 33 Vertrauen durch Qualität: Nachhaltige Projektprozesse des Swiss TPH 39 Ein Netzwerk für Transformation im Gesundheitswesen 44 Gemeinschaft statt Alleingang 47 Projektmanagement in der öffentlichen Verwaltung 52 Künstliche Intelligenz trifft auf Techniken des (wirtschafts-)wissenschaftlichen Arbeitens 56 KI, Tempo, Wirkung: Wie Projektverantwortliche Orientierung finden, wenn Regeln fehlen 60 Das Projektmanagement hinter unserem PM- Podcast Berichte aus der GPM 62 Fünf Fragen (und überraschende Antworten) vom 34. IPMA World Congress Rezensionen 66 Bernd J. Madauss „Project Management“ - A comprehensive description of Theory and Practice Kolumne 68 Zurück in die Sachlichkeit Aus den DACH-Verbänden 69 GPM intern 73 pma intern 74 D-A-CH-Projektmanagement-Campus 2025 76 Auf ein Wort mit-… Alexander Smoll 2 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0059 EDITORIAL Liebe Leserinnen und Leser, in diesem Heft beschäftigen wir uns mit dem Projektmanagement im Gesundheitswesen- - aus zweierlei Gründen. Zum einen: Projekte im Gesundheitswesen betreffen uns alle. Zum anderen: Im Gesundheitswesen besteht dringender Handlungsbedarf und Reformdruck. Der Altersdurchschnitt der Bevölkerung in Deutschland ist um nahezu 10 Jahre gestiegen: von ~34,8 Jahre (1960) auf ~44,6 Jahre (2025). Dies ist auf den anhaltenden demografischen Wandel mit sinkenden Geburtenraten und steigender Lebenserwartung zurückzuführen. Mit dem höheren Durchschnittsalter wachsen auch die Anforderungen für Gesundheitsdienstleistungen. Zugleich nimmt der Fachkräftemangel im Gesundheitssystem zu. Die Kosten steigen kontinuierlich. Dies bringt unser Gesundheitssystem an seine Grenzen. Es führt kein Weg an der Steigerung von Effektivität und Effizienz vorbei. Diese Entwicklungen sind übrigens nicht „typisch deutsch“. Sie sind auch in anderen europäischen Ländern zu beobachten. Wir sind kein Einzelfall. Inzwischen reagiert die Politik in Deutschland. Exemplarisch seien zwei Aktivitäten aus 2025 genannt: Mit dem Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) soll die medizinische Versorgung auf qualitativ hochwertige Kliniken konzentriert werden. Dabei will man auch einem unkontrollierten Krankenhaussterben vorbeugen und eine Entbürokratisierung im Krankenhausbetrieb erreichen. Zudem wurde im Januar 2025 das Projekt „ePA 3.0“ gestartet. Mit der elektronischen Patientenakte sollen die Integration medizinischer Daten zu einer verbesserten Behandlungsqualität führen. Damit können in Zukunft Doppeluntersuchungen vermieden werden. In Summe kann all dies helfen, Kosten zu sparen, die Versorgungsqualität zu erhöhen und Patienten stärker im Gesundheitswesen zu beteiligen. Diese und noch weitere Herausforderungen führen zu erheblichen Veränderungen im gesamten Gesundheitswesen- - besonders im Klinikbereich. Wir stellen Ihnen in diesem Heft einige dieser Projekte vor. Beginnen wir mit einem Interview mit Etelka Wenzel und Julia Kallenberg . Etelka Wenzel leitet das Projektmanagementoffice, Julia Kallenberg leitet das Projektprogramm „ePA“ an der Charité in Berlin. Beide erklären, wie Projektportfolio- und das Projektprogrammmanagement an der Charité organisiert sind. Julia Kallenberg stellt zusätzlich in ihrem Beitrag die Vorgehensweise in ihrem Projektprogramm zur ePA-Einführung vor. Zudem blicken wir auf die Situation im Schweizer Gesundheitswesen. Nicole Gerber gibt dazu in ihrem Beitrag einen ersten Überblick. Ähnliche Herausforderungen wie die Charité hat auch die Psychiatrische Universitätsklinik Zürich (PUK). Annette Gretler , stellvertretende Leiterin der Unternehmensentwicklung der PUK, beschreibt, wie in ihrem Klinikum ein neues Tool zur Unterstützung des Projektportfoliomanagements iterativ eingeführt wurde. Projektmanagement im Gesundheitswesen Das Schweizerische Tropen- und Public Health-Institut ist bekannt als weltweit führendes Institut im Bereich der globalen Gesundheit. Wie es dem Institut gelingt, mit einem aktiv gelebten Projektlebenszyklus weltweit wirkungsvolle Projekte zu realisieren-- dies zeigen Kristina Pelikan, Helen Prytherch, Jakob Zinsstag, Rea Tschopp, Michael Käser und Marco Waser . Digitalisierung, Prozessoptimierung, Transformation sind aus Schweizer Spitälern nicht mehr wegzudenken. Natalie Esther Galeczki legt dar, wie der Aufbau einer Projektmanagement-Community hilft mit diesen Anforderungen umzugehen. Corinne Spirig und Stefan Lienhard stellen mit dem digital health center bülach (dhc) das führende Schweizer Netzwerk für Digitalisierung und digitale Transformation im Gesundheitswesen vor. Im Zentrum der Tätigkeiten steht die Vernetzung von Start-ups, Unternehmen und Dienstleistenden, um gemeinsam den Fortschritt der Branche voranzutreiben. Neben unseren Schwerpunktbeiträgen werfen wir auch einen Blick auf die Digitalisierung in der Verwaltung. Daniel Meier, Stefanie Sixel, Zbigniew Marciniak, Jasmin Tarhouni, Julia Herzberg und Kjell Jobst legen dar, welche Besonderheiten bei digitalen Projekten im öffentlichen Dienst zu berücksichtigen sind. Naciye Akca berichtet über ein spannendes Projekt der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Kooperation mit der Universität Duisburg-Essen. In diesem Projekt hat ein interdisziplinäres Projektteam den hochschulspezifischen Künstliche Intelligenz [KI] -basierten Chatbot „Mr. Callidus Bund“ (Callidus- = schlau; Bund- = HS Bund) entwickelt. Die Beteiligen kamen aus den Disziplinen der Betriebswirtschaftslehre und der Wirtschaftsinformatik. Annette Bühler berichtet über die Rolle der Ethik im Projektmanagement. Saskia Weiß zeigt wie durch strukturiertes Projektmanagement der Podcast „Snacksize Projektmanagement“ entstand. Zusätzlich berichtet Sebastian Wieschowski über fünf Fragen, die auf dem 34. IPMA World Congress gestellt wurden- - und zu denen es mitunter überraschende Antworten gibt. Nicht zuletzt: Im Dezemberheft 2023 haben wir Ihnen versprochen, Sie bei dem Großprojekt „Fehmarnbelttunnel“ auf dem Laufenden zu halten. Wir lösen unser Versprechen ein: Lesen Sie in diesem Heft die Reportage mit Updates zu diesem Projekt- - und ein Interview mit Gerhard Cordes zum Risikomanagement. Die aktuellen Fragen im Gesundheitswesen werden uns wohl auch noch in den kommenden Jahren begleiten. Gut zu wissen, dass es mit Projektmanagement eine Methodik gibt, um auch mit diesen Herausforderungen systematisch umzugehen. Wir alle sind auf den Erfolg dieser Projekte angewiesen. In diesem Sinne: bleiben Sie gesund! Ihr Steffen Scheurer Editorial | Projektmanagement im Gesundheitswesen 3 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0059 FÖRDERN, BAUEN, DIGITALISIEREN - ABER BITTE MIT PLAN Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen stehen vor komplexen Aufgaben: Digitalisierung, Sanierung, Neubau - oft unter Zeitdruck und mit knappen Ressourcen. Professionelles Projektmanagement sorgt dafür, dass tragfähige Strukturen entstehen. THOST Projektmanagement begleitet Projekte aus dem Gesundheitswesen ganzheitlich - von der Fördermittelstrategie über die bauliche und technische Umsetzung bis zur Integration digitaler Klinikprozesse. Ob Green Hospital, Klinik-IT oder TGA: Wir sorgen dafür, dass Planung, Technik und Versorgung sinnvoll zusammenwirken. Für zukunftsfähige Lösungen, die langfristig funktionieren - vernetzt, effizient, patientenorientiert. Mit diesem Anspruch begleiten wir öffentliche, private und kommunale Bauträger im Gesundheitswesen als Partner auf Augenhöhe, mit Know-how aus über drei Jahrzehnten Projektpraxis. Mit über 800 Mitarbeitenden an 28 Standorten im In- und Ausland zählt THOST zu den führenden Unternehmen im Projektmanagement. Seit über 35 Jahren realisieren wir komplexe Projekte in den Bereichen Gesundheit, Immobilien, Energie, Infrastruktur, Pharma, Chemie, IT und Industrie. Projekte sind unsere Welt. MEHR ERFAHREN MANUEL SCHEERER Standortleiter Karlsruhe +49 172 3179261 m.scheerer@thost.de THOST Projektmanagement GmbH Hermann-Veit-Straße 6 76135 Karlsruhe IHR ANSPRECHPARTNER Standortleiter Karlsruhe THOST Projektmanagement GmbH Hermann-Veit-Straße 6 IHR ANSPRECHPARTNER www.thost.de 4 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0060 Am Fehmarnbelt entsteht der weltweit längste Absenktunnel 89 riesige Tunnelelemente-- fast wie am Fließband Oliver Steeger Am Fehmarnbelt entsteht ein achtzehn Kilometer Tunnel langer Tunnel durch die Ostsee. Auf dänischer Seite-- in Rødbyhavn-- werden in einer riesigen Fabrik die 73.000 Tonnen schweren Tunnelelemente produziert. Sie werden später in einen Tunnelgraben auf den Ostseegrund herabgelassen. Solche Absenktunnel sind keine Novität. Doch mit seiner Dimension betritt das dänische Großprojekt weltweit Neuland. Wir beobachteten auf der Baustelle, wie die Tunnelelemente entstehen und wie es gelingt, die Elemente immer schneller zu produzieren-- fast wie am Fließband. Der König kam. Mit strahlend weißem Bauhelm und gelber Schutzweste weihte Frederik X. das erste Tunnelelement ein. Der beliebte dänische Monarch winkte den Zaungästen zu, die ihn mit rot-weißen Fähnchen in der Hand begrüßten. Er begab sich auf die Großbaustelle zu den Ingenieuren und Bauarbeitern. Das Tunnelelement, das er einweihte, hat gigantische Ausmaße: 217 Meter lang, 73.000 Tonnen schwer, zwei Röhren für die vierspurige Autobahn und zwei für Schnellzüge. Eines von 89 Elementen für den Fehmarnbelt-Tunnel, der unter der Ostsee Skandinavien mit Europa verbinden wird. Das größte Infrastrukturprojekt in der Geschichte Dänemarks. Dann tat der König etwas ungewöhnliches. Frederik X. nahm eine Münze hervor. Sie war ihm zum achtzehnten Geburtstag geschenkt worden. Eine Silbermünze. Er legte sie in eine Zeitkapsel, die vor dem künftigen Tunneleingang eingegraben wird. Eine königliche Geste. Man kann sie als Wertschätzung verstehen - aber auch als Ansporn. 2029 soll der Tunnel eröffnen. Darauf arbeiten derzeit Hunderte Menschen hin. Der Fehmarnbelttunnel wird eine achtzehn Kilometer lange Lücke auf der europäischen Nord-Süd-Trasse schließen. Reisende nach Dänemark, Schweden und Norwegen kennen diese Lücke. Für die Fährüberfahrt von der deutschen Insel Fehmarn zur dänischen Hafenstadt Rødbyhavn kalkulieren sie eine gute Stunde Extra-Fahrtzeit ein, manchmal mehr. Anders ab 2029: Züge werden nur noch sieben Minuten benötigen, und die Fahrt mit dem Auto dauert zehn Minuten. Solche Lücken im Verkehrsnetz sind nicht nur ein Erschwernis für Reisende. Sie sind ein Hindernis und Bürde im Warenverkehr. Beispielsweise muss der Transitverkehr von Hamburg nach Kopenhagen heute einen Umweg von 160 Kilometer nehmen. Zudem: Europa wächst zusammen. Solche Flaschenhälse sind ein Unding, meinen viele Politiker. Sie treffen besonders den umweltfreundlichen Schienenverkehr. Seit den 1960er Jahren kamen immer wieder Ideen für diesen Lückenschluss auf. Doch viele kühne Pläne verschwanden schnell wieder in der Versenkung. Mal war es das Geld. Mal war es die geopolitische Lage. Mal gab es Wichtigeres. Zur Jahrtausendwende kam erneut Bewegung in die Sache. Dänemark ergriff die Initiative, dieses Mal energisch. Das Königreich setzte an, die Lücke endgültig zu schließen. Nach einem ausgiebigen Variantenvergleich fiel die Entscheidung zugunsten eines Absenktunnels: In einer „Tunnelfabrik“ auf Lolland werden Betonelemente produziert und schließlich in einen zuvor ausgehobenen Tunnelgraben abgesenkt. Noch dieses Jahr will man das erste Tunnelelemente absenken-- und zwar das, das der dänische König eingeweiht hat. Als wir die Baustelle in Rødbyhavn besuchen, ist der Besuch des Königs bereits Erinnerung, quasi ein leuchtender Ein- Reportage | 89 riesige Tunnelelemente-- fast wie am Fließband 5 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0060 trag ins Bautagebuch. Auf dem riesigen Gelände - groß wie 310 Fußballfelder - reihen wir uns mit einem Geländewagen in den Verkehr auf der dänischen Baustelle ein. Wir folgen den mit Barken abgesteckten Pisten und fahren auf riesige Fabrikhallen zu, in denen die Tunnelelemente produziert werden. Mittags hat es geregnet. Jetzt stehen die Fabrikhallen weiß und mit scharfer Kontur gegen die abziehenden, stahlgrauen Wolken. Die Ausmaße der Hallen sind überwältigend- - groß wie Flugzeughangars. Klein dagegen die Baustellenfahrzeuge mit blinkenden Warnlichtern, die Sprinter und Jeeps, die durch die Pfützen fahren. Dazwischen - winzig - die Menschen mit ihren Helmen und gelben Warnwesten. Die Ingenieure und Arbeiter kommen aus vielen Ländern; in einem Pausenraum ist an einem Aushang ein Fußballturnier angekündigt in drei Sprachen, darunter polnisch. Polnisch, weil viele Stahlbauer aus Polen stammen. Der Projektdirektor, den wir treffen, hat bereits viele Großbaustellen geleitet. Gerhard Cordes berichtet von Milliardenprojekten beispielsweise in Katar. Er ist hochgewachsen, in sich ruhend, blickt einem direkt in die Augen. Wir kennen ihn bereits vom vergangenen Jahr, von unserem ersten Besuch der Baustelle. „Ist ja mächtig vorangekommen“, sagen wir. „Ja“, entgegnet er, „die Produktion der Tunnelelemente läuft jetzt fast wie am Fließband.“ Die weißen Hallen beherbergen eine gigantische Fabrik-- mit einem Zweck: die Betonelemente, jedes groß wie ein Häuserblock, herzustellen. Sie werden später in bis zu vierzig Metern Wassertiefe verbunden. Zum längsten Absenktunnel der Welt. Diese Elemente entstehen derzeit auf sechs Produktionslinien. Eines nach dem anderen. Der Termin 2029 gilt. Der Besuch des Königs drückt auch die Erwartungen aus, die Dänemark an dieses Projekt richtet. Wir betreten eine der Hallen. Vereinfacht gesagt, sie besteht aus zwei Bereichen. Vorne errichten Stahlbauer haushohe Körbe aus Bewehrungsstahl. Weiter hinten wird betoniert. Manche vergleichen die riesigen, braunen Stahlkörbe mit einem Skelett für die Tunnelelemente. Ist das „Skelett“ vorne in der Halle fertig, wird es weiter geschoben in die Betonieranlage. Dort kommt das „Fleisch“-- der Beton-- dazu. Die erste Betonage galt als etwas Besonderes. Doch mittlerweile sind die Montage der Bewehrungskörbe und die anschließende Betonage Routine. Quasi wie am Fließband. Wir gehen an den Bewehrungskörben vorbei und sehen den Stahlbauern in ihren orangen Overalls und blauen Bauhelmen zu. Solche feingliedrigen Geflechte aus daumendicken Stahlstangen zu bauen ist eine Kunst: erst der Boden, dann die Seitenteile, zuletzt die Decke. Die Röhren für Straße und den Schienenweg sind bereits zu erahnen. „Wir haben beim Bau der ersten Elemente einiges gelernt“, erklärt Gerhard Cordes, „es gab anfangs ein paar Herausforderungen bei der Montage. Jetzt haben wird die Bewehrung so angepasst, dass es einfacher und schneller geht.“ Dabei ging es vor allem um praktische Details, die bei der Montage Zeit kosteten oder sie umständlich machten. „Natürlich wird schon bei der Planung auf eine Bewehrungsführung geachtet, die auch auf der Baustelle gut umzusetzen ist“, sagt Gerhard Cordes. Aber es gebe immer Fälle, bei denen man die Pläne anpassen muss-- „natürlich, ohne die Qualität zu vermindern“, wie der Projektdirektor anfügt. Auch hat man einige Montagearbeiten in eine andere, neue errichtete Halle ausquartiert: die „Panelfactory“. Dort werden beispielsweise Bewehrungsmatten vorproduziert. Dann holt man diese Bauteile auf Abruf in die Hallen. Dank der Panelfactory hat man bestimmte Routinearbeiten in der Halle „aus den Füßen“. Vorgesehen war die Panelfactory in keinem der ursprünglichen Pläne. Die Idee ergab sich aus der Praxis. Gerhard Cordes spricht von einer Lernphase, die das Projekt durchlief. Trotz des Termindrucks sammelte man anfangs Erfahrung, startete langsam. Gerhard Cordes findet das Wort „langsam“ nicht ganz treffend („Ich will nicht, dass es zu negativ klingt“). Doch Tatsache ist, dass man anfangs bewusst Zeit in den Start der Fabrik investiert hat- - Zeit, die natürlich „eingepreist“ war im Terminplan. Man merzte nicht nur leichte Anlaufschwierigkeiten aus-- sondern nahm sich Zeit, sich Abläufe auf der Baustelle anzuschauen und stellenweise anzupassen. Bewusstes Lernen. „Wir haben viele Optimierungen vorgenommen“, sagt Gerhard Cordes, „heute sind wir bei etwa 30 Stunden je Betoniervorgang“. Das kann man kaum noch beschleunigen, fügt er an. Doch die Prozesse dazwischen-- an denen wurde gearbeitet. Hinter den Toren der Fabrik ist das grauen Tunnelelement zu erkennen. Foto: Oliver Steeger Reportage | 89 riesige Tunnelelemente-- fast wie am Fließband 6 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0060 Wir gehen an den Bewehrungskörben vorbei und erreichen den hinteren Teil der Halle. Ein Vorhang trennt die Betonierabteilung von dem Rest der Halle, des Klimas wegen, ganzjährig 20 Grad. Ein gleichmäßiges Surren erfüllt die Halle. Wir blicken auf die Betonieranlage mit ihren Schalungen, vielen Rohren und Schläuchen. Hochleistungspumpen befördern den Beton über Pipelines hierher. Die Mischanlage steht zwischen den Fabrikhallen. Unter dem Hallendach erblicken wir die Arme der Betonpumpen, wie Insektenarme. Langsam schwenken sie vor und zurück und verteilen den Spezialbeton gleichmäßig. Dafür darf die Mischung weder zu fest noch zu flüssig sein. Präzisionsarbeit. In seiner Ruhe ein meditativ wirkender Vorgang. „Wir gießen in einem Stück-- ohne Unterbrechung“, erklärt Gerhard Cordes. Dies vermeidet Fugen-- eine technische Herausforderung. Die Übergänge zwischen der Bodenplatte, den Wänden und der Decke gelten als besonders schwierig. „Bei solchen Details haben wir anfangs viel dazugelernt“, sagt der Projektdirektor. Gelernt beispielsweise zur Betonrezeptur. Es ging um optimale Zusammensetzung, Abbindezeit, die Luftfeuchtigkeit in den Hallen. Zum einen: Der Beton muss langlebig sein und extremen Einsatzbedingungen am Meeresboden standhalten. „Der Tunnel ist ja auf eine Mindestlebensdauer von 120 Jahren ausgelegt“ erklärt Gerhard Cordes. Zum anderen: Den Ingenieuren ging es um die Frage, wie man den Beton optimal verarbeiten kann. Zusatzstoffe verhindern, dass er zu schnell abbindet; das ermöglicht langsames Gießen. Dieses langsame, gleichmäßige Gießen ist es, das auf Laien „meditativ“ wirkt. „Wir haben anfangs außerhalb der Fabrik einen Testguss gemacht“, erklärt Gerhard Cordes, „wir haben ein maßstabsgetreues Modell eines Teilabschnitts eines Tunnelelements hergestellt.“ Man muss wissen: Ein Tunnelelement besteht aus neun Segmenten, die aneinandergefügt werden. Selbst ein solches Teilstück ist in seinen Ausmaßen beeindruckend. „Um die Testbetonage unter nahezu realistischen Bedingungen zu simulieren, wurden unter anderem die Originalbewehrung und alle notwendigen Einbauteile installiert“, sagt Gerhard Cordes, „während dieser Testphase konnten wir gut sehen, wo es zu Schwierigkeiten kommen kann.“ Das ist für ihn auch Teil des Risikomanagements. „Dieser Testguss hatte für uns einen hohen Informationswert“, sagt er. Er fügt an, dass dieses „Testsegment“ jetzt weiterverwendet wird- - quasi als Testlabor etwa für die Montage der späteren Tunneleinbauteile. „Auch das wird erprobt“, sagt er. Je früher man Schwierigkeiten erkennt, desto besser kann man sie lösen. Ohnehin gab es vor Start der Produktion eine Menge Tests. Das kostet Zeit- - ist aber unumgänglich. Beispielsweise Tests zur Dichtigkeit des Materials (mit einer Partnerfirma in Singapur). Die Standards sind hoch. Doch für Gerhard Cordes sind sie auch Teil seines vorausschauenden Risikomanagements. (siehe Interview). Wenn einmal die Elemente unter Wasser sind, wird es schwieriger, Probleme zu lösen. Sorgfalt, hören wir oft auf der Baustelle, geht vor Schnelligkeit. Sorgfalt heißt auch: Lernen. Verbessern. Wissen sammeln und nutzen. Die Fabrik produziert nicht nur Tunnelelemente. Sondern-- gewissermaßen-- auch Wissen. Viel Wissen. Als wir die Fabrikhalle durch ein Seitentor verlassen, erblicken wir eines der nun fertigen Tunnelelemente. Es liegt in einem der drei Trockendocks vor der Fabrik. Man erklärt uns: Während der Produktion wird das Element Stück für Stück aus der Halle herausgeschoben. Ist das Element fertig und der Beton ausgehärtet, wird es über Schubbalken von der Halle in ein Trockendock geschoben, ein Vorgang mit dem Namen „Big Push“. Im Trockendock findet das „Outfitting“ statt, beispielsweise die Montage von Dichtungen oder Brandschutzverkleidungen. „Wir bringen hier schon viele Teile der technischen Ausstattung in die Elemente herein, bauen sie aber noch nicht alle ein“, erklärt Gerhard Cordes. Denn später, unter Wasser, ist der Platz im Tunnel begrenzt. Baumaterial müsste von außen In der Betonieranlage wird das Stahlskelett-- der Bewehrungskorb-- in einem Guss mit Beton gefüllt. Foto: Oliver Steeger Reportage | 89 riesige Tunnelelemente-- fast wie am Fließband 7 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0060 wichtiges Methodenwissen für einen strukturierten Einstieg in das Projektmanagement uvk.de Reportage | 89 riesige Tunnelelemente-- fast wie am Fließband 8 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0060 durch das Tunnelportal in die bereits abgesenkten Tunnelelemente eingefahren werden. Anschließend werden die Tunnelelemente an den beiden Enden mit Stahlschotten wasserdicht versiegelt. Wie eine Schleuse wird das Trockendock geflutet. Die Tunnelelemente schwimmen auf (trotz ihres enormen Gewichts). „Float-up“ nennt sich dieser Vorgang im Fachjargon. Drei Tunnelelemente wurden bis Mai bislang in den Becken vor der Fabrik zum Schwimmen gebracht. Ein weiterer Meilenstein für das Projekt. Nachdem die Abläufe auf jeder der Produktionslinien reibungslos funktionierten, nahmen sich Fachleute das Gesamtsystem vor: Das Zusammenspiel der sechs Linien. Mit Lean Management koordiniert man die Abläufe der Linien. Was abstrakt klingt, verdeutlicht Gerhard Cordes so: Das Gesamtsystem hat- - naturgemäß- - Engpässe. Zum Beispiel, wenn auf jeder der Linie gleichzeitig ein Element fertig wird. Doch nur zwei Elemente finden im vorgelagerten Becken Platz, von dem sie ausgeschifft werden. Ein Stau vor dem Becken würde die Produktion blockieren. Lean Management bedeutet, die Fabrik nach dem Pull-Prinzip zu steuern. Das Ziel: Es wird immer das rechtzeitig nachgeliefert, was man im nächsten Produktionsschritt benötigt. „Lean Management ist für uns das letzte Stadium der Optimierung“, erklärt Gerhard Cordes. Die Fabrik soll so effizient und präzise wie ein Uhrwerk laufen. Die gigantischen Tunnelelemente beeindrucken. Doch ebenso gigantisch ist das Wissen, das sich die Projektteams erarbeiten. Ein solches Megaprojekt betritt immer unbekanntes Terrain. Hier wird dieser Charakterzug von Projekten besonders deutlich. Der Aufbruch ins Unbekannte-- das sich mit dem Unbekannten bekannt machen. Lernen. In bis zu 40 Metern Wassertiefe wird der Tunnel Dänemark und Deutschland verbinden. Illustration: Sund & Bælt Holding A / S Ein Tunnelelement vor der Fabrik, im nicht gefluteten Becken. Foto: Oliver Steeger Reportage | 89 riesige Tunnelelemente-- fast wie am Fließband 9 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0060 Doch wer lernen will, braucht Vorwissen. Ein Punkt, von dem er starten kann. Das Problem: Es gibt wenige Absenktunnel-Projekte auf der Welt, die man „fragen“ kann. Dänemark hatte Glück. Im eigenen Königreich hat man bei einem Tunnelbauprojekt vor 25 Jahren auf die Absenktechnologie gesetzt. Beim Öresund-Tunnel. Der Öresund-Tunnel ist ein Teil der berühmten Öresundverbindung zwischen Dänemark und Schweden. Der Tunnel hat vier Kilometer Länge, der Absenktunnel selbst 3,5 Kilometer. Die zwanzig eingesetzten 55.000 Tonnen schweren Tunnelbauelemente galten damals als größte vorfabrizierten Tunnelbauelemente der Welt. „Vom Design her ist dieser Tunnel unserem sehr ähnlich“, sagt Gerhard Cordes, „wir haben das Design für unser Projekt allerdings weiterentwickelt.“ Ein Beispiel: Beim Fehmarnbelt-Tunnel gibt es alle 1,8 Kilometer ein sogenanntes „Spezialelement“. Dieses Element ist kürzer als die Standardelemente, verfügt aber über ein Untergeschoss. Dort ist die Betriebstechnik für den Tunnel untergebracht. „Diese zehn Spezialelemente sind eine Weltneuheit“, sagt der Projektdirektor. Vom Öresundtunnel haben die Ingenieure am Fehmarnbelt vieles gelernt und dann technisch weiterentwickelt. Sie konnten auf Grundlegendes aufsetzen. Doch wie lernt man von einem Projekt, das 25 Jahre zurückliegt? Zum einen durch die Dokumentation. Zum anderen, indem man Spezialisten, die am Öresund-Tunnel beteiligt waren, aufspürt und ins Team holt. „Wir haben Mitarbeiter in unser Projekt geholt, die damals an Design und Ausführung mitgewirkt haben“, sagt Gerhard Cordes, „sie haben sehr viel Know-how mitgebracht.“ Auch von anderen Absenktunnel-Projekten auf der ganzen Welt kamen Mitarbeiter. Dies ist für Cordes ein hocheffizienter Weg, Wissen zu managen. Für ihn bedeutet dieses Wissensmanagement Nehmen - und Geben. Geben für künftige Projekte. Das Wissen, das auf der Baustelle gesammelt wird, weiterreichen. Beispielsweise dokumentiert das Team jeden einzelnen Schritt und hält das Wissen fest, das es gewinnt. „Dokumentation ist essenziell bei einem solchen Projekt“, sagt Gerhard Cordes, „wir wollen aber, dass man in Zukunft auch auf dieses Wissen zugreifen kann.“ Bei Sund & Bælt (zu dieser Holding gehört auch Femern A / S) nutzt man gezielt das Wissen und die Erfahrung von Mitarbeitern, um künftige Infrastrukturprojekte umzusetzen. Durch den Einsatz erfahrener Fachkräfte wird Know-how weitergegeben. Dies stärkt nicht nur die Expertise der Mitarbeiter. Es stellt sicher, dass jedes neue Projekt auf bewährten Lösungen und kontinuierlicher Weiterentwicklung basiert. Gerhard Cordes ist ein Freund dieser Wertschöpfungskette. „Value Chain“ heißt das bei Sund & Bælt. Einige seiner Spezialisten bringen ihr Wissen bereits jetzt in ähnliche Tunnelbau-Projekte ein, die in der Holding derzeit vorbereitet werden. Dies fördert Innovation und Qualität. Für Gerhard Cordes ergibt sich so eine Kette der Generationen von Projekten. Zwischen ihren Gliedern wird das Wissen wie ein Erbe weitergegeben. So gesehen leben Projektmanager nicht nur für ihr Projekt, sondern auch für folgende. Jedes Projekt hinterlässt etwas für nachfolgende Projekt-Generationen. Vielleicht hat dies der König symbolisch ausdrücken wollen, als er seine Silbermünze in die Zeitkapsel legte. Eingangsabbildung: Stahlarbeiter montieren die Bewehrungskörbe: das Stahlskelett der späteren Beton-Tunnelelemente. Foto: Oliver Steeger projektron.de PM und E-Rechnung in einer Lösung Angebote und Angebote und E-Rechnungen Projektportfolio Ressourcenmanagement Multiprojektcontrolling Scrum, Kanban, PRINCE2 ® , IPMA, BPMN Anzeige 10 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0061 Risikomanagement beim Bau des Fehmarnbelttunnel Offene Kultur hilft beim Risikomanagement Steffen Scheurer, Oliver Steeger Risikomanagement gehört bei Großprojekten wie dem Bau des Fehmarnbelttunnels zum täglichen Geschäft. Es geht beispielsweise um technische Unwägbarkeiten, Genehmigungsfragen oder Umweltrisiken. Gerhard Cordes ist Projektdirektor bei Femern A / S, der staatlichen dänischen Projektgesellschaft, die für den Fehmarnbelt-Tunnel zuständig ist. Für ihn gilt die Devise: Alle Risiken müssen auf den Tisch und schnell, transparent und offen diskutiert werden. Diese Kultur ist Basis für effektives Risikomanagement bei dem riesigen Tunnelbauprojekt. Im Interview berichtet Gerhard Cordes, wie genau er mit seinem Team Risiken managt, wie er auch die Chancen seines Projekts nutzt-- und weshalb die offene Kommunikation es für ihn selbst einfacher macht, mit dem Druck der Risiken umzugehen. Herr Cordes, das Projekt Fehmarnbelttunnel ist das derzeit größte Infrastrukturprojekt in Nordeuropa - und ist eines der herausforderndsten Vorhaben in Europa seit langem. Es geht um eine Tunnelverbindung zwischen Dänemark und Deutschland-- und zwar auf dem Meeresgrund der Ostsee. Es wird der längste Absenktunnel der Welt. Sprechen wir über das Risikomanagement. Die technischen Risiken sind nur ein Teil der Unwägbarkeiten, die Sie managen müssen. Gerhard Cordes: Neben den technischen Herausforderungen haben wir Umweltthemen, Genehmigungsfragen und auch finanzielle Risiken, die wir alle berücksichtigen müssen. Risikomanagement ist einer der wichtigsten Bestandteile unserer täglichen Arbeit. Wir beschäftigen uns damit sehr intensiv. Uns würde interessieren, wie Sie in der Praxis diese Risiken managen. Wie gehen Sie mit ihnen in der täglichen Arbeit um? Wir haben zum Beispiel unsere regelmäßigen Meetings zum Risikomanagement, bei denen wir die einzelnen Risiken besprechen- - auf allen Ebenen im Projekt, quer durch alle Bereiche. In diesen Meetings werden die Einschätzungen von Risiken regelmäßig aktualisiert. Viele Risiken verändern sich über die Laufzeit des Projekts. Einige verschwinden, andere tauchen neu auf. Entscheidend dürfte sein, dass man sie alle auf dem Radar hat. Ja. Dies betrifft besonders die Schnittstellen zwischen einzelnen Bereichen. Manchmal wird ein Risiko doppelt in zwei Bereichen bearbeitet-… …-oder vielleicht auch gar nicht, weil eine Abteilung davon ausgeht, die andere würde sich darum kümmern. Deswegen ist es uns wichtig, ständig neu zu prüfen, ob wir Risiken richtig zugeordnet haben. In unseren Meetings werden die Risiken bewertet. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass es eintritt? Welchen Einfluss hat das Risiko auf die Termine? Und auf das Budget? Das wird in den Abteilungen sehr genau kalkuliert und ausgearbeitet. Wie gehen Sie bei der Beurteilung der Eintrittswahrscheinlichkeit vor? Wir ermitteln den „Worst Case“, den „Most Likely Case“ und den „Best Case“. Diese drei Fälle kombinieren wir mit der Eintrittswahrscheinlichkeit. Die Ergebnisse werden dann jeweils nach oben berichtet. Reportage | Offene Kultur hilft beim Risikomanagement 11 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0061 Wie verfolgen Sie die Risiken? Zunächst einmal: Die Aufgabe liegt bei denjenigen, die für das Risiko verantwortlich sind. Risiken bezüglich Betons werden beispielsweise von unserem Design Manager vertreten. Die Bereiche sind detailliert in die Themen eingearbeitet. Dort bringen die Fachleute ihre Perspektive und ihr Wissen ein. Verstanden! Wie managen Sie dann die Risiken? Wir monitoren Risiken laufend. Wir passen unsere Einschätzung der Entwicklung an und prüfen, wie sich Risiken zeitlich und finanziell auswirken. Praktisch bedeutet dies: Wir erörtern die Risiken auf monatlichen Risiko-Meetings: Wo stehen wir mit jedem Risiko? Was ist zwischenzeitlich geschehen? Hat sich das Risiko positiv entwickelt oder negativ? Brauchen wir vielleicht sogar mehr finanzielle oder zeitliche Risiko-Vorsorge? Häufig benutzen wir dafür das klassische Ampelsystem: rot, gelb und grün. Bei Ihrem Risikomanagement folgen Sie einem Bottom-up-Ansatz. Die Bereiche monitoren die Risiken und formulieren Vorschläge für den Umgang mit den Risiken. Ja, und diese Vorschläge werden auf der nächsthöheren Ebene erörtert. Möglicherweise werden die Vorschläge dort angepasst. Manchmal geht dieser angepasste Vorschlag nochmals auf die nächsthöhere Ebene. Kann es sein, dass das Top-Management die Einschätzung und Vorschläge zu einem Risiko nicht teilt? Das ist möglich. Dabei geht es aber nicht darum, dass man sich über das Risiko selbst nicht einig ist. Solange eine Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht, ist das Risiko da. Das wissen alle. Es gab bei Ihrem Projekt ein erhebliches Genehmigungsrisiko-- und zwar auf deutscher Seite. Der Planfeststellungsbeschluss, den Sie 2019 für Deutschland erhielten, war von verschiedenen Seiten beklagt worden. Dies war ein zäher Prozess. Im November 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht alle Klagen endgültig ab-- und machte den Weg für den Bau frei. Erst dann hatten Sie auf deutscher Seite Baurecht. Diese Ereignisse liegen in der Zeit, bevor ich zu diesem Projekt kam. Aber wir waren 2020 mitten in den bauvorbereitenden Arbeiten. Wir hatten schon mit den ersten Arbeiten begonnen. Wir hatten damals Vorkehrungen getroffen, mit dem Risiko umzugehen. Im Risikomanagement analysiert man nicht nur Risiken, sondern entwickelt auch Schritte, um sich gegen Risiken zu wappnen. Dies sind die sogenannten „Mitigations“, also Maßnahmen, die die Folgen des Eintritts eines Risikos mildern. Ganz klar- - wenn wir Risiken bearbeiten, ist es Pflicht, auch die Mitigations zu dem Risiko zu erarbeiten. In der Praxis kann es sein, dass wir in mehreren Schritten vorgehen. Zunächst ermitteln wir den Einfluss des Risikos auf die Kosten und die Zeit. Beim nächsten Treffen erarbeiten wir die Mitigations. Aber beides-- Risiko und Mitigations-- gehört bei uns zwingend zusammen. Der Blick auf eine der Tunnelfabrik-Hallen. Foto: Oliver Steeger Reportage | Offene Kultur hilft beim Risikomanagement 12 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0061 Sprechen wir noch über einen anderen Punkt-- die Chance. Neben Risiken ergeben sich in vielen Projekten auch Chancen. Beispielsweise tauchen Möglichkeiten auf, Budget zu sparen, Arbeiten zu beschleunigen oder die Qualität zu verbessern. Chancen-- oder international: Opportunities-- werden in vielen Projekten allerdings weniger sorgfältig bearbeitet als Risiken. Bei uns werden sie im gleichen Maß gemanagt wie Risiken. Wir haben allerdings weniger Opportunities als Risiken. Aber sie werden genauso systematisch betrachtet und bewertet wie-… …-wie auch die Risiken. Ja. Wie gehen Sie dabei vor? Wir arbeiten mit einem bauausführenden Contractor zusammen. Erkennen wir beispielsweise bei der Ausführung etwas, das wir für eine Chance halten, dann diskutieren wir sie mit unserem Contractor. Ohne ihn geht es nicht. Sie ordnen also nicht an, einen Weg zu verfolgen, der Ihnen chancenreicher erscheint? Sehr selten. Wir sprechen offen über die Chancen. Der Contractor hat ja häufig auch Interesse daran, Chancen zu ergreifen. Er profitiert ebenfalls von Chancen-- nicht nur wir. Risiken werden von manchen als bedrohlich empfunden. In einigen Projekten bleiben Risiken sogar völlig unter dem Teppich. Oder-- häufiger-- man passt Risiken dem Risikobudget an. Risiken werden kleingeredet, damit sie das Risikobudget nicht sprengen. So etwas ist aus meiner Sicht problematisch. Alle Risiken müssen auf den Tisch. Anderenfalls ergibt Risikomanagement keinen Sinn mehr. Man darf nicht Risiken so reduzieren, dass sie beispielsweise in das Budget passen oder beim Top-Management keine Unruhe auslösen. Das wäre doch sehr kurzsichtig! Was sind aus Ihrer Sicht die Erfolgsfaktoren für gutes Risikomanagement? Zwei Punkte: Sensibilisierung und Kommunikation. Zum einen müssen alle sensibilisiert werden, Risiken zu erkennen und auf den Tisch zu legen. Das funktioniert nach dem Prinzip: You see it, you own it. Wer ein Risiko entdeckt, ist verantwortlich dafür, dass er es kommuniziert. Insofern ist jeder ins Risikomanagement involviert. Zum anderen: Es darf keine Scheu geben, Risiken zu kommunizieren und sie offen zu diskutieren. Diese Kultur muss dann auch nach oben hin transparent sein. Als Projektdirektor bringen Sie viel Erfahrung für Großprojekte mit. Im mittleren Osten haben Sie beispielsweise den Neubau eines Stadtteils mit 6.000 Wohnungen geleitet, ein Milliardenprojekt. Oder den Bau einer U-Bahn in Bahrein mit 21 Tunnelbohrmaschinen und 90 Kilometern Röhre, parallel dazu einen sechsspurigen Highway. Dort haben wir die Risiken ebenso transparent und offen diskutiert wie hier am Fehmarnbelt. Ich denke, dass dies ein wichtiger Teil der Projekterfolge ist. Wir haben Risiken sehr früh analysiert und gemanagt. Denn geht eine Baustelle aufs Ende zu-- dann sind Risiken nur noch sehr schwer zu beherrschen. Wie bringt man diese offene Kultur ins Projekt? Indem man als Führungskraft selbst Vorbild ist und Signale setzt. Die transparente Kultur für Risikomanagement muss von oben gelebt werden. Das Team muss sie erleben. Erleben-- inwiefern? Ein Beispiel: Auf unseren ersten Risiko-Meetings haben wir gefragt, welche Risiken wir bearbeiten werden. Es ging darum, erstmals Risiken zu benennen. In diesem Moment ist es sinnvoll, wenn die Projektleiter selbst die ersten Risiken auf den Tisch bringen. Dann erkennen die Mitarbeiter, dass ihre Vor- Durch Pipelines werden Baustoffe zur Fabrik transportiert. Foto: Oliver Steeger Reportage | Offene Kultur hilft beim Risikomanagement 13 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0061 gesetzten kein Problem mit der Diskussion haben. Das gleiche gilt übrigens auch für Fehler. Wer Fehler macht, muss sie offen kommunizieren- - damit wir an der Lösung arbeiten können. Fehler werden dann problematisch, wenn man nicht über sie spricht. Auch hier ist es gut, wenn der Vorgesetzte selbst seine Fehler kommuniziert. Die Mitarbeiter merken: „Oh, der Chef macht es auch-…“ Richtig. Und das hilft dann immens. Risiken sind nicht jedermanns Sache. Es gibt Menschen, die Risiken um den Schlaf bringen. Wie gehen Sie persönlich mit diesem Druck um? Ich nehme Risiken selbstverständlich ernst. Sie sind Teil des Geschäfts, und ich gehe mit ihnen professionell um. Aber ich lasse mich nicht von ihnen verrückt machen. Für mich persönlich ist die offene Kommunikation eine wichtige Unterstützung. Alle sind ins Risikomanagement involviert, wir kommunizieren bis ins Top-Management offen darüber- - dies macht es für mich leichter, Risiken als professionellen Teil meiner Rolle zu sehen und mit ihnen zu leben. Eingangsabbildung: In der Betonierabteilung werden Tunnelelemente erstellt-- fast wie am Fließband. Foto: Oliver Steeger Gerhard Cordes Gerhard Cordes ist seit 2021 Projektdirektor bei Femern A / S, der staatlichen dänischen Projektgesellschaft, die für den Fehmarnbelt-Tunnel zuständig ist. Er ist verantwortlich für die Planung und den Bau des Absenktunnels sowie der dazugehörigen Produktionsanlagen. Nach dem Bauingenieur-Studium an der TU Braunschweig hatte er zunächst als Statiker in einem Ingenieurbüro gearbeitet, bevor er zum Baukonzern Bilfinger Berger wechselte. Dort war er mehr als 17 Jahre maßgeblich an diversen Großprojekten im In- und Ausland beteiligt, wie z. B. dem Bau der Mittellandkanalbrücke über die Elbe in Magdeburg und der Errichtung von „Barwa City“ in Katar. Nach seiner Zeit bei Bilfinger Berger verantwortete er als Projekt Direktor den Bau von drei Linien der Doha Metro und arbeitete als COO in Bahrain für eine führende bahrainische Unternehmensgruppe. Foto: Femern A / S Buchtipp UVK Verlag - Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany \ Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ info@narr.de \ www.narr.de Besprechungen gehören unweigerlich zum Berufsleben. Doch wie kann man sie wirksam gestalten. Prof. Dr. Ronny Baierl verrät in diesem Ratgeber, was vor, während und nach einem Meeting zu beachten ist. Er erklärt anschaulich und kompakt, wer an einem Meeting tatsächlich teilnehmen sollte, wie Teilnehmende mit Ablenkung umgehen sollten und was auf ein erfolgreiches Meeting unbedingt folgen muss. Das Buch richtet sich an (Young) Professionals aller Hierarchieebenen, die ihre Meetings künftig wirksamer gestalten möchten. Ronny Baierl Wirksame Meetings Leitfaden für erfolgversprechende Besprechungen 1. Au age 2025, ca. 150 Seiten €[D] 24,90 ISBN 978-3-381-13161-7 eISBN 978-3-381-13162-4 erscheint: 12/ 2025 Anzeige 14 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0062 Die Verbindung zwischen Strategie und Projektportfolio Portfoliomanagement bei der Charité-- Universitätsmedizin Berlin Oliver Steeger, Steffen Scheurer Neue Behandlungsmethoden, Digitalisierung, Kostendruck und politische Weichenstellungen- - das deutsche Gesundheitssystem befindet sich in rasantem Wandel. Mittendrin Kliniken wie die Charité- - Universitätsmedizin Berlin. Die Berliner Vorzeige-Klinik hat das Heft in die Hand genommen: mit ihrer „Strategie 2030“, einem strategischen Projektportfolio und vorbildlichem Portfolio-Management. „Bei uns gibt es ein bereichsübergreifendes, an unserer Strategie orientiertes Portfoliomanagement“, erklärt Etelka Wenzel, Leiterin des Project Management Office der Charité. Ihre Kollegin Julia Catherine Kallenberg verantwortet das Programm „Digitalisierung der Krankenversorgung“, ein bedeutendes Element im Portfolio. Im Interview erklären sie detailliert, wie das Portfolio gemanagt wird, wie es an die Organisation angebunden ist-- und weshalb ein Projektportfolio im Gesundheitswesen anders funktioniert als in der Wirtschaft. „Wir denken Gesundheit neu“-- so überschreibt die Charité ihre „Strategie 2030“. Das Gesundheitssystem in Deutschland wandelt sich-- und dies gilt besonders für Kliniken. Bei der Charité setzen Sie diese Strategie auch mit Projekten um. Sprechen wir darüber aus Sicht des PMOs. Was bedeutet diese Strategie für Ihr Projektportfolio? Etelka Wenzel: Die Strategie wurde 2020 beschlossen. Aus ihr leitet sich eine Vielzahl relevanter Projekte ab, deren Umsetzungserfolg einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der strategischen Ziele leistet. Gleichzeitig entstehen aus dem operativen Tagesgeschäft wichtige Projekte, die ebenfalls zum Erfolg geführt werden müssen. Um sicherzustellen, dass die richtigen Projekte zur Durchführung ausgewählt und diese dann professionell umgesetzt werden, hat sich damals der Vorstand auch entschieden, den Geschäftsbereich Projektmanagement zu gründen-- unter der Leitung von Martin Oelschlegel, einem erfahrenen Manager der Charité. Der Geschäftsbereich besteht aus einem PMO und einer kleinen Gruppe zentraler Projektmanagerinnen und Projektmanager. Im PMO entwickeln wir Standards und passen diese bedarfsorientiert an, organisieren die Governance, vermitteln Kompetenzen und unterstützen Projektleitungen-… … und betreuen vor allem das Projektportfolio, Ihre sogenannten „C-Projekte“-- also Charité-Projekte, deshalb das „C“. Etelka Wenzel: Unser Portfolio enthält tatsächlich eine große Anzahl an sehr unterschiedlichen Projekten und Projektarten vor: also nicht nur die gesetzlich geforderten IT-Projekte-… …-Stichwort „Digitalisierung im Gesundheitswesen“ Etelka Wenzel: …- sondern auch beispielsweise Organisations- oder Prozessprojekte. Forschungsprojekte und Bauprojekte gehören ausdrücklich nicht in unser Portfolio; sie unterliegen anderen Rahmenbedingungen oder folgen einem anderen Regelwerk. Uns ist diese Abgrenzung wichtig. In unserem Portfolio finden sich überwiegend Projekte, die wir als Organisation nutzen, um uns strategisch zu verändern. Wie darf ich mir diese Verbindung zwischen Strategie und Projektportfolio genau vorstellen? Etelka Wenzel: An der Charité haben wir einen Geschäftsbereich „Strategische Entwicklung“. Dieser Geschäftsbereich verantwortet nicht nur die Strategiebildung. Er übersetzt auch die Strategie in Bausteine, priorisiert diese Bausteine und liefert sie gewissermaßen ans PMO. Wir im PMO schlagen auf dieser Basis Programme und Projekte vor, die wir in unser Wissen | Portfoliomanagement bei der Charité-- Universitätsmedizin Berlin 15 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0062 Portfolio aufnehmen. In diesem Portfolio befinden sich neben strategischen Vorhaben auch aktuelle Must-have-Projekte. Darunter verstehen wir beispielsweise notwendige IT-Projekte, um Software zu erneuern. In Summe haben wir eine dreistellige Zahl von Projekten und Programmen im Portfolio. Nochmals zur Strategie. Es gibt eine direkte Verbindung zwischen Strategie und Portfolio. Darf man dies so verstehen, dass Sie Ihre Strategie ausdrücklich durch Programme und Projekte umsetzen? Etelka Wenzel: Die Strategie wird in großen Teilen über Programme und Projekte umgesetzt, wie Sie gesagt haben. Das Portfolio wird im Portfolioboard gesteuert, welches vom PMO organisiert wird. Diese Strategie stammt aus dem Jahr 2020. Seither sind fünf Jahre vergangen. Wir alle wissen, wie volatil, teils sprunghaft die Gesundheitspolitik ist. Zudem führt der medizinische Fortschritt laufend zu neuen Behandlungskonzepten. Ich vermute, dass man die Strategie im Detail nachsteuert-- und damit auch das Portfolio laufend anpasst. Etelka Wenzel: Richtig! Wir haben bei der Entwicklung des Portfolios nicht beabsichtigt, die Projekte für die nächsten zehn Jahre detailliert zu planen. Damit hätten wir nur Energie und Zeit verschwendet. Wir passen selbstverständlich das Portfolio laufend an. Wie funktioniert diese Anpassung im Detail? Etelka Wenzel: Wir sind im Portfoliomanagement mit einem jährlichen Planungsprozess gestartet - wir haben also jährlich das Portfolio mit der Strategie abgeglichen. Moment! Kann man heute wirklich noch für ein Jahr planen? Medizin und Gesundheitssystem wandeln sich schnell. Etelka Wenzel: Genau. Wir müssen auf Entwicklungen reagieren können. Und auch wenn wir unsere Projekte aus der längerfristigen Strategie ableiten, müssen wir dennoch Atmungsfähigkeit zulassen. Daher haben wir mittlerweile angefangen den Prozess quartalsweise durchzuführen, um unser Portfolio noch reaktionsfähiger zu machen. Die meisten Menschen verbinden mit der Charité exzellente Krankenversorgung. Etelka Wenzel: Doch die Charité ist viel mehr. Hier wird medizinisch geforscht und Forschung wird in die medizinische Praxis überführt. In der Charité wird gelehrt und ausgebildet. Entscheidend ist: Anders als in der Privatwirtschaft sind die verschiedenen Säulen sehr eng miteinander verflochten. Das heißt? Etelka Wenzel: Ein Konzern hat Unternehmenssparten, die häufig voneinander getrennt sind. Ein Technologiekonzern kann beispielsweise Kühlschränke, Medizingeräte und Komponenten für den Maschinenbau herstellen. Das können voneinander isolierte Bereiche sein. Bei Ihnen ist das anders? Etelka Wenzel: Bei uns sind die verschiedenen Säulen-- etwa Versorgung, Forschung, Lehre- - miteinander verflochten. Sie gehen Hand in Hand. Das vergrößert nicht nur die Vielfalt an Projekten-… …. sondern dürfte auch viele verschiedene Interessengruppen mit sich bringen, denen Sie im Portfolio gerecht werden müssen. Wie bilden Sie die Vielfalt in Ihrem Portfolio ab? Etelka Wenzel: Durch übergreifende Gremien. Auftraggeber des Portfolios ist unser Vorstand. Im sehr übertragenen Sinne beauftragt die Gesamtorganisation über das Vorstandsgremium das Portfolio? Etelka Wenzel: Wir haben eine sehr hohe Transparenz in unserer Organisation. Die Strategie 2030 wurde mit Beteiligung aller Gruppen entwickelt. Sie ist in der Organisation bekannt. Wir übersetzen also eine Strategie in Projekte, die partizipativ mit der Organisation erarbeitet wurde. Wie zeigt sich das konkret? Etelka Wenzel: Ein Beispiel dazu. Angenommen, jemand hat eine Idee für ein Projekt. Die Strategie ist bekannt und man kann für sich überlegen, ob das Projekt zu dieser Strategie passt. Zudem ist bekannt, wer die einzelnen Strategiebausteine entwickelt. Man kann sich also mit einer Idee an diese Kolleginnen und Kollegen wenden. Oder man kann uns im PMO ansprechen; Dann wählen wir die richtigen Kommunikationskanäle und stellen Kontakte her. Julia Kallenberg: Ein anderes Beispiel aus der Krankenversorgung. Wir arbeiten eng mit anderen Geschäftsbereichen zusammen, wenn es um die Entstehung von Projektideen geht. Das Team um unseren Chief Medical Information Officer (CMIO) begreift sich als kommunikative Brücke zwischen klinischen Mitarbeitern und dem GB IT. Wir haben beispielsweise Workshops durchgeführt, um solche Wünsche und Schmerzpunkte systematisch zu erfassen. Wir versuchen herauszufinden, an welchen Stellen der Schuh drückt. Es kann dann sein, dass wir eigene Projekte aufsetzen oder die Ideen in andere Projekte mit einfließen lassen. Damit ist der Organisation klar, dass wir sie beteiligen und ihre Projektideen umsetzen-- sofern dies möglich ist. Sofern dies möglich ist, sagen Sie. Ressourcen sind bekanntlich begrenzt. Anderenfalls bräuchte man kein Portfoliomanagement. Mit anderen Worten: Sie werden nicht jedes Wunschprojekt umsetzen können. Etelka Wenzel: Auch bei uns sind personelle Kapazitäten und Finanzmittel limitiert. Wir müssen Prioritäten setzen. Falls Wunschprojekte keine Priorität bekommen können, hilft nur der Dialog. In diesem Zusammenhang ist es aus meiner Sicht wichtig zu zeigen, woran bereits gearbeitet wird. Der gemeinsame Kenntnisstand schafft eine Grundlage für Verständnis - auch Verständnis dafür, warum man nicht alles zur gleichen Zeit aufgreifen kann. Wissen | Portfoliomanagement bei der Charité-- Universitätsmedizin Berlin 16 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0062 Mich interessiert das Management des Portfolios näher. Ich habe verstanden, dass der Vorstand als Gremium Auftraggeber Ihres Portfolios ist. Wie kommunizieren Sie mit ihm? Gibt es ein klassisches Portfolioboard? Etelka Wenzel: In unserem Portfolioboard sind Mitglieder aus der Fakultät, dem Klinikum, dem Berlin Institute of Health (BIH) und der Verwaltung vertreten. Dieses Gremium tagt monatlich. Es trifft die operativen Entscheidungen zum Portfolio. Parallel dazu informieren wir unseren Vorstand. Wie darf ich mir die Zusammenarbeit mit dem Portfolioboard konkret vorstellen-- zum Beispiel beim Berichtswesen? Etelka Wenzel: Für das Berichtswesen haben wir einen schlanken Standard. Er passt für alle Projektarten im Portfolio-- und kann sowohl auf der Ebene des Portfolios als auch für Programme und einzelne Projekte genutzt werden. In den Berichten erfragen wir mit einem Ampelstatus-System, wo Programm oder Projekt hinsichtlich Leistung, Termine und Kosten steht. Die Berichte umfassen außerdem Angaben beispielweise zu aktuellen Projektthemen und Fortschritten, zu zurückliegenden und anstehenden Schritten im Projekt sowie zu Risiken und Entscheidungsbedarf. Das ist eine recht einfache Struktur. Sie sprachen vom Ampelsystem. Angenommen, eine Ampel steht auf rot. Was bedeutet das für Sie? Etelka Wenzel: Dann gehen wir als PMO aber auch die Programmleitungen in ein Programm oder Projekt hinein. Wir sprechen mit den Projektleitungen und klären die Ursachen für den Status. Wir suchen Antworten auf die Frage, ob die Probleme noch im Projekt oder Programm selbst gelöst werden können - oder ob es die Unterstützung einer höheren Ebene bedarf. Je nach Ergebnis wird dann das Thema im Portfolioboard erörtert. Vorhin sprachen Sie von den monatlichen Sitzungen des Portfolioboards. Sie sagten auch, dass Sie eine dreistellige Zahl von Programmen und Projekten in Ihrem Portfolio haben. Vermutlich werden Sie auf der Sitzung nicht jedes einzelne Vorhaben ansprechen können. Etelka Wenzel: Bei der Größe unseres Portfolios ist es nicht möglich, alle Entscheidungen zu Einzelprojekten im Portfolioboard zu treffen. Für diese haben wir weitergehende Strukturen geschaffen. Darüber hinaus ist das Portfolio mehr als die Summe seiner Teile. Wir haben die Ausrichtung unseres Portfolios im Blick. Und aus dieser Perspektive betrachten wir einzelne Teile. Verstanden! Aber wie verdichten Sie im PMO die Informationen so, dass Sie im Board wirklich nur das Portfolio diskutieren? Dass Sie sich am Ende nicht in Einzelprojekten verlieren? Etelka Wenzel: Das genau ist unsere Herausforderung. Wir informieren über den Stand des Portfolios. Wo stehen wir mit der Gesamtheit der Projekte? Wo sehen wir Handlungsbedarf? Wir kondensieren Informationen hoch. Dabei ist uns wichtig, dass trotzdem maximale Transparenz herrscht. Inwiefern maximale Transparenz? Etelka Wenzel: Jedes Mitglied des Boards hat Zugriff auf die Berichte einzelner Programme und Projekte. Sie können jedes Dokument lesen - vorausgesetzt, sie haben die Zeit dafür. Ich vermute, dass die wenigsten dafür Zeit haben-… Etelka Wenzel: Manche Mitglieder sichten Einzelberichte, wenn sie den Eindruck haben, dass sie in diesem spezifischen Fall einen Beitrag leisten können. Doch generell gilt: Wir verstehen, dass dafür vielfach die Zeit fehlt. Also Transparenz auch als eine vertrauensbildende Maßnahme? Vertrauen in die Arbeit des PMOs, wenn man als Boardmitglied selbst nicht mehr alle Informationen verarbeiten kann? Etelka Wenzel: Ja, Transparenz schafft Vertrauen. Und weitere Bausteine für Vertrauen sind Verlässlichkeit und Neutralität. Bei der Verlässlichkeit spielen Standards - also Regelwerke - eine wichtige Rolle. Standards bringen Verlässlichkeit ins Projektmanagement. Augenblick! Eben sprachen Sie im Zusammenhang mit Berichten davon, die Standards schlank zu halten-… Etelka Wenzel: Wir versuchen, Regulierung und Schlankheit miteinander auszubalancieren. Das ist nicht immer einfach. Strukturen sind nicht jedermanns Sache. Man weiß, dass Strukturen, die als Zwang empfunden werden, die Akzeptanz eines PMOs vermindern. Etelka Wenzel: Man darf aber dabei eines nicht vergessen: Diese Standards unterstützen auch die Arbeit unserer Projektleitungen. Aber darüber hinaus unterstützen wir unsere Projektleitungen aktiv auf vielfältige Weise: mit Wissen oder praktischen Services-- diese erhöhen die Akzeptanz des PMOs. Eben nannten Sie auch Neutralität. Was ist damit gemeint? Etelka Wenzel: Als PMO sind wir neutral und haben keine Eigeninteressen hinsichtlich der Portfolioinhalte. Ausdrücklich und für jedermann sichtbar keine „hidden agenda“? Etelka Wenzel: Exakt. Wir wollen nicht, dass gewisse Projekte Priorität bekommen und andere nicht. Auch haben wir keine inhaltliche Nähe zu einem bestimmten Vorstandsbereich oder zu einer Berufsgruppe. Wir verstehen uns als neutrale Instanz. Das ist bei einer so großen Organisation wie der Charité ein wichtiges Signal! Wir haben bislang das Projektportfolio betrachtet. Ich möchte auf die Bestandteile des Portfolios zu sprechen kommen, auf die Programme und Projekte. Damit sind wir bei Ihren Themen, Frau Kallenberg. Sie leiten das Programm „Digitalisierung der Krankenversorgung“. Es handelt sich um ein Programm mit einer zweistelligen Zahl von Projekten, darunter Projekte wie die Einführung des E-Rezepts oder der digitalen Patientenakte, ePA. Julia Catherine Kallenberg: Genau. Neben Projekten, die auf eine effiziente Grundlagenstruktur einzahlen, sind die zwei Wissen | Portfoliomanagement bei der Charité-- Universitätsmedizin Berlin 17 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0062 inhaltlichen Säulen des Programms die Umsetzung des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG) und die Operationalisierung der Telematik-Infrastruktur (TI). Die Projekte in meinem Programm sind unterschiedlich groß - und haben daher auch einen unterschiedlichen Dialogbedarf mit mir. Mit manchen Projektleitenden tausche ich mich wöchentlich aus, mit anderen alle zwei Wochen, mit wieder anderen nur je nach Bedarf. Darüber bekomme ich Einblicke zum jeweiligen Projektstand und erfahre frühzeitig von etwaigen Hindernissen. Erkenne ich, dass ein bestimmtes Hindernis in mehreren Projekten auftritt - dann bringe ich dies vor den Lenkungsausschuss meines Programms. Ich setze mich auch mit dem PMO in Verbindung; es könnte ja sein, dass ähnliche Hindernisse auch in anderen Projekten oder Programmen auftauchen. Augenblick! Sie haben von einem Lenkungsausschuss gesprochen. Dies heißt, dass Sie für Ihr Programm ebenfalls ein Gremium haben-- so, wie das Portfolio das Portfolioboard hat? Julia Catherine Kallenberg: Ja. In dem Lenkungsausschuss für mein Programm sind Mitglieder der Klinikumsleitung. Diesem Ausschuss präsentiere ich den Fortschritt des Programms, das ja mehr als die Summe seine Projekte ist. Ähnlich wie beim Portfolio geht es hier weniger um Einzelprojekte, sondern mehr um die Relevanz von Einzelprojekten für das Programm und besonders auch projektübergreifender Klärungsbedarfe. Über die Gespräche mit meinen Projektleitenden hinaus bekomme ich aus jedem Projekt des Programms monatlich einen Statusbericht. Diese Berichte verdichte ich zu einem Bericht über mein Programm. Verdichten-- wie darf ich mir dies vorstellen? Julia Catherine Kallenberg: Dazu ein Beispiel. Angenommen, in einem Projekt steht eine Ampel von Leistung, Termin oder Kosten auf rot. Dann kläre mit der Projektleitung die Ursachen. Können wir die Probleme innerhalb des Projekts lösen, ist dies kein Fall für den Lenkungsausschuss. Hat aber die Problemlösung Wirkung auf das Programm, indem beispielsweise Ressourcen von einem Projekt zum anderen bewegt werden - dann wird dies im Lenkungsausschuss erörtert. Gleiches gilt, wenn wir inhaltliche Richtungsentscheidungen oder Unterstützung von höherer Ebene brauchen. Etelka Wenzel: Solange das Programm selbst mit Ressourcenkonflikten umgehen kann, entscheidet der Lenkungsausschuss. Er kann das Programm beispielsweise refokussieren. Stellen wir aber fest, dass das Programm in Summe mehr Zeit braucht und damit Ressourcen über längere Zeit bindet - dann ist dies ein Thema vom Portfolioboard. Es handelt sich oft um ein zweistufiges Verfahren. Ein Projekt oder Programm kann inhaltliche Entscheidungen treffen. Wenn diese Entscheidungen aber Auswirkungen auf die nächsthöheren Ebenen haben, bedarf es der Abstimmung. Julia Catherine Kallenberg: In Absprache mit dem PMO können wir beispielsweise Änderungsanträge für Einzelprojekte oder das gesamte Programm stellen, die dann im Portfolioboard entschieden werden. Eine allgemeine Frage: Welche Vorteile haben Sie davon, dass Sie verschiedene Projekte unter den Schirm eines Programms stellen? Julia Catherine Kallenberg: Ein Vorteil ist der Lenkungsausschuss, den wir eben erwähnt haben. Es gibt damit ein Gremium, das regelmäßig tagt, entscheiden kann und auch bei der Eskalation von Themen unterstützt. Dieses Gremium ist eine echte Hilfe. Eine Leitung eines Einzelprojekts müsste sonst womöglich selbst ein Gremium aufbauen. Und aus Sicht des Lenkungsausschusses bzw. unseren inhaltlichen Product Ownern als Strategiebaustein-Verantwortlichen: Einzelfragen von Projekten werden reduziert. In einem Programm können wir dies alles filtern und bündeln, mit den Product Ownern vorbesprechen - und dann an den Ausschuss herantragen. Ein weiterer Vorteil ist: Die IT-Projekte, die in meinem Programm sind, brauchen extrem viel Wissen, neben projektspezifischem Fachwissen wird eine hohe Kenntnis operativer Prozesse der Charité benötigt: von Ausschreibung zu Beschaffung und Projektfreigaben durch verschiedene Gremien vor Produktivsetzung. Einzelne Projektleitungen werden dieses Wissen nicht haben. Im Programm können wir dieses Wissen aufsammeln und anderen Projekten verfügbar machen. Wir können beispielsweise mit Lösungsansätzen helfen, die in einem anderen Projekt bereits zum Erfolg geführt haben und damit die Komplexität der Projektumsetzung reduzieren. Also Informationsaustausch-… Julia Catherine Kallenberg: Richtig! -- Der dritte Vorteil ist die Identifikation von Synergien und Abhängigkeiten zwischen den Projekten. Projekte müssen beispielsweise oft auf die gleichen Schlüsselpersonen zugreifen. Diese Ressourcen sind damit begrenzt. In einem Programm können wir die Schlüsselpersonen effizienter den Projekten zuordnen - und zwar aus übergeordneter Sicht. Wo liegen die Prioritäten? In welchem Projekt werden die Schlüsselpersonen gerade am dringendsten benötigt? -- Und noch ein vierter Vorteil: IT-Projekte enden zumeist mit einem Roll-out. Wenn die Softwarelösungen fertig sind, stellt sich die Frage, wie man diese optimal in die Klinik bringt. Wir haben die Möglichkeit, manche Roll-Outs zu bündeln und damit diesen Vorgang zu optimieren. Letztlich auch zum Wohle der Kolleginnen und Kollegen, die mit der neuen Software arbeiten müssen. Gestatten Sie mir eine Abschlussfrage. Künstliche Intelligenz ist ein Megatrend auch im Projektmanagement. Wo sehen Sie Chancen, KI im Management von Programmen oder Portfolios einzusetzen? Julia Catherine Kallenberg: Aus Sicht von Einzelprojekten und Programmen bietet KI Potential beim Abfassen und Auswerten von Berichten. Diese Arbeiten kosten viel Zeit. Gleiches gilt für Sitzungsprotokolle. Wir haben tatsächlich eine KI-Lösung dafür ausprobiert. Und? Julia Catherine Kallenberg: Die Lösung hat unsere Ansprüche noch nicht ganz erfüllt. Aber KI-Lösungen entwickeln sich derzeit schnell. Ich gehe davon aus, dass KI den Reportingaufwand in Zukunft reduzieren kann, sodass wir uns mehr den inhaltlichen Fragen der Projekte widmen können. - Als Programm-Leitung wünsche ich mir auf mittlere Sicht eine Wissen | Portfoliomanagement bei der Charité-- Universitätsmedizin Berlin 18 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0062 KI, die die Plausibilität von Daten prüft und gut begründete Prognosen zum zukünftigen Programmfortschritt liefern kann. Nach der Umsetzung von Änderungsanträgen könnte die KI beispielsweise die Daten sichten und prüfen, ob sich durch die Entscheidungen tatsächlich etwas verändert hat. KI ist ja sehr gut darin, Muster zu erkennen. Etelka Wenzel: Perspektivisch könnte KI auch bei der Portfolioplanung unterstützen. Wir haben dafür bereits an einem Experiment teilgenommen. Das war sehr spannend. Auch beim Support der Projekte könnte KI Unterstützung bieten, etwa erste Antworten auf Fragen von Projektleitungen geben. Die KI bietet tatsächlich viel Potential in unserem Bereich. Viel Potential-- aber? Etelka Wenzel: Wie Frau Kallenberg sagte, wir testen und experimentieren. Doch systematisch können wir KI noch nicht einsetzen. Sie muss für solche Aufgaben noch weiterentwickelt werden. Ist KI aber reif für den Einsatz, kann sie uns sehr im Management des Portfolios, der Programme und Projekte unterstützen. Eingangsabbildung: © Production Perig-- stock.adobe.com Etelka Wenzel Etelka Wenzel ist seit 2020 bei der Charité- - Universitätsmedizin Berlin tätig. Sie ist für das Project Management Office verantwortlich. Für diese Aufgabe greift die Diplom-Biologin auf langjährige Erfahrung im Projekt-, Programm- und Portfolio-Management in verschiedenen Organisationen zurück- - in der Privatwirtschaft, aber auch im Hauptamt der GPM, Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Foto: Etelka Wenzel Julia Kallenberg Die promovierte Biomedizinerin Julia C. Kallenberg ist seit März 2022 im Geschäftsbereich Projektmanagement angestellt. Zunächst hat sie als Projektleitung Digitalisierungsprojekte mit Fokus auf Krankenversorgungsprozesse umgesetzt und arbeitet mittlerweile als Programmleitung für Digitalisierungsthemen der Krankenversorgung. Zuvor war sie als Unternehmensberaterin bei der „Boston Consulting Group“ tätig. Foto: Wally Pruß_eHealth Salon_2024 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany \ Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ info@narr.de \ www.narr.de Die Welt verändert sich rasant. Das wirkt sich auch auf Arbeitsformen und -modelle aus. Simon Werther geht auf die Treiber der Entwicklung ein und stellt „New Work“ vor - leicht verständlich im Frage-Antwort-Stil. Auf Aspekte rund um die Organisation und das Management von Unternehmen sowie die Psychologie geht er ein. Auch die Gestaltung der Veränderungsprozesse lässt er nicht außer Acht. Wichtige sowie vertiefende Fragen sind hervorgehoben und Literatursowie Videotipps sind angeführt. Simon Werther, Laura Werther New Work als Normalität? Frag doch einfach! Klare Antworten aus erster Hand 1. Au age 2024, 156 Seiten €[D] 19,90 ISBN 978-3-8252-5810-8 eISBN 978-3-8385-5810-3 Anzeige 19 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0063 Perspektive: ePA-Implementierung im großen Universitätskrankenhaus Julia C. Kallenberg Je später ein Leistungserbringer [1] im Diagnose- und Therapieprozess wirkt, desto wichtiger werden sorgfältig kuratierte Vorbefunde und Arztbriefe. Unter anderem getrieben durch zunehmende Multimorbidität muss der Aktenordner voll Gesundheitsdaten einer Struktur weichen, die eine Datenanalyse vereinfacht. Abhilfe kommt durch die ePA im Opt-Out- Verfahren als größtes IT- und Prozessprojekt, das sektorenübergreifend Arbeitsabläufe neu ordnet und Patient: innen in ihre Behandlungen einbindet. Die ePA-Einführung an der Charité- - Universitätsmedizin Berlin erfolgt(e) mit einem interdisziplinären Team mit einer Projektleitung aus dem zentralen Projektmanagement und Vertreter: innen aller beteiligten Berufsgruppen. Die frühzeitige und standardisierte ePA-Nutzung (noch als Opt-In ePA) hat die Chance geboten, Prozesse unter geringer Last einzuüben und sich mit den teilweise sehr komplexen Fehlerbildern vertraut zu machen. Das Prinzip „kleine Schritte“ ermöglicht frühes Feedback und minimiert Risiken, unter anderem auch bzgl. der Auswahl relevanter Dokumente entlang des Prinzips „Qualität vor Quantität“. Eine redundante Anbindung an die TI-ePA soll eine hohe Verfügbarkeit sicherstellen und zusätzlich prozessuale Vorteile bieten. Die ePA ist gekommen, um zu bleiben. Damit sich die ePA für alle Seiten als unverzichtbarer Gesundheitsbegleiter (Health Companion) etabliert, muss der Mehrwert für alle erlebbar werden. Entscheidend ist auch eine Gesetzgebung, die weniger Interpretationsaber mehr Gestaltungsspielraum den klinischen Akteuren übergibt und gleichzeitig die Patient: innen zu eigenständigen Verwaltern Ihrer Dokumente macht. 1 Ausgangssituation im Klinikalltag Viel Zeit für Administration durch klinisches Personal Practice: Planung & Steuerung Klinisches Personal verbringt einen signifikanten Teil seiner Arbeitszeit mit Dokumentation-- zwischen 3-4 Stunden täglich sind keine Seltenheit. Gleichzeitig ergeben Untersuchungen, dass rund 1 / 5 aller Behandlungsfehler auf nicht vorliegende Vorbefunde zurückzuführen sind. Um dieses Risiko zu minimieren, investiert unser Krankenhauspersonal Zeit, indem sie Zuweiser anrufen, sich Befunde direkt faxen oder per KIM [2] zusenden lassen oder-- zu Lasten der jeweiligen Termin- & Behandlungsplanung- - fehlende Diagnostik erneut durchführen lassen. Allein die Vorstellung, dass dieses wertvolle Personal ähnlich wie Patient: innen mit Terminwunsch in Warteschleifen hängen oder schlicht „nicht durchkommen“, zeigt wie dringend eine durchgängig geführte, sektorenübergreifend einsehbare digitale Patientenakte ist, die nicht vergessen werden kann. Je später ein Leistungserbringer im Behandlungsprozess wirkt, desto wichtiger werden also die sorgfältig kuratierten Vorbefunde und Arztbriefe, um möglichst bedarfsgerecht und effizient die Behandlung durchzuführen. Für diverse Krankheitsbilder gibt es daher an der Charité-- Universitätsmedizin Berlin Einheiten, die vor Erstbesuch der Patient: innen die Erfassung der nötigen Daten und Befunde begleiten. Erst wenn diese vorliegen, erfolgt der Ersttermin. Komplexität vermeidet Patient: innen-Partizipation Practice: Qualität Zunehmende Komplexität der Behandlungen, z. B. durch moderne Behandlungsansätze, elaborierte Diagnostik und- - vor allem- - die ansteigende Multimorbidität der Patient: innen macht es selbst gewissenhaften Patient: innen oder Angehö- Wissen | Perspektive: ePA-Implementierung im großen Universitätskrankenhaus 20 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0063 rigen kaum möglich, den Überblick zu behalten- - der Aktenordner voller Befunde und Rezeptkopien muss einer Struktur weichen, die eine möglichst teilautomatisierbare Datenanalyse vereinfacht. 2 Weichenstellung für die bundesweite ePA- Nutzung Perspective: Strategie & People: Beziehung & Engagement Genau bei dieser Thematik setzt das „bundesweit größte IT- Projekt im Gesundheitswesen“ (frei zitiert von der gematik GmbH) mit der Einführung der Patient: innen-geführten elektronischen Patient: innenakte an. Die ePA startete im Januar 2021 und für Krankenhäuser im Januar 2022 mit einer Anlage und Nutzung auf Wunsch (Opt-In). Bis zur Umstellung auf die Opt-Out ePA, also der grundsätzlichen Anlage und Nutzung der ePA für gesetzlich Krankenversicherte wurden lediglich rund 2 % der Versicherten mit einer ePA-Akte ausgestattet [3], mit einer noch geringeren tatsächlichen Nutzung. Solch geringe Nutzungsraten bremsten eine konsequente technische Weiterentwicklung der bisherigen Software-Angebote und insgesamt den Mehrwert für Patient: innen, Angehörige und medizinische Leistungserbringer. Dabei ging Deutschland den Weg des hohen Widerstands, wie auch weitere europäische Beispiele (Abbildung 1) und nicht zuletzt die geringe Partizipation an z. B. Organspendeausweisen zeigen. Die nötige und ab Mitte Januar 2025 erfolgte Umstellung auf Opt-Out hat der ePA zu beispielloser Dynamik verholfen. Innerhalb von wenigen Wochen wurden Schätzungen zufolge rund 95 % der gesetzlich Versicherten mit einer ePA ausgestattet [4]. Private Krankenversicherungen ziehen sukzessive nach, sodass der PKV-Bundesverband von einer signifikanten ePA-Nutzung durch PKV- Versicherte bis Ende 2025 ausgeht. Alle diese Akten bringen von der ersten Minute an einen echten Mehrwert: die sogenannte elektronische Medikationsliste, d. h. alle Medikamente, die elektronisch verordnet wurden, landen automatisch und stets aktuell in der ePA- - ohne dass dazu jemand einen zusätzlichen Handschlag tun muss. Für einen durchschlagenden Nutzen müssen diese Akten aber noch viel mehr „gefüttert“ werden-- dies kann durch Patient: innen erfolgen, soll aber besonders vom medizinischen Personal als Gesundheitsdatenplattform genutzt werden. Damit ist die ePA-Implementierung mehr als nur das größte IT-Projekt im Gesundheitswesen. Es ist vor allem ein Prozessoptimierungsprojekt, das sektorenübergreifend Arbeitsabläufe neu ordnet und Patient: innen in ihre Behandlungen einbindet. Für eine Partizipation auch von Patient: innen braucht es regelmäßige Einsichtnahmen in die Akte. Dies kann beispielsweise dadurch motiviert werden, dass noch weitere Anwendungen wie ein Messengerdienst, Symptomchecker etc. auf der Plattform ihre Heimat finden. Es zeigt sich, dass die ePA damit ein „Sammelort“ für weitere Fachanwendungen Telematik-Infrastruktur (TI) werden wird. 3 Projektorganisation, Governance & Pilotierung Projektorganisation in fachanwendungsspezifischen Projekten Perspektive: Governance Die verschiedenen Zeitleisten für die Einführung der TI und ihrer Fachanwendungen, die nötige Beteiligung diverser Berufsgruppen sowie die unterschiedlichen Workflows/ Prozesse, die durch die neuen TI-Fachanwendung betroffen sind, begründeten den Aufsatz einzelner TI-Projekte für die jeweiligen TI-Fachanwendungen (Abbildung 2, Abkürzungen, siehe [I]). Basistechnologien und -hardware werden dabei von allen Projekten genutzt, einzelnen Diensten (z. B. KIM) werden sukzessive weitere Anwendungsfälle hinzugefügt. Aus gesetzlichen Vorgaben und technischen Spezifikationen für die Umsetzung sowie Handreichungen/ Leitfäden seitens gematik, DKG und KBV werden Umsetzungsprojekte im Krankenhaus. Blaue Boxen entsprechen einzelnen Projekten mit eigener Projektleitung und Projektteams. Enge Absprachen zwischen den Projekten sind nötig und werden koordiniert durch einen inhaltlichen und technischen TI-Verantwortlichen. Einbettung der TI-Projekte in ein Digitalisierungs- Programm Die TI-Projekte sind Teil eines Programms, welches die Digitalisierung der Krankenversorgung im Fokus hat. Haupttreiber des Programm-Portfolios sind Digitalisierungsprojekte zur Umsetzung der gesetzlichen Anforderungen rund um die TI sowie um das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG), für die jeweils ein Product Owner inhaltlich hauptverantwortlich ist. Zusätzlich sind weitere, gesetzlich oder intern motivierte Projekte enthalten. Ein monatlich tagendes Entscheidungsgremium aus Abbildung 1: Internationale Opt-In/ Opt-Out Beispiele und Durchdringung, d. h. Anzahl angelegter elektronischer Gesundheitsakten (1.1); Opt-Out Umstellung mit international validiertem Erfolg für ePA-Durchdringung zeigt auch in Deutschland Erfolg (1.2); * Aktive ePAs in Deutschland; ** prozentuale Abdeckung über alle GKV-Mitglieder; Stand September 2024 (**) bzw. Juni 2025 (***) (Quelle [3, 4], Internetrecherche und eigene Darstellung.) Wissen | Perspektive: ePA-Implementierung im großen Universitätskrankenhaus 21 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0063 Vertreter: innen des Top-Managements mit klinischem Schwerpunkt unterstützt die Lösung projektübergreifender Herausforderungen und wird regelhaft über den Programmstatus sowie über einzelne Projekte informiert. Enge Abstimmung zwischen TI-Projektleitenden sowie übergreifende fachliche und technische Ansprechperson Perspective: Governance, People: Führung Die gemeinsam genutzte interne TI-Basis und gewünschte Verzahnungen zwischen den TI-Fachanwendungen erfordern eine enge Abstimmung zwischen den TI-Projektleitenden. Um sowohl neue Themen durch vorgesehene TI-Weiterentwicklungen als auch ein übergreifendes Monitoring abzusichern, sind klare Entscheidungs- und Eskalationsketten nötig. Hierfür wird auf eine regelmäßige Abstimmung zwischen den TI-Projektleitenden gemeinsam mit jeweils einer übergreifenden fachlichen und technischen TI-Ansprechperson zurückgegriffen. Die fachliche Ansprechperson fungiert als Product Owner und ist durch einen hohen Grad an interner und externer Vernetzung und C-Level-Rolle für informierte Richtungsentscheidungen prädestiniert. Interdisziplinarität und klinische Vernetzung sowie frühzeitige Testungen People: Teamarbeit; Practice: Ressourcen, Stakeholder Die ePA-Einführung an der Charité-- Universitätsmedizin Berlin erfolgt(e) mit einem interdisziplinären Team mit einer Projektleitung aus dem zentralen Projektmanagement, Vertretern der IT und aus Pflege, ärztlichem Dienst sowie klinisch-administrativen Personal. Um Prozesse möglichst nah am klinischen Alltag zu entwickeln, wurden zudem offene Einladungen an klinisches Personal ausgesprochen, an der Prozessgestaltung zu partizipieren. Durch den erheblichen, technischen Wandel der Opt-In zur Opt-Out ePA wurde ein neues Projekt zur Implementierung der neuen „ePA für alle“ angelegt. Die frühzeitige und standardisierte ePA-Nutzungsabfrage durch das administrative Patientenmanagement (noch als Opt-In ePA) bei damalig geringer Nutzungsrate hat die große Chance geboten, Prozesse unter geringer Last einzuüben und sich mit den teilweise sehr komplexen Fehlerbildern vertraut zu machen. So ist das Team durch die Erfahrung im Produktivbetrieb zu Expertenwissen gekommen, was auch bei der Einführung der ePA für alle (Opt-Out ePA) durch gezieltes Aufzeigen, welche Prozesse für den stationären Bereich tragfähig sind, und konkrete Ideen zur Nachbesserung Gold wert ist. Eine Produktivsetzung erfordert auch die Freigabe des dedizierten Steuerungsgremiums aus IT-Leitung, Product Owner, Vertretern der Klinikumsleitung und weiterer Stakeholder sowie eine Datenschutz -und Personalratsfreigabe und sicherte somit die Qualität der eingeführten Lösung und Prozesse. Insgesamt tragen die Lessons Learned aus der Opt-In Erfahrung stark dazu bei, potenzielle Herausforderungen und Risiken frühzeitig zu erkennen. Das Prinzip „kleine Schritte“ ermöglicht frühes Feedback und minimiert Risiken, unter anderem auch bzgl. der Auswahl relevanter Dokumente entlang des Prinzips „Qualität vor Quantität“. Damit hat die Charité- - Universitätsmedizin Berlin das Vorgehen in den TI-Modellregionen (Hamburg, Franken und NRW) mit der vorherigen ePA-Version vorgezogen und ihre zentralen Erkenntnisse mit den relevanten Interessensvertretern in Form von Austauschrunden und Konferenzteilnahmen geteilt [5]. 4 Technische Architektur, TI-Anbindung & Redundanz Aufbau der internen Infrastruktur für die TI- Anbindung und -Nutzung Perspective: Standards & Regularien, Compliance Um die TI-Fachanwendungen als Organisation nutzen zu können, musste zunächst intern die Bedingungen durch Beschaffung diverser Hard- und Softwarekomponenten (z. B. TI-Kartenlesegeräte, Konnektoren, elektronische Heilberufsausweise und Spezialsoftware für die einzelnen Fachanwendungen) erfolgen. Diese Basis wurde vom Projektleiter etabliert und muss regelhaft auf Funktionalität und Aktualität gemonitort werden. Dies konnte nur in enger Zusammenarbeit mit Herstellern und weiteren externen Dienstleistern erfolgen und muss als fortlaufender Prozess projektunabhängig langfristig in der Organisation verankert werden. Absicherung der ePA-Nutzung durch Redundanzanbindung Practice: Chancen & Risiken Als Universitätsklinikum sind vorangegangene Untersuchungsergebnisse anderer Leistungserbringer für die Behandlung essenziell. In einer perspektivisch immer digitaleren Welt mit der ePA als Gesundheitsdatenplattform ist damit die Zugriffsmöglichkeit in Echtzeit maßgeblich. Die TI stellt bereits heute eine für die Versorgung wichtige Plattform dar, die relevante Daten (ePA) und wichtige Funktionen (KIM, eRezept) enthält-- Abbildung 2: Gesetzliche Vorgaben und TI-Infrastruktur (Quelle: Eigene Recherche und Darstellung) Wissen | Perspektive: ePA-Implementierung im großen Universitätskrankenhaus 22 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0063 ein Ausfall bedeutet ein zunehmendes Risko für eine sichere Patient: innenversorgung. Die Charité- - Universitätsmedizin Berlin hat daher eine redundante Anbindung an die TI-ePA implementiert, um eine hohe Verfügbarkeit sicherzustellen [6]. Dies bedeutet, dass es mehrere Wege gibt, um auf die ePA zuzugreifen, falls ein System ausfällt. Gleichzeitig können im balancierten Zustand die jeweiligen Vorteile der angebundenen Systeme (z. B. Nutzung vertrauter Systeme für das klinische Personal oder Automatisierungsmöglichkeiten und strikte Freigabemechanismen im Medizinarchiv) genutzt werden. Entscheidend ist, dass beide Zugangswege im Notfall „stand-alone“ sind und eine vollumfängliche ePA-Nutzung ermöglichen. 5 Interoperabilität & zentrales Datenmanagement Zentrale Datenablage, um Dokumentenverfügbarkeit für die ePA zu gewährleisten Perspective: Organisation, Information & Dokumentation In einer so komplexen Applikationslandschaft wie sie bei Universitätskliniken durch Spezialsoftwares etc. anzutreffen ist, ist eine möglichst zentrale Datenhaltung absolut entscheidend. So wäre der Aufwand der Implementierung, Betreuung und Bedienung jeweils einzeln angebundener Applikationen an die ePA viel zu hoch und faktisch nicht realisierbar. Die zentrale Datenablage (wie das Klinikinformationssystem und/ oder das Medizinarchiv) stellt sicher, dass relevante Dokumente in die Patient: innen-ePA ohne hohen Migrationsaufwand verfügbar gemacht werden können. Im Zielbild braucht es für alle Leistungserbringer eine interne Datenplattform analog zur sich entwickelnden ePA-Datenplattform mit strukturiertem Datenaustausch zwischen beiden Systemen. Heute werden- - neben der sich automatisch aus den eRezept-Verordnungen befüllenden elektronischen Medikationsliste (eML)- - primär PDF-Dokumente ausgetauscht, dabei müssen sich die von Patient: innen bereitgestellten, behandlungsrelevanten Dokumente in die bisherige Datenstruktur einfügen (also z. B. mit eindeutiger ID und primärer Speicherung im Medizinarchiv). Sicherung der Datenqualität durch Nutzung bisheriger Freigabemechanismen Practice: Qualität Eine Kopplung der Verfügbarkeit von Gesundheitsdaten für die Bereitstellung in die ePA mit bisherigen Freigabemechanismen sichert die Qualität. So werden Laborbefunde beispielsweise vor Bereitstellung für die Behandelnden durch Laborärzt: innen oder Arztbriefe/ Entlassbriefe durch führendes ärztliches Personal kontrolliert und danach freigegeben. Durch die Nutzung eines Systems, was nur freigegebene Dokumente enthält oder die Kopplung der ePA-Übertragung für Daten mit Freigabekennzeichen, können diese bestehenden qualitätssichernden Prozesse genutzt werden. 6 Organisatorische Verankerung durch Prozessintegration & Arbeitsentlastung in Verknüpfung mit weiteren Technologien Practice: Chancen & Risiken, Change & Transformation Zentraler Faktor für eine nachhaltige klinische Implementierung ist die Integration in bestehende Prozesse und Workflows. Nahtlos geht dies für die ePA allerdings nicht vonstatten, da diese eine direktere Partizipation der Patient: innen erfordert. Bis die ePA flächendeckend etabliert ist und für eine ausreichende Dauer longitudinal mit Gesundheitsdaten bestückt wird (und auch die Hinterlegung von Dicom-Bilddateien erlaubt), wird es Doppelprozesse geben: die Sichtung von Papierdokumenten, Dicom-Bilddateien auf physischen Datenträgern oder abrufbar in der Cloud und von ePA-Dokumenten. Diese Doppelprozesse so schnell wie möglich abzulösen, muss oberste Maxime für das gesamte Gesundheitswesen sein und kann vor allem durch eine möglichst weitgehende Vermeidung von Papierausdrucken bei gleichzeitiger ePA-Bereitstellung sein, sofern dies für die jeweiligen Patient: innen vertretbar ist. Die kontrollierte, automatisierte Bereitstellung entscheidender Gesundheitsdaten der aktuellen Behandlung durch Leistungserbringer in die ePA senken den zusätzlichen Arbeitsaufwand deutlich. Ferner ist es wichtig, dass bei der weiteren Datenbereitstellung eine „ePA-first“-Strategie verfolgt wird: Sofern bereits in der ePA verfügbar, sollten somit Daten auch dort für die Leistungserbringenden sichtbar sein. Hierzu wird die leichte ePA-Zugriffsberechtigung aus der Ferne und vor Erstaufenthalt entscheidend sein. Die Tiefenintegration in bestehende Klinikinformationssysteme (KIS) ist ein direkt wirksamer Hebel: eine direkte Absprungmöglichkeit aus dem KIS in die Patient: innen-ePA hilft bei der Integration in bestehende Workflows. Mit der Vision im Blick, dass nur die digitale (und strukturierte) Datenablage eine effiziente Unterstützung bei der Datenanalyse bieten kann und neben Behandlungsqualitätsverbesserungen auch deutlich beschleunigte Entscheidungsprozesse erlauben wird, und der Aussicht, dass bereits kurzfristig Anrufe bei Zuweisern reduziert werden, können vorübergehende Mehrbelastungen in Kauf genommen werden. Wichtig ist dabei die monetäre Incentivierung der ePA-Nutzung, die solche Mehrbelastungen anteilig ausgleichen können. Weitere Technologien wie Speech-to-text oder KI-gestützte Anamnesegesprächszusammenfassungen können administrative Aufwände weiter reduzieren. Eine Kombination mit weiteren TI-Fachanwendungen (eRezept, eAU- …) kann ärztliche Besuche besonders im ambulanten Bereich der universitätsmedizinischen Einrichtungen hinsichtlich Folgebesuchen lediglich für Folgeverschreibungen des gleichen Medikaments oder einer Krankschreibung deutlich reduzieren und ermöglicht telemedizinische Betreuung ohne notwendigen Papierversand. In Summe kann mit einer etablierten ePA verknüpft mit weiteren Technologien mehr Konzentration und Zeit für Patient: innen investiert werden und die bereits spürbaren Lücken durch Fachkräftemangel und demografischen Wandel zunehmend gestopft werden. 7 Change Management, Mindset & Beteiligung People: Führung, Practice: Change & Transformation Information (Wissen) als Grundlage der Beteiligung Ein Prozess- und Krankenhaus-Projekt, dessen Ergebnis ein so zentraler Bestandteil der Gesundheitsversorgung werden wird, braucht eine gute Unterstützung durch die Endanwen- Wissen | Perspektive: ePA-Implementierung im großen Universitätskrankenhaus 23 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0063 der: innen und langfristige Experten in der IT. In der Implementierungsphase können nicht alle später Beteiligte gleichermaßen eingebunden werden. Daher braucht es Early Adoptors aus Pflege und Ärzteschaft und ein Team aus langfristig mit der TI-befassten Kolleg: innen aus IT, dem Medizinarchiv und des administrativen Patientenmanagements. Vertreterrollen sind hier besonders wichtig und stellen gleichzeitig eine Herausforderung dar in einer Zeit, wo die Ressourcen begrenzt sind und die Umsätze durch die ePA-Nutzung (noch) nicht ausreichen. Gleichzeitig gilt es frühzeitig und regelmäßig die Mitarbeiterschaft über Neuerungen in der Telematik-Infrastruktur und spezifisch bezüglich der ePA zu informieren. Dies erfolgt an der Charité- - Universitätsmedizin Berlin durch zentrale Intranetmeldungen und Newsletter sowie die Bereitstellung von maßgeschneiderten eLearning- - Modulen. Im Newsletter finden sich neben hausinternen Informationen vor allem auch zentrale Informationen von BMG (Bundesministerium für Gesundheit), gematik und DKG. Dies entspricht auch dem Vorgehen bezüglich der Patient: inneninformationen- - möglichst bundesweit einheitliche Botschaften schaffen Verlässlichkeit und Vertrauen (Abbildung 3). Eingängliche Schulungsunterlagen und offene Fehlerkommunikation Vertrauen in die Technik und neuen Prozesse entsteht zudem über gut verständliche Schulungsangebote unter Nutzung verschiedener Formate: Kurzanleitungen, online e-Learning Schulungsvideos, Sprechstunden und eine zentrale Funktionsmailadresse bieten den Nutzenden den Kanal, den sie für die Beantwortung ihrer Fragen für am besten geeignet sehen (Abbildung 3). Ein ausgeprägtes „Fehlermindset“ im Projektteam, also die offene Kommunikation kleinerer Störungen erlaubt es ein passendes Vorgehen bei den verschiedenartigen Fehlerbildern zu entwickeln, diese Wissensdatenbank „zu füttern“ und damit schnellere Reaktionszeiten zu gewährleisten. Unterschiedlichste Fehler in der komplexen TI bedeuten allerdings auch, dass die Fehlerbehebung nicht immer adhoc erfolgen kann. Hier braucht es Nachsicht und die Überzeugung, dass beteiligte Dienstleister, Softwareanbieter und interne Kolleg: innen mit Hochdruck an einer Lösung arbeiten. Beteiligung entsteht durch gemeinsame Prozessentwicklung und Nutzung Aufgrund des breiten Behandlungsangebots ergeben sich darüber hinaus verschiedene Workflows und Use Cases der ePA- Nutzung. Gemeinsam mit den Early Adopters wurden diese in Austauschrunden entwickelt, damit die ePA einen möglichst hohen und frühen Mehrwert bietet. Erst die tatsächliche Nutzung der ePA beseitigt nach und nach mögliche Bedenken- - Bedenken aufgrund von Mehraufwänden, neuen Prozessen, komplexer Technologie und weiterer im Vorfeld aufgekommener Befürchtungen. Dies haben wir bereits in der Opt-In ePA als oberste Maxime gesehen [8]. Nun mit einem so breiten Stamm an ePA-Akten durch die Opt- Out ePA und zugleich mit der Aussicht, dass PKV-Patient: innen sukzessive auch ausgestattet werden, arbeiten zu können, erlaubt eine wirkliche Etablierung in Routineprozesse. Noch ist die ePA nicht vollintegriert in der Regelversorgung angekommen- weder im niedergelassenen Bereich noch bei den Krankenhäusern. Zudem kennen zu wenige Patient: innen die ePA und die neuen Möglichkeiten der informierten Partizipation an der eigenen Gesundheit durch Dateneinsichten sowie viele Zusatzfunktionen wie z. B. Symptomchecker, Medikamenten- und Impferinnerungen. 8. Was braucht es für die nachhaltige Transformation? Perspective: Strategie; Practice: Change & Transformation Mit einer sich weiterentwickelnden ePA und möglichst vielen Nutzenden auf allen Seiten, einem Vertrauensvorschuss und der oben beschriebenen Vision wird die ePA nicht nur Zeit und Kosten sparen, sondern die Versorgungsqualität auf ein neues, datengestütztes Niveau heben. Damit sich die ePA für alle Seiten als unverzichtbare Gesundheitsdatenplattform und Helferlein etabliert, müssen die analogen Prozesse schrittweise abgelöst werden und damit die Zeitersparnis und der Komfortgewinn für alle erlebbar werden. Stabile Finanzierungsmodelle sind nötig für eine dauerhaft moderne TI-Soft- und Hardware und die zunächst zusätzlich investierte Zeit für manuelle ePA- Bedienung und Datenkuratierung. Eine Gesetzgebung, die weniger Interpretationsaber mehr Gestaltungsspielraum den klinischen Akteuren übergibt, beispielsweise bei der Auswahl relevanter Dokumente für den ePA-Upload und gleichzeitig die Patient: innen zu wirklich eigenständigen Verwaltern Ihrer Dokumente macht, wird ein weiterer Erfolgsfaktor für die Zukunft sein. Die konsequente Datenübertragung an das Forschungsdatenzentrum wird neben der Behandlungsverbesserung und -individualisierung auf der Ebene der Einzelpatient: innen endlich populationsbasierte Aussagen über den Gesundheits- Abbildung 3. Transparenz, Mitsprache und Gestaltungsspielraum helfen bei der erfolgreichen ePA-Einführung. Lehren aus dem Produktivbetrieb der Opt-In ePA helfen auch bei der Einführung der Opt-Out ePA „ePA für alle“ [7] Wissen | Perspektive: ePA-Implementierung im großen Universitätskrankenhaus 24 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0063 zustand und effiziente Verbesserungshebel für die deutsche Bevölkerung ermöglichen-- ein wahrer Schatz für das Gemeinwohl. [I] Abkürzungen: KIS: Klinikinformationssystem; ePA: elektronische Patientenakte; KIM: Kommunikation im Medizinwesen; TIM: TI-Messenger; DKG: Deutsche Krankenhaus Gesellschaft, KBV: Kassenärztliche Bundesvereinigung Literatur [1] Leistungserbringer steht im deutschen Gesundheitssystem für alle Personengruppen, die Leistungen in der gesundheitlichen Versorgung von Versicherten der Krankenkassen erbringen; Definition: https: / / reimbursement.institute / glossar / leistungserbringer/ #, Stand: 15. 07. 2025 [2] Kommunikation im Medizinwesen, d. h. sicherer E-Mail-Versand von Gesundheitsdokumenten; Details: https: / / www. gematik.de / anwendungen / kim, Stand: 15. 07. 2025 [3] gematik TI-Dashboard, https: / / www.gematik.de / telematikinfrastruktur / ti-dashboard, Stand: 09.2024 bzw. 06.2025 [4] KBV Praxisnachrichten vom 27. 02. 2025 „Millionen Versicherte haben jetzt eine ePA- - Doch was steht drin? “, https: / / www.kbv.de / html / 1150_73 937.php#: ~: text=Etwa%2070 %20Millionen%20elektronische%20Patientenakten,die%20dem%20nicht%20widersprochen%20haben), Stand: 15. 07. 2025 [5] „ePA stärkt Behandlungsqualität, Patientensicherheit sowie Vernetzung der Gesundheitsversorger“, Charité- - Universitätsmedizin Berlin- Pressemitteilung vom 09. 11. 2023; https: / / www.charite.de / service / pressemitteilung / artikel / detail / digitale_charite_erfolgreiche_nutzung_der_elektronischen_patientenakte, Stand: 15. 07. 2025 [6]„Charité goes ePA-- gute Medizin benötigt korrekte Daten“, kma-online.de, 13. 04. 2021, https: / / www.kma-online. de / aktuelles / it-digital-health / detail / gute-medizin-benoetigt-korrekte-daten-a-45 352, Stand: 15. 07. 2025 [7] Erfahrungen aus Produktivbetrieb; Bilder erstellt mit KI: Microsoft Bing DALL·E 3 [8] „Erfahrungen sammeln im Produktivbetrieb“, Klinik Management Aktuell, März/ April 2024, 29 Jg.). Eingangsabbildung: © iStock.com / scanrail Dr. Julia C. Kallenberg war als Projektleiterin maßgeblich an der Einführung der Opt-In ePA an der Charité- - Universitätsmedizin Berlin beteiligt. Die promovierte Biomedizinerin arbeitet mittlerweile als Programmleitung für Digitalisierungsthemen in der Krankenversorgung und ist seit März 2022 im Geschäftsbereich Projektmanagement angestellt. Zuvor hat sie bei der Unternehmensberatung „Boston Consulting Group“ gearbeitet. Buchtipp UVK Verlag - Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany \ Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ info@narr.de \ www.narr.de Mithilfe von Strategie, Taktik und Psychologie richtig verhandeln Die Everest-Methode®von Jörg Pfützenreuter und Thomas D. Veitengruber ist bei Konzernen und Mittelständlern gefragt. Seit Jahren coachen sie Ein- und Verkäufer: innen gleichermaßen und lassen die eine Seite in die Karten der anderen schauen. Denn am Ende entscheidet die strategische, taktische und psychologische Raf nesse, wer als Sieger: in vom Verhandlungstisch aufsteht. Ein Buch für alle, die im Einkauf oder Vertrieb arbeiten und ihr Verhandlungsgeschick um den alles entscheidenden Gipfelmeter voranbringen wollen. Es eignet sich auch für Studierende der Betriebswirtschaftslehre. Jörg Pfützenreuter, Thomas D. Veitengruber Professionelles Verhandeln für Einkauf und Verkauf Die EVEREST-Methode® 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Au age 2025, 264 Seiten €[D] 27,99 ISBN 978-3-381-12371-1 eISBN 978-3-381-12372-8 Anzeige 25 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0064 Auf der Suche nach mehr Impact Nicole Gerber Für eilige Leser | Nicht nur das Gesundheitswesen, sondern auch die Umsetzung von Projekten in Gesundheitsorganisationen stehen in der Schweiz vor großen Herausforderungen. Erfahrungen der Mitglieder der spm Fachgruppe „Projektmanagement im Gesundheitswesen“ geben Einblick in die aktuelle Situation und Hintergründe. Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen können aber auch positive Beispiele genannt und mutige neue Ansätze aufgezeigt werden. Schlagwörter | Schweizer Gesundheitsorganisationen, Komplexität, Arbeitskultur, Dynamisierung, kollegialer Austausch, SAFe im Spital 1. Viele übergeordnete Herausforderungen in Schweizer Gesundheitsorganisationen Auch das Schweizer Gesundheitswesen steht aktuell vor einer Vielzahl von Herausforderungen. Die eigentlich nach wie vor erfreuliche Zunahme der Lebenserwartung führt zu einer erhöhten Multimorbidität und somit zu einer steigenden Nachfrage nach Gesundheitsleistungen, insbesondere in der Langzeitpflege. Gleichzeitig kommt zu wenig neues Fachpersonal nach und bestehendes Personal verlässt teilweise unzufrieden und überfordert die Branche. Somit steht der steigende Unterstützungsbedarf einem weiter zunehmenden Fachkräftemangel gegenüber. Diese Tatsache wird dadurch verschärft, dass steigende Kosten aufgrund der herrschenden Finanzierungsmodelle mit langsamen Budgetprozessen teilweise nicht adäquat vergütet werden, was zusätzlich zu finanziellem Druck führt. In der Schweiz kommt der ausgeprägte Föderalismus in Bezug auf Entscheidungsstrukturen, Finanzierungen und regulatorischen Umsetzungen hinzu, welcher zentrale und somit synergetische Lösungsansätze erschwert, verzögert oder manchmal sogar verhindert. Aktuelles Beispiel ist das Trauerspiel bei der immer noch kaum umgesetzten Einführung des Elektronischen Patientendossiers und den dadurch großen Ressourcenverschleißen an den Organisationsschnittstellen. Auch fehlt entsprechend der Druck, gemeinsame Standards zu entwickeln und zu nutzen. Dies erschwert einerseits die Bereitstellung von qualitativ hochwertigen Dienstleistungen. Andererseits werden innovative Ansätze dadurch stark verzögert bis verunmöglicht. Dabei zeigt sich seit einiger Zeit ein sehr großer Investitionsbedarf, nicht nur bei der Erneuerung und Anpassung der Immobilien und Infrastrukturen, sondern auch um den Anforderungen der raschen digitalen und technologischen Entwicklung gerecht zu werden, inklusive der nötigen Schulungen für das verbleibende Personal. Bestehende heterogene ICT-Systemlandschaften mit mangelnder Interoperabilität stellen eine weitere Herausforderung dar. All diese genannten Aspekte führen bereits heute vielerorts zu Qualitätseinbußen, welche sich mit zunehmendem Fachkräftemangel noch verschärfen werden, wenn hier nicht geeignete Maßnahmen ergriffen werden. 2. Was Schweizer Gesundheitsorganisationen in Bezug auf Projekte zu schaffen macht In der spm Fachgruppe „Projektmanagement im Gesundheitswesen“ treffen sich vor allem Personen, welche im Projektkontext von Spitälern oder Heimen arbeiten oder welche Projekte zusammen mit Gesundheitsorganisationen durchführen respektive sie als Externe begleiten. Hier kommt also das Wissen, wie es um Projekte und das Projektmanagement im Schweizer Gesundheitswesen steht, aus erster Hand zusammen. Wenn man mit anderen Branchen vergleicht, wird bei Erfahrungsaustauschen immer wieder eindeutig klar: In den meisten Gesundheitsorganisationen fehlt nicht nur das Verständnis für die Logik und Ziele von Projekten, sondern überhaupt die Erkenntnis, sich verändern zu müssen. Dabei werden natürlich trotzdem Projekte in Auftrag gegeben und durchgeführt. Allerdings werden Projekte nicht übergeordnet professionell in Portfolios priorisiert und aufeinander abgestimmt und auch nicht im Sinne eines nachhaltigen Change Managements begleitet. Zudem fehlt den Personen, denen die Projektleitung zugesprochen wird, häufig fundiertes PM-Wissen. Auch werden oft nicht Wissen | Auf der Suche nach mehr Impact 26 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0064 spezifische Rollen und Projektressourcen definiert, sodass es zu unklaren Zuständigkeiten und fehlender Kapazität kommt. Auch mangelt es oft an passender PM-Software oder Datengrundlagen, um aus vergangenen Projekten und gemachten Projekterfahrungen zu lernen. Insgesamt muss also festgestellt werden, dass in Schweizer Gesundheitsorganisationen ein tiefer bis sehr tiefer PM-Reifegrad vorherrscht. In den folgenden Kapiteln werden, basierend auf den Erfahrungen der Fachgruppenmitglieder, einige mögliche Begründungen dafür zusammengefasst. 2.1 Komplexität und Wesen des Kerngeschäfts-- Projekte sind oft Nebensache Insbesondere in Akutspitälern, aber auch in Langzeitinstitutionen, liegt der Hauptfokus auf den medizinischen, therapeutischen und pflegerischen Leistungen. Diese Kerntätigkeiten sind menschenzentriert, komplex, stark durchstrukturiert und es muss oft mit Ungeplantem umgegangen werden. Dabei muss die Leistungserstellung in Schichten rund um die Uhr gewährleistet werden. Wenn hier keine spezifische Projektkultur herrscht, welche die Rahmenbedingungen mitberücksichtigt, werden dadurch regelmäßige Projektabstimmungsmeetings und eine projektbezogene Kommunikation erschwert bis verunmöglicht. Auch sind Stellvertretungen insbesondere in kleineren Institutionen teilweise schwierig zu gewährleisten. Gesundheitsorganisationen wurden lange ausschließlich von medizinisch geprägten Personen geführt und entsprechend wurde betriebsökonomisches und nicht-medizinisches Fachwissen untergeordnet und erst spät und unabhängig von medizinischen Kontexten zugezogen. Zudem herrschte lange und häufig immer noch ein ausgeprägt hierarchisches und zudem innerhalb der jeweiligen Disziplin verbleibendes Denken und Handeln vor. Dieser Umstand prägt die Strukturen, Rollen- und Verantwortlichkeitsverständnisse und somit das Arbeiten in Gesundheitsorganisationen. Zunehmend sind heute auch Branchenfremde und auch nicht-medizinische Fachleute in den Führungsgremien von Gesundheitsorganisationen vertreten. Trotzdem fehlt meistens nach wie vor der Wille zum Wandel, ebenso ein gemeinsames Verständnis für projektorientiertes Arbeiten und der Mut, neue Ansätze auszuprobieren und weiterzuentwickeln. So werden oft Projekte unabhängig voneinander in Auftrag gegeben und Aufgaben ohne spezifische Projektzeitressourcen an Personen verteilt. Das bedeutet, dass Projektinhalte zusätzlich zum bereits komplexen und ausgefüllten Tagesgeschäft erarbeitet werden müssen- - oder dann eben liegenbleiben und Projekte somit versanden. 2.2 Organisations- und Arbeitskultur Alle Branchen und Organisationen haben eine spezielle Kultur. In Gesundheitsorganisationen-- so berichten die Fachgruppenmitglieder immer wieder- - beeinflusst der oben beschriebene Umstand die Arbeitskultur stark. Die Menschenzentrierung, welche für das Kerngeschäft essenziell ist, führt aktuell noch häufig zu Ängsten und Skepsis gegenüber neuen Technologien, digitalen Lösungen und Automatisierungen. Die hohe Komplexität des Tagesgeschäfts und die gängigen hierarchischen Entscheidungswege führen dazu, dass Veränderungen eher vermieden werden. Da Projekte in den allermeisten Fällen Veränderungen mit sich bringen, trifft man immer wieder auf Widerstände oder erfährt gar Projektsabotage-- insbesondere, wenn der Sinn des Wandels nicht klar ist. Man ist generell noch wenig gewohnt, zusätzlich zum Tagesgeschäft ganzheitlich und über die Hierarchien hinweg vertrauensvoll zusammenzuarbeiten oder gar selbst Projekte mit Themen wie Prozessvereinfachungen oder die Behebung von Fehlanreizen zu initialisieren. 2.3 Knappe Ressourcenverfügbarkeiten auf allen Ebenen Der angesprochene und weithin bekannte Fachkräftemangel betrifft alle Berufsgruppen. Ebenso haben viele Spitäler und Heime mit finanziellen Engpässen zu kämpfen. Dies führt zu der verzwickten Lage, dass die verbleibenden Fachkräfte immer mehr Arbeiten übernehmen müssen, was zu großer Belastung oder gar Überlastung führt. Um dem zu begegnen, bräuchte es mangels anderer Fachpersonen technologische und digitale Ansätze. Um diese einzuführen, bedingt es einerseits finanzielle Ressourcen, aber eben auch Zeit der bestehenden Mitarbeitenden, um die technologischen und digitalen Lösungen passend zu entwickeln, auszuarbeiten und einzuführen. Aufgrund der mangelnden Zeit- und Finanzressourcen aber eben auch Die spm Fachgruppe zu Gast im Kantonsspital Aarau mit dem Fokusthema KSA Neubau ‘Dreiklang’ Wissen | Auf der Suche nach mehr Impact 27 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0064 mangels passender Projektumsetzungsmethodiken können solche Vorhaben oft nicht in Angriff genommen werden. Oder aber sie verzögern sich oder müssen komplett auf Eis gelegt werden, insbesondere wenn durch hohe Fluktuation viel internes Wissen immer wieder abfließt. Ein klassischer Teufelskreis-… 3. Gute PM-Practice und Mut für neue Ansätze Zusammenfassend lässt sich also sagen: In Gesundheitsorganisationen haben Projekte, projektorientiertes Arbeiten und Leute, die sich mit Projektmanagement befassen, aktuell einen schweren Stand und es scheint nicht einfach, bei der erdrückenden Ausgangslage positiv zu bleiben. Gerade als Fachgruppe haben wir uns aber zum Ziel gesetzt, das Thema organisationsübergreifend anzugehen, uns gegenseitig zu unterstützen und zu stärken und auch neue Ansätze aufzuzeigen und auszuprobieren. In den folgenden Unterkapiteln- - und später auch in den Folgeartikeln- - einige Gedanken und Beispiele dazu. 3.1 Stärkung von Projektversierten in Gesundheitsorganisationen und Sensibilisierung auf C-Level Die spm Fachgruppe „PM im Gesundheitswesen“ will einen Rahmen bieten für Personen, welche mit projektorientierten Vorhaben in Gesundheitsorganisationen zu tun haben, sich mit anderen gleichgesinnten resp. -betroffenen Personen kollegial austauschen zu können. Es steht allen offen, sich bilateral Peerfeedback zu geben oder sich in Gruppen untereinander zu spezifischen Themen oder Fragestellungen zusammenzuschließen. Zudem werden auch Good-Practice-Ansätze oder Erfahrungen mit PM-Methoden aufgezeigt und diskutiert. Zwei Mal jährlich besuchen wir eine der Mitglieder-Organisationen vor Ort. Das jeweilige Fachgruppenmitglied organisiert das Treffen samt aktuellem, internem Thema und einer kleinen Besichtigung. Punktuell werden auch studentische Arbeiten zu einem Thema vergeben, es wird auf externe Veranstaltungen aufmerksam gemacht oder auf Publikationen verwiesen. Das Bespielen dieses Settings ist uns bisher- - wie auch die Praxisbeispiele im Anschluss an diesen Artikel zeigen- - recht gut gelungen. Trotzdem muss festgestellt werden, dass die Zeit auch bei Projektinvolvierten immer knapp ist und daher manchmal der Wunsch und Wille zur Partizipation höher ist als die schlussendlich effektive Beteiligung. Wo das Potenzial noch bei weitem nicht ausgeschöpft ist, ist beim Ziel, das Verständnis für projektorientierte Ansätze und die Sensibilisierung für das Thema auf C-Level, bei Verbänden und in der Politik zu fördern. Auch vertrauensfördernde, interdisziplinäre Austauschformate wären sinnvoll. Alles in der Fachgruppenarbeit erfolgt allerdings ehrenamtlich-freiwillig, die Kapazitäten für zeitaufwändige und intensiv zu betreuende Einsätze ist daher stark limitiert. Mittlerweile ist es gelungen, einige Partnerschaften einzugehen, sodass über deren Kanäle und Wirkungsfelder mehr Resonanz erzeugt werden kann. 3.2 Neue Ansätze entwickeln und ausprobieren Zudem muss ehrlicherweise festgestellt werden: Ganz offensichtlich scheinen in Gesundheitsorganisationen mit den beschriebenen Rahmenbedingungen bestehende Projektmanagementansätze nur bedingt zu greifen. Weiter kommt nun hinzu, dass sich digitale, technologische und medizinische Entwicklungszyklen (z. B. KI, Telemedizin) wie auch gesundheitspolitische Entwicklungen (z. B. Ambulantisierung, Hospital@Home) weiter beschleunigen und somit die Gesundheitsorganisationen zu rascheren Anpassungen zwingen. Betrachtet man diese Dynamiken zusammen mit der Komplexität des Tagesgeschäfts, wird schnell klar, dass planbasiertes PM nicht angezeigt ist. Für rein agile Settings allerdings ist die PM-Reife wie beschrieben zu niedrig und das Tagesgeschäft nicht genug taktbar. Hybride, gesundheitsorganisationenadäquate Ansätze werden benötigt. Einen solchen Ansatz hat das Universitätsspital Basel entwickelt und führt nun mutig-- wie einer der Schlüsselwerte der Organisation definiert ist- - SAFe ein. In einem entsprechend durchgeführten Pilotprojekt konnte dank der Umverteilung von Arbeiten basierend auf Kompetenzen und Kapazitäten, der Umsetzung von Prozess- und Pfadoptimierungen und dem Einsatz von digitalen Mitteln eine wesentliche Entlastung der Ärzteschaft und somit eine Reduzierung von Überstunden erreicht werden. Gestärkt aus diesen positiven Erfahrungen wurde SAFe als Chance erkannt. Es wurde entschieden, erstens die Priorisierung von Vorhaben durch PI-Planning vorzunehmen, zweitens für das komplexer werdende Portfolio Lean Portfolio Management-Prinzipien anzuwenden, drittens neu einzuteilen in Epics, Features, Stories sowie Enabler und viertens Agile Release Trains sich eigenständig mit eigenem Budget organisieren zu lassen. Das erste PI-Planning erfolgte im Juni. Es ist also noch zu früh, um über den SAFe-Ansatz im Gesundheitskontext zu urteilen. Es wird sich erst zeigen müssen, ob die vorgesehenen gemischten Teams in der Praxis bestehen, ob das inkrementelle Arbeiten trotz der regulatorischen Anforderungen durchgezogen werden kann und ob die agilen Ansätze gegen die Hierarchien und Fachdisziplinen-Silos ankommen. Auf jeden Fall gebührt dem mutigen Vorgehen der Verantwortlichen bereits jetzt großer Respekt. Wenn hierdurch eine Good oder gar Best Practice Story entstünde, könnte dies vielversprechende Impulse für die ganze Branche auslösen! Und wenn wir dadurch „Projektmanagement“ neu definieren müssen, dann sollte uns dies zugunsten von mehr Wirkung recht sein. 4. Ausblick Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen gibt es also Anlass zu Hoffnung, dass projektorientiertes Arbeiten nicht nur in Gesundheitsorganisationen „ankommen“ wird, sondern dass vielleicht sogar eigene branchenspezifische Ansätze zu mehr Impact verhelfen werden. Wir bleiben dran! Eingangsabbildung: Agile Methoden ausprobieren im Rahmen von Learning by doing agil Dr. Nicole Gerber Dr. Nicole Gerber unterrichtet Projektmanagement an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und leitet F&E-Projekte in Gesundheitsorganisationen. Sie koordiniert die spm Fachgruppen PM im Gesundheitswesen und PM in der Hochschullehre. E-Mail: nicole.gerber@spm.ch Internet: https: / / spm.ch/ fachgruppen/ projektmanagement-im-gesundheitswesen/ ORCID: 0000-0003-2427 - 6901 28 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0065 PM an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich Mit kleinen Schritten zur Projektexzellenz Annette Gretler, Stv. Leiterin Unternehmensentwicklung Für eilige Leser | Die Herausforderungen von Gesundheitseinrichtungen reichen von Infrastrukturanpassungen, Organisationsentwicklung über die Einführungen von IT-Systemen bis zum Aufbau von neuen Angeboten. In diesem Praxisbericht wird die iterative Einführung eines Projektmanagement-Tools beschrieben und wie mit dem Bedarfsmanagement eine strukturierte Projektpipeline aufgebaut wurde. Schlagwörter | Bedarfsmanagement, Aufbau Projektmanagement, Standardisierung, Komplexität, Bestellerkompetenz 1. Anstehende Veränderungen Viele Gesundheitsinstitutionen sind aktuell an der Planung oder bereits in der Realisierung von neuen Gebäuden. Mit den Neubauten soll die Chance genutzt werden, für die nächsten Jahrzehnte einen modernen und effizienten Betrieb zu ermöglichen. Neben den baulichen Herausforderungen, dem Fachkräftemangel und der Digitalisierung ist der Kostendruck allgegenwärtig. Vor all diesen Herausforderungen steht auch die Psychiatrische Universitätsklinik Zürich (PUK) und die vorhandenen Ressourcen müssen zielgerichtet eingesetzt werden. Trotz der über 150-jährigen Geschichte der Klinik ist die Organisation stetig im Wandel. So wurden in den letzten zwanzig Jahren immer wieder zusätzliche Institute integriert und neue Organisationseinheiten gebildet. Heute hat die PUK vier Kliniken, mit denen der Leistungsauftrag für die psychiatrische Versorgung der Bevölkerung im Raum Zürich sichergestellt wird. Durch die Unterteilung der Patienten in Alterskategorien haben die Kliniken verschiedene Bedürfnisse, um ihren jungen und älteren Patientinnen und Patienten gerecht zu werden. Auch die universitäre Anbindung der PUK bringt Dynamik, was neue Ideen beflügelt und eine rasche Anwendung im klinischen Alltag fördert. 2. Aufbau des Projekt- und Portfoliomanagement Mit der Ausrichtung der PUK auf das Managementmodell von EFQM [1] wurde der Aufbau des systematischen Projektmanagements mit Vorgaben bezüglich Prozessen, Rollen und Dokumentation begonnen. Durch die Fusion mit dem Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst des Kantons Zürich (KJPD) im Jahre 2016 wurde das psychiatrische Behandlungs- und Spezialangebot für alle Krankheitsphasen auf die gesamte Lebensspanne erweitert. Dies hat, neben organisatorischen Anpassungen, die Weiterentwicklung des Projektmanagements verlangsamt. Erst nach der Umwandlung der PUK in eine selbstständige, öffentlich-rechtliche Anstalt wurde dies wieder vorangetrieben. Nach der Wiederaufnahme war der Wunsch groß, einen Überblick der laufenden Projekte und deren geplanten Laufzeiten zu erhalten. Ein Projektportfolio wurde auf Excelbasis aufgebaut und quartalsweise durch die Fachstelle Projektmanagement erstellt und der Geschäftsleitung präsentiert. Die Projektleitenden kamen aus der IT, aber auch aus den Kliniken und Direktionen und verfügten oft über wenig Projektmanagement Know-how. Die Projekte der Abteilung Bau & Infrastruktur waren aus dem Portfolio ausgeklammert, was zu entsprechenden Schnittstellenproblemen führte. Die laufenden Projekte waren damit erfasst und deren Status überwacht, doch die Projektpipeline wurde noch nicht strukturiert bearbeitet. Auf die Analyse und Initialisierung und somit der Erstellung der Projektanträge wurde oft nicht ausreichend Zeit verwendet. Die langfristige Sicht der anstehenden Aufgaben und die nötige Ressourcenplanung konnte auf dieser Basis nicht erfolgen. Dadurch gab es immer wieder Projekte, die auf Grund von Terminvorgaben zur Priorität erklärt wurden. Die be- Wissen | Mit kleinen Schritten zur Projektexzellenz 29 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0065 nötigten Schnittstellenpartner und deren Ressourcen wurden ohne Rücksprache als gegeben betrachtet. Das Tagesgeschäft musste von den Projektmitarbeitenden zurückgestellt werden, um dem Projekt mittels Engagement und Überstunden zum Erfolg zu verhelfen. 3. Wie die Pandemie dem iterativen Ansatz zum Durchbruch verhalf Der manuelle Aufwand für das Zusammentragen der Informationen für das Projektportfolio war groß, und so wurde nach einem Projektmanagement-Tool gesucht, dass neben der Abbildung des Portfoliomanagements auch den Projektleitenden eine Unterstützung bietet. Zu Beginn war geplant das Tool und die neu definierte Projektmanagementmethodik HERMES 5.1[2] in einer großen Schulungsaktion einzuführen. Auf Grund der zusätzlichen Aufgaben für die Pandemiebewältigung standen dafür aber nicht ausreichend Ressourcen zur Verfügung. Um rasch einen ersten Nutzen des Tools gegenüber dem Management vorzuweisen, wurde der für diese Zielgruppe vorgesehene Bericht Projektportfolio priorisiert. Damit der Bericht erstellt werden konnte, musste die Erstellung der Statusberichte durch die Projektleitenden im Tool erfolgen. Mit diesem ersten Schritt konnten sich die Projektleitungen mit dieser einfachen Funktionalität des neuen Tools vertraut machen. Wer Zeit und Lust hatte konnte auch weitere Funktionen nutzen, jedoch ohne weitere Einführung. Parallel dazu wurde ein Projektleiter-Verzahnungsmeeting ins Leben gerufen, das gemäß den im Januar 2022 geltenden Hygieneregelungen online gestartet ist. In diesem Gefäß werden bis heute, neben Informationen zur Weiterentwicklung und Nutzung des Tools oder projektmanagementspezifischen Themen, immer auch Projekte vorgestellt. Das formlose Online-Format ohne Protokoll oder Anwesenheitsliste hat sich sehr gut bewährt und wird noch immer rege genutzt, nicht nur von Projektleitenden. Geplant war neben dem internen Know-how Austausch die Schulung der Projektleitungen in der Projektmethodik HER- MES durch einen externen Anbieter. Hier bot sich die neueste Version HERMES 2022 als guter Anlass für den Start dieses Angebots. Als konsequenten zweiten Schritt wurde die Methodenschulung ein Jahr später für die Auftraggeber ins Angebot aufgenommen. 4. Vom Bedarf zum Projekt Auf Initiative der neuen Abteilung Flächenmanagement wurde zusammen mit der Unternehmensentwicklung ein Prozess zur frühzeitigen Prüfung und Planung von Projekten entwickelt. Dies im Hinblick auf die Neubauplanung und zur Stärkung der dabei zentralen Bestellerkompetenz. Der Begriff Bestellerkompetenz hat seinen Ursprung im Bausowie Facility Management. Der Fokus liegt dabei auf Bauprojekten, beziehungsweise von deren Planung, Errichtung und Betrieb bis zur Verwertung von Gebäuden [3]. Die Analogie zu Projekten mit Konzeption, Realisierung und Einführung, insbesondere bei ICT-Projekten, ist offensichtlich. Der Auslöser für die Initialisierung eines Projekts ist ein Bedarf für eine neue oder geänderte Geschäftsaktivität. Ein Bedarf kann im Klinikalltag entstehen, Teil der Strategieumsetzung sein, die Etablierung eines neuen Therapieangebots oder auch von außerhalb der Organisation kommen, beispielsweise durch eine gesetzliche Anpassung oder wenn fristgerecht ein neues Tarifsystem eingeführt werden muss. Um ein Projekt starten zu können braucht es aber weit mehr als nur eine Bedarfsmeldung: Die Ausgangslage muss ausreichend analysiert sein, um klare Anforderungen formulieren zu können. Daraus können mögliche Lösungen überlegt und entwickelt werden, Abhängigkeiten zu anderen Organisationseinheiten ermittelt, Zusammenhänge von Prozessen oder Systemen aufgezeigt, rechtliche Vorgaben geklärt und vor allem ein Projektteam zusammengestellt werden. Genau für all diese Arbeiten vor dem Projektstart wurde das Bedarfsmanagement vorgelagert zum Ablauf eines Projekts nach HERMES oder SIA eingeführt. Zusätzlich mit dem Start des Bedarfsmanagements wurde die Antragserstellung im Tool als verbindlich erklärt und die bisherigen Wordvorlagen abgelöst. 4.1 Neue Rollen als Treiber in der Organisation Mit den Erfahrungen aus anderen Häusern wurden neue Rollen und Sitzungsgefäße etabliert. Da zu diesem Zeitpunkt die Rolle der Klinikmanager noch nicht in allen Kliniken etabliert war, wurde die neue Rolle «Divisionsmanager» geschaffen, welche die neuen oder geänderten Geschäftsaktivitäten der Klinik oder der Direktion erfasst und bis zur Freigabe der Initialisierung betreut. Die Rolleninhaber brauchen eine gute Vernetzung in ihrer Klinik oder Direktion und Zugang zu deren Leitung. Die zentrale Rolle im Prozess hat das Key Account, welche den Prozess der Erstbeurteilung moderiert und die Entscheide im Tool dokumentiert. Das Key Account setzt sich aus vier Personen des Portfoliomanagements und der Unternehmensentwicklung zusammen. Um den Aufwand zu verteilen wurden Zweierteams gebildet, um einerseits die Stellvertretung sicherzustellen und andererseits weiteres bauliches und betriebliches Know-how in der inhaltlichen Diskussion nutzen zu können. Als Gatekeeper zum Projektstart fungiert der stellvertretende CEO, der die Initialisierungsanträge nach einer Prüfung bezüglich Nutzen, Kosten und Strategiekonformität freigibt. Auch für diese Umsetzung wurde wieder der iterative Ansatz gewählt und bei der Geschäftsleitung eine 6-monatige Versuchsphase beantragt. Beim Kick-off wurde allen Beteiligten dieser ergebnisoffene Ansatz erläutert und zur aktiven Mitgestaltung aufgerufen. Der Prozess hat als erstes Ergebnis innert kurzer Zeit Transparenz über die verschiedenen geplanten oder angedachten Geschäftsaktivitäten gebracht. Dies war die Grundlage, um Geschäftsaktivitäten zu bündeln und Synergien zu erkennen und nutzbar zu machen sowie Abhängigkeiten aufzuzeigen. Durch die gemeinsame inhaltliche Diskussion konnten die Anträge, und im speziellen die Formulierung der Ausgangslage, im Sinne der Bestellerkompetenz kontinuierlich verbessert werden. Mithilfe aller am Bedarfsprozess Beteiligten wurden laufend Anpassungen zur Optimierung des Prozesses vorgenommen und damit der Austausch über die Divisionsgrenzen hinweg gefördert. Am Definition Bedarfsmanagement Das Bedarfsmanagement ist ein strukturierter Prozess mit klar definierten Rollen für alle notwendigen Schritte von der Bedarfsmeldung bis zum Projektstart. Wissen | Mit kleinen Schritten zur Projektexzellenz 30 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0065 Ende der Versuchsphase konnte, mit der Unterstützung aller, bei der Geschäftsleitung die definitive Einführung beantragt werden. 4.2 Ablauf des Bedarfsmanagements Die Divisionsmanager sammeln den Bedarf an neuen oder geänderten Geschäftsaktivitäten innerhalb ihrer Kliniken und Direktionen und beurteilen diesen aus Sicht des eigenen Bereichs. Im Abstand von sechs bis acht Wochen sitzen die Divisionsmanager einzeln mit dem Key Account zur Erstbeurteilung der Bedarfsmeldungen zusammen. Der Bedarf wird mit den Meldungen aus anderen Bereichen abgeglichen und gemeinsam definiert, ob die Geschäftsaktivität weiterverfolgt wird, in welchem Zeitraum und welche weiteren Abklärungen und Schritte nötig sind. Immer wieder werden die Relevanz für die ganze gesamte Unternehmung diskutiert, um Silolösungen vorzubeugen. Durch den Überblick des Key Account wird frühzeitig erkannt, wenn andere Divisionen die gleichen Themen planen und können, im Sinne der Gesamtorganisation, eine konsolidierte Planung anstoßen. Alle Angaben werden im Tool erfasst und stehen für alle am Prozess Beteiligten transparent zur Verfügung. Nach der Erstprüfung erstellt der Divisionsmanager den Initialisierungsantrag. Dieser definiert sowohl den Auftrag, die Zielsetzung und den Mehrwert, als auch das Team, das sich um die Weiterbearbeitung kümmert. Er macht erste Aussagen zu den Kosten, die als Schätzung meist von den Fachbereichen beigesteuerte werden, und zum finanziellen Nutzen, der mittels eines einfachen Business Case einheitlich dargestellt wird. In diesem Stadium wird schon ersichtlich, welche Fachbereiche, wie ICT, Infrastruktur & Technik oder Rechtsdienst hinzugezogen werden müssen. Dazu haben wir angelehnt an die Szenarien der Projektmanagementmethodik HERMES ein IT- und ein Bau-Szenario als grobe Kategorisierung integriert, damit Initialisierungsanträge einfach im Tool gefiltert werden können. Dadurch werden nun viel früher die kommenden Projektthemen bekannt und die benötigten Ressourcen können entsprechend geplant werden. So hatten insbesondre ICT und Infrastruktur & Technik die Möglichkeit ihre Ressourcenplanung zu verbessern, um Auslastungsspitzen zu erkennen und zu brechen. Diese Ressourcenanfragen bei den Fachbereichen erfolgten in der Vergangenheit auf unterschiedliche Weise. Um die Verbindlichkeit von Ressourcenzusagen auf beiden Seiten zu erhöhen, wurde eine Workflow-Funktionalität des Tools akti- Abbildung 1: Die unterschiedlichen Rollen im Bedarfs- und Prozessmanagement Abbildung 2: Die Entwicklung zur Transparenz im Bedarfsmanagement Wissen | Mit kleinen Schritten zur Projektexzellenz 31 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0065 viert, um die Rückmeldungen zentral und transparent zu dokumentieren. Mittels definierter Termine wurde der Befürchtung von fehlenden Rückmeldungen und damit Verzögerungen in der Einreichung der Initialisierungsanträge vorgebeugt. Als bisher letzten Verbesserungsschritt wurde ein Review durch das Key Account eingeführt. Dieser erfolgt, bevor der Antrag zur Aufwandschätzung und Ressourcenanfrage per Workflow an die Fachbereiche geht. Mit diesem Schritt konnte die Qualität der Anträge rasch verbessert und die Bestellerkompetenz bei den Divisionsmanagern erhöht werden. Als letzter Schritt im Rahmen des Bedarfsmanagements wird der fertiggestellte Initialisierungsantrag mit Business Case in den regelmäßigen Roundtable-Sitzungen besprochen und geprüft. An diesen Sitzungen nehmen alle Key Accounter und der stellvertretende CEO teil. Mittels dieses kleinen und konstanten Gremiums kann die Besprechung der Initialisierungsanträge effizient durchgeführt werden. Mit der Freigabe in der Roundtable-Sitzung wird das Vorhaben vom Bedarfsmanagement ins Projektmanagement übergeben. Auch dieser Entscheid wird mittels Workflows im Tool dokumentiert und den Projektverantwortlichen per E-Mail mitgeteilt. Erst jetzt startet das Projekt mit der Initialisierungsphase und wird vom Projektleiter nach HERMES oder SIA weiterbearbeitet. 4.3 Abgrenzung zu anderen Prozessen Ein Bedarf entsteht in der Regel aus einer betrieblichen Notwendigkeit und wird zuerst mit den Vorgesetzten abgesprochen. Der Bedarf wird danach über die Divisionsmanager kanalisiert und bearbeitet. Das Ideenmanagement auf der anderen Seite ermöglicht jeder Mitarbeiterin und jedem Mitarbeiter einfach und unkompliziert Ideen aller Art einzubringen. Es kommt immer wieder vor, dass eine Idee aus dem Ideenmanagement für die Weiterentwicklung ins Bedarfsmanagement aufgenommen wird. Dazu findet bei Bedarf ein Austausch zwischen dem Verantwortlichen des Ideenmanagements und dem Key Account statt. Der Change Prozess der ICT nach ITIL® [4] oder ein Ticket aus dem Bereich Infrastruktur & Technik können in der Bearbeitung ebenfalls zu einem Projekt führen. Ab einer definierten Größe, Komplexität oder Kosten werden diese als Projekt durchgeführt und ins Bedarfsmanagement übernommen. Die vorgängig gemachten Abklärungsarbeiten werden in die Initialisierung des Projekts aufgenommen und weiterentwickelt. Dahingegen hat nicht jede Geschäftsaktivität, die in der Erstbesprechung diskutiert wird, die nötige Komplexität und Größe, so dass ein Initialisierungsantrag erstellt werden muss. Diese Grenzfälle werden mit den jeweils Fachbereichen geklärt und können meist als Ticket oder Change Request abgewickelt werden. Für den Antragsteller sollen keine Doppeleingaben entstehen und die Übergabe in die verschiedenen Systeme nachvollziehbar sein. Die Prozesse für diese Übergaben wurden mit ICT und Infrastruktur & Technik definiert. Wichtig dabei ist, dass sich die Prozesse nicht konkurrenzieren, sondern „durchgängig“ sind, d. h. ein Thema nach der Eingabe an einem Ort und in einen anderen Prozess überführt werden kann. 5. Erkenntnisse und weitere Entwicklungen Mit der schrittweisen Einführung der Projektmanagementmethodik HERMES, dem Aufbau des Bedarfsmanagements und der Inbetriebnahme von weiteren Funktionalitäten des Projektmanagement-Tools wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass viele in den Prozess Involvierte nicht Projektmanagementprofis sind. Die Möglichkeit an der Verbesserung der Prozesse eine aktive Rolle zu spielen, hat eine große Akzeptanz bei den Beteiligten bewirkt. Die anfängliche Skepsis, dass der Prozess die Umsetzung verlangsamen werde, konnte eindrücklich widerlegt werden. Der gewonnene Überblick und die verbesserte Ressourcenplanung wird von allen Beteiligten geschätzt. Innert kurzer Zeit ist das Bedarfsmanagement zum zentralen Prozess geworden. Mit der neuen Strategie wird sich der Bedarfsprozess nochmals weiterentwickeln. Prozesse wie Projektbudgetierung und -zeiterfassung werden weitere Inputs für die nächste iterative und organische Entwicklung bieten. Abbildung 3: Prozess des Bedarfsmanagement und Übergang ins Projektmanagement Wissen | Mit kleinen Schritten zur Projektexzellenz 32 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0065 Literatur [1] EFQM- - European Foundation of Quality Management; https: / / efqm.org / de/ [2] HERMES; Bundeskanzlei BK, Digitale Transformation und IKT-Lenkung DTI; https: / / www.hermes.admin.ch/ [3] Krieg, Robin; Bestellerkompetenz im Workplace Management; https: / / digitalcollection.zhaw.ch / server / api / core / bitstreams / 6fb4294e-4c39-4255- 99d7-7ef32 121c9a5 / content; 23. 06. 2025 [4] ITIL®-- die IT Infrastructure Library Eingangsabbildung: Spitalcluster Lengg im Vordergrund die PUK mit Gartenanlage © Kantonales Amt für Raumplanung Die Psychiatrische Universitätsklinik Zürich (PUK) Die PUK stellt seit 1870 die regionale und überregionale psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung der Einwohnerinnen und Einwohner im Großraum Zürich sicher. Die Patientinnen und Patienten werden von interdisziplinären Teams stationär, teilstationär, ambulant sowie aufsuchend betreut. Rund 2’600 Mitarbeitenden entwickeln das diagnostische und therapeutische Angebot laufend weiter. Als Universitätsklinik übernimmt die PUK zudem Aufgaben in der universitären Lehre und Forschung sowie in der Aus-, Fort- und Weiterbildung. Annette Gretler Annette Gretler hat eine Ausbildung als Organisatorin und einen MAS in Strategischem Facility Management der ZHAW. Sie arbeitet seit 14 Jahren im Gesundheitswesen und seit 2017 an der PUK Zürich. Sie ist Mitglied der spm Fachgruppe PM in Healthcare. eMail: annette.gretler@pukzh.ch; Internet: https: / / www.pukzh.ch/ Buchtipp Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany \ Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ info@narr.de \ www.narr.de Die rasch voranschreitende Digitalisierung und der damit verbundene tiefgreifende Kulturwandel erfordern dringend ethische Re exionen und mehr gesellschaftliche Gestaltung. In dieser Einführung werden wichtige Grundbegriffe und normative Leitideen geklärt. Im ersten Teil Digitale Medienethik geht es um Probleme wie Fake News, Emotionalisierung und Hassrede in Online-Medien. Dies führt zur Frage, ob das Internet die Demokratie eher fördert oder gefährdet. Der zweite Teil KI- Ethik re ektiert die Gefahren von Data zierung und Big-Data-Analysen, z. B. Diskriminierung oder Verlust von Freiheit. Zudem wird beleuchtet, wie der vermehrte Einsatz von Robotern unser Leben und unser Menschenbild verändert. Gegeben wird ein kritisch abwägender Überblick über das hochkomplexe aktuelle Themenfeld mit klarer Struktur und vielen Übersichten. Dagmar Fenner Digitale Ethik Eine Einführung 1. Au age 2025, 588 Seiten €[D] 32,00 ISBN 978-3-8252-6281-5 eISBN 978-3-8385-6281-0 Anzeige 33 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0066 Projektmanagement als Kernkompetenz Vertrauen durch Qualität: Nachhaltige Projektprozesse des Swiss TPH Kristina Pelikan, Helen Prytherch, Jakob Zinsstag, Rea Tschopp, Michael Käser, Marco Waser Für eilige Leser | Tätig in der Schweiz, Europa und mit einem Fokus auf Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen wirbt das Schweizerische Tropen- und Public Health-Institut als ein weltweit führendes Institut im Bereich der globalen Gesundheit knapp 80 Prozent seines Gesamtbudgets kompetitiv ein. Eine Kernkompetenz der 995 Mitarbeitenden im Headquarter und im Ausland stellt die Projektarbeit dar-- in verschiedenen Projekttypen von Innovation über Validierung bis zur Anwendung. Am Beispiel des Forschungsprojekts im Bereich One Health wird die konkrete Anwendung des internen Projektlebenszyklus aufgezeigt. Obwohl er alternative Subprozesse zulassen muss, ist er dennoch ein sehr aktiver und erfolgreich gelebter Prozess des Swiss TPH, der Qualität schafft und damit Vertrauen: Wirkungsvolle Projekte sind die beste Voraussetzung für nachhaltigen Erfolg. Schlagwörter | Projektlebenszyklus, Qualitätsdimensionen, Impact, Nachhaltigkeit Knapp 80 Prozent des Gesamtbudgets des Swiss TPH mit 995 Mitarbeitenden und Studierenden aus 96 Nationen werden kompetitiv eingeworben-- mit Forschungs-, Lehr- und Anwendungsprojekten (Swiss TPH Jahresbericht 2024 ) . Das Akquirieren und Umsetzen von Projekten gehört damit zu den Kernprozessen des Swiss TPH, Projektmanagement stellt eine der Kernkompetenzen dar. 1. Der Projektlebenszyklus Der folgend beschriebene Projektlebenszyklus bezieht sich nur auf Projekte, für die externe Mittel eingeworben werden, nicht auf Projekte der Administration und interne Organisationsentwicklungsprojekte. In der Wissenschaft gibt es zwei gegensätzliche zeitliche Logiken bezüglich der Dauer von Projekten: Projektzeit und Prozesszeit. Die tatsächliche Projektzeit wird durch die verschiedenen Projektaktivitäten bestimmt, die im Projektantrag geplant sind und zu Projektergebnissen führen. Die Projektzeit beginnt mit der Annahme des Projektantrags und endet mit dem offiziellen Ende des Projekts, das in der Regel mit dem Ende der Förderung gleichzusetzen ist. Die Prozesszeit beginnt bereits- - zum Teil lange- - vor der Einreichung des Projektantrags, mit der Ansammlung von Wissen und Fragestellungen, der Kapitalisierung vorheriger Projekte und vertiefter Recherche für die Antragsentwicklung. Verschiedene, nicht im Projektantrag enthaltene Ereignisse können das Projekt und seine Laufzeit beeinflussen. Diese und das endgültige Ende des Projekts (nach dem Publizieren aller Projektresultate und der Archivierung) ergeben den Unterschied zwischen der Projektzeit und der Prozesszeit. Die tatsächliche Prozesszeit ist an die Projektumstände angepasst (Pelikan 2019). Der Projektlebenszyklus des Swiss TPH beginnt mit der obligatorischen „Notice of Intent (NoI) to the Directorate“, mit der Go / No-go Decision, gefolgt vom Subprozess „Acquisition“, bestehend aus Projektdesign, Auswahl der Projektbeteiligten, Budgeterstellung und Einreichen des Projektantrags. Vor der Bewilligung eines Projektes steht dem Projekt kein Budget zur Verfügung. Ab der Einreichung der NoI ist es für die Projektleitenden möglich, Unterstützung der dem Swiss TPH Direktorat unterstellten Project and Grant Unit (PGU) zu erhalten. Die PGU hat zum Ziel, Forschende und Projektleitende des Wissen | Vertrauen durch Qualität: Nachhaltige Projektprozesse des Swiss TPH 34 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0066 Swiss TPH bei der strategischen Ausrichtung der Projekte, der Aufrechterhaltung der Schnittstelle mit den Geldgebern und der Entwicklung von Forschungsförder-Anträgen zu beraten und unterstützen, unter Anwendung ihres Erfahrungswissens. Die PGU unterstützt in wissenschaftlicher, administrativer und rechtlicher Hinsicht die Projektleitung, um die Qualität der institutionellen Projekte in allen Phasen hochzuhalten. Parallel dazu erfolgt eine erste Risikoabschätzung in Form einer Plausibilitätsanalyse für benötigte interne Ressourcen und externe Qualitätsanforderungen. Zur Sicherstellung, dass diese neue Projektidee im Einklang mit der Institutsstrategie ist, wird der Bezug zu den strategischen Zielen dargelegt. Die NoI wird direkt in die Swiss TPH Projektdatenbank eingetragen und stellt somit den Beginn der Projektdokumentation am Swiss TPH dar. Die NoI wird von der Institutsleitung genehmigt, eventuell mit Auflagen oder Empfehlungen versehen oder abgelehnt, was für Transparenz sorgt und internen Wettbewerb vermeidet. Basierend auf der genehmigten NoI wird ein qualitativ hochwertiger Projektantrag erstellt. Dieser Entwicklungsprozess unter Beteiligung verschiedenster Kompetenzen ist entscheidend, um den Kundenbedürfnissen bei der Akquisition gerecht zu werden, was die Chancen zur Bewilligung maximiert. In Zeiten der Entkolonialisierung und des modernen Projektmanagements ist es üblich, sich von Anfang an auf einen Co-Creation-Prozess einzulassen: Projekte werden nicht mehr von der Schweiz aus top-down konzipiert- - unsere langjährigen und neuen Partner, die in der Alltagsrealität des betreffenden Landes verwurzelt sind, fungieren als Schlüssel für die Entwicklung relevanter Vorschläge in den aktuell turbulenten Zeiten des Wandels. Das Swiss TPH verfügt über ein umfangreiches Netzwerk von akademischen und Umsetzungspartnern auf der ganzen Welt und arbeitet mit ihnen zusammen an ehrgeizigen, aber realisierbaren Innovationen, um die Spitzenforschung weiter voranzutreiben. Hierbei ist ein gegenseitiges Lernen auf Augenhöhe für Veränderungen über Kontexte und Kontinente hinweg essenziell. Verschiedene Anwendungsprojekte gehen einen weniger digitalen Weg mit einem wöchentlichen „Tender-Meeting“ unter Beteiligung aller Einheitsleitenden. Diese analysieren die Möglichkeiten für neue Projekteingaben und entscheiden gemeinsam, welche Projektanträge entwickelt und eingereicht werden. In diesem alternativen Subprozess wird keine NoI erstellt. Dieses Vorgehen ist oft ressourcenschonender, auf diesen alternativen Einstieg in den Projektprozess folgen jedoch die gleichen Projektphasen des hier beschriebenen Projektlebenszyklus. Sobald ein Projektantrag von den Geldgebern angenommen wird, beginnt der Subprozess „Inception“ mit Vertragsverhandlungen, Eröffnung von Projektkostenstellen, Anschaffungen von Betriebsmitteln und der Einstellung von Projektmitarbeitenden sowie die Durchführung oder Aktualisierung von Risiko- oder Kapazitätsbewertungen der Partner und die Erstellung eines Projekthandbuchs, das die Umsetzung eines Projekts nach hohen administrativen und technischen Standards unter Einhaltung der nationalen Gesetzgebung des betreffenden Landes und der Anforderungen des Swiss TPH Headquarters regelt. Dieser Ansatz stellt sicher, dass Fragen, wie die Aufschlüsselung nach Geschlecht und Alter (Jugendliche / Nicht-Jugendliche) sowie Inklusionsaspekte, wie die Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen oder Menschen, die anderen Schwachstellen ausgesetzt sind (z. B. Binnenvertriebene oder Flüchtlinge, die möglicherweise keine offiziellen Papiere haben), ausreichend berücksichtigt werden. Swiss TPH spielt hier eine Schlüsselrolle, um sicherzustellen, dass seine Arbeit keinen Schaden anrichtet und dass alle, die sich für das Projekt engagieren, nicht ungewollt in der Öffentlichkeit sichtbar werden oder weiteren Risiken ausgesetzt sind. Die Projektphase „Realisation“ beschäftigt sich mit dem Management der Grants mit jährlichen partizipativen Planungsworkshops, Arbeitsplänen, Monitoring, technischen und Abbildung 1: Projektlebenszyklus am Swiss TPH-- Projektmanagement bildet als iterativer Prozess den Kern des Projektlebenszyklus und unterstützt als Rückgrat die Prozesse aller Projektphasen Wissen | Vertrauen durch Qualität: Nachhaltige Projektprozesse des Swiss TPH 35 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0066 finanziellen Reports, die in der Projektdatenbank für Sichtbarkeit und Controlling dokumentiert werden. Für das Überprüfen der Projektfortschritte wird ein Beirat mit externen Beteiligten, ein Lenkungsausschuss oder eine andere Leitungsstruktur eingesetzt, um Berichte zu genehmigen und Fortschritte zu ermöglichen. In der Phase der „Capitalisation“ werden die Projektergebnisse für möglichst bedeutende Wirkung zielgruppenspezifisch kommuniziert: Publikationen, Policy Briefs, Vorträge- - aber auch Videos, Theaterstücke und Kurzberichte für Entscheidungstragende. Die Kapitalisierung eines qualitativ hervorragenden Projekts ist die beste Voraussetzung für eine erfolgreiche Bewerbung um ein neues Projekt. Zuletzt folgt der Subprozess „Archiving / Reuse“: Projektleitende sind gesetzlich verpflichtet, bestimmte Teile abgeschlossener Projekte mindestens 10 Jahre nach Vertragsende aufzubewahren. Forschungsdaten werden möglichst auf entsprechenden Plattformen publiziert und somit für alle Projektbeteiligte und andere Forschende verfügbar gemacht. Alle diese Schritte werden in der Projektdatenbank dokumentiert, zuletzt werden die im Rahmen des Projektes entstandenen Publikationen und Daten mit dem Projekt verlinkt. Projektergebnisse und auch während des Projektes entstandene Ideen, Erfahrungen und Lessons Learned werden für künftige NoIs verwendet. Entgegen den häufig verwendeten linearen Projektprozessen (beispielsweise Hermes online) wird am Swiss TPH ein nachhaltiger Projektlebenszyklus gelebt. Ab der Realisierungsphase werden Erkenntnisse gewonnen, die eine essenzielle Grundlage für das Erwerben von Folgeprojekten darstellen. Der Effizienz verpflichtet, werden auch Erkenntnisse nicht angenommener Projektanträge für Folgeanträge verwendet. 2. Projektqualität Die Qualität der Projekte wird basierend auf dem magischen Dreieck (Atkinson 1999), bestehend aus den Parametern Zeit, Budget und Umfang betrachtet. Wird ein Parameter verändert, bedarf dies Änderungen an den anderen Parametern, um weiterhin die Qualität aufrechtzuerhalten. Beispielsweise führt eine Kürzung des Budgets ohne Anpassung von Zeitplan und Umfang zu einer Verschlechterung der Qualität. Nur qualitative hochwertig durchgeführte und erfolgreich abgeschlossene Projekte führen zur Finanzierung von Folgeprojekten. Der große Anteil an kompetitiv eingeworbenem Institutsbudget verpflichtet das Swiss TPH dazu, sich stark an den Anforderungen seiner verschiedenen Geldgeber zu orientieren. Einerseits sind dies direkte Auftraggeber, beispielsweise der Global Fund, der konkrete Projekte in Auftrag gibt. Andererseits ist es auch die öffentliche Gesellschaft, deren Bedürfnisse und Schwierigkeiten Grundlagen für verschiedene Forschungsförder-Programme darstellen, auf die sich Forschende mit Projektvorschlägen bewerben. Ein qualitativ hochwertiges Projekt hält nicht nur die Vorgaben bezüglich Zeit und Budget ein, sondern begeistert auch durch Übertreffen inhaltlicher Anforderungen der jeweiligen Geldgeber und anderer Stakeholder. Mit (mehrheitlich) öffentlichen Geldern erarbeitetes Wissen muss auch öffentlich zugänglich sein. Die Projektergebnisse werden an unterschiedliche Zielgruppen kommuniziert. Am Swiss TPH geschieht dies nicht nur durch hochwertige Publikationen in anerkannten Fachzeitschriften, die Qualität der Veröffentlichung von Projektergebnissen zeigt sich auch im Impact auf verschiedenen anderen Ebenen. Durch seinen hohen Qualitätsanspruch bei der Antragserstellung sowie das Kundenversprechen, neue wissenschaftliche Erkenntnisse in die Validierung und Anwendung zu bringen, erreicht das Swiss TPH bei verschiedenen Geldgebern eine überdurchschnittliche Erfolgsquote. 3. Projektbeispiel Jigjiga One Health Initiative Die Jigjiga One Health Initiative (JOHI) ist ein von der schweizerischen Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) finanziertes, auf 12 Jahre (2015-2026) angelegtes Forschungs- und Umsetzungsprojekt zur Verbesserung der operativen Gesundheitsforschung und der Entwicklungskapazitäten in Äthiopien. Die besonderen Bedürfnisse von nomadischen Pastoralistengemeinschaften werden bei öffentlichen Dienstleistungen oft benachteiligt. Dies ist auch im Gesundheitssek- Abbildung 2: Eintrag in der Projektdatenbank (Ausschnitt) Wissen | Vertrauen durch Qualität: Nachhaltige Projektprozesse des Swiss TPH 36 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0066 tor der Fall, daher wird hier ein regionales One-Health-Kompetenzzentrum aufgebaut mit dem Ziel, die Gesundheit und das Wohlbefinden der Pastoralistengemeinschaften am Horn von Afrika zu verbessern (Zinsstag et al. 2021). Akquise Aufgrund der Fachkenntnisse der Projektleitung im Bereich One Health hat das Swiss TPH den Zuschlag für dieses Projekt erhalten. JOHI wird zu gleichen Teilen vom Swiss TPH und den Partnern, Jigjiga Universität (JJU) und Armauer Hansen Research Institute (AHRI) in Addis Abeba durch Sacheinlagen und andere Eigenmittel finanziert. Hierfür werden von allen Projektleitenden kontinuierlich kleinere Anträge, um die Anforderung an die Eigenleistung zu erfüllen. Dieses Projekt durchläuft den gezeigten Projektlebenszyklus also für jede Projektphase erneut, lernt aus den vergangenen Projektphasen und gewinnt stets neue Grundlagen für weitere Projekte. Auf den durch die Institutsleitung genehmigten NoI folgte der Projektantrag und die Erweiterung des Eintrags in der Projektdatenbank. Neben der strategischen Einbettung wurde u. a. auch der Bezug zu den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (SDG) dokumentiert. Da im Laufe des Projektes auch Master- und Promotionsstudierende ausgebildet werden, sind auch diese Aktivitäten vermerkt. Die Projektdatenbank erhält jeweils den aktuellen Status des Projektes. Realisierung Das JOHI Projekt wird unter Berücksichtigung der Project Cycle Management Guidelines der Europäischen Kommission (EC 2004) und des Leitfadens der Schweizer Kommission für Forschungspartnerschaften mit Entwicklungsländern (KFPE 2012) durchgeführt. In intensiven Gesprächen erreichten die Projektbeteiligten ein gemeinsames Verständnis zur Durchführung des Projektes nach internationalen und nationalen Standards der involvierten Länder- - beispielsweise mit halbjährlichen Lenkungsausschusssitzungen, an denen alle Akteure des Gesundheitswesens auf regionaler und föderaler Ebene teilnehmen. Außerdem gibt es vierteljährliche Fachausschüsse. Durch den angewandten, partizipatorischen Ansatz trafen sich Pastoralistengemeinschaften, Beteiligte von Distrikten, Regionen und Bundesstaaten, WissenschaftlerInnen und Nichtregierungsorganisationen (NRO) zu gemeinsamen Workshops. Einem transdisziplinären Prozess folgend, wurden alle sozialen Herausforderungen, die einer Lösung bedürfen, von den Pastoralistengemeinschaften gesammelt und von den Projektmitarbeitenden nach Dringlichkeit priorisiert. Das Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen / Prioritäten der Gemeinschaft, den Prioritäten der Regierung und den wissenschaftlichen Fragestellungen steht hierbei im Fokus. Basierend auf ihren unterschiedlichen nationalen und fachlichen Hintergründen (Tiermedizin, Humanmedizin, Ernährungswissenschaft, Soziologie, Anthropologie, Ökologie, öffentliche Gesundheit usw.) führen die Projektmitarbeitenden die Feldforschung in der Somali-Region Äthiopiens mit einem integrierten One Health-Ansatz durch, wodurch ein Mehrwert für Mensch und Tier erreicht wird. Diese Art der wissenschaftlichen Arbeit in einem solchen Projektprozess, dessen Zusammensetzung sich je nach Projektphase ändert und der von den beteiligten Projektpartnern geprägt ist, ist ohne kommunikative Effizienz nicht zu realisieren (Pelikan und Zinsstag 2024). Die folgende Abbildung zeigt die Managementstruktur von JOHI in den ersten Projektphasen, in denen das Projektmanagement (Line Manager, Backstopping und Coaching) von der Projektleitung am Swiss TPH durchgeführt wurde-- zusammen mit einem Projektkoordinator, der sowohl am Swiss TPH als auch an der JJU arbeitete. Seit der zweiten Projektphase wird die Feldforschung von der JJU geleitet, daraufhin wurde die Managementstruktur angepasst: JJU übernahm die Leitung als JOHI-Koordinator. Der ursprüngliche Vertrag zwischen DEZA und JOHI wurde in separate Verträge zwischen der DEZA mit der JJU und dem Swiss TPH aufgeteilt. Darin konzentriert sich das Swiss TPH auf das Backstopping und das Coaching mit separater Buchhaltung und Rechnungsprüfung. Die übrige, in Abbildung 3 gezeigte Organisationsstruktur, bleibt gleich. Kapitalisierung und Impact Die Kapitalisierung dieses Projektes beinhaltet nicht nur wissenschaftliche Publikationen (wobei hier besonders auf die Positionierung der äthiopischen Beteiligten als Nachweis ihrer wissenschaftlichen Exzellenz geachtet wurde), die Einbettung in die akademische Lehre und Fach-Vorträge, sondern auch Beiträge in Somalisch und ein Handbuch zu One Health für Äthiopien, das ins Somalische und Amharische übersetzt wird. Abbildung 3: Managementstruktur des JOHI-Projektes Wissen | Vertrauen durch Qualität: Nachhaltige Projektprozesse des Swiss TPH 37 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0066 Während sich die erste Phase auf Ausbildung und operative Forschung konzentrierte, liegt der Schwerpunkt der zweiten Phase auf dem politischen Dialog und Intervention. Die Projektbeteiligten verfassen Grundsatzpapiere, führen einen politischen Dialog auf nationaler und regionaler Ebene und entwickeln mittel- und langfristige politische Strategien. Erfolgreiche Forschungsresultate sollen auf den ganzen Somali Regional Staat (SRS) oder auch darüber hinaus angewandt werden. Zum Beispiel wird das integrierte Überwachungs-Reaktionssystem für Menschen, Tiere und Umwelt (Osman 2023) gegenwärtig auf weite Gebiete des SRS ausgeweitet und auch im Grenzgebiet von Äthiopien und Kenia, mit Mitteln der Daimler-Benz Stiftung getestet. JOHI trug mit einer Teilfinanzierung zum Bau eines neuen Schlachthofs in Gode (SRS) bei. Ebenso wurde ein lokales Labor aufgebaut, das künftig autark vor Ort betrieben wird. Diese nachhaltige Kapitalisierung ist der Kern dieses Projektansatzes. Archivierung und Wiederverwendung Das JOHI-Projekt ist noch nicht abgeschlossen, jedoch werden bereits Erkenntnisse aus jeder Phase in die nächste Phase (deren Finanzierung jeweils neu beantragt werden musste) übertragen. Eine Kopie aller Projektdaten bleibt zur Archivierung und Wiederverwendung bei den Projektpartnern in Äthiopien. Das Projekt wurde im Auftrag der DEZA zweimal extern evaluiert, die Evaluationsberichte trugen zu gewissen Anpassungen und Neuausrichtungen bei. Zahlreiche Krisen durch politische Unruhen, Dürreperioden und die Covid-19-Pandemie beeinflussen den Projektverlauf. Unerwartet wichtig waren häufige Wechsel in den äthiopischen Regional- und Bundesbehörden, in der Leitung der JJU aber auch der DEZA selbst bei gleichbleibender Projektleitung seitens des Swiss TPH und des Koordinators der JJU. Dabei ging viel institutionelles Wissen verloren, das neu aufgebaut werden musste. 4. Projektprozesse mit flexibler Anwendung Der am Swiss TPH gelebte integrierte Ansatz, mit globaler Reichweite von Innovation über Validierung bis zur Anwendung effektiv zu agieren, ist ohne erfolgreiches Projektmanagement nicht nachhaltig realisierbar. Der beschriebene Projektprozess muss im Einklang mit der institutionellen Gesamtstrategie, Umsetzung und Führung sein (Waser et al. 2021). Allerdings müssen die Prozesse auch für heterogene Projektteams umsetzbar sein, die zum einen international, zum anderen intrabis transdisziplinär agieren. In diesem Zusammenhang ist zuweilen eine Nichteinhaltung von Prozessen unausweichlich. Beispielsweise werden manche Fördermöglichkeiten sehr kurzfristig publiziert (oder spät gesehen), sodass der reguläre Ablauf eine Eingabe verhindern würde. Ebenfalls kommen Anfragen von externen Projektpartnern zur aktiven Teilnahme an Projektanträgen zuweilen später als im internen Prozessablauf vorgesehen, oder zusätzliche wissenschaftliche Disziplinen und weiterführende Expertise müssen kurzfristig herangezogen werden. Sollen aus strategischen Gründen solche Gelegenheiten nicht ausgelassen werden, muss der beschriebene Projektlebenszyklus mit seinen Abläufen genügend Flexibilität bieten. Auch wenn das Swiss TPH großen Wert auf seine Kernprozesse und Subprozesse legt, um den institutionellen Qualitätsanforderungen zu genügen, wird Flexibilität für manche Projektphasen, wo notwendig, gelebt. 5. Literatur [1] Swiss TPH Jahresbericht 2024, https: / / issuu.com / communications.swisstph / docs / swiss_tph_jahresbericht_2024" (Stand 25. 06. 2024). [2] Hermes, Bundeskanzlei, Digitale Transformation und IKT-Lenkung, https: / / www.hermes.admin.ch / de / projektmanagement / methodenueberblick.html (Stand 25. 06. 2025). [3] Pelikan, Kristina: Enhancing and analysing project communication. Berlin, Frank & Timme 2019. [4] Zinsstag, Jakob; Gobu, Lensse; Tschopp, Rea; Abdikadir, Mohammed Ibrahim: The Jigjiga One Health Initiative. Swiss TPH Impact Story 06. 07. 2021. Basel, Swiss TPH. [5] European Commission, EuropeAid Cooperation Office: Aid Delivery Methods-- Project Cycle Management Guidelines. Brüssel 2019. [6] Kommission für Forschungspartnerschaften mit Entwicklungsländern (KFPE): Leitfaden für grenzüberschreitende Forschungspartnerschaften, Bern, KFPE 2012.[7] Osman, Yahya; Zinsstag, Jakob; Abtidon, Rahma; Hattendorf, Jan; Crump, Lisa; Wali, Halane; Mo’alin, Ahmed; Muhumed, Abdifatah; Tschopp, Rea. Operationalizing a communitybased One Health surveillance and response in Adadle district of Ethiopia. In: CABI One Health 2: 1 / 2023: 12. [8] Atkinson, Roger: Project management: cost, time and quality, two best guesses and a phenomenon, its time to accept other success criteria. In: International Journal of Project Management 17: 6 / 1999, 337-342. [9] Pelikan, Kristina; Zinsstag, Jakob: Sind WissenschaftlerInnen Experten oder Laien? Wissenschaftskommunikation bei transdisziplinärer Zusammenarbeit. In: Busch Albert; Luttermann Karin (Hrsg.): Professionskommunikation. Hildesheim, Universitätsverlag 2024, 99-120. [10] Waser, Marco; Beatrice-Matter, Sabina; Utzinger, Jürg: Durchgängiger Strategieprozess als Erfolgsfaktor einer exzellenten Organisation. In: Management und Qualität, 01-02 / 2021,1-3. Eingangsabbildung: © iStock.com / SilverV Das Schweizerische Tropen- und Public Health-Institut (Swiss TPH) Als weltweit führendes Institut im Bereich der globalen Gesundheit fokussieren wir als Kernprozesse auf Akquise und erfolgreiche Umsetzungen von Projekten. Basierend auf der einzigartigen Kombination von Forschung, Bildung und Dienstleistung wollen wir die Gesundheit und das Wohlbefinden verbessern, indem wir Krankheiten und Gesundheitssysteme besser verstehen und dieses Wissen für das Bewirken sichtbarer Veränderungen einsetzen. Unserem translationalen Ansatz folgend-- von der Innovation über die Validierung bis hin zur Anwendung-- arbeiten wir beispielsweise in der Reisemedizin und an der Bekämpfung von Ausbrüchen in der Schweiz, an globaler Gesundheitssicherheit in der Ukraine, bis hin zur Entwicklung und Bereitstellung neuartiger Diagnostika und Impfstoffen entsprechend globaler Anforderungen. Dies gelingt uns in 437 aktiven inter- und transdisziplinären Projekten in mehr als 126 Ländern (Swiss TPH Jahresbericht 2024 ), durch die wir die globale Gesundheit durch Innovation, Partnerschaften und praktische Anwendung fördern. Wissen | Vertrauen durch Qualität: Nachhaltige Projektprozesse des Swiss TPH 38 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0066 Dr. Kristina Pelikan Dr. Kristina Pelikan verbindet eigene Forschung mit täglicher Umsetzung, wobei ihr aktueller Arbeitsbereich das Wissensmanagement des Swiss TPH ist. Mit Fokus auf kontinuierlicher Verbesserung arbeitet sie an Prozessen des Wissensmanagement-Zyklus, parallel gehört sie zum Qualitätsmanagement-Team. Anschrift: kristina.pelikan@swisstph.ch Internet: www.swisstph.ch https: / / orcid.org / 0000-0001-8289 - 894X Dr. Helen Prytherch Dr. Helen Prytherch arbeitet an der Konzipierung, Vorbereitung, Umsetzung und Überwachung von diversen Projekten am Swiss TPH mit Schwerpunkt Stärkung von Gesundheitssystemen. Sorgt dafür, dass die Thematik Geschlecht und Inklusion in den diversen Projektprozessen integriert wird. https: / / orcid.org / 0000-0002-6999 - 5718 Prof. Dr. Jakob Zinsstag Als Professor für Epidemiologie leitet Jakob Zinsstag am Swiss TPH die Abteilung für Human- und Tiergesundheit. Er forschte acht Jahre in Gambia, Westafrika, und war vier Jahre lang Leiter des Centre Suisse de Recherches Scientifiques an der Elfenbeinküste. Er gilt als Pionier der inter- und transdisziplinären Forschung zu One Health. https: / / orcid.org / 0000-0002-8899 - 6097 Dr. Rea Tschopp Rea Tschopp ist One Health-Epidemiologin und hat einen veterinärmedizinischen Hintergrund im Bereich der öffentlichen Gesundheit. Als Leiterin der One Health-Forschungsgruppe am Swiss TPH und der One Health-Abteilung am Armauer Hansen Research Institute leitet sie das JOHI-Projekt. Dr. Michael Käser Michael Käser ist Wissenschaftler im Bereich Life Science und Infektionsbiologie. Er leitet die Project and Grant Unit, in der er im Rahmen von Forschungsanträgen und dem Management von großen und internationalen Verbundprojekten das Forschungsmanagement für das Swiss TPH etabliert hat. https: / / orcid.org / 0000-0001-8673 - 7238 Dr. Marco Waser Marco Waser leitet das Qualitätsmanagement, dies umfasst die Prozesse der Strategieentwicklung und -umsetzung sowie die Lebenszyklusprozesse von Forschungsprojekten. Er hat den Projektlebenszyklus und die entsprechende Projektdatenbank am Swiss TPH eingeführt und ist für Monitoring / Evaluation des gesamten Projektportfolios zuständig. Anschrift: marco.waser@swisstph.ch 39 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0067 digital health center bülach Ein Netzwerk für Transformation im Gesundheitswesen Corinne Spirig, Stefan Lienhard Für eilige Leser | Das digital health center bülach (dhc) fördert die digitale Transformation im Gesundheitswesen durch Vernetzung, Wissensvermittlung und Methodenkompetenz. Der Verein richtet sich an Spitäler und Kliniken, Heime, Praxen, Start-ups, Hochschulen und weitere Stakeholder. Durch innovative Formate wie „Shit happens sessions“ und Kooperationen mit Hochschulen bietet das dhc konkrete Unterstützung für digitale Projekte. Der Beitrag gibt Einblick in Vision, Erfolgsfaktoren und Praxisprojekte-- von digitaler Medikamentenlogistik bis hin zu neuen Berufsbildern in der Pflege. Ein starker Fokus liegt auf Austausch, Co-Creation und skalierbarem Wissenstransfer. Schlagwörter | Digitale Transformation, Gesundheitswesen, Innovation, Vernetzung, Public-Private-Partnership, Projektmanagement, Co-Creation, Community-Building 1. Einleitung Die digitale Transformation im Gesundheitswesen ist komplex: Regulatorische Auflagen, Datenschutzanforderungen, fragmentierte veraltete IT-Infrastrukturen und ein Mangel an Ressourcen erschweren den Fortschritt. Doch der Wandel ist unausweichlich. Genau hier setzt das digital health center bülach (dhc) an. Als Netzwerk aus öffentlichen und privaten Partnern unterstützt das dhc alle Akteure praxisnah und interdisziplinär. 2. Der Verein digital health center bülach Der Verein digital health center bülach (dhc) verfolgt das Ziel, Gesundheitsorganisationen bei der digitalen Transformation zu befähigen und zu begleiten. Das geschieht unter anderem durch: • Zugang zu einem interdisziplinären Netzwerk • Durchführung von Veranstaltungen mit Praxisbezug • Beratungsmöglichkeiten und Inputs zu neuen Methoden oder Technologien Das dhc basiert auf einem Public-Private-Partnership-Modell. Die Finanzierung erfolgt über Mitgliedsbeiträge, Mieten, Veranstaltungen sowie Dienstleistungen. Diese Struktur ermöglicht sowohl Unabhängigkeit als auch strategische Kooperation. Zu den Zielgruppen zählen Spitäler, Kliniken, Alters- und Pflegeheime, Psychiatrien, Praxen, Start-ups, Dienstleistende, Hochschulen und Verbände / Vereine. Mit mittlerweile über 80 Mitgliedern und 30 Netzwerkpartnern deckt das dhc ein breites Spektrum an Stakeholdern ab, von Hochschulen über Spitäler, Start-ups, Beratungen bis hin zu Politik und öffentlicher Verwaltung. Diese Vielfalt ist ein zentraler Erfolgsfaktor, da sie den Austausch über Sektor- und Disziplinengrenzen hinweg fördert. Auch räumlich bietet das dhc ein ideales Umfeld für kollaboratives Besprechen, Diskutieren und Erarbeiten. Mit modernen Meetingräumen, Coworking-Spaces, einem Showroom-Bereich und einem Eventraum stehen den Mitgliedern vielfältige Arbeitsumgebungen zur Verfügung. Diese physische Infrastruktur stärkt die Community, beschleunigt Abstimmungen und fördert den Austausch zwischen Teams, on- und offline. 2.1 Mitgliedschaft: Vorteile und Kategorien Was eine Mitgliedschaft im dhc besonders macht, ist der gezielte Zugang zu praxisrelevanter Umsetzungskompetenz: statt nur über Digitalisierung zu sprechen, können Mitglieder Wissen | Ein Netzwerk für Transformation im Gesundheitswesen 40 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0067 direkt auf Methoden, Fachwissen und erprobte Werkzeuge und diverse Expert: innen zugreifen. Sie erhalten konkrete Unterstützung bei der Strukturierung eigener Projekte, profitieren vom Erfahrungsschatz anderer Organisationen und können neue Lösungen unter realen Bedingungen testen. Dabei steht nicht die Größe der Organisation im Vordergrund, sondern der Wille zur aktiven Mitgestaltung. Ob Pflegeheim, Praxis oder Hochschule- - jede Stimme zählt, jede Perspektive bringt das Netzwerk weiter. 2.2 Erfolgsfaktoren des Vereins Networking Das dhc bietet Angebote wie: • Gezielte Erfahrungsaustausch-Gremien • Monatlicher Networking-Apéro für einen informellen Austausch • Neue und innovative Formate wie die „Shit happens session“ über Fehlerkultur und gescheiterte Projekte oder die Veranstaltung „Digitale Gesundheit im Alltag für 60plus“ [1], wo der Zielgruppe digitale Gadgets, Apps und Plattformen nähergerbracht und erklärt werden. • Zusammenarbeit mit der kantonalen KI-Innovation-Sandbox zur Vernetzung von Technologie und Praxis sowie für den Wissensaufbau und -transfer in die Branche. Education • Lego Serious Play zur kreativen Problemlösung • Kooperation mit Swiss Project Management zu Themen wie "Learning by Doing Agile" • Zugang zu div. UX-Labs und -Spezialist: innen Innovation • Regelmäßige Webinare zu den Themen Recht, Regulierung und Marketing-- mit jeweils wechselnden Schwerpunkten • Sammlung fachspezifischer Blogs, Podcasts und Studien • Aufbereitung von Wissen für die Community und Branche • Zusammenarbeit mit div. Hochschulen und Universitäten (ZHAW, ZHDK, UZH, FHNW) • Innovationday [2], wo neueste Gesundheitsinnovationen zum Anfassen präsentiert werden. 2.3 Herausforderungen im digitalen Wandel und wie das dhc konkret unterstützt Die Erfahrungen im dhc zeigen, die digitale Transformation im Gesundheitswesen scheitert oft nicht am Willen zur Innovation, sondern an strukturellen und systemischen Hindernissen. Drei Herausforderungen erscheinen als besonders zentral: Fragmentierte IT-Systeme In vielen Einrichtungen existieren historisch gewachsene, isolierte Softwarelösungen, sogenannte Insellösungen. Diese Systeme sind selten interoperabel und erschweren den nahtlosen Austausch von Daten zwischen Leistungserbringern, Kostenträgern und Patienten. Der Mangel an standardisierten Schnittstellen (z. B. HL7, FHIR) führt zu ineffizienten Prozessen, Doppelspurigkeiten und Fehleranfälligkeit. Das dhc unterstützt Lösungen, die interoperabel agieren, Architekturentscheidungen methodisch plausibel begleiten und Schnittstellen übergreifend denken. Fachkräftemangel als Digitalisierungsbremse Der Mangel an qualifiziertem Personal betrifft längstens nicht nur mehr die Pflege, sondern zunehmend auch das Digitalisierungs-Know-how innerhalb der Organisationen. Häufig fehlen Ressourcen, um digitale Projekte neben dem Tagesgeschäft zu realisieren. Das dhc begegnet dieser Hürde mit gezieltem Capacity Building innerhalb der Community: über Schulungen, agile Coaching-Angebote und praxisnahe Formate wie Co-Creation-Workshops können Teams befähigt werden, digitale Vorhaben auch eigenständig befähigt voranzutreiben, sei es mit oder ohne externe Dienstleister angewiesen zu sein. Impressionen vom Innovationday am Beispiel Robotik Wissen | Ein Netzwerk für Transformation im Gesundheitswesen 41 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0067 Usability als kritischer Erfolgsfaktor Viele digitale Anwendungen im Gesundheitsbereich werden an den tatsächlichen Arbeitsprozessen vorbei entwickelt. Komplexe Benutzeroberflächen, inkonsistente Navigation oder fehlende mobile Nutzungsmöglichkeiten führen zu Ablehnung durch Fachpersonal, selbst bei funktional technisch leistungsfähiger Software. Im Netzwerk besteht daher die Möglichkeit auf nutzerzentrierte Entwicklungen sich abzustützen, sei es in UX-Labs von Mitgliedern oder interaktiven Prototypentests. Die frühe Einbindung von Endanwender: innen sorgen dafür, dass digitale Tools nicht nur technisch, sondern auch im Alltag überzeugen. Aus dem bisherigen Engagement für und mit der Branche wurde deutlich: Digitale Transformation ist kein Tool-, sondern ein Kulturthema. Auch die beste Lösung scheitert, wenn Change-Kommunikation oder Schulung fehlen. Viele dhc-Mitglieder betonen deshalb zunehmend, wie bedeutend interne Fürsprecher: innen sind, die zwischen Digitalteams und Praxis vermitteln. 2.4 Co-Creation und Synergien-- warum gerade im Gesundheitswesen so entscheidend Im Gesundheitswesen treffen unterschiedlichste Akteure aufeinander, von Pflege und Medizin über IT, Personalmanagement, Bildung bis hin zu Patientenvertretungen. Oft arbeiten sie parallel statt miteinander, was eine ganzheitliche Innovation bremst. Co-Creation durchbricht diese Silos, denn erst, wenn Fachkräfte, Entwickler: innen, Forschende und Betroffene gemeinsam Lösungen entwickeln, entstehen realitätsnahe, tragfähige Ergebnisse mit einer hohen Akzeptanz. Synergien entstehen dort, wo Wissen geteilt, statt gehortet wird, was in der dhc- Community stark gelebt wird. Ein entscheidender Erfolgsfaktor in einer Branche, die auf Vertrauen, Qualität und Effizienz zugleich angewiesen ist. Gerade hier hat Co-Creation das Potenzial, Komplexität nicht nur zu bewältigen, sondern sinnvoll zu gestalten. Jede Berufsgruppe bringt eigenes Erfahrungswissen, spezifische Anforderungen und gewachsene Routinen mit: • Pflegekräfte wissen, wie ein digitaler Dienstplan oder eine Medikations-App tatsächlich in den Alltag integriert wird. • Ärzt: innen kennen die medizinischen Anforderungen und rechtlichen Dokumentationspflichten. • IT-Fachpersonen denken in Schnittstellen, Sicherheitslogiken und Softwarearchitektur. • UX-Designer: innen sorgen für verständliche Bedienbarkeit. • Ökonom: innen analysieren Ressourcen, Effizienz und Wirtschaftlichkeit. • Jurist: innen sichern Datenschutz und Haftungsfragen ab. Nur wenn diese Perspektiven in einem gemeinsamen Raum zusammenarbeiten, frühzeitig, gleichberechtigt und iterativ, entstehen Lösungen, die anschlussfähig und nachhaltig sind. Welche Voraussetzungen benötigt es denn für eine erfolgreiche interdisziplinäre Zusammenarbeit? Interdisziplinarität gelingt nicht durch das bloße Zusammensetzen von Fachleuten, sondern sie muss aktiv gestaltet werden. Das dhc achtet dabei auf folgende zentrale Faktoren: Vertrauensaufbau und Feedbackkultur Nur in einem vertrauensvollen Rahmen werden auch kritische Punkte angesprochen. Das dhc fördert eine offene Lernkultur, wie beispielsweise über „Shit happens“-Formate, Retrospektiven und Fehleranalysen, die nicht stigmatisieren, sondern Lernchancen sichtbar machen. Gemeinsame Sprache finden Ein häufiger Stolperstein ist die Unterschiedlichkeit der Fachbegriffe. Was für die IT ein „Feature“ ist, ist für das Pflegepersonal eine zusätzliche Aufgabe oder ein Risiko. Im dhc wird bewusst immer wieder an einer gemeinsamen Sprache gearbeitet: über Visualisierungen, Storytelling und inklusive Dialogformate. Rollen und Verantwortung klären Damit interdisziplinäre Teams in Zusammenarbeit funktionieren, müssen Aufgaben und Zuständigkeiten für alle transparent sein. Erfahrungsgemäss können hierfür Rollenmodelle wie RACI, helfen, Klarheit zu schaffen, ohne starre Hierarchien zu benötigen. 3. Projekte aus der Praxis Das dhc versteht Projektmanagement als zentrales Werkzeug, um die digitale Transformation im Gesundheitswesen systematisch und effizient umzusetzen. Das dhc setzt bei seinen Projekten auf strukturierte Phasen, von der Idee bis hin zur Umsetzung. Die erarbeiteten Inhalte dienen als Blaupause für weitere Organisationen, um das Wissen im Netzwerk zu erweitern und Mitglieder teilhaben zu lassen. Einige Projektbeispiele, die bereits umgesetzt wurden: Digitalisierte Medikamentenlogistik in einem Pflegeheim Einblick in einen Workshop zum Thema Mensch & Maschine-- Psychologische Insights und LEGO® SERIOUS PLAY® Wissen | Ein Netzwerk für Transformation im Gesundheitswesen 42 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0067 Ziel: Effizienzsteigerung und Fehlervermeidung Lösung: Einführung eines digitalen Systems Ergebnis: 40 % weniger Medikationsfehler. Demokratisierte Schichtplanung durch Automation Ziel: Mitarbeitereinbindung und faire Dienstverteilung Lösung: Agile Workshops und Pilotierung eines Tools Ergebnis: 25 % höhere Zufriedenheit. Zukunft der Pflege mitgestalten Ziel: Neue Berufsbilder und Arbeitsweisen Lösung: Co- Creation-Workshops mit Hochschulen Ergebnis: Prototyp eines Pflege-Rollenkonzepts Die Bandbreite an Projektthemen im dhc zeigt, wie vielfältig die digitalen Herausforderungen im Gesundheitswesen sind und wie konkret daran gearbeitet wird: • Wie gelingt eine sichere und nutzerfreundliche Patientenportal-Strategie? • Welche Rolle spielt KI bei der Vorhersage von Notaufnahmekapazitäten? • Wie kann digitale Schulung für Pflegekräfte interaktiv und wirksam gestaltet werden? • Was braucht es, um einheitliche Datenräume für Spital, Praxis und Pflege zu schaffen? • Wie kann Technologie helfen, Angehörige besser in den Pflegeprozess einzubeziehen? Solche Fragen entstehen direkt aus dem Alltag der Mitglieder und genau hier setzt das dhc an: als gemeinsamer Experimentier- und Umsetzungsraum für mögliche tragfähige Antworten. 4. Digital Health Accelerator-- gezielte Förderung für Start-ups und Praxis Ein besonders wirkungsvolles Instrument zur Förderung innovativer Lösungen ist der Digital Health Accelerator des dhc, der in Kooperation mit der Zürcher Kantonalbank und dem FinTech-Inkubator Tenity betrieben wird. Ziel ist es, Start-ups in einer frühen Entwicklungsphase gezielt bei der Weiterentwicklung und Validierung ihrer digitalen Gesundheitslösungen zu unterstützen und gleichzeitig die Brücke zur Praxis zu schlagen. Das viermonatige Programm findet zweimal jährlich statt und umfasst vier intensive Masterclass-Wochen, in denen die durch eine Jury ausgewählten Startups mit Branchenexpert: innen, Coaches, Gesundheitsinstitutionen und potenziellen Anwender: innen zusammenarbeiten. Im Zentrum stehen Themen wie Geschäftsmodellentwicklung, Go-to-Market-Strategien, rechtliche Rahmenbedingungen, klinische Validierung, Datenschutz, User Experience und Interoperabilität. Gleichzeitig profitieren die teilnehmenden Startups vom direkten Zugang zum dhc-Ökosystem mit Kontaktmöglichkeiten zu potenziellen Pilotpartnern, Kunden und Investor: innen. Der Accelerator verfolgt einen praxisnahen, umsetzungsorientierten Ansatz: Lösungen sollen nicht nur auf dem Papier bestehen, sondern im realen Kontext bestehen können. Deshalb liegt ein starker Fokus auf Proof-of-Concept-Phasen, Nutzerfeedback und iterativer Weiterentwicklung. Die Gesundheitsorganisationen im Netzwerk profitieren im Gegenzug vom frühen Einblick in neue Technologien und können selbst Teil von Pilotierungen werden, z. B. in Bereichen wie Telemedizin, automatisierter Datenaustausch, Patientenzentrierung oder Entscheidungsunterstützung. Ein weiterer Vorteil: Der Accelerator eröffnet Startups Sichtbarkeit etwa über den dhc-Showroom, Kommunikationskanälen, Netzwerkformate und den jährlichen Innovationday. Gleichzeitig wird das dhc als Plattform für Innovationsscouting, Co-Creation und Transfer sichtbar gestärkt. So entsteht ein echter Mehrwert für alle Beteiligten: Startups professionalisieren ihr Geschäftsmodell und ihre Lösung, die Branche erhält Zugang zu früh validierten, innovativen Ansätzen, und das dhc erfüllt seine Rolle als Brückenbauerin zwischen Vision und heutiger Versorgung. 5. Wirkung des Vereins dhc in Zahlen (Stand: per Mai 2025 ) • 80 Mitglieder • 30 Netzwerkpartner • Über 1’500 Teilnehmende an Events im letzten Jahr Teilnehmende am jährlichen Innovationday mit dem Ziel neue Lösungen ausprobieren zu können Wissen | Ein Netzwerk für Transformation im Gesundheitswesen 43 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0067 6. Strategischer Ausblick: Wohin sich das dhc entwickelt Seit seiner Gründung 2021 hat sich das dhc von einer Vision zu einem relevanten strategischen Player in der digitalen Gesundheitslandschaft entwickelt. Vom Coworking-Pilotprojekt über die Eröffnung des neuen Standortes bis hin zum ersten Innovationday 2024, jede Etappe wurde partizipativ gestaltet und von der Community getragen. Der digitale Wandel im Gesundheitswesen ist kein kurzfristiges Projekt, sondern ein langfristiger Transformationspfad. Das dhc versteht sich nicht nur als operativer Umsetzungspartner, sondern auch als Impulsgeber für eine gesundheitsversorgende Zukunft, die vernetzt, menschenzentriert und lernfähig ist. 6.1 Neue Themenfelder im Fokus Die nächsten Jahre werden durch technologische, gesellschaftliche und politische Dynamiken geprägt, die alle Stakeholder betreffen und die das dhc aktiv in ihre Geschäftsfelder aufnimmt: • Künstliche Intelligenz im klinischen Alltag: von der Entscheidungsunterstützung bis zur automatisierten Dokumentation, mit Fokus auf Praxisnutzen und Implementierung. • Digitale Gesundheitskompetenz: Förderung von Fähigkeiten im Umgang mit digitalen Tools, bei Fachpersonen und bei Patient: innen. • Ethik und Digitalisierung: Auseinandersetzung mit Fragen nach Gerechtigkeit, Transparenz, Autonomie, Nicht-Schaden, Fürsorge und menschenzentrierter Technologie. • Datenräume und Plattformmodelle: Betonung der Tragweite und Wichtigkeit des Aufbaus von kooperativen, vertrauenswürdigen Dateninfrastrukturen zur sektorübergreifenden Versorgung. • Neue Berufsbilder und Rollen: Unterstützung von Ausbildungslehrgängen, die neue Technologien fördern und deren Umsetzungen in verschiedenen Berufsbildern. Diese aktuellen und sich stetig verändernden Themen werden nicht abstrakt diskutiert, sondern in Pilotprojekten, Workshops und Community-Zusammenkünften konkret bearbeitet, gemeinsam mit den Mitgliedern. 6.2 Politische Anbindung und gesundheitsgesellschaftliche Verantwortung Digitale Gesundheit ist auch eine gesellschaftliche Aufgabe. Das dhc engagiert sich deshalb zunehmend auch auf politischer Ebene: • Kooperationen mit Behörden und Politik: z. B. auf kantonaler Ebene bei KI-Sandbox-Projekten oder in der Abstimmung mit Bundesprogrammen zur Digitalen Gesundheit. • Beiträge zur Regulierungspraxis: etwa in Fragen zur datenschutzkonformen Nutzung von Gesundheitsdaten oder zur Förderung interoperabler IT-Strukturen. • Öffentlichkeitswirksame Sensibilisierung: z. B. durch die medienwirksame Veranstaltung „Digitale Gesundheit für 60plus“, als für die alternde Gesellschaft. Ziel ist es, ein Umfeld zu fördern, in dem digitale Innovation nicht als Selbstzweck, sondern als Beitrag zur besseren, gerechteren und nachhaltigeren Gesundheitsversorgung verstanden wird. 6.3 dhc selbst als lernende Organisation-- und was Mitglieder davon haben Das dhc versteht sich selbst als lernende Community: Formate, Tools und Strukturen werden kontinuierlich weiterentwickelt, stets basierend auf Erfahrungen, Rückmeldungen und den realen Herausforderungen der Mitglieder. Die Mitgliedschaft bedeutet deshalb mehr als Zugang zu Wissen: Sie ist eine eindeutige Einladung zur Mitgestaltung, das sich auch in einem kürzlich entwickelten Verhaltenskodex für den Verein zeigt. Die Offenheit, Vielfalt und Bereitschaft zum gemeinsamen Lernen ist dabei das verbindende Element, unabhängig von Größe, Organisationsform oder Reifegrad in der Digitalisierung der jeweiligen Mitglieder. Das dhc plant, sein Angebot agil weiterzuentwickeln nach den aktuellen Herausforderungen des Gesundheitswesens, um so den Mitgliedern stets den größten Mehrwert bieten zu können. Ziel ist es, den Wissenstransfer im Netzwerk weiter zu skalieren und weitere Partner aus Politik und Wirtschaft einzubinden. Zudem wird das Veranstaltungsangebot stetig ausgebaut, um Trends und Innovationen folgen zu können. In diesem Zuge wird auch das Projektmanagement-Angebot des dhc ausgebaut, um Mitglieder noch gezielter bei der Planung, Steuerung und Umsetzung ihrer Innovationsvorhaben zu unterstützen. 7. Fazit Das digital health center bülach steht für kooperative Gesundheitsinnovation: interdisziplinär, sektorenübergreifend, praxisnah und community-getrieben. Es bietet einen idealen Rahmen, um Herausforderungen gemeinsam zu meistern und digitale Transformation der Branche wirksam zu gestalten. [1] digital-health-center.ch / digitale-gesundheit-im-alltag-fuer-60plus [2] digital-health-center.ch / rueckblick-innovationday-2024 Eingangsabbildung: Shit happens Session, wo Learnings aus gescheiterten Projekten präsentiert werden, um gemeinsam zu wachsen. Corinne Spirig Corinne Spirig ist aktuell COO beim digital health center bülach. Zuvor war sie Pflegeexpertin Chirurgie, leitete Projekte in Palliative Care, übernahm die Leitung für Klinikinformationssysteme und führte digitale Gesundheitsprojekte. eMail: corinne.spirig@dhc.zuerich Stefan Lienhard Stefan Lienhard ist CEO des digital health center bülach. Internet : www.digital-health-center.ch 44 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0068 Warum eine PM-Community den Unterschied macht Gemeinschaft statt Alleingang Natalie Esther Galeczki Für eilige Leser | Projektmanagement ist im Gesundheitswesen ein entscheidender Faktor für die noch sehr junge Digitalisierung und Prozesseffizienz. Eine Projektmanagement-Community in Spitälern fördert den Austausch von Fachleuten aus verschiedensten Bereichen, wie Projektmanagern, Pflegefachkräften und dem Betrieb. Dies stärkt vor allem das Verständnis Füreinander sowie die Kommunikation, den Wissensaustausch und die Zusammenarbeit. Es soll langfristig zu besseren Ergebnissen innerhalb der Projekte führen. Eine solche Gemeinschaft steigert die Mitarbeiterbindung und -zufriedenheit, indem sie Mitarbeitenden eine Plattform bietet, um ihre Aufgaben und Rollen im Projektgeschäft zu thematisieren. Schlagwörter | Projekt Management Gemeinschaft; Projekt Management Maturität; Projekt Management Exzellenz; Kompetenzzentrum Projekt Management; Praxisbeispiel; Gesundheitswesen; Kantonsspital Projekt Management am Spital-- eine Momentaufnahme Digitalisierung, Prozessoptimierung, Transformation-- das sind alles Schlagwörter, die aus einem Spital nicht mehr wegzudenken sind. Wie schafft man die Umsetzung dieser Vorhaben? Es geht nur mittels einer starken Kultur und Arbeitsmoral sowie dem Willen interdisziplinäre Kompetenzen aufzubauen, wie zum Beispiel dem Projektmanagement. Projektmanagement ist schon längst ein essenzieller Bestandteil im Gesundheitswesen und als Mittel zum Zweck der Digitalisierung und Prozessoptimierung geworden. Die Vielzahl und Vielfalt an Projekten, die täglich in einem Spital durchgeführt werden-- von der Einführung neuer Technologien bis hin zur Umstrukturierung von Abteilungen oder der Implementierung neuer Prozesse- - erfordert eine strukturierte Methodik und ein standardisiertes Gefäß, um den Wandel umzusetzen. Ein effektives Projektmanagement ist daher nicht nur eine Notwendigkeit, sondern kann zu einem Wettbewerbsvorteil in der Gesundheitsbranche werden- - wenn es denn richtig eingesetzt und gelebt wird. In Wahrheit fehlt es allerdings oft an Strukturen und Systemen, um Standards außerhalb der klinischen Bereiche zu fördern. Denn bei einer diversifizierten Rollenverteilung, wie sie in Spitälern zu finden ist, wird es umso schwieriger, interdisziplinäre Standards zu setzen. Aktuell übernimmt etwas eine Pflegeleitung die Rolle der Projektleitung für neue Prozesse, und ein Techniker aus dem Betrieb wirkt als Projektmitarbeiter in einem Digitalisierungsprojekt mit. Dabei fehlt es nicht nur an dedizierten Ressourcen, sondern vor allem an Wertschätzung durch Zeit für diese zusätzlichen Aufgaben. Diese Projekttätigkeiten sind meist nebenbei zu meistern- - zusätzlich zur eigenen Fachkarriere und den täglichen Aufgaben. In diesem Zusammenhang kann die Schaffung einer Projektmanagement-Community den entscheidenden Unterschied machen. Damit holt man Mitarbeitende ab und bietet ihnen eine Bühne, die Sie brauchen, um in den Projekten zu „performen“. Das zeigt auch das Praxisbeispiel der Projektmanagement- Community des Kantonsspitals Winterthur (hiernach „KSW“). Die Projektmanagement-Community wurde im März 2023 von Mitarbeitenden aus der Business Transformation sowie dem Projekt Portfolio und Change Management ins Leben gerufen und hat bislang acht Fachveranstaltungen sowie zahlreiche „Networking Kafis“ und „Lunch & Learns“ durchgeführt. Das Feedback ist durchwegs sehr positiv und wird als Mehrwert für die eigene Arbeit am KSW angesehen (siehe Abbildung 2). Wissen | Gemeinschaft statt Alleingang 45 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0068 Was ist eine Projektmanagement-Community? Eine Projektmanagement-Community ist ein Netzwerk von Fachleuten, die sich mit den Aspekten des Projektmanagements befassen und sich regelmäßig austauschen, um voneinander zu lernen, Erfahrungen zu teilen und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Diese Community kann aus Projektmanagern, Führungskräften, IT-Spezialistinnen und -Spezialisten, Pflegefachpersonen, Ärztinnen und Ärzten und anderen relevanten Akteuren bestehen, die in Projekten arbeiten. Der Austausch innerhalb einer solchen Gemeinschaft fördert die Zusammenarbeit und schafft eine Kultur des gemeinsamen Lernens und der kontinuierlichen Verbesserung. Die Vorteile liegen also auf der Hand, schnellstens eine Community ins Leben zu rufen-- falls nicht schon getan. Die Vorteile einer Projektmanagement-Community 1.Standardisierte Methodik In einem Spital, in welchem das Kerngeschäft nicht das Projektmanagement ist, ist es entscheidend, eine Austauschmöglichkeit zu schaffen, damit alle Projektbeteiligten informiert bleiben. Eine Projektmanagement-Community ermöglicht es den Mitgliedern, sich über neue Entwicklungen zu informieren und neue Methoden oder Tools zu erlernen, die die Projektarbeit verbessern können. Der Austausch von Wissen und Erfahrungen schafft eine kontinuierliche Lernumgebung, um die Offenheit neuer und digitaler Praktiken und Tools auszuprobieren und zu nutzen. Es können auch gemeinsam Standards erarbeitet werden, welche spitalübergreifend eingeführt werden. So haben die Mitglieder die Möglichkeit, aktiv an der Zukunft mitzugestalten. 2. Wissenstransfer und von Fehlern lernen Ein weiterer Vorteil einer Projektmanagement-Community ist der Wissensaustausch. Durch regelmäßige Treffen und den Austausch von Erfahrungen können Best Practices identifiziert und weitergegeben werden. Ein Projektmanager, der mit bestimmten Herausforderungen oder Problemen konfrontiert ist, kann von den Erfahrungen seiner Kolleginnen und Kollegen profitieren, die ähnliche Projekte bereits erfolgreich umgesetzt haben. Dies führt zu einer Steigerung der Effizienz und der Qualität der Projekte, da man von den Fehlern und Erfolgen anderer lernen kann. So lohnt es sich regelmäßige Praxis-Vorträge zu halten, um Projekte vorzustellen und dessen Herausforderungen und Lösungen hervorzuheben. 3. Mehr Verständnis und verbesserte Zusammenarbeit Vom Gästeservice über die Personalabteilung bis hin zum Notfall-- in einem Spital wie am KSW hat es über 500 verschiedene Berufsgruppen und Rollen. Das regelmäßige Zusammenkommen schafft mehr Verständnis füreinander und kann kurze Wege in der Zusammenarbeit ermöglichen. Die Netzwerk- Funktion spielt bei den Treffen einen bedeutenden Faktor. Laut ersten Umfragen hat sich die Projektmanagement-Community am KSW gewünscht, mehr Raum für Netzwerkmöglichkeiten zu schaffen. So wurden zusätzliche „PM Kafis“ sowie „Lunch&Learns“ ins Leben gerufen, um einen informellen Austausch zu ermöglichen. 4. Erhöhte Bindung und Zufriedenheit von Mitarbeitenden Projektmanagement ist oft eine herausfordernde Aufgabe, die nicht nur Fachkenntnisse, sondern auch organisatorische Fähigkeiten und Ausdauer erfordert. In einem Spital, in dem die Arbeitsbelastung häufig hoch ist, kann die Mitgliedschaft in einer Projektmanagement-Community einen erheblichen Einfluss auf die Bindung und Zufriedenheit der Mitarbeitenden haben. Die Unterstützung und das Vertrauen innerhalb einer solchen Community fördern das Gefühl der Zugehörigkeit und des Teamgeistes. Der Austausch von Ideen und die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Abteilungen schafft ein starkes Netzwerk, das den Mitarbeitenden das Gefühl gibt, wertgeschätzt zu werden. Fazit: Der nicht-messbare Wert der Gemeinschaft im Projektmanagement Die Einführung und kontinuierliche Pflege einer Projektmanagement-Community innerhalb eines Spitals bietet zahlreiche Vorteile. Sie fördert die Zusammenarbeit, den Wissensaustausch und die Verbesserung der Projekte. Statt im Alleingang zu arbeiten, können die Mitarbeitenden und Projektmanager in einer Gemeinschaft voneinander lernen, sich gegenseitig unterstützen und gemeinsam Lösungen entwickeln. Dies führt nicht nur zu einer höheren Effizienz, sondern kann auch zu einer nachhaltigen Verbesserung der Zufriedenheit der Mitarbeitenden führen. Während ca. 33 % nach der ersten Veranstaltung am KSW noch uneinig waren, ob die Projektmanagement-Community einen Mehrwert für die eigene Arbeit bietet, ist sich die Mehrheit bereits nach der achten Veranstaltung einig, dass Sie einen Mehrwert in der eigenen (Projekt-)Arbeit beziehen können (siehe Vergleich Abbildung 1 und 2). Während der Zeit hatten die Mitarbeiter Zeit sich mit den Zielen und den Themen der Projektmanagement-Community vertraut zu machen, um so bestmöglich profitieren zu können. Die Gemeinschaft ermöglicht es, Herausforderungen schneller zu bewältigen, Risiken besser zu managen und Projekte langfristig erfolgreich umzusetzen. Sie stärkt die Bindung der Mitarbeitenden, fördert eine positive Arbeitsatmosphäre und sorgt dafür, dass alle Beteiligten ihr Wissen und ihre Fähigkeiten zum Wohl des gesamten Spitals einsetzen können. In einer Zeit, in der Veränderungen insbesondere durch die Digitalisierung auf die Gesundheitsbranche einwirken, ist eine Projektmanagement-Community nicht nur ein Vorteil, sondern eine Notwendigkeit für den Erfolg und die Zukunftsfähigkeit von Spitälern. Erfolgsfaktoren für eine lebendige Community: Leadership, Engagement und ein starkes Kernteam Eine funktionierende Community entsteht nicht von selbst-- sie braucht gezielte Unterstützung, klare Strukturen und kontinuierliches Engagement. Zwei zentrale Voraussetzungen sind dabei essenziell: die Rückendeckung aus dem Top-Management sowie ein engagiertes Kernteam, das als treibende Kraft agiert. Entscheidend ist, dass dauerhaft Zeit, Inhalte und administrative Ressourcen investiert werden. Ziel ist es, die Mitglieder aktiv einzubinden, damit sie selbst Beiträge leisten- - und so einen echten Mehrwert für die gesamte Community schaffen. Wissen | Gemeinschaft statt Alleingang 46 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0068 Es ist ein Prinzip des „Gebens und Nehmens“, das nur funktioniert, wenn alle Beteiligten ihren Teil beitragen. Die inhaltliche Planung, die Organisation von Veranstaltungen-- inklusive Raumbuchung-- sowie die interne Kommunikation erfordern spürbaren Aufwand. Aus der Praxis zeigt sich: Ohne ein dediziertes Kernteam oder eine freiwillige „Taskforce“ wird die Selbstorganisation nicht gelingen. Die Verantwortung muss klar verteilt sein-- sonst läuft die Projekt Gefahr, im Tagesgeschäft unterzugehen. Ebenso wichtig ist die Unterstützung durch eine Sponsorin aus der Geschäftsleitung. Diese Person sorgt nicht nur für die notwendige finanzielle Basis, sondern verleiht dem Vorhaben auch die nötige strategische Relevanz. Denn eine Community wird nur dann angenommen, wenn sie intern als sinnvoll, relevant und unverzichtbar kommuniziert wird. Der „Buy-in“ der Mitarbeitenden ist dabei entscheidend-- ohne diesen wird es schwer, Zeit und Aufmerksamkeit für die Community zu gewinnen. Die Einführung einer Projektmanagement-Community ist kein Selbstläufer- - doch der Einsatz lohnt sich. Sie schafft nicht nur Struktur in einem komplexen Umfeld, sondern auch eine Plattform für gegenseitiges Lernen, Wertschätzung und Weiterentwicklung. Gerade in einem dynamischen Sektor wie dem Gesundheitswesen, in dem Wandel zur Tagesordnung gehört, kann diese Form der Zusammenarbeit den entscheidenden Unterschied machen. Das Beispiel des KSW zeigt eindrucksvoll, wie aus einer interdisziplinären Idee ein gelebtes Netzwerk entsteht-- getragen von Engagement, Offenheit und dem gemeinsamen Ziel, Projekte erfolgreicher und menschlicher zu gestalten. Die Botschaft ist klar: Projektmanagement darf kein Einzelkampf sein- - sondern sollte in einer starken Gemeinschaft wurzeln. Eingangsabbildung: Der Neubau Dydimos (Eigenabbildung KSW) Natalie Esther Galeczki Natalie Esther Galeczki (MSc Int. Business), Leiterin Transformation Projekt Management am Kantonsspital Winterthur. Natalie Esther leitete bis Ende Mai 2025 das Projekt Management Team am KSW und baute ein Kompetenzzentrum für das Projekt Management auf. Sie lebt mit ihrer Familie in Zürich und plant nebenbei Corporate und Private Events. Internet: www.linkedin.com/ in/ natalie-g-eventsbynati Abbildung 1: Feedback-Umfrage der ersten PM Community Veranstaltung März 2023 Abbildung 2: Feedback-Umfrage der achten PM Community Veranstaltung November 2024 47 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0069 Projektmanagement in der öffentlichen Verwaltung Daniel Meier, Stefanie Sixel, Zbigniew Marciniak, Jasmin Tarhouni, Julia Herzberg, Kjell Jobst Für eilige Leser | Projektmanagement in der öffentlichen Verwaltung erfordert häufig eine eigene Vorgehensweise, bei der die besonderen fachlichen Anforderungen als auch die zahlreichen unterschiedlichen Vorgehensweisen der Beteiligten zusammengeführt werden müssen. Ein erfolgreiches Projekt ist daher auch immer eines, welches das Produkt bzw. die Produkte in seinem zukünftigen Nutzungsumfeld und bei der Planung mitberücksichtigt und ein interdisziplinäres Gesamtverständnis durch die Projektleitung entwickelt wurde. Schlagwörter | Digitale Transformation, Rollen und Verantwortlichkeiten, Verwaltungsdigitalisierung, Öffentliche Verwaltung, eGovernment, Leadership, Registermodernisierung, Onlinezugangsgesetz (OZG) Projektmanagementperspektiven aus der Sicht eines öffentlichen Unternehmens Öffentliche Unternehmen zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass Sie einem öffentlichen Auftrag folgen und eine besondere Eigentümerstruktur besitzen. Neben all den traditionellen Werkzeugen des Projektmanagements ist insbesondere die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen einer Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR), Unternehmen und öffentlicher Verwaltung ein wichtiger Bestandteil im Tagesgeschäft der Projektleitungen, die das erfolgreiche Zusammenspiel zwischen den Teilnehmenden steuern. Dabei spielen zahlreiche ‚weiche Projektfaktoren‘ eine wesentliche Rolle für den Projekterfolg. Eine Auswahl davon soll hier an dieser Stelle hervorgehoben werden, die in den durchgeführten Projekten eine praxisnahe und erfolgreiche Rolle gespielt hat. Projektmanagementstrategien im Kontext der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung Dataport AöR ist der IT-Dienstleister für die öffentliche Verwaltung und hat sich dem Gemeinwohl verpflichtet. Als Partner in allen Digitalisierungsvorhaben begleitet das Unternehmen den öffentlichen Sektor von der ersten Idee bis zum sicheren Betrieb. Dataport stellt der Verwaltung alle IT-Services bereit, die sie für ihre Arbeit benötigt. Mit ca. 5.300 Mitarbeitenden an neun Standorten werden Verwaltungskompetenz mit umfangreichem fachlichem und technologischem Wissen kombiniert. Über 190 Projektleitende arbeiten täglich mit unterschiedlichen Projektmanagementstandards an der Verwirklichung der digitalen Transformation in der öffentlichen Verwaltung. Ausgangslage und Herausforderungen für Digitalisierungsprojekte in der öffentlichen Verwaltung Die öffentliche Verwaltung befindet sich, ebenso wie die gesamte Gesellschaft, in einem stetigen Wandel. Die wachsende Globalisierung, eine rasante technologische Entwicklung, Veränderungen der Medien und Informationsnetzwerke sowie gesellschaftlicher und demographischer Wandel führen auch zu einem Veränderungsbedarf in der öffentlichen Verwaltung. Damit verbunden ist die Herausforderung, auf der einen Seite das Verwaltungshandeln nachvollziehbar, kontinuierlich und verlässlich zu gestalten, sich jedoch auf der anderen Seite diesen Veränderungen anzupassen. Wissen | Projektmanagement in der öffentlichen Verwaltung 48 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0069 Vor allem das Onlinezugangsgesetz (OZG) sowie das Registermodernisierungsgesetz (RegMoG) begründen die Notwendigkeit einer digitalen Transformation der Verwaltung auf allen Ebenen und erfordern von allen Beteiligten die Bereitschaft, neue Wege zu beschreiten und neue Ansätze zu erproben. Dabei muss der Prozess der Verwaltungsdigitalisierung über den rein technologischen Ansatz der Digitalisierung im engeren Sinne hinausgedacht werden. Es ist vielmehr notwendig, den Verwaltungsprozess in seiner Gesamtheit, also Ende-zu-Ende, zu begreifen und zu denken. Die Erfahrung zeigt, dass Projekte in diesem Kontext, vor allem auch mit Bezug zum OZG und zum RegMoG, in hohem Maße von einem unstetigen (volatility), unsicheren (uncertainty), komplexen (complexity) und mehrdeutigen (ambiguity) Projektumfeld mit zahlreichen unterschiedlichen Akteuren und Stakeholdern gekennzeichnet sind (VUCA-Welt). Gerade in Digitalisierungsprojekten der öffentlichen Verwaltung mit Bezug zur OZG- und RegMoG-Umsetzung sind eine große Anzahl unterschiedlicher Personen, Organisationen, Fachbereiche und Behörden auf allen föderalen Ebenen (Bund, Land, Kommunen) zu beteiligen. Es sind verschiedene Fachbereiche und Themenfelder innerhalb der Verwaltung betroffen, jeweils mit spezifischen Ausgangssituationen und Anforderungen, verbunden mit einer oft hohen öffentlichen und politischen Aufmerksamkeit. Diese interdisziplinäre Themenvielfalt im Kontext Mensch, Technik und Organisation führt darüber hinaus zu besonderen psychologischen Herausforderungen im Umgang mit den heterogenen und häufig wechselnden Projektrahmenbedingungen. In diesem Kontext stellt sich die Frage, mit welchen Projektmanagementansätzen es gelingen kann, Projekte in diesem Umfeld und mit diesen vielschichtigen Herausforderungen erfolgreich zu steuern und abzuschließen. Methoden und Ansätze im Projektmanagement im Kontext der Verwaltungsdigitalisierung Grundsätzlich gelten die etablierten Ansätze und Methoden des Projektmanagements auch im Kontext der Verwaltungsdigitalisierung. Ergänzend zum klassischen Methodenkoffer können folgende Schlüsselfaktoren für ein erfolgreiches Projektmanagement in der öffentlichen Verwaltung besonders hervorgehoben werden. Gerade zu Beginn von umfangreichen Digitalisierungsprojekten in der Verwaltung bestehen zahlreiche Unklarheiten in Bezug auf den Projektumfang, die Projektziele und vor allem auch zum erwarteten Output des Projektes. Die Kombination der bereits benannten Herausforderung in einem „VUCAnösen“ Projektumfeld birgt die Herausforderung in der Anfangsphase des Projektes den Scope klar zu definieren. Daher kommt einer zeitlich und inhaltlich umfangreichen Auftragsklärung eine entscheidende Rolle zu. Obwohl diese Erkenntnis im Projektmanagement nicht neu ist, ist sie doch besonders hervorzuheben. Es ist empfehlenswert, dem eigentlichen Projekt eine umfangreiche Initialisierungsphase voranzustellen, in der alle notwendigen Abstimmungen und Klärungen zwischen Projektmanagement und Kundenseite vorzunehmen sind. Erst, wenn ein gemeinsames Verständnis zur Durchführbarkeit des Projektes und dessen Scopes gegeben ist, kann das Projekt gestartet werden. Dabei hat sich gezeigt, dass die Auftragsklärung nicht nur eine initiale Aufgabe ist, sondern regelmäßig im weiteren Projektverlauf zu überprüfen und ggf. anzupassen ist. Gerade in komplexen und politisch motivierten Projektumfeldern ändern sich Rahmenbedingungen, Abhängigkeiten und Ausgangsbedingungen häufig. Im Sinne einer ganzheitlichen und vorausschauenden Projektsteuerung ist eine regelmäßige Überwachung und resultierende Anpassung des Projektscopes und der Projektziele elementar. Ebenso kommt der klaren Definition von Rollen und Verantwortlichkeiten im Rahmen der Projektorganisation eine wesentliche Bedeutung zu. Die Klärung sowie Festlegung der Rollen und Verantwortlichkeiten in der Projektinitialisierung sowie die transparente Kommunikation an die Projektbeteiligten sind für eine erfolgreiche Projektdurchführung grundlegend. Für eine erfolgreiche Projektsteuerung bedarf es entsprechender Verortung in der Organisationshierarchie, der Identifikation mit den Inhalten der Rollenbeschreibung sowie der Bereitschaft zur Übernahme der damit verbundenen Verantwortung. Damit ist es möglich, die jeweiligen Fachbereiche direkt in ihre originäre Verantwortung für die Erbringung der benötigten Projektleistungen zu nehmen. Ein weiterer Fokus soll auf das Thema Leadership im Projektmanagement bzw. durch die Projektleitung gesetzt werden. Dabei meint Leadership die Fähigkeit der Projektleitung, die Führungsrolle sowohl inhaltlich-fachlich in Richtung des Kunden als auch organisatorisch-menschlich in Richtung des Projektteams einnehmen zu können. Der aktiven Schaffung und Aufrechterhaltung einer wertschätzenden Teamkultur, Hilfe und Motivation für die Projektmitglieder, Achtsamkeit und umsichtiges Ressourcenmanagement kommt hierbei besondere Bedeutung zu. Ist ein „VUCAnöses“ Projektumfeld mit besonderen Ereignissen wie der Corona-Pandemie konfrontiert, wird die Resilienz der einzelnen Projekt- und Teammitglieder außerordentlich beansprucht. Umgang mit unvorhergesehenen Projekteinflüssen am Beispiel der Corona-Pandemie Die Corona-Pandemie wirkte auch auf die Verwaltung und deren Beteiligte wie ein Inkubator. Die bis dahin etablierte, standardisierte und analoge Arbeitsweise musste durch die plötzlich veränderten Rahmenbedingungen umfassend neu gedacht werden. In dieser herausfordernden Zeit lag ein besonderer Fokus auf dem agilen Mindset der Projektleitung. Die klassischen Zusammenarbeitsmodelle mussten reformiert, Prozesse neu konfektioniert und die Motivation und Stabilität im Team sichergestellt werden. Es war essenziell, eine unterstützende Umgebung zu schaffen, in der alle Teammitglieder die notwendige Unterstützung erhielten, um effektiv arbeiten zu können. Zum einen war es erforderlich, neue Prozesse für die virtuelle Zusammenarbeit sowohl innerhalb von Projekten als auch mit den Fachbereichen zu entwickeln und nachhaltig einzuführen. Durch schnelle Anpassung an neue Rahmenbedingungen- - von technischer Ausstattung bis hin zu virtuellen Arbeitsprozessen- - konnten auf diese Weise reibungslose Projektabläufe sichergestellt werden. Dabei hat sich die Einführung eines strukturierten digitalen On- und Offboarding bewährt, um neue Teammitglieder schnell zu integrieren und damit die Gruppenkohäsion zu stärken und zu verstetigen. Die etablierten Grundpfeiler des Projektmanagements wurden in Zeiten der Corona-Pandemie flankiert durch eine Kultur der vertrauensvollen virtuellen Zusammenarbeit im multifunk- Wissen | Projektmanagement in der öffentlichen Verwaltung 49 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0069 tionalen Umfeld. Um das Projektziel ohne Effizienzverluste zu erreichen, bedurfte es einer harmonischen Orchestrierung des heterogenen Projektteams durch die Projektleitung. Fachliche Umsetzung am Beispiel eines Polizeiprojektes Zugangskontrollsysteme bei den Behörden wie der Polizei gehören zu kritischen Systemkomponenten einer Behörde. Sie sollen stets auf dem neuesten Stand der Technik sein, um mögliche unberechtigte Eintritte in Standorte und Räume sowie schädliche Eingriffe in EDV-Systeme zu verhindern. Die Projektplanung zur Weiterentwicklung der Systeme hat dabei den Schwerpunkt vor allem auf die technischen, organisatorischen, sowie auch finanziellen Aspekte eines Projektes. Dementsprechend wird für das Projekt das Anforderungsmanagement und die Qualitätssicherung besonders beim Projektstart berücksichtigt. Das gesamte Vorhaben wird in drei Phasen unterteilt und in einer hybriden Vorgehensweise, d. h. sowohl klassisch als auch agil realisiert. In der ersten Phase wird der IST-Stand und die Anforderungen an den SOLL-Stand ermittelt. In der zweiten Phase wird das Grobkonzept entwickelt und eine Machbarkeitsuntersuchung realisiert. In der dritten Phase erfolgt die stufenweise Umsetzung. Die klassische Methode wird im Gesamtprojekt eingesetzt, indem die wichtigsten Meilensteine sowie die Aufträge mit Hauptzielen für die Teilprojekte definiert werden. Hierfür wird auch eine Meilensteintrendanalyse (MTA) monatlich durchgeführt. Für die Neuermittlung der Restkosten und Restleistungen wird ebenfalls Cost to complete (CTC) monatlich durchgeführt. Die Berichtserstattung an die Lenkungsgruppe erfolgt alle 6 Wochen. Die Teilprojekte werden agil geleitet. Zum Einsatz kommt dabei die Kanban-Board-Technik, in der die Backlogs verwaltet werden. Die Teilprojektleiter haben die Freiheit, mit ihren Teams die Tasks in den Backlogs und deren Bearbeitungsreihenfolge zu definieren, um den Auftrag des Teilprojektes zu erfüllen. Das Gesamtprojekt wird innerhalb einer Matrix-Organisation realisiert, sodass die Wissensträger zu speziellen Themen aus verschiedenen Bereichen der Polizei in das Projektteam voll oder zeitweise integriert waren. Das erhöht den fachlichen Input in das Projekt und die Stakeholder fühlen sich in das Projekt gut eingebunden. Dementsprechend liegt die größte Herausforderung im Bereich der Ressourcenplanung und deren Verfügbarkeit. Aufgrund geplanter und ungeplanter Einsätze müssen einige Projektteam-Mitglieder das Projekt entweder vorübergehend (z. B. wegen der Fußball-EM, wiederholt stattfindende Demonstrationen usw.) oder dauerhaft verlassen (z. B. aufgrund einer Versetzung). Der Aufbau eines projektübergreifenden Gesamtverständnisses über die hierarchischen Grenzen der einzelnen Behördenbereiche hinweg ist in solchen Projekten ebenfalls entscheidend für den Projekterfolg. Jeder Projektleiter muss verstehen, dass die Polizei kein projektorientiertes Unternehmen oder Organisation ist. Sie hat einen klaren Auftrag, dem alles untergeordnet wird- - nämlich die Sicherung und Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung. Daher ist in dieser Konstellation der Informationsfluss im Projektumfeld ein wichtiger Erfolgsbaustein. Kundenspezifische Ergebnisse und übergreifende Erfahrungen Um die Größe der Herausforderung einordnen zu können, reicht es zu vermerken, dass das Projekt die Beschaffung und den Austausch von • bis zu 17.000 Dienstausweisen, • über 10.000 Arbeitsplatzrechner und Notebooks, • sowie mehrere Tausend EDV-Komponenten planen, organisieren, beschreiben und kalkulieren muss. Durch das gesamte Vorhaben sind alle Beamten, Angestellte, und Servicekräfte der Polizei (inklusive Wasserpolizei) in unterschiedlichem Ausmaß betroffen. Auch alle Standorte und dort geschützte Räumlichkeiten werden affektiert. Allein die Kostenkalkulation der Umsetzungsphase bedarf nicht nur der typischen und bekannten Fachkenntnisse in Projektleitung, Organisation, und Methodik, sondern jahrelange Erfahrung mit derartigen Projekten mit dieser Behörde. Ansonsten sind Kalkulationen und Planungen realitätsfremd, was zu bedeutenden Problemen und Verspätungen in der Umsetzung führen würde. Durch eine gezielte hybride Vorgehensweise konnte das Projekt flexibel auf neue Anforderungen reagieren und innovative Lösungen entwickeln, sodass die Flexibilität der Umsetzung erhöht wird. So konnten neue Anforderungen aus beispielsweise den technischen Entwicklungen oder organisatorische Anforderungen durch die Veränderungen der Linienorganisationen zeitnah berücksichtigt werden. Dabei spielt sicherlich auch eine Rolle, dass Kunde und Projektleitung zu Beginn des Projektes alle umzusetzenden Themen und deren Inhalte noch nicht ausreichend kennen und sich zahlreichen Anforderungen annähern müssen. Dies erfordert zusätzliche Zeit in der Planungsvorbereitung und auch -durchführung. Abbildung 1: Gesamtprojekt mit agilen Teilprojekten Wissen | Projektmanagement in der öffentlichen Verwaltung 50 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0069 Dabei kam aber auch heraus, dass in den unterschiedlichsten (fachlichen) Projekten, wie bspw. OZG, RegMo und die bei der Polizei zusätzlich anfallenden Anforderungen modular umgesetzt werden können. Das liegt darin begründet, dass trotz unterschiedlicher spezifischer fachlicher Themen und Inhalte, es gleichzeitig auch immer wiederkehrende Themenblöcke bei der Digitalen Transformation gibt, die es zu berücksichtigen gilt. Diese Erkenntnis vereinfacht zukünftig die Projektplanung und dessen Aufbau kunden- und projektübergreifend. Für die zukünftigen Projekte werden daher unabhängig von den jährlichen Haushaltsplanungen der Politik, die Umsetzungspläne auch immer auf die Gesamtprojektlaufzeit betrachtet, damit die frühzeitigen Entscheidungen transparent und bürgernah getroffen werden können. Erfolg im Projektmanagement durch crossfunktionale Teams Einführung: Crossfunktionalität in der Projektmanagement-Praxis Digitalisierungsprojekte in der öffentlichen Verwaltung befinden sich stets in einem heterogenen Spannungsfeld zwischen Menschen, Technik und Organisation(en). Im operativen Alltag lenkt und steuert Projektmanagement vor allem Stakeholder und deren Beziehungen und Interaktionen im Projektumfeld. Insbesondere in politisch motivierten Ökosystemen ist die Betrachtung der unterschiedlichen Perspektiven, Herangehensweisen und Methoden zur Problemlösung und Entscheidungsfindung ein wesentlicher Faktor für das Projektergebnis. Erfolgreiches Projektmanagement verbindet diese Singularitäten zu einem ganzheitlichen, fächerübergreifenden Ansatz. Ein Kernelement wird gebildet durch das crossfunktionale Projektteam: Es vereint verschiedene Rollen und Fachlichkeiten, um innerhalb eines klar definierten Projektscopes im Hinblick auf die Projektdimensionen Termine, Leistung, Qualität und Kosten wirkungsvoll zu handeln. Die interdisziplinäre Expertise der Beteiligten wird bewusst genutzt, um die Lösungsansätze und -herangehensweisen miteinander zu verknüpfen. Ein intrinsisch motiviertes, crossfunktionales Team denkt Lösungs- und Entscheidungsprozesse unter komplexen prozessualen, technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen neu. Es agiert multiperspektivisch und begegnet Veränderungen und Herausforderungen durch unmittelbare Nutzung ihrer Stärken. Sowohl die Übernahme von individueller Ergebnisverantwortung als auch das gemeinsame Grundverständnis füreinander stärken die Identifikation mit den übergeordneten Projektzielen. Charakteristika eines crossfunktionalen Teams Der erfolgreiche Aufbau und Erhalt eines solchen Teams lässt sich im Wesentlichen anhand der folgenden Merkmale darstellen-- hierbei ist insbesondere die Kombination aus Hardskills, wie der Projektmanagementmethodik, sowie eine Vielzahl von Softskills hervorzuheben: • Zielbild: Das Festlegen gemeinsamer Projektziele, kombiniert mit der Formulierung eines Zusammenarbeitsmodus, motiviert das Team und fördert die Identifikation und somit den Output. • Kommunikation: Die wesentlichen Projektinformationen werden in regelmäßigen Meetings an alle Beteiligten klar und transparent kommuniziert. Der Austausch ist gleichermaßen offen und paritätisch, um das Verständnis und die Zusammenarbeit im Team zu fördern. • Rollen und Verantwortlichkeiten: Eine klare Definition dieser fördert die Aufgabenverteilung und schafft Transparenz in der Ausübung. So können Missverständnisse vermieden und Effizienz gesteigert werden. • Fachlichkeit: Die jeweilige Fachkompetenz des Teammitglieds im Gleichklang der Gruppe und die Implementierung und Gewichtung dieser in das übergreifende Projektkonstrukt sind elementar. Eine initiale Recherche der notwendigen Kompetenzen obliegt im Rahmen der Stakeholderanalyse der Projektleitung. • Selbstwirksamkeit: Die Kombination aus Selbstwirksamkeit und Zusammenarbeit schafft ein fruchtbares Arbeitsumfeld, in dem jedes Mitglied sich als wertvollen Teil des Ganzen sieht und intrinsisch motiviert ist, sodass die individuelle Leistung entscheidend zum Gesamterfolg des Projekts beiträgt. • Gruppenkohäsion: Der Zusammenhalt und das Gefühl der Zusammengehörigkeit sind der soziale Klebstoff in crossfunktionalen Teams. So geht die Selbstwirksamkeit des Einzelnen Hand in Hand mit der Identifikation mit den Projektzielen und -werten. Dieses kreiert einen Modus der Zusammenarbeit, in dem die Mitglieder sich wertschätzen und gegenseitig unterstützen. Abbildung 2: Module Digitale Transformation öffentlicher Verwaltungsprojekte Wissen | Projektmanagement in der öffentlichen Verwaltung 51 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0069 • Problemlösungsfähigkeit: Durch die Vielfalt der Kompetenzen können crossfunktionale Teams innovative und tragfähige Lösungen für komplexe und bisweilen neuartige Herausforderungen entwickeln. Die Rolle der Projektleitung In Projekten im Umfeld der Verwaltungsdigitalisierung entsteht Crossfunktionalität nicht unmittelbar. Die dafür notwendigen Rahmenbedingungen müssen erst von einer versierten und erfahrenen Projektleitung geschaffen werden. Neben dem methodischen Fachwissen bedarf es einfühlsamer Kommunikationsfähigkeit und Empathie zur Begegnung und Führung im Team. Die Fähigkeit, Menschen zu inspirieren, sie für ein gemeinsames Ziel zu begeistern und ein vertrauensvolles Arbeitsumfeld zu schaffen sind dabei Kernelemente, um in einem volatilen Umfeld zu handeln. Eine smarte Projektleitung ermöglicht durch ihren Leadership-Skill ein modernes und erfolgreiches Arbeitsumfeld, das die Kompetenzen und Potenziale der Teammitglieder optimal hervorbringt. Hierbei identifiziert die Projektleitung die individuellen Stärken der Teammitglieder (bspw. durch ein konfektioniertes Projekt-Onboarding), unterstützt beim Einsatz ihrer Fähigkeiten zur eigenständigen Lösung von Aufgaben und fördert somit die individuelle persönliche Weiterentwicklung eines jeden. Die Rolle der Projektleitung erfordert daher nicht zwingend eine ähnlich fachliche Tiefe wie die der Teammitglieder, sondern vielmehr Empathie, Kommunikationsstärke und ein Verständnis für zwischenmenschliche Dynamiken. Darüber hinaus sind Kernkompetenzen wie analytisches Denken, eine strukturierte Arbeitsweise mit einem Rundum-Blick sowie eine Hands-on-Mentalität von elementarer Bedeutung für die Realisierung der Crossfunktionalität und dessen Beitrag zum allgemeinen Projekterfolg. Kompetenzen nach ICB 4.0 Änderungen, Beratung, Kreativität, Problemlösung, Projektorganisation, Projektstart, Teamarbeit Eingangsabbildung: © iStock.com/ Ivan-balvan Gruppenfoto, von links nach rechts: Daniel Meier, Julia Herzberg, Dr. Stefanie Sixel, Jasmin Tarhouni, Kjell Jobst Nicht auf dem Foto: Dr. Zbigniew Marciniak Die Autorengruppe der „Fachcommunity Digitale Verwaltung OFR (Online-Dienste, Fachverfahren, Registermodernisierung)“ bei Dataport AöR hat eine langjährige Projektmanagementerfahrung im Aufbau von eGovernment-Strukturen und der Leitung von Digitalisierungsprojekten in der öffentlichen Verwaltung und leistet täglich einen Beitrag zur deren digitalen Transformation. Dataport AöR Abteilung DP1 Altenholzer Straße 10 - 14 24 161 Altenholz www.dataport.de daniel.meier@dataport.de 52 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0070 Bündel-Angebot zum wissenschaftlichen Arbeiten mit einem hochschulspezifischen KI-basierten Chatbot und diversen KI-Tools Künstliche Intelligenz trifft auf Techniken des (wirtschafts-)wissenschaftlichen Arbeitens Naciye Akca Für eilige Leser | „Mr. Callidus Bund“ als ein hochschulspezifischer KI-basierter Chatbot und diverse KI-Tools können bei der Gestaltung wissenschaftlicher Arbeiten nicht nur in der Disziplin der Wirtschaftswissenschaften, sondern disziplinübergreifend eingesetzt werden. Ihre Generierung und Implementierung über Wissenschaftler sowie Trainer hat einen unterstützenden Charakter und soll die Motivation sowie die Kreativität ihrer User stärken bzw. fördern. Mit den ersten Aktivitäten einer wissenschaftlichen Arbeit beginnend bis zu ihrer Finalisierung können phasenübergreifend diverse KI-Elemente bedarfsorientiert eingesetzt werden. Neben zahlreichen KI-Tools bietet Mr. Callidus Bund zahlreiche Outputs aufgrund ihrer Fütterung mit vielfältigen Inputs im Allgemeinen und im Speziellen-- insbesondere bezogen auf das wissenschaftliche Arbeiten, betriebswirtschaftliche Themen sowie die öffentliche Verwaltung-- an. Schlagwörter | Künstliche Intelligenz, KI-Tools, Chatbot, Wissenschaftliches Arbeiten, Hochschuldidaktik Im Rahmen eines Projektes der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung (Fachbereich Allgemeine Innere Verwaltung) in Kooperation mit der Universität Duisburg-Essen (Institut für Produktion und Industrielles Informationsmanagement der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften) hat ein interdisziplinäres Projektteam aus den Disziplinen der Betriebswirtschaftslehre und der Wirtschaftsinformatik den hochschulspezifischen Künstliche Intelligenz [KI] -basierten Chatbot Mr. Callidus Bund (Callidus-= schlau; Bund-= HS Bund) generiert. Projektergebnis ist ein text- und formelbasierter sowie visueller Chatbot, der die Rolle eines Informanten einnimmt und mit Studierenden als User bedarfsorientiert interagieren kann. Die Interaktion findet im Dialog-Format statt, wobei sich die User auf vorherige Eingaben und Ergebnisse beziehen. Die Eingaben beinhalten individuelle Visualisierungen und generierte Strukturierungen zu Techniken des wirtschaftswissenschaftlichen Arbeitens mit ihren einzelnen Bausteinen sowie natürlichsprachige Ausführungen, formalsprachige und methodische Darlegungen zu betriebswirtschaftlichen Themen, wie Projektmanagement inklusive dem PMflex-Projektmanagementsystem des Bundesverwaltungsamtes beim Bundesministerium des Innern und für Heimat [BMI], Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen gemäß § 7 Bundeshaushaltsordnung [BHO], Controlling sowie Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre. Konzeptionell wurde der KI-basierte Chatbot bereits in das individuelle hochschulspezifische Blended-Learning-Konzept als ein digitales Dialogsystem gemäß der Formel : Summe (Face-to-Face; E-Learning; Webinar[e]; KI -basierter Chatbot) am Beispiel des betriebswirtschaftlichen Moduls „Projektmanagement in der öffentlichen Verwaltung“ eingebaut. 1. Bündel-Angebot zum wissenschaftlichen Arbeiten Die Erstellung einer wissenschaftlichen Arbeit- - Seminar-, Projekt-, Diplom-, Bachelor- und Masterarbeit- - erfordert ein Training in unterschiedlichen Modulen, wie die Literaturre- Wissen | Künstliche Intelligenz trifft auf Techniken des (wirtschafts-)wissenschaftlichen Arbeitens 53 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0070 cherche im nationalen und internationalen Kontext sowie die programmbasierte Literaturverwaltung mittels beispielsweise Citavi oder Zotero, die Ausarbeitung einer speziellen wissenschaftlichen Problemstellung und die Techniken des wissenschaftlichen Arbeitens sowie des Präsentierens [4], [5], [6], [7]. Mit der Bündelung diverser Module-- Basis- und Transfermodule-- kann gemäß der Lernzieltaxonomie nach Bloom mit der ersten Lernziel-Stufe „Wissen“ beginnend über die zweite Lernziel-Stufe „Verständnis“ führend die dritte Lernziel-Stufe „Anwendung des Wissens“ erreicht werden [1]. Neben dem Erwerb fachlicher und methodischer Kompetenzen stehen Schlüsselkompetenzen, wie eigenständiges und kritisches Denken, Sozial-, Kommunikations-, Kooperations- und Computerkompetenz, als Lernziele im Fokus. Die Abbildung 1 legt einen solchen modularen Aufbau des Bündel-Angebots zum wissenschaftlichen Arbeiten für die Verinnerlichung der „Schreibkultur“ in der wirtschaftswissenschaftlichen Disziplin en détail dar. Basismodul zur wissenschaftlichen Problemstellung Die wissenschaftliche Problemstellung kann in ein Erkenntnisproblem und ein Implementierungsproblem- - als „Äste“ der wissenschaftlichen Problemstellung- - differenziert sowie mit „W-Fragen“ spezifiziert werden. Erkenntnisproblem-- „Welche-…? “ Beispiel: „Welche Projektmanagementmethoden sind zur Durchführung digitaler Projekte in der öffentlichen Verwaltung am besten geeignet? “ Implementierungsproblem-- „Wie-…? “ Beispiel: „Wie hat die Implementierung der praktisch noch nicht angewandten, jedoch theoretisch als bestgeeignet erkannten Scrum-Methode als eine agile Projektmanagementmethode in der öffentlichen Verwaltung zu erfolgen? “ Denkmöglich ist auch die Verknüpfung beider Äste der wissenschaftlichen Problemstellung im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit. Auf der Basis gewisser Bausteine (siehe Abbildung 2, Nummerierungen) kann eine solche wissenschaftliche Problemstellung strukturiert und peu à peu ausgearbeitet werden. Die nachfolgende Strukturierungsempfehlung ist vor allem für Diplom-, Bachelor- und Masterarbeiten anwendbar und legt im Allgemeinen sowie in einem speziellen Fall ein Erkenntnisproblem dar. Baustein ❶: Einführung in den Gegenstandsbereich der wissenschaftlichen Arbeit, und zwar mit drei Sub-Bausteinen: Baustein ①: Entfaltung des Realproblems mit Angaben zu seiner betriebswirtschaftlichen oder allgemeinen wissenschaftlichen Relevanz, beispielsweise anhand von „harten Zahlen“ oder von „kritischen Kommentaren“ in der einschlägigen Fachliteratur. Baustein ②: Identifizierung des betriebswirtschaftlich wünschenswerten Zustandes (Soll-Zustandes) anhand von betriebswirtschaftlichen Anforderungen hinsichtlich des Realproblems. Baustein ③: Darlegung eines kompakten Überblicks über den State of the Art (Ist-Zustand) im Licht des vorgenannten Realproblems und des betriebswirtschaftlich wünschenswerten Zustandes. Baustein ❷: Spezifizierung des wissenschaftlichen Problems als eine nicht-triviale Diskrepanz zwischen dem State of the Art und dem betriebswirtschaftlich wünschenswerten Zustand. Die wissenschaftlichen Probleme werden oftmals auch als „Forschungsfragen“ oder „Fragestellungen“ angesehen und entsprechend formuliert. Baustein ❸: Spezifizierung der wissenschaftlichen Arbeitstechniken, die zur Bearbeitung der wissenschaftlichen Probleme eingesetzt werden sollen. Diese können sein: empirische „quantitative“ Untersuchungen („Umfragen“), empirische „qualitative“ Untersuchungen („Case Studies“), Konstruktion neuartiger Modelle, Entwurf neuartiger Methoden, Bewertung von Handlungsalternativen mittels einer-- wissenschaftlich möglichst anspruchsvollen- - Bewertungstechnik (wie dem Analytic Hierarchy Process [AHP] oder dem Analytic Network Process [ANP]). Baustein ❹: Spezifizierung der intendierten wissenschaftlichen Ergebnisse (Ziele). 2. KI-basiertes Bündelangebot KI-- oder Artificial Intelligence [AI]-- nimmt als eine (Schlüssel-) Technologie der Digitalisierung im Bildungssektor sowohl als Lehrmodul- - die „Lehre über KI“- - als auch im didaktischen Lehr-Lernkontext-- die „Lehre mit KI“-- zunehmend Beachtung. Grundsätzlich steht KI nicht für eine einzelne Technologie, sondern kumuliert eine ganze Bandbreite von Technologien, wie beispielsweise Machine Learning, Deep Learning, Spracherkennung, Data Mining, künstliche neuronale Netze und Algorithmen [3]. Die kontextgebundene Kombination von KI-Technologien wird als KI-Systeme bezeichnet [9]. Abbildung 1: Bündel-Angebot zum wissenschaftlichen Arbeiten-- modularer Aufbau [© Akca] Wissen | Künstliche Intelligenz trifft auf Techniken des (wirtschafts-)wissenschaftlichen Arbeitens 54 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0070 Das Bündel-Angebot zum wissenschaftlichen Arbeiten kann mittels diverser KI-Elemente erweitert werden. Die Evaluation und Selektion dieser KI-Elemente kann bedarfsorientiert-- basierend auf multidimensionalen Evaluationskriterien sowie aus Wissenschaftler-, Trainer- und User-Perspektive-- erfolgen. Mr. Callidus Bund stellt ein KI-basiertes Lernsystem / ein digitales Dialogsystem dar und wird im Hinblick auf die Mensch- KI-Interaktion dem Interaktionstyp „Informant“ zugeordnet [8], den User im hochschulspezifischen Kontext gezielt zur Informationsgewinnung gemäß ihren individuellen Bedürfnissen nutzen können. Insbesondere im Rahmen der Basismodule bieten Open Knowledge Maps als eine visuelle Suchmaschine für wissenschaftliche Inhalte bei der Literaturrecherche und der Erstellung von Wissenslandkarten für Forschungsthemen in allen Disziplinen Unterstützungsmöglichkeiten an. Mit Elicit und Research Rabbit können User weitere KI-basierte Recherche- Tools einsetzen, um sich beispielsweise beim Auffinden von themenrelevanten Arbeiten und bei der Zusammenfassung von als wichtig angesehenen Erkenntnissen aus multiplen Arbeiten eine gewisse Hilfestellung geben zu lassen. Research Rabbit ermöglicht zudem die Visualisierung von Verknüpfungen zwischen einer Referenzarbeit und adäquaten Arbeiten. Diese KI-Elemente wurden in das Bündel-Angebot positioniert, um neue Möglichkeiten in der Lernbegleitung zu eröffnen. Mit Blick auf die thematische Transformation können KI- Tools, wie Perplexity.ai und ChatGPT, zur Unterstützung bei der Ideengenerierung und der Textgestaltung zur Anwendung kommen. Während Perplexity.ai Antworten mit entsprechenden Quellen angibt und somit dem User das Nachlesen gewisser Arbeiten ermöglicht, lässt ChatGPT beispielsweise die Führung menschenähnlicher Unterhaltungen und die Beantwortung einfacher sowie komplexer Fragen mittels Prompts zu. Mittels DeepL Write als ein KI-Schreibassistent können vor allem Texte formuliert, Rechtschreib-, Grammatik- und Zeichensetzungsfehler korrigiert sowie mittels alternativer Wort- und Satz-Formulierungen User inspiriert werden. Die Abbildung 4 legt auch dieses KI-Tool in Verbindung mit dem Bündel-Angebot im Rahmen des Transfermoduls dar. Mr. Callidus Bund Der KI-basierte Chatbot wurde mittels RASA als ein Framework zur Installation von Chatbots und basierend auf Python generiert. Die Generierung erfolgte aktivitätsbezogen unter Beachtung der folgenden Tasks Task 1: Python installieren Task 2: Rasa und Spacy installieren Task 3: Moodbot einrichten Task 4: Chatroom erstellen Task 5: Chatbot füttern Task 6: Chatbot trainieren und mit ihm kommunizieren [2]. Die Aktivitäten und einzelne Sub-Aktivitäten wurden mittels eines UML [Unified Modeling Language] Activity Diagram in Kombination mit einem WBS [Work Break-down Structure] Diagram aus der Perspektive eines Blended Learning-Konzept- Entwicklers softwaregestützt mittels der EdrawMax Software modelliert, um peu à peu aufzuzeigen, wie ein KI-basierter Chatbot entwickelt werden kann [2]. In Bezug auf das Bündel-Angebot präsentiert die Abbildung 2 visuell die hochschulspezifische Struktur zum Implementierungsproblem im Allgemeinen (linker Part der Visualisierung) sowie in einem speziellen Fall (rechter Part der Visualisierung) über Mr. Callidus Bund. Die Spezifizierung beginnt mit der Auktionsimplementierung als Realproblem, geht über die nicht-kooperative spieltheoretische Modellierung des Real- Abbildung 2: Strukturierungsempfehlung mit Bausteinen Wissen | Künstliche Intelligenz trifft auf Techniken des (wirtschafts-)wissenschaftlichen Arbeitens 55 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0070 lokationsproblems als Lösung und schließt mit einem Implementierungskonzept zur Rekonstruktion des Reallokationsproblems sowie einem realproblembezogenen Vorgehensmodell für die Auktionsimplementierung als intendierte wissenschaftliche Ergebnisse ab. Die Abbildung 3 zeigt bezogen auf eine User-Anfrage ein hochschulspezifisches Bewertungsbogen für wissenschaftliche Arbeiten in Blanko-Format. Auf der Basis formaler und inhaltlicher Bewertungskriterien, wie beispielsweise „Ausschöpfung der Themenstellung“ (der Tiefe und der Breite nach), „Herausarbeiten der wissenschaftlichen Problemstellung“ und „Zielgruppenadäquanz der Argumentation“ sowie eine 5er- Skalierung à la Schulnote werden ausgewiesene Stärken und Schwächen der Leistung beurteilt. Ein mit zahlreichen Inputs zu unterschiedlichen Themen gefütterter Mr. Callidus Bund wartet nun auf sein User-Training und bei Bedarf auf weitere Inputs sowie technische und sprachliche Modifizierungen. Literatur [1] Bloom, Benjamin Samuel: Taxonomie von Lernzielen im kognitiven Bereich. Beltz Verlag, Weinheim und Basel 1976. [2] Akca, Naciye / Wang, Joey / Cetinkaya, Dilara / Dvinyanina, Yekaterina: Entwicklung und Anwendung eines Blended Learning-Konzeptes mit KI-basiertem Chatbot am Beispiel des betriebswirtschaftlichen Moduls „Projektmanagement in der öffentlichen Verwaltung“ gemäß der Formel: Summe (Face-to-Face; E-Learning; Webinar[e]; KI-basierter Chatbot) und einem „peu-à-peu-Modell mittels eines UML (Unified Modeling Language) Activity Diagram in Kombination mit einem WBS (Work Breakdown Structure) Diagram. In: Zelewski, Stephan: o.A. [Buchbeitrag im Rahmen des universitären Verbundprojektes zu „KI-LiveS: KI-Labor für verteilte und eingebettete Systeme“ gefördert vom BMBF. 2025 (verlagsfertig).] [3] Zawacki-Richter, Olaf / Marin, Victoria / Bond, Melissa / Gouverneur, Franziska: Einsatzmöglichkeiten Künstlicher Intelligenz in der Hochschulbildung-- Ausgewählte Ergebnisse eines Systematic Review. In: Fürst, Ronny Alexander (Hrsg.): Digitale Bildung und Künstliche Intelligenz in Deutschland. Nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit und Zukunftsagenda. Springer Verlag, Wiesbaden 2020, Seite 501 bis 517. [4] Akca, Naciye / Zelewski, Stephan: Hinweise zur Anfertigung und zur Präsentation von Seminararbeiten. In: Akca, Naciye / Bruns, Adina Silvia / Fromen, Bastian / Zelewski, Stephan (Hrsg.): Case-Study-Guide: Grundlagen- - Anschauungsbeispiele- - Hinweise für Seminararbeiten. Logos Verlag, Berlin 2012, Seite 511 bis 543. [5] Fromen, Bastian / Akca, Naciye: Überlegen Präsentieren-- Wie im betrieblichen Alltag anspruchsvolle Botschaften ankommen. In: Akca, Naciye / Bruns, Adina Silvia / Fromen, Bastian / Zelewski, Stephan (Hrsg.): Case-Study-Guide- - Grundlagen-- Anschauungsbeispiele-- Hinweise für Seminararbeiten. Logos Verlag, Berlin 2012, Seite 127 bis 223. [6] Zelewski, Stephan / Fromen, Bastian / Bruns, Adina Silvia / Akca, Naciye: Einsatz von Case Studies in Studium und Beruf, Teil 1: Inhaltliche Bearbeitung von Case Studies. In: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, Jg. 42 (2013) Nr. 5, Seite 268 bis 271. [7] Zelewski, Stephan / Fromen, Bastian / Bruns, Adina Silvia / Akca, Naciye: Einsatz von Case Studies in Studium und Beruf, Teil 2: Präsentation von Case-Study-Bearbeitungen. In: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, Jg. 42 (2013) Nr. 6, Seite 337 bis 341. [8] Alan, Yilmaz / Urbach, Nils / Hinsen, Silvana / Jöhnk, Jan / Beisel, Patrick/ Weißert, Malte / Blumenthal, Stephan / Hofmann, Peter: Think beyond tomorrow-- KI, mein Freund und Helfer-- Herausforderungen und Implikationen für die Mensch-KI-Interaktion. Report, EY-- Ernst & Young GmbH. o. O. 2019. Online-Dokument unter https: / / www. fim-rc.de/ Paperbibliothek/ Veroeffentlicht/ 1048/ wi-1048. pdf, letzter Zugriff am 22. 01. 2025. [9] Wannemacher, Klaus / Bodmann, Laura: Künstliche Intelligenz an den Hochschulen. Potenziale und Herausforderungen in Forschung, Studium und Lehre sowie Curriculumentwicklung. Arbeitspapier 59, Berlin 2021. Online-Dokument unter https: / / hochschulforumdigitalisierung.de/ sites/ default/ files/ dateien/ HFD_AP_59_Kuenstliche_Intelligenz_Hochschulen_HIS-HE.pdf, letzter Zugriff am 22. 01. 2025. Eingangsabbildung: © iStock.com / JuSun Prof. Dr. Naciye Akca Naciye Akca ist Inhaberin einer Professur für Betriebswirtschaftslehre am FB Allgemeine Innere Verwaltung und Prüferin am FB Bundeswehrverwaltung der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung. Sie ist Modulleiterin für den bundesweiten Virtuellen Weiterbildungsstudiengang Wirtschaftsinformatik der Universität Duisburg-Essen und der Otto-Friedrich-Universität Bamberg sowie zertifizierte Trainerin über das Institut für Mediative Kommunikation und Diversity-Kompetenz an der Internationalen Akademie Berlin für innovative Pädagogik, Psychologie und Ökonomie gGmbH in Kooperation mit der Sigmund Freud PrivatUniversität Berlin und dem Europäischen Hochschulverband. Internet: https: / / www.hsbund.de/ akca eMail: Naciye.Akca@hsbund.de Abbildung 3: Mr. Callidus Bund [© Akca] 56 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0071 Die Rolle der Ethik im Projektmanagement KI, Tempo, Wirkung: Wie Projektverantwortliche Orientierung finden, wenn Regeln fehlen Annette Bühler Für eilige Leser | Technologiebasierte Projekte werfen zunehmend ethische Fragen auf-- von Fairness über Transparenz bis hin zu Rechenschaft. Der Beitrag stellt das Ethik-Taschenmesser als strukturierte, praxisorientierte Methode vor, um ethische Prinzipien im Projektalltag anzuwenden. Am Beispiel eines KI-gestützten Bewerbungsprozesses wird gezeigt, wie vier zentrale Werkzeuge-- Fairness, Transparenz, Rechenschaft und Gerechtigkeit-- gezielt eingesetzt werden können. Ergänzt wird der Beitrag durch ein zweites Beispiel aus dem Bereich der Katastrophenhilfe. Projektverantwortliche erhalten damit einen praktikablen Denkrahmen für verantwortungsvolle Entscheidungen im Spannungsfeld zwischen Tempo, Technologie und Wirkung. Schlagwörter | Ethische Führung, Projektmanagement, Künstliche Intelligenz, Fairness, Transparenz, Verantwortung, IPMA-Kompetenzen, Ethik-Taschenmesser Projekte bringen Bewegung-- sie schaffen Neues, treiben Wandel voran und sind oft Türöffner für Technologien, die unsere Gesellschaft nachhaltig prägen. Doch je mehr Daten, Algorithmen und Automatisierung ins Spiel kommen, desto größer wird auch die Verantwortung derjenigen, die Projekte leiten. Im Spannungsfeld zwischen Innovationsdruck und gesellschaftlicher Verantwortung rückt eine oft unterschätzte Dimension in den Fokus: Ethik. Sie entscheidet mit darüber, ob ein Projekt nicht nur technisch gelingt, sondern auch nachhaltig trägt. Ein wirksames Instrument, um ethische Überlegungen systematisch in Projektentscheidungen einzubeziehen, ist das „Ethik-Taschenmesser“. Es hilft dabei, Orientierung zu gewinnen, wo Standards fehlen- - und Entscheidungen zu treffen, die nicht nur effizient, sondern auch verantwortungsvoll sind. Das Ethik-Taschenmesser-- ein praxisorientiertes Werkzeug Wer schon einmal ein Schweizer Taschenmesser in der Hand hatte, kennt das Prinzip: kompakt, vielseitig, bereit für unerwartete Situationen. Genauso versteht sich auch das Ethik- Taschenmesser- - ein symbolischer Werkzeugkasten für Projektverantwortliche, die Entscheidungen nicht nur effizient, sondern auch verantwortungsvoll treffen wollen. Statt abstrakter Werte oder schwer fassbarer Leitbilder liefert das Ethik-Taschenmesser zwölf sofort anwendbare Werkzeuge, mit denen sich ethische Fragestellungen im Projektkontext systematisch durchdenken und bearbeiten lassen. Jedes Werkzeug steht dabei für ein zentrales Prinzip, das in Projekten immer wieder auf die Probe gestellt wird- - zum Beispiel Fairness, Transparenz oder Rechenschaft. Gerade im Umfeld von Künstlicher Intelligenz, wo rechtliche Leitplanken wie der EU AI Act oder erste nationale Regelungen- - etwa in der Schweiz- - noch in den Startlöchern stehen oder schwer interpretierbar sind, fehlt es oft an konkreten, anwendbaren Vorgaben für die Projektpraxis. Das Ethik-Taschenmesser schließt hier eine Lücke: Es ist sofort einsetzbar, leicht verständlich und offen genug, um auch mit neuen Herausforderungen umzugehen, die durch KI-basierte Technologien erst entstehen. Wissen | KI, Tempo, Wirkung: Wie Projektverantwortliche Orientierung finden, wenn Regeln fehlen 57 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0071 Wie das konkret aussieht, zeigt ein typisches Projekt aus dem Personalbereich: Ein Unternehmen möchte den Auswahlprozess für neue Mitarbeitende digitalisieren. Die Personalabteilung plant, eine KI-gestützte Lösung zur automatisierten Vorselektion von Bewerbungen einzusetzen. Was als Effizienzgewinn gedacht ist, wirft schnell kritische Fragen auf: Werden bestimmte Gruppen systematisch benachteiligt? Wissen Bewerberinnen und Bewerber überhaupt, wie das System entscheidet? Und wer trägt die Verantwortung, wenn geeignete Kandidat*innen durchs Raster fallen? Genau hier entfaltet das Ethik-Taschenmesser seine Wirkung. Es ermöglicht Projektteams, solche Spannungsfelder frühzeitig zu erkennen und mit einem strukturierten, aber pragmatischen Zugang zu bearbeiten. In den folgenden Abschnitten werden ausgewählte Werkzeuge näher vorgestellt-- und am Beispiel dieses KI-Recruiting-Projekts angewendet. Werkzeuge im Einsatz: Ethik konkret anwenden Wie kann das Ethik-Taschenmesser helfen, konkrete Herausforderungen im Projekt zu bewältigen? Im Folgenden werden vier von zwölf Werkzeugen exemplarisch anhand eines realitätsnahen Szenarios vorgestellt: dem Einsatz von KI im Bewerbungsprozess. Feile der Fairness-- wenn Algorithmen Karrieren beeinflussen Die Feile der Fairness glättet dort, wo Verzerrungen entstehen- - bewusst oder unbewusst. In vielen Projekten, die mit datenbasierten oder KI-gestützten Systemen arbeiten, ist Fairness kein automatisches Ergebnis, sondern muss aktiv gestaltet werden. Im Beispiel des Recruiting-Projekts wird das besonders deutlich: Eine KI soll Bewerbungen vorfiltern und diejenigen Kandidat*innen hervorheben, die angeblich am besten zur Stelle passen. Die Trainingsdaten stammen aus früheren Einstellungsprozessen-- also aus menschlichen Entscheidungen. Und genau hier liegt die erste Herausforderung: Wenn diese historischen Daten Vorurteile oder ungleiche Chancen widerspiegeln, wird die KI diese Muster fortschreiben. Erste Analysen im Projektteam zeigen: Die KI bevorzugt Bewerbungen mit durchgehenden Lebensläufen- - unabhängig von Qualifikation oder Motivation. Auch bestimmte Namensmuster oder sprachliche Eigenheiten scheinen die Gewichtung zu beeinflussen. Solche Effekte müssen nicht das Resultat bewusster Voreingenommenheit sein-- sie entstehen oft aus historischen Mustern in den Trainingsdaten. Ein bekanntes Beispiel aus der Praxis zeigt, wie solche Verzerrungen unbeabsichtigt entstehen können: Ein großes Technologieunternehmen entwickelte ein System zur automatisierten Bewerbungsbewertung. Es stellte sich heraus, dass Bewerbungen von Frauen systematisch abgewertet wurden-- nicht aufgrund direkter Diskriminierung, sondern weil das System auf Daten aus früheren, männlich geprägten Einstellungsverfahren trainiert worden war. Das Projekt wurde später eingestellt. Ein verantwortungsvolles Projektteam greift an dieser Stelle zur Feile der Fairness: • Es analysiert die Datenquellen kritisch auf mögliche Verzerrungen. • Es überprüft die Auswahlkriterien gemeinsam mit Fachexpert*innen und Diversity-Verantwortlichen. • Es testet systematisch, ob das System bestimmte Gruppen benachteiligt oder ausschließt. Fairness bedeutet hier nicht, jede Bewerbung gleichzubehandeln, sondern die Kriterien bewusst so zu gestalten, dass Chancengleichheit ermöglicht wird- - trotz unterschiedlicher Voraussetzungen. Pinzette der Transparenz-- wer entscheidet hier eigentlich? Die Pinzette der Transparenz zieht feine, oft übersehene Details ans Licht-- besonders dort, wo Entscheidungen automatisiert oder technisch unterstützt erfolgen. In Projekten, die auf KI-gestützte Systeme setzen, kann leicht der Eindruck entstehen, die Maschine habe „neutral“ entschieden. Doch ohne nachvollziehbare Kriterien entsteht schnell Misstrauen-- sowohl bei den betroffenen Personen als auch im Projektteam selbst. Im Recruiting-Projekt stellt sich früh die Frage: Wissen die Bewerber*innen, dass sie von einem algorithmischen System bewertet werden? Welche Merkmale fließen in die Entscheidung ein-- und wie werden sie gewichtet? Warum erhält eine Bewerbung ein positives Ranking, eine andere nicht? Transparenz beginnt nicht erst beim Systemdesign, sondern bei der Grundhaltung: Projektteams, die auf die Pinzette der Transparenz zurückgreifen, definieren von Beginn an klare Entscheidungswege- - und sorgen dafür, dass diese auch extern nachvollziehbar bleiben. Konkret bedeutet das: • Die Funktionsweise des Systems wird intern wie extern verständlich dokumentiert. • Bewerber*innen werden darüber informiert, dass ein KI- System eingesetzt wird-- idealerweise inkl. einer Beschreibung, welche Rolle es im Auswahlprozess spielt. • Projektleitende sorgen dafür, dass auch innerhalb des Unternehmens klar ist, wer welche Entscheidung trifft: die Software, ein Mensch-- oder eine Kombination aus beidem. Transparenz bedeutet nicht, jede Codezeile offenzulegen. Aber es bedeutet, dass Projektbeteiligte und Betroffene erkennen können, wie und warum Entscheidungen zustande kommen-- und an wen sie sich bei Fragen oder Einwänden wenden können. Ahle der Rechenschaftspflicht-- Verantwortung darf nicht verschwinden Die Ahle der Rechenschaftspflicht sticht gezielt dort hinein, wo Unklarheiten über Zuständigkeiten bestehen. In komplexen, technologiegetriebenen Projekten-- wie dem Einsatz von KI im Bewerbungsprozess- - kann Verantwortung leicht verwischen: Wer hat entschieden, wer ist zuständig, wenn etwas schiefläuft? Im Recruiting-Projekt wird die Verantwortung zwischen HR, IT, externen Anbietern und der KI selbst verteilt. Ein Bewerbungssystem bewertet Kandidat innen auf Basis automatisierter Kriterien- - aber wer trägt letztlich die Verantwortung für Fehlentscheidungen? Ist es das Projektteam, die Softwareentwickler innen, die Personalabteilung oder das System selbst? Wissen | KI, Tempo, Wirkung: Wie Projektverantwortliche Orientierung finden, wenn Regeln fehlen 58 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0071 Gerade wenn Entscheidungen technisch unterstützt, aber menschlich verantwortet werden, braucht es klare Zuordnungen. Projektteams, die die Ahle der Rechenschaftspflicht einsetzen, klären: • Wer prüft das System vor dem Einsatz? • Wer greift ein, wenn es unerwartete Ergebnisse liefert? • Und wer steht ein, wenn qualifizierte Kandidat*innen fälschlich abgelehnt werden-- oder sich benachteiligt fühlen? Rechenschaftspflicht ist kein juristisches Konzept allein-- sie ist auch kulturell: Nur wenn Verantwortlichkeiten transparent und verbindlich geregelt sind, können Projektmitglieder reflektiert handeln, lernen und Vertrauen aufbauen. Die Ahle hilft, genau diese Punkte sichtbar zu machen-- bevor sie zum Problem werden. Lupe der Gerechtigkeit-- wem zuerst geholfen wird Die Lupe der Gerechtigkeit vergrößert das Gesamtbild: Sie hilft dabei, über Einzelfälle hinaus grundlegende Muster, Priorisierungen und Auswirkungen zu erkennen-- gerade dort, wo knappe Ressourcen verteilt oder sensible Entscheidungen getroffen werden müssen. Im Recruiting-Projekt etwa zeigt sich: Ein KI-System, das auf Effizienz trainiert ist, bewertet Bewerbungen oft auf Basis quantifizierbarer Merkmale-- Ausbildung, Erfahrung, lückenloser Werdegang. Doch werden damit nicht strukturell benachteiligte Gruppen systematisch übersehen? Wer etwa familiäre Pflegezeiten oder einen späten Berufseinstieg in seinem Lebenslauf hat, wird nach reinen Effizienzkriterien womöglich benachteiligt. Die Lupe der Gerechtigkeit fordert Projektteams dazu auf, grundsätzliche Gerechtigkeitsfragen in die Gestaltung technischer Systeme einzubeziehen: • Welche impliziten Annahmen sind im System verankert? • Wer profitiert vom gewählten Auswahlverfahren-- und wer hat das Nachsehen? • Sind unsere Definitionen von „Eignung“ und „Passung“ kulturell geprägt, eingeschränkt oder veraltet? Diese Fragen lassen sich exemplarisch auch auf ganz andere Kontexte übertragen-- etwa auf ein Projekt zur Katastrophenhilfe, bei dem eine KI die Reihenfolge der Hilfsgesuche nach Dringlichkeit sortieren soll. Was auf den ersten Blick nach gerechter Priorisierung aussieht, birgt auf den zweiten Blick erhebliche Risiken: • Wird Dringlichkeit nur anhand wirtschaftlicher Schäden definiert- - und bleiben damit gesundheitliche, familiäre oder sprachlich schwer formulierbare Notlagen unberücksichtigt? • Haben alle Bevölkerungsgruppen die gleiche Chance, korrekt erfasst zu werden- - oder benachteiligt das System vulnerable Personen, deren Hilferuf weniger „Datenwert“ erzeugt? Die Lupe der Gerechtigkeit erinnert Projektteams daran, dass Fairness über formale Gleichbehandlung hinausgeht- - und dass Gerechtigkeit eine bewusste, mitgedachte Perspektive sein muss. Auch und gerade dort, wo Entscheidungen durch Technik vorbereitet oder unterstützt werden. In der konkreten Anwendung zeigen sich schnell vielschichtige Herausforderungen: Die KI bewertet Hilfegesuche anhand definierter Merkmale- - etwa Schadenshöhe, Haushaltsstruktur oder Dringlichkeitsindikatoren wie Gesundheitsgefahr oder Kinder im Haushalt. Doch wie verlässlich sind diese Angaben in einer akuten Krisensituation? Werden sprachlich oder technisch benachteiligte Personen korrekt erfasst? Erhält jemand mit hohem Digitalisierungsgrad automatisch schneller Unterstützung als jemand, der sich nur telefonisch oder schriftlich meldet? Auch kulturelle Unterschiede in der Selbstdarstellung wirken sich aus: Manche Betroffene beschreiben ihre Situation dramatisch, andere sachlich-zurückhaltend-- was das System je nach Trainingsstand unterschiedlich interpretiert. Die KI priorisiert, aber sie versteht weder Kontext noch Scham noch Resilienz. Diese Herausforderungen wären in einem klassischen Auswahlprozess vielleicht unbewusst mitgelaufen-- durch das KI- System werden sie jedoch sichtbar und reproduzierbar. Genau hier setzt die Lupe der Gerechtigkeit an: nicht als Lösung, sondern als Einladung zur bewussten Auseinandersetzung mit der Frage, was wir unter gerechter Hilfe eigentlich verstehen-- und für wen. Kompetenzorientierte Verankerung Die im Ethik-Taschenmesser enthaltenen Werkzeuge lassen sich direkt den drei Kompetenzbereichen der IPMA Individual Competence Baseline (ICB) zuordnen. Sie zeigen, dass ethische Kompetenz keine Zusatzqualifikation ist, sondern ein integraler Bestandteil moderner Projektführung. People-- Führung, Kultur und Zusammenarbeit: Die Anwendung von Werkzeugen wie der Feile der Fairness oder der Schere der Empathie stärkt nicht nur die Entscheidungskompetenz, sondern auch das Vertrauen im Team. Projektleitende, die offen über Kriterien, Werte und Prioritäten sprechen, fördern eine Kultur der Verantwortung-- auch in kritischen Phasen. Practice-- Methoden und Prozesse: Das Ethik-Taschenmesser unterstützt eine reflektierte Anwendung technischer Systeme und Methoden. Die Pinzette der Transparenz und die Ahle der Rechenschaftspflicht zeigen, wie ethische Prinzipien in Konzeption, Implementierung und Steuerung konkret verankert werden können- - besonders in datengetriebenen Projekten. Perspective-- Strategie, Umfeld und Nachhaltigkeit: Werkzeuge wie die Lupe der Gerechtigkeit oder der Kompass der Diversität helfen dabei, über den Projektrand hinauszublicken: Wer sind die mittel- und langfristig Betroffenen? Welche gesellschaftlichen, ökologischen oder kulturellen Dynamiken prägen das Projektumfeld? Solche Fragen sind für nachhaltige Projektentscheidungen ebenso entscheidend wie Zeit, Budget und Qualität. Wer seine Kompetenzen in einer zunehmend technologiegeprägten Projektwelt weiterentwickeln will, findet im Ethik-Taschenmesser eine wertvolle Orientierungshilfe. Es hilft dabei, komplexe Entscheidungsfelder bewusst zu reflektieren, eine ethisch fundierte Haltung zu entwickeln und Führung nicht nur technisch, sondern auch verantwortungsvoll zu gestalten. Damit unterstützt das Ethik-Taschenmesser bei der inhaltlichen Auseinandersetzung mit zentralen Kompetenzbereichen, insbesondere im Hinblick auf Leadership, Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Wirkung. Wissen | KI, Tempo, Wirkung: Wie Projektverantwortliche Orientierung finden, wenn Regeln fehlen 59 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0071 Ethik als Leadership-Kompetenz In vielen Projektorganisationen wird derzeit intensiv darüber diskutiert, welche Kompetenzen Führungskräfte in einer zunehmend digitalisierten und KI-gestützten Welt benötigen. Technisches Wissen bleibt wichtig-- doch ebenso entscheidend wird die Fähigkeit, in komplexen, oft widersprüchlichen Entscheidungssituationen eine ethisch fundierte Haltung einzunehmen. Ethische Kompetenz zeigt sich nicht nur in der Einhaltung von Regeln, sondern vor allem in der Art, wie Projektleitende mit Unsicherheit, Zielkonflikten und Verantwortung umgehen. Wer als Führungskraft Entscheidungen trifft, die weitreichende Auswirkungen auf Menschen, Umwelt oder Gesellschaft haben, braucht mehr als Checklisten: Es braucht Orientierung, Reflexion und den Mut, Werte sichtbar zu machen. Das Ethik-Taschenmesser bietet genau dafür eine strukturierte, aber zugleich flexible Grundlage. Es regt dazu an, über rein funktionale Zielsetzungen hinauszudenken und ethische Überlegungen in den Projektalltag zu integrieren- - nicht als Zusatzaufgabe, sondern als selbstverständlichen Teil verantwortungsvoller Führung. In der Projektweiterbildung und Führungskräfteentwicklung gewinnt dieses Thema zunehmend an Bedeutung. Organisationen, die ethische Reflexion fördern, stärken nicht nur ihre Resilienz und Innovationsfähigkeit, sondern schaffen auch eine Kultur, in der Vertrauen, Transparenz und Fairness kein Zufall sind-- sondern Ergebnis bewusster Gestaltung. Fazit: Ein Werkzeug für nachhaltigen Projekterfolg Projekte gestalten Zukunft-- sie prägen Produkte, Prozesse, Organisationen und letztlich das Zusammenleben. Umso wichtiger ist es, dass Projektverantwortliche nicht nur technisch versiert, sondern auch ethisch reflektiert handeln. Das Ethik-Taschenmesser ist keine starre Methode, sondern ein anwendungsorientierter Denkrahmen, der hilft, sich in einem zunehmend dynamischen, technologiegetriebenen Umfeld zu orientieren. Die vorgestellten Werkzeuge zeigen, wie ethische Prinzipien wie Fairness, Transparenz, Rechenschaft und Gerechtigkeit im konkreten Projektalltag lebendig werden. Ob im Recruiting, bei der Gestaltung von KI-Systemen oder-- wie das Beispiel der Katastrophenhilfe zeigt-- in hochsensiblen Entscheidungssituationen: Ethische Führung zeigt sich dort, wo Verantwortung übernommen, Komplexität ernst genommen und Auswirkungen mitgedacht werden. Wer als Projektleiter*in oder Führungskraft ethisch handelt, tut das nicht zusätzlich zum eigentlichen Auftrag-- sondern im Kern der Führungsarbeit. Das Ethik-Taschenmesser hilft dabei, diese Haltung zu schärfen, bewusst zu reflektieren- - und im entscheidenden Moment das richtige Werkzeug zu wählen. Eingangsabbildung: pocketknife-- KI-generiert Annette Bühler Annette Bühler ist Gründerin und Geschäftsführerin von swisswolf Consulting. Sie ist IPMA Level A zertifiziert und als IPMA-Assessorin tätig. Mit ihrer umfassenden Erfahrung in Projektmanagement und ethischer Führung verbindet sie praktische Expertise mit innovativen Ansätzen. Als Autorin des Buches « Ethische Führung in der KI -Ära» hat sie das Konzept des „Ethik-Taschenmessers“ entwickelt, das Führungskräfte bei der Bewältigung ethischer Herausforderungen unterstützt. annette.buehler@swisswolf.com www.swisswolf.com 60 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0072 Projektmanagement meistern, um Wissen erfolgreich zu teilen Das Projektmanagement hinter unserem PM-Podcast Saskia Weiß Für eilige Leser | Der Podcast „Snacksize Projektmanagement“ zeigt, wie strukturiertes Projektmanagement eine effiziente Umsetzung ermöglicht. Klare Rollenverteilung, definierte Prozessabläufe und der Einsatz von Tools wie Clickup sicherten den Workflow-- von der Themenfindung bis zur Veröffentlichung. Während WIC die Konzeption, Skripterstellung und Inhalte verantwortete, wurden Videoschnitt, Grafikerstellung sowie Veröffentlichung von Blog- und Newsletter-Beiträgen extern übernommen. Regelmäßige Redaktionsplan-Meetings und Lessons Learned trugen zur stetigen Optimierung bei. Herausforderungen wie Equipmentwahl und Zeitmanagement wurden durch externe Schulungen und Pufferzeiten gemeistert. Der strukturierte Ansatz schuf die Basis für einen qualitativ hochwertigen Podcast, der sowohl Fachleute als auch Interessierte begeistert. Schlagwörter | Podcast, Projektmanagement, Wissensvermittlung, Medienprojekte, Ressourcenmanagement Einleitung: Hintergrund und Projektidee Der Podcast „Snacksize Projektmanagement“, der im November 2023 gestartet ist, verfolgt das Ziel, im Rahmen von kurzen und prägnanten Folgen Projektmanagement-Konzepte zugänglicher zu machen und die Hörer zu inspirieren, neues PM-Wissen in ihren Arbeitsalltag zu integrieren. Die Idee entstand aus dem Wunsch heraus, Fachwissen auf eine unterhaltsame und gleichzeitig praxisnahe Weise zu vermitteln. Projektinitiierung, Definition und Planung Nach ersten Brainstorming-Sitzungen entwickelte das Team ein Konzept, das den Fokus auf eine flexible Mischung aus Monologen, Interviews und Diskussionsrunden legte. Diese Herangehensweise sollte sowohl Experten als auch Einsteigern spannende und relevante Inhalte bieten. Der Weg von der Idee zur ersten Folge war geprägt von intensiver Planung, der Definition von Verantwortlichkeiten und der Etablierung effizienter Abläufe, um die regelmäßige Veröffentlichung hochwertiger Episoden sicherzustellen. Von Beginn an lag der Fokus auf einer klaren Rollenverteilung und definierten Prozessabläufen. Das Team von WIC übernahm die Themenfindung, Folgenkonzeption, Skripterstellung und Produktion, während der Videoschnitt und die Erstellung von Grafiken für Social-Media-Beiträge extern beauftragt wurden. Auch die Programmierung und Veröffentlichung von begleitenden Blog- und Newsletter-Beiträgen erfolgte durch Freelancer, wobei Inhalte und Freigabe bei WIC lagen. Zur Organisation nutzte das Team das Tool Click-up, in dem ein Workflow für jede Folge hinterlegt wurde. Dort wurden Statusupdates gepflegt, Dateiablageorte definiert, Aufgaben mit Deadlines und Prioritäten zugewiesen sowie Feedback und Freigaben koordiniert. Regelmäßige Redaktionsplan-Meetings bei WIC sorgten dafür, dass Themen für ein halbes Jahr im Voraus definiert und Deadlines festgelegt wurden. Durchführung und Steuerung Das Projektmanagement setzte auf klassische Methoden, um die Arbeit effizient zu steuern. Disziplin im Zeitmanagement war entscheidend, um Konsistenz und hohe Standards bei der Produktion sicherzustellen. Ein zentraler Faktor war die Wissen | Das Projektmanagement hinter unserem PM-Podcast 61 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0072 frühzeitige Abstimmung mit den Freelancern, da deren Verfügbarkeit oft eingeschränkt war. Um den monatlichen Veröffentlichungsrhythmus einzuhalten, wurde immer mindestens 1,5 Monate vor dem geplanten Launch einer Folge produziert, um Pufferzeiten zu schaffen. Regelmäßige Meetings und Feedback-Schleifen sorgten für eine kontinuierliche Qualitätssteigerung. Während der Produktion wurden Lessons Learned dokumentiert, wodurch beispielsweise eine Videodreh-Checkliste entstand, die den Ablauf weiter optimierte. Zudem reagierte das Team auf Feedback der Zielgruppe: Monologe wurden als ermüdend empfunden, daher setzt der Podcast inzwischen verstärkt auf Interviews mit wechselnden Gesprächspartnern. Ergebnisse und Erfolgsfaktoren Der strukturierte Ansatz führte zu einem qualitativ hochwertigen Podcast, der sowohl Fachleute als auch interessierte Laien anspricht. Erfolgsfaktoren waren die klaren Zieldefinitionen, die Nutzung eines flexiblen Tools wie Click-up und die konsequente Einbindung von Feedback aus Lessons Learned und der Zielgruppe. Der Podcast „Snacksize Projektmanagement“ ist auf Plattformen wie Spotify, Apple Podcast, Amazon Music, Google Podcasts und YouTube verfügbar. Interessierte können sich dort selbst ein Bild von den Ergebnissen machen und in die verschiedenen Folgen eintauchen, um die Kombination aus Wissensvermittlung und unterhaltsamen Formaten zu erleben. Übertragbarkeit und Lessons Learned Das Projektmanagement des Podcasts zeigt, wie wichtig klare Strukturen und ein durchdachter Workflow für Medienprojekte sind. Insbesondere die effiziente Nutzung von Tools und die Bedeutung regelmäßiger Abstimmungen sind zentrale Erkenntnisse. Die Zusammenarbeit mit Freelancern erforderte besondere Aufmerksamkeit in der Terminplanung. Außerdem lehrte das Projekt, dass der Erfolg stark von der frühzeitigen Produktion und der konsequenten Umsetzung eines Plans abhängt. Eingangsabbildung: Cover Snacksize Projektmanagement; Grafik: WIC Abbildung: Podcastproduktion; Foto: WIC Saskia Weiß Saskia Weiß studierte Medienwirtschaft und Journalismus (B. A.) sowie Management digitaler Medien (M. A.). Nach Tätigkeiten bei Arvato und Von Mende Marketing arbeitet Sie als Projektmanagerin bei Wisst International Consulting. Sie ist zertifizierte Projektmanagerin (IPMA Level C). Wisst International Consulting GmbH Englerstraße 4 77 652 Offenburg Internet: www.wisst-international.com E-Mail: saskia.weiss@wisst-international.com 62 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0073 Fünf Fragen (und überraschende Antworten) vom 34. IPMA World Congress Der 34. IPMA World Congress in Berlin, der vom 17. bis 19. September 2025 stattfindet, bietet eine bemerkenswerte thematische Breite. Jeder Vortrag liefert wertvolle Erkenntnisse und wirft neue Fragen auf - fünf davon stellen wir exemplarisch vor. Die Schwerpunkte des Kongresses umfassen aktuelle und zukünftige Herausforderungen im Projektmanagement. Zu den wiederkehrenden Hauptthemen gehören Agilität, Nachhaltigkeit (ESG) und Künstliche Intelligenz (KI), die sowohl in Keynotes als auch in spezifischen Sessions behandelt werden. Darüber hinaus deckt das Programm eine Vielzahl weiterer relevanter Bereiche ab, darunter Transformation und Digitalisierung im Projektgeschäft, verschiedene Aspekte von Führung (z. B. in hybriden oder agilen Teams), sowie die Evolution von PMO & PPM (Projektmanagement-Office und Projektportfolio- Management). Auch spezifische PM-Methoden, Zusammenarbeit, Innovation, Effizienz, Risikomanagement, Governance, Kommunikation und Wissensmanagement sind zentrale Bestandteile der Vorträge und Diskussionen. Der Kongress beleuchtet zudem übergreifende Themen wie Interkulturalität und die Rolle von Projektmanagement in der Gesellschaft, oft durch praxisnahe Projektbeispiele ergänzt - und mit überraschenden Fragen angereichert. 1. Sind Goldfische die besseren Führungskräfte? Auf den ersten Blick wirkt es wie ein Scherz: In einer Schulung für Führungskräfte sollen sich Teilnehmende ein Beispiel an Goldfischen nehmen. Doch genau diese skurrile Metapher stammt aus der vielfach ausgezeichneten „AppleTV“-Serie Ted Lasso- - und sie liefert überraschende Impulse für modernes Führungsverhalten. Der Projektmanagement-Experte Constantin Hoya, Director Global Agile Organization bei Olympus, nutzt die Serie als Ausgangspunkt für eine praxisnahe Auseinandersetzung mit agiler Führung. Hoya entdeckte Ted Lasso eher zufällig- - und war schnell überzeugt: Die Hauptfigur, ein US-Footballtrainer, der ohne Fachkenntnisse ein britisches Premier-League-Team übernimmt, verkörpert aus seiner Sicht ein Idealbild moderner Führung. Statt Fachwissen ins Zentrum zu stellen, geht es bei Lasso um Haltung, Beziehungsarbeit und die Fähigkeit zur Adaption. Genau diese Qualitäten hält Hoya für entscheidend in einer Welt, in der Führungskräfte oft unerwartet mit neuen Situationen konfrontiert werden- - auch ohne perfekte Vorbereitung. Anhand der Serie identifiziert Hoya fünf Grundpfeiler eines agilen Führungsstils: 1. Positive Leadership: Ted Lasso begegnet Herausforderungen mit einer konsequent optimistischen Grundhaltung. Diese Form der Führung stärkt Resilienz und schafft ein Umfeld, in dem sich Mitarbeitende entfalten können. 2. Empathie und Beziehungsaufbau: Lasso nimmt sich Zeit, sein Team kennenzulernen, baut Vertrauen auf und begegnet jedem Menschen mit echter Wertschätzung- - eine Grundvoraussetzung für funktionierende Projektteams. 3. Teamförderung statt Einzelleistung: Im Zentrum steht nicht das individuelle Leistungsprinzip, sondern die Entwicklung des gesamten Teams. Besonders deutlich wird das an der Wandlung eines egozentrischen Spielers, der lernt, für andere zu spielen-- sowie am Aufstieg eines Zeugwarts zum Cheftrainer. 4. Offene Kommunikation: Lasso schafft eine Kultur, in der offen über Schwächen, Konflikte und Ideen gesprochen wird. Für agile Arbeitsformen ist diese Transparenz essenziell. 5. Fehler als Lernchance: Die Serie endet nicht mit einem Happy End-- das Team steigt ab. Doch gerade dieser Misserfolg wird genutzt, um strukturelle Schwächen sichtbar zu machen und Veränderungsbereitschaft zu fördern. Eine konstruktive Fehlerkultur ersetzt die Angst vor Sanktionen. Ein zentraler Moment der Serie ist die Empfehlung, sich bei Fehlern ein Beispiel an Goldfischen zu nehmen-- mit ihrer angeblich nur zehn Sekunden langen Erinnerungsspanne. Die Botschaft: Rückschläge nicht überbewerten, aus Fehlern ler- Berichte aus der GPM | Fünf Fragen (und überraschende Antworten) vom 34. IPMA World Congress 63 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0073 nen und dann loslassen. Für Hoya steht diese Haltung exemplarisch für resilientes Führungsverhalten- - insbesondere in dynamischen Projektumfeldern. Ted Lasso verkörpert laut Hoya einen Führungstypus, der nicht über Autorität funktioniert, sondern über Empowerment. Anstatt Mitarbeiter nur an Zahlen zu messen, gibt er Orientierung, fördert Selbstverantwortung- - und inspiriert durch sein eigenes Verhalten. Auch im Stakeholder-Management zeigt die Serie lehrreiche Elemente: Die einstige Gegenspielerin, eine zynische Clubbesitzerin, wird durch Lassos authentisches Auftreten zur Unterstützerin des Teams. Hoya hat die Prinzipien in seine tägliche Arbeit überführt: Bei Olympus leitet er ein internationales Team von Agile Coaches in Japan, den USA und Deutschland. Die Mission: Führungskräfte sollen lernen, nicht über Anweisung zu führen („Push“), sondern durch Vertrauen und Förderung („Pull“)- - und sich selbst als Mentoren begreifen. Hinter dem humorvollen Rahmen der Serie Ted Lasso steckt eine ernstzunehmende Auseinandersetzung mit zeitgemäßer Führung. Der agile Führungsstil der Hauptfigur liefert greifbare Impulse für reale Arbeitskontexte- - und zeigt, dass effektive Führung nicht zwangsläufig aus abstrakten Theoriemodellen bestehen muss. Manchmal reicht ein Goldfisch. 2. Wie bringt man elf Unternehmenskulturen unter ein Dach-- ohne dass es im Großprojekt kracht? Es war das größte Veränderungsvorhaben in der Geschichte der ARD: 11 Rundfunkanstalten, 44 Tochtergesellschaften und rund 37.000 Mitarbeitende-- vereint in einem einzigen Reformprojekt. Ziel war es, die betriebswirtschaftlichen Prozesse der öffentlich-rechtlichen Senderlandschaft zu harmonisieren und eine gemeinsame IT-Plattform einzuführen. Was nach einer klassischen IT-Migration klingt, entpuppte sich schnell als tiefgreifender kultureller Wandel-- mit unerwartetem Widerstand, besonders an der Spitze. Als Dr. Martin Backhaus 2017 die Projektleitung beim Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) übernahm, stieß er gelegentlich auf überraschende Einschätzungen im Top-Management: Einzelne Führungskräfte hielten das Vorhaben für eine bloße technische Umstellung- - vergleichbar mit einem Update auf Windows 10. Dabei war das erklärte Ziel deutlich umfassender: 90 Prozent der Prozesse sollten harmonisiert, 70 Prozent standardisiert und bis zu 50 Prozent der IT-Kosten eingespart werden. Die Reform sollte die Verwaltung verschlanken, damit mehr Beitragsgelder ins Programm fließen können. Doch schnell wurde klar: Es ging um weit mehr als Technik. „Das war kein IT-Projekt. Das war ein Prozess- und Kulturprojekt“, betont Backhaus. Die Herausforderung lag vor allem in der Vielzahl historisch gewachsener Arbeitsweisen-- von München bis Hamburg, jede Anstalt mit ihrer eigenen DNA. Der Widerstand kam nicht überraschend. Viele Mitarbeitende identifizierten sich mit ihren Prozessen-- eine geplante Standardisierung weckte Ängste, etwa vor Bedeutungsverlust oder Arbeitsplatzabbau. Auch Führungskräfte unterschätzten anfangs den kulturellen Impact des Vorhabens. Umso wichtiger war es, das Thema Change Management strategisch zu verankern. Doch der Aufbau eines professionellen Veränderungsmanagements brauchte Zeit. Erst als das Management die Tragweite erkannte, konnte Backhaus ein mehrstufiges Change-Konzept etablieren- - mit einem zentralen Change-Team und lokalen Change Agents, die die Transformation in den einzelnen Häusern kulturell verankerten. Ein zentrales Element war der Aufbau einer bereichsübergreifenden Key-User-Community. Fachleute aus den Sendern, die zuvor isoliert arbeiteten, wurden vernetzt, um gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Ergänzt wurde das Change-Management durch kommunikative Maßnahmen: Projektvideos, ein einheitliches Corporate Design und große Projektveranstaltungen- - teils mit Gebärdensprachdolmetschern und Live-Übertragung ins Intranet. Martin Backhaus formuliert vier zentrale Lektionen aus dem ARD-Reformprojekt: 1. Change Management im Großprojekt braucht Struktur und Timing: In Großprojekten reichen Einzelpersonen nicht aus. Es braucht ein belastbares Netzwerk und eine gute Planung, denn bestimmte Maßnahmen entfalten ihre Wirkung nur im richtigen Moment. 2. Ein klarer Start ist entscheidend: Die erste Projektwelle wurde ohne vollständige Unterstützung des Managements gestartet- - mit Folgen: Widerstände gefährdeten den Projekterfolg. Erst mit dem klaren Bekenntnis der Leitung verliefen die folgenden Wellen reibungslos. Die Lektion: Ohne Mandat keine Veränderung. 3. Der Scope muss flexibel bleiben: Trotz sorgfältiger Planung mussten Teile des Projekts 2021 neu justiert werden. Besonders komplexe Themen wie Personal- oder Lizenzmanagement wurden vorerst ausgeklammert. Ein wichtiger Lerneffekt: Auch große Projekte dürfen sich anpassen-- ein Zeichen von Professionalität, nicht von Scheitern. 4. Zentralität braucht Durchsetzungskraft: Aufgrund der rechtlichen Eigenständigkeit der ARD-Anstalten war die Umsetzung der Change-Vorgaben unterschiedlich stark ausgeprägt. Wo zentrale Vorgaben nicht konsequent verfolgt wurden, blieb der Erfolg begrenzt. Die Einsicht: Zentrale Steuerung braucht klare Mandate und Rückhalt. Am Ende wurden zentrale Geschäftsprozesse in Finanzen, Beschaffung, Dienstreiseabrechnung und Controlling für über 38.000 Nutzerinnen und Nutzer vereinheitlicht. Das Projekt zeigt eindrucksvoll, dass technologische Modernisierung nur dann gelingt, wenn kultureller Wandel aktiv mitgestaltet wird-- und wenn Change Management nicht als Begleiterscheinung, sondern als integraler Bestandteil des Projekts verstanden wird. 3. Brauchen wir wirklich immer mehr Autonomie in agilen Teams? Autonomie gilt als zentraler Baustein agiler Zusammenarbeit-- doch was, wenn sich die Vorstellung von „viel hilft viel“ als zu einfach herausstellt? Die Forschung von Judith Armbruster, Agile Coach und Doktorandin, liefert differenzierte Einsichten: In agilen Teams kann auch begrenzte Autonomie motivierend wirken- - insbesondere für Neueinsteiger oder in klar strukturierten Routinen. Ihre Ergebnisse stellen gängige Annahmen infrage und zeigen: Autonomie muss nicht maximiert, sondern richtig dosiert werden. Armbruster, die ihre Forschung mit praktischer Erfahrung aus der Rolle als Head of People and Communication in einem süddeutschen Softwareunternehmen verbindet, nutzt qualitative Interviews und die sogenannte Q-Methodologie, um das Berichte aus der GPM | Fünf Fragen (und überraschende Antworten) vom 34. IPMA World Congress 64 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0073 individuelle Erleben von Autonomie in agilen Teams systematisch zu erfassen. Sie beobachtet ein Spannungsverhältnis: Während klassische Managementtheorien Autonomie oft als Gegensatz zu Kontrolle verstehen, zeigt sich in agilen Teams eine komplexere Dynamik-- zwischen der Autonomie des Einzelnen und der kollektiven Teamautonomie. Entscheidend sei dabei nicht die völlige Unabhängigkeit (Autarkie), sondern die handlungsorientierte Freiheit innerhalb eines abgestimmten Rahmens. In ihrer Analyse identifiziert Armbruster drei Perspektiven, wie Teammitglieder Autonomie erleben: • Transzendent-zweckorientierte Autonomie: Hier steht das gemeinsame Lernen im Vordergrund. Menschen wollen ihre Arbeit aktiv mit anderen gestalten und durch Zusammenarbeit wachsen. • Ermächtigt-innovative Autonomie: Diese Perspektive betont die Weiterentwicklung durch selbstverantwortliches Arbeiten- - Autonomie wird als Raum zum Lernen und Produzieren zugleich erlebt. • Kontextuell-kreative Autonomie: Kreative Entfaltung findet nicht in grenzenloser Freiheit statt, sondern innerhalb klar definierter Strukturen- - ein Rahmen, der Sicherheit bietet und dennoch Spielräume eröffnet. Eine der überraschendsten Erkenntnisse: Viele Teammitglieder streben nicht nach maximaler Autonomie, sondern nach passender Autonomie. „Man ist oft effizienter, wenn man nicht alles selbst entscheiden muss“, so ein Interviewpartner. Klare Rahmenbedingungen können helfen, sich auf die wesentlichen Aufgaben zu konzentrieren-- eine Beobachtung, die im Widerspruch zu manch dogmatischer Forderung nach maximaler Selbstorganisation steht. Auch die Bewertung vermeintlich „negativer“ Erfahrungen fällt differenziert aus. Viele Befragte beschrieben Situationen, in denen sie sich zunächst überfordert oder unsicher fühlten, diese jedoch im Rückblick als lehrreich und motivierend wahrnahmen. Solche „gemischten Effekte“ unterstreichen die Bedeutung gezielter Herausforderungen außerhalb der Komfortzone. Insbesondere für neue Teammitglieder erweisen sich Routineaufgaben als wichtiger Einstiegspunkt. Auch wenn diese Tätigkeiten wenig Gestaltungsfreiheit bieten, werden sie als motivierend empfunden- - weil sie schnelle Erfolgserlebnisse ermöglichen und Orientierung schaffen. Gleichzeitig bieten etablierte Teamroutinen Halt und fördern den Informationsfluss. Autonomie wird in diesem Kontext nicht durch Freiheit definiert, sondern durch das Gefühl, einen Beitrag leisten zu können. Ein weiterer Befund: Agile Teams übernehmen häufig selbst Verantwortung für die Moderation ihrer Zusammenarbeit. Die Führungskraft muss nicht permanent präsent sein, sondern kann gezielt eingreifen, wenn Strukturen fehlen oder Konflikte entstehen. Dieses Verständnis entlastet nicht nur Projektleiter, sondern fördert auch die Eigenverantwortung und Reife der Teams. Allerdings wird das Thema Autonomie im Teamkontext bislang selten aktiv angesprochen. Viele Befragte hatten sich zuvor kaum Gedanken über ihr eigenes Autonomiebedürfnis gemacht. Armbruster plädiert deshalb dafür, das Thema explizit zu machen: Nur wenn klar ist, wie viel Freiheit und Struktur einzelne Personen brauchen, kann eine gute Balance entstehen. Die Erkenntnisse lassen sich auch außerhalb agiler Strukturen anwenden-- etwa in klassischen oder hybriden Projektumgebungen. Kommunikationsprinzipien wie Offenheit, der Wert von Routinen und die Rolle von Teamdynamik sind universell. Entscheidend ist, wie Zusammenarbeit gestaltet und individuelle Bedürfnisse berücksichtigt werden. 4. Wer hat in Projekten wirklich die Hosen an? Manchmal reichen fünf Minuten, um Führung neu zu verhandeln. Ein Beispiel: Eine Gruppe beginnt, gemeinsam ein Lego- Haus zu bauen. Ohne große Absprache übernehmen Einzelne spontan Aufgaben-- jemand montiert das Dach, bevor der Boden ganz fertig ist, der andere behält den Bauplan im Blick und jemand anders sortiert die Steine. Diese informelle Rollenverteilung erfolgt unbewusst und effizient. Was hier im Kleinen passiert, lässt sich auf ein Prinzip übertragen, das in komplexen Arbeitskontexten zunehmend an Bedeutung gewinnt: Geteilte Führung, auch bekannt als Shared Leadership- - das ist das Thema von Maximilian Müller, der seine langjährige Praxiserfahrung als Team- und Projektleiter bei einem Ingenieurdienstleister in der Automobilindustrie mit seiner Doktorarbeit verknüpft hat. Das Konzept der geteilten Führung wurde in den späten 1990er- und frühen 2000er-Jahren entwickelt-- als Gegenentwurf zum traditionellen Bild der „einen“ Führungskraft an der Spitze. Entscheidend ist nicht mehr, wer formal das Sagen hat, sondern wer tatsächliches Führungsverhalten zeigt. In der Realität agiler oder interdisziplinärer Projektteams sind klassische Hierarchien oft nur Fassade. Die Zusammenarbeit ähnelt eher einem Netzwerk- - Führung verteilt sich dynamisch auf mehrere Schultern. In hochdynamischen Projektumgebungen-- etwa in der Produktentwicklung- - stößt klassische Führung schnell an Grenzen. Kein Mensch kann alle Entscheidungen alleine treffen, schon gar nicht in unsicheren, komplexen und zeitkritischen Situationen. Shared Leadership nutzt stattdessen die Expertise, Motivation und Eigeninitiative einzelner Teammitglieder: • Die Projektleitung behält den Überblick über Budget und Kommunikation. • Ein Teammitglied übernimmt das Zeitmanagement. • Eine dritte Person verantwortet technische Entscheidungen. Diese Verteilung ist flexibel und orientiert sich am situativen Bedarf-- und nicht an starren Organigrammen. Geteilte Führung entsteht auf unterschiedliche Weise: • Top-down, wenn Stellvertreterrollen oder klare Zuständigkeiten definiert sind. • Bottom-up, durch sogenannte emergente Führung-- etwa wenn ein Teammitglied spontan Verantwortung übernimmt, weil es ein Problem erkennt oder sich persönlich entwickeln möchte. Diese Dynamik ist nicht nur funktional, sondern auch motivierend. Sie ermöglicht Selbstwirksamkeit, stärkt die Bindung ans Team und eröffnet individuelle Lern- und Entwicklungschancen. Berichte aus der GPM | Fünf Fragen (und überraschende Antworten) vom 34. IPMA World Congress 65 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0073 Projektleitende müssen nicht alles loslassen, wohl aber die Bereitschaft mitbringen, Verantwortung gezielt abzugeben. In geteilten Führungsmodellen wandelt sich ihre Rolle: Sie steuern nicht mehr alle Inhalte, sondern moderieren die Prozesse. Sie schaffen den Rahmen, in dem sich Führung verteilen kann-- und erkennen, wann Eingreifen nötig ist oder wann das Team selbstständig Lösungen entwickelt. Geteilte Führung ist allerdings kein Allheilmittel. Sie kann zu Unklarheiten führen: Wer ist zuständig? Wer trägt am Ende die Verantwortung? Wie geht man mit Machtverschiebungen um? Vor allem formale Führungskräfte können sich in ihrer Rolle infrage gestellt fühlen, wenn andere informell Führungsaufgaben übernehmen. Zudem erfordert das Modell ein hohes Maß an Kommunikation, Reflexion und Anpassungsfähigkeit- - insbesondere in Remote- oder hybriden Teams, in denen Führung weniger intuitiv sichtbar wird. Geteilte Führung ist kein Trend, sondern eine Antwort auf die Anforderungen moderner Projektarbeit. Sie spiegelt die Realität dynamischer Teamarbeit wider: Führung wird nicht zugewiesen, sie entsteht- - situativ, verteilt, effektiv. Wer das zulässt, öffnet Räume für Innovation, Eigenverantwortung und bessere Ergebnisse. Und manchmal beginnt das alles mit einem Spielzeughaus. 5. Kann man ein PMO von heute auf morgen hochziehen-- oder dauert es eher zehn Jahre? Zehn Jahre mögen im Geschäftsalltag wie ein Wimpernschlag erscheinen-- im Projektmanagement bedeuten sie eine kleine Ewigkeit. Methoden wandeln sich, digitale Werkzeuge werden leistungsfähiger, und die Erwartungen an Projektorganisationen steigen stetig. Bei der Thieme Gruppe, einem Anbieter medizinischer Fachinformationen, hat sich das Project Management Office (PMO) in genau diesem Zeitraum grundlegend gewandelt: von der Excel-getriebenen Unterstützungsfunktion zur zentralen Steuerungseinheit für strategische Projekte. Als das PMO 2006 ins Leben gerufen wurde, stand es vor einem schwierigen Umfeld: stark hierarchische Strukturen, isoliert agierende Unternehmensbereiche und eine mangelhafte Transparenz in der Projektlandschaft. Der Begriff „Projekt“ war kaum definiert und zentrale Standards fehlten, berichtet Jeannine Kraft, Leiterin des Project Management Office der Thieme Gruppe. Statt auf komplexe Tools zu setzen, wählte man bewusst einen pragmatischen Einstieg: Projektanträge in Word, einfache Office-Vorlagen und grundlegende Schulungen zu Projektmethodik. Ein wichtiger Baustein war die Qualifizierung nach IPMA- Standards. Die Entscheidung für die GPM-Zertifizierungen der Level D und B fiel nicht zufällig-- man suchte einen menschenzentrierten Ansatz, der zur wissensbasierten Kultur des Hauses passte. Die Entwicklung des PMO verlief allerdings nicht linear. Zwischen 2016 und 2017 verlor das PMO mit einem Führungswechsel seine Rückendeckung und schrumpfte auf eine Einzelperson zusammen. „Das war ein Wendepunkt“, erinnert sich PMO-Leiterin Jeannine Kraft. Erst mit der erneuten Verankerung auf Top-Management-Ebene-- ab 2020 unter dem CFO-- gewann das PMO wieder an Relevanz. Der entscheidende Schritt: die Einführung einer unternehmensweiten PPM-Software, die zwischen 2021 und 2023 das bisherige, auf Office basierende System ablöste. Heute ist das PMO bei Thieme weit mehr als eine unterstützende Instanz. Es versteht sich als integraler Bestandteil der Unternehmenssteuerung-- mit drei zentralen Rollen: • Kompetenzzentrum: Das PMO verantwortet die methodische Weiterentwicklung und qualifiziert Mitarbeitende im Projektumfeld. • Strategisches Getriebe: Es sammelt, bewertet und priorisiert strategisch relevante Themen-- und sorgt für Durchsatz. • Projektmanagement as a Service: Seit 2022 steht ein zentraler Pool an neutralen Projektleiterinnen und -leitern zur Verfügung. Die entkoppelte Perspektive- - frei von Bereichsinteressen- - hat sich als zentraler Erfolgsfaktor erwiesen. Im Umgang mit aktuellen Entwicklungen mahnt Jeannine Kraft zu einer besonnenen Haltung: • Agilität wird nicht als Selbstzweck verstanden. Man nutzt agile Praktiken gezielt dort, wo sie echten Mehrwert bieten- - etwa in der Produktentwicklung. Die Idee einer rein „agilen Organisation“ wurde bewusst verworfen. • Künstliche Intelligenz wird als Effizienztreiber eingesetzt, nicht als Revolution. Co-Pilot-Systeme unterstützen bei der Protokollierung, Texterstellung oder Auswertung von Dashboards. Trotz aller Fortschritte bleibt das PMO mit typischen Herausforderungen konfrontiert: • Struktur vs. Kreativität: Strukturierte Planung wird mitunter als Einschränkung empfunden, auch wenn sie langfristig den Projekterfolg sichert. • Ressourcenmanagement: Die Frage „Was machen wir nicht ? “ bleibt unangenehm, ist aber essenziell-- insbesondere in einem Umfeld begrenzter Kapazitäten. • Vertrauen und Akzeptanz: Das PMO muss sich kontinuierlich als Partner der Fachbereiche positionieren, nicht als Kontrollinstanz der Geschäftsleitung. Die Entwicklung des PMO bei der Thieme Gruppe zeigt exemplarisch, wie tiefgreifend und zugleich fragil Transformationen im Projektmanagement sein können. Rückschläge gehören zum Prozess-- entscheidend ist die Resilienz, das Netzwerk im Unternehmen und die Fähigkeit zur strategischen Anpassung. Für Jeannine Kraft steht fest: Eine wirksame PMO-Transformation braucht mindestens zwei bis drei Jahre-- und oft ein Jahrzehnt, um zur vollen Entfaltung zu gelangen. Eingangsabbildung: © iStock.com / Mihajlo Maricic 66 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0074 BUCHREZENSION Buchbesprechung Bernd J. Madauss „Project Management“-- A comprehensive description of Theory and Practice Steffen Scheurer Eine Rezension zum Buch „Project Management“-- A comprehensive description of Theory and Practice ist schwer zu schreiben-- und fällt trotzdem leicht. Kein Widerspruch! Schwer wird es, wenn man versuchen würde, alle Inhalte und Methoden des Projektmanagements zu benennen, die in dem Buch beschrieben werden. Dies ist aufgrund der Fülle und Tiefe der im Buch vorgestellten Inhalte und Methoden aussichtslos. Leicht wird es aber, wenn man stattdessen auf das wesentliche Differenzierungsmerkmal abhebt, das dieses Buch ausmacht. Ein Hinweis findet sich bereits im Titel: Theorie und Praxis des Projektmanagements kommen hier aus einer Hand! Dieser glückliche Umstand ist dem beruflichen Lebensweg des Autors geschuldet; das Buch erklärt sich komplett aus der Vita des Autors. Dies macht es so einzigartig und wertvoll. Das moderne Projektmanagement war ursprünglich eng mit der Ingenieurswissenschaft verbunden. Entstanden ist die Disziplin rund um große Verteidigungsprogramme der USA im Kalten Krieg und rund um das Apollo-Programm. Diese Programme waren allesamt durch eine hohe technische Komplexität gekennzeichnet. Mit der ständig zunehmenden Größe und Komplexität der Projekte, aber auch mit der wachsenden Bedeutung der Projekte für die Unternehmen, kamen im Laufe der Jahre immer stärker originäre Managementaufgaben hinzu. Mit der zunehmenden Abwicklung von Umsatz über Projekte wurden dann auch die ökonomischen Aspekte des Projektmanagements immer wichtiger. Heute ist klar, dass ein Projektmanager nicht nur die technische Komplexität von Projekten managen muss, sondern auch deren ökonomischen Erfolg. Bernd-J. Madauss hat diese Entwicklung des Projektmanagements mitgelebt, mitgeprägt und mit vorangetrieben- - sowohl als Theoretiker und Praktiker: Er studierte zuerst in Bremen Schiffbautechnik, später dann an der Pacific States University Los Angeles Betriebswirtschaft (MBA), wo er auch promovierte (PhD). 1986 wurde er zum „Full Professor“ ernannt. Zunächst lagen seine Aufgabenschwerpunkte als Entwicklungs- und Systemingenieur in der Luft- und Raumfahrtindustrie mit der Konstruktion von Flugzeugen, Satelliten und der Europarakete. 1966 übernahm er „Project Control“-Aufgaben für ein Europäisches Satellitenprojekt und 1968 wechselte er zur ELDO, Paris und nahm dort Planungs- und Managementaufgaben für das Europäische Trägerraketenprogramm, (später „Ariane“) wahr. 1975 wurde ihm die Leitung der Hauptabteilung „Project Control“ von MBB-Raumfahrt in München übertragen und 1985 übernahm er Aufgaben des Projektmanagements für das Fernsehsatellitenprojekt „ASTRA“ in Luxembourg, die er mit Unterbrechungen bis 2003 wahrgenommen hat. Neben der selbst gemachten Erfahrung kommt seit 2004 hinzu, dass er als freiberuflicher Berater und akademischer Lehrer tätig wurde. Er lehrte zehn Jahre an der Bundeswehruniversität München. Zudem ist er Fakultätsmitglied und Gastprofessor der Internationalen Raumfahrtuniversität ISU in Strasbourg. Als Praktiker hat er die große Gabe, Projektmanagement auch wissenschaftlich zu reflektieren. Zudem kann er die Inhalte und Methoden auch beschreiben und vermitteln. Hier schreibt also ein Autor, der selbst ein Teil der gelebten Projektmanagementgeschichte ist-- und der weder „nur“ theoretisch oder praktisch weiß, wie Projekte funktionieren sollten. Sein großer Vorteil ist seine jahrzehntelange Erfahrung als Projektmanager, Führungskraft, Berater, Wissenschaftler und Lehrer. Diesen reichen Hintergrund strahlt auch die neue Ausgabe seines Buches „Project Management“-- A comprehensive description of Theory and Practice“ aus. Sie ist die englischsprachige Version der 8. Auflage seines Lehrbuchs „Projektmanagement“. Die erste Auflage erschien bereits 1984. Seither hat der Autor sein Werk immer wieder mit neuen Inhalten und Methoden erweitert. Wichtig war ihm immer, dass sich Inhalte und Methoden auch praktisch bewähren. Heinz Schelle hat bereits in einem Vorwort 2016 von dem „Madauss“ geschrieben: einem Standardwerk vergleichbar mit dem Duden, im Sinne einer umfassenden Enzyklopädie des Projektmanagements. Daran hat sich bis heute nichts geändert: der „Madauss“ ist eines der großen Standardwerke der Projektmanagementliteratur! Hardcover ISBN 978-3-662-69056-7 Published: 07 January 2025 eBook ISBN 978-3-662-69057-4 Published: 06 January 2025 Modelle, Methoden und Instrumente der Projektdiagnose praxisnah vermittelt uvk.de 68 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0075 Jens Köhler Ehrlich sieht Priesberg ganz aufgeregt aus einem Projekttreffen kommen. „Wir haben eben unser Projektportfolio geplant. In einem großen Event mit Ausblick auf das große Ganze. Eines ist klar: Auch kleine Projekte werden wir mit agilen Methoden bearbeiten“, legt Priesberg los. Ehrlich zuckt mit den Schultern. „Ich habe keine Lust auf eine weitere Diskussion über agile Methoden.“ Priesberg regt sich spürbar auf: „Ob man agile Methoden nutzt, ist doch eine Frage der Moral! “ Ehrlich ist wieder am Diskurs interessiert und grinst: „Wieso? “ „Wieso, wieso“, äfft ihn Priesberg nach, „wenn man die Welt retten will, dann sind doch agile Methoden ganz weit oben. Mit den alten Methoden erreicht man doch nichts mehr! Das hat uns doch dahin geführt, wo wir gerade sind! “ „Aha, jetzt geht es nicht mehr um dein Projektportfolio, sondern gleich um die Rettung der ganzen Welt. Deine Schlussfolgerung ist schon abenteuerlich: Weltrettung ist moralisch gut, alte Methoden retten die Welt nicht mehr, also sind sie böse.“ Ehrlich klatscht langsam in seine Hände. Er legt schnell nach: „Jetzt sage ich dir was: Es ist aus meiner Sicht unmoralisch, die Firma hängen zu lassen, nur um der Methoden wegen. Wenn ein Projekt nicht rechtzeitig fertig wird, weil man die ‚alten Methoden‘ nicht anwenden möchte, dann ist das aus meiner Sicht höchst unmoralisch.“ Priesberg kontert: „Vielleicht verstehst Du die Komplexität einfach nicht. Wer so denkt, gehört halt außerhalb des Diskurses gestellt.“ „Der moralische Hausgott“, spottet Ehrlich. „Jetzt haben wir schon zwei: Deine Weltrettung und meine Performance der Firma. Und wenn das nicht hilft, wird man einfach für zu dumm erklärt.“ Sie gehen eine Zeit lang schweigend auf dem Gang nebeneinander. Es scheint, dass jede Kommunikation überflüssig geworden ist. Ehrlich fragt nach einiger Zeit: „Um was geht es denn bei einem deiner kleinen Projekte? “ Priesberg antwortet: „Um eine einfache Datenbank, mehr nicht. Ein fertiges Anforderungsdokument-- ein Programmierer.“ Ehrlich bohrt nach: „Wer muss was bis wann erledigen, das ist doch die Grundformel. Und die kann man in diesem Projektchen sehr einfach beantworten. Und: Wozu dient denn die Datenbank überhaupt? “ „Damit sollen Stammdaten für größere Systeme gepflegt werden, die Schnittstellen dazu sind Teil des Projekts“, erläutert Priesberg. „Also liefert diese Datenbank offensichtlich einen Mehrwert, egal nach welcher Methode die Arbeiten organisiert werden, Hauptsache effizient, oder etwa nicht? “ fragt Ehrlich. „Ja“, sagt Priesberg kleinlaut. Ehrlich legt nach: „Und welche Bedeutung spielt in dieser Frage die Weltrettung? “ Priesberg antwortet wieder kleinlaut: „Keine“. „Für mich stellt sich eher die Frage, wie man aus solchen absurden Meta-Diskussionen herauskommt oder erst gar nicht hineingelangt“, spricht Ehrlich mehr zu sich selbst. „In dem man die Sachebene anspricht und auf die absurde Metaebene verweist“, gibt Priesberg zu. „Am Ende gewinnen die Projekte, sei es in Firmen oder außerhalb, die sachlich fundiert sind und messbare Ergebnisse erzielen, das sollte die Richtschnur sein“, fasst Ehrlich zusammen. „Ziemlich ‚old school‘, findest du nicht? “, erwidert Priesberg. „Und schon wieder eine moralische Bewertung“, kontert Ehrlich: „Und du siehst, so schnell kommt man aus diesem Schema nicht heraus.“ „Gibt es da nicht ein einfaches Rezept? “, fragt Priesberg. Ehrlich überlegt „Vielleicht geht das so: Wenn du merkst, dass auf eine konkrete Frage eine allgemeine Antwort kommt, so wie eben bei ‚old school‘, dann solltest du misstrauisch werden und den Diskurs auf die Sachebene lenken, oder wenn das nicht hilft, das wirkende Metasystem ansprechen und hinterfragen-- das ist doch die einzig wahre Zukunft, oder nicht? “ Priesberg überlegt kurz: „Einzig wahre Zukunft? Was willst du dahinter verstecken? “ „Das Schöne, Wahre und Gute. Wenn wir so arbeiten, dann führt dies geradewegs dorthin“, legt Ehrlich nach. „Auf den Weg zur Rettung der Welt? “, fragt Priesberg. Sie gehen wieder schweigend nebeneinander her. Doch jetzt müssen beide laut lachen. Der Knoten ist geplatzt. „Da hast du die Kurve in letzter Sekunde noch gekriegt“, stichelt Ehrlich. „Weg mit den moralischen Hausgöttern und hin zur konkreten Arbeit-- wer muss was bis wann machen-- sei es agil oder klassisch, dann wird es auch was mit der Rettung der Welt“, fasst Priesberg augenzwinkernd zusammen. Jens Köhler Dr. Jens Köhler, BASF SE, fokussiert sich auf die Digitalisierung in Forschung und Entwicklung. Anschrift: BASF SE, RGQ / IM, 67 056 Ludwigshafen, eMail: Jens.Koehler@basf.com Kolumne Zurück in die Sachlichkeit Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch-- Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben. 69 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0076 GPM-Regionalgruppe Stuttgart trifft Börse: Innovativer Workshop mit LEGO® Serious Play zum Thema „Aufbau einer serviceorientierten IT“ Sibylle Sowa An einem heißen Freitagnachmittag entschieden sich etwa 20 Teilnehmer- - trotz hochsommerlicher Temperaturen und Freibadwetter- - für eine inspirierende Veranstaltung, die gemeinsam von der Börse Stuttgart und der Regionalgruppe Stuttgart der GPM organisiert wurde. Im Fokus stand das Thema „Aufbau einer serviceorientierten IT-Organisation“-- interaktiv und kreativ umgesetzt mit der Methode LEGO® Serious Play. Nach der herzlichen Begrüßung durch Prof. Dr. Steffen Scheurer (HfWU) präsentierte Sören Hartung von Group Strategy die Börse Stuttgart mit einem spannenden Einblick in die Struktur und das Geschäftsmodell. Ein Blick aus der Vogelperspektive in den Händlersaal rundete das Bild ab. Anschließend gewährte Steffen Ehrhardt, Group IT Strategy & Governance einen authentischen Einblick in die Praxis: Er berichtete offen von den Herausforderungen und Erfolgen bei der Einführung einer serviceorientierten IT, inklusive persönlicher Erfahrungen zu Rückschlägen und Neustarts. Die anschließende Diskussionsrunde stieß auf großes Interesse und bot vielfältige Denkanstöße. Den theoretischen Teil ließ der Workshop in eine spannende Praxisphase übergehen: Die Teilnehmer, zum großen Teil unbekannt untereinander, tauschten sich intensiv zum Thema Elektromobilität und der dafür notwendigen Infrastruktur aus. Mit Legosteinen bauten sie anschauliche Modelle, die ihre Ideen und Perspektiven visualisierten. Dabei erlebten alle die haptische und visuelle Auseinandersetzung mit komplexen Themen als äußerst bereichernd und hilfreich. Die abschließende Reflexion zeigte deutlich, wie das innovative Format von LEGO® Serious Play den Austausch fördert und zur Entwicklung neuer Denkweisen beiträgt. Die Teilnehmer gewannen praxisnahe Erkenntnisse darüber, wie agile Methoden und klare Governance-Strukturen die IT-Organisation stärken, interne Prozesse optimieren und die Kundenzufriedenheit nachhaltig erhöhen können. In dynamischen Märkten, in denen IT-Services zunehmend als eigenständige Geschäftsbereiche wahrgenommen werden, ist eine serviceorientierte Organisation ein entscheidender Erfolgsfaktor. Dieses Format demonstrierte eindrucksvoll, wie kreative und interaktive Ansätze neue Impulse für die IT aus dem Projektmanagement heraus geben können. Autorin des Artikels, Organisatorin und Moderatorin der Veranstaltung: Sibylle Sowa mit freundlicher Unterstützung von Sara Ameri Turani, von der GPM-Regionalgruppe Stuttgart Sibylle Sowa Sibylle Sowa ist tätig als zertifizierte GPM-Trainerin, Senior Coach im DBVC und ausgebildete Mediatorin. Kontakt: sibylle.sowa@dieprojektschule.de. 70 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0077 Aus den DACH-Verbänden | GPM intern Die GPM Fach- und Regionalgruppen Die derzeit 39 Regionalsowie 31 Fachgruppen der GPM bieten eine Plattform zum branchenübergreifenden Networking und Erfahrungsaustausch. Sie leisten damit wichtige fachliche Basisarbeit innerhalb des Vereins. Die Regional- und Fachgruppen bieten darüber hinaus ein breites Angebot von in der Regel kostenlosen Veranstaltungen zum Projektmanagement. Weitere Informationen und Ansprechpartner der einzelnen GPM Fach- und Regionalgruppen finden Sie auf der GPM Website unter: www.gpm-ipma.de / know_how / fachgruppen.html bzw. www.gpm-ipma.de / ueber_uns / regionen.html Neue Firmenmitglieder stellen sich vor-… Firma Hauptgeschäftsgebiet PM-Aufgaben und -Bedeutung Erwartungen an die GPM Colenet GmbH www.colenet.de Michael Brandt, michael.brandt@colenet.de Unser Kerngeschäft ist agiles Projektmanagement für unsere Kunden, um komplexe (Software-) Entwicklungsvorhaben so effektiv und effizient wie möglich durchzuführen. Dabei setzen wir den Fokus auf Transparenz und Messbarkeit, um ein optimales Verhältnis von Geschwindigkeit zu Qualität zu erreichen. Unsere tägliche Arbeit hat fast immer mit Softwareentwicklungsprojekten zu tun. Wir entwickeln unsere Kenntnisse im modernen Projektmanagement kontinuierlich weiter, um für unsere Kunden bestens aufgestellt zu sein. Wir freuen uns auf neue Kontakte und einen Fortbildungspartner im Bereich Projektmanagement. CGI Deutschland https: / / www.cgi.com / de / de Herr Christian Weier & Herr Jens Dell'Anna GPM.DE@cgi.com CGI ist auf IT- und Business-Beratung, Softwareentwicklung sowie den Betrieb komplexer IT-Systeme spezialisiert. Das Unternehmen unterstützt insbesondere öffentliche Verwaltungen, die Automobilbranche, das Verteidigungsressort und Finanzdienstleister bei der digitalen Transformation. Zu den Schwerpunkten zählen Cloud- Lösungen, Cybersecurity und skalierbare Managed Services im weltweiten Betrieb. Projektmanagement ist bei uns ein strategischer Kernbereich: Es sichert die zuverlässige Umsetzung komplexer Digitalisierungsprojekte durch standardisierte Methoden, agile Frameworks und skalierbare Services wie „Project Management as a Service“ (PMaaS). Mit über 350 zertifizierten Projektmanagern bietet CGI maßgeschneiderte Steuerung, Planung und Qualitätssicherung für öffentliche und private Großprojekte- - effizient, flexibel und kundennah. Praxisnahe Standards, zertifizierte Ausbildungen & Impulse für ein effektives Multiprojektmanagement. Als Mitglied möchten wir das Netzwerk für Themen wie Agilität, KI & Nachhaltigkeit nutzen. 71 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0078 Aus den DACH-Verbänden | GPM intern Projektmanagement zwischen Alltag und Ausnahmezustand: GPM bei Zukunftskongress und Bürokratie-Festival Drei Perspektiven, ein Ziel: Wie Projektmanagement den öffentlichen Sektor zukunftsfähig macht. Die GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. war im Juni 2025 in Berlin auf gleich zwei zentralen Veranstaltungen zur Zukunft der Verwaltung vertreten-- dem „Zukunftskongress Staat & Verwaltung“ und dem „Creative Bureaucracy Festival“. In unterschiedlichen Formaten wurde dort deutlich: Ob digitale Rechnungsprozesse, Matrixorganisationen oder bergsteigerische Parallelen- - gutes Projektmanagement ist kein Selbstzweck, sondern die Voraussetzung für wirksamen Wandel im öffentlichen Dienst. Bremerhaven zeigt, wie Digitalisierung gelingt Den Auftakt im Best-Practice-Dialog der GPM beim Zukunftskongress in Berlin machte ein Praxisbeispiel der Stadt Bremerhaven. Unter dem Titel „Volle Fahrt in die Zukunft“ präsentierten Oliver Abel und Stefan Jacob den vollständig digitalisierten Rechnungseingangsprozess ihrer Verwaltung. Ausgangspunkt war die EU-Richtlinie zur elektronischen Rechnungsstellung- - umgesetzt wurde jedoch weit mehr als nur ein technisches System: Ein Ende-zu-Ende-Workflow von der Eingangsprüfung bis zur Archivierung, nahtlos integriert in bestehende Strukturen und getragen von einem einstimmigen politischen Mandat. Die GPM unterstützte diesen Austausch als Hauptpartner des Kongresses, der sich als zentrale Plattform für Verwaltungsmodernisierung etabliert hat. Präsident Prof. Dr. Peter Thuy betonte: „Projektmanagement liefert die Strukturen, um Wandel wirksam und nachhaltig umzusetzen.“ Das Bremerhavener Projekt zeigte eindrucksvoll, wie ein klar definierter Scope, strukturierte Kommunikation und die Einbindung von Nachwuchskräften den Unterschied machen-- auch wenn der Weg durch pandemiebedingte Verzögerungen erschwert war. Haltung statt Hierarchie: René Herzel über Matrix- Revolutionen Mit einem ungeschönten Blick auf die Realität öffentlicher Projektarbeit meldete sich René Herzel, Leiter Finanzen & Controlling der Hamburger HOCHBAHN U5 Projekt GmbH, zu Wort. In seinem Vortrag „MATRIX-REVOLUTIONS: Trotz Fachkräftemangel Projekte stabil und nachhaltig organisieren“ benannte er zentrale Schwächen vieler Behörden: Zertifikate ohne Praxisbezug, Rollenkonflikte in der Linienorganisation, fehlende Anerkennung für Projektarbeit. Herzel forderte einen Kulturwandel: Projektmanagement sei weniger eine Frage von Methoden als von Haltung und Verantwortung. Nur wenn Kompetenzen sichtbar gemacht und projektbezogene Rollen strukturell verankert würden- - etwa durch temporäre PMOs oder zusätzliche Organigramm-Einträge-- könne Projektarbeit ihren Platz in der Organisation finden. Seine Botschaft: Projektarbeit braucht Klarheit, Struktur-- und Menschen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, auch wenn sie nicht in ihrer Stellenbeschreibung steht. Vom Berg ins Büro: Alexandra Hänig beim Creative Bureaucracy Festival Wie man komplexe Projektmanagement-Konzepte greifbar macht, zeigte Alexandra Hänig mit einem ungewöhnlichen Zugang: Als zertifizierte Project Director und passionierte Bergwanderführerin zog sie beim Creative Bureaucracy Festival Parallelen zwischen dem Besteigen eines Gipfels und dem Durchführen eines Projekts. Ihr Vortrag „Gipfelstürmer gesucht-- wie klare Ziele den Weg zum Erfolg ebnen“ stellte heraus, dass Zielklarheit, Risikobewusstsein und Führungsstärke entscheidend für den Projekterfolg sind. Mit anschaulichen Bildern wie den „Tool-Schuhen“- - dem passenden Werkzeug für jedes Terrain-- betonte Hänig die Notwendigkeit, Projektmanagement methodisch wie menschlich situativ anzupassen. Besonders eindrucksvoll: Ihr Plädoyer für den Mut, ein Projekt bei drohendem Scheitern bewusst zu stoppen- - wie ein erfahrener Bergführer, der bei Wetterumschwung zur Umkehr rät. Denn: Projektmanagement sei vor allem „People Business“. Technische Probleme lassen sich lösen- - menschliche nur durch Erfahrung, Kommunikation und Verantwortungsbewusstsein. Die drei GPM-Beiträge zeigen eindrucksvoll, wie unterschiedlich die Perspektiven auf Projektmanagement im öffentlichen Dienst sein können- - und wie wichtig sie sind: Strukturelle Digitalisierung, organisatorische Klarheit und menschliche Führungskompetenz gehören zusammen. Die GPM versteht sich dabei nicht nur als Impulsgeberin, sondern auch als Plattform für den Austausch: über Grenzen, Disziplinen und Hierarchien hinweg. All you can read Alles zusammen zum Superpreis: Die Papierausgabe in hochwertigem Druck, das ePaper zum Blättern am Bildschirm und auf dem Smartphone, dazu alle bisher erschienenen Ausgaben im elektronischen Archiv - so haben Sie Ihre Fachzeitschrift für den urbanen Wandel immer und überall griffbereit. AboPlus: Print + ePaper + Archiv abo@narr.de expert verlag - Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG expert verlag - Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Foto von Jon Tyson auf Unsplash 73 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0079 Aus den DACH-Verbänden | pma intern ESG-Kriterien im Projektmanagement Projekte stehen heute zunehmend im Fokus gesellschaftlicher Erwartungen und ökologischer Verantwortung. „Die Integration von ESG-Kriterien- - Environmental, Social, Governance- - wird zum unverzichtbaren Erfolgsfaktor und ermöglicht es, Projekte effizient und zukunftsfähig zu gestalten“, sagt pma Präsidentin Brigitte Schaden. Warum ist Nachhaltigkeit im Projektmanagement so entscheidend? Projekte ohne nachhaltige Ausrichtung riskieren Akzeptanzverluste bei Stakeholdern, eingeschränkte Resilienz und langfristige Risiken, die oft erst später sichtbar werden. Durch die systematische Einbindung von ESG-Kriterien können Projektteams Wirkung und Risiken objektiv messen und steuern, und das schafft Transparenz und Verlässlichkeit. Ein Beispiel aus der Praxis wurde im Rahmen der Eventreihe pma quarterly vorgestellt. Die Wiener Stadtwerke gelten als Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit. Sie bewerten alle Projekte systematisch nach ESG-Kriterien. Dieser Ansatz berücksichtigt von Anfang an ökologische, soziale und Governance-Aspekte. Die nachhaltige Wirkung wird so messbar und die gesamte Lieferkette resilienter. ESG-orientierte Projekte stärken darüber hinaus die Bindung aller Beteiligten: Mitarbeiter*innen fühlen sich motivierter, wenn ihre Arbeit sinnstiftend ist. Auch Auftraggeber*innen setzen zunehmend auf nachhaltige Werte, was ebenfalls die Attraktivität von Projekten steigert. Im Fokus steht dabei nicht nur das Projektergebnis, sondern der gesamte Projektlebenszyklus. Das Modell der IPMA® Die IPMA® hat diese Entwicklung erkannt und mit dem „Sustainable Project Management ICB4 Reference Guide“ einen internationalen Kompetenzrahmen geschaffen. Dieses Modell umfasst 28 Kompetenzbereiche und 92 Indikatoren, die Projektmanager*innen befähigen, ESG-Prinzipien als integralen Bestandteil ihrer Führungspraxis zu verankern. ESG ist kein Randthema, sondern eine Querschnittskompetenz für moderne Projektführung. „Sustainability is the most relevant project in mankind’s history.“ (Max Panaro, IPMA® SIG ESG Global Head) Auch GAPPS (Global Alliance for the Project Professions) hat sich seit mehr als 20 Jahren mit dem Thema beschäftigt. Mittlerweile, so GAPPS Direktorin Kestrel Stone, sei Nachhaltigkeit nicht nur erstrebenswert, sondern ein anerkannter Mindeststandard im Projekt-, Programm- und Portoliomanagement. „Mein Appell an alle Projektmanager*innen: ESG gehört ins Zentrum jeder Projektentscheidung. Nachhaltigkeit ist kein Nice-to-have, sondern das Herzstück von professionellem Projektmanagement“, sagt Brigitte Schaden. „Projekte, die ESG konsequent umsetzen, sind resilienter, wirkungsvoller und schaffen echten Mehrwert.“ Mitglied vor den Vorhang COSMO CONSULT GmbH Im Stadgut B2, 4407 Steyr-Gleink Tel. +43 50 551-0 Den passenden Ansprechpartner finden Sie hier: www.cosmoconsult.com Hauptgeschäftsgebiet COSMO CONSULT berät Unternehmen ganzheitlich, intelligenter und smarter zu agieren. Dabei werden technische und strategische Beratungsangebote kombiniert. Das Ziel sind digitale End-to-End-Prozesse, bei denen alle Bausteine nahtlos ineinandergreifen. PM Aufgaben und Bedeutung Mit der Projektmethodik „Success by Design“ verbinden wir das Beste aus zwei Welten: Wasserfall und agile Modelle. Dabei begleiten wir unsere Kunden von der ersten Idee über die Zieldefinition bis zur Inbetriebnahme digitaler Prozesse und Lösungen. „ESG gehört ins Zentrum jeder Projektentscheidung.“ pma Präsidentin Brigitte Schaden ©pma / L. Schedl 74 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0080 D-A-CH-Projektmanagement-Campus 2025-- Projektmanagement zwischen Hochschule, Forschung und Praxis Susanne Marx (GPM & TH Wildau), Katrin Reschwamm (spm & ETH), Christian Steinreiber (pma & FH des BFI Wien) und Harald Wehnes (GPM & Universität Würzburg) Vom 10. bis 11. Juli 2025 nahmen 55 Projektmanagement-Expertinnen und -Experten von 30 Hochschulen, Schulen und Forschungsinstituten am internationalen D-A-CH-Projektmanagement-Campus an der Fachhochschule des BFI Wien statt, veranstaltet von der pma (Projekt Management Austria), teil. Ziel des Campus ist es, die unterschiedlichen Perspektiven auf Projektmanagement in der Lehre an Hochschulen und Schulen sowie in Forschungsprojekten länderübergreifend zusammenzuführen, zu reflektieren und durch Austausch von Good Practices weiterzuentwickeln. Dieses neue Format geht auf eine gemeinsame Initiative der GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. (Fachgruppe „PM an Hochschulen“), der pma Projekt Management Austria sowie der spm Swiss Project Management Association (Fachgruppe „Projektmanagement in der Hochschullehre)“ zurück und hat sich aus der jährlichen Fachtagung der GPM-Fachgruppe „PM an Hochschulen“ entwickelt. Mit Wien fand diese Veranstaltung das erste Mal außerhalb von Deutschland statt und soll in Zukunft zwischen den drei D-A- CH-Ländern wechseln. Tag 1: Forschungsprojekte, Hochschulkooperationen und DEI als Gestaltungsprinzip Der erste Veranstaltungstag startete mit einem Grußwort der Gastgebenden: ao.Univ.Prof. Dr. Martina Huemann für die pma und für die Gastgeber Vize Rektorin (FH) Prof. (FH) Ina Pircher und Prof. (FH) Iris Schirl-Böck. Im Fokus standen zunächst internationale Forschungsprojekte und ihre spezifischen Anforderungen an das Projektmanagement. Sebastian Chmel gab Einblicke in die Projektpraxis des EU-Projekts TeamUP am Fraunhofer INT und illustrierte eindrucksvoll, welche strukturellen und kommunikativen Herausforderungen in groß angelegten Forschungskonsortien entstehen. Katrin Reschwamm (spm & ETH) ergänzte diese Perspektive mit einem umfassenden Überblick über die Aufgaben und Entwicklungspotenziale von Grants Offices an Hochschulen. Sie plädierte für eine stärkere institutionelle Verankerung professioneller Projektmanagementstrukturen im Forschungsbereich und betonte den Bedarf an rollenspezifischer Qualifizierung. Ein besonderes inhaltliches Gewicht erhielt das Thema Diversity, Equity und Inclusion (DEI), das durch Jeanna Nikolov-Ramirez in einem Vortrag verankert wurde. Sie präsentierte Werkzeuge, Checklisten und Reflexionsformate, mit denen Fairness, Teilhabe und Barrierefreiheit systematisch in Projekte integriert werden können. Die vorgestellte Toolbox und der Mini-Selbstcheck mit „Fairness- Brille“ stießen auf großes Interesse bei den Teilnehmenden. Der Nachmittag stand ganz im Zeichen von Praxisprojekten aus der Hochschullehre und dem schulischen Bildungsbereich. Zunächst stellten ao.Univ.Prof. Dr. Martina Huemann, Agnes Simić und Prof. (FH) Christian Steinreiber mit dem „pma junior award“ eine erfolgreiche Kooperation mit zwischen der pma mit österreichischen Schulen und Hochschulen vor. Natalie Bruckmüller, ehemalige Preisträgerin des Awards und nun Projektmanagerin beim AIT Austrian Institute of Technology, bestätigte mit Nachdruck den Motivationsschub durch diese Auszeichnung. Sie ist eine von vielen Studierenden, die diese begehrte Auszeichnung an die Fachhochschule des BFI Wien holten. Die Verzahnung zwischen Projektmanagement-Ausbildung an Schule und Hochschule stand auch im Mittelpunkt der folgenden Vorträge. Die Kooperation zwischen der TH Wildau und der Beruflichen Schule für Sozialwesen Pankow wurde anhand eines Studierendenprojektes im interdisziplinären Modul vorgestellt, das unter der Leitung von Antje Leitert und Prof. Dr. Susanne Marx entstand. Einem hybriden PM- Vorgehensmodell folgend wurde von internationalen Stu- Aus den DACH-Verbänden | D-A-CH-Projektmanagement-Campus 2025 75 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0080 dierenden ein elektronischer Campus-Guide entwickelt und gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern erprobt. Weitere Impulse kamen aus der GPM-Fachgruppe „PM macht Schule“. Antje Leitert stellte das Siegel „Projektorientierte Schule“ vor, das seit mehreren Jahren an Schulen in Berlin von der Fachgruppe vergeben wird. Prof. (FH) Christian Steinreiber zeigte danach auf, wie ein PMO speziell für Studierendenprojekte konzipiert wurde und welche Herausforderungen und Bewertungsmechanismen dabei eine Rolle spielen. Ein weiteres Beispiel für projektbasiertes Lernen lieferte Corinna Ruppel mit der „Ingenieure ohne Grenzen Challenge“, bei der Studierende technische Lösungen für reale Problemstellungen in Entwicklungsländern mit Methoden wie Design Thinking und klassischem Projektmanagement entwickelten. Aktuelle Entwicklungen aus der Projektmanagement-Community, wie der ICB 4.0 Reference Guide for Sustainability (Dr. Wolfgang Glitscher), ein umfassendes Normen- und Standards-Arbeitspapier zu Projekt-, Programm- und Portfoliomanagement (Prof. Dr. Susanne Marx) sowie das Reifegradmodell AM³ zu Agilität (Prof. Dr. Hubertus Tuczek), rundeten den ersten Tag fachlich ab. Tag 2: Agilität, Visualisierung und Start-up-Didaktik Der zweite Veranstaltungstag begann mit einer Keynote von Christoph Schmiedinger, der Prinzipien agilen Projektmanagements aufzeigte, die auch in der Hochschullehre vermittelt werden sollten: Adaptivität, Dezentralisierung und Resilienz. Besonders hervorzuheben war seine methodische Haltung, Theorie nicht an den Anfang zu stellen, sondern als Reflexion bereits gemachter Erfahrungen zu nutzen und anhand diverser Praxisbeispiele zu illustrieren Im Themenblock zu agilen Methoden folgten mehrere Praxisberichte, die die Vielfalt agiler Anwendungsmöglichkeiten in der Projektarbeit in Praxis und Lehre verdeutlichten. David Schiefer berichtete aus seinem Alltag als Agile Coach bei REWE. Er stellte dabei das Team Maturity Ladder Modell vor, mit dem Teams ihre agile Reife kontinuierlich selbst bewerten und verbessern können. Berit Brauer zeigte anhand mehrerer Projektbeispiele des Fraunhofer ISE, wie Visualisierung als methodisches Element das Teamgefühl stärken und die Zusammenarbeit in interdisziplinären Projektgruppen verbessern kann. Sercan Cevik präsentierte mit HyStaMin PM ein didaktisch erprobtes Modell für einen hybriden Minimalstandard im Projektmanagement. Basierend auf einem gamifizierten Einstieg und der schrittweisen Integration von agilen und klassischen Elementen bietet es einen pragmatischen Zugang zur Methodenvielfalt. Prof. Dr. Harald Wehnes zeigte zunächst die „digitalen Ewigkeitslasten“ auf. Die irreversible digitale Abhängigkeit Europas von US-amerikanischen Tech- Konzernen habe in 2024 ein gigantisches finanzielles Ausmaß erreicht. Die Konsequenzen in Form von Einsparmaßnahmen und verringerten Steuereinnahmen seien überall spürbar. Es bestehe dringender Handlungsbedarf. Andernfalls wachse die Gefahr, dass Europa zur digitalen Kolonie wird. Er empfiehlt den verstärkten Einsatz alternativer IT-Produkte und Services. Im zweiten Teil seines Vortrags zeigte er auf, wie sich agile Methoden wie Scrum, Design Thinking und Story Mapping integrativ für die Entwicklung von Start-up-Projekten im Hochschulkontext einsetzen lassen. Dabei entwickelten die Studierenden unter anderem KI-gestützte Chatbots, die die soziale Teilhabe fördern oder bei der Beantragung staatlicher Leistungen helfen. Zum Abschluss fanden drei parallele Workshops statt: Patrick Fiebeler arbeitete mit den Teilnehmenden am Konflikt-Canvas und erprobte Techniken für strukturiertes Konfliktmanagement. Berit Brauer leitete einen Workshop zur Retrospektive als Werkzeug in der Lehre und Projektbegleitung an Hochschulen. In einem weiteren Workshop-Block diskutierten Teilnehmende gemeinsam mit dem D-A-CH-Koordinationsteam Ideen für die Weiterentwicklung des Campus-Formats. Fazit Der D-A-CH-Projektmanagement-Campus 2025 war eine lebendige, vielschichtige und zukunftsorientierte Fachveranstaltung. Sie ermöglichte Einblicke in aktuelle Themen und Entwicklungen des Projektmanagements im Hochschul- und Forschungsbereich, verband Akteure aus drei Ländern und schuf einen Raum für Austausch, Vernetzung und Weiterentwicklung. Mit Wien als Austragungsort wurde ein neues Kapitel aufgeschlagen. Die länderübergreifende Zusammenarbeit in der Lehre zu Projektmanagement an Schulen und Hochschulen erfährt damit neue Sichtbarkeit und Dynamik. Die Impulse aus Wien werden weiterwirken-- in Projekten, Studiengängen und der Lehrenden-Community selbst. Der Auftakt des D-A-CH-Projektmanagement-Campus ist auf jeden Fall gelungen. Ein Dankeschön gilt der pma als Veranstalter, der Fachhochschule des BFI Wien als Gastgeber sowie der GPM für die Unterstützung. Das DACH-Organisationsteam mit Prof. Dr. Susanne Marx (GPM, TH Wildau), Dr. Nicole Gerber (spm, ZHAW), Prof. (FH) Christian Steinreiber (pma, FH des BFI Wien) und Prof. Dr. Harald Wehnes (GPM, Universität Würzburg) werden die Veranstaltung weiterentwickeln. Viele Impulse werden mit ins nächste Jahr genommen, wenn die Veranstaltung dann an einer Hochschule in Deutschland stattfinden wird. 76 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0081 Martina Peuser Wie sind Sie zum Projektmanagement gekommen? Über meine Zeit in der Unternehmensberatung, wo ich im Testmanagement gestartet bin, habe ich Verantwortung für Projekte und Teams übernommen. Falls Sie kein Projektmanager geworden wären-- was stattdessen? Ich wäre wahrscheinlich in der IT-Beratung geblieben, zwischen operativer und strategischer Rolle-- der direkte Kundenkontakt reizt mich bis heute. Welches Projekt hat Sie besonders geprägt oder war für Sie besonders wichtig? Mein erstes großes Kundenprojekt bei einer deutschen Bank. Die Kommunikation mit vielen Beteiligten und unterschiedlichen Interessen hat mich nachhaltig geprägt. An welchem Projekt arbeiten Sie gerade? Am IBAN-Namensabgleich (VoP) nach EU-Vorgabe und am Barrierefreiheitsstärkungsgesetz-- komplexe Aufgaben, die Fachbereiche und Regulatorik verbinden. Gelten in Ihrem Bereich bestimmte Standards und Methoden? Ja, z. B. DORA, PSD2, DSGVO. Methodisch arbeite ich mit Scrum, Kanban, Design Thinking- - immer pragmatisch und zielgerichtet. Was wäre Ihr Traumprojekt? Ein Innovationsprojekt, das abseits bekannter Wege neue Ideen entwickelt und mutig umsetzt. Was zeichnet Sie als Projektmanager besonders aus? Hands-on-Mentalität, Zielstrebigkeit, hoher Output, schnelle Rückmeldungen, starke Erreichbarkeit und außergewöhnlicher Einsatz. Was motiviert Sie, in Projekten zu arbeiten und Projekte zu leiten? Wenn ich sehe, wie etwas, das ich mitgestaltet habe, in der Realität funktioniert-- und ich stolz sagen kann: „Das ist mein Feature.“ Welche Tipps haben Sie für den Projektmanagement-Nachwuchs? Lass dich nicht von Betriebsblindheit runterziehen. Übernimm Verantwortung, frage nach dem „Warum“ und habe keine Angst vor Veränderung. Welche Eigenschaften schätzen Sie an Projektmanagern*innen am meisten? Einen kühlen Kopf in Stresssituationen, exzellentes Stakeholdermanagement und Organisationstalent. Was ist für Sie als Projektmanager das größte Glück? Wenn ich eine Antwort nicht weiß, sage ich es offen. Aber ich garantiere: Ich finde die Antwort. Was ist für Sie als Projektmanager das größte Unglück? Wenn das Ziel aus dem Blick gerät und das Team in Silos arbeitet. Was geben Sie den Lesern mit auf den Weg? Projekte schaffen echte Wirkung. Bleibt neugierig- - am Ende zählen die Menschen. Prof. Dr. Martina Peuser ist Professorin für Projektmanagement und Organisation sowie Beraterin für Effizienz in Führung, Strukturen und abteilungsübergreifender Zusammenarbeit. In ihrer Kolumne gibt sie Einblicke in die Erfahrungen von Menschen im Projektumfeld. Auf ein Wort mit-… Alexander Smoll Zur Person | Alexander Smoll ist Product Owner und Projektleiter bei der Star Finanz und verantwortet die Weiterentwicklung der Sparkassen-App, Europas größter mobiler Banking-App. Weitere Coaching-Bücher, Informationen und Bestellmöglichkeit auf www.junfermann.de Sandra Brauer (Hrsg.) 37 systemische Methoden für Beratung, Coaching, Therapie Welche sind die Lieblingsmethoden systemisch arbeitender Coaches, Berater: innen und Therapeut: innen? Sandra Brauer, Gründerin des Systemischen Netzwerks, stellte ihren Kolleginnen und Kollegen genau diese Frage. Aus den Antworten wählte sie 37 Methoden aus, die in diesem Buch jeweils anhand eines Praxisbeispiels vorgestellt werden. Klärung, Lösung, Entscheidung - Ressourcen, Stärken, Werte - Reflexion, Ziele, Perspektiven - Kommunikation, Klarheit, Feedback - Lebenswege, Muster, Selbstmanagement: Diese zentralen Themen stehen im Mittelpunkt systemischer Arbeit. Sie bilden den Rahmen für professionelles Coaching, Beratung und Therapie - immer mit dem Ziel, Entwicklung zu ermöglichen, Orientierung zu geben und Veränderung zu gestalten. Ein Werkzeugkasten aus der Praxis für die Praxis - vielseitig, effektiv und sofort einsetzbar. 176 S., kart., E-Book inside • € (D) 30,00 • ISBN 978-3-7495-0641-5 W i s s e n , d a s w e ite r b ri n g t: Fü r Co a c h i n g u n d B e ratu n g Robert Biswas-Diener Positive Provokation im Coaching 25 Fragen für mehr Lebendigkeit in Ihrer Coaching-Praxis 208 S., kart., E-Book inside • € (D) 30,00 ISBN 978-3-7495-0690-3 Kann bereits vorbestellt werden Daniela Blickhan Das eigene Selbstbild erkennen und entfalten Coaching mit dem Persönlichkeitspanorama 144 S., kart., E-Book inside • € (D) 25,00 ISBN 978-3-7495-0587-6 Petra und Ralf Dannemeyer Train the Trainer Kompendium für den schönsten Beruf der Welt 350 S., kart., E-Book inside • € (D) 40,00 ISBN 978-3-7495-0569-2 Coming soon Digitalisierung im Gesundheitswesen - ohne Planungschaos. Use Case: Einführung eines Telemedizin-Systems 1. Vorbereitung & Anforderungsdefinition 2. Planung & Ressourcenabstimmung Digitalisierung gelingt, wenn Projekte professionell gesteuert werden - mit der richtigen Software Mehr Anwendungsfälle entdecken 3. Umsetzung & Einführung 4. Evaluation & Betrieb Unterschiedliche Anforderungen und Erwartungen aus IT, Pflege, Medizin und Management müssen abgestimmt werden - oft fehlt der zentrale Überblick. PLANTA-Lösung: Klare Strukturierung der Projektinitialisierung, zentrale Aufgaben- und Stakeholder-Verwaltung, definierbare Freigabeprozesse. Personalressourcen sind begrenzt - viele Mitarbeitende sind parallel in anderen Projekten gebunden. Kapazitätskonflikte bleiben oft unentdeckt. PLANTA-Lösung: Zentrale Ressourcen- und Kapazitätsplanung mit frühzeitiger Engpasswarnung. Realistische Zeitplanung unter Berücksichtigung aller Projekte. Technische Umsetzungen treffen auf dynamische Rahmenbedingungen - Schnittstellenprobleme und neue Anforderungen erschweren die Umsetzung. PLANTA-Lösung: Fortschrittskontrolle in Echtzeit, flexibles Aufgabenmanagement, agile & klassische Methoden kombinierbar, Dokumentation von Entscheidungen und Maßnahmen. Erfolge müssen belegbar sein - für Geschäftsführung, Fachbereiche und Fördergeber. Projektlernen soll für künftige Vorhaben genutzt werden. PLANTA-Lösung: Auswertungen und Dashboards zur Wirksamkeit, standardisierte Reports, Projektdokumentation und Lessons Learned für zukünftige Projekte.