Schmierstoff + Schmierung
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expert verlag Tübingen
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Schmierung in der Metallbearbeitung: Einen kühlen Kopf bewahren
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Rüdiger Krethe
Einer Anekdote folgend soll James Watt beim Bau seiner Dampfmaschinen das richtige Spiel zwischen Kolben und Zylinderwandung unter Zuhilfenahme einer Penny-Münze geprüft haben: Konnte sie „gerade eben durchfallen“, so war das Spiel in Ordnung.
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Schmierstoff + Schmierung · 1. Jahrgang · 3/ 2020 10 FACHArtiKEl Schmierung in der Metallbearbeitung: Einen kühlen Kopf bewahren Rüdiger Krethe, OilDoc GmbH Einer Anekdote folgend soll James Watt beim Bau seiner Dampfmaschinen das richtige Spiel zwischen Kolben und Zylinderwandung unter Zuhilfenahme einer Penny-Münze geprüft haben: Konnte sie „gerade eben durchfallen“, so war das Spiel in Ordnung. In heutigen Kolbenmaschinen, ob Kompressor oder Verbrennungsmotor, wird das mit Sicherheit nicht mehr funktionieren. James Watt hob durch seine Optimierungen den Wirkungsgrad der bis dato existierenden Dampfmaschinen immerhin von 1 % auf 3 % an. Moderne Motoren bringen es da locker auf mehr als das Zehnfache. Es ist nicht verwunderlich, dass Spiele, Toleranzen und Oberflächenqualitäten heute „wie von einem anderen Planeten sind“. So viel Aufsehen heute eine fahrende Dampflokomotive hervorruft, umso selbstverständlicher sind Hochgeschwindigkeitsfahrten via ICE geworden, den Tablett-Computer mit einer Rechenleistung in der Hand, die sich vor Großrechnern von Gestern nicht verstecken muss. Den Wenigsten ist angesichts dessen bewusst: Ohne hochpräzise Werkzeugmaschinen, optimierte oder neuartige Bearbeitungsverfahren und Hochleistungswerkzeuge könnten wir weder die Maschinen bauen, die zur Herstellung unserer High-Tech-Produkte notwendig sind noch die Endprodukte selbst. Wenn schon die dazu nötigen, hinter geschlossenen Fabriktoren arbeitenden Produktionsmaschinen kaum im Alltags-Fokus stehen, so gilt das umso mehr für die in diesen Maschinen arbeitenden Kühlschmierstoffe. Heute sind wir bei der Oberflächengüte von Komponenten wie Wälzlager, Hydraulikventile oder Pumpen unterhalb eines Mikrometers angekommen. Wir Bild 1: Dampfmaschine von James Watt (© Deutsches Museum) 11 Schmierstoff + Schmierung · 1. Jahrgang · 3/ 2020 verstehen es inzwischen nicht nur, eine extrem hohe Maßhaltigkeit zu garantieren. Wir geben dabei der Oberfläche auch genau die Textur, die die Komponenten zum optimalen Betrieb benötigen. Ohne eine präzise Abstimmung vom Maschine, Werkzeug, Werkstück, Bearbeitungsparameter und Kühlschmierstoff ist das nicht möglich. Kühlschmierstoffe sind längst ebenso „High-Tech“ wie die Maschinen und Endprodukte auch. Bestimmt oder unbestimmt? Die Verfahren der spanenden Formgebung werden in zwei Hauptgruppen unterteilt: > Spanen mit geometrisch bestimmter Schneide, > Spanen mit geometrisch unbestimmter Schneide. Zur ersten Gruppe gehören alle Verfahren, bei denen ein Werkzeug eingesetzt wird, dessen Schneiden- Geometrie gezielt hergestellt wird. Neben dem Drehen gehört beispielsweise auch das Bohren, Fräsen, Hobeln, Räumen und das Reiben zu dieser Gruppe. Über Spanwinkel und Freiwinkel lassen sich der Spanabfluss und die Reibung beeinflussen. Das muss behutsam und auf den Prozess abgestimmt geschehen, da zu große Span- oder Freiwinkel zu Lasten der Stabilität der Schneide gehen. Zur Gruppe der Verfahren mit geometrisch unbestimmter Schneide gehören zum Beispiel das Schleifen, Honen oder Läppen. Hier wird eine Vielzahl von Schneiden miteinander kombiniert, deren „Winkel“ nicht im Einzelnen gezielt erzeugt wurden. Bei einer Schleifscheibe wird vom „gebundenen Korn“ gesprochen, da die vielen Schleifkörner mit einem Bindemittel zur Scheibe zusammengefügt wurden, während beim Läppen das „lose Korn“ im Läppmittel verteilt ist. Span um Span Die Aufgabe des Kühlschmierstoffs wird bei einem kurzen Blick auf den Spanbildungsprozess deutlich (Bild 2). Bild 2: Prinzip des Spanens mit geometrisch bestimmter Schneide (© OilDoc) Das Werkzeug dringt in das Werkstück ein. Die harte, scharfe Schneidkante schält Span um Span von der Eigenschaft Öl Wasser Spezifische Wärme [J/ gK] 1,8 4,2 Wärmeleitfähigkeit [W/ mK] 0,1 0,6 Verdampfungswärme [kJ/ g] 0,2 2,3 Kinematische Viskosität @20 °C [mm²/ s] 0,5 1000 1,0 Kühlwirkung Schmierwirkung Tabelle 1: Wasser und Öl im Vergleich (in Anlehnung an / 1/ ) Schmierstoff + Schmierung · 1. Jahrgang · 3/ 2020 12 Fachartikel | Schmierung in der Metallbearbeitung: Einen kühlen Kopf bewahren Werkstückoberfläche. Die Spanbildung ist ein ziemlich komplexer Prozess von Stauchen, Scheren und Verformen des abgeschälten Spans. Die rot eingefärbte Zone ist von erheblicher mechanischer Beanspruchung und sehr hoher Reibung gekennzeichnet. Die extremen Temperaturen sind hauptsächlich auf die Umformarbeit und die Reibung zurückzuführen. Die meiste Hitze bleibt im Span selbst. Am Werkzeug sind Schneidkante und Spanfläche am meisten betroffen, weniger die grün gekennzeichnete Freifläche. Je nach Verfahren, den Werkstoffen von Schneide und Werkstück sowie den Zerspanungsparametern wie Spandicke und Schnittgeschwindigkeit sind Temperaturen an der Schneidkante von einigen Hundert Grad Celsius zu erwarten, beim Zerspanen mit Hartmetall- Werkzeugen sind Spitzen von 1000 °C keine Seltenheit. Der Kühlschmierstoff hat folgende Aufgaben: > Kühlen Wärmeabfuhr, Werkzeug- und Oberflächenschutz, > Schmieren Werkzeugstandzeit erhöhen, Reibung senken, > Spülen Abtransport der Späne, > Korrosionsschutz Maschine und Werkstück. In der untenstehenden Tabelle 1 finden Sie verschiedene Eigenschaften von Wasser und Öl im direkten Vergleich. Wenn es ums Kühlen geht, ist nicht von ungefähr Wasser das bevorzugte Mittel der Wahl. Es hat eine exzellente Kühlwirkung, jedoch ist Wasser schon allein aufgrund der niedrigen Viskosität ein schlechter Schmierstoff. Beim Öl ist es genau umgekehrt: Über die Viskosität lässt sich die grundlegende Schmierfähigkeit einstellen, jedoch ist die Kühlwirkung im Vergleich zu Wasser nur begrenzt: Dem Kühlen kommt in der Regel das Primat zu, was sich auch im Begriff „ Kühl schmierstoff “ widerspiegelt. Kühlen und Schmieren lassen sich im Metallbearbeitungsprozess jedoch nicht völlig voneinander trennen. Einige Anwendungen sind ohne die Kühlwirkung des Wassers nicht darstellbar, anderen reicht die Kühlwirkung des Öls und sie profitieren von der besseren Schmierwirkung. Dritte Anwendungen können durch sehr gute Schmierung die Reibung derart senken, dass sie mit weniger Kühlleistung auskommen. Auf dieser Basis haben sich zwei Hauptgruppen von Kühlschmierstoffen zur Metallbearbeitung etabliert (Tabelle 2): > Wassergemischt, > Nicht wassergemischt. Aus dieser generellen Konstellation ergeben sich prinzipielle Vor- und Nachteile beider Gruppen (Tabelle 3). Welche dieser Gruppen zur Anwendung kommt, hängt von einer ganzen Reihe an Faktoren ab. Zum Beispiel: > Bearbeitungsverfahren, > Maschinenbzw. Systemkonfiguration, > Werkzeugtyp und -werkstoff, > Werkstoff des zu bearbeitenden Werkstücks, > Schnittgeschwindigkeit, > Spanvolumen, > Werkzeugstandzeit, > Oberflächengüte, > Einbettung in den Fertigungsprozess, > Wirtschaftlichkeit, > Umwelt und Gesundheit. Die einzelnen Faktoren detailliert zu erläutern, würde den Rahmen dieses Artikels bei Weitem sprengen. Die Aufzählung soll jedoch die Komplexität der Thematik bewusstmachen. Schon die Zerspanbarkeit der verschiedenen Materialien, vom niedrigbis hochlegiertem Stahl, über Gusseisen bis hin zu Buntmetall-, anderen Leichtme- Gruppe (DIN 51385) Anlieferung Einsatz wassermischbar Konzentrat, emulgierbar KSS-Emulsion Konzentrat, wasserlöslich KSS-Lösung nicht wassermischbar einsatzbereit Schneidöl, Schleiföl,… Tabelle 2: Arten von Kühlschmierstoffen (KSS) Anmischwasser Gruppe Vorteile Nachteile Wassergemischte Kühlschmierstoffe > Hohe Kühlleistung > Sehr gute Spülwirkung > Relativ niedrige Beschaffungskosten > Begrenzte Lebensdauer > Hoher Pflegeaufwand > Nährboden für Bakterien und Pilze Nicht wassergemischte Kühlschmierstoffe > Sehr gute Schmierwirkung > Guter Korrosionsschutz > Lange Lebensdauer > Geringer Wartungsaufwand > Begrenzte Kühlleistung > Moderate Spülwirkung > Hohe Beschaffungskosten > Relativ hohe Entsorgungskosten Tabelle 3: Prinzipielle Vor- und Nachteile wassermischbarer und nicht wassermischbarer Kühlschmierstoffe / 3/ 13 Schmierstoff + Schmierung · 1. Jahrgang · 3/ 2020 Fachartikel-|-Schmierung in der Metallbearbeitung: Einen kühlen Kopf bewahren tall-Legierungen oder gar Kunststoffen ist ein weites Feld. Während für leicht zerspanbare Leichtmetall- Legierungen eher wässrige Kühlschmierstoffe verwendet werden, kommen bei hoch legierten, schwer zerspanbaren Stählen eher wasserfreie Produkte zum Einsatz. Wird die Zerspanbarkeit mit den unterschiedlichen Erfordernissen des Bearbeitungsverfahrens sowie Schnittgeschwindigkeit, Spanvolumen und Oberflächengüte kombiniert, lässt sich die Komplexität des Ganzen schon erahnen. Gilt beispielsweise das Schleifen allgemein als leichte Zerspanungsoperation, die höhere Anforderungen an die Kühl- und Spülwirkung stellt als an das Schmieren, kann das interessanterweise beim Hochgeschwindigkeitsschleifen mit speziellen Schleifscheiben auf der Basis von kubischem Bornitrid (CBN) genau andersherum sein. Und die Additive? Wie auch bei herkömmlichen Schmierstoffen ist die Leistungsfähigkeit moderner Kühlschmierstoffe ohne Additive nicht darstellbar. Beispielsweise können Schmierfähigkeit, Korrosionsschutz und Alterungsstabilität durch die Zugabe von Additiven deutlich erhöht werden. In Tabelle 4 sind typische Komponenten von Kühlschmierstoffen und deren Zweck aufgeführt. Der Auf bau eines wässrigen Kühlschmierstoffs ist im Vergleich zu einem Schneid- oder Schleiföl naturgemäß deutlich komplexer. Einerseits müssen Wasser und das nicht wassermischbare Öl in eine stabile Emulsion überführt werden. Andererseits ergeben sich aus der Mischung Wasser-Kohlenwasserstoff auch prinzipiell neue Herausforderungen. Komponente Funktion wmKSS* nwmKSS* Basisöl Grundlegende Schmierwirkung, Emulgierbarkeit oder Löslichkeit in Wasser x x Antioxidantien Ölstandzeitverlängerung x Korrosionsschutz- Additive Schutz der Metallflächen vor Korrosion (Stahl, Buntmetalle) x x Verschleißschutz- Additive Erhöhung von Werkzeugstandzeit und Performance, Reibungsabsenkung x x Entschäumer- Additive Schaumbildung reduzieren x x Emulgatoren Bildung der Öl-Wasser-Emulsion x Biozide Wachstums-Hemmung für Pilze, Bakterien und Hefen x *) wmKSS oder nwmKSS = wassermischbarer oder nicht wassermischbarer Kühlschmierstoff Tabelle 4: Komponenten von Kühlschmierstoffen und deren Funktion Finke Mineralölwerk GmbH Rudolf-Diesel-Straße 1 • 27374 Visselhövede Tel. 0 42 62 - 7 98 • info@finke-oil.de • www.finke-oil.de AVIATICON AVIATICON Schmierstoffe - Made in Germany - - halten Technik in Bewegung Schmierstoff + Schmierung · 1. Jahrgang · 3/ 2020 14 Fachartikel | Schmierung in der Metallbearbeitung: Einen kühlen Kopf bewahren Der Kühlschmierstoff im Einsatz Die volle Leistungsfähigkeit kann der Kühlschmierstoff entfalten, wenn er von Beginn an professionell behandelt wird. All das, was die Performance oder die Lebensdauer des Kühlschmierstoffs beeinträchtigt, sollte unter dem Blickwinkel der Wirtschaftlichkeit vermieden werden. Dabei geht es beispielsweise um folgende Punkte: > Lagerung, > Anmischung (wässrige KSS), > Befüllung, > Überwachung, > Pflege, > Behälter-/ Systemreinigung, > Entsorgung. Hersteller von Kühlschmierstoffen und Dienstleister unterstützen den Anwender bei der gezielten, produkt- und prozessorientierten Umsetzung der dazu notwendigen Maßnahmen. Die Unterstützung reicht von der Empfehlung konkreter technischer Maßnahmen über die Publikation genereller Richtlinien zum Umgang mit Kühlschmierstoffen bis hin zur Übernahme des gesamten Fluidmanagements. Mensch und Umwelt Zum Professionellen Umgang mit Kühlschmierstoffen gehört es ebenso, Mensch und Umwelt im Fokus zu haben. Dank der langjährigen Zusammenarbeit von Anwendern, Kühlschmierstoff-Herstellern, Berufsverbänden und Berufsgenossenschaften existieren eine ganze Reihe bewährter Lösungen, die das Restrisiko für Mensch und Umwelt beim Einsatz von Kühlschmierstoffen auf ein vertretbares und handhabbares Maß absenken. Ob es sich dabei um Schutzeinrichtungen in der Werkhalle oder an der Maschine handelt, um professionelle Arbeitsmittel, Schutzausrüstung, Hautschutzpläne oder andere Regeln beim persönlichen Umgang mit Kühlschmierstoffen: Diese sichern den Einsatz von Kühlschmierstoffen bestmöglich ab. So hilft beispielsweise die VDI-Richtlinie, Blatt 3035 die technischen Anforderungen an die Maschinen zu definieren oder die VDI-Richtlinie, Blatt 3397 und die DGUV-R 109-003, den Umgang mit Kühlschmierstoffen in der Praxis sicher zu gestalten. Auf den richtigen Partner kommt es an In der Welt der Schmierstoffe ist kein Anwendungsgebiet derart dynamischen Veränderungen unterworfen wie das der Metallbearbeitung. Zugleich weisen Kühlschmierstoffe einen sehr hohen Grad an Komplexität sowohl hinsichtlich der Anforderungen als auch der chemischen Zusammensetzung auf. Für den Anwender von Kühlschmierstoffen ist es zunehmend eine Herausforderung, stets auf dem Laufenden zu bleiben. Gut, dass professionelle Anbieter von Kühlschmierstoffen und Service-Unternehmen den Anwendern weit über die Herstellung und die Lieferung des Produktes selbst hinaus hilfreich zur Seite stehen. Literaturangaben [1] Kühlschmierstoffe. Theorie für die Praxis. Rhenus Wilhelm Reiners GmbH, Mönchengladbach, www.rhenus-lub.de [2] Die Welt der Schmierstoffe. Fuchs Europe Schmierstoffe GmbH, www.fuchs-europe.de [3] Verband Schmierstoff-Industrie e. V.: Technische Information Kühlschmierstoffe. www.vsi-schmierstoffe.de/ schmierstoffe/ technische-information/ kuehlschmierstoffe.html »« © Eingangsabbildung Oelcheck GmbH Interesse? www.narr.de