Schmierstoff + Schmierung
sus
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expert verlag Tübingen
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20 Minuten mit ... Rolf Luther
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Rolf Luther
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Schmierstoff + Schmierung · 2. Jahrgang · 1/ 2021 26 20 minuTen miT … 20 Minuten mit … Rolf Luther Wie entwickelt sich der Marktanteil von Bio- Schmierstoffen? In den „Vorreiterländern“ wie Deutschland ist seit einigen Jahren eine gewisse Stagnation zu beobachten - in Deutschland liegt der Marktanteil von Bio- Schmierstoffen bei etwa 3,5 %. Zu den Gründen kommen wir vielleicht später noch. In den letzten Jahren ist aber in Westeuropa und den USA das Interesse wie auch der Absatz an Bio- Schmierstoffen gewachsen. Ein wesentlicher Treiber war dabei die Vessel General Permit der EPA, der US- Umweltbehörde. Diese VGP, quasi die offizielle Schiffsgenehmigung, schreibt seit 2013 die Verwendung von umweltverträglichen Schmierstoffen auf allen Handelsschiffen mit einer Mindestlänge vor, die in US-Küsten- und Binnengewässern fahren. Die Definition der dabei erlaubten Environmentally Acceptable Lubricants (EAL) umfasst Kriterien zur Abbaubarkeit, zur Toxizität und zur Bio-Akkumulation, ist aber kein Umweltzeichen im formalen Sinn, wie beispielsweise unser Europäisches Umweltzeichen, das EEL - das ist deutlich anspruchsvoller positioniert. Immerhin: Schmierstoffe mit EEL erfüllen automatisch die VGP-Kriterien. Wir sehen, dass eine stringente Umweltgesetzgebung den Anteil an umweltverträglichen Schmierstoffen schnell anwachsen lässt - dieser Weg sollte nach meiner Meinung auch für Europa eingeschlagen werden: Solange Bio-Schmierstoffe teurer sind als „konventionelle“, fragen sich viele durchaus Gutwillige, warum man umsteigen sollte, solange der Staat die Umweltgefahren offenbar für so gering hält, dass er keine Gesetze wie die VGP-Richtlinie erlässt. Hier liegt in Europa eine Handlungs-, um nicht zu sagen Glaubwürdigkeitslücke vor: Bei Umweltzeichen sind wir führend, aber nicht in der stringenten Umsetzung und Anwendung. Wie schätzen Sie die zukünftigen Chancen / Trends von Bio-Schmierstoffen ein? Die Herausforderungen durch die Klimaänderung haben ja bereits die Themen „Nachhaltigkeit“ und CO2-Reduktion stark beflügelt. Schmierstoffe sind insofern extrem zeitgemäß, da reibungs- und verschleißmindernd - aber wir wollen natürlich immer noch besser werden. Da können Bio-Schmierstoffe einen deutlichen Beitrag leisten - von den Rohstoffen angefangen bis zur verminderten Umweltgefährdung. Insofern: Die Aussichten sind gut, zumal dann, wenn auch der Gesetzgeber tätig würde. Welches sind die wichtigsten Absatzmärkte für Bio-Schmierstoffe? Nach wir vor sind Mitteleuropa und Skandinavien die wichtigsten Märkte. Aber - wie bereits erläutert - holen andere Länder auf, während die „etablierten Märkte“ eher stagnieren. Rolf Luther Rolf Luther ist seit 1991 in verschiedenen Positionen beim Schmierstoffhersteller FUCHS tätig. Aktuell leitet er die Vorausentwicklung für die FUCHS-Gruppe, die neben unmittelbar schmierstoff bezogenen Aufgaben auch neue digitale Methoden und die Zustandsüberwachung von Schmierstoffen umfasst. Luther ist Diplom-Physiker; studiert hat er an der TU Clausthal. Er ist u. a. Obmann der CEN-Normungsgruppe „Bio- Lubricants“ (CEN TC19/ WG33) sowie Mitglied im Vorstand der Gesellschaft für Tribologie (GfT). 27 Schmierstoff + Schmierung · 2. Jahrgang · 1/ 2021 20 Minuten mit …-|-Rolf Luther Welches sind für Sie die wichtigsten technischen Anwendungsgebiete? Entgegen der weitverbreiteten Meinung, Bio-Schmierstoffen seien nur für Verlustschmierung notwendig, also beispielsweise beim Klassiker Sägekette, ist der bedeutendste Einsatz in Hydrauliksystemen, vor allem bei Mobilanwendungen - Forst-, Land- und Bauwirtschaft -, aber auch in stationären Systemen - Schleusen, Pressen und viele andere. Aber auch in Industriegetrieben oder Turbinen werden Bio- Schmierstoffe eingesetzt, oder auch Schmierfette in Schienensystemen, offenen Getrieben - oder eben zur Stevenrohrbefettung bei Schiffen, siehe VGP. Wann genau ist ein Schmierstoff eigentlich ein Bio-Schmierstoff? Dazu gibt es erstmal eine gute Antwort: Mit der europäischen Norm EN16807 existiert seit 2016 eine verbindliche Definition des Begriffs „Bio-Schmierstoff “, umfassende Kriterien zur schnellen Abbaubarkeit, zur Toxizität und zum Mindestanteil an nachwachsenden Rohstoffen. Wichtig zu betonen: Es handelt sich um eine Norm, nicht um ein von staatlichen Behörden vergebenes Umweltzeichen. Deshalb war es der Normungsgruppe sehr wichtig, dass jedes Kriterium am Fertigprodukt prüf bar ist: Alle Kriterien sollen an der Vollformulierung messbar sein. Dies ist gelungen, und damit hat - zumindest theoretisch - jeder Nutzer die Chance, die Produktaussagen selber zu prüfen. Das ist aus meiner Sicht ein großer Beitrag zur Glaubwürdigkeit dieser Norm. Dennoch bleibt noch einiges zu tun: Weiterhin gibt es andere Begriffe zu umweltverträglichen Schmierstoffen, zum Beispiel die genannten EAL. Immerhin ist es gelungen, dass die EN 16807 inzwischen Einzug in andere Normen hält, genannt seien hier das EEL oder die ISO 15380 zu umweltverträglichen Hydraulikfluiden. Noch ein Wort zum Anteil nachwachsender Rohstoffe: Der Mindestanteil wurde auf 25 % festgelegt. Das ist für die einen zu viel, für andere zu wenig - ein klassischer Kompromiss, der folgendes aussagen soll: Nachwachsende Rohstoffe können einen Beitrag zur Verbesserung der Ökobilanz leisten, wie mehrere Studien belegen - sie sind aber nicht per se besser. Erst weitere Nachhaltigkeitsaussagen können hier final Aufschluss geben - Ziele für eine künftige Revision der EN 16807. Wie steht es um die Performance von Bio- Schmierstoffen? Insgesamt mittlerweile gut bis sehr gut: Ich unterschreibe gern die Aussage, dass aus technischer Sicht für mehr als 90 % aller Schmierstoffanwendungen adäquate Bio-Schmierstoffe eingesetzt werden könnten - wenn es auf den Preis nicht ankäme. Es gibt da allerdings eine Art Kommunikationsproblem, nehmen wir das Beispiel Hydrauliköle: Hier gibt es quasi drei unterschiedliche Leistungs- und Kostenniveaus - vom Pflanzenöl-basierten HETG über solche auf Basis teilgesättigter Syntheseester bis zu Hochleistungsestern. Die letzteren erfüllen alle Anforderungen - sind aber auch deutlich am teuersten. Dem stehen unterschiedliche technische Anforderungen gegenüber: Es gibt durchaus Anwendungen, in denen ein HETG sinnvoll einsetzbar wäre - aber nur auf Basis einer gründlichen Analyse der Anwendung, um die geeignete Qualität empfehlen zu können. Das erscheint aber vielen Anwendern zu aufwändig - sie erwarten das Hochleistungsprodukt zum Preis eines HETG, was leider nicht machbar ist. 7. Welche Herausforderungen sehen Sie in der Anwendung von Bio-Schmierstoffen? Hier kann ich an meine vorigen Ausführungen anschließen: Wenn man ausschließlich mit einem Dropin-Ansatz an Bio-Schmierstoffe herangeht - das heißt: Mineralölprodukt ablassen, Bio-Öl einfüllen, loslegen - muss man zu den Hochleistungsprodukten greifen, die naturgemäß teuer sind. Will man günstigere Bio-Schmierstoffe einsetzen, muss man deren spezifischen Eigenschaften entgegenkommen - Stichworte: Elastomerverträglichkeit, Temperaturniveau, potenzieller Wassereintrag etc. Bio-Schmierstoffe gelten als teuer. Wird sich das ändern? Die früher oft gehörte Formel „Wenn das Erdöl zur Neige geht, werden Produkte auf Basis nachwachsender Rohstoffe irgendwann gleichpreisig oder billiger“ gilt so natürlich nicht: Die Herstellkosten sind „energetisch gekoppelt“, damit wird ein Syntheseester auf absehbare Zeit teurer sein als ein Mineralöl. Aber: In einer Gesamtkostenanalyse - Rohstoffkosten, Energieverbrauch in der Nutzungsphase, Lebensdauer etc. - relativieren sich schon heute die höheren Einstandskosten vieler Bio-Schmierstoffe - ganz abgesehen von ihrer deutlich geringeren Umweltgefährdung. Welche aktuellen Entwicklungen gibt es bei Bio- Schmierstoffen? Das technische Niveau von Bio-Schmierstoffen ist bereits hoch, weitere Verbesserungen sind natürlich weiter möglich und in Arbeit. Das Produktportfolio reicht schon heute von Sägekettenölen bis zu Hochleistungs-Motorenölen. Die Nachhaltigkeitsbilanzierungen werden in den nächsten Jahren ausgeweitet; bei Mineralölprodukten gerät zunehmend die Rohölgewinnung ins Blickfeld. Und ich denke, dass das Vorbild VGP irgendwann auch in Europa nachvollzogen wird: Verpflichtender Einsatz von umweltverträglichen Schmierstoffen in umweltsensiblen Bereichen. »« Eingangsabbildung © istock.com/ Comeback Images
