Schmierstoff + Schmierung
sus
2699-3244
expert verlag Tübingen
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Welche maximale Temperatur hält (m)ein Öl aus?
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Carsten Heine
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19 Schmierstoff + Schmierung · 1. Jahrgang · 2/ 2020 GaStartiKEl Welche maximale Temperatur hält (m)ein Öl aus? Carsten Heine, OELCHECK GmbH Eine vermeintlich einfache Frage, auf die Laien nicht selten eine Antwort erwarten, die nicht länger als ein Satz sein sollte. Etwas genauer betrachtet, wirft diese vermeintlich einfache Frage jedoch wiederum Fragen auf. Mit anderen Worten: Wir brauchen noch einige Details, um eine wirklich sinnvolle Antwort geben zu können: > Was für eine Maschine ist mit dem Öl befüllt? > Welcher Öltyp und welche Menge > Welche Temperatur im System ist gemeint, d. h., an welchem Ort im System tritt sie auf > Welche Ölstandzeit soll erreicht werden Bild 1: Schmieröle aus verschiedenen Anwendungen nach etwa gleicher Einsatzzeit Die Frage nach der Maschine, z. B. ob es ein Hydrauliksystem einer Großpresse ist, ein Verbrennungsmotor oder ein Getriebe, klärt generelle Umstände, unter denen das Öl arbeiten muss. Dass in den verschiedenen Anwendungen völlig unterschiedliche Temperaturbelastungen auftreten, ist schon allein anhand der Verfärbung des eingesetzten Öls nach beispielsweise 200 Betriebsstunden sichtbar: Während das Öl aus der Großpresse kaum Farbveränderungen aufweist, ist das Motorenöl bereits stark dunkelbraun bis schwarz gefärbt. Das Getriebeöl liegt farblich je nach Ölmenge und Einsatzzweck irgendwo dazwischen. Die Temperatur: Wie lange und wie oft? Kurzzeitige Temperaturspitzen nur moderat oberhalb der im Ölreservoir gemessenen Tanktemperatur schaden dem Öl im Vergleich zur permanenten Beanspruchung kaum. In derartigen Fällen dominiert die Tanktemperatur das Alterungsgeschehen. Je deut- Carsten Heine, OELCHECK GmbH Carsten Heine ist Technical Support Manager bei OELCHECK. Seine umfassenden schmiertechnische Erfahrungen sammelte er unter anderem im Schmierstoffvertrieb, in einer Beratungsgesellschaft der mittelständischen Mineralölindustrie und in seiner mehr als 15-jährigen Tätigkeit als Tribologe bei OELCHECK. Schmierstoff + Schmierung · 1. Jahrgang · 2/ 2020 20 Gastartikel | Welche maximale Temperatur hält (m)ein Öl aus licher sich die Spitzentemperaturen von der Tanktemperatur unterscheiden, je häufiger sie auftreten und je kleiner die Ölmenge im System ist, umso stärker sind die Temperaturspitzen in die Betrachtung mit einzubeziehen. Zwei Beispiele: > In einem großvolumigen Hydrauliksystem liegt die Tanktemperatur bei etwa 50 °C, die maximale Temperaturspitze in einer Komponente bei max. 80 °C. In diesem Fall sind diese 80 °C kaum relevant. > In einem PKW-Ottomotor mit einer Temperatur im Ölsumpf von etwas unterhalb von 100 °C, mit Temperaturen im Kolbenbolzenlager von etwa 150- 200 °C, am obersten Kolbenring von etwa 250- 300 °C und noch um das 2bis 3-fache höher im Turbolader, sind diese Temperaturen sehr wohl relevant. Ein Blick hinter die Kulissen soll verdeutlichen, was der Unterschied dabei ist. Kleiner Temperaturwegweiser Der Temperatur-Wegweiser zeigt, was bei welchen Temperaturen mit dem Schmieröl üblicherweise geschieht. Zum einfachen Verständnis berücksichtigen wir nur die wesentlichen Einflüsse. Normale Umgebungstemperaturen Normale Umgebungstemperaturen schaden dem Öl praktisch nicht. Wenn beispielweise ein Schmieröl im Fass ungeöffnet innerhalb eines geschlossenen Gebäudes bei etwa 20-30 °C gelagert wird, ist es über einige Jahre hinweg haltbar. Starke Temperaturschwankungen, die zum Eintrag von Kondensat führen können, sollten vermieden werden. Vor allem Fässer, die außerhalb von Gebäuden gelagert werden, sind davon betroffen. Diese sollten dann abgedeckt oder liegend auf bewahrt werden, die Öffnungen positioniert auf die Position „3 bzw. 9 Uhr“. Normale bis leicht erhöhte Betriebstemperaturen Temperaturen oberhalb von etwa 50 °C führen zu einer zunehmenden Oxidation des Schmieröls. Der Gleichung des berühmten Physikers Savante Arrhenius folgend, hat die Temperatur einen enormen Einfluss auf die Oxidationsgeschwindigkeit, wie die davon abgeleitete Faustformel zeigt: > Pro 10 °C Temperaturerhöhung verdoppelt sich die Oxidationsgeschwindigkeit (und halbiert sich das Ölwechselintervall) Es ist also ein sehr großer Unterschied, ob die Tanktemperatur 50, 70 oder gar 90 °C beträgt! Die folgende Grafik zeigt den Mechanismus der Autooxidation (nach Korcek). Es wird an dieser Stelle darauf verzichtet, die obige Darstellung im Detail zu erläutern. Mit „Energie“ wird der Einfluss der Temperatur deutlich. Am Ende der Grafik werden die Ergebnisse des Oxidationsprozesses sichtbar: > Die Beanspruchung führt zu einem Verbrauch der Antioxidantien. > Die Bildung von Polymeren führt zu einer Dunkelfärbung des Öles und oft zu einem Anstieg der Viskosität > Die zunehmende Oxidation generiert Säuren Stark erhöhte Betriebstemperaturen Liegen die Betriebstemperaturen oberhalb von 100 °C, wird die weiter stark beschleunigte Öloxidation zunächst langsam, mit dem weiterem Anstieg der Temperatur zunehmend von der thermischen Zersetzung des Schmieröls überlagert. Thermische Zersetzung führt zu einer Zerstörung der Bindungen zwischen den Grundbausteinen unser durch Kohlenwasserstoff-Moleküle dominierten Schmieröle. Das besondere an der thermischen Zersetzung: > Es wird kein Sauerstoff benötigt > Thermische Zersetzung führt zu kleineren Molekülen und lässt die Viskosität des Öles damit sinken 21 Schmierstoff + Schmierung · 1. Jahrgang · 2/ 2020 Gastartikel-|-Welche maximale Temperatur hält (m)ein Öl aus > Während Öloxidation eher zu einer mehr oder weniger starken Braunfärbung des Öls führt, hat die thermische Zersetzung eher eine Graubis Schwarzfärbung und ggf. einen brandigen Geruch zur Folge Die thermische Zersetzung läuft im Gegenteil zur klassischen Öloxidation relativ schnell ab. So genügen die kurzen Zeiten, die das Öl an einem so genannten „Hotspot“ den dort vorliegenden sehr hohen Spitzentemperaturen ausgesetzt ist, das Öl zu schädigen. Bild 3: Schmieröle mit Grau- oder Schwarzfärbung In einigen Systemen sind sehr hohe Temperaturen normal. Für Wärmeträgerflüssigkeiten, die oft mit Vorlauftemperaturen von 200-300 °C oder mehr betrieben werden, ist thermische Zersetzung normal. In einem Verbrennungsmotor mit lokalen Temperaturspitzen von deutlich mehr als 150 bis 250 °C ist neben der Oxidation auch die thermische Zersetzung von großer Bedeutung. Eine anomale thermische Zersetzung kann durch Fehler im System, beispielsweise einen Dieseleffekt („Microdieseling“), Stromdurchgang, oder elektrostatische Entladungen (ESD = Electro Static Discharge) hervorgerufen werden. Oft ist das Öl plötzlich grau oder schwarz gefärbt, obwohl es bisher üblicherweise eher die typischen bräunlichen Verfärbungen zeigte. Eine thermische Zersetzung, oft gepaart mit starker Öloxidation, führt zu einer intensiven Bildung von ölunlöslichen Ablagerungen wie z. B. Verharzungen, Ruß- oder Lackbildung. Neben der thermischen Zersetzung neigen Schmieröle mit zunehmender Temperaturen zu einer Verdampfung. Das führt überwiegend zu einem auszugleichenden Ölverlust und gasförmigen Emissionen. Die thermische Zersetzung führt zu kurzkettigen Verbindungen, die leichter verdampfen und den Flammpunkt absenken. Starke gasförmige Emissionen können zu einer leichten Entzündbarkeit führen. Außerdem sollten sie auch aus gesundheitlichen Gründen nicht unbedacht in die Umwelt entweichen. Der Einfluss besonderer Umgebungsbedingungen Neben der Temperatur sind auch andere Einflussfaktoren zu berücksichtigen. Diese können dazu führen, dass trotz gleicher Temperatur die Öloxidation deutlich beschleunigt wird. Wasser Wasser, eine der am häufigsten auftretenden flüssigen Verunreinigungen, hat ebenfalls eine stark beschleunigende Wirkung auf die Öloxidation. Deshalb oxidieren beispielweise Schmieröle aus Anwendungen oft schneller, die aufgrund stark schwankender Betriebstemperaturen mit Kondensat belastet sind, als Schmieröle, die zwar permanent dem Einfluss erhöhter Temperatur ausgesetzt sind, aber „trocken“ sind. Esterbasische Flüssigkeiten neigen unter Wassereinfluss dazu, sich hydrolytisch in ihre Ausgangsprodukte aufzuspalten und Säuren zu produzieren. Säuren und Laugen Aus der Umgebung oder durch interne Prozesse eingetragene bzw. generierte Säuren oder Laugen verkürzen die Ölstandzeit ebenfalls erheblich. Oft schädigen sie nicht nur das Öl selbst, sondern führen zu starken Korrosionsvorgängen im System. Einige Öle, beispielsweise Motorenöle, enthalten deshalb alkalische Additive, die einen Säureeintrag neutralisieren. Diese Additive verbrauchen sich während des Betriebs. Das Ölwechselintervall ist dann nicht selten vom Abbau dieser Additive bestimmt. Andere Materialien Auch einige metallische Materialien beschleunigen den Oxidationsvorgang, z. B. Kupfer. Deren schädlicher Einfluss kann durch bestimmte Additive (Metall-Passivatoren) begrenzt werden. Der Öltyp Natürlich hat auch das richtige Schmieröl am rechten Ort einen erheblichen Einfluss auf die Öl-Lebensdauer. Schmieröle werden deshalb bewusst individuell für einen Typ von Anwendungen, manchmal sogar für eine einzelne Anwendung entwickelt. Je nach Anforderungen kommen Mineralöle, teil- oder vollsynthetische Basisflüssigkeiten zum Einsatz. Diese werden dann mit auf das Basisöl und die Anwendung abgestimmten Zusätzen wie Antioxidantien, Verschleißschutz-, Detergent- oder Dispersant- Additiven versehen. Schmierstoff + Schmierung · 1. Jahrgang · 2/ 2020 22 Gastartikel | Welche maximale Temperatur hält (m)ein Öl aus Auch bei der Ölauswahl spielen die Einflüsse von Wasser, Chemikalien oder auch die Kompatibilität zu bestimmten Materialien eine Rolle. Des Weiteren ist insbesondere bei hohen Temperaturen oft auch entscheidend, ob und welche Rückstände bei der Oxidation oder thermischen Zersetzung entstehen. Das Ölsystem Alle mit dem Schmieröl in Berührung kommenden Komponenten sind auch den Alterungsprodukten ausgesetzt. Das gealterte Öl kann Ablagerungen produzieren, Korrosion hervorrufen, seine Schmierwirksamkeit verringern, Wasser schlechter abscheiden, zur Schaumbildung neigen oder mehr. Während beispielsweise viele Hydrauliksysteme durch alterungsbedingte Ablagerungen wie Varnish vor ernsthafte Probleme gestellt werden, sind spritzölgeschmierte Kleingetriebe ohne Umlaufschmierung um ein Vielfaches unempfindlicher für derartige Reaktionsprodukte. Mit einer Umlaufschmierung versehene Getriebe erlauben eine permanente Filtration des Öls und eine wirksamere Kühlung des gesamten Systems. Daraus ergeben sich ebenfalls spezielle Randbedingungen wie die Filtrierbarkeit oder eventuelle Filterblockaden durch Alterungsprodukte. Das Schmieröl von Verbrennungsmotoren ist beispielsweise mit speziellen, reinigungswirksamen Additiven versehen, die ein Absetzen von Alterungsprodukten verhindern. Diese Additive können in anderen Fällen wie z. B. Dampfturbinen nicht verwendet werden, weil sie in ähnlich wirksamer Weise das schnelle Absetzen feiner Wassertropfen verhindern. Welche Temperatur hält mein Öl nun wirklich aus? Ein Schmieröl wirklich nah an seiner „Zersetzungs- Grenze“ einzusetzen, macht wenig Sinn. In den meisten Fällen ist deshalb aus praktischer Sicht eher die Frage: > Wie lange hält mein Öl das alles aus? > Wie lange kann ich mein Öl denn nun tatsächlich einsetzen? Diese Frage lässt sich zuverlässig beantworten, wenn das Öl während seines Einsatzes überwacht wird. Ob nun durch regelmäßig durchgeführte Laboranalysen, Sensoren oder, wie zunehmend Praxis, durch eine Kombination von Ölsensoren und Ölanalysen. Das zielgerichtete Oil Condition Monitoring berücksichtigt eben genau diese Vielfalt der spezifischen, sehr individuellen Faktoren der Ölalterung und der daraus resultierenden Veränderungen. Es liefert die beste Antwort auf die Frage, was mein Öl aushalten kann, ohne die Anlage in Mitleidenschaft zu ziehen oder gar einen ungeplanten Stillstand hervorzurufen. Dazu braucht es Experten, die Ihnen helfen, die Untersuchungsmethoden und Bewertungskriterien auf die individuelle Situation Ihres Öls abzustimmen. Eben, um unangenehme Überraschungen zu vermeiden. Haben Sie Fragen zur Temperaturbeständigkeit Ihrer Öle? Sprechen Sie uns an, OilDoc hilft Ihnen gern weiter! Oder besuchen Sie unser 3-tägiges Seminar Maschie nenüberwachung durch Ölanalysen. Aktuelle Termine und Anmeldung unter www. oildoc.de »« Bild 4: API-Klassifikation von Grundölen Eingangsabbildung © SUNG YOONG JO-stock.adobe.com
