eJournals Schmierstoff + Schmierung 2/1

Schmierstoff + Schmierung
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expert verlag Tübingen
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Schmierstoffe zur Verwendung in der Lebensmittelproduktion

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Andreas Adam
sus210017
17 Schmierstoff + Schmierung · 2. Jahrgang · 1/ 2021 FACHARTIKEL Schmierstoffe zur Verwendung in der Lebensmittelproduktion Andreas Adam EINLEITUNG Alle Lebewesen sind auf Nahrung angewiesen. Ohne ausreichend gesunde Nahrung ändern sich unsere Prioritäten rasch. Die unmittelbare Versorgung mit Lebensmitteln wiederherzustellen, wird zu unserem elementaren Bedürfnis. Dieses Bedürfnis ist das, was alle Menschen gemeinsam haben. Mir wurde erzählt, dass eines der ersten Gesetze zur Lebensmittelsicherheit von König Johann von England im Jahr 1202 erlassen wurde, das so genannte „Brotgesetz“. In jenen längst vergangenen Tagen begann eine langsame Entwicklung der Lebensmittelgesetzgebung. Im Jahr 1862 wurde das USDA (United States Department of Agriculture) und 1930 die FDA (Food and Drug Administration) gegründet, beide mit der Aufgabe, Lebensmittel sicher zu machen. Die weiterentwickelten Möglichkeiten der Analytik und die Zunahme der Kommunikation gaben der Bewegung hin zu einer erhöhten Lebensmittelsicherheit Impulse. Die USA, Europa und viele andere Länder haben mehr oder weniger ähnliche Systeme zur Kontrolle der Sicherheit von Lebensmitteln und Medikamenten geschaffen. Leider existiert kein globaler Ansatz und aus politischen Gründen ist es unwahrscheinlich, dass sich dies noch zu unseren Lebzeiten ändern wird. Es gibt in der gesamten Lebensmittelkette ein gemeinsames Interesse an einem extrem hohen Sicherheitslevel. Erzeuger von Lebensmitteln investieren in große Marketingkampagnen und schaffen teure Markenbekanntheit. Produktrückrufe, oder noch schlimmer, rechtliche Verfahren aufgrund von Vergiftungen oder gar Todesfällen müssen vermieden werden. Dazu kommt die persönliche Haftung des Managements. Auch NGOs haben ihren Markt in diesem Segment gefunden, da Verbraucher auch (Geld-)Spender sind, natürlich neben ihrer ehrlichen und berechtigten Sorge um die öffentliche Gesundheit. Dieser ganze Druck auf die Lebensmittelsicherheit resultiert in einer Kettenreaktion in der ganzen Versorgungskette. Andreas Adam Nach mehr als 35 Jahren in der Schmierstoffindustrie, in denen er in vielen Ländern und unterschiedlichen Positionen gearbeitet hat, hat Andreas Adam sich aus seiner Rolle als kaufmännischer Leiter der FRAGOL AG zurückgezogen. Während seiner beruflichen Lauf bahn hat Andreas Adam ein besonderes Interesse an dem Nischensegment der lebensmitteltauglichen Schmierstoffe entwickelt. Er hat einen Abschluss als Schiffsingenieur und war als solcher in verschiedenen technischen Positionen tätig. Von 1982 bis Ende 2020 arbeitete er in der Schmierstoffindustrie. Andreas Adam ist auch weiterhin als Berater für die FRAGOL AG tätig und ist Vorstandsmitglied des European Lubricating Grease Institute (ELGI). Ferner ist er Vorsitzender der ELGI-Arbeitsgruppe zu lebensmitteltauglichen Schmierstoffen und arbeitet für CONCAWE MOCRINIS. Über die Jahre hat er verschiedene Artikel in führenden internationalen Zeitschriften veröffentlicht, überwiegend zu lebensmitteltauglichen Schmierstoffen. Schmierstoff + Schmierung · 2. Jahrgang · 1/ 2021 18 Fachartikel | Schmierstoffe zur Verwendung in der Lebensmittelproduktion Wenn wir die Lebensmittel von dem Anbau bis zum Verzehr verfolgen, sind alle Bereiche, in denen Non- Food-Materialien in Kontakt mit den Lebensmitteln kommen, eine mögliche Quelle der Kontamination. Darüber hinaus sind auch die Lagerung und die Haltbarkeit von Lebensmitteln ein potenzieller Anlass zur Sorge. Die Industrie hat mit einer großen Anzahl von Überwachungssystemen reagiert, um die Lebensmittelsicherheit durch bestmögliche Kontrolle über die Prozesse mittels Lebensmittelsicherheits-Managementsystemen wie etwa GFI, Codex Alimentarius, GMP oder HACCP zu garantieren. Bei diesem Niveau der Lebensmittelkontrolle, der Gesetzgebung und der Prozesskontrolle war es überraschend, wie lange es dauerte, bis eine der wichtigen Komponenten des Produktionsprozesses, der Schmierstoff, in die Lebensmittelregulierung integriert wurde. Schmierstoffe sind kein Bestandteil von Lebensmitteln, sie sind keine Zutat, aber sie haben aufgrund ihrer Nähe zur Lebensmittelproduktion das Potenzial, unbeabsichtigt in das Endprodukt zu gelangen und dieses daher zu verunreinigen. In einer Industrie, in der die Zertifizierung von hygienischem Design von Rohrleitungen, Dichtungen, Verpackungen etc. zur gängigen Praxis geworden ist, wird es nicht mehr als akzeptabel angesehen, dass die Schmierstoffe nicht diesem Niveau der Überprüfung ihrer chemischen Zusammensetzung, Produktion und Zulassung entsprechen. Die Reaktion der Schmierstoffindustrie war die Einführung einer ISO- Norm, der ISO21469, ein großer Schritt weg von der bisher gängigen Praxis, die nicht mehr den Qualitätsstandards in der Lebensmittelproduktion entsprach. USDA Die USA haben einen gesetzlichen Rahmen für Schmierstoffe geschaffen, der nach wie vor mit seinen Definitionen und Zusammensetzungen der Schmierstoffe führend ist. Um das System zu verstehen, müssen wir die Rolle der verschiedenen Regierungsstellen verstehen. Das USDA hat ein System von Kategorien für Schmierstoffe geschaffen, das noch heute verwendet wird und weltweit anerkannt ist. Die Bezeichnung „H1“ steht für Schmierstoffe mit unbeabsichtigten, gelegentlichen Lebensmittelkontakt, „H2“ für keinen Lebensmittelkontakt. Dies ist eine über 50 Jahre alte Kategorie, die eingeführt wurde, um zu vermeiden, dass die damals in Schmierstoffen verwendeten giftigen Komponenten von der Lebensmittelproduktion ferngehalten werden. Heute wird „H2“ praktisch nicht mehr verwendet. „H3“ steht für Rostschutz ohne Lebensmittelkontakt und „3H“ für Trennmittel. Für die USDA war es wichtig, dass ihre Inspektoren beim Besuch einer Produktionsstätte leicht erkennen konnten, ob ein in der Produktion verwendetes Produkt den von der USDA definierten Sicherheitsstandards entsprach. Ein Schmierstoff, der bei der USDA - basierend auf seiner Rezeptur - als „H1“ zugelassen wurde, wurde entsprechend gekennzeichnet und auf dem Verpackungsetikett mit einer Nummer versehen, die die Zulassung bei der USDA nachweist. Das USDA stützte sich bei ihrem Zulassungssystem auf die von der FDA kontrollierten CFR (Codes of Federal Regulations), die Sammlung der Bundesverordnungen. ZULASSUNGEN Derzeit gibt es zwei Unternehmen, die die Zulassung der Kategorien durchführen, nachdem die USDA diesen Service 1998 eingestellt hat: NSF aus den USA und 2Probity aus Europa. Der Ablauf ist, dass ein Schmierstoffhersteller eine Rezeptur bei der zulassenden Stelle einreicht, die dann anhand des geltenden CFR überprüft wird. Dabei müssen die Komponenten bekannt und zugelassen sein (sog. HX1 Liste). Die Menge der jeweiligen Komponente in der Rezeptur wird geprüft, um sicherzustellen, dass sie den von der FDA festgelegten zulässigen Höchstwert einhält. 10 Jahre DLS Schmiersysteme GmbH www.dls-schmiersysteme.de Anzeige 19 Schmierstoff + Schmierung · 2. Jahrgang · 1/ 2021 Fachartikel-|-Schmierstoffe zur Verwendung in der Lebensmittelproduktion ISO21469 Dieses System der Zulassungen hat uns viele Jahre lang gute Dienste geleistet. Es hat aber eine große Schwachstelle, die für die Lebensmittelindustrie nicht akzeptabel ist: Da es sich um eine einmalige Zulassung handelt, gibt es nur eine einzige Überprüfung der Rezeptur. Wenn ein Unternehmen weiterhin seine für die Zulassung und Listung anfallenden Gebühren zahlt, ändert sich die Zulassung nicht und es gibt keine Kontrollen im System, um die Zulassung mit dem tatsächlich produzierten Schmierstoff zu verknüpfen. Auch die Bedingungen, unter denen der Schmierstoff hergestellt wird, werden in keiner Weise kontrolliert - ein Alptraum für jeden seriösen Lebensmittelhersteller. Die Produktion und Zusammensetzung eines einmal zugelassenen Schmierstoffes wird nicht weiter kontrolliert. Die Schmierstoffindustrie musste reagieren und entwickelte die ISO21469. ZERTIFIZIERUNG Die Zertifizierung war die fehlende Komponente in den Qualitätssystemen, die in unserer Branche eingesetzt werden. Natürlich gab es viele seriöse Anbieter, und diese hatten tatsächlich kaum Probleme, ihr Qualitätssysteme auf die ISO21469 zu übertragen. Für einige Unternehmen mag es eine größere Herausforderung gewesen sein, weil jede Änderung der Rezeptur zu einer neuen Zulassung bei der NSF oder bei 2Probity führt, mit entsprechenden Kosten und entsprechendem Dokumentationsbedarf. Vielleicht war dies mit ein Grund dafür, dass noch nicht alle Unternehmen die ISO21469 als führenden Standard übernommen haben, aber die Anwender und einige Regierungen beginnen, dies als Mindestleistungsniveau zu fordern, jenseits der tatsächlichen Schmierstoffeigenschaften. Einige der Komponenten der ISO21469-Norm sind: > ISO9001 > Überprüfung der Rezeptur (H1) > Überprüfung der Produktkennzeichnung >> Haltbarkeitsdauer oder Verbrauchsdatum >> Einschränkende Textanforderungen > Risikobewertung > Handhabung > Verpackung > Audit der Anlage >> Verifizierung von Mischungen >> Dokumentation >> GMP („gute Herstellungspraxis“) >> Lagerung >> Kontamination EUROPÄISCHE UNION Im Gegensatz zu den USA hat Europa keine schmierstoffspezifische Gesetzgebung. Die EU hat mehrere Gesetze in Verbindung mit Schmierstoffen, die sich aber nicht mit dem Produkt „Schmierstoff “ befassen. Die Diskussion von mit MOSH (Mineralöl) und MOAH (Aromatische Mineralölbestandteile) kontaminierten Lebensmitteln hat uns gezeigt, wie kompliziert, schwierig und verwirrend das Thema ist. Die EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) hat ihr wissenschaftliches Gutachten zu Mineralölkohlenwasserstoffen in Lebensmitteln veröffentlicht (EFSA Journal 2012; 2704) und dies war das zentrale Dokument im überwiegenden Teil der Diskussion gewesen, leider nur ein Ausschnitt des Gesamten Themenkomplexes. Damit sind die Fragen der Schmierstoffanwender zur Sicherheit von Produkten nicht beantwortet, nicht nur weil Schmierstoffe eine breitere chemische Basis haben als Mineralöl. Neuere Veröffentlichungen des BFR (Bundesinstitut für Risikobewertung), der CONCAWE (EU-Raffinerieorganisation) und eine Reihe wissenschaftlicher Studien haben viele Antworten in Richtung Produktsicherheit der in Schmierstoffen häufig verwendeten Grundöle gegeben. Es steht eine unterstützende Dokumentation zur Verfügung, jedoch ist es keine einfache und gradlinige Richtung und es ist noch viel Arbeit durch die neuen Herausforderungen für unsere Industrie zu erwarten bis zu einer allgemein akzeptieren EU-Lösung für sichere Schmierstoffe mit Lebensmittelkontakt. RELIGIÖSE ZERTIFIZIERUNG Die wichtigsten Zertifizierungen für Schmierstoffe sind hier halal und koscher . Es ist für nahezu alle Märkte notwendig, über eine oder beide Zertifizierungen zu verfügen, um seine Produkte vermarkten zu können. Die H1-Zulassung ist dabei eine Mindestanforderung, darüber hinaus bestehen individuell religiös motivierte Regeln. ZUSAMMENFASSUNG Zum US-System der Zulassungen in Verbindung mit der ISO21469 gibt es derzeit kaum Alternativen. Den Anwendern unserer Produkte gibt sie eine Orientierung für den Einsatz von Schmierstoffen in Verbindung mit ihren HACCP (Hazard Analysis and Critical Control Points). Bei sachgemäßer Anwendung und Einhaltung einer „guten Arbeitspraxis“, wie sie in DOC 23, Teil 1, von EHEDG (European Hygienic Engineering and Design Group) beschrieben ist, wird die Lebensmittelsicherheit erhöht und gleichzeitig eine gute Lebensdauer der Anlagen und der Schmierstoffe gewährleistet. »« Eingangsabbildung © asayenka - stock.adobe.com