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Schmierstoff + Schmierung
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20 Minuten mit ... Dr. Alexandra Kohlmann

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Schmierstoff + Schmierung · 2. Jahrgang · 3/ 2021 20 20 MInuTEn MIT … 20 Minuten mit … Dr. Alexandra Kohlmann Unternehmen im Bereich der Schmierstoffherstellung werden generell der „Old Economy“ zugerechnet. Können nach Ihrer Einschätzung auch traditionelle Wirtschaftsunternehmen ein Vorbild für mehr Nachhaltigkeit sein? Selbstverständlich können Sie das, und diese Unternehmen nehmen in dieser Debatte auch eine ganz wichtige Rolle ein, denn der Großteil der deutschen Wirtschaft beruht auf Erfolgen von Unternehmen der „Old Economy“. Diese Branchen sind aber zurzeit einer enormen Disruption ausgesetzt, getriggert durch Themen wie die Digitalisierung, die pandemische Situation der letzten Monate, aber natürlich auch durch Mega-Themen wie die Nachhaltigkeit. Quasi ein Trend, der gekommen ist, um zu bleiben. Diese Unternehmen müssen sich also jetzt in ihrer „Reifephase“ verändern, um auch in Zukunft Bestand zu haben. Wir brauchen also zum einen mehr Vorbilder und Vorreiter aus diesen Branchen, die neue Ansätze leben und in die Tat umsetzen und damit zeigen, dass nachhaltiges Wirtschaften und Erfolg sich nicht ausschließen. Wir brauchen aber auch sicherlich an vielen Stellen den engen Dialog mit politischen Akteuren, weil Geschäftsmodelle sich nicht über Nacht verändern können. Die Geschwindigkeit manch externer Einflüsse steigt aber gerade exponentiell an, wie beispielsweise rasant steigende Energiekosten, finanzielle Zusatzbelastungen aus dem CO 2 -Emissionshandel und weitere Regularien, z. B. resultierend aus dem EU-Green-Deal, die zwar Transparenz mit sich bringen, aber auch hohe bürokratische und administrative Implikationen haben. Sich den neuen Gegebenheiten anzupassen, funktioniert aber nur, wenn man Veränderungen eher als Chance begreift statt Bewährtes bewahren zu wollen. So kam es in unserer Firmengruppe beispielsweise zu einer starken Diversifizierung unserer Geschäftsfelder: In einem unserer Tochterunternehmen kümmern wir uns um die Auf bereitung von industriellem und kommunalem Abwasser bis hin zu Trinkwasseraufbereitung. Auch die Forschung spielt eine sehr essenzielle Rolle, wenn wir Bestehendes verändern, verbessern oder neu denken wollen. Ein aktuelles Forschungsprojekt dreht sich um die Aufspaltung von hochbelasteten Emulsionen im Bereich der wassermischbaren Kühlschmierstoffe. Hier verfolgen wir den Ansatz der Kreislaufwirtschaft und können am Ende durch die erreichte Energieeinsparung zusätzlich einen großen Beitrag für die Umwelt leisten. ROWE ist u. a. auch Mit-Initiator der „Nachhaltigkeitsinitiative Schmierstoffindustrie“. Was kann man sich darunter vorstellen bzw. welche Maßnahmen/ Aktionen hat die Initiative bereits verwirklicht? Als Mit-Initiator der „Nachhaltigkeitsinitiative Schmierstoffindustrie“ entwickeln wir gemeinsam mit anderen Kooperationspartnern und Marktbegleitern sog. Sustainability Key Performance Indicators, mit denen branchenspezifische Vergleichsstandards gesetzt werden. Dies können wir nur mit einer zentral anerkannten Datenbank von UEIL (Arbeitsgruppen Carbon Footprint, Energy Efficiency und Communications), ATIEL (Base Oil Hersteller), ATC (Additivhersteller), VSI und UNITI erreichen. Auf der Etablie- Dr. Alexandra Kohlmann Seit 2018: Geschäftsführerin mehrerer Unternehmen der ROWE- Gruppe, darunter ROWE Holding GmbH, ROWE Marketing GmbH, ROWE MINERALÖLWERK GmbH, ROWE International GmbH. 2016: Einstieg als 2. Generation und Nachfolgerin bei ROWE MINERALÖLWERK GmbH als Mitglied der Geschäftsleitung und Prokuristin. 2012- 2016: Promotion im Bereich „Nachfolge in Familienunternehmen“, TU München. 2007-2012: Studium TUM- BWL, TU München 21 Schmierstoff + Schmierung · 2. Jahrgang · 3/ 2021 rung dieser Datenbank, auf der Ausgestaltung der Finanzierung sowie deren Datenschutz- und Nutzungsbedingungen werden sicherlich die Schwerpunkte der Arbeit in den nächsten Monaten liegen. Wo und wie kommt Nachhaltigkeit bei ROWE konkret zum Tragen? Im Bereich der Produktentwicklung, aber auch unternehmensintern. Das Thema Nachhaltigkeit ist in den vergangenen Jahren zu einem unserer unternehmerischen Leitgedanken geworden. Ein Vorbild zu sein, ist uns in vielerlei Hinsicht wichtig. Die gesamte ROWE-Gruppe verfolgt den Ansatz, dass Nachhaltigkeit im Kopf entsteht und hierfür ein Mindset aus Offenheit für Veränderung, Mut zu neuem Denken und Ausdauer - kurz: OMA - bei der Umsetzung von neuen Ideen erforderlich ist. OMA sind unsere unternehmerischen Grundtugenden, die gerade im Kontext von abstrakten SDGs eine Handlungsmaxime für alle Anstrengungen zu nachhaltigem Wirtschaften bieten. Aus dieser Denkhaltung entstehen dann ganz konkrete Projekte in der Praxis. Dies beginnt bei unseren Produkten, bei denen wir basierend auf nativen Schmierstoffen schon seit vielen Jahren performancestarke Produkte entwickeln, die wir beispielsweise gemeinsam mit unserem Rennstall auf der Strecke unter höchsten Anforderungen testen. Aber auch unternehmensintern bei unseren Produktionsprozessen achten wir darauf, schädliche Umwelteinflüsse zu vermeiden und die Energieeffizienz weiter zu verbessern. In unserem 2014 neu errichteten Werk setzen wir beispielsweise auf das Prinzip der „dedicated lines“ und können so entsorgungsintensive Mengen bei der Herstellung von Schmierstoffen vermeiden. Die Energiegewinnung und Abwärmenutzung erfolgt durch ein eigenes Blockheizkraftwerk. Zudem tragen wir zur regenerativen Stromerzeugung mit einer über 4.000 m² großen Photovoltaikanlage auf unseren Dächern bei. Die Abwärme, die im Mischbereich und an der Fettanlage in der Produktion entsteht, wird an anderer Stelle im Werk wieder genutzt. Seit 2017 sind wir das erste Unternehmen der deutschen Schmierstoff branche mit einer vollständig CO 2 -kompensierten Produktion. Unsere klimafreundliche Produktpalette ist an der entsprechenden Prägung auf jedem Gebinde erkennbar. Mit einer eigenen Inhouse-Produktion von Leergebinden an jeweils beiden Produktionsstandorten reduzieren wir CO 2 -belastende LKW-Transporte von leeren Gebinden. Zudem setzen wir als erster Schmierstoffhersteller im Kleingebindesegment 20 % Rezyklat aus Post-Consumer-Abfällen ein und werden dies auch noch weiter steigern. Die Zertifizierung nach DIN ISO 14001 (Umweltmanagement) und DIN ISO 50001 (Energiemanagement) sind logische Konsequenzen unseres Engagements. Die Erstellung einer CO 2 -Bilanz ermöglicht es uns außerdem, wichtige Handlungsfelder der Zukunft zu identifizieren und Stellhebel für weitere Emissionsreduzierungen zu finden. Hierzu wurde ein interdisziplinäres Team gegründet, welches sich organisationsweit um Initiativen und Impulse zum Thema Umwelt und Energie kümmert. Was ist Ihnen speziell als weibliche Führungskraft in einer industriellen, aktuell männerdominierten Branche besonders wichtig bzw. was würden Sie jungen Frauen zum Einstieg in die Branche gerne mitgeben? Ich würde sogar noch weiter gehen und über den Frauenanteil in der Branche hinaus sagen, dass wir mehr Diversität bräuchten. Dabei geht es um Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, Sprachen, Religionen, Alter und Geschlecht. Sicherlich haben wir in den letzten Jahren einiges diesbezüglich erreicht, aber Studien wie die der AllBright Stiftung attestieren gerade deutschen Unternehmen, und insbesondere den Familienunternehmen, immer noch ein sehr schlechtes Zeugnis bei der Geschlechterdiversität und dem Anteil der Frauen in Führungspositionen sowie Gremien. Gleichzeitig wissen wir aber auch, dass Diversität ein großer Schlüssel für nachhaltigen Unternehmenserfolg ist, weil es verschiedene Perspektiven ins Unternehmen einbringt. Von daher habe ich es immer als große Chance angesehen, als junge Frau bereits schon in frühen Jahren so große Verantwortung erhalten zu haben CALCIUMFLUORID Hochleistungsfestschmierstoff für extreme Bedingungen Sachtleben Minerals GmbH & Co. KG Meistergasse 14 77756 Hausach - Germany info@sachtleben-minerals.com www.sachtleben-minerals.com Anzeige Schmierstoff + Schmierung · 2. Jahrgang · 3/ 2021 22 20 Minuten mit … | Dr. Alexandra Kohlmann und hier auch als „Vorbild“ für junge Mädchen und Frauen zu dienen: Es geht darum, dass es für Frauen möglich sein muss, selbstbewusst und selbstbestimmt den eigenen Weg unabhängig von gesellschaftlichen Konventionen zu gehen. Und auch auf mehr Gleichberechtigung im persönlichen Umfeld zu pochen - denn auch an Männer können wir ja eine neue Erwartungshaltung beobachten, die vielleicht noch nicht in Gänze den gesellschaftlichen Konventionen entspricht. Hier sind auch die Unternehmen gefragt, flexibel und offen mit modernen Lebens- und Familienkonzepten umzugehen und nicht zu diskriminieren. Von daher kann ich nur raten: einfach mutig den eigenen Weg gehen, Widerstände und mögliche Diffamierungen weglächeln und ein hohes Durchsetzungsvermögen beweisen. Noch die Bitte um ihre persönliche Einschätzung: Wie optimistisch sind Sie, dass wir als Gesellschaft es gemeinsam schaffen werden bis 2030 die 17 UN-Entwicklungsziele (SDGs) zu erreichen? Im Protokoll der Generalversammlung vom 25. September 2015 proklamieren die Länder der Vereinten Nationen eine gemeinsame Kraftanstrengung für eine „Transformation der Welt“. Das Wörtchen „Transformation“ lässt schon das Ausmaß der Herkulesaufgabe erahnen, welche da vor uns liegt. Dabei wissen die staatlichen Institutionen der Mitgliedsländer, dass eine Umsetzung dieser Vielzahl von Zielen ohne verantwortlich handelnde Unternehmen und andere nichtstaatliche Akteure unmöglich ist. Aber natürlich ist auch jeder Einzelne in unserer Gesellschaft gefragt, einen Beitrag zu leisten. Der zweite Teil des Zitats betont außerdem, dass es eine globale Angelegenheit ist, die einzelne Mitgliedsstaaten nicht alleine schaffen können, auch wenn sie noch so ambitioniert ihre Vorreiterrolle einnehmen. Ich denke daher, der Weg wird sehr hart und steinig werden, denn von vielem, was wir bislang kannten, werden wir uns verabschieden müssen. Dies beginnt bei individuellen Gewohnheiten, die wir ändern müssen, wie beispielsweise weniger Luxus bei Reisen und Fliegen. Es geht aber auch weiter mit der Transformation ganzer Geschäftsmodelle, wie bereits eingangs erläutert. Für viele Branchen gibt es aber zurzeit noch gar keine alternativen Lösungen - diese Unternehmen stünden sozusagen vor dem Aus. Auch das Ausmaß an Regularien, wie beispielsweise das Lieferkettengesetz oder Anforderungen hinsichtlich der ESG-Kriterien bei der Veröffentlichung von Geschäftsberichten, nehmen immer weiter zu. Auch der finanzielle Mittelfluss und die Verfügbarkeit von Kapital wird sich künftig an ESG-Kriterien messen müssen. Dies mag auf der einen Seite gerechtfertigt sein, solange wir es aber nur aus der deutschen oder europäischen Sicht betrachten, ist dem globalen Gedanken einer gemeinsamen Kraftanstrengung gegen den Klimawandel nicht geholfen. Mit Blick auf die immer stärker vernetzte Welt müssen wir als Gesellschaft und Politik lernen, gesamtheitlicher zu denken. Denn wenn in Deutschland ein Umbau auf eine grüne(re) Wirtschaft erfolgt, darf dies nicht auf Kosten anderer Länder geschehen, in denen Umwelt- oder Sozialstandards nicht die gleiche Bedeutung haben. Umgekehrt dürfen wir unsere jahrelangen Wettbewerbsvorteile einer starken Industrienation nicht mit sinnlosen Alleingängen zunichte machen, um eine Vorbildrolle als Land einzunehmen. Damit wäre dem globalen Ansatz der SDGs nicht geholfen. »« Eingangsabbildung ©istock.com/ Comeback Images Anzeige BEA | SCHEURER | HESSELMANN Projektmanagement Der Klassiker endlich neu aufgelegt. uvk.de